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Leo Trotzki 19281004 Die chinesische Frage nach dem VI. Kongress

Leo Trotzki: Die chinesische Frage nach dem VI. Kongress

[Nach Leo Trotzki: China, Band 2, Berlin 1975, S. 63-133. Chinesische Eigennamen werden teils nach Leo Trotzki, Schriften 2.1, Hamburg 1990 wiedergegeben.]

Die Lehren und Probleme in der Strategie und Taktik der chinesischen Revolution stellen augenblicklich die größte Lehre für das internationale Proletariat dar. Die 1917 gewonnene Erfahrung ist von den Epigonen, die durch die Niederlagen der Arbeiterklasse in der ganzen Welt an die Macht kamen, verändert, entstellt und bis zur Unkenntlichkeit gefälscht worden. Von nun an muss man die Revolution von 1917 unter Bergen von Schmutz hervorziehen, unter denen sie begraben worden ist. Die Revolution hat die Politik des Bolschewismus verifiziert, indem sie zur Methode des Absurden griff. Die Strategie der kommunistischen Internationale in China war ein riesenhaftes Spiel von „Verlierer gewinnen". Die junge Generation von Revolutionären muss das Alphabet des Bolschewismus gelehrt bekommen, indem sie die chinesische Antithese als Gegensatz zu der im Oktober gewonnenen Erfahrung benutzt. China selbst hat weltweite Wichtigkeit. Was aber diesem Land geschieht, entscheidet nicht nur sein eigenes Schicksal, sondern das Schicksal der Kommunistischen Internationale im wahren Sinn des Wortes. Der VI. Kongress hat nicht nur unterlassen, die richtige Bilanz zu ziehen oder Klarheit zu schaffen, sondern er hat die begangenen Irrtümer heiliggesprochen und durch eine neue Verwirrung ergänzt, die für die chinesische Kommunistische Partei auf viele Jahre eine hoffnungslose Situation schaffen kann. Die bürokratischen Blitzstrahlen der Exkommunikation werden uns sicherlich nicht zum Schweigen bringen können, wenn das Schicksal der internationalen Revolution auf dem Spiel steht. Gerade diejenigen, die uns exkommunizieren, sind direkt für die erlittenen Niederlagen verantwortlich; deshalb scheuen sie das Licht.

In den letzten fünf Jahren hat keine Partei so grausam unter der opportunistischen Führung der Kommunistischen Internationale gelitten wie die chinesische KP. Wir hatten in China ein vollkommenes Beispiel (und gerade deshalb führte es zur Katastrophe) für die Anwendung menschewistischer Politik in einer revolutionären Epoche. Noch mehr, der Menschewismus hatte ein Monopol zu seiner Verfügung, da er gegen die bolschewistische Kritik durch die Autorität der Kommunistischen Internationale und durch den materiellen Apparat der Sowjetmacht geschützt war. Dieses Zusammentreffen von Umständen war einzigartig. Infolgedessen wurde eine der größten Revolutionen, gemessen an ihren Möglichkeiten, völlig durch die chinesische Bourgeoisie konfisziert; die diente dazu, diese zu stärken, worauf die Bourgeoisie, nach allem, was wir wissen, nicht rechnen konnte. Die Fehler des Opportunismus sind noch nicht repariert worden. Der ganze Kurs der Kongress-Diskussion, die Berichte von Bucharin und Kuusinen, die Reden der chinesischen Kommunisten – all das weist darauf hin, dass die Linie, der die Führung in der chinesischen Politik folgte, nicht nur falsch war, sondern auch bis heute falsch bleibt. Indem sie vom offenen Opportunismus in der Form der Kollaboration (1924-27) abging, machte sie Ende 1927 ein abruptes Zickzack durch, indem sie zu Abenteuern Zuflucht nahm. Nach dem Aufstand von Kanton lehnte sie den Putschismus ab und ging in die dritte Phase über, die sterilste, indem sie versuchte, die alten opportunistischen Voraussetzungen mit einem rein formalen, unwirksamen Radikalismus zu vereinen, der zu einer gewissen Zeit den Namen eines „Ultimatismus" in Russland trug, des Otsowismus, was die schlimmste Variante des Ultralinkstums ist.

Kein chinesischer Kommunist kann mehr einen einzigen Schritt vorwärts tun, ohne zuerst die opportunistische Führung richtig eingeschätzt zu haben, die in drei Stadien zu Zerstörung führte (Schanghai, Wuhan, Kanton), und ohne den ungeheuer großen Bruch verstanden zu haben, der durch diese Niederlagen in der sozialen, politischen, der internen und internationalen Stellung Chinas hervorgerufen wurde.

Die Diskussion auf dem Kongress zeigte, welche groben und verderblichen Illusionen sich immer noch in den Auffassungen der chinesischen kommunistischen Führer halten. Einer der chinesischen Delegierten bezog sich bei der Verteidigung des Kanton-Aufstandes triumphierend darauf, dass nach der in dieser Stadt erlittenen Niederlage die Mitgliederzahl der Partei nicht ab-, sondern zunahm. Selbst hier, Tausende von Meilen vom Schauplatz der revolutionären Ereignisse entfernt, scheint es unglaublich, dass dermaßen ungeheuerliche Informationen einem Weltkongress vorgelegt werden konnten, ohne sofort auf empörte Ablehnung zu stoßen. Aus den Bemerkungen des Redners ergab sich, dass die KPCh zehntausende neuer Mitglieder unter den Bauern gewonnen hat (für wie lange?), sie andererseits die Mehrzahl der Arbeiter verlor. Diesen drohenden Prozess, der unzweifelhaft eine gewisse Niedergangphase der Partei charakterisiert, beschreiben die chinesischen Kommunisten auf dem Kongress als ein Zeichen von Wachstum und Fortschritt. Während die Revolution in den Städten und in den wichtigsten Zentren der Arbeiter- und Bauernbewegung geschlagen wird, wird es immer, besonders in einem so riesigen Land wie China, neue Gebiete geben, die gerade deshalb neu sind, weil sie rückständig sind und die bisher unausgeschöpfte revolutionäre Kräfte enthalten. An der entfernten Peripherie werden die Anfänge der revolutionären Welle noch lange Zeit anschwellen. Ohne direkte Angaben über die Situation in den chinesischen Moslemgebieten des Südwestens zu haben, ist es schwierig, exakt von der Möglichkeit eines revolutionären Ferments zu sprechen, das dort in der Folgezeit produziert werden wird. Aber die ganze Vergangenheit Chinas lässt das möglich erscheinen. Es ist vollkommen klar, dass diese Bewegung nur ein verspätetes Echo der Schlachten von Schanghai, Hankou und Kanton wäre. Nach der entscheidenden Niederlage, die die Revolution in den Städten erlitten hat, kann die Partei für eine gewisse Zeit immer noch Zehntausende neuer Mitglieder aus der erwachenden Bauernschaft gewinnen. Diese Tatsache ist als Ankündigung der großen Möglichkeiten in der Zukunft wichtig. Aber in der von uns betrachteten Periode ist es nur eine Form der Auflösung und Liquidierung der KPCh, denn, indem sie ihren proletarischen Kern verliert, hört sie auf, mit ihrer historischen Bestimmung in Einklang zu sein.

Eine Epoche des revolutionären Niedergangs ist schon ihrem Wesen nach voll Gefahren für eine revolutionäre Partei. 1852 sagte Engels, dass eine derartige Partei, die sich eine revolutionäre Situation entgehen ließ oder eine entscheidende Niederlage in ihr erlitten hat, unvermeidlich für eine bestimmte Geschichtsperiode von der Bühne verschwindet. Die konterrevolutionäre Epoche schlägt eine revolutionäre Partei um so grausamer, wenn die Niederwerfung der Revolution nicht durch ein ungünstiges Kräfteverhältnis, sondern durch die offenen und indiskutablen Fehler der Führung verursacht wird, wie das ja gerade in China der Fall war. Man füge zu all dem die kurze Existenz der chinesischen Partei hinzu, das Fehlen fest gefügter Kader und solider Traditionen, man füge schließlich die Veränderungen hinzu, die so leichtfertig in der Führung vorgenommen wurden, die – hier wie überall – zum verantwortlichen Verwalter gemacht wurde, der die Fehler der Kommunistischen Internationale büßen muss. All dies zusammen schafft wirklich verhängnisvolle Bedingungen für die KP Chinas während der konterrevolutionären Epoche, deren Dauer nicht im Voraus bestimmt werden kann.

Nur indem man klar und mutig die wesentlichen Fragen von heute und gestern stellt, kann man von der KP Chinas das Schicksal abwenden, von dem Engels sprach, mit anderen Worten, die zeitweise Liquidierung vom politischen Gesichtspunkt.

Wir haben die Klassendynamik der chinesischen Revolution in einem Extra-Kapitel untersucht, in dem wir die grundlegenden Thesen des Programmentwurfs der Kommunistischen Internationale der Kritik unterwarfen. Heute sehen wir keine Notwendigkeit, diesem Kapitel irgend etwas hinzuzufügen oder auch nur irgendwelche Modifizierungen einzuführen. Wir kamen dort zu dem Schluss, dass die kommende Entwicklung der chinesischen Revolution nur durch den Kampf des chinesischen Proletariats stattfinden kann, das Hunderte von Millionen armer Bauern zur Eroberung der Macht herbeizieht. Die Lösung der wesentlichen bürgerlichen und demokratischen Probleme in China endet vollständig in der Diktatur des Proletariats. Wenn man ihr die demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauern entgegenstellt, so macht man den reaktionären Versuch, die Revolution durch die Koalition mit der Kuomintang in bereits überwundene Stadien zurück zu zerren. Diese allgemeine politische Diagnose, die die strategische Verhaltensweise für die kommende Periode der chinesischen Revolution – oder richtiger, der dritten chinesischen Revolution der Zukunft – enthält, annulliert in keiner Weise die Frage der taktischen Probleme von heute und morgen.

1. Die permanente Revolution und der Kanton-Aufstand

Im November 1927 entschied das Plenum des Zentralkomitees der chinesischen Partei:

Die objektiven Umstände, die augenblicklich in China herrschen, sind so, dass die Dauer einer direkt revolutionären Situation nicht in Wochen oder Monaten, sondern in langen Jahren gemessen werden muss. Die chinesische Revolution hat einen dauerhaften Charakter, aber andererseits keine Pausen. In ihrem Wesen stellt sie das dar, was Marx eine permanente Revolution nannte."

Ist das richtig? Richtig verstanden ist es richtig, aber es muss nach Marx und nicht nach Lominadse verstanden werden. Bucharin, der Lominadse entlarvte, gerade weil er diese Formulierung gebrauchte, war Marx nicht näher als deren Autor. In der kapitalistischen Gesellschaft neigt jede wirkliche Revolution, vor allem wenn sie in einem großen Land stattfindet, und ganz besonders jetzt in der imperialistischen Epoche, dazu, sich in eine permanente Revolution zu verwandeln, mit anderen Worten, sie neigt dazu, in keinem der erreichten Stadien anzuhalten,sich bis zur völligen Transformation der Gesellschaft, bis zur endgültigen Beseitigung der Klassenunterschiede nicht zufrieden zu geben: folglich solange, bis jede Möglichkeit neuer Revolutionen vollständig und endgültig ausgeschlossen ist. Gerade darin besteht die marxistische Auffassung der proletarischen Revolution, die hierdurch von der bürgerlichen Revolution unterschieden wird, die sowohl durch ihren nationalen Umfang als auch durch ihre spezifischen Ziele begrenzt ist. Die chinesische Revolution hat die Tendenz, permanent zu werden, insofern, als sie die Möglichkeit hat, die Macht durch das Proletariat zu erobern. Wenn man ohne dies und abgesehen davon von einer permanenten Revolution spricht, so versucht man, das Fass der Danaiden zu füllen. Nur das Proletariat erwirbt die Möglichkeit, der Revolution einen dauerhaften Charakter zu sichern, nachdem es die Staatsmacht ergriffen, und sie in ein Kampfmittel gegen alle Formen der Bedrückung und Ausbeutung im In- und Ausland verwandelt hat: Mit anderen Worten, nur das Proletariat kann die Revolution zum Aufbau einer vollständig sozialistischen Gesellschaft führen. Eine notwendige Bedingung hierfür ist es, beständig eine Politik durchzuführen, die das Proletariat rechtzeitig auf die Eroberung der Macht vorbereitet. Lominadse hat nun aus der Möglichkeit einer permanenten Entwicklung der Revolution (vorausgesetzt, dass die kommunistische Politik richtig ist) eine scholastische Formel gemacht, die mit einem Schlag und für alle Zeiten eine revolutionäre Situation „für viele Jahre" garantiert. Der permanente Charakter der Revolution wird auf diese Weise zu einem Gesetz, das sich über die Geschichte stellt und von der Politik der Führung und der materiellen Entwicklung der revolutionären Ereignisse unabhängig ist. Wie immer in derartigen Fällen beschlossen Lominadse und Co, ihre metaphysische Formel in Bezug auf den permanenten Charakter erst dann anzukündigen, als die politische Führung von Stalin, Bucharin, Tschen Duxiu und Tang Pingshan die revolutionäre Situation gründlich sabotiert hatte.

Nachdem das Plenum des Zentralkomitees der chinesischen KP die Kontinuität der Revolution für, viele Jahre gesichert hatte, deduzierte es aus dieser Formel, von jeden weiteren Zweifeln befreit, die für einen Aufstand günstigen Voraussetzungen.

„… Nicht nur ist die Stärke der revolutionären Bewegung der werktätigen Massen Chinas noch nicht erschöpft, sondern gerade jetzt beginnt sie sich in einem neuen Fortschritt des revolutionären Kampfes zu zeigen. All das zwingt das Plenum des Zentralkomitees der chinesischen KP, anzuerkennen, dass heute, Nov. 1927, eine direkt revolutionäre Situation in ganz China existiert."

Der Kanton-Aufstand wurde aus einer ähnlichen Bewertung der Situation mit vollkommener Unausweichlichkeit hergeleitet. Hätte die revolutionäre Situation wirklich existiert, so wäre die Niederlage von Kanton allein eine isolierte Episode gewesen und hätte auf keinen Fall die Erhebung in dieser Stadt in ein Abenteuer verwandelt. Sogar angesichts ungünstiger Voraussetzungen für den Kanton-Aufstand selbst oder seiner Umgebung, war es die Pflicht der Führung, alles Nötige zu tun, um den Aufstand möglichst schnell zu verwirklichen, um auf diese Weise die Kräfte des Feindes zu zerstreuen und zu schwächen und den Triumph des Aufstandes in anderen Teilen des Landes zu erleichtern.

Jedoch nicht nach „vielen Jahren", sondern schon nach ein paar Monaten musste zugegeben werden, dass die politische Situation sich rapide verschlechtert hatte, und das vor dem Kanton-Aufstand. Die Kampagnen von He Long und Ye Ting entwickelten sich bereits in einer Atmosphäre des revolutionären Niedergangs, die Arbeiter trennten sich von der Revolution, die Zentrifugalkräfte gewannen an Stärke. Das widerspricht keineswegs der Existenz von Bauernbewegungen in verschiedenen Provinzen. So ist es immer.

Die chinesischen Kommunisten sollen sich jetzt fragen: Hätten sie es gewagt, den Kanton-Aufstand für Dezember festzusetzen, wenn sie begriffen hätten, dass zu dieser Zeit die wesentlichen Kräfte der Revolution erschöpft waren und dass der große Niedergang angefangen hatte? Wenn sie rechtzeitig diesen radikalen Bruch in der Situation begriffen hätten, hätten sie sicherlich auf keinen Fall den Aufruf für einen bewaffneten Aufstand in Kanton auf die Tagesordnung gesetzt. Man kann die Politik der Führung bei der Festsetzung und Ausführung dieses Aufstandes nur damit erklären, dass sie die Bedeutung und Folgen der Niederlagen von Schanghai .und Hubei nicht verstand. Man kann das nicht anders interpretieren. Aber der Mangel an Einsicht kann die Führung der Kommunistischen Internationale um so weniger entschuldigen, als die Opposition rechtzeitig vor der neuen Lage und den neuen Gefahren gewarnt hatte. Dafür wurde sie von Idioten und Verleumdern beschuldigt, Liquidatorengeist zu besitzen.

Die Resolution des VI. Kongresses bestätigt, dass ein ungeeigneter Widerstand gegen „putschistische Stimmungen" die fruchtlosen Aufstände von Hunan, von Hubei usw. bewirkte. Was soll man unter „putschistischen Stimmungen" verstehen? Die chinesischen Kommunisten meinten, in Übereinstimmung mit den Richtlinien von Stalin und Bucharin, dass die Situation in China direkt revolutionär sei und dass die Teil-Aufstände jede Chance hätten, erfolgreich bis zur allgemeinen Erhebung ausgedehnt zu werden. So ergaben sich diese Überraschungsangriffe aus einer falschen Einschätzung der Umstände, in denen China sich in der zweiten Hälfte 1927 infolge der erlittenen Niederlagen befand.

In Moskau konnten sie über die „direkt revolutionäre Situation" faseln, die Oppositionellen beschuldigen.Liquidatoren zu sein, während sie sich selbst im Voraus gegen die Zukunft absicherten (besonders nach Kanton), indem sie gegen den „Putschismus" Einwände erhoben. Am Schauplatz selbst aber, in China, war jeder ehrliche Revolutionär verpflichtet, alles was in seinen Kräften stand zu Beschleunigung des Aufstandes zu tun, da die Kommunistische Internationale erklärt hatte, dass die allgemeine Situation für einen Aufstand in nationalem Maßstab günstig sei. In dieser Frage enthüllt das Regime der Doppelzüngigkeit seinen absichtlich kriminellen Charakter.

Zur gleichen Zeit sagt die Resolution des Kongresses:

Der Kongress hält er für völlig unzutreffend, wenn man versucht, den Kanton-Aufstand als einen Putsch zu betrachten. Es war eine heroische Nachhut-(?)-Schlacht des chinesischen Proletariats, die während der kürzlich vergangenen Periode der chinesischen Revolution ausgefochten wurde; trotz der groben Fehler, die die Führung beging, wird dieser Aufstand das Richtmaß der neuen Sowjetphase der Revolution sein.“

Hier erreicht die Verwirrung ihren Höhepunkt. Der Heroismus des kantonesischen Proletariats wird angeführt als Deckmantel für die falsche Führung nicht von Kanton, (die von der Resolution völlig verworfen wird), sondern die von Moskau, die noch gestern nicht von einer „Nachhut-Schlacht", sondern vom Sturz der Regierung der Kuomintang sprach.

Warum wird der Aufruf zum Aufstand nach der Erfahrung von Kanton als Putschismus gebrandmarkt? Weil durch diese Erfahrung bestätigt wurde, dass der Aufstand nicht hätte gemacht werden dürfen. Die Führung der Kommunistischen Internationale benötigte ein neues Exempel als Lehre, um das zu verstehen, was auch ohnehin schon völlig klar war. Aber sind diese Nachhilfestunden am lebenden Objekt für rückständige Leute nicht zu kostspielig für das Proletariat?

Lominadse, eines der Wunderkinder revolutionärer Strategie, schwor auf dem XV. Kongress der KP der Sowjetunion, dass der Kanton-Aufstand notwendig, richtig und heilsam sei, eben gerade weil er eine Ära des direkten Kampfes der Arbeiter und Bauern für die Eroberung der Macht einleitete. Er fand Zustimmung. Auf dem VI. Kongress erkannte Lominadse, dass der Aufstand keine Ära des Triumphes einleitete, sondern eine Ära der Niederlagen abschloss Dennoch wird der Aufstand, genau wie früher, als notwendig, richtig und heilsam betrachtet. Nur sein Name ist einfach geändert worden: Aus einem Zusammenstoß zwischen der Avantgarde und den vorhandenen Kräften machten sie eine „Nachhut-Schlacht". Alles übrige bleibt wie zuvor. Wenn man versucht, der Kritik der Opposition zu entgehen, indem man sich hinter dem Heroismus der Arbeiter von Kanton versteckt, hat das genauso viel Gewicht wie, sagen wir, z. B. der Versuch des General Rennenkampf, hinter dem Heroismus der russischen Soldaten Schutz zu suchen, die er mit seiner Strategie in den masurischen Sümpfen ertränkte. Die Proletarier von Kanton sind schuldig, ohne Fehler begangen zu haben, einfach, weil sie zu großes Vertrauen in ihre Führung hatten. Ihre Führung war schuldig, weil sie blindes Vertrauen in die Führung der Kommunistischen Internationale hatte, die politische Blindheit mit Abenteurergeist verband.

Es ist völlig falsch, den Aufstand von Kanton 1927 mit dem von Moskau 1905 zu vergleichen. Während des ganzen Aufstandes von 1905 erhob sich das russische Proletariat von einer Ebene zur nächsten, indem es dem Feind Zugeständnisse abrang, Uneinigkeit in seine Reihen säte und um seine Avantgarde noch größere Volksmassen konzentrierte. Der Oktober-Streik von 1905 war ein ungeheurer Sieg und hatte weltgeschichtliche Bedeutung. Das russische Proletariat hatte seine eigene Partei, die keiner bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Disziplin unterworfen war. Die Selbstachtung, Unnachgiebigkeit und der Angriffsgeist der Partei stiegen von einem Stadium zum nächsten. Das russische Proletariat hatte in Dutzenden von Städten Sowjets gegründet, nicht erst am Vorabend des Aufstandes, sondern im Prozess eines Streikkampfes der Massen. Durch diese Sowjets stellte die Partei den Kontakt zu den breiten Massen her; sie registrierte ihren revolutionären Geist; sie mobilisierte sie. Die zaristische Regierung, die sah, dass jeder Tag eine für die Revolution günstige Verschiebung im Kräfteverhältnis brachte, ging zum Gegenangriff über und hinderte so die revolutionäre Führung daran, Zeit zu gewinnen, die für die weitere Mobilisierung ihrer Kräfte notwendig war. Unter diesen Voraussetzungen hätte die Führung alles aufs Spiel setzen können und sollen, um durch Taten den Geisteszustand des letzten entscheidenden Faktors zu prüfen: der Armee. Das war die Bedeutung der Erhebung vom Dezember 1905.

In China entwickelten sich die Ereignisse direkt entgegengesetzt. Die stalinistische Politik der chinesischen KP bestand in einer Serie von Kapitulationen vor der Bourgeoisie, indem sie die Arbeiter daran gewöhnte, geduldig das Joch der Kuomintang zu ertragen, Im März 1926 kapitulierte die Partei vor Tschiang Kai-schek; sie konsolidierte seine Stellung, während sie ihre eigene schwächte; sie brachte das Banner des Marxismus in Verruf; sie verwandelte sich zu einem Hilfsmittel der bürgerlichen Führung. Die Partei erstickte die Agrarbewegung und die Arbeiter Streiks, indem sie die Richtlinien des Exekutiv-Komitees der, Kommunistischen Internationale über den Block der vier Klassen durchführte. Sie lehnte die Organisation von Sowjets ab, um die Situation im Rücken der chinesischen Generäle nicht zu stören. Auf diese Weise lieferte sie die Arbeiter von Schanghai an Tschiang Kai-schek aus und band ihnen Hände und Füße. Nach der Zerstörung von Schanghai setzte die Partei in Übereinstimmung mit dem Exekutiv-Komitee der Kommunistischen Internationale alle ihre Hoffnungen in die Linke Kuomintang, das sogenannte „Zentrum der Agrarrevolution". Die Kommunisten traten in die Wuhan-Regierung ein, die den Streikkampf und die Bauernerhebungen unterdrückte. So bereiteten sie eine neue und noch grausamere Vernichtung der revolutionären Massen vor. Nach alldem wurde eine Instruktion herausgegeben, die völlig vom Abenteurergeist durchdrungen war und die befahl, sofort auf einen Aufstand hinzuarbeiten. Und hauptsächlich hieraus ging das Abenteuer von He Long und Ye Ting hervor und das noch schmerzlichere vom Kantoner Staatsstreich

Nein, all das gleicht gar nicht der Erhebung vom Dezember 1905. Wenn ein Opportunist die Ereignisse von Kanton ein Abenteuer nennt, so deshalb, weil es ein Aufstand war. Wenn ein Bolschewik dieselbe Bezeichnung für diese Tatsachen gebraucht, so deshalb, weil es ein unzeitgemäßer Aufstand war. Nicht umsonst sagt ein deutsches Sprichwort, dass, wenn zwei Menschen dasselbe sagen, es nicht dasselbe bedeutet. Die Funktionäre à la Thälmann können fortfahren, wenn von dem chinesischen Aufstand die Rede ist, den deutschen Kommunisten immer wieder von der „Abtrünnigkeit" der Opposition zu erzählen. Wir werden es verstehen, den deutschen Kommunisten beizubringen, den Thälmanns den Rücken zu kehren. Tatsächlich ist die Frage der Bewertung des Kanton-Aufstandes gleichzeitig die Frage nach den Lehren, die aus dem III. Kongress gezogen werden, mit anderen Worten, die Frage nach der Lehre, bei der das Leben des deutschen Proletariats auf dem Spiel stand.

Im März 1921 wollte sich die KP Deutschlands auf einen Aufstand einlassen, indem sie sich auf eine aktive Minderheit des Proletariats stützte angesichts der passiven Einstellung der Mehrheit, die infolge aller vorausgegangenen Niederlagen müde, misstrauisch und abwartend war. Diejenigen, die diesen Versuch leiteten, wollten damals auch hinter dem Heroismus Schutz zu suchen, den die Arbeiter in den Märzschlachten bewiesen hatten. Der III. Kongress gratulierte ihnen aber nicht zu diesem Versuch, als er den Abenteurergeist der Führung verurteilte. Was war unser Urteil in jenen Tagen der Märzereignisse? „Ihr Wesen", schrieben wir, „kann man in der Tatsache zusammenfassen, dass die junge KP durch den offensichtlichen Niedergang in der Arbeiterbewegung alarmiert, einen verzweifelten Versuch machte, durch die Intervention eines der aktivsten Teile des Proletariats zu profitieren, um die Arbeiterklasse zu „elektrisieren" und, wenn möglich, eine Entscheidungsschlacht zu bewirken" (L. Trotzki, Fünf Jahre der Kommunistischen Internationale) Thälmann hat nichts hiervon verstanden.

Ab Juli 1923 forderten wir, zum großen Erstaunen Klara Zetkins. Warskis und anderer alter, sehr ehrwürdiger, aber unkorrigierbarer Sozialdemokraten, dass ein Zeitpunkt für den Aufstand in Deutschland festgelegt werden solle. Dann, als Klara Zetkin Anfang 1924 erklärte, dass sie nun der Möglichkeit eines Aufstandes mit weit mehr „Optimismus" entgegensehe als während des vergangenen Jahrs, konnten wir nur mit den Schultern zucken.

Es ist eine elementare Wahrheit des Marxismus, dass die Taktik des sozialistischen Proletariats in einer revolutionären Situation nicht die selbe sein kann wie bei deren Fehlen" (Lenin, Bd. XV S 499)

Heutzutage gibt jedermann dies ABC verbal zu, aber wie weit sind sie noch von seiner Anwendung in der Realität entfernt!

Es handelt sich nicht darum zu wissen, was der Kommunismus tun muss, wenn die Massen aus eigenem Antrieb rebellieren. Das ist eine besondere Frage. Wenn sich die Massen erheben, muss der Kommunist bei ihnen sein, sie organisieren und instruieren. Aber die Frage stellt sich anders: Was tat die Führung und was hätte sie tun sollen während der Wochen und Monate, die dem Kanton-Aufstand unmittelbar vorangingen? Die Führung war verpflichtet, den revolutionären Arbeitern zu erklären, dass infolge der Niederlagen, die durch eine falsche Politik bewirkt wurden, das Kräfteverhältnis vollständig zugunsten der Bourgeoisie umgesprungen war. Die breiten Massen der Arbeiter, die ungeheure Schlachten ausgefochten hatten, verließen auseinandergesprengt das Schlachtfeld. Es ist absurd anzunehmen, dass man auf einen Bauernaufstand zu marschieren kann, wenn die proletarischen Massen im Weichen begriffen sind. Sie müssen wieder zusammengefasst werden, Verteidigungsschlachten kämpfen, und eine Hauptschlacht vermeiden, die offensichtlich keinerlei Hoffnung bietet. Wenn die Massen von Kanton trotz all dieser Erziehungs- und Klärungsarbeit und gegen sie rebelliert hätten (was sehr unwahrscheinlich ist), dann hätten die Kommunisten sich an ihre Spitze stellen müssen. Aber es geschah gerade das Gegenteil. Der Aufstand. war im Voraus befohlen worden, absichtlich und mit Vorbedacht, aufgrund einer falschen Bewertung der ganzen Atmosphäre. Eine der Abteilungen des Proletariats wurde in einen Kampf gezogen, der offensichtlich keine Hoffnung bot und der dem Feind die Vernichtung der Avantgarde der Arbeiterklasse erleichterte. Wenn man dies nicht offen zugibt, betrügt man die chinesischen Arbeiter und bereitet neue Niederlagen vor. Der VI. Kongress tat es nicht.

Bedeutet dies alles, dass der Aufstand von Kanton nur ein Abenteuer war, was nur eine Schlussfolgerung zulässt, nämlich dass die Führung völlig unfähig war? Nein, das ist nicht der Sinn unserer Kritik. Der Aufstand von Kanton zeigte, dass sogar nach enormen Niederlagen, bei einem offensichtlichen Niedergang der Revolution, selbst im nicht- industrialisierten Kanton mit seinen kleinbürgerlichen Traditionen des Sun-Yat-Senismus, das Proletariat fähig war, sich im Aufstand zu erheben, tapfer zu kämpfen und die Macht zu erobern. Wir haben hier eine Tatsache von ungeheurer Bedeutung. Sie beweist von Neuem, wie beträchtlich die Wucht des Proletariats ist, wie groß die politische Rolle, die es gegebenenfalls spielen kann, selbst wenn die Arbeiterklasse zahlenmäßig relativ schwach ist, in einem rückständigen Land, wo die Mehrzahl der Bevölkerung aus Bauern und zerstreuten Kleinbürgern besteht. Diese Tatsache zerstört noch einmal, nach 1905 und 1917, die Philister à la Kuusinen, Martynow und Konsorten, die uns lehren, dass man im „agrarischen" China nicht davon träumen kann, von einer Diktatur des Proletariats zu sprechen. Und doch sind die Martynows und Kuusinens augenblicklich die täglichen Inspiratoren der Kommunistischen Internationale.

Der Aufstand von Kanton bewies gleichzeitig, dass das Proletariat im entscheidenden Augenblick unfähig war, selbst in der kleinbürgerlichen Hauptstadt des Sun-Yat-Senismus einen einzigen politischen Verbündeten zu finden, der eine bestimmte Kontur gehabt hätte, nicht einmal unter den Trümmern der Kuomintang, der Linken oder der Ultralinken. Das heißt, dass die lebenswichtige Aufgabe, ein Bündnis zwischen Arbeitern und armen Bauern in China zu errichten, ausschließlich und direkt der KP zufällt. Die Erfüllung dieser Aufgabe ist eine der Voraussetzungen für den Triumph der kommenden dritten chinesischen Revolution! Und ihr Sieg wird der Avantgarde des Proletariats, das von den vereinigten Arbeitern und armen Bauern unterstützt wird, die Macht zurückgeben.

Wenn schon von Abtrünnigkeit gesprochen werden muss, so sind die Verräter an den Helden und Opfern des Aufstandes von Kanton diejenigen, die versuchen, sich der Lehren dieses Aufstandes zu entledigen, um die Verbrechen der Führung zu verbergen. Die Lehre, die man ziehen muss, ist folgende:

1. Der Aufstand in Kanton zeigte, dass nur die proletarische Avantgarde in China fähig ist, die Erhebung und Machtergreifung durchzuführen. Der Aufstand zeigte, nach der Erfahrung der Kollaboration zwischen KP und Kuomintang, einen gänzlichen Mangel an Vitalität und den reaktionären Charakter der Losung von der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft. Diese Losung ist der von der Diktatur des Proletariats, das die armen Bauern hinter sich herzieht, entgegengesetzt.

2. Der Aufstand von Kanton, der gegen die Entwicklungsrichtung der Revolution geplant und ausgeführt wurde, beschleunigt und vertieft ihren Niedergang, indem er die Vernichtung der proletarischen Kräfte durch die bürgerliche Konterrevolution erleichtert. Das macht die zwischenrevolutionäre Periode schmerzlich, chronisch und langwierig. Das größte Problem ist jetzt die Wiedergeburt der KP als einer Organisation der Avantgarde des Proletariats.

Diese beiden Schlussfolgerungen sind gleich wichtig. Nur wenn man sie simultan betrachtet,kann man die Lage einschätzen, und die Aussichten festlegen. Der VI. Kongress tat keins von beiden. Indem er als Ausgangspunkt die Resolutionen des IX. Plenums des Exekutivkomitees der KI (Februar 1928) nahm, das uns versicherte, dass die chinesische Revolution „weitergeht", stolperte der Kongress in seiner Flucht so sehr, dass er erklärte, dass diese Revolution nun in eine vorbereitende Phase eingetreten sei. Aber diese Flucht wird nichts nützen. Wir müssen klar und ernsthaft sprechen, fest, offen und brutal den Bruch erkennen, der stattgefunden hat, die Taktik dieser Lage anpassen und gleichzeitig eine Verhaltensweise annehmen, die die Avantgarde des Proletariats durch den Aufstand zu ihrer beherrschenden Rolle im Sowjet-China der Zukunft führt.

2. Die zwischenrevolutionäre Periode und die Aufgaben, die sich in ihrem Lauf stellen

Die bolschewistische Politik wird nicht nur durch ihr revolutionäres Ziel, sondern auch durch ihren politischen Realismus charakterisiert. Diese beiden Aspekte des Bolschewismus sind untrennbar. Die größte Aufgabe ist, zu wissen, wie man eine revolutionäre Situation rechtzeitig erkennen und bis zu Ende nutzen kann. Aber nicht weniger wichtig ist es, zu verstehen, wann die Situation erschöpft ist und sich, vom politischen Gesichtspunkt aus, in ihr Gegenteil verwandelt. Nichts ist fruchtloser und wertloser als nach der Schlacht die Faust zu zeigen. Aber gerade darin liegt Bucharins Spezialität. Zuerst bewies er, dass die Kuomintang und Sowjets dasselbe sind, und dass die Kommunisten die Macht durch die Kuomintang erobern können und damit einen Kampf vermeiden. Und als eben diese Kuomintang mit der Hilfe von Bucharin die Arbeiter niederschlug, fängt er an, mit der Faust zu drohen. Sofern er nichts tat, als Lenin verbessern oder „vervollständigen", überstieg sein karikiertes Aussehen nicht gewisse bescheidene Grenzen. Insofern als er sich selbst die Führungsrolle anmaßt, – indem er von der vollkommenen Unwissenheit Stalins, Rykows und Molotows in internationalen Fragen profitiert, – schwillt der kleine Bucharin an, bis er zu einer gigantischen Karikatur des Bolschewismus wird. Seine Strategie beschränkt sich darauf, in der Epoche des Niedergangs das umzubringen und zu verstümmeln, was der besudelten und abortiven revolutionären Periode lebend entkommen Ist.

Man muss ganz klar begreifen, dass gegenwärtig in China keine revolutionäre Situation herrscht. Es gibt eher eine konterrevolutionäre Situation, die stattdessen eingetreten ist, und die zu einer zwischenrevolutionären Periode unbestimmter Dauer wird. Wendet Euch mit Verachtung von denen ab, die Euch erzählen wollen, Pessimismus sei Mangel an Vertrauen. Wenn man seine Augen vor Tatsachen verschließt, ist das der schändlichste Mangel an Vertrauen.

In China bleibt insoweit eine revolutionäre Situation in all ihrer Tiefe bestehen, als alle internationalen und nationalen Widersprüche des Landes ihre Lösung nur durch die Revolution finden können. Aber so gesehen gibt es kein einziges Land auf der Welt, in dem keine revolutionäre Situation herrscht, die sich unvermeidlich offen zeigen muss, mit Ausnahme der UdSSR, wo (trotz eines fünf Jahre dauernden opportunistischen Zurückgleitens ) die Sowjetform der proletarischen Diktatur immer noch die Möglichkeit einer Wiedergeburt der Oktoberrevolution durch reformistische Methoden bietet.

In gewissen Ländern ist die Verwandlung der potentiellen Revolution in eine aktive Revolution wahrscheinlicher; in anderen ist sie unwahrscheinlicher. Es ist umso schwieriger im Voraus zu erraten, wie schnell diese Veränderung vor sich gehen wird, da sie nicht nur durch die Schärfe der internationalen Widersprüche, sondern auch durch das Dazwischentreten von Weltfaktoren bestimmt wird. Man kann vernünftigerweise annehmen, dass die Revolution in Europa früher als in Nordamerika stattfinden wird. Aber die Anzeichen, die dafür sprechen, dass die Revolution zuerst in Asien ausbrechen wird, und danach in Europa, sind schon begründeter. Das ist möglich und sogar wahrscheinlich, aber es ist keineswegs unvermeidlich. Neue Schwierigkeiten und Komplikationen, wie die Besetzung der Ruhr 1923 oder auch die Verschärfung der kommerziellen und industriellen Krise unter dem Druck der USA, können in naher Zukunft die europäischen Staaten vor eine direkt revolutionäre Situation stellen, wie es in Deutschland 1923, in England 1926 und in Österreich 1927 der Fall war.

Die Tatsache, dass China noch gestern eine bewegte revolutionäre Phase durchlebte, bringt die Revolution für heute und morgen nicht näher, sondern im Gegenteil, es entfernt sie weiter. Im Lauf der Periode, die der Revolution 1905 folgte, bewirkte diese große revolutionäre Unruhen und Staatsstreiche in allen Ländern des Ostens (Persien, Türkei, China). Aber in Russland selbst lebte die Revolution erst zwölf Jahre später wieder auf, im Zusammenhang mit dem imperialistischen Krieg. Natürlich sind diese Intervalle für China nicht obligatorisch. Die allgemeine Entwicklungsgeschwindigkeit der weltweiten Widersprüche ist jetzt beschleunigt worden. Das ist alles, was man sagen kann. Aber man muss bedenken und sich daran erinnern, dass in China selbst die Revolution gegenwärtig in die unbestimmte Zukunft verschoben ist. Und mehr: Die Konsequenzen von der Niederlage der Revolution sind noch nicht völlig ausgeschöpft. Bei uns dauerte die Welle des Niedergangs und Falls über die Jahre 1907/8,1909 und teilweise 1910, als vor allem dank dem Wiederaufleben der Industrie die Arbeiterklasse wieder aufzuleben begann. Einem nicht weniger abrupten Niedergang sieht sich die chinesische KP gegenüber. Sie muss es verstehen, sich überall festzuklammern und zäh an jedem Punkt, der Halt gewährt, festzuhalten, um nicht zu fallen und zerschmettert zu werden.

Das chinesische Proletariat muss, angefangen bei seiner Avantgarde, die ungeheuren Niederlagen in sich aufnehmen und, indem es mit neuen Methoden vorgeht, die neue Umgebung anerkennen; es muss seine zerschlagenen Reihen wieder aufrichten; es muss seine Massenorganisationen erneuern; es muss eine klarere und eindeutigere Haltung als früher zu den Problemen des Landes einnehmen: Die nationale Einheit und Befreiung, die revolutionäre Agrartransformation.

Andererseits muss die chinesische Bourgeoisie das durch ihre Siege akkumulierte Kapital vergeuden. Die Widersprüche, die in ihr existieren, wie auch zwischen ihr und der Außenwelt, müssen von neuem bloßgelegt und vertieft werden. Eine neue Kräftegruppierung muss in der Bauernschaft ihre Nachwirkungen haben und ihre Aktivität neu beleben. Und gerade all dies wird anzeigen, dass eine Wiedergeburt der revolutionären Situation auf einer höheren historischen Basis besteht.

Diejenigen", sagte Lenin am 23. Februar 1918, „die die langen Jahre des revolutionären Kampfes durchlebt haben, sowohl während des revolutionären Aufstiegs als auch während des Niedergangs, als die Aufrufe an die Massen nicht auf Antwort stießen, wissen, dass die Revolution sich dennoch immer wieder von neuem erhebt". (Lenin, Bd. XX, Teil 2, S. 217)

Das Tempo, dem die chinesische Revolution folgen wird, wenn sie „sich von neuem erhebt", wird nicht nur von den objektiven Bedingungen, sondern auch von der Politik der Kommunistischen Internationale abhängen.

Die Resolution des Kongresses wirbelt diese wesentlichen Fragen diplomatisch umher, verteilt Vorbehalte nach rechts und links, die ihr erlauben werden, sich zu retten, d. h. sie schafft wie Rechtsanwälte im Voraus Motive, die es gestatten werden, den Fall niederzuschlagen oder Berufung einzulegen. Es ist wahr, dass diese Resolution erkennt, dass die Losung eines Massenaufstandes zur Propagandalosung wird und nur in dem Maß, in dem ein neuer Aufschwung der Revolution reift, wieder unmittelbar in der Praxis anwendbar wird. Wir wollen nebenbei bemerken, dass bis Februar diese Jahres eine derartige Haltung Trotzkismus genannt wurde. Zweifellos muss man zugeben, dass dieser Begriff die Fähigkeit bedeutet, Tatsachen und ihre Folgen schneller in Betracht zu ziehen, als das von der Führung der Kommunistischen Internationale getan wird.

Aber die Resolution des Kongresses geht nicht über diese Transformation des bewaffneten Aufstandes in eine Propagandalosung hinaus. Der Bericht sagt nichts mehr zu diesem Punkt. Was soll man in der nächsten Periode erwarten? Worauf muss man sich vorbereiten? Welche Linie muss in der kommenden Arbeit verfolgt werden? Es wird keine Perspektive geben. Um zu verstehen, wie viel in dieser Frage noch einmal ganz von Anfang gelernt werden muss, wollen wir nochmals einen Blick auf gestern werfen, auf dieselbe Resolution, des chinesischen Zentralkomitees, die der schlagendste Ausdruck für „revolutionären" Leichtsinn ist, der durch Opportunismus verdoppelt wird.*

Das Plenum des Zentralkomitees der chinesischen KP, das von Wunderkindern des Linkszentralismus geleitet wird, beschloss im November 1927, am Vorabend des Aufstandes in Kanton:

Bei der Bewertung der allgemeinen politischen Lage, die in China nach dem konterrevolutionären Staatsstreich von Hunan entstand, formulierte das Zentralkomitee der chinesischen KP bereits in seiner August-These die Versicherung, dass die Stabilisierung der bürgerlich-militärischen Reaktion in China aufgrund der gegenwärtigen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lage völlig ausgeschlossen sei."

In dieser bemerkenswerten These, die sich mit der Stabilisierung beschäftigt, wurde dieselbe Operation durchgeführt, wie bei der revolutionären Situation. Diese beiden Auffassungen wurden in gewisse Substanzen verwandelt, die einander unheilbar widersprechen. Wenn die revolutionäre Situation unabhängig von den Umständen für „viele Jahre" gesichert ist, so ist klar, dass die Stabilisierung „völlig unmöglich" ist, ganz gleich was geschieht. Das eine ergänzt das andere in einem System metaphysischer Prinzipien. Bucharin und sein Freund-Feind Lominadse verstehen in einem derartigen Fall nicht, dass die revolutionäre Situation, so wie auch ihr Gegenteil, die Stabilisierung, nicht nur die Voraussetzungen des Klassenkampfes sind sondern auch seinen lebendigen Inhalt darstellen. Außerhalb dieses Kampfes existiert weder eins noch das andere. Wir schrieben einmal, dass die Stabilisierung ein „Objekt" des Klassenkampfes ist und nicht ein für ihn im Voraus eingerichteter Schauplatz. Das Proletariat will sich entwickeln und die Krisensituation benutzen, die Bourgeoisie will Schluss mit ihr machen und sie durch die Stabilisierung überwinden. Die Stabilisierung ist das „Ziel" beim Kampf dieser grundlegenden Klassenkräfte. Bucharin verspottete anfangs diese Definition; dann führte er sie als Schmuggelware im Text seines gedruckten Berichts ein, der an ein Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale gerichtet war. Aber indem er unsere Formulierung anerkannte, die sich direkt gegen seinen Scholastizismus richtet, begriff Bucharin die Bedeutung unserer Definition absolut nicht. Was die kapriziösen Sprünge betrifft, die Lominadse nach links ausführt, so ist ihr Radius sehr beschränkt, denn das tapfere Wunderkind wagt es nicht, Bucharins Faden zu zerreißen. Natürlich ist die absolute Stabilisierung der absolut revolutionären Situation völlig entgegengesetzt. Die Verwandlung dieser beiden Absoluten ineinander ist „absolut unmöglich". Wenn man aber von diesen lächerlichen theoretischen Gipfeln herabsteigt, stellt sich heraus, dass vor dem endgültigen und vollkommenen Triumph des Sozialismus die relativ revolutionäre Situation mehr und mehr zu einer relativen Stabilisierung werden wird (und vice versa). Bei im Übrigen gleichen Bedingungen ist die Gefahr, dass sich eine revolutionäre Situation in eine bürgerliche Stabilisierung verwandelt umso größer, je unfähiger die proletarische Führung ist, die Situation zu nutzen. Die Führung der Tschiang Kai-schek-Clique war der von Tschen Duxiu und Tang Ping Schan überlegen. Aber nicht diese Führung entschied: Der ausländische Imperialismus leitete Tschiang Kai-schek durch Drohungen, Versprechungen und durch direkte Unterstützung. Die Kommunistische Internationale leitete Tschen Duxiu. Zwei Führungen von Weltdimensionen kreuzten hier die Klingen. Die der Kommunistischen Internationale war in allen Kampfphasen absolut wertlos und erleichterte so die Aufgabe der imperialistischen Führung im höchsten Maße. Unter solchen Umständen ist die Verwandlung einer revolutionären Situation in eine bürgerliche Stabilisierung nicht nur nicht „unmöglich", sondern absolut unvermeidbar. Noch mehr: Sie ist erreicht und in gewissen Grenzen vollendet.

Bucharin hat eine neue Periode „organischer" Stabilisierung für Europa angekündigt. Er versicherte, dass man im Lauf der kommenden Jahre keinerlei Wiederholung der Wiener Ereignisse und überhaupt keine revolutionären Entscheidungen zu erwarten brauche. Warum? Das weiß man nicht. Der Kampf um die Eroberung der Macht wird durch den Kampf gegen den Krieg völlig zur Seite gedrängt. Andererseits wird die Stabilisierung in China geleugnet, genauso wie der Fünfte Kongress sie in Deutschland nach der Niederlage der Revolution von 1923 leugnete. Alles geht vorüber und verändert sich, außer den Fehlern, die die Führung der Kommunistischen Internationale macht.

Die Niederlage der Arbeiter und Bauern in China entspricht unvermeidlich eine politischen Konsolidierung der chinesischen herrschenden Klassen; und das ist gerade der Ausgangspunkt für eine wirtschaftliche Stabilisierung. Die Errichtung einer gewissen Ordnung in der internen Warenzirkulation und den Außenhandelsbeziehungen, die der Befriedung oder Niederwerfung der Bürgerkriegsgebiete folgt, bringt automatisch die Restauration der wirtschaftlichen Aktivität mit sich. Die lebenswichtigen Bedürfnisse des vollständig verwüsteten und erschöpften Landes müssen sich bis zu einem gewissen Grad Platz schaffen. Handel und Industrie müssen wieder in Gang kommen. Die Zahl der eingestellten Arbeiter muss steigen.

Es wäre Blindheit, wollte man seine Augen vor der Existenz gewissen politischer Voraussetzungen für die folgende Entwicklung der Produktivkräfte des Landes verschließen, die natürlich die Formen der kapitalistischen Knechtschaft annehmen. Die politischen Voraussetzungen alleine genügen nicht. Es wird noch ein ökonomischer Anstoß benötigt, ohne den die Desorganisation nur verhältnismäßig langsam überwunden werden könnte. Dieser Schock von außen kann durch Zufluss von ausländischem Kapital geliefert werden. Amerika ist bereits aufgekreuzt und hat Japan und Europa hinter sich gelassen, indem es der Form halber zustimmte, einen „gleichen Vertrag" zu schließen. Die interne Depression macht angesichts der verfügbaren Ressourcen eine gründliche Intervention der USA in China mehr als wahrscheinlich, für die die Kuomintang offensichtlich die Tür weit offen halten wird. Man kann nicht daran zweifeln, dass die europäischen Länder, vor allem Deutschland, die gegen die sich schnell vertiefende Krise kämpfen, versuchen werden, in den chinesischen Markt einzubrechen.

Bei dem ungeheuer großen Gebiet Chinas und der riesigen Bevölkerung muss auch ein schwacher Erfolg beim Straßenbau, auch ein geringes Ansteigen der Transportsicherheit, zusammen mit gewissen Regulierungen des Wechselkurses automatisch ein beträchtliches Ansteigen der Warenzirkulation mit sich bringen, und damit auch eine Belebung der Industrie. Gegenwärtig sind die wichtigsten kapitalistischen Länder (unter ihnen, und keineswegs an letzter Stelle, die USA) die um einen Absatzmarkt für ihre Autos besorgt sind, an der Errichtung aller Sorten von Straßen interessiert.

Um die chinesische Währung zu stabilisieren, und die Straßen abzustecken, ist eine große Anleihe vom Ausland erforderlich. Die Möglichkeit, sie zu gewähren,wird in der angelsächsischen Finanzpresse als ganz real diskutiert und anerkannt. Sie spricht von einem internationalen Bankkonsortium, das die alten Schulden Chinas amortisieren und neue Kredite gewähren soll. Die wohlunterrichtete Presse nennt die künftige Affäre bereits „die wichtigste in der Weltgeschichte".

Man kann nicht vorhersehen, in welchem Ausmaß diese grandiosen Projekte zur Durchführung gelangen werden, ohne besser mit allen Dokumenten vertraut zu sein, die sich teilweise auf die Operationen beziehen, die hinter der Szene vor sich gehen. Aber zweifellos wird der Lauf der Ereignisse in naher Zukunft diese Richtung einschlagen. Gerade jetzt bringt die Presse Dutzende neuer Daten, die darauf hinweisen, dass die äußerst relative Befriedung und die noch relativere Einigung Chinas bereits einen Anstoß in den verschiedensten Gebieten des Wirtschaftslebens gegeben haben. Eine gute Ernte in fast ganz China wirkt in demselben Sinn. Die Diagramme der internen Zirkulation, der Importe und Exporte weisen deutliche Anzeichen für einen Fortschritt auf.

Sicherlich sollte man nicht die Fehler von gestern nur andersherum wiederholen. Man sollte der halbkolonialen, kapitalistischen Stabilisierung nicht wer weiß wie starre, unveränderliche – mit einem Wort: metaphysische – Züge verleihen. Es wird sich um eine sehr lahme Stabilisierung handeln, die allen Winden der Weltpolitik wie auch den noch nicht beseitigten internen Gefahren ausgesetzt ist. Dennoch unterscheidet sich diese relative, bürgerliche Stabilisierung radikal von einer revolutionären Situation. Natürlich sind die wesentlichen materiellen Klassenverhältnisse die gleichen geblieben. Aber ihr politisches Kräfteverhältnis ist für die fragliche Zeit roh verändert worden, Das zeigt sich auch daran, dass die Kommunistische Partei fast völlig zu ihrem Ausgangspunkt zurückgetrieben wurde. Sie wird ihren politischen Einfluss zurückgewinnen müssen, indem sie wieder fast von vorne anfängt. Gewonnen wurde nur Erfahrung. Aber dieser Gewinn wird nur unter der einen Bedingung positiv statt negativ sein, wenn nämlich die Erfahrung verständig verwertet wird. Inzwischen handelt die Bourgeoisie mit größerer Sicherheit, mit größerem Zusammenhalt. Sie ist zur Offensive übergegangen. Sie stellt sich große Aufgaben für die Zukunft. Das Proletariat fällt zurück; es ist weit davon entfernt, den Schlägen Widerstand zu leisten. Die Bauernschaft, die jeder zentralisierten Führung beraubt ist, kocht hier und dort über, ohne irgendwelche wirklichen Chancen auf Erfolg zu haben. Jetzt kommt das Weltkapital der chinesischen Bourgeoisie zu Hilfe, mit der deutlichen Absicht, die werktätigen chinesischen Massen durch die Vermittlung der Bourgeoisie noch mehr zu Boden zu drücken. Das ist der Mechanismus des Stabilisierungsprozesses. Übermorgen, wenn Bucharin mit der Nase auf die Tatsachen gestoßen wird, wird er verkünden, dass die Stabilisierung bisher als „zufällig" hätte betrachtet werden müssen, sich jetzt aber als eindeutig „organisch" herausstellt. Mit anderen Worten, auch hier wird Bucharin eine Erklärung finden, diesmal aber indem er nach rechts schwenkt.

Der Prozess der wirtschaftlichen Erholung wird seinerseits der Mobilisierung von zehn- und hunderttausend chinesischer Arbeiter entsprechen, dem Zusammenschluss ihrer Reihen, der Zunahme ihres spezifischen Gewichts im gesellschaftlichen Leben des Landes und damit dem Ansteigen ihres revolutionären Selbstvertrauens. Man braucht nicht zu erklären, dass die Wiederbelebung des chinesischen Handels und der Industrie bald dem Problem des Imperialismus Nachdruck verleihen werden. Wenn aber die Kommunistische Partei, vom Scholastizismus Bucharins und Lominadses beeinflusst, dem tatsächlich im Land stattfindenden Prozess den Rücken kehren würde, so würde sie einen ökonomischen Stützpunkt für die Wiederherstellung der Arbeiterbewegung verlieren. Anfangs wird sich das zunehmende spezifische Gewicht und das wachsende Klassen-Selbstvertrauen des Proletariats in einer Wiedergeburt des Streikkampfes fühlbar machen, in der Konsolidierung der Gewerkschaften. Man muss nicht darauf hinweisen, dass sich der chinesischen Kommunistischen Partei damit ernsthafte Möglichkeiten auftun. Niemand weiß, wie lange sie im Untergrund bleiben muss. Auf jeden Fall ist es notwendig, die illegalen Organisationen im Lauf der kommenden Zeit zu verstärken und zu vervollkommnen. Aber diese Aufgabe kann nicht abseits vom Leben der Massen erfüllt werden. Der illegale Apparat wird umso größere Entwicklungsmöglichkeiten haben, wenn die legalen und halblegalen Organisationen der Arbeiterklasse ihn eng umgeben; desto tiefer wird er in sie eindringen. Die chinesische Kommunistische Partei darf keine doktrinären Scheuklappen vor Augen haben und muss ihre Hände am Puls des Wirtschaftslebens des Landes halten. Sie muss sich zur rechten Zeit an die Spitze der Streiks stellen, die Wiederherstellung der Gewerkschaften und den Kampf für den Achtstundentag auf sich nehmen. Nur unter diesen Voraussetzungen kann ihre Beteiligung am politischen Leben des Landes eine ernsthafte Grundlage bekommen.

Einer der chinesischen Delegierten sagte auf dem Kongress : „Es kann überhaupt nicht die Rede davon sein, dass die Kuomintang ihre Macht konsolidiert." (Prawda, 28. August 1928) Das ist falsch. Es kann mit großer Bestimmtheit die „Rede" von einer gewissen, sogar einer recht beträchtlichen Konsolidierung der Macht der Kuomintang für eine bestimmte Zeit sein, sogar für eine recht wichtige Zeitspanne.

Die chinesische Bourgeoisie hat mit einer Leichtigkeit, die sie nie erwartete, zwei entscheidende momentane Siege über die Arbeiter und Bauern gewonnen. Das Wiedererwachen ihres Klassenbewusstseins, das darauf folgte, machte sich auf der Wirtschaftskonferenz deutlich bemerkbar, die Ende Juni in Schanghai stattfand, und die sozusagen das ökonomische Vorparlament der chinesischen Bourgeoisie darstellte. Sie zeigte, dass sie die Früchte ihres Triumphes reifen lassen wollte. Dabei unterstützen sie die Imperialisten, mit deren Hilfe sie die Massen überwältigte. Die Bourgeoisie will Zollautonomie, diesen Hemmschuh der wirtschaftlichen Unabhängigkeit, zur möglichst vollständigen Vereinigung Chinas; die Abschaffung der Binnenzölle, die den Markt desorganisieren; die Unterdrückung der Eigenmächtigkeit von Militärbehörden, die die Waren auf den Eisenbahnen beschlagnahmen und über Privateigentum herfallen; schließlich eine Verminderung der Aufrüstung, die bisher eine allzu schwere Last auf der Wirtschaft des Landes ist. Hierzu gehört auch die Schaffung einer einzigen Geldeinheit und die Errichtung einer Verwaltungsordnung. Die Bourgeoisie hat alle diese Forderungen in ihren ökonomischen Vorparlament formuliert. Formal gesehen, hat die Kuomintang davon Notiz genommen, da sie aber gänzlich in die regionalen Militärcliquen aufgeteilt ist, stellt sie gegenwärtig ein Hindernis für die Verwirklichung dieser Maßnahmen dar.

Die ausländischen Imperialisten sind ein noch größeres Hindernis. Die Bourgeoisie denkt – und nicht ohne Grund –, dass sie die Widersprüche zwischen den Imperialisten mit umso größerem Erfolg ausbeuten wird, und dass sie einen umso günstigeren Kompromiss mit ihnen erreichen wird, wenn es ihr gelingt, die Militärcliquen der Kuomintang dem zentralisierten Apparat des bürgerlichen Staates unterzuordnen. In dieser Richtung gehen heute die Bestrebungen der „fortschrittlichen" Elemente der Bourgeoisie und des demokratischen Kleinbürgertums. Von hier stammt auch der Gedanke einer Nationalversammlung, die die gewonnenen Siege krönen soll, ein Mittel zur Bändigung der Militärs, die die autorisierten Staatsrepräsentanten der chinesischen Bourgeoisie zur Abwicklung von Geschäften mit dem ausländischem Kapital sind. Die wirtschaftliche Belebung, die bereits sichtbar ist, macht der Bourgeoisie noch Mut, und verpflichtet sie, alles, was die Regelmäßigkeit der Warenzirkulation behindert und den nationalen Markt desorganisiert, mit besonderer Feindseligkeit zu betrachten. Das erste Stadium der wirtschaftlichen Stabilisierung wird sicherlich die Erfolgschancen des chinesischen Parlamentarismus vergrößern und wird folglich erfordern, dass die chinesische Kommunistische Partei auch in dieser Frage eine zeitgemäße, politische Initiative an den Tag legt.

Für die chinesische Bourgeoisie, die die Arbeiter und Bauern besiegt hat, kann es sich nur um eine erz-zensierte Versammlung handeln. Dies könnte vielleicht einfach erreicht werden,indem man den Handels- und Industriegesellschaften, auf deren Grundlage die Wirtschaftskonferenz von Schanghai einberufen wurde, eine formale Repräsentation zugesteht. Die kleinbürgerliche Demokratie, die unweigerlich unruhig wird, wenn sie sieht, dass die Revolution im Niedergang begriffen ist, wird „demokratischere" Losungen formulieren. Auf diese Weise wird sie versuchen, Kontakt mit den höheren Schichten der Volksmassen von Stadt und Land zu bekommen.

Die „konstitutionelle" Entwicklung Chinas ist, zumindest in ihrem nächsten Stadium, eng mit der internen Evolution der Kuomintang verbunden, in deren Händen die Staatsgewalt gegenwärtig in jeder Hinsicht konzentriert ist. Das letzte Plenum der Kuomintang im August beschloss, soweit man erfährt, am ersten Januar 1929 den Parteikongress zu veranstalten, der so lange Zeit verschoben wurde, aus Furcht des Zentrums vor einem Machtverlust. (Wie man sieht, ist die „Besonderheit" Chinas nicht so sehr „besonders".) Die Tagesordnung des Kongresses schließt auch das Problem der chinesischen Verfassung ein. Zwar können gewisse interne oder externe Ereignisse nicht nur den Januar-Kongress der Kuomintang, sondern auch die gesamte konstitutionelle Ära einer Stabilisierung der chinesischen Bourgeoisie zusammenbrechen lassen. Diese Möglichkeit bleibt immer bestehen. Aber wenn nicht neue Faktoren dazwischenkommen, werden die Frage des Staatsregimes in China und die konstitutionellen Probleme in der nächsten Zeit im Blickpunkt des öffentlichen Interesses stehen.

Welche Haltung wird die Kommunistische Partei einnehmen? Was wird sie dem Verfassungsentwurf der Kuomintang entgegenstellen? Kann die Kommunistische Partei sagen, dass – da sie sich darauf vorbereitet, sobald künftig eine neue Krise auftritt, Sowjets zu schaffen – es ihr gleichgültig ist, ob in China bis dahin eine Nationalversammlung existiert oder nicht, dass es gleichgültig ist, ob sie zensiert ist oder ob sie das gesamte Volk umfasst? Eine derartige Haltung wäre oberflächlich, leer und passiv.

Die Kommunistische Partei kann und soll die Losung einer konstituierenden Versammlung mit vollen Befugnissen ausgeben, die durch allgemeines, gleiches, direktes und geheimes Wahlrecht gewählt wird. Im Lauf der Agitation für diese Losung wird es natürlich notwendig, den Massen zu erklären, dass es fraglich ist, ob eine derartige Versammlung zusammentreten wird, und dass diese, selbst wenn sie zustande käme, solange machtlos bleiben würde, wie die Macht in den Händen der Kuomintang-Generäle liegt. Hieraus ergibt sich die Möglichkeit, auf neue Weise die Losung für die Bewaffnung der Arbeiter und Bauern aufs Tapet zu bringen. Die Neubelebung der politischen und wirtschaftlichen Aktivität wird das Agrarproblem noch einmal in den Vordergrund rücken. Aber für eine gewisse Zeit kann es sich in die parlamentarische Ebene versetzt sehen, d.h. in ein Gebiet, in dem von der Bourgeoisie und vor allem von der kleinbürgerlichen Demokratie versucht wird, dies Problem durch legislative Maßnahmen zu „lösen". Offensichtlich kann sich die Kommunistische Partei nicht der bürgerlichen Gesetzgebung anpassen, d.h. vor dem bürgerlichen Besitz kapitulieren. Sie kann und soll ihr eigenes, fertiges und abgerundetes Projekt für die Lösung des Agrarproblems besitzen, das von der Beschlagnahme von Land ausgeht, das eine gewisse Größe übersteigt, die je nach Provinz verschieden angesetzt werden muss. Das kommunistische Projekt des Agrargesetzes muss im Wesentlichen die Formulierung der künftigen Agrarrevolution sein. Aber die Kommunistische Partei kann und soll ihre eigenen Formulierungen in den Kampf für die Nationalversammlung und in die Versammlung selbst tragen, wenn diese jemals zustande kommt.

Die Losung der National- (oder konstituierenden) Versammlung ist daher eng mit der des Achtstundentags, der Landbesetzung und der völligen nationalen Unabhängigkeit Chinas verknüpft. Gerade in diesen Losungen wird sich das demokratische Entwicklungsstadium der chinesischen Revolution ausdrücken. Auf dem Gebiet der internationalen Politik wird die Kommunistische Partei ein Bündnis mit der UdSSR fordern. Indem sie diese beiden Losungen verständig kombiniert und jede von ihnen an der passenden Stelle vorbringt, wird die Kommunistische Partei imstande sein, sich aus ihrer illegalen Existenz zu befreien, einen Block mit den Massen zu bilden und ihr Vertrauen zu gewinnen. Auf diese Art wird die Errichtung von Sowjets und ein direkter Kampf schneller eintreten.

Wohldefinierte historische Aufgaben werden aus dem demokratischen Stadium der Revolution hergeleitet. Der demokratische Charakter dieser Aufgaben an sich allein bestimmt keineswegs, welche Klassen in welcher Kombination diese Probleme lösen werden. Im Grunde lösten alle großen bürgerlichen Revolutionen Probleme derselben Art, aber sie taten es durch verschiedene Klassenmechanismen. Indem die Kommunistische Partei in der zwischenrevolutionären Periode für demokratische Aufgaben kämpft, wird sie ihre Kräfte wieder sammeln, sie wird sich selbst, ihre Losungen und Aktionsmethoden überprüfen. Wenn es ihr in diesem Zusammenhang gelingen sollte, durch eine Periode des Parlamentarismus zu gehen (was möglich, sogar wahrscheinlich aber keineswegs unvermeidlich ist), so wird dies der proletarischen Avantgarde erlauben, ihre Feinde und Gegner aus der Nähe kennenzulernen, indem sie sie durch das Prisma des Parlaments betrachtet. Im Lauf der vorparlamentarischen und parlamentarischen Periode wird diese Avantgarde einen unerbittlichen Kampf zu führen haben, um Einfluss auf die Bauern zu gewinnen, die Bauernschaft direkt politisch zu führen. Selbst wenn die Nationalversammlung erzdemokratisch verwirklicht werden sollte, so würden dennoch die grundlegenden Probleme mit Gewalt gelöst werden müssen. Durch die parlamentarische Periode würde die chinesische Kommunistische Partei zum direkten und unmittelbaren Kampf um die Macht gelangen, aber sie hätte eine gereiftere historische Grundlage, d. h. eine sicherere Aussicht auf den Sieg.

Wir sagten, die Existenz eines parlamentarischen Stadiums sei wahrscheinlich, aber nicht unvermeidbar. Eine neue Zersetzung des Landes wie auch äußere Ursachen können ihre Verwirklichung verhindern; Im ersten Fall könnte gewiss eine Bewegung zugunsten von Parlamenten für verschiedene Gebiete auftreten. Aber all das macht den Kampf für eine demokratisch einberufene Nationalversammlung nicht weniger wichtig. Diese wäre an sich schon ein Keil zwischen den Gruppierungen der besitzenden Klassen und würde der proletarischen Aktivität breite Möglichkeiten geben.

Wir wissen im Voraus, dass alle Führer, die den Block der vier Klassen gepredigt haben und Schlichtungsausschüsse statt Streiks, die ihre telepathischen Befehle gaben, dass die Agrarbewegung nicht ausgedehnt werden solle, die rieten, dass die Bourgeoisie nicht terrorisiert werden solle, die die Errichtung von Sowjets verboten, die die Kommunistische Partei der Kuomintang unterwarfen, die Wang Jingwei als den Führer der Agrarrevolution begrüßten, – dass alle diese Opportunisten, die an der Niederlage der Revolution schuld sind, jetzt versuchen werden, den linken Flügel zu übertrumpfen und unsere Darstellungsweise der Angelegenheit beschuldigen werden, „konstitutionelle Illusionen" und „sozialdemokratische Abweichungen" zu enthalten. Wir halten es für notwendig, die Kommunisten und fortschrittlichen chinesischen Arbeiter rechtzeitig vor dem hohlen, falschen Radikalismus der gestrigen Favoriten von Tschiang Kai-schek zu warnen. Man kann dem historischen Prozess nicht durch gefälschte Zitate entgehen, noch durch Verwirrung, noch durch kilometerlange Resolutionen, überhaupt durch keinerlei Apparat- und literarischen Trick, der den Tatsachen und Klassen entkommen will. Ereignisse werden eintreten und den Beweis liefern. Diejenigen, die von den Beweisen der Vergangenheit noch nicht genug haben, müssen nur die Zukunft abwarten. Nur, lasst sie nicht vergessen, dass diese Vergewisserung auf dem Rücken der proletarischen Avantgarde ausgetragen wird.

3. Die Sowjets und die konstituierende Versammlung

Wir hoffen, dass es nicht notwendig ist, hier die allgemeine Frage der formalen, d. h. der bürgerlichen Demokratie aufzuwerfen. Unsere Haltung ihr gegenüber hat nichts mit einer sterilen anarchistischen Ablehnung gemein. Die Losungen und Normen der Demokratie werden, formal gesehen, in verschiedenen Ländern bei einem genau bestimmten Entwicklungsstadium der bürgerlichen Gesellschaft auf verschiedene Weise abgeleitet. Die demokratischen Losungen enthalten eine gewisse Zeit lang nicht nur Illusionen, nicht nur Betrug, sondern auch eine belebende historische Kraft.

Solange der Kampf der Arbeiterklasse um die ganze Macht noch nicht an der Tagesordnung ist, müssen wir sämtliche Formen der bürgerlichen Demokratie benützen" (Lenin)

Politisch gesehen geht es bei der Frage der formalen Demokratie für uns nicht nur um die Haltung, die man den kleinbürgerlichen Massen gegenüber einnehmen muss, sondern auch um die Haltung gegenüber den Arbeitermassen, soweit diese noch kein revolutionäres Klassenbewusstsein erreicht haben. Beim Fortschreiten der Revolution, während der Offensive des Proletariats, manifestierte sich in China der Ausbruch der unteren Schichten des Kleinbürgertums im politischen Leben durch Agrarrevolten, durch Zusammenstöße mit Regierungstruppen, durch Streiks aller Art und durch die Ermordung niedriger Verwaltungsbeamter. Augenblicklich haben alle Bewegungen dieser Art offensichtlich abgenommen. Die triumphierende Soldateska der Kuomintang beherrscht die Gesellschaft. Jeder Tag der Stabilisierung wird mehr und mehr zu Zusammenstößen führen, zwischen diesem Militarismus und der Bürokratie auf der einen Seite – und auf der anderen nicht nur die fortschrittlichen Arbeiter, sondern auch die kleinbürgerlichen Massen, die in der Stadt- und Landbevölkerung überwiegen, und sogar – in gewissen Grenzen – die Bourgeoisie. Bevor sich diese Zusammenstöße bis zum offen revolutionären Kampf entwickeln, werden sie – nach allen bekannten Tatsachen – ein „konstitutionelles" Stadium durchlaufen. Die Konflikte zwischen der Bourgeoisie und ihren eigenen Militärcliquen werden, mittels einer „dritten Partei" oder auf andere Weise, unvermeidlich die oberen Schichten der kleinbürgerlichen Massen mit hineinziehen. Vom wirtschaftlichen und kulturellen Standpunkt aus sind diese außerordentlich schwach, ihre politische Stärke liegt in ihrer Anzahl. Daher gewinnen die Losungen der formalen Demokratie nicht nur die kleinbürgerlichen Massen, oder können sie wenigstens gewinnen, sondern auch die breiten Arbeitermassen, und zwar gerade, weil sie ihnen die Möglichkeit zeigen – die im Wesentlichen illusorisch ist – ihren Willen dem der Generäle, der Landjunker und Kapitalisten entgegenzusetzen. Die proletarische Avantgarde erzieht die Massen, indem sie diese Erfahrung benutzt, und führt sie vorwärts.

Die Erfahrung von Russland zeigt, dass während die Revolution fortschreitet das in Sowjets organisierte Proletariat, wenn es durch eine richtige Politik zur Eroberung der Macht geführt wird, die Bauernschaft hinter sich her ziehen kann, sie gegen die Front der formalen Demokratie, die in der konstituierenden Versammlung verkörpert wird, werfen, und sie auf die Schienen der Sowjetdemokratie umschalten kann. Jedenfalls werden diese Ergebnisse nicht dadurch erreicht, dass man der konstituierenden Versammlung Sowjets gegenüberstellt, sondern dadurch, dass man die Massen in die Sowjets zieht, während man die Losungen der formalen Demokratie bis zum Augenblick der Machtergreifung oder sogar noch danach beibehält.

Es ist eine historisch indiskutierbare und eindeutig feststehende Tatsache, dass im September-November 1917 in Russland die Arbeiterklasse der Städte, die Soldaten und Bauern auf Grund verschiedenster besonderer Umstände ausgezeichnet auf die Annahme der Herrschaft der Sowjets und die Auflösung des demokratischsten der bürgerlichen Parlamente vorbereitet waren. Dennoch boykottierten die Bolschewiki die Verfassungsgebende Versammlung nicht: im Gegenteil, sie beteiligten sich an den Wahlen nicht nur vor sondern sogar noch nach der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat.

Selbst einige Wochen vor dem Sieg der Sowjetrepublik, und sogar danach, hilft die Teilnahme an einem bürgerlich-demokratischen Parlament – weit davon entfernt schädlich zu sein – einem revolutionären Proletariat, den rückständigen Massen zu beweisen, dass solche Parlamente es verdienen aufgelöst zu werden, es erleichtert ihre erfolgreiche Auflösung und bringt den Augenblick näher, an dem man sagen kann, dass die Stunde des bürgerlichen Parlamentarismus geschlagen hat." (Lenin, „Kinderkrankheit des Kommunismus").

Ich erinnere mich, dass Lenin, als wir direkte, praktische Maßnahmen zur Auflösung der Konstituierenden Versammlung trafen, besonders darauf bestand, ein oder zwei Regimenter lettischer leichter Infanterie nach Petrograd zu schicken, die hauptsächlich aus Landarbeitern bestanden. „Die Petrograder Garnison besteht hauptsächlich aus Bauern, wird sie angesichts der Verfassungsgebenden nicht zögern?“ So formulierte Lenin seine Bedenken. Es handelte sich hier keineswegs um politische „Traditionen"; die russische Bauernschaft konnte wirklich keine ernsthaften Traditionen der parlamentarischen Demokratie besitzen. Das Wesen der Sache liegt darin, dass die Bauernmasse, zum historischen Leben erweckt, keineswegs geneigt ist, ihr Vertrauen im Voraus in eine Führung zu setzten, die aus der Stadt kommt, selbst dann nicht, wenn es sich um das Proletariat handelt, und das vor allem während einer nicht-revolutionären Periode; diese Masse sucht eine einfache politische Formel, die direkt ihre eigene politische Stärke ausdrückt, d. h. die zahlenmäßige Überlegenheit. Der politische Ausdruck für die Herrschaft der Mehrheit ist die formale Demokratie.

Wenn man natürlich behauptet, dass die Volksmassen niemals und unter keinen Umständen über die „konstitutionelle" Stufe „springen" können und sollen, so wäre das eine allzu lächerliche Pedanterie im Geist Stalins. In gewissen Ländern dauert die Epoche des Parlamentarismus lange Jahrzehnte und sogar Jahrhunderte In Russland erstreckte sie sich über die wenigen Jahre des pseudo-konstitutionellen Regimes und den einen Tag, an dem die Konstituierende Versammlung existierte. Historisch betrachtet kann man sich sehr gut Situationen vorstellen, in denen selbst diese paar Jahre und dieser eine Tag nicht existieren. Auch in China könnte, wenn die revolutionäre Politik richtig und die Kommunistische Partei von der Kuomintang völlig unabhängig gewesen wäre, wenn die Sowjets 1925-1927 errichtet worden wären, die revolutionäre Entwicklung bereits heute zur Diktatur des Proletariats geführt haben, bei Überspringen der demokratischen Phase. Aber selbst in diesem Fall ist es nicht ausgeschlossen, dass die Formel der Konstituierenden Versammlung, die von der Bauernschaft im kritischsten Augenblick nicht ausprobiert und nicht überprüft wurde, und die folglich noch Illusionen enthält, dass diese Formel bei der ersten ernsthaften Differenz zwischen der Bauernschaft und dem Proletariat, noch am Morgen des Sieges, die Losung der Bauern und städtischen Kleinbürger gegen das Proletariat werden kann. Bedeutende Konflikte zwischen dem Proletariat und der Bauernschaft sind ganz unvermeidlich, selbst bei günstigen Voraussetzungen für das Bündnis, wie es die Erfahrung der Oktoberrevolution bezeugt. Unser größter Vorteil lag darin, dass die Mehrheit der Konstituierenden Versammlung – gewachsen im Kampf der herrschenden Parteien um die Fortsetzung des Krieges und gegen die Landbesetzung durch die Bauern – sich schwer kompromittiert hatte, selbst in den Augen der Bauernschaft, und zwar schon im ersten Augenblick, als sie einberufen wurde.

Wie charakterisiert die Resolution des Kongresses, die nach dem Verlesen von Bucharins Bericht angenommen wurde, die augenblickliche Entwicklungsperiode Chinas und die Aufgaben, die man aus dieser Periode ableiten muss? Paragraph Nr. 54 dieser Resolution lautet:

Gegenwärtig, in der Periode zwischen zwei Wellen des revolutionären Fortschritts, ist es die Hauptaufgabe der Partei zu kämpfen, um die Massen zu gewinnen, d. h. Massenarbeit unter den Arbeitern und Bauern, die Wiedereinrichtung ihrer Organisationen, die Nutzung jeder Unzufriedenheit gegen die Grundbesitzer, die Bourgeoisie, die Generäle, die ausländischen Imperialisten…".

Das ist wirklich ein klassisches Beispiel für Doppeldeutigkeit in der Art der so berühmten Orakel der Antike. Die gegenwärtige Periode wird als „zwischen zwei Wellen des revolutionären Fortschritts" gekennzeichnet. Wir kennen diese Formulierung. Der Fünfte Kongress wandte sie auf Deutschland an. Eine revolutionäre Situation entwickelt sich nicht einheitlich, sondern sie folgt Ebbe und Flut. Diese Formulierung wurde mit Bedacht gewählt, um mit ihrer Hilfe eine revolutionäre Situation feststellen zu können, bei der nur gerade eine „Stille" vor dem Sturm herrscht. Ebenso werden sie diesen Zustand auch erklären können, indem sie vorgeben, darin eine ganze Periode zwischen zwei Revolutionen zu erkennen. In beiden Fällen werden sie in der Lage sein, eine neue Resolution mit den Worten zu beginnen: „wie wir voraussahen" oder „wie wir vorhergesagt haben". Jede historische Prognose enthält unvermeidlich ein konditionales Element. Je kürzer die Periode ist, über die sich diese Prognose erstreckt, um so größer ist dies Element. Im Allgemeinen ist es unmöglich, eine Prognose herzustellen, bei der die Führer des Proletariats die Situation in Zukunft nicht mehr zu analysieren brauchten. Eine Prognose hat nicht die Funktion eines Befehls sondern eher einer Orientierung. Man kann und muss Vorbehalte in Bezug auf den Punkt machen, bis zu dem sie bedingt sind. In bestimmten Situationen kann man eine Reihe von Varianten für die Zukunft geben, und sie durch Nachdenken einschränken. In einer unruhigen Atmosphäre kann man schließlich die Prognose für den Augenblick völlig aufgeben und sich darauf beschränken, den Rat zu geben: „wait and see". Aber all das muss klar, offen und ehrlich getan werden. Im Lauf der letzten fünf Jahre waren die Prognosen der Kommunistischen Internationale jedoch nicht Richtlinien, sonder eher Fallen für die Parteiführer in den verschiedenen Ländern. Das Hauptziel dieser „Prognosen" ist: Verehrung der Weisheit der Führung einzuflößen und im Fall einer Niederlage deren „Prestige" zu retten, diesen höchsten Fetisch schwacher Menschen.

Es handelt sich um eine Methode orakelhafter Ankündigungen und nicht um marxistische Forschung. Dies setzt die Existenz von „Sündenböcken" am Schauplatz der Handlung voraus. Es ist ein demoralisierendes System. Die ultralinken Fehler, die die deutsche Führung 1924/5 beging, entstammten eben gerade dieser heimtückischen, doppeldeutigen Formulierung von Fragen zum Thema der „zwei Wellen des revolutionären Fortschritts“. Die Resolution des Sechsten Kongresses kann genauso viele Unglücksfälle verursachen.

Wir kannten die Welle von vor Schanghai und dann die von Wuhan. Es gab weit mehr örtlich begrenzte Wellen. Sie alle erhoben sich während des allgemeinen revolutionären Fortschritts der Jahre 1925-1927. Aber der historische Aufstieg ist erschöpft. Das muss deutlich verstanden und gesagt werden. Daraus muss man wichtige strategische Schlussfolgerungen ziehen.

Die Resolution spricht von der Notwendigkeit, „jede Unzufriedenheit gegen die Grundbesitzer, die Bourgeoisie, die Generäle und die ausländischen Imperialisten" zu benutzen. Das ist unbestreitbar, aber zu unbestimmt. Wie soll man sie benützen? Wenn wir uns zwischen zwei Wellen des fortlaufenden revolutionären Fortschritts befinden, dann kann jedes Auftreten einer Unzufriedenheit, ganz gleich wie unbedeutend sie ist, als der berühmte (nach Sinowjew-Bucharin) „Anfang der zweiten Welle" betrachtet werden. Dann wird die Propagandalosung vom bewaffneten Aufstand sofort in die Losung der Aktion verwandelt werden müssen. Daraus kann eine „zweite Welle" des Putschismus entstehen. Die Partei wird die Unzufriedenheit der Massen ganz anders nutzen, wenn sie sie unter einer richtigen historischen Perspektive betrachtet. Aber der Sechste Kongress verfügt nicht über diese „Bagatelle": eine richtige historische Perspektive in allen Fragen. Der Fünfte Kongress war wegen dieses Mangels ein Versager, und aus demselben Grund kann sich auch die ganze Kommunistische Internationale den Hals brechen.

Nachdem die Resolution des Kongresses nochmals die putschistischen Tendenzen verurteilt hat, denen sie selbst den Boden vorbereitet, fährt sie fort:

Andererseits sind gewisse Genossen in den opportunistischen Irrtum verfallen: sie geben die Losung einer Nationalversammlung aus."

Die Resolution erklärt nicht, worin der Opportunismus dieser Losung besteht. Die verbrühte Katze fürchtet sogar kaltes Wasser.

Nur der chinesische Delegierte, Strachow, versuchte in seiner Schlussrede über die Lehren der chinesischen Revolution eine Erklärung zu geben. Er sagte folgendes:

Aus den Erfahrungen der chinesischen Revolution ersehen wir: Wenn die Revolution in den Kolonien (?) sich dem entscheidenden Punkt nähert, erhebt sich klar die Frage: Entweder Diktatur der Grundbesitzer und der Bourgeoisie oder die des Proletariats und der Bauernschaft."

Natürlich, wenn die Revolution (und sicherlich nicht nur in den „Kolonien“) „sich dem entscheidenden Punkt nähert", dann ist jede Handlungsweise im Stil der Kuomintang, d. h. jede Kollaboration, ein Verbrechen, das verhängnisvolle Folgen nach sich zieht: Man kann sich dann nur eine Diktatur der Besitzenden oder eine der Arbeiter vorstellen. Aber wie wir ebenfalls gesehen haben darf man, um als Revolutionär über den Parlamentarismus zu triumphieren, selbst in solchen Augenblicken nichts mit dessen steriler Ablehnung gemein haben. Strachow aber geht noch weiter:

Dort (in den Kolonien) kann eine bürgerliche Demokratie nicht existieren; nur die bürgerliche Diktatur, die offen handelt, ist möglich… Es kann dort keinerlei… konstitutionellen Weg geben.“

Das ist eine doppelt ungenaue Erweiterung eines richtigen Gedankens. Wenn die bürgerliche Demokratie während der „entscheidenden Augenblicke" der Revolution torpediert wird, (und das nicht nur in den Kolonien), so bedeutet das keineswegs, dass sie während der zwischen-revolutionären Perioden unmöglich ist. Aber Strachow und der ganze Kongress wollen nicht zugeben, dass der „entscheidende Augenblick" bereits vorüber ist, während dessen gerade die Kommunisten sich innerhalb der Kuomintang mit den übelsten demokratischen Fiktionen abgaben. Jetzt muss vor einem neuen „entscheidenden Augenblick" eine lange Periode durchschritten werden, während der die alten Fragen auf neue Art angegangen werden müssen. Wenn man versichert, dass es in den Kolonien keine konstitutionellen oder parlamentarischen Entwicklungsperioden geben kann, so verzichtet man auf die Anwendung von Kampfmethoden, die höchst bedeutend sind, und vor allem man erschwert sich eine richtige politische Orientierung, indem man die Partei in eine Sackgasse führt.

Wenn man sagt, dass es für China und auch für alle anderen Staaten der Welt keinen Weg zu einer freien, d. h. sozialistischen Entwicklung durch das Beschreiten des parlamentarischen Wegs gibt, so ist das eine Sache, und richtig. Wenn man aber behauptet, dass es in der Evolution Chinas oder der Kolonien keine konstitutionelle Periode oder Phase geben kann, so ist das etwas anderes, es ist falsch. Es gab ein Parlament in Ägypten, das augenblicklich aufgelöst ist. Es kann vielleicht wieder entstehen. Es gibt ein Parlament in Irland, trotz der halbkolonialen Existenz des Landes. Dasselbe gilt für Südamerika, ganz zu schweigen von den „ Dominions" Großbritanniens. Es gibt in Indien Schein-„Parlamente". Auch sie können sich später entwickeln: in derartigen Angelegenheiten ist die britische Bourgeoisie recht flexibel. Mit welcher Berechtigung kann man versichern, dass nach der Niederwerfung der Revolution, die gerade stattgefunden hat, China nicht ein parlamentarisches oder pseudo-parlamentarisches Stadium durchlaufen wird, oder dass es einen schweren politischen Kampf wird durchmachen müssen, um dies Stadium der Entwicklung zu erreichen? Eine derartige Versicherung hat keinerlei Grundlage.

Derselbe Strachow sagt, dass es gerade die chinesischen Opportunisten sind, die die Losung der Nationalversammlung durch die von Sowjets ersetzen wollen. Dies Ersetzen ist möglich, wahrscheinlich sogar unvermeidbar Es wurde durch die Erfahrungen der gesamten Weltarbeiterbewegung, ganz besonders der russischen Bewegung, bewiesen, dass die Opportunisten die ersten sind, die sich an parlamentarische Methoden klammern, und überhaupt an alles, was dem Parlamentarismus gleicht oder auch nur ähnelt. Die Menschewiki klammerten sich an die Aktivität in der Duma und betrachteten sie als gegenrevolutionäre Tätigkeit. Die Verwendung parlamentarischer Methoden bringt unvermeidlich alle mit dem Parlamentarismus verbundenen Gefahren mit sich: konstitutionelle Illusionen, Legalismus, eine Neigung zu Kompromissen usw. Diese Gefahren und Krankheiten können nur durch eine revolutionäre Richtung in allen Angelegenheiten bekämpft werden. Aber die Tatsache, dass die Opportunisten die Losung vom Kampf für eine Nationalversammlung ausgeben, ist keineswegs ein Argument zu Gunsten einer formalen, ablehnenden Haltung unsererseits gegenüber dem Parlamentarismus. Nach dem Staatsstreich vom 3. Juni 1907 in Russland befürwortete die Mehrheit der bolschewistischen Parteiführung einen Boykott der verstümmelten und überlisteten Duma. Das hinderte Lenin nicht daran, bei der Parteikonferenz, die damals noch zwei Fraktionen vereinte, entschlossen für die Benutzung sogar des Parlamentarismus vom 3. Juni einzutreten. Lenin war der einzige Bolschewik , der mit den Menschewiki zu Gunsten einer Wahlbeteiligung stimmte. Offensichtlich hatte Lenins „Teilnahme" nichts mit der der Menschewiki gemeinsam, wie sich im ganzen folgenden Verlauf der Ereignisse zeigte; diese Teilnahme widersprach den revolutionären Aufgaben nicht, sondern diente ihnen für die Zeit zwischen den beiden Revolutionen. Trotz ihrer großen Erfahrung mit Sowjets von 1905, fuhr unsere Partei fort – während sie das konterrevolutionäre Pseudo-Parlament vom 3. Juni benutzte – für die Konstituierende Versammlung zu kämpfen, d. h. für die demokratischste Form der parlamentarischen Vertretung. Das Recht, auf den Parlamentarismus zu verzichten, muss durch die Vereinigung der Massen um die Partei gewonnen werden und dadurch, dass man sie zum offenen Kampf für die Eroberung der Macht führt. Es ist naiv zu glauben, dass man diese Arbeit durch einen einfachen Verzicht auf die revolutionäre Benutzung der widersprüchlichen und unterdrückenden Methoden und Formen des Parlamentarismus ersetzen kann. Das ist der gröbste Irrtum der Resolution des Kongresses, die hier einen kecken ultralinken Sprung macht.

Man sehe sich nur an, wie alles auf den Kopf gestellt wird. Nach der Logik der augenblicklichen Führung, und in Übereinstimmung mit dem Sinn der Resolution vom Sechsten Kongress der Kommunistischen Internationale, nähert sich China nicht seinem 1917, sondern eher seinem 1905. Deshalb, so denken sich die Führer: Nieder mit der Losung der formalen Demokratie! Es bleibt wirklich kein einziges Glied übrig, dass die Epigonen nicht zu verrenken bemüht wären. Wie kann die Losung der Demokratie, und besonders der radikalsten – nämlich – der demokratischen Volksversammlung – abgelehnt werden, weil eine nicht-revolutionäre Periode herrscht, wenn die Revolution ihre unmittelbarsten Aufgaben nicht erfüllt hat, nämlich die Einheit Chinas und seine Reinigung von allem feudalen und militärisch-bürokratischen Kehricht.

Soweit ich weiß, hatte die chinesische Partei kein eigenes Programm. Die bolschewistische Partei gelangte bis zur Oktoberrevolution und führte sie durch, bewaffnet mit ihrem alten Programm, in dessen politischem Teil die Losungen der Demokratie einen wichtigen Platz einnahmen, Damals versuchte Bucharin dies Minimalprogramm zu unterdrücken, ebenso wie er später gegen die traditionellen Übergangsforderungen im Programm der Kommunistischen Internationale auftrat. Aber diese Haltung Bucharins wurde in der Geschichte der Partei nur als Anekdote verzeichnet. Wie bekannt, vollendete die Diktatur des Proletariats die demokratische Revolution in Russland. Die gegenwärtige Führung der Kommunistischen Internationale will auch das absolut nicht verstehen. Aber unsere Partei führte das Proletariat nur zur Diktatur, weil sie mit großer Energie, Hartnäckigkeit und Hingabe die Losungen und Forderungen der Demokratie verteidigte, einschließlich der Volksvertretung auf Grund des allgemeinen Wahlrechts, der Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber den Volksvertretern usw. Nur eine derartige Agitation erlaubt der Partei, das Proletariat vor dem Einfluss der kleinbürgerlichen Demokratie zu bewahren, deren Einfluss bei der Bauernschaft zu untergraben, das Bündnis der Arbeiter und Bauern vorzubereiten und die entschlossensten revolutionären Elemente in ihre Reihe zu ziehen. War all das nichts als Opportunismus? Sing meine Taube, schäme dich nicht.1

Strachow sagt, dass wir die Losung der Sowjets haben und dass nur Opportunisten die Losung der Nationalversammlung an ihre Stelle setzen können. Dies Argument stellt auf äußerst beispielhafte Weise das Irrtümliche der Kongressresolution bloß. In der Diskussion widerlegte niemand Strachow. Im Gegenteil, man stimmte seiner Einstellung zu; sie wurde in der prinzipiellen taktischen Resolution ratifiziert. Erst jetzt sieht man deutlich, wie zahlreich diejenigen in der gegenwärtigen Führung vertreten sind, die die Erfahrung von ein, zwei oder sogar drei Revolutionen durchmachten, indem sie sich durch den Verlauf der Ereignisse und die Führung Lenins hineinziehen ließen, ohne jedoch selbst über die Bedeutung dessen nachzudenken, was geschah, und ohne die größten Lehren der Geschichte anzunehmen. Man ist daher gezwungen, gewisse elementare Wahrheiten zu wiederholen.

In meiner Kritik des Programms der Kommunistischen Internationale habe ich gezeigt, wie die Epigonen Lenins Gedanken: Sowjets seien Organe des Aufstandes und Organe der Macht, schrecklich entstellt und verstümmelt haben. Hieraus wurde der Schluss gezogen, dass die Sowjets nur am Vorabend des Aufstandes errichtet werden können. Diese groteske Idee fand ihren vollkommensten Ausdruck in derselben Resolution vom Novemberplenum des chinesischen Zentralkomitees im letzten Jahr, die wir kürzlich aufgedeckt haben. Es heißt dort:

Sowjets können und sollen als Organe der revolutionären Macht nur dann errichtet werden, wenn wir uns inmitten eines wichtigen, unbestreitbaren Fortschritts der revolutionären Massenbewegung befinden und wenn der dauernde Sieg der Erhebung gesichert ist.“

Die erste Bedingung: „wichtiger Fortschritt" ist unbestreitbar. Die zweite Bedingung: „Garantie des Sieges", und mehr noch, eines „ dauerhaften" Sieges, ist einfach pedantische Dummheit. Im restlichen Text der Resolution wird diese Dummheit allerdings gründlich entfaltet.

Man kann die Errichtung von Sowjets offensichtlich nicht in Angriff nehmen, wenn der Sieg nicht absolut garantiert ist, denn es könnte geschehen, dass die gesamte Aufmerksamkeit sich nur auf die Wahl der Sowjets richtet und nicht auf den militärischen Kampf, und infolgedessen könnte der kleinbürgerliche Demokratismus sich festsetzen, was die revolutionäre Diktatur schwächen und eine Gefahr für die Parteiführung darstellen würde.“

Über diesen unsterblichen Zeilen schwebt der Geist Stalins, gebrochen durch das Prisma des Wunderkindes Lominadse, Allerdings ist all dies schlechthin absurd. Während des Hongkong-Streiks, während der Streiks in Schanghai, während des ganzen folgenden heftigen Fortschritts der Arbeiter und Bauern, hätten Sowjets errichtet werden können und sollen, als Organe eines offen revolutionären Massenkampfes, der früher oder später und keineswegs auf einen Schlag zum Aufstand und zur Eroberung der Macht führen würde. Wenn in der fraglichen Phase der Kampf nicht bis zum Aufstand kam, so würden offensichtlich auch die Sowjets verschwinden. Sie können nicht „normale" Institutionen des bürgerlichen Staates werden. Aber auch in diesem Fall, d. h. wenn die Sowjets vor dem Aufstand liquidiert werden, macht die Arbeiterklasse eine ungeheure Errungenschaft, weil sie die Sowjets in der Praxis kennenlernt, und sich mit ihrem Mechanismus identifiziert Während der folgenden Stadien der Revolution wird auf diese Weise die erfolgreichere und ausgedehntere Errichtung von Sowjets garantiert: obgleich es sein kann, dass sie auch in der folgenden Phase nicht nur nicht direkt zum Sieg, sondern nicht einmal zum Aufstand führen.

Wir wollen uns dies ganz klar ins Gedächtnis rufen: Die Losung der Sowjets kann und muss von den ersten Stadien des revolutionären Fortschritts der Massen ausgegeben werden. Aber es muss ein echter Fortschritt sein. Die Arbeitermassen müssen sich um die Revolution scharen, unter ihrer Fahne zusammenkommen. Die Sowjets sind organisatorisch gesehen ein Ausdruck für die zentripetale Kraft des revolutionären Fortschritts. Daher ist aber auch die Losung der Sowjets während der Periode der revolutionären Ebbe und der Entwicklung zentrifugaler Tendenzen in den Massen doktrinär und leblos, oder, was genauso schlecht ist, die Losung von Abenteurern. Die Erfahrung von Kanton bewies das besser als irgendetwas sonst und auf schlagende, tragische Weise.

Augenblicklich hat die Losung von Sowjets in China nur als Perspektive eine Bedeutung, und in diesem Sinn hat sie einen Propagandawert. Es wäre unrealistisch, wenn man die Sowjets, die Losung der dritten chinesischen Revolution, der Nationalversammlung, d.h. der Losung, die sich aus dem Debakel der zweiten chinesischen Revolution ergibt, gegenüberstellt. Wenn man sich in einer zwischen-revolutionären Periode fernhält, besonders nach einer grausamen Niederlage, so ist das eine selbstmörderische Politik.

Man könnte sagen, (denn es gibt viele Sophisten auf der Welt) dass die Resolution des Sechsten Kongresses keineswegs bedeutet, dass man sich fernhält: es gibt keine Nationalversammlung, niemand ist dabei, sie einzuberufen oder verspricht, das zu tun, folglich gibt es nichts, was man boykottieren könnte. Eine derartige Argumentationsweise wäre jedoch zu erbärmlich, eine rein formale, kindische Bucharinistik. Wenn die Kuomintang gezwungen wäre, die Einberufung einer Nationalversammlung zu verkünden, würden wir sie dann, unter den gegebenen Umständen boykottieren? Nein. Wir würden die Lüge und Doppelzüngigkeit des Kuomintang-Parlamentarismus schonungslos demaskieren, samt den konstitutionellen Illusionen der Kleinbürger; wir würden eine Ausdehnung des Wahlrechtes auf alle fordern; gleichzeitig würden wir uns in die politische Arena werfen, um im Kampf für das Parlament, während der Wahlen und im Parlament selbst, die Arbeiter und armen Bauern den besitzenden Klassen und ihren Parteien entgegenzustellen. Niemand würde sich anmaßen vorherzusagen, wie groß die so erhaltenen Ergebnisse für die augenblickliche Partei wären, die geschwächt und in die Illegalität getrieben ist. Wenn die Politik richtig wäre, so wären die Vorteile ganz beträchtlich. Aber ist es in diesem Fall nicht klar, dass die Partei nicht nur an den Wahlen teilnehmen kann und muss, wenn die Kuomintang sie ausruft, sondern auch fordern muss, dass sie abgehalten werden, indem sie die Massen um diese Losung sammelt?

Politisch gesehen ist die Frage bereits gestellt, jeder neue Tag wird das bestätigen. In unserer Kritik des Programms sprachen wir von der Wahrscheinlichkeit einer gewissen ökonomischen Stabilisierung in China. Die Zeitungen haben seither Dutzende von Hinweisen auf die ökonomische Wiederbelebung gebracht, die einsetzt (siehe Bulletin der chinesischen Universität). Jetzt ist es nicht länger eine Annahme, sondern eine Tatsache, obgleich sie sich erst im allerersten Stadium befindet. Aber gerade im Verlauf der ersten Phase müssen die Tendenzen bemerkt werden, sonst verfolgt man keine revolutionäre Politik, sondern man hinkt hinter den Ereignissen her. Dasselbe gilt für den politischen Kampf um die Frage der Verfassung. Es handelt sich jetzt nicht mehr um eine theoretische Voraussage, d. h. um eine einfache Möglichkeit, sondern um etwas Konkreteres. Der chinesische Delegierte kommt nicht umsonst häufig auf das Thema der Nationalversammlung zurück; nicht zufällig hielt der Kongress es für notwendig, eine spezielle (und besonders falsche) Resolution über diese Frage anzunehmen. Nicht die Opposition hat diese Frage gestellt, sondern eher die Entwicklung des politischen Lebens in China. Auch hier muss man wissen, wie man eine Tendenz schon gleich zu Beginn erfassen muss. Je kühner und entschlossener die Kommunistische Partei die Losungen der demokratischen Konstituierenden Versammlung ausgibt, umso weniger Platz wird sie allen Sorten von dazwischen liegenden Parteien überlassen, umso dauerhafter wird ihr Erfolg sein.

Wenn das chinesische Proletariat noch ein paar Jahre (selbst wenn es nur ein weiteres Jahr wäre) unter dem Regime der Kuomintang leben muss, könnte dann die chinesische Kommunistische Partei den Kampf für die Erweiterung der legalen Möglichkeiten jeder Art, für die Pressefreiheit, die Versammlungs-, Organisations- und Streikfreiheit usw. aufgeben? Wenn sie diesen Kampf aufgäbe, so würde sie zu einer leblosen Sekte. Aber das ist ein Kampf auf demokratischer Ebene. Die Sowjetmacht bedeutet das Presse-, Versammlungs- etc. Monopol in Händen des Proletariats. Vielleicht wird die KP Chinas diese Losungen gerade jetzt vorbringen? In der gegebenen Situation wäre das eine Mischung aus Kinderei und Verrücktheit. Die Kommunistische Partei kämpft gegenwärtig nicht um die Macht, sondern um die Erhaltung, Konsolidierung und Entwicklung ihres Kontaktes mit den Massen, um die Macht in der Zukunft zu erkämpfen. Der Kampf zur Gewinnung der Massen ist unvermeidlich mit dem Kampf gegen die Gewalttätigkeit verbunden, die die Kuomintang-Bürokratie gegen die Massenorganisationen, ihre Versammlungen, ihre Presse usw. anwendet. Wird die Kommunistische Partei in der unmittelbar bevorstehenden Zeit für die Pressefreiheit kämpfen oder wird sie das einer „dritten Partei" überlassen? Wird die Kommunistische Partei sich darauf beschränken, demokratische, isolierte Teilforderungen vorzulegen (Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit usw.) was auf liberalen Reformismus hinauslaufen würde, oder wird sie die konsequentesten Losungen der Demokratie ausgeben? In der politischen Sphäre bedeutet das Volksvertretung auf Grund von allgemeinen Wahlen.

Man könnte fragen, ob die demokratische Konstituierende Versammlung nach einer niedergeschlagenen Revolution im halbkolonialen China, das von den Imperialisten eingekreist ist, „realisierbar" ist. Diese Frage kann nur mit Mutmaßungen beantwortet werden. Für uns entscheidet nicht einfach das Kriterium, ob die Möglichkeit besteht, eine Forderung zu verwirklichen, angesichts der in der bürgerlichen Gesellschaft oder in einem beliebigen Staat dieser Gesellschaft existierenden Bedingungen. Es ist z. B sehr wahrscheinlich, dass die Monarchie und das „House of Lords" nicht vor der Errichtung einer revolutionären Diktatur des Proletariats hinweggefegt werden. Dennoch muss die englische KP unter ihren Teilforderungen auch diese formulieren. Man löst diese Frage nicht, indem man sich empirischen Mutmaßungen darüber widmet, ob die Realisierung irgendwelcher Übergangsforderungen möglich ist oder nicht. Der soziale und historische Charakter entscheidet: ist er in Hinblick auf die künftige Entwicklung der Gesellschaft fortschrittlich? Entspricht er den historischen Interessen des Proletariats? Stärkt er dessen Bewusstsein? Bringt er es seiner Diktatur näher? So z. B. ist die Forderung nach dem Verbot von Trusts kleinbürgerlich und reaktionär und, wie die Erfahrungen Amerikas gezeigt haben, vollkommen utopisch. Unter bestimmten Voraussetzungen ist es dagegen äußerst progressiv und richtig, die Kontrolle der Arbeiter über die Trusts zu fordern, selbst wenn es mehr als zweifelhaft ist, das dies im Rahmen eines bürgerlichen Staates jemals verwirklicht wird. Die Tatsache, dass diese Forderung nicht erfüllt wird, solange die Bourgeoisie herrscht, muss die Arbeiter zum revolutionären Umsturz der Bourgeoisie treiben. So kann die Unmöglichkeit, eine Losung zu verwirklichen, politisch gesehen weit fruchtbarer sein, als die relative Möglichkeit, sie in die Praxis umzusetzen.

Wird China für eine gewisse Periode zum demokratischen Parlamentarismus kommen? Wie demokratisch wird es sein? Wie stark und dauerhaft wird der Parlamentarismus sein? Hierüber kann man nur Mutmaßungen anstellen. Aber es wäre vollkommen falsch, von der Vermutung auszugehen, dass der Parlamentarismus in China nicht zu verwirklichen ist, um daraus zu folgern, dass wir den Cliquen der Kuomintang vor dem Tribunal des chinesischen Volkes zujubeln können. Der Gedanke von der Vertretung des gesamten Volkes ist der elementarste, der einfachste und geeignetste, um wirklich breite Volksschichten zu umfassen, was durch die Erfahrung aller bürgerlichen Revolutionen bewiesen wird, besonders auch derjenigen, die Nationalitäten befreiten. Je mehr sich die herrschende Bourgeoisie dieser Forderung des „gesamten Volkes" widersetzt, und je mehr die proletarische Avantgarde sich um unser Banner schart, umso reifer werden die politischen Bedingungen für einen wirklichen Sieg über den bürgerlichen Staat, wobei es wenig ausmacht, ob es sich um den Militärstaat der Kuomintang oder den parlamentarischen handelt.

Man kann sagen: Eine wirkliche Konstituierende Versammlung wird nicht einberufen werden, es sei denn durch Sowjets, d. h. durch den Aufstand. Wäre es nicht einfacher, mit den Sowjets zu beginnen und sich auf sie zu beschränken? Nein, das wäre nicht einfacher. Es wäre so, als wenn man den Wagen vor das Pferd spannen würde. Sehr wahrscheinlich wird es nicht möglich sein, die Konstituierende Versammlung einzuberufen, wenn nicht durch Sowjets, und dann könnte die Versammlung noch vor ihrer Geburt überflüssig werden. Das kann geschehen oder auch nicht. Wenn die Sowjets durch die eine „wirklich" Konstituierende Versammlung einberufen werden könnte, bereits existierten, so würden wir sehen, ob es notwendig ist, diese einzuberufen. Aber es gibt augenblicklich keine Sowjets. Man kann mit ihrer Errichtung erst beginnen, wenn die Massen von neuem vorzurücken anfangen, was in zwei, drei, fünf Jahren oder noch mehr stattfinden kann. Es gibt in China keinerlei Sowjettradition. Die Kommunistische Internationale betrieb in diesem Lande eine Agitation gegen und nicht für Sowjets. In der Zwischenzeit beginnen jedoch die konstitutionellen Fragen aus jeder Ritze aufzutauchen.

Kann die chinesische Revolution im Verlauf ihres neuen Stadiums die formale Demokratie überspringen? Aus dem oben Gesagten folgt, dass eine derartige Möglichkeit historisch gesehen nicht ausgeschlossen ist. Es ist aber vollkommen unzulässig, die Frage anzugehen, indem man von dieser Eventualität ausgeht, die äußerst fern liegt und am aller unwahrscheinlichsten ist. Damit legt man politische Leichtfertigkeit an den Tag. Der Kongress nimmt seine Beschlüsse für die Dauer von mehr als einem Monat an und sogar, wie wir wissen, für über ein Jahr. Wie kann man dann die chinesischen Kommunisten an Händen und Füßen gebunden lassen, indem man die Form der politischen Kampfes als Opportunismus bezeichnet, die schon im nächsten Stadium größte Bedeutung erhalten kann?

Unbestreitbar können die menschewistischen Tendenzen in der chinesischen Kommunistischen Partei beim Kampf für die Konstituierende Versammlung wiederbelebt und gestärkt werden . Man muss den Opportunismus genauso bekämpfen, wenn die Politik sich dem Parlamentarismus oder dem Kampf um ihn zuwendet, als wenn man der direkten revolutionären Offensive gegenübersteht. Aber, wie bereits gesagt wurde, folgt hieraus nicht, dass die demokratischen Losungen opportunistisch genannt werden sollten, sondern dass Garantien und bolschewistische Kampfmethoden für diese Losungen ausgearbeitet werden müssen. In groben Umrissen sind diese Methoden und Garantien die folgenden:

1. Die Partei muss bedenken und erklären, dass im Vergleich zu ihrem Hauptziel, nämlich der Eroberung der Macht mit den Waffen in der Hand, die demokratischen Losungen nur einen vorläufigen, episodischen Hilfs-Charakter besitzen. Ihre wesentliche Bedeutung besteht darin, dass sie uns erlauben, den revolutionären Weg einzuschlagen.

2. Im Verlauf dieses Kampfes für die Losungen der Demokratie muss die Partei die konstitutionellen und demokratischen Illusionen der Kleinbürgerschaft und der Reformisten zerstören, die ihre Meinungen äußern. Zu diesem Zweck muss die Partei erklären, dass man die Macht im Staat nicht durch die demokratische Wahl erhält, sondern durch den Besitz und das Monopol auf Information und Bewaffnung.

3. Indem sie die Meinungsverschiedenheiten zwischen der Klein- und Großbourgeoisie über Verfassungsfragen voll ausnutzt; indem sie sich ein großes und offenes Tätigkeitsfeld verschafft; indem sie für die legale Existenz der Gewerkschaften, der Arbeiterklubs und der Arbeiterpresse kämpft; indem sie – wann und wo immer es möglich ist – legale politische Organisationen des Proletariats unter dem direkten Einfluss der Partei schafft; indem sie versucht, die verschiedenen Gebiete der Parteiaktivität mehr oder weniger zu legalisieren, muss die Partei vor allem die Existenz ihres illegalen, zentralisierten, gut aufgebauten Apparats sichern, der alle Zweige der legalen wie auch der illegalen Parteiaktivität leitet.

4. Die Partei muss eine systematische, revolutionäre Arbeit unter den Truppen der Bourgeoisie entwickeln.

5. Die Parteiführung muss jedes opportunistische Zögern unversöhnlich entlarven, das reformistische Lösungen für die Probleme des Proletariats in China sucht, und muss alle Elemente ausscheiden, die bewusst auf eine Unterordnung der Partei unter den bürgerlichen Legalismus hinarbeiten.

Nur wenn sie diese Voraussetzungen berücksichtigt, wird die Partei in den verschiedenen Zweigen ihrer Aktivität die notwendigen Proportionen behalten. Falls wieder eine Situation entsteht, die zu einem revolutionären Fortschritt führt, wird die Partei sie nicht verstreichen lassen. Als erstes wird sie sich darum bemühen, Sowjets zu errichten, die Massen um diese zu mobilisieren und sie dem bürgerlichen Staat mit seiner ganzen parlamentarischen und demokratischen Camouflage (wenn diese verwirklicht werden sollte) entgegenzustellen.

4. Noch einmal über die Losung der demokratischen Diktatur

Die Losung der Konstituierenden Versammlung widerspricht der Formel der demokratischen Diktatur genauso wenig wie der Formel der Diktatur des Proletariats. Die theoretische Analyse und die Geschichte unserer drei Revolutionen weisen darauf hin.

In Russland war die Formel der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft der algebraische Ausdruck, mit anderen Worten, der allgemeinste, ausgedehnteste Ausdruck der Zusammenarbeit des Proletariats mit den unteren Schichten der Bauernschaft in der demokratischen Revolution. Die Logik dieser Formel war dadurch bedingt, dass ihr Hauptfaktor nicht in der Aktion überprüft worden war. Vor allem konnte man nicht kategorisch vorhersagen, ob die Bauernschaft unter den Voraussetzungen der neuen Epoche fähig sein würde, eine mehr oder weniger unabhängige politische Macht zu werden, und bis zu welchem Grad das geschehen könnte. Ebenso wenig wusste man, welche, wechselseitigen politischen Beziehungen der Verbündeten in der Diktatur sich daraus ergeben würden. Das Jahr 1905 brachte die Frage nicht bis zu einer endgültigen Entscheidung. Das Jahr 1917 zeigte: Wenn die Bauernschaft eine von der Avantgarde des Proletariats unabhängige Partei (die Sozialrevolutionäre) auf ihrem Rücken trägt, stellt sich heraus, dass diese Partei völlig von der imperialistischen Bourgeoisie abhängt. Im Lauf der Zeit von 1905-1917 machte die wachsende imperialistische Transformation sowohl der kleinbürgerlichen Demokratie wie auch der internationalen Sozialdemokratie einen riesenhaften Fortschritt. Deshalb wurde 19172 die Losung von der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft verwirklicht durch die Diktatur des Proletariats, das die Bauernmassen nach sich zog. Gerade hierdurch fand die „Transformation durch Wachstum" der Revolution, die von der demokratischen Phase ins sozialistische Lager überging, bereits unter der Diktatur des Proletariats statt.

In China könnte die Losung der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft immer noch eine gewisse politische Logik gehabt haben – weit begrenzter und episodischer als in Russland – wenn sie zur rechten Zeit, 1925-26, formuliert worden wäre, um die belebenden Kräfte der Revolution auszuprobieren, und wenn sie ebenfalls rechtzeitig durch die Diktatur des Proletariats , das die armen Bauern nach sich zieht, ersetzt worden wäre. Alles hierzu notwendige wurde in der Kritik des Programmentwurfs gesagt. Hier muss man nur noch fragen: Lässt die gegenwärtige zwischen-revolutionäre Periode, die durch eine Neugruppierung der Klassenkräfte in Anspruch genommen ist, nicht vermuten, dass die Losung der demokratischen Diktatur wieder aufkommen kann? Darauf antworten wir: Nein, dies ist völlig ausgeschlossen. Die Periode der zwischen-revolutionären Stabilisierung entspricht der Entwicklung der Produktivkräfte, dem Wachstum der Nationalbourgeoisie, dem Wachstum und dem größeren Zusammenhalt des Proletariats, der Zuspitzung der Unterschiede auf den Dörfern und der weiteren Degeneration einer Demokratie à la Wang Jingwei, oder jedem anderen kleinbürgerlichen Demokraten mit ihrer Vorstellung von einer „dritten Partei" usw. Mit anderen Worten, China wird einen Prozess durchmachen, der in seinen groben Zügen dem gleicht, den Russland unter dem Regime des 3. Juni durchmachte. Wir waren seinerzeit sicher, dass dies Regime nicht ewig und auch nicht lange dauern würde, und dass es mit einer Revolution enden müsse. Das geschah auch (ein wenig mit Hilfe des Krieges). Aber das Russland, das aus dem Regime Stolypins hervorging, war nicht mehr das Gleiche wie vorher. Die sozialen Veränderungen, die das zwischen-revolutionäre Regime in China einführen wird, hängen vor allem von der Dauer dieses Regimes ab. Aber die allgemeine Tendenz dieser Veränderungen steht von nun an fest; es ist die Verschärfung der Klassengegensätze und die vollständige Beseitigung der kleinbürgerlichen Demokratie als einer unabhängigen politischen Macht. Das bedeutet aber gerade, dass in der dritten chinesischen Revolution eine „demokratische" Koalition der politischen Parteien einen noch reaktionäreren und stärker antiproletarischen Inhalt bekommen würde, als die Kuomintang 1925-1927. Es bleibt daher nichts übrig, als eine Koalition unter der direkten Führung der proletarischen Avantgarde. Das ist der Weg des Oktober. Er bringt viele Schwierigkeiten mit sich, aber es gibt keinen anderen.

5. Anhang. Ein bemerkenswertes Dokument über die Politik und das Regime der Kommunistischen Internationale

Wir bezogen uns weiter oben mehrmals auf die bemerkenswerte Resolution des Plenums des Zentralkomitees der chinesischen Kommunistischen Partei (vom November 1927), eben jene Resolution, die das Neunte Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale des „Trotzkismus" beschuldigte und derentwegen Lominadse sich in so vielfältiger Form rechtfertigte, während Stalin sich sehr einsilbig davonschlich. In Wahrheit ist diese Resolution eine Kombination aus Opportunismus und Abenteurertum, die die Politik des Exekutivkomik es der Komintern vor und nach dem Juli 1927 vollkommen exakt spiegelt. Als die Führer der Komintern diese Resolution nach der Niederlage des Kantonaufstandes verurteilten, unterließen sie es nicht nur, sie zu veröffentlichen, sondern sie zitierten nicht einmal aus ihr. Es war für sie zu peinlich, sich im chinesischen Spiegel zu zeigen. Diese Resolution wurde in einer Sonder-Dokumentation veröffentlicht, die sehr wenigen zugänglich war, und von der chinesischen Sun-Yat-Sen-Universität herausgegeben wurde (Nr. 10).

Nummer 14 derselben Publikation, die uns erreichte, als unsere Arbeit („Die chinesische Frage nach dem Sechsten Kongress") bereits abgeschlossen war, enthält ein nicht minder bemerkenswertes Dokument, wenn es auch anders, d.h. von kritischem Charakter ist: Es handelt sich um eine Resolution, die vom Jiangsu-Komitee angenommen wurde. Man muss bedenken, dass Schanghai und Kanton ein Teil der Provinz Jiangsu sind.

Diese Resolution stellt, wie bereits gesagt wurde, ein wirklich bemerkenswertes Dokument dar, trotz der prinzipiellen Irrtümer und der politischen Missverständnisse, die sie enthält. Das Wesentliche der Resolution ist eine tödliche Verurteilung nicht nur der Beschlüsse des Neunten Plenums des Exekutivkomitees der Komintern, sondern überhaupt die Verurteilung der gesamten Führung der Komintern in Bezug auf die Fragen der chinesischen Revolution.

Natürlich trägt die Kritik gegen das Exekutivkomitee der Komintern in Übereinstimmung mit dem ganzen in der Kommunistischen Internationale herrschenden Regime einen versteckten und konventionell diplomatischen Charakter. Die unmittelbare Spitze der Resolution richtet sich gegen das Zentralkomitee selbst, als dem verantwortlichen Ministerium unter einem unverantwortlichen Monarchen, der – wie man weiß – „nichts Falsches tun kann". Es kommen sogar höfliche Entschuldigungen für gewisse Teile der Resolution des Exekutivkomitees der Komintern vor. Diese ganze Art, eine Frage zu behandeln, indem man „manövriert", ist schon an sich eine scharfe Kritik an dem Regime der Kommunistischen Internationale; Heuchelei ist von Bürokratismus untrennbar.

Was die Resolution aber im Wesentlichen über die politische Führung und ihre Methoden sagt, verurteilt diese noch viel schärfer.

Nach der Konferenz vom 7. August (1927) „berichtet das Komitee von Jiangsu, „formulierte das Zentralkomitee eine Beurteilung der Situation, die der Behauptung gleichkam, die Revolution befinde sich in einer aufsteigenden Phase, obgleich sie eine dreifache Niederlage erlitten hatte" Diese Bewertung stimmt vollkommen mit der Karikatur überein, die Bucharin von der Theorie der permanenten Revolution macht, eine Karikatur, die er zuerst auf Russland, dann auf Europa und schließlich auf Asien anwandte. Die wirklichen Ereignisse des Kampfes, d. h. die drei Niederlagen, sind eine Sache und der permanente „Aufstieg" eine andere.

Das Zentralkomitee der chinesischen Partei zieht aus der vom Achten Plenum des Exekutivkomitees der Komintern (im Mai) angenommenen Resolution folgende Schlussfolgerung:

Wo immer es objektiv möglich ist, müssen wir sofort den bewaffneten Aufstand vorbereiten und organisieren."

Welches sind die politischen Voraussetzungen dafür? Das Jiangsu-Komitee erklärt, dass im August 1927

der politische Bericht des Zentralkomitees darauf hinwies, dass die Arbeiter von Wuhan nach der grausamen Niederlage die Parteiführung im Stich lassen, dass wir nicht mit einer objektiv revolutionären Situation konfrontiert sind … aber trotzdem … sagt das Zentralkomitee deutlich, dass die allgemeine Situation ökonomisch, politisch und gesellschaftlich gesehen (genau! – L. T.) für eine Erhebung günstig ist. Da es bereits nicht mehr möglich ist, Revolten in den Städten zu veranlassen, muss der bewaffnete Kampf auf das Dorf verlagert werden. Dort müssen sich die Zentren des Aufstandes befinden, während die Stadt eine Hilfskraft sein muss." (Seite 4)

Erinnern wir uns daran, dass unmittelbar nach dem Mai-Plenum des Exekutivkomitees der Komintern, das der Kuomintang die Führung der Agrarrevolution anvertraute, diese anfing, die Arbeiter und Bauern zu vernichten. Die Haltung des EKKI wurde völlig unhaltbar. Es musste um jeden Preis und unverzüglich „linke" Aktionen in China geben, um die „Verleumdungen" der Opposition, d. h. ihre einwandfreie Prognose zurückzuweisen. Deshalb war das chinesische Zentralkomitee, das sich zwischen Hammer und Amboss befand, gezwungen, im August 1927 die proletarische Politik noch einmal völlig auf den Kopf zu stellen. Obgleich keine revolutionäre Situation bestand und die Arbeitermassen die Partei verließen, erklärte dies Komitee, dass die ökonomische und gesellschaftliche Lage seiner Meinung nach „günstig" für die Erhebung sei. Jedenfalls wäre eine siegreiche Erhebung „günstig" für das Prestige des Exekutivkomitees der Komintern gewesen. Angesichts der Tatsache, dass die Arbeiter der Revolution den Rücken kehrten, war es also notwendig, den Städten den Rücken zu kehren und sich um isolierte Aufstände auf den Dörfern zu bemühen.

Bereits im Mai-Plenum (1927) des EKKI wiesen wir darauf hin, dass die abenteuerlichen Aufstände von He Long und Ye Ting unausweichlich zum Scheitern verurteilt waren, da sie politisch unzureichend vorbereitet waren und mit keiner Massenbewegung zusammenhingen. Genau das geschah. Die Resolution des Jiangsukomitees sagt zu diesem Thema:

Trotz der Niederlage der Armeen von He Long und Ye Ting in Guangdong, besteht das Zentralkomitee selbst nach dem November-Plenum auf der Taktik der sofortigen Aufstände und geht von einer Einschätzung aus, die zum direkten Aufstieg der Revolution führt.“

Verständlicherweise übergeht das Jiangsukomitee schweigend die Tatsache, dass diese Bewertung auch die des Exekutivkomitees der Komintern selbst war, das diejenigen als „Liquidatoren" behandelte, die die Lage richtig einschätzten, und die Tatsache, dass das chinesische Zentralkomitee gezwungen war, im November 1927 unter der Androhung, sofort gestürzt und aus der Partei geworfen zu werden, den Niedergang der Revolution als ihren Aufstieg darzustellen.

Der Kanton-Aufstand brach aus, weil er sich auf diese verdrehte Beurteilung der Lage stützte; offenbar wurde dieser Aufstand nicht als Rückzugsgefecht betrachtet, (nur völlig Verrückte hätten darauf drängen können, durch ein „Rückzugsgefecht" zum Aufstand und der Eroberung der Macht überzugehen), nein, der Aufstand war als Teil des allgemeinen Staatsstreichs geplant. Die Jiangsu-Resolution sagt hierzu folgendes:

Während des Kanton-Aufstandes im Dezember beschloss das Zentralkomitee noch einmal in Hunan, Hubei und Jiangsu sofort den Aufstand zu beginnen, um Guangdong zu verteidigen, um das Gerüst der Bewegung über ganz China auszudehnen (das kann nach den Informationsbriefen des Zentralkomitees Nr. 16 und Nr. 22 nachgeprüft werden). Diese Maßnahmen ergaben sich aus einer subjektiven Einschätzung der Situation und entsprachen nicht den objektiven Umständen. Offenbar werden unter derartigen Bedingungen Niederlagen unvermeidlich.“ (S. 5)

Die Erfahrung von Kanton erschreckte nicht nur die Führer in China sondern auch die in Moskau. Es wurde eine Warnung gegen den Putschismus ausgegeben, aber im Wesentlichen änderte sich die politische Linie nicht. Die Orientierung blieb dieselbe: Sie war auf den Aufstand gerichtet. Das Zentralkomitee der chinesischen KP gab diese zweideutige Instruktion an die unteren Stellen weiter; sie warnte auch vor der Taktik der Scharmützel, während sie in ihren Rundschreiben akademische Definitionen von Abenteurertum niederlegte.

Angesichts der Tatsache aber, dass das Zentralkomitee sich in seiner Einschätzung der revolutionären Bewegung auf einen ununterbrochenen Fortschritt stützte" wie die Jiangsu-Resolution richtig und treffend bemerkt, „wurden in dieser Frage keine grundlegenden Veränderungen vorgenommen. Die Kräfte des Feindes werden viel zu sehr unterschätzt und gleichzeitig schenkt man der Tatsache, dass unsere Organisationen den Kontakt mit den Massen verloren haben … keine Aufmerksamkeit. Daher korrigierte das ZK, obgleich es seinen Informationsbrief Nr. 28 überallhin geschickt hatte (über Putschismus), nicht gleichzeitig seine Fehler." (S. 5)

Noch einmal, es geht nicht um das ZK der chinesischen Partei. Das Februar-Plenum des Exekutivkomitees der Komintern änderte seine Politik auch nicht ab. Die Resolution dieses Plenums fiel wütend über die Opposition her, die einen drastischen Wechsel in der gesamten Orientierung für notwendig hielt; gleichzeitig warnte die Resolution aber vor der Taktik der Scharmützel im allgemeinen (um sich auf alle Fälle abzusichern). Im Februar 1928 war der Kurs wie zuvor auf den Aufstand gerichtet. Das Zentralkomitee der chinesischen KP diente nur als Mechanismus, um die Instruktion weiterzugeben. Das Jiangsukomitee sagt:

Der Rundbrief des ZK Nr. 38, vom 6. März (man beachte sorgfältig: 6. März 1928! – L. T.) zeigt sehr klar, dass das Zentralkomitee sich weiterhin Illusionen machte, darüber, dass der Augenblick für einen allgemeinen Aufstand in Hunan, Hubei und Jiangsu günstig ist, und dass die Macht in der ganzen Provinz Guangdong erobert werden kann. Der radikale Streit zwischen dem Politbüro des ZK und dem Instrukteur des ZK in Hunan und Hubei über die Wahl von Changsha oder Hankou als Zentrum des Aufstandes dauern immer noch an.“ (Seite 5)

Das war die verheerende Wirkung der Resolution des Februarplenums, die nicht nur prinzipiell falsch sondern auch was die Praxis betrifft zweideutig war. Der Gedanke, der sich hinter dieser Resolution verbirgt, war immer derselbe: Wenn sich, der Aufstand entgegen den Erwartungen ausdehnt, werden wir auf den Teil hinweisen, der gegen die Liquidatoren spricht; wenn der Aufstand nur bis zu Partisanengeplänkeln kommt, dann werden wir auf den Teil der Resolution zeigen, der vor dem Putschismus warnt.

Obgleich die Jiangsu-Resolution es nirgends wagt, das ZK der Kommunistischen Internationale zu kritisieren (jeder weiß, was das kostet), so hat dennoch die Opposition in keinem ihrer Dokumente der Führung der Komintern so tödliche Schläge versetzt, wie das Jiangsu-Komitee mit seiner Anklage, die formal gegen das Zentralkomitee der chinesischen KP gerichtet ist. Nachdem die Resolution Monat für Monat chronologisch die Abenteurerpolitik registriert, wendet sie sich den allgemeinen Ursachen für diesen verhängnisvollen Kurs zu.

Wie kann man", fragt die Resolution, „diese, falsche Einschätzung der Situation durch das ZK erklären, die den praktischen Kampf beeinflusste und schwerwiegende Irrtümer enthielt? Man muss sie folgendermaßen erklären:

1. Die revolutionäre Bewegung wurde als ein ununterbrochener Aufstieg betrachtet (die „permanente Revolution" à la Bucharin-Lominadse! – L. T.)

2. Man beachtete weder, dass unsere Partei den Kontakt zu den Massen verloren hatte, noch dass die Massenorganisationen sich am Wendepunkt der Revolution auflösten.

3. Die erneute Umgruppierung der Klassenkräfte innerhalb des feindlichen Lagers während dieser Wende wurde nicht berücksichtigt.

4. Die Führung der Bewegung in den Städten wurde nicht bedacht.

5. Die Bedeutung des anti-imperialistischen Kampfes in einem halbkolonialen Land wurde nicht beachtet.

6. Während des Aufstandes wurden weder die objektiven Bedingungen berücksichtigt, noch die Notwendigkeit, in Übereinstimmung mit ihnen verschiedene Kampfmethoden anzuwenden.

7. Eine Bauern-Abweichung machte sich spürbar.

8. Das Zentralkomitee wurde in seiner Beurteilung der Lage durch einen subjektiven Gesichtspunkt geführt.“

Es ist zu bezweifeln, dass das Jiangsu-Komitee gelesen hat, was die Opposition zu all diesen Fragen schrieb und sagte. Man kann sogar mit Sicherheit behaupten, dass es dies nicht tat. Anderenfalls hätte es sicherlich Angst gehabt, seine Erwägungen so exakt zu formulieren, die in diesem Teil vollkommen mit unseren übereinstimmen. Das Jiangsu-Komitee wiederholte unsere Worte, ohne es zu ahnen

Die oben aufgezählten acht Punkte, die die falsche Linie des ZK (d.h. des Exekutivkomitees der Komintern) charakterisieren, sind gleich wichtig. Wenn wir gerade über A und B ein paar Worte sagen wollen, so nur darum, weil wir hier eine besonders schlagende Bestätigung „durch Tatsachen" dafür vor uns haben, dass unsere Kritik in ihren wesentlichen Zügen richtig ist. Die Jiangsu-Resolution beschuldigt die Politik des ZK, die Probleme der anti-imperialistischen Bewegung in einem halbkolonialen Land zu vernachlässigen. Wie konnte das geschehen? Durch die Dialektik der falschen politischen Linie; Fehler, wie alles auf der Welt, haben ihre Dialektik. Der Ausgangspunkt des offiziellen Opportunismus war, dass die chinesische Revolution im Wesentlichen eine anti-imperialistische Revolution ist, und dass das Joch des Imperialismus alle Klassen, oder zumindest „alle lebenden Kräfte des Landes" zusammenschweißt.

Wir wandten ein, dass ein erfolgreicher Kampf gegen den Imperialismus nur durch eine kühne Ausweitung des Klassenkampfes und folglich die Agrarrevolution möglich ist. Wir wandten uns unnachgiebig gegen den Versuch, den Klassenkampf dem abstrakten Kriterium des Kampfes gegen den Imperialismus unterzuordnen (Schlichtungskommissionen statt Streikbewegung, telegraphische Ratschläge, die Agrarrevolution nicht anzuregen, das Verbot Sowjets zu errichten usw.) Das war das erste Stadium der Angelegenheit. Nach Tschiang Kai-scheks Staatsstreich und besonders nach dem „Verrat" des „Freundes" Wang Jingwei fand eine Drehung um 180 Grad statt. Jetzt stellt sich heraus, dass die Frage der Zollunabhängigkeit, d. h. der wirtschaftlichen „(und folglich der politischen)“ Souveränität Chinas ein zweitrangiges „bürokratisches" Problem ist (Stalin). Das Wesen der chinesischen Revolution bestand angeblich in der Agrarrevolte. Die Machtkonzentration in den Händen der Bourgeoisie, der Rückzug der Arbeiter von der Revolution, die Spaltung zwischen Partei und Massen wurden als zweitrangige Phänomene im Vergleich mit den Bauernaufständen eingeschätzt. Statt einer echten Hegemonie des Proletariats sowohl im anti-imperialistischen wie im Agrarkampf, d. h. in der demokratischen Revolution insgesamt, fand eine klägliche Kapitulation vor den ursprünglichen Bauernkräften mit „sekundären" Abenteuern in den Städten statt. Eine derartige Kapitulation ist aber die wesentliche Voraussetzung für den Putschismus. Die ganze Geschichte der revolutionären Bewegung in Russland wie auch in anderen Ländern bezeugt das. Die Ereignisse in China im letzten Jahr haben es bestätigt.

Die Opposition nahm zum Ausgangspunkt ihrer Beurteilung und Warnungen allgemeine theoretische Erwägungen, wobei sie sich auf offizielle Informationen stützte, die sehr unvollständig und manchmal absichtlich verzerrt waren. Das Jiangsu-Komitee hatte Tatsachen zum Ausgangspunkt, die es direkt im Zentrum der revolutionären Bewegung beobachtete; theoretisch betrachtet windet sich das Komitee noch in den Schlingen der bucharinschen Scholastik. Dass seine empirischen Schlussfolgerungen vollkommen mit unseren eigenen übereinstimmen, hat in der Politik dieselbe Bedeutung wie z. B. in der Chemie die Entdeckung eines neuen Elements in Laboratorien, dessen Existenz auf Grund theoretischer Deduktionen schon vorausgesagt wurde. Leider hat der theoretische Triumph unserer marxistischen Analyse in dem vorliegenden Fall tödliche Niederlagen für die Revolution zur Grundlage.

Die abrupte und im Wesentlichen abenteuerliche Wendung in der Politik des Exekutivkomitees der Komintern Mitte 1927 musste schmerzhafte Schocks in der chinesischen Kommunistischen Partei bewirken, die infolgedessen abgelenkt wurde. Hier kommen wir von der politischen Linie des Exekutivkomitees der Komintern zum Regime der Komintern und zu den organisatorischen Methoden der Führung. Das Jiangsu-Komitee sagt zu diesem Punkt:

Nach der Konferenz vom 7. August (1927) hätte das Zentralkomitee die Verantwortung für die putschistischen Tendenzen auf sich nehmen sollen, denn es verlangte von den Ortskomitees rigoros, die neue politische Linie anzuwenden; wenn irgendjemand nicht mit der neuen Linie übereinstimmte, wurde ihm ohne weitere Zeremonien nicht erlaubt, sein Parteibuch zu erneuern, und selbst Genossen, die das bereits getan hatten, wurden ausgeschlossen. … Damals machte die putschistische Stimmung in der ganzen Partei große Fortschritte; wenn irgendjemand Zweifel an der Politik der Aufstände ausdrückte, wurde er sofort als Opportunist bezeichnet und erbarmungslos angegriffen. Dieser Umstand rief große Reibungen innerhalb der Parteiorganisation hervor.“ (S. 6)

All das fand statt unter der Begleitung von frommen akademischen Warnungen vor der Gefahren des Putschismus „im Allgemeinen".

Die Politik eines plötzlichen, hastig improvisierten bewaffneten Aufstandes erforderte eine schnelle Überholung und Umgruppierung der gesamten Partei. Das Zentralkomitee duldete in der Partei nur diejenigen, die den Kurs des bewaffneten Aufstandes stillschweigend anerkannten, angesichts eines offensichtlichen Niedergangs der Revolution. Es wäre gut, die Instruktionen des Exekutivkomitees der Komintern während dieser Zeit zu veröffentlichen. Sie könnten auf eine einzige reduziert werden: eine Instruktion zur Organisierung der Niederlage. Das Jiangsu-Komitee erklärt:

Das ZK nimmt auch weiterhin keine Notiz von den Niederlagen und der deprimierten Stimmung der Arbeiter; es sieht nicht, dass die Lage sich aus den Fehlern der Führung ergibt.“ (Seite 6. )

Aber das ist nicht alles:

Das ZK beschuldigt diesen oder jenen (sic! – L. T.) dafür, dass

a. die Ortskomitees die Reorganisation nicht hinreichend gut überprüft haben;

b. die Arbeiter und Bauern nicht vorwärts getrieben werden;

c…. die örtlichen Organisationen nicht von opportunistischen Elementen gereinigt sind usw."

All das geschieht abrupt und per Telegramm: auf diese oder jene Art muss der Opposition der Mund verschlossen werden. Aber da die Sache schlecht steht, versichert das ZK dennoch, dass

„…Die Einstellung der Massen vollständig anders wäre, wenn das Zeichen für den Aufstand wenigstens in einer einzigen Provinz gegeben worden wäre. Bedeutet dieser letzte Hinweis nicht einen hundertprozentigen Putschismus des ZK selbst?“ (S. 6 ) fragt das Jiangsu-Komitee ganz zu Recht, indem es klugerweise übergeht, dass das Zentralkomitee nur die Instruktionen des Exekutivkomitees der Komintern ausführte.

Fünf Jahre lang wurde die Partei in opportunistischem Geist geführt und erzogen. Gegenwärtig verlangt man von ihr, ultraradikal zu sein, und „sofort" Arbeiterführer zu „beschaffen". Wie? … Sehr einfach: indem man einen gewissen Prozentsatz festsetzt.

Das Jiangsu-Komitee beklagt sich:

1) Es wird nicht berücksichtigt, dass die, die die Führungskader ergänzen sollen, im Lauf des Kampfes befördert werden sollten. Das ZK dagegen beschränkt sich darauf, im Voraus formal einen festen Prozentsatz von Arbeitern und Bauern in den leitenden Organen der verschiedenen Organisationen .festzusetzen.

2) Trotz der zahlreichen Fehlschläge untersuchen sie nicht, wie weit unsere Partei bereits wieder aufgebaut ist, sondern sie sagen einfach formal, dass es notwendig sei, zu reorganisieren.…

3. Das ZK stellt einfach diktatorisch fest, dass die örtlichen Organisationen keine neuen Leute aufstellen, dass sie sich nicht vom Opportunismus losmachen; gleichzeitig macht das ZK grundlose Angriffe auf die Mitglieder der Kader und ersetzt diese leichtfertig…"

Sieht das nicht so aus, als ob alle diese Paragraphen aus der Plattform der Opposition abgeschrieben wären? Nein, sie sind vom Leben abgeschrieben. Aber da die Plattform ebenfalls vom Leben kopiert ist, gibt es eine Übereinstimmung. Wo ist dann die „Besonderheit" der chinesischen Bedingungen? Der Bürokratismus beseitigt jede und alle Besonderheiten. Die Politik wie auch das Regime werden durch das Exekutivkomitee der Komintern, genauer durch das ZK der Kommunistischen Partei der Sowjetunion bestimmt. Das Zentralkomitee der chinesischen Kommunistischen Partei gibt beide in die unteren Organe weiter. Das findet nach der Jiangsu-Resolution folgendermaßen statt:

Die folgende Erklärung von einem Genossen des Distriktkomitees ist sehr charakteristisch: „Augenblicklich ist es sehr schwierig zu arbeiten; aber das ZK hat offenbar eine sehr subjektive Art, die Probleme zu betrachten Es fällt mit Anschuldigungen über das Provinzkomitee her und sagt, dass es zu nichts tauge; dies Komitee beschuldigt seinerseits die unter ihm stehenden Organisationen und versichert, dass das Distriktkomitee schlecht ist. Letzteres beginnt ebenfalls Anschuldigungen zu erheben und versichert, dass die Genossen, die die Kleinarbeit machen, nichts taugen. Und die Genossen erklären, dass die Massen nicht revolutionär sind." (Seite 8.)

Hier hat man wirklich ein erstaunliches Bild vor Augen. Nur hat es nichts besonders chinesisches an sich.

Jede Resolution des Exekutivkomitees der Komintern erklärt bei der Registrierung neuer Niederlagen, dass einerseits alles vorausgesehen wurde und dass andererseits die „Ausführenden" die Ursache der Niederlagen sind, da sie die Linie nicht verstanden, die ihnen von oben angegeben war. Unerklärlich bleibt, warum die voraussehende Führung alles voraussehen konnte, außer der Tatsache, dass die Ausführenden ihren Instruktionen nicht nachkommen. Die wesentliche Aufgabe der Führung besteht nicht darin, eine abstrakte Linie anzubieten und einen Brief ohne Adresse zu schreiben, sondern in der Auswahl und Erziehung der Ausführenden. Die Richtigkeit der Führung wird gerade durch die Ausführung nachgeprüft. Die Verlässlichkeit und Voraussicht der Führung werden nur dann bestätigt, wenn Worte und Taten übereinstimmen. Wenn die Führung aber chronisch von einem Stadium zum nächsten, im Lauf vieler Jahre gezwungen ist, sich post factum bei jeder Wendung zu beklagen, dass sie nicht verstanden wurde, dass ihre Ideen entstellt wurden, dass die Ausführenden ihre Pläne ruiniert haben, dann ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass der Fehler ausschließlich bei der Führung liegt. Diese „Selbstkritik" ist umso mörderischer, da sie unbewusst und unfreiwillig ist. Nach dem Sechsten Kongress muss die Führung der Opposition für jede Gruppe Abtrünniger verantwortlich gemacht werden; aber im Gegensatz dazu soll die Führung der Komintern in keiner Weise für das Zentralkomitee aller nationalen Parteien in den entscheidendsten historischen Augenblicken einstehen müssen. Eine Führung aber, die für nichts verantwortlich ist, ist eine unverantwortliche Führung. Hierin liegt die Wurzel des Übels.

Das ZK der chinesischen KP stützt sich – um sich gegen die Kritik aus den unteren Reihen zu verteidigen – auf das Exekutivkomitee der Komintern, d. h. es zieht einen Kreidestrich auf dem Fußboden, der nicht übertreten werden kann. Auch das Jiangsu-Komitee überschreitet ihn nicht. Aber innerhalb der Grenzen dieses Kreidestrichs sagt es seinem Zentralkomitee einige bittere Wahrheiten, die sich automatisch auf das Exekutivkomitee ausdehnen. Noch einmal sehen wir uns genötigt, einen Auszug aus dem bemerkenswerten Dokument von Jiangsu zu zitieren:

Das ZK sagt, dass die gesamte frühere Führung in Übereinstimmung mit den Instruktionen der Komintern ausgeübt wurde. Als ob all dieses Zögern und diese Irrtümer nur von den gemeinen Mitgliedern abhingen. Wenn man die Frage dermaßen angeht, wird das ZK selbst weder im Stande sein, die Fehler zu korrigieren noch die Genossen zu erziehen, damit sie aus dieser Erfahrung lernen. Es wird nicht fähig sein, seinen Kontakt zu dem unteren Parteiapparat zu stärken. Das Zentralkomitee sagt immer, dass seine Führung richtig war; es beschuldigt die einfachen Genossen aller Fehler, wobei es immer das Zögern der unteren Parteikomitees besonders hervorhebt."

Etwas weiter:

Wenn die Führung nur leichtfertig die örtlich führenden Genossen oder Organe angreift, indem sie auf deren Irrtümer hinweist, aber ohne wirklich die Quelle dieser Fehler zu analysieren, so verursacht das nur Reibereien mit der Partei. Eine derartige Haltung ist illoyal („unverschämt und illoyal" – L. T. ) und kann der Revolution und der Partei nicht gut tun. Wenn die Führung selbst ihre Irrtümer deckt, und andere beschuldigt, so wird ein derartiges Verhalten weder der Partei noch der Revolution nützen." (Seite 10)

Die Bemühung des bürokratischen Zentrismus, das Bewusstsein zu vernichten und zu schwächen, wird hier einfach aber klassisch geschildert.

Die Jiangsu-Resolution zeigt auf ganz beispielhafte Weise wie und mit welchen Methoden die chinesische Revolution in zahlreiche Niederlagen und die chinesische Partei an den Rand der Katastrophe gebracht wurde. Denn die imaginären hunderttausend Mitglieder, die auf dem Papier der chinesischen KP angehören, sind nichts als ein großer Selbstbetrug. Sie würden sonst ein Sechstel der Gesamtmitgliederzahl der Kommunistischen Parteien aller kapitalistischen Länder ausmachen. Der chinesische Kommunismus wird noch lange für die Verbrechen der Führung bezahlen müssen.

Ein weiterer Niedergang ist im Anzug. Es wird sehr schwer sein, sich wieder zu erheben. Jeder falsche Schritt wird die Partei in einen tieferen Abgrund schleudern. Die Resolution des Sechsten Kongresses verurteilte die chinesische KP zu Irrtümern und falschen Schritten. Beim augenblicklichen Kurs der Kommunistischen Internationale und unter ihrer gegenwärtigen Führung ist ein Sieg unmöglich. Der Kurs muss geändert werden. Das sagt die Resolution des Jiangsu-Provinzkomitees noch einmal.

Alma Ata, 4. Oktober 1928

* Es muss nicht erwähnt werden, dass die Prawda diese Resolution, auf die wir uns oben bezogen, nicht veröffentlicht hat. Man findet sie nur in „Material über die chinesische Frage" (Nr. 10, 1928, herausgegeben von der chinesischen Sun-Yat-Sen-Universität) und sie ist sehr schwer zu beschaffen. Es handelt sich um dieselbe Resolution, die offiziell des „Trotzkismus" beschuldigt wird, obgleich sie in Wahrheit nichts ist, als der stalinistisch-bucharinsche Opportunismus auf den Kopf gestellt.

1 russisches Sprichwort (Anm. d. Übers.)

2 In der Vorlage steht irrtümlich „1919“. In Leo Trotzki, Schriften, Band 2.1 (S. 436), steht 1917

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