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Leo Trotzki 19281100 Die Krise des rechts-zentristischen Blockes und die Perspektiven

Leo Trotzki: Die Krise des rechts-zentristischen Blockes und die Perspektiven

[Nach Fahne des Kommunismus, 3. Jahrgang 1929, Nr. 11 (15. März) S. 85f., Nr. 12 (22. März), S. 89f., Nr. 13 (5. April), S. 97-99, Nr. 14 (12. April), S. 107 f., Nr. 15 (19. April), S. 113-115, Nr. 16 (26. April), S. 121-123]

1. Die Krise des Blockes.

Die Kampagne gegen die Rechten eröffnet ein einigermaßen neues Kapitel. Diese Kampagne unterscheidet sich von anderen durch viel Geräusch und außerordentlichem Lärm – dabei fehlt jede politische Bestimmtheit. Die Kampagne ist vor allem ein literarischer Deckmantel für die organisierte Arbeit der Stalinleute hinter den Kulissen, für ihre Rechtfertigung vor der Partei. Politisch kann die Kampagne auch nichts Konkretes aufweisen, denn sonst müsste man die gemeinsamen Sünden der Rechten und des Zentrums aufzählen. Aber zu gleicher Zeit zeigt die Kampagne die Krise an, – noch nicht den Zerfall, aber schon eine ernste Krise des regierenden Blockes. Das vorhergehende Abgleiten hat den Übergang der Quantität in eine neue Qualität vorbereitet. Die offene soziale Umwandlung von bedeutenden Gruppen und Schichten der Partei schaut aus allen Spalten hervor. Der Zentrismus erschrickt vor den „reifsten" Früchten seiner Hände, besonders unter der Peitsche der Opposition. Aber der Zentrismus ist an Händen und Füßen gebunden, – durch den gestrigen Tag, durch seine „national-sozialistische" Einstellung, durch seine politische Kleinspalterei, durch seine theoretische Armut. Bei der Attacke auf die Rechten ist er sorgfältig bedacht, sich nicht selbst zu verwunden. Hieraus folgt der zwiespältige Charakter der ganzen Kampagne: wenn sie praktisch die Reinigung der Partei von den offenen Elementen des Ustrjalowismus bedeuten kann und die Verzögerung des Abgleitens und der Umwandlung, so bedeutet sie aber zu gleicher Zeit auch die weitere Desorganisierung des Parteigedankens, die weitere Zerweichung der marxistischen Methode und damit die Vorbereitung zu neuen noch wirreren und gefährlichen Etappen in der Entwicklung der Partei.

Stalin und Molotow versuchen die Sache so darzustellen, als ob ihre Linie die des unversöhnlichen Kampfes wie gegen die linken „Pessimisten" so auch gegen die rechten Liquidatoren sei.

Ein ganz großer Unsinn ist der zentrale Gedanke der jetzigen Kampagne, als ob die marxistische Politik aus dem Kampf gegen rechts und links bestehe, und dabei aus einem gleich unversöhnlichen Kampf nach beiden Seiten. Rechts von der marxistischen Politik steht die mächtige Welt des Imperialismus mit ihrer noch immer gigantischen versöhnlerischen Agentur. Das Ist der Feind. Links von der marxistischen Linie können nur fehlerhafte Tendenzen innerhalb des Proletariats selbst, die Kinderkrankheiten der Partei usw. sein. Der äußerste Ausdruck dieser falschen Linksheit ist der Anarchismus. Aber die Stärke und der Einfluss dieser Tendenzen sind desto kleiner, desto geringfügiger, je kühner je entschlossener, und folgerichtiger die revolutionäre Partei den Opportunismus bekämpft. Das ist im Besonderen das historische Verdienst des Bolschewismus. Der Kampf nach links trug beim Bolschewismus immer nur einen episodenhaften, untergeordneten Charakter. Die Stalinsche Formel „einen gleich unversöhnlichen“ Kampf nach rechts und links – ist keine bolschewistische Formel, sondern eine traditionelle Formel des kleinbürgerlichen Radikalismus. Diese Tradition ist von der jetzigen Sozialdemokratie in all ihren Schattierungen übernommen worden. Die Formel des Kampfes nach rechts und links als eine leitende Formel charakterisiert, allgemein gesprochen, jede Partei, die zwischen den Hauptklassen der jetzigen Gesellschaft laviert. Unter den Bedingungen bei uns ist diese Formel der politische Pass des Zentrismus. Sonst könnte man die Lösung der Frage nicht finden: wie konnte die Fraktion Stalin-Molotow im engen Block mit den bürgerlich-restaurierenden Rechten bestehen? Und noch mehr: wie kann sie faktisch auch jetzt noch im Block verbleiben? Und doch ist die Antwort so einfach: der regierende Block war nicht ein widernatürliches Bündnis des Bolschewismus mit der bürgerlichen Restauration, sondern ein Bündnis des abgleitenden rechten Zentrismus mit dem Ustrjalowismus. Dieses Bündnis ist kein widernatürliches. Der Block der Zentristen verschiedener Färbung mit den offenen Versöhnlern und sogar mit Verrätern bei einem heftigen Kampf gegen die Linken ist in der gesamten Geschichte der Arbeiterbewegung zu finden. Wenn Stalin und Molotow heute eine „zornige" Charakteristik des rechten Flügels geben, indem sie sie teilweise aus der oppositionellen Plattform abschreiben, so geben sie hiermit zum besten ihre eigene Charakteristik, die Charakteristik ihrer Linie, ihrer Gruppierung. Auf diese Art und Weise befassen sie sich mit einer tödlichen „Selbstkritik", ohne dass sie es ahnen. Aber vielleicht hat sich die Lage jetzt radikal geändert nach der Erklärung des sogenannten unerbittlichen Kampfes gegen die rechte Abweichung? Vorläufig wäre es zum mindesten leichtfertig, irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen. Den Leninistischen Flügel auf die Regierungsposten, den rechten – hinter den Ural und den Kaukasus. Das entscheidet. Klar ist eins: die Zeit der Sorglosigkeit für den Block der Zentristen mit den Rechten ist vorüber. Der Februarrutsch der Zentristen hat seine inneren Zickzackwege. Von Februar bis Juli, von Juli bis November und weiter. Sehr eilfertig haben die Genossen geurteilt, die da meinten, dass das Juliplenum den Kampf der Zentristen mit den Rechten beendet habe, und dass die Widersprüche zwischen ihnen jede politische Bedeutung verloren hatten. Nein, das ist falsch. Ebenso falsch wäre es aber, zu meinen, dass das Zerwürfnis zwischen den Zentristen und den Rechten unwiderruflich wäre. Und vollkommen leichtsinnig wäre es, wenn man die Umkehr des Zentrismus auf den Weg der Rechten für ausgeschlossen halten würde.

Aus dieser allgemeinen Kennzeichnung der Kampagne, als einer durch und durch zwiespältigen, ergeben sich auch die Aufgaben der Bolschewiken-Leninisten. Einerseits ist jeder wirkliche, noch so schüchterne Schritt nach links der Führer des Zentrismus zu unterstützen, andererseits sind diese Genossen der Führung des Zentrismus gegenüberzustellen, um die Prinzipienlosigkeit und die Unzulänglichkeit der Führung zu entlarven. Diese beiden Aufgaben werden dem Wesen nach mit ein und denselben Methoden gelöst.

Die Unterstützung eines jeden Schrittes nach links drückt sich eben dadurch aus, dass die Bolschewiken-Leninisten in jedem konkreten Fall klar und deutlich das wirkliche Ziel formulieren, die echten bolschewistischen Methoden propagieren und die lügenhafte Halbheit der zentristischen Führung entlarven.

Eine andere Unterstützung kann nicht sein. Dafür ist diese auch die wirksamste.

Die Klarheit der allgemeinen Aufgaben nimmt uns aber nicht die Verpflichtung ab, uns näher mit der neuen Etappe zu belassen, und sie ganz konkret zu formulieren im Licht der allgemeinen Entwicklung der Partei und der Revolution.

2. Fünf Jahre der gesellschaftlich-politischen Reaktion auf der Grundlage der proletarischen Diktatur

Man muss klar und deutlich sagen: das Jahrfünft nach Lenins Tode war ein Jahrfünft der gesellschaftlich-politischen Reaktion. Und die nachleninsche Leitung wurde ein unfreiwilliger, aber desto wirklicherer Ausdruck dieser Reaktion, und damit zur Waffe dieser Reaktion.

Perioden der Reaktion im Gegensatz zu der Konterrevolution – entstehen unter der Herrschaft ein und derselben Klassen. Die feudale Selbstherrschaft kannte Perioden der „liberalen" Reformen und der „leibeigenen'" Konterreformen. Die Herrschaft der Bourgeoisie, angefangen von der Epoche der großen Revolutionen, kannte den Wechsel von Perioden stürmischer Bewegung nach vorwärts mit Perioden des Zurückweichens. Hierdurch wurde zum Teil des Wechsel der verschiedenen Parteien an der Macht bestimmt in den verschiedenen Perioden der Herrschaft einer und derselben kapitalistischen Klasse.

Nicht nur die Theorie, sondern auch die lebendige Erfahrung der letzten elf Jahre zeugen davon, dass auch das proletarische Regime nicht nur Perioden der Vorwärtsbewegung kennt, sondern auch Perioden der gesellschaftlich-politischen Reaktion. Natürlich nicht der Reaktion „überhaupt", sondern der Reaktion auf der Grundlage der siegreichen proletarischen Revolution, die der kapitalistischen Welt entgegensteht. Der Wechsel dieser Perioden wird durch den Gang des Klassenkampfes bestimmt. Die Perioden der Reaktion ändern die Grundlage der Klassenherrschaft nicht, d.h. sie bedeuten nicht den Übergang der Macht von der einen Klasse zu der anderen (das würde schon die Konterrevolution bedeuten), sie bedeuten aber eine Änderung der Klassenverhältnisse und eine Umgruppierung der Elemente innerhalb der Klasse. Die Periode der Reaktion wurde nach einer Periode einer mächtigen revolutionären Vorwärtsbewegung im Wesentlichen bei uns dadurch hervorgerufen, dass die zerschlagenen, zurückgedrängten oder erschrockenen alten besitzenden Klassen dank der objektiven Lage und der Fehler der revolutionären Leitung ihre Kräfte wieder sammeln und allmählich zum Angriff übergehen konnten, hauptsächlich durch den bürokratischer Apparat. Andererseits hat die siegreiche Klasse, das Proletariat das seinerzeit von außen nicht unterstützt wurde, und immer neuen Schwierigkeiten gegenüberstand, die Kraft des ersten Anstürmens verloren und sich differenziert, indem es nach oben hin die selbstherrliche Bürokratie abstieß und nach unten die müden und direkt hoffnungslosen Elemente aufnahm. Der schwachen Aktivität des Proletariats steht die wachsende Aktivität der bürgerlichen Klassen gegenüber, d. h. vor allem jener Schichten des Kleinbürgertums, die auf den alten Ausbeutungswegen nach oben streben.

Es ist unnötig, zu beweisen, dass diese Prozesse der inneren Reaktion nur unter den Bedingungen der schwersten Niederlagen des Weltproletariats und der immer sicherer bildenden Position der imperialistischen Bourgeoisie sich entwickeln und eine solche Kraft erhalten konnten. Die Niederlage der internationalen Revolution ist wiederum im entscheidenden Maßstabe von der zentristischen Linie der Führung der Komintern bestimmt worden, einer Linie, die ganz besonders gefährlich ist wahrend der großen revolutionären Krisen.

Man kann erwidern: Kann man denn die Periode des wirtschaftlichen Wachsens des sozialistischen Aufbaues des Landes usw. Reaktion nennen? Aber diese Erwiderung geht glatt am Ziel vorbei. Der Aufbau ist ein widerspruchsvoller Prozess. Das erste Stadium der Aufschwunges nach den Jahren der Zerrüttung und des Hungers, das Stadium des Restaurations-Prozesses, hat gerade die Bedingungen der gesellschaftlich-politischen Reaktion geschaffen; die ausgehungerte Arbeiterklasse war dazu geneigt, zu glauben, dass auch jetzt alles ohne Aufenthalt vorwärts gehen wird. Von oben her hat man sie darin noch gestärkt. Aber unterdessen hat der Aufschwung seine Widersprüche gezeigt, die durch die blinde und falsche Politik der Leitung noch vertieft wurden, die zur Verringerung seines politischen Selbstgefühls führte. Natürlich hat der Umstand, dass der wirtschaftliche Aufschwung das Proletariat in den Fabriken und Betrieben wieder sammelte, seine Kader erneut aufgefüllt und dadurch sind soziale Vorbedingungen für einen neuen revolutionären Aufschwung des Proletariats geschaffen. Aber das gehört schon zum nächsten Stadium. Es sind Symptome vorhanden, die die Annahme gestatten, dass diese politische Belebung schon angefangen hat und einer der Faktoren ist, die die Zentristen auf die Seite der Selbstkritik und zum Kampfe gegen die Rechten vorwärts gepeitscht haben. Es ist unnötig, zu sagen, dass in dieser Richtung auch der stählerne Splitter der Opposition wirkt, und welchen kein Chirurg aus dem Körper der Partei herausziehen kann. Beide Umstände, das Lebendigwerden der Arbeitermassen und de oben „unerwartete“ Rührigkeit der Opposition eröffnet, wenn nicht alles täuscht, eine neue Periode, mit der nicht zufällig der Kampf der Zentristen gegen Rechts zusammenfällt. Die frühere Periode, die sich aufgrund des Restaurationsprozesses mit all seinen Illusionen entwickelt hat, ist charakterisiert durch das Sinken der Aktivität des Proletariats, durch das Lebendigwerden der bürgerlichen Schichten, dem Ersticken der Arbeiterdemokratie, und der darauf folgenden Zerschlagung des linken Flügels. Mit anderen Worten: das war eine Periode der gesellschaftlich-politischen Reaktion.

Die Periode der Reaktion ist ideologisch durch den Kampf gegen den den „Trotzkismus" gefärbt. Unter diesem Namen figurierten in der offiziellen Presse ganz verschiedenartige und oft gar nicht zusammenpassende Ideen, Splitter der Vergangenheit, bolschewistische Aufgaben der Gegenwart, untergeschobene Zitate usw. Aber im Allgemeinen wurde mit Trotzkismus all das benannt, was die abgleitende offizielle Leitung von sich zu stoßen gezwungen war. Die gesellschaftlich-politische Reaktion ist undenkbar ohne Durchsicht und Ablehnung der klarsten und unversöhnlichsten Ideen und Losungen des Marxismus. Der internationale Charakter der sozialistischen Revolution und der Klassencharakter der Parteidas sind die zwei Ideen, welche in ihrer reinblütigen Art den mit der Strömung schwimmenden Politikern der reaktionären Periode unerträglich sind. Der Kampf gegen diese zwei Grundideen wurde, zuerst feig auf Umwegen, dann immer frecher, unter dem Namen eines Kampfes gegen den Trotzkismus geführt. Das Resultat dieses Kampfes waren zwei elende und verachtungswürdige führende Ideen; die Idee des Sozialismus in einem Lande, d.h. der Nationalismus, und die Idee zweier zusammengesetzten Arbeiter-Bauernparteien, d. h. der Tschernowtschina. Die erste dieser Ideen, die zum Teil unsere wirtschaftliche Schwanzpolitik deckte, brachte die Oktoberrevolution in große Gefahren. Die zweite dieser Ideen, die die Theorie und die Praxis der Kuomintang herbeiführte, erstickte die chinesische Revolution. Beide „Ideen" haben Stalin zu ihrem Schöpfer. Das ist sein einziges theoretisches Aktivum.

Zwischen der Periode der Reaktion und der Konterrevolution besteht, wie schon gesagt, der Unterschied; dass sich die Reaktion unter der Herrschaft derselben Klasse entwickelt, während die Konterrevolution den Wechsel der Klassenherrschaft bedeutet. Aber ganz klar ist, dass, wenn die Reaktion auch nicht dasselbe ist wie die Konterrevolution, so bereitet sie doch für die letztere die politischen Bedingungen vor, und kann sich als eine Einleitung zu ihr erweisen. Wenn man sich an diesen breiten historischen Maßstab hält. d. h. alles Nebensächliche weglässt, so kann man sagen, dass seitdem der Zerfall des regierenden Blockes in Zentristen und Rechte zutage trat, die Methoden der gesellschaftlich politischen Reaktion hart an die Methoden des Thermidors grenzen.

Unnötig zu erklären, dass der jetzt bestehende Kampf der Zentristen gegen die Rechten dem Obengesagten nicht nur nicht widerspricht, sondern im Gegenteil voll und ganz, sozusagen in offizieller Art, es bestätigt. Die Opposition war niemals der Meinung, dass das Abgleiten zum Thermidor etwas Ununterbrochenes, Einheitliches, Glattes für die ganze Partei sein wird. Wir haben zehn- und hundertmal vorhergesagt, dass dieses Abgleiten die feindlichen Klassen mobilisieren wird; dass die schweren sozialen Schwänze den Apparat um den Kopf schlagen werden; dass dieses ein Auseinanderfallen nicht nur in den breiten Parteimassen, sondern auch im Apparat hervorrufen wird: und endlich, dass diese Teilung neue günstigere Bedingungen für die Arbeit der Bolschewiki-Leninisten schaffen wird, einer Arbeit, die nicht nur gegen die offenen Versöhnler, sondern auch gegen den Zentrismus gerichtet ist.

Somit ist die letzte Kampagne eine Bestätigung der Teilprognose der Opposition, die ganz eng verbunden ist mit der allgemeinen Prognose in Bezug der thermidorianischen Gefahr.

3. Das bürokratische Regime als das Rüstzeug der reaktionären Tendenzen und Kräfte

Wie alle Vorgange in der Partei, so muss man auch den Kampf der Zentristen und der Rechten nicht nur vom breiten Maßstab der Klassentendenzen, sondern auch vom engen Maßstab des Apparat-Regimes aus betrachten. Es ist ja kein Geheimnis, dass der lärmvolle inhaltslose „Ideen"kampf gegen die Rechten lediglich die Begleitmusik zu den vorläufig noch vorbereitenden Machinationen des Apparates gegen Bucharin, Rykow und Tomski bedeutet. Diese Frage ist nicht ohne Bedeutung, wenn man den Platz der genannten drei im heutigen partei-sowjetischen System beachtet. Rykow und Tomski haben immer etwas wie „Sympathie“ zum Opportunismus empfunden. In der Oktoberzeit hat sich das erst offen und klar gezeigt. Aber bei einem gesunden Parteileben und einer richtigen Parteiführung würden sie ihre opportunistischen Neigungen für sich behalten. Dasselbe muss man auch von Bucharin sagen mit seinem Übergang von den Ultralinken zu den Ultrarechten. Wenn man diese Frage vom persönlichen Standpunkt aus betrachtet (wie es Lenin getan hat, z.B. in seinem Testament), so muss man sagen, dass der Zerfall Stalins mit den dreien lange, bevor sich die drei auf der rechten Plattform zusammengefunden haben, vorhergesagt worden ist Dieses Zerwürfnis, das aus der Tendenz des bürokratischen Regimes zur Einzelherrschaft entsteht, ist von der Opposition vor mehr als zwei Jahren genau vorausgesagt worden, im September 1926, als von einem Kampf gegen die Rechten noch gar keine Rede war. In dem Dokument der Partei über „die Einheit der Partei" heißt es:

Das Ziel dieser Diskussionen und organisatorischen Schlussfolgerungen ist die volle Zerschlagung jenes Kerns, welcher bis unlängst die alte leninistische Garde genannt wurde und ihr Ersatz durch die alleinige Leitung Stalins, der sich auf eine Gruppe von Genossen stützt, die immer mit ihm einer Meinung sind. Nur ein Dummkopf oder ein hoffnungsloser Bürokrat kann ernstlich meinen, dass der Stalinsche Kampf um die Einheit der Partei die Einheit wirklich sichern kann, auch um den Preis der Zerschlagung der alten führenden Gruppe und der heutigen Opposition überhaupt. Je näher Stalin dem Ziele zu sein scheint, desto weiter ist er in Wirklichkeit davon entfernt. Die Alleinherrschaft in der Partei, welche Stalin und seine engere Gruppe die „Einheit der Partei" nennen, verlangt nicht nur die Zerschlagung, die Beseitigung, die Absägung der heutigen vereinigten Opposition, sondern auch die allmähliche Beseitigung der Führung der einflussreichsten Vertreter der heute regierenden Fraktion. Es ist ganz klar, dass weder Tomski, noch Bucharin, noch Rykow durch ihre Vergangenheit, ihre Autorität usw. nicht fähig sind, unter Stalin die Rolle zu spielen, welche unter ihm Uglanow, Kaganowitsch, Petrowski und andere spielen. Eine neue Diskussion käme dann an die Reihe, in welcher Kaganowitsch Rykow entlarven würde, Uglanow – Tomski und die Slepkows & Co. Bucharin. Nur ein hoffnungsloser Dummkopf kann die Unausbleiblichkeit dieser Perspektive nicht sehen. Unterdessen würden die offenen opportunistischen Elemente der Partei den Kampf gegen Stalin als einen von „linken“ Vorurteilen befangenen und als einen, der das schnellere und offenkundigere Abgleiten stört, eröffnen". In dieser Voraussagung erweist sich jetzt nach mehr als zwei Jahren nur der Hinweis auf Uglanow und Slepkow als irrig, aber das ist erstens eine Kleinigkeit und zweitens: geduldet euch eine kleine Frist, sie werden ihren „Fehler" verbessern. Hören wir jetzt, wie der weise Tomski gezwungen ist, heute zu bekennen, dass er nichts versteht, nichts vorausgesehen hat, blindlings hinein getappt ist. Folgendes schrieb hierüber ein gut orientierter Genosse:

In einem Gespräch mit Freunden klagte Tomski: „Wir dachten, dass, nachdem wir mit Trotzki fertig geworden sind, wir ruhig werden arbeiten können; aber es erweist sich, dass man gegen uns dieselben Kampfesmethoden anwenden will!"

Bucharin sprach sich ähnlich aus, nur etwas weinerlicher. Im Folgenden seine Worte, absolut wahrheitsgetreu:

Wer ist er? Es geht vom Meister die Rede. Ein ganz prinzipienloser Intrigant, er sorgt sich nur um die Beibehaltung der Macht, und diese Sorge beherrscht alles. Er wechselt schroff seine Theorien, die abhängig sind davon, wen er im gegebenen Moment aus dem Felde schlagen muss … usw.

Die unglückseligen „Führer“, die nichts verstehen und nichts vorhersehen, sind natürlich geneigt, den Hauptgrund ihrer Misserfolge in den Intrigen des Gegners zu sehen, damit rücken sie seine Persönlichkeit in das Gigantische, was er in keiner Weise besitzt. Die Sache ist die, dass das Abgleiten von der Klassenlinie unweigerlich zur Macht der bürokratischen Maschine führt, welche für sich einen adäquaten Vertreter sucht. Die Umgruppierung in den Klassen und zwischen den Klassen hat die Lage für den Sieg des bürokratischen Zentrismus geschaffen. Von den Meistern des Apparates, die unter der alten Flagge auftraten, wurde vor allem verlangt, dass sie nicht verstehen was vorgeht und mit der Strömung treiben. Hierzu waren Leute vom Typ der Empiriker, welche in jedem Augenblick die „Richtlinien“ schufen. Die Stalins, die Molotows, die Uglanows u.a. erwiesen sich am wenigsten gesichert gegen den Einfluss der unterirdischen sozialen Vorgänge, wegen ihres eng begrenzten theoretischen Horizonts. Wenn man die Biographie dieser Elemente einzeln durchsieht, die vor dem Oktober und nach dem Oktober in der 2., 3. und 10. Linie standen, und jetzt erst an die erste Stelle vorgerückt sind, so ist es nicht schwer zu beweisen, dass sie in allen wichtigen Fragen, sobald sie sich selbst überlassen waren, zum größten Teil – Stalin mit eingerechnet – zu Opportunismus neigten. Man darf nicht1 die historische Linie der Partei mit der politischen Linie jenes ihres Teiles, welcher erst mit der Welle der gesellschaftlich-politischen Reaktion des letzten Jahrfünfts nach oben kam, verwechseln, Die historische Linie der Partei wurde im harten Kampfe der inneren Tendenzen im ständigen Überwinden der inneren Widersprüche geschaffen. In diesem Kampfe spielten die heute führenden Elemente keine große Rolle, zum größten Teil vertraten sie den gestrigen Teil der Partei. Darum waren sie in der entscheidenden Zeit des Oktobers wie verloren und hatten gar keine selbständige Rolle. Noch mehr: Wenigstens die Hälfte der heutigen Führer, die sich die „alte Garde“ nennen, befanden sich im Oktober auf der anderen Seite der Barrikaden; ein großer Teil von ihnen hat vorher in dem imperialistischen Krieg eine patriotische oder sehr dünne pazifistische Stellung eingenommen, Unbegründet ist der Gedanke, dass diese Elemente selbständig gegen die reaktionären Tendenzen im Weltmaßstabe Widerstand aufbringen würden, wie es ja auch die Geschichte der letzten Zeit gezeigt hat. Nicht umsonst assimilieren in ihrer Mitte die Martynows, die Larins, die Rafes, die Ljadows. die Petrowskis. die Kerschenzews, die Gussows, die Krschlanowskis u.a. Gerade diese Schicht ist es, die, nach dem Bekenntnis Ustrjalows, die tauglichste ist, die das erschütterte Land allmählich zur „Ordnung" zurückführen wird. Ustrjalows nimmt das weit entfernte Beispiel der Zeit der Wirren (Ende des 16. Jahrhunderts, Anfang des 17.), bezieht sich auf Kljutschewski, welcher sagt, dass „der moskowitische Staat aus den furchtbaren Wirren ohne Helden hervorgegangen ist: aus dem Unglück retteten ihn gute, aber Durchschnittsmenschen". (Kljutschewski, Ausgabe 1923, Band 3, Seite 75.) Ob der „Güte" der heutigen Kandidaten des Retters aus den Wirren („permanenten Revolution") kann man zweifeln. Aber im Übrigen ist der Ustrjalowsche Hinweis auf Kljutschewski nicht ohne, und trifft den Nagel auf den Kopf. Letzten Endes ist der ,,Meister“ bei seinen kombinatorischen Eigenschaften und seiner Treubrüchigkeit nur die am meisten hervorstechende Personifizierung des unpersönlichen Apparates. Seine Siege sind die Siege der gesellschaftlich-politischen Reaktion. Er half ihr auf zweierlei Art. Durch seine Blindheit gegenüber den tiefschürfenden historischen Prozessen und durch sein unermüdliches Kombinatorentum hinter den Kulissen, dessen Richtung ihm von den Umgruppierungen der Klassenkräfte gegen das Proletariat vorgesagt wurde.

Der hoffnungslose Kampf des bürokratischen Zentrismus für die „Einheitlichkeit“ des Apparates, d h dem Wesen nach für die Alleinherrschaft, führt unter dem Druck der Klassenkräfte zu immer neuen Spaltungen. Da dieses alles nicht in einem luftleeren Raume geschieht, so klammem sich die Massen an diese Spalten im Apparat, reißen sie weiter auseinander und füllen die bürokratischen Gruppierungen mit sozialen Inhalt. Der Kampf der Stalinschen Gruppe im Politbüro gegen das Dreigestirn der Kampf der Zentristen gegen die Rechten ist zum Wendepunkt des Druckes der Klassen geworden und kann (auf einer gewissen Etappe muss er) in einen offenen Klassenkampf übergehen. In diesem „Übergehen" wird der Zentrismus in jedem Falle nichts zu lachen haben.

[4.]. Was ist der Zentrismus?

Die Frage der sozialen Basis der Gruppierungen der WKP erregt jetzt auf ganz natürliche Weise die Köpfe der Genossen, welche denken können und lernen, d. h. vor allem die Bolschewiken-Leninisten. An diese Frage muss man jedoch nicht mechanisch und schematisch herantreten, nicht mit der voreingenommenen Absicht, jeder Fraktion ein bestimmtes soziales Gebiet anzuweisen. Man muss nicht vergessen, dass wir vor uns Übergangsformen, unvollendete Prozesse haben.

Das soziale Hauptreservoir des internationalen Opportunismus, d.h. des Klassen-Versöhnlertums ist die Kleinbourgeoisie, als eine breite unförmige Klasse, oder richtiger gesagt, ein Sammelbecken der zahlreichen Unterklassen, die aus der vorkapitalistischen Produktion resultieren, und der Neugebildeten, die das Proletariat mit der kapitalistischen Bourgeoisie in vielen Stufen verbinden. In der Zeit des Aufschwunges der bürgerlichen Gesellschaft war diese Klasse der Träger der bürgerlich-demokratischen Ideen. Jetzt ist diese Epoche weit zurückgelassen, nicht nur in den vorgeschrittenen kapitalistischen Ländern des Westens, sondern auch in China, Indien usw. Der Niedergang der Kleinbourgeoisie, der Verlust ihrer selbständigen wirtschaftlichen Bedeutung nahm ihr für immer Möglichkeit, eine selbständige politische Vertretung herauszuarbeiten, welche die revolutionäre Bewegung der werktätigen Massen führen könnte. In unserer Epoche taumelt das Kleinbürgertum zwischen den äußeren Polen der heutigen Ideologie: dem Faschismus und dem Kommunismus. Und gerade diese ihre Schwankungen geben der Politik der imperialistischen Epoche den Charakter einer Malariakurve.

Das Versöhnlertum in der Arbeiterbewegung hat einen beständigen Charakter, da der unmittelbare Träger nicht die selbständigen Parteien der Kleinbourgeoisie sind, sondern die Arbeiterbürokratie. welche über die Arbeiteraristokratie mit ihren Wurzeln in die Arbeiterklasse hineinreicht. Die Ideen des Versöhnlertums, die ihrer Herkunft und ihren Quellen nach kleinbürgerlich sind, sind vermittels der Arbeiterbürokratie von dem alten Träger zu dem neuen übergegangen, wobei sie sozialistische Färbung annahmen; sie erhielten. Sie erhielten somit beim Zerfall und der Fäulnis der alten demokratischen Parteien eine neue Lebensfähigkeit auf neuer Klassengrundlage.

Die Arbeiterbürokratie selbst steht ihren Lebensbedingungen nach näher an der Kleinbourgeoisie (Beamtentum, freie Berufe u.a.) als dem Proletariat. Aber sie stellt doch immerhin ein spezifisches Produkt der Arbeitermassenbewegung dar. Sie wird aus den Reihen der Arbeiter aufgefüllt. Die versöhnlerischen Tendenzen und Stimmungen werden in ihrem Rohzustande von der gesamten Kleinbourgeoisie gezeugt. Aber ihre Transformation, ihre Anpassung an die Besonderheiten und Forderungen und vor allem an die Schwächen der Arbeiterklasse ist eine spezifische Mission der Arbeiterbürokratie. Der Opportunismus ist ihre Ideologie, welche sie, den mächtigen Druck der bürgerlichen Ideen ausnutzend, die Schwäche und Unreife der Arbeitermasse ausbeutend, dem Proletariat aufbürdet. Zu welchen Formen des Opportunismus – offenes Versöhnlertum, Zentrismus oder zu einer Kombination beider – die Arbeiterbürokratie greift, das hängt von der politischen Tradition des Landes ab, von dem Zustand des Klassenverhältnisses im gegebenen Moment, von den Angriffskräften des Kommunismus usw. usw.

Wie auch zwischen den verschiedenen bürgerlichen Partien unter Umständen der Kampf einen unversöhnlichen und sogar blutigen Charakter annehmen kann, der aber in beiden Lagern ein Kampf um die Interessen des Eigentums bleibt, so kann auch der Kampf zwischen dem offenen Versöhnlertum und dem Zentrismus zu gewissen Zeiten einen äußerst schroffen Charakter annehmen. Dabei bleibt er immer ein Kampf im Rahmen der kleinbürgerlichen Tendenzen, die von der Arbeiterbürokratie zur Beibehaltung ihrer führenden Stellung in der Arbeiterklasse verschiedenartig angewandt werden.

Bis zum 4. August 1914 trug die Sozialdemokratische Partei dem Wesen nach zentristischen Charakter. Die Rechten standen in Opposition zur Leitung, wie auch der linke radikale, übrigens nicht ganz klar formierte Flügel. Der Krieg bewies, dass der Zentrismus unfähig war, die Partei zu leiten. Das Steuer wurde ohne Widerstand von den Rechten ergriffen. Der Zentrismus lebte erst später, als Opposition wieder auf. So sieht die Lage in der II. und in der Amsterdamer Internationale auch jetzt aus. Die Hauptstärke der internationalen Arbeiterbürokratie ist ihr versöhnlerischer Flügel. Der Zentrismus ist nur eine Hilfsfeder in ihrem Mechanismus. Man muss hinzufügen, dass seit dem Kriege die Rechten zusammen mit den Zentristen dem bürgerlichen Staate viel näher stehen als die Allerrechtesten es in der Zeit bis zum Kriege (besonders in Deutschland) zu tun versuchten. Hierdurch wurde der Platz frei für einen radikaleren weniger kompromittierten, mehr „linken" Zentrismus als die sogenannte linke Sozialdemokratie. Die Politik des nachkriegszeitlichen linken Zentrismus tritt auch in sehr bedeutendem Ausmaße unter dem Namen Kommunismus auf (in Deutschland, in der Tschechoslowakei, in England usw.). Große historische Ereignisse werden es unweigerlich zutage fördern und können es in ganz katastrophaler Weise. Wie steht aber die Sache im Arbeiterstaat, welcher natürlich undenkbar ist ohne die Arbeiterbürokratie, die zudem zahlreicher, verzweigter, mächtiger ist als die Arbeiterbürokratie der kapitalistischen Länder? Wie steht die Frage der Linie der Leitung der WKP, welche in den letzten Jahren von der Klasse auf den Apparat, d.h. auf die Bürokratie herabgeglitten ist?

Am leichtesten und einfachsten kann man die Politik des ZK der WKP nachprüfen auf der internationalen Arena, denn dort fallen die Besonderheiten der Stellung der regierenden Partei in dem Lande der proletarischen Diktatur fort, die Klassentendenzen werden von der Neuheit der Lage nicht maskiert. und über die politische Linie kann man auf Grund der festgelegten marxistischen Kriterien sprechen. In China war die Politik des ZK keine zentristische, sondern eine menschewistische, eher eine rechts-menschewistische, d.h. sie war dem Menschewismus von 1917 naher als dem Menschewismus von 1905 (direktes Unterwerfen unter die Führung der Bourgeoisie plus direktem Bremsen des revolutionären Angriffs der Massen). In England hatte die Politik des ZK in der entscheidenden Periode des Kampfes einen rechts-zentristischen Charakter (Unterstützung der Opportunisten und Verräter plus einer halben Kritik bei sich zu Hause). In Deutschland in der Tschechoslowakei, in Frankreich u. a. trug die Politik eher einen links-zentristischen Charakter, indem sie unter den neuen Bedingungen die Politik der vorkriegszeitlichen Sozialdemokratie hervorbrachte. In Polen, während des Umsturzes durch Pilsudski verlief die Linie der Leitung irgendwo zwischen dem englischen und dem chinesischen Muster, d.h. zwischen dem rechten Zentrismus und dem rechten Menschewismus. Im Allgemeinen kann man sagen, dass der Zentrismus der Leitung der WKP um so entschiedener auf das menschewistische Gleis abglitt, je revolutionärer die Lage war, je mehr sie politische Weitsichtigkeit und Kühnheit verlangte. Mit Linksheit prahlte der Zentrismus jedoch nur unter den Bedingungen der politischen Alltäglichkeit.

Jetzt jedoch haben sich auch mehr als nötig innere Erfahrungen angehäuft, um den Zentrismus auch ohne das Internationale Kriterium zu erkennen und zu entlarven.

Unsere so ungeheuerlich angewachsene Arbeiterbürokratie hat in den letzten Jahren eine ganz neue Theorie zu den wichtigsten Fragen ausgearbeitet, vor allem zu der eigenen Selbstbewertung. Der Sinn dieser Theorie besteht darin, dass feststeht: Da bei uns die Diktatur des Proletariats herrscht, ist der proletarische Charakter aller Vorgänge im Voraus und für immer sichergestellt. Wenn wir den Arbeiterstaat haben, so lehrte der beispiellose Molotow, wie kann man ihn dann den Arbeitern näher bringen? Da wir die Diktatur des Proletariats haben, so haben wir auch einen proletarischen Kulak, der In den Sozialismus hineinwächst. Da wir die sozialistische Revolution haben, wie kann uns da die Gefahr des Thermidor. d.h. der bürgerlichen Restaurierung drohen? Da wir die Sowjetmacht haben, so ist das ununterbrochene Wachstum des Sozialismus gesichert, ungeachtet dessen, dass sich in dieser Zeit die Lage des Arbeiters verbessert oder verschlechtert. Und endlich, da wir eine leninistische Partei haben, wie kann sich da das „leninistische" ZK irren? Ist nicht im Voraus jede Kritik zu der Rolle einer rechten oder linken „Abweichung*' verurteilt, je nachdem sie das Sekretariat des ZK von rechts oder links kritisiert? Die materialistische Dialektik in der Bewertung zweier treibender Kräfte der proletarischen Diktatur ist in allen Teilen durch den immanenten Idealismus ersetzt worden, der zur spezifischen Philosophie der Partei- und Sowjetbürokratie geworden ist in ihrem Kampfe um die Beständigkeit und Unabsetzbarkeit ihrer eigenen Positionen, um die Vollendung der Macht, um die Unabhängigkeit von der Kontrolle der Massen. Der Fetischismus des selbstherrlichen Apparates und seiner Kader, die man nicht durch einen Beschluss der Partei, sondern nur „durch den Bürgerkrieg“ absetzen kann (Stalin), das ist die Achse der immanenten Philosophie, die die Praxis des Usurpatorentums heiligt, welches dem echten Bonapartismus den Weg bereitet.

Die radikale Änderung der sozialen Grundbewertung zeugt von einer neuen sozialen Rolle der Arbeiter- und der Sowjetbürokratie überhaupt in ihrem Verhältnis zum Proletariat, wie auch zu den übrigen Klassen. Die Unabhängigkeit vom Proletariat geht parallel mit der Abhängigkeit von der Bourgeoisie. Die Unantastbarkeit des Arbeiterstaates „an sich" ist eine Maskierung dieser Abhängigkeit. Hier geht alles gesetzmäßig vor sich. Mit eiserner Folgerichtigkeit entsteht hieraus das organische Sehnen unserer Bürokratie nach den kleinbürgerlichen Spitzen und Führern, nach den „soliden"' Gewerkschaftsbürokraten u. a. in der ganzen Welt (China, England, Polen. Der Kurs des Tomski, Kaganowitsch u. a. auf Amsterdam usw. u. dgl.). Dieses organisch geschaffene internationale Mittel der Arbeiterbürokratie wird auch durch die aller ultralinksten Zickzacke des Zentrismus nicht beseitigt.

Selbstverständlich entwickelt die Arbeiterbürokratie des Westens ihre Tätigkeit auf der Grundlage des kapitalistischen Eigentums. Bei uns ist die Arbeiterbürokratie auf der Grundlage der proletarischen Diktatur emporwachsen. Aber aus diesem tiefen Widerspruch heraus folgert überhaupt nicht, wie die Theorie und die Erfahrung es beweisen, der immanente, d.h. der innerlich gesicherte Widerspruch der Arbeiterbürokratie bei uns und in den kapitalistischen Länder. Die neue soziale Basis, die an sich genommen unreif und wenig widerstandsfähig ist, sichert nicht den neuen Charakter des Überbaues, dessen Umwandlung, im Gegenteil, zu einem wichtigen Faktor der Umwandlung der Basis selbst werden kann. In diesen wichtigen Fragen ist die Bucharinsche Scholastik (ja ja, nein nein) nur der Deckmantel für die falsche Beurteilung der Prozesse der sozialen Umwandlung: auch die Jakobiner hielten sich für das immanente Gegenteil der Monarchie und des monarchischen Cäsarismus. Napoleon hat jedoch späterhin seine besten Minister, Präfekten und Detektive aus der Mitte der alten Jakobiner geworben, zu welchen er übrigens in seiner Jugend auch gehörte.

Die sozial-historische Herkunft unserer Bürokratie sichert sie, wie gesagt, nicht vor Umwandlungen, gibt aber den Wegen und Formen dieses Prozesses eine außerordentliche Eigenart, sichert im gegebenen Stadium das offene und unbestreitbare Übergewicht der zentristischen Elemente über die rechten und gibt dabei dem Zentrismus einen besonderen, ganz außerordentlich komplizierten Charakter, der die verschiedenen Etappen des Abgleitens, die verschiedenen Überbauten und verschiedenen Gedankengänge widerspiegelt. Darum erinnern die Reden und Artikel der führenden Zentristen samt und sonders an eine in drei Sprachen mit den Buchstaben des russischen, lateinischen und arabischen Alphabets geschriebene Handschrift. Hieraus erklärt sich wohl auch der erschreckende nicht nur theoretische, sondern auch der literarische Analphabetismus der meisten zentristischen Schreiben. Es genügt, die heutige „Prawda“ zu lesen. Nachdem die Apostel des Zentrismus vom Sekretariat der Gnade teilhaftig werden, fangen sie sofort an, in fremden Sprachen zu reden. Das zeugt natürlich von der Kraft der Gnade. Aber es ist fast unmöglich sie zu verstehen.

Man kann erwidern: wenn die führende Strömung der WKP der Zentrismus ist, wie kann man dann die heutige schroffe Haltung gegen die linke Sozialdemokratie erklären, welche doch auch nichts anderes ist als Zentrismus? Das ist kein ernster Einwand. Auch unsere Rechten, welche nach dem Bekenntnis der Zentristen den Weg der Wiederherstellung des Kapitalismus gehen, erklären sich als unerbittliche Feinde der Sozialdemokratie. Der Opportunismus ist immer bereit, wenn es die Umstände erfordern, seinen Ruf durch schreienden Radikalismus für fremde Länder zu verbessern. Selbstverständlich geschieht dieser Export an Radikalismus zum größten Teil in Worten.

Aber nicht nur in Worten besteht die Feindschaft unserer Zentristen und Rechten gegen die europäische Sozialdemokratie. Man darf nicht die internationale Lage und vor allem den großen objektiven Widerspruch zwischen den kapitalistischen Ländern und dem Arbeiterstaat vergessen. Die internationale Sozialdemokratie unterstützt das bestehende kapitalistische Regime. Unser innerer Opportunismus, der auf den Grundlagen der proletarischen Diktatur aufgewachsen ist, evolutioniert nur auf die Seite der kapitalistischen Verhältnisse. Trotz der Elemente der Doppelherrschaft im Lande und trotz der Tendenzen des Thermidorianertums in der WKP bleibt der Antagonismus zwischen der Sowjetmacht und der bürgerlichen Welt eine Tatsache, welche nur die „linken" Sektierer, Anarchisten und Anarchisierenden verneinen oder ignorieren können. Die internationale Sozialdemokratie ist durch ihre Politik gezwungen, die Verschwörungen ihrer Bourgeoisie gegen die UdSSR zu unterstützen. Dieses allein schafft die Grundlage einer realen, nicht nur in Worten bestehenden Feindschaft, trotz der Annäherung der politischen Linie.

Der Zentrismus ist die offizielle Linie des Apparats. Der Träger des Zentrismus ist der Parteibeamte. Das Beamtentum aber ist keine2 Klasse. Es dient den Klassen. Welche Klassenlinie stellt der Zentrismus dar? Die sich wieder aufrichtenden Besitzer finden ihren, wenn auch vorläufig schüchternen Ausdruck in der rechten Fraktion. Die proletarische Linie ist durch die Opposition dargestellt. Was bleibt dem Zentrismus übrig? Durch die Methode des Ausrechnens erhält man … den Serednjak-Mittelbauern. Und wirklich hat sich der Zentrismus bei uns aus dem Bolschewismus herausgeschält, indem er sich dabei an der Idee der Gewinnung des Mittelbauern hielt. Die Leninsche Losung des Bündnisses des herrschenden Proletariats mit dem mittleren Bauerntum wurde durch den Fetisch Mittelbauer ersetzt als dem höchsten Kriterium der proletarischen Politik. Die Zentristen können sich auch jetzt noch nicht über M. N. Smirnow beruhigen, der im Herbst 1927 den richtigen Gedanken entwickelte, dass das Bündnis des Proletariats mit dem mittleren Bauerntum die Bereitwilligkeit der Partei voraussetzt, dass sie im Falle der Not auf eine Lösung des Bündnisses eingeht, um eine richtige proletarische Politik durchführen zu können, und somit neue Bedingungen zu schaffen für ein beständigeres und andauernderes Bündnis mit dem Mittelbauern. Denn ein solches Bündnis ist nicht möglich auf der Grundlage irgend einer gleichmäßigen Klassenlinie sondern nur auf der Grundlage der proletarischen Linie. Die teilweisen Konzessionen an den Mittelbauern können nur einen Hilfscharakter tragen, jeder andere Versuch führt nur dazu, die Linie immer mehr zum Kulakentum, zur Bourgeoisie überhaupt abzubiegen. Das Mittelbauerntum kann keine selbständige Partei haben. Eine „selbständige" Bauernpartei ist immer in Wirklichkeit eine bürgerliche – Kulakenpartei. Unser Zentrismus, theoretisch armselig, mit kurzem Gedächtnis, hat dieses nicht verstanden. Daher seine reaktionär-karikaturenhafte Idee der „doppelt zusammengesetzten Arbeiter-Bauern-Partei" (Stalin). In Wirklichkeit bedeutet die doppelt zusammengesetzte Partei die Kuomintang, d.h. die politische Knebelung der Arbeiter und Bauern durch die Bourgeoisie.

Die Stalinsche Idee der Arbeiter- und Bauernpartei ist die wichtigste begeisternde Idee des rechten Flügels. In breiten bürokratischen Kreise besonders in der Ukraine wurde in der letzten Zeit nicht wenig davon gesprochen, dass die Partei noch eine Reserve besitze: von der proletarischen Diktatur zu der Formel von 1905 zurückzugehen, das heißt zur demokratischen Diktatur des Proletariats und des Bauerntums. Die Partei, zu deren Bestand der rechte Flügel gehört, ist in Wirklichkeit zu einer zwiefach zusammengesetzten Partei geworden. Der Rückzug aber auf die Position der Diktatur des Proletariats und des Bauerntums kann nur die Restauration des Kapitalismus und nichts anderes bedeuten,

So wie das Mittelbauerntum als das oberste Kriterium gegen die proletarische Linie hervorgehoben wurde, so zogen die Rechten ganz bewusst aus dem selbständigen Produkt der mittelbäuerlichen Politik kulakische Schlussfolgerungen. Andere Wege als die kulakischen kann es für den Mittelbauern, soweit es sich dem Proletariat entgegenstellt, nicht geben. Die Zentristen haben im Laufe einiger Jahre vor diesen Schlussfolgerungen ihren Kopf in den speziell für sie von Jakowlew & Co vorbereiteten Kehricht gesteckt. Das hindert heute nicht, dass derselbe Jakowlew in der maskierten Polemik gegen Bucharin eifrigst die Beweise aus dem alten Heften der Opposition abschreibt, indem er diese Hefte für die Bloke-Notes der RKI ausgibt (siehe „Prawda“ Nr. 253, J. Jakowlew „Zu den Fragen der wirtschaftlichen Aufgaben des nächsten Jahres“ aus dem Bloke-Notes der RKI). Wenn auch Jakowlew sich nur mit den „Splittern“ und „Bruchstücken“ der oppositionellen Plattform abgibt, so erweist so das als auch genügend, um mit den „Bemerkungen eines Ökonomen“ fertig zu werden. Aber der Kulak ist aus dem Kehricht in den Getreidevorbereitungen hervorgekrochen. Heute schwanken die Zentristen zwischen dem Artikel 107 und der Erhöhung der Getreidepreise. Gleichzeitig hiermit stellen sie wie früher, die nackte Idee des Mittelbauerntums auf, als das Hauptprinzip, das sie von der Opposition unterscheidet. Damit zeigen sie nur, dass sie keinen sozialen Stützpunkt und keine selbständige Klassenpolitik besitzen. Die Linie des Zentrismus ist die Zickzacklinie der Bürokratie zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie, bei einer unweigerlich wachsenden Unzufriedenheit beider Klassen. Die Zwitterpolitik des Zentrismus bereitet langsam aber sicher seine Liquidierung vor, welche nach zwei Richtungen möglich ist, d.h. mit dem Ausgang auf den proletarischen oder den bürgerlichen Weg.

[5.] Was bedeutet der rechte Flügel?

Mit dem rechten Flügel sieht es einfacher und klarer aus.

Die thermidorianische Strömung im Lande ist im weitesten Sinne eine Strömung der Besitztums im Gegensatz zum proletarischen Sozialismus. Das ist die allgemeine und zugleich auch die grundlegende Feststellung dieses Begriffes. Die treibende Kraft dieser Strömung ist die Kleinbourgeoisie, aber welche? Der Teil, welcher nach oben strebt, welcher in die mittlere übergeht oder danach strebt, welche ihren Verbündeten in der Großbourgeoisie, im Weltkapital sieht. Die zentrale Figur der thermidorianischen Armee ist der Kulak, als der Träger der Stimmungen und der Tendenzen der bonapartistischen Konterrevolution.

Innerhalb des regierenden Apparates und der regierenden Partei ist der Beamte, der mit allen Klassen leben will, für den bonapartistisch gestimmten Besitzenden der Verbündete oder Halbverbündete. Er hat hierfür soziale Gründe: er ist mit den neuen Besitzenden dem Blute oder dem Geiste nach verwandt, zudem ist er selbst nicht „ohne"; er will keine Erschütterungen, er steht mit wütendem Hass gegen die Perspektive der „permanenten Revolution"; er hat über und über genug an der Revolution die, Gott sei Denk, hinter ihm liegt, und ihm jetzt erlaubt die Früchte einzuernten. Der nationale Sozialismus, das ist seine Doktrin. Dieser herausgebildete Beamte ist, wie gesagt, der Verbündete des bonapartistischen Kulak. Aber zwischen ihnen besteht auch ein Unterschied, ein sehr wichtiger für die gegebene Etappe. Der Kulak möchte wohl das verhasste System mittels der Armee oder eines bewaffneten Aufstandes umstoßen; der Bürokrat aber, dessen wachsender Wohlstand mit dem Sowjetmechanismus verbunden ist, ist gegen den offenen bonapartistischen Weg und für den „evolutionären“ maskierten, thermidorianischen Weg. Aus der Geschichte wissen wir, dass der Thermidor nur eine Stufe zum bonapartistischen Umsturz war. Aber das hat man damals nicht verstanden. Die aktiven Thermidorianer hätten ganz aufrichtig jede Andeutung, dass sie nur den Weg für das militärisch-bürgerliche Usurpatorentum vorbereiten, als niederträchtige Verleumdung abgewiesen.

Dieses Übergangsverhältnis zweier Teile des Thermidorianertums ist der Grund der Schwäche des rechten Flügels der Partei. Um den Kampf aufzunehmen, müsste er offen die besitzenden Elemente und Instinkte des Landes mobilisieren. Im Kampfe gegen die Opposition wurde es auch getan, aber da diente der Block mit den Zentristen und die Firma der Partei als Deckmantel. Der mächtige Schwanz der Besitzenden, begünstigt von der Führung, übte in den letzten Jahren von allen Seiten auf die Partei einen Druck aus, indem er half, den proletarischen Kern zu terrorisieren und den linken Flügel zu zertrümmern. Diese politische Lage jedoch ändert sich schroff von dem Moment des offenen, wenn auch nur mit halben Kräften geführten Kampfes zwischen den Zentristen und den Rechten. Im Namen der Partei spricht ihr zentristischer Apparat. Dieses Deckmantels in ihrem Kampf gegen die Zentristen gehen die Rechten verlustig. Sie können sich nicht mehr auch weiterhin anonym auf die Besitzenden stützen, Jetzt heißt es ganz offenkundig das neue Pferd zu besteigen.

In den unteren Teilen der rechten Fraktion bereitet der Unterschied zwischen dem Partei-Apparatmenschen und dem Kulak fast gar keine Schwierigkeiten zu einer einheitlichen Handlung. Aber je höher, je näher den Industriebezirken, den politischen Zentren, desto mehr Hemmnisse haben die Rechten – lebendige, wie die Unzufriedenheit der Arbeiter, und absterbende – die Traditionen. Um das neue Pferd gegen die offizielle Partei zu besteigen, sind die jetzigen rechten Führer noch nicht „reif genug". Die von dem Druck des Apparats in eine Sackgasse getriebenen rechten Apparatleute kommen um den Abschied ein oder sie bitten wie Uglanow, rührend, dass man sie nicht „verkrüppelt".

Die „Unreife" des thermidorianischen Flügels der Partei, das Nichtvorhandensein der politischen Verbindung zwischen ihm und seinen besitzenden Reserven erklärt die Leichtigkeit des jetzigen Sieges der Zentristen über die Rechten. Statt kriegerischer Handlungen sieht man eine Apparat-Parade – und weiter nichts.

Es gibt auch einen anderen Grund dieser Leichtigkeit. Aber dieser Grund wurzelt in dem gegenseitigen Verhältnis zwischen dem zentristischen Apparat und dem proletarischen Kern der Partei. Unter dem Druck der bürgerlichen Klassen wurde die Partei in mehr als fünf Jahren gegen den linken Flügel aufgehetzt. Als Resultat musste man im sechsten Jahr zu einem verstärkten Angriff gegen die sogenannten „Splitter" aufrufen. Im Gegensatz hierzu ist der proletarische Kern bereit, gegen die Rechten nicht aus Furcht, sondern aus Überzeugung zu kämpfen. Und wenn auch die jetzige Kampagne einen durch und durch bürokratischen Charakter trägt, bei voller Unterdrückung der Initiative der Massen; wenn auch im Voraus „Posten“ mit roten Flaggen ausgestellt sind, die anzeigen sollen, in welchen Grenzen die zentristische Parade vor sich gehen soll, wenn auch die Massen nicht vorbereitet, desorientiert, bestürzt sind, besonders in der Provinz, so unterstützt trotzdem der proletarische Kern in diesem Kampf ohne Zweifel den zentristischen Apparat, wenn nicht aktiv, dann passiv, aber er unterstützt in keinem Fall die Rechten.

Das sind die wichtigsten Gründe des leichten Sieges der Zentristen über die Rechten innerhalb der Partei. Aber diese Gründe erklären auch die ganze Begrenztheit und die Oberflächlichkeit dieses Sieges Um das besser zu verstehen, wollen wir näher zusehen, worum eigentlich der Streit geht.

6. Worin besteht die Differenz der Zentristen mit den Rechten?

Der proletarische Revolutionär kann kein Empiriker sein, d.h. sich nach dem richten, was ihm heute vor der Nase liegt. Darum hat der Kampf mit den Rechten für uns eine Bedeutung nicht nur vom Gesichtswinkel der unmittelbaren Budgetfragen, der bewilligten Gelder für die Kollektivierung 1929 usw., um welche sich der Kampf zu drehen scheint (wenn man sich auch hier mit Andeutungen und allgemeinen Phrasen begnügt), sondern vom Standpunkt jener allgemeinen Ideen, die er in das Bewusstsein der Partei hineinbringt.

Wie sieht denn das geistige Gepäck des zentristischen Kampfes gegen die Rechten aus?

A. Die Gefahr das Thermidors.

Vor allem untersuchen wir, worin das Wesen der rechten Gefahr besteht. Als Leitfaden nehmen wir in diesen wie in den anderen Fragen das wichtigste und, o weh, das saftloseste Dokument der gesamten Gesellschaft: die Rede Stalins auf dem Plenum des MK und der MKK vom 19. Oktober. Nachdem Stalin die Differenzen mit den Rechten aufgezählt hat – davon weiter unten – schließt er: „ohne Zweifel, der Sieg der rechten Abweichung innerhalb unserer Partei würde den Kapitalismus stärken, die revolutionären Positionen des Proletariats unterwühlen und die Chancen der Wiederherstellung des Kapitalismus in unserem Lande heben.''

In diesem Falle, wie auch in allen anderen, wenn sich Stalin gegen die Rechten wendet, denkt er sich das Pulver nicht selbst aus, sondern er benutzt die Waffe des oppositionellen Arsenals, aber indem er nach Möglichkeit die marxistische Spitze abbricht. Und wirklich, wenn man die Stalinsche Charakteristik der Rechten ernst nehmen will, so würden sie sich als der innerparteiliche Knoten der thermidorianischen Reaktion erweisen. Die Gefahr der Konterrevolution ist nichts anderes als die Gefahr „der Wiederherstellung des Kapitalismus in unserem Lande". Die thermidorianische Gefahr ist eine maskierte Form der Konterrevolution, die in ihrer ersten Etappe vermittels des rechten Flügels der regierenden Partei vollzogen wird, im 18. Jahrhundert durch die Jakobiner, heute durch die Bolschewiki. Soweit Stalin, indem er das von der Opposition Gesagte wiedergibt erklärte, dass „der Sieg der rechten Abweichung … die Chancen der Wiederherstellung des Kapitalismus heben würde", soweit sagt Stalin nichts anderes, als dass der rechte Flügel der Ausdruck der thermidorianischen Gefahr innerhalb der Partei ist

Aber hören wir, was er einige Zeilen weiter übel den linken Flügel, über die Opposition sagt. Die Gefahr von dieser Seite besteht, seht ihr, darin, dass sie, die Opposition,

die Möglichkeit des Aufbaus des Sozialismus mit eigenen Kräften unseres Landes nicht sieht, sie verzweifelt und ist gezwungen, sich mit dem Geschwätz über das Thermidorianertum innerhalb unserer Partei zu trösten." Dieses Beispiel von zentristischer Konfusion könnte man ein klassisches nennen, wenn die Konfusion ihre eigenen Klassiker hätte. Und wirklich, wenn die Reden über das Thermidorianertum in unserer Partei Geschwätz ist, was ist dann die Erklärung Stalins, dass der Sieg des rechten Flügels der WKP der Wiederherstellung des Kapitalismus den Weg bereitet? Worin denn, wenn nicht in diesem besteht das Thermidorianertum in der sozialistischen Revolution? Und bis zu welchem Grade muss man verwirrt sein, wenn man den rechten Flügel der Partei der Mitarbeit zur Wiederherstellung des Kapitalismus beschuldigt and im selben Atem die Reden über das Thermidorianertum in der Partei als „Geschwätz" bezeichnet? Das ist echtes wirkliches Geschwätz, und zudem noch spezifisch zentristisches. Denn der wichtigste Zug des Zentrismus besteht im mechanischen Nebeneinanderstellen der Widersprüche statt der dialektischen Überwindung. Der Zentrismus vereinigt immer in seinem Bettelsack die „vernünftigen, annehmbaren" Elemente des rechten und linken Flügels, d. h. des Opportunismus und des Marxismus, indem er sie neutralisiert und damit seinen eigenen ideellen Inhalt auf Null bringt. Wir wissen von Marx, dass das kleinbürgerliche Denken, auch das radikalste, aus „einerseits" und „anderseits“ besteht.

Überhaupt trägt die Charakteristik der Opposition in der Stalinschen Rede den Charakter ganz skandalösen Hilflosigkeit. Die Gefahr der linken Abweichung besteht darin, dass

sie überschätzt die Kraft unserer Feinde, die Kraft des Kapitalismus, sie sieht nur die Möglichkeit der Wiederherstellung des Kapitalismus, aber sie sieht nicht die Möglichkeit des Aufbaus des Sozialismus mit den Kräften unseres Landes, sie verzweifelt und ist gezwungen sich durch das Geschwätz über das Thermidorianertum innerhalb unserer Partei zu trösten."

Das verstehe, wer kann. Die Opposition „verzweifelt“, weil sie nur die „Möglichkeit der Wiederherstellung des Kapitalismus sieht (d.h. die Gefahr des Thermidors); aber sie „tröstet sich (?) mit dem Thermidorianertum innerhalb unserer Partei", d. h. mit derselben Gefahr der Wiederherstellung des Kapitalismus. Das verstehe, wer kann. Wenn man von irgendetwas „verzweifeln“ kann, dann von diesem ideenlosen zentristischen Gewäsch. Aber die Opposition hofft auch damit fertig zu werden, lange vor dem Aufbau der vollendeten sozialistischen Gesellschaft in unserem Lande.

B. Das Versöhnlertum

Der Kampf gegen die Rechten wird anonym geführt, im Sinne der Personen und im Sinne der Sachen. Außer den Mandelstamms stimmt alles einheitlich gegen die Rechten, und wahrscheinlich stimmen die Mandelstamms schon mit den Übrigen. Wenn die unteren Parteigenossen fragen: wo sind denn diese Rechten?, dann antwortet ihnen Stalin:

Unrecht haben auch die Genossen, welche bei der Diskussion über das Problem der rechten Abweichung die Frage über die Personen, die die rechte Abweichung darstellen, zuspitzen … das ist eine falsche Fragestellung … es geht hier nicht um die Personen, sondern um die Bedingungen, um die Umstände, die die rechte Gefahr in der Partei heraufbeschwören. Man kann die Personen abschieben, aber das bedeutet nicht, das wir damit die Wurzeln der rechten Gefahr in der Partei herausgerissen haben.“

Diese Denkungsart ist die vollendete Philosophie des Versöhnlertums und eine ganz besonders klare und feierliche Absage von der Leninschen Tradition auf dem Gebiet des Ideenkampfes und der Erziehung der Partei. Das Übergehen der Personen, der Vertreter der rechten Abweichung mit dem Hinweis auf die Bedingungen, die die Abweichung hervorbringen, ist typisch versöhnlerisch. Das war auch der wichtigste und wirkliche Fehler des alten „Trotzkismus“, der ihn somit in Gegensatz zu den Leninschen Methoden brachte. Natürlich gibt es „objektive Bedingungen“, welche Kulaken und ihre Helfershelfer, Menschewiki und Opportunisten hervorbringen. Aber daraus folgt absolut nicht, dass die Anwesenheit von Opportunisten, Menschewiki, Kulaken und ihren Helfershelfern in der bolschewistischen Partei eine nebensächliche Frage ist. Es geht hier nicht um Personen, sondern um Bedingungen. Eine ausgezeichnete Offenbarung. Der alte Trotzkismus hat niemals so vulgär und hässlich die Theorie des Versöhnlertums formuliert. Die jetzige Stalinsche Philosophie ist eine Karikatur auf den alten Trotzkismus. Eine bösartige, da unbewusst.

Lenin hat der Partei immer wieder gelehrt, zu hassen und zu verachten die deklarativen Methoden des Kampfes mit dem Opportunismus „überhaupt", ohne eine klare und genaue Benennung ihrer verantwortlichsten Vertreter und ihrer Taten. Denn der deklarierte Kampf dient sehr oft dazu, die Luft ein wenig zu entladen, die aufgespeicherte Unzufriedenheit der Massen wegen des Abgleitens nach rechts abzulenken, und um die Rechten ein wenig zu erschrecken, damit sie sich nicht zu weit hinreißen lassen. Ein solcher Kampf gegen die Rechten kann sich letzten Endes als ein Schutz und als Deckung der Rechten erweisen, nur bedeutet das einen Umweg und ist zudem kompliziert. Der Zentrismus braucht die Rechten, nicht in Barnaul oder Astrachan, sondern in Moskau, als ihre Hauptreserve, aber solche Rechte, die sich dem Kommando fügen, also gezähmte, geduldige.

C. Der Sozialismus in einem Lande.

Die theoretische Krönung der rechten Politik ist die Theorie des Sozialismus in einem Lande, d.h. die des nationalen Sozialismus. Diese Theorie behalten die Zentristen voll und ganz bei, die faulen Teile des Gerüstes werden mit neuen Stützen hochgehalten. Sogar die fügsamen Delegierten des VI. Kongresses klagten in den Wandelgängen: „Warum zwingt man uns, im Programm diese Frucht zu schlucken.“ Es ist unnötig, hier über das Wesen der national-sozialistischen Philosophie zu streiten Warten wir ab, was ihre Schöpfer auf die Kritik des Programms antworten werden. Sie werden antworten müssen. Sie werden sie nicht totschweigen können.

Beschränken wir uns darauf, die neue Stütze anzuzeigen, die Stalin auf dem Moskauer Plenum am 19. Oktober aufzurichten versuchte. Stalin trat der Reihe nach gegen die Opportunisten und die Marxisten „einerseits" und „anderseits“ auf und bewies zum Schluss, dass wir

den endgültigen Sieg über den Kapitalismus erringen können, wenn wir verstärkte Arbeit für die Elektrifizierung des Landes durchführen werden … hieraus folgt (??) die Möglichkeit des Sieges des Sozialismus in unserem Lands“.

In der Rede befindet sich auch, natürlich, ein Hinweis auf Lenin, auch diesmal ein falscher. Ja, Lenin hegte große Hoffnung auf die Elektrifizierung, als auf einen Weg zur technischem Vergesellschaftlichung der Wirtschaft überhaupt, der Landwirtschaft im Besonderen. Ohne Elektrifizierung, sagte er, kann von einem wirklich sozialistischen Fundament unseres ökonomischen Lebens keine Rede sein“. (SVIII, T 1, S. 260). Aber Lenin trennte nicht die Frage der Elektrifizierung von der Frage der internationalen Revolution und stellte sie erst recht nicht einander gegenüber. Man kann dies auch diesmal laut Dokumenten beweisen, wie überhaupt in allen Fällen, wo die unglückseligen Schöpfer der national-sozialistischen Theorie es versuchen, sich auf Lenin zu stützen. In seinem Vorwort zu dem Buch des verstorbenen Skworzow „Die Elektrifizierung der RSFSR sagt Lenin. „Besondere Aufmerksamkeit muss man dem Anfang des VI. Kapitels widmen; wo der Verfasser den im Umgang befindlichen „leichten“ Skeptizismus in Bezug auf die Elektrifizierung ablehnt.“ …

Was wird denn bei Skworzow im Anfang des VI. Kapitels, welches Lenin so hervorhebt und so heiß dem Leser empfiehlt, gesagt? Er sagt folgendes:

Bei den im Umgang befindlichen Vorstellungen über die Verwirklichung der Elektrifizierung wird für gewöhnlich eine Seite außer Acht gelassen: das Proletariat Russlands hat niemals daran gedacht, einen isolierten sozialistischen Staat zu schaffen. Dieser selbstherrliche sozialistische Staat ist ein kleinbürgerliches Ideal (Hört! Hört! L.T.) Eine gewisse Annäherung an ihn ist denkbar bei einem ökonomischen und politischen Vorherrschen der Kleinbourgeoisie; in der Absonderung von der Welt sucht sie die Mittel zur Festigung ihrer ökonomischen Formen, welche durch die neue Technik und die neue Ökonomie in unhaltbare Formen verwandelt sind.“

Deutlicher kann man sich nicht ausdrücken. Es ist wahr, nach dem Tode Lenins sprach sich Skworzow-Stepanow anders aus und nannte nicht mehr die Idee des isolierten sozialistischen Staates – kleinbürgerlich, sondern die Verneinung dieser Idee. Aber auch Stalin ist doch den gleichen Weg gegangen: Bis zum Ende des Jahres 1924 sah er eine der wichtigsten Grundlagen des Leninismus in der Anerkennung der Unmöglichkeit, den Sozialismus in einem Lande aufzubauen, zudem noch in einem zurückgebliebenen Lande. Nach 1924 erhob er die Theorie des Aufbaues des Sozialismus in einem Lande zu einer Grundlage, des Leninismus.

Einen erfolgreich durchgeführten sozialistischen Aufbau“ – sagte Skworzow-Stepanow in demselben Kapitel – „ist nur unter Ausnutzung der großen westeuropäischen Industrie … Wenn in einem der erstklassigen Industrieländer, in England oder in Deutschland, das Proletariat die politische Macht in seine Hände nimmt, so würden die mächtigen Industrieressourcen dieses Landes mit den unermesslichen Naturreichtümern Russlands die Möglichkeit geben, den sozialistischen Aufbau in beiden Ländern schneller vorwärts zu treiben."

Das ist der gleiche elementare marxistische Gedanke, der in den letzten drei Jahren als die grundlegende Irrlehre des Trotzkismus erklärt wurde. Wie hat denn Skworzow-Stepanow in diesem Falle den sozialistischen Aufbau in unserem Lande vor dem Siege des Proletariats der anderen Länder bewertet? Folgendes sagt er hierüber:

Natürlich, wenn das wirtschaftliche Territorium, das von der proletarischen Diktatur erfasst ist, genügend groß und reich an natürlichen Schätzen ist, so schließt ihre Absonderung nicht die Möglichkeit der produktiven Kräfte aus, die die ökonomischen Vorbedingungen zum proletarischen Sozialismus sind. Aber das Vorwärtsschreiten wird ein verzweifelt langsames sein, und der Sozialismus und auf lange Zeit ein bis aufs äußerste saftloser sein. Wenn nur kein Verschwinden der politischen Vorbedingungen sein wird, was in dieser Lage ganz besonders wahrscheinlich ist." (Kap 6, S 176-179.)

Wie meinte Skworzow, dass ohne die europäische Revolution der Aufbau des Sozialismus unweigerlich einen „verzweifelt langsamen“ und „saftlosen" Charakter tragen wird, und darum hielt er es „für ganz besonders wahrscheinlich", dass unter diesen Umständen die politischen Vorbedingungen zum sozialistischen Aufbau verschwinden, d. h kurz gesagt, Niedergang der proletarischen Diktatur, unabhängig von einer militärischen Intervention. Als solch ein Kleingläubiger tritt Skworzow-Stepanow im sechsten Kapitel seines Buches über die Elektrifizierung auf. Und gerade über diese anscheinend skeptische Bewertung unseres Aufbaues schreibt Lenin:

Besondere Aufmerksamkeit muss man dem Anfang des VI. Kapitels widmen, wo der Verfasser eine gute Auslegung der neuen ökonomischen Politik zum besten gibt (d. h unseres „sozialistischen Aufbaues“ L.T.) und nachdem glänzend den „im Umgang befindlichen leichten“ Skeptizismus in Bezug auf die Elektrifizierung ablehnt …

Das unglückliche Kind des zentristischen Gedankens hat kein Glück. Jeder Versuch eines ergänzenden Arguments wendet sich unweigerlich gegen ihn. Jede neue Stütze unterwühlt nur den Bau, der aus faulem Material erbaut worden ist.

Ein wichtiger Zug des rechten Flügels ist, wie die Artikel und Resolutionen es beweisen, die alle nach einem Muster gemacht sind, das Streben nach einem friedlichen Leben und die Furcht vor Erschütterungen. Das ist richtig gesagt, d. h. von den Dokumenten der Opposition abgeschrieben. Aber hierauf beruht der Hass gegen die Idee der permanenten Revolution. Es wird hier natürlich nicht von den alten Differenzen gesprochen, die jetzt die Historiker und Spezialisten interessieren, sondern von den Perspektiven des kommenden Tages. Es gibt nur zwei Kursrichtungen: entweder der Kurs auf die international« Revolution oder der Kurs auf die Versöhnung mit der eigenen Bourgeoisie. Bei dem Über- und Durcharbeiten der „permanenten Revolution“ ist der rechte Flügel gewachsen. Unter dem Deckmantel der Theorie des nationalen Sozialismus geht er den Weg der Versöhnung mit der eigenen Bourgeoisie um sich vor Erschütterungen zu sichern.

So lange die Kampagne gegen die Rechten unter Zeichen der Theorie des Sozialismus in einem Lande geführt, wird so lange haben wir es mit einem Kampf des inneren Revisionismus zu tun. Das darf man keinen Augenblick vergessen.

D. Aktuelle praktische Fragen.

In den aktuellen Fragen der Politik ist die Bilanz der Zentristen fast ebenso ungünstig.

a) Die Rechten sind gegen das „jetzige“ Tempo der Industrialisierung. Aber wo ist das „jetzige“ Tempo? Das ist das arithmetische Resultat des Chwostismus, den Druckes, des Marktes und der Oppositions-Peitsche. Es speichert die Widersprüche auf und löst sie nicht. Es schließt nicht eine einzige durchdachte Idee in sich, gibt keine Garantien für die Zukunft. Morgen kann ein anderes „jetziges" Tempo sein.

Das Geschrei über die „Überindustrialisierung" bedeutet offene Pforten für den Rückzug

b) Die Rechten verneinen die „Zweckmäßigkeit" der Bewilligungen für Kollektiv- und Sowjetwirtschaften. Und die Zentristen? Wie sind ihre Pläne? Wenn man an die Sache auf revolutionäre Art herantreten will, so muss man mit den Tagelöhnern anfangen. Es sind kühne und entschlossene Maßnahmen vonnöten (Lohn, Organisation, Kultur), damit sich die Tagelöhner als einen Teil der regierenden Klasse des Landes fühlen. Ein geschlossener Bund der Armut ist vonnöten. Nur beim Vorhandensein dieser zwei Hebel und bei einer wirklich führenden Rolle der Industrie kann man ernstlich von Kollektiv- und Sowjetwirtschaften sprechen.

c) Die Rechten sind „für eine Milderung des Außenhandelsmonopols“. Diese Beschuldigung ist etwas konkreter (Gestern noch wurde der Hinweis auf diese Tendenzen in der Partei Verleumdung genannt). Aber auch hier ist wiederum nicht gesagt, wer die Milderung vorschlägt und in welchen Grenzen: sind es dieselben Grenzen, innerhalb derer Sokolnikow mit Stalin 1922 das Monopol „mildern“ wollte oder sind sie weitergezogen?

d) Endlich verneinen die Rechten „die Zweckmäßigkeit des Kampfes gegen den Bürokratismus auf der Basis der Selbstkritik". Über diese Differenz braucht man überhaupt nicht ernstlich sprechen. Es existiert ein direkter Beschluss der Stalinschen Fraktion darüber, dass zum Zweck der Beibehaltung der „festen Führung" die Selbstkritik das ZK nicht berühren darf und sich auf die, die sie gebrauchen, begrenzen muss. In leicht maskierter Form haben Stalin und Molotow diesen Beschluss in Reden und Artikeln so ausgelegt. Selbstverständlich ist die Selbstkritik dabei gleich Null. Dem Wesen nach haben wir hier ein monarchistisch-bonapartistisches Prinzip, das allen Traditionen der Partei ins Gesicht schlägt. Es ist verständlich, dass die „Benutzer" auch den Wunsch haben, sich einen kleinen Teil der oberen Unantastbarkeit zu sichern. Hier besteht nur eine hierarchische und keine prinzipielle Differenz.

Die jetzige Erweiterung der „Selbstkritik" verfolgt außer anderen auch zeitweilige reaktionäre Ziele. Wir haben hier eine, nur in größerem Maßstabe, Wiederholung jener „Selbstkritik", welche die Stalinsche Fraktion in Leningrad nach dem XIV. Parteikongress organisiert hat, als die Stalinleute die Anhänger Sinowjews unerbittlich des bürokratischen Druckes beschuldigten. Welches Regime die Stalinleute in Leningrad nach dem Siege errichteten, braucht man nicht erst zu erklären

E. Die Lohnfrage.

Die zentristische Charakteristik des rechten Flügels ist besonders bemerkenswert durch das, was sie verschweigt. Wir hören von der ungenügenden Einschätzung der Kapital-Einlagen, der Kollektivierung, der „Selbstkritik". Aber kein Wort von der materiellen, kulturellen und politischen Lage des Proletariats. Auf diesem Gebiet, erweist sich, ist zwischen den Zentristen und den Rechten kein Unterschied. Aber eine richtige Bewertung der fraktionellen Differenzen kann man nur in dem Falle erhalten, wenn man an sie vom Gesichtspunkt der Interessen und Forderungen des Proletariats als Klasse und eines einzelnen Arbeiters herantritt (siehe 2. Kapitel der „Plattform“ der Bolschewiken-Leninisten „Die Lage der Arbeiterklasse und die Gewerkschaften“).

Die Artikel und Resolutionen gegen die Rechten sprechen sehr breit, aber unbestimmt von den Kapitaleinlagen in der Industrie, aber kein Wort von den Löhnen. Diese Frage muss aber der wichtigste Maßstab der Erfolge der sozialistischen Entwicklung sein und folglich auch das Kriterium der Differenzen. Ein sozialistischer Aufschwung [hört auf, einer zu sein]3, wenn er nicht die Lebenslage der Arbeiterklasse ununterbrochen offen und wahrnehmbar verbessert Das Proletariat ist die wichtigste produktive Kraft des sozialistischen Aufbaus. Von allen Kapitalanlagen ist das im Proletariat angelegte das „profitlichste“ Die Erhöhung des Lohnes als eine Prämie für die Erhöhung der Arbeitsintensität anzusehen, bedeutet, sich von den Methoden und Kriterien der frühkapitalistischen Akkumulationsperiode zu leiten. Schon die fortschrittlichen Kapitalisten in der Blütezeit des Kapitalismus und ihre Ideologen (Schule Brentano) stellten die Forderung der Vorbesserung der materiellen Lage des Arbeiters auf, als die Vorbedingung der Erhöhung der Arbeitsintensität. Wenigstens diese Ansicht des fortschrittlichen Kapitalismus muss der Arbeiterstaat veralIgemeinern und vergesellschaftlichen, soweit die Armut des Landes und die nationale Begrenztheit der Revolution es nicht erlauben, sich wirklicher sozialistischer Kriterien zu bedienen. Dieses letztere sagt, dass die Produktion die Aufgabe hat, die Konsumtion zu befriedigen. Bis zu einem solchen wirklich sozialistischen gegenseitigen Verhältnis zwischen Produktion und Konsumtion gelangen wir erst nach einer Reihe von Jahren, unter der Bedingung des Sieges der Revolution in den fortgeschrittenen Ländern und des Einschlusses unseres Landes in das allgemeine wirtschaftliche System. Wenn wir die kapitalistischen Produktionsmittel vergesellschaftlichen, müssen wir, was die Löhne anbetrifft, wenigstens die Tendenzen des fortschrittlichen Kapitalismus und nicht die des Frühkapitalismus oder des absteigenden Kapitalismus vergesellschaftlichen. Und hierzu müssen wir in alle Winde jagen die Tendenzen, die in dem letzten Beschluss des Obersten Gewerkschafts- und Wirtschaftsrats bezüglich der Löhne für 1929 eingedrungen sind. Das ist ein Beschluss des Stalinschen Politbüros. Dieser lautet, dass mit wenigen Ausnahmen 1929 keine mechanische (schönes Wort) Erhöhung des Arbeitslohnes stattfinden darf. Zahllose Zeitungsartikel erklären, dass die Aufgabe für 1929 in dem Kampf um den jetzigen Reallohn besteht. Und gleichzeitig klappern die Mühlen vom mächtigen Aufschwung des sozialistischen Aufbaus. Dabei wandern die Waren ins Dorf. Die Arbeitslosigkeit wächst. Die Bewilligungen für den Arbeitsschutz sind geringfügig. Der Alkoholismus macht Fortschritte. Und als Perspektive für das nächste Jahr – der Kampf um die Beibehaltung des jetzigen Arbeitslohnes.

Das bedeutet, dass der ökonomische Aufschwung des Landes vollzogen wird auf Kosten der Verminderung des Anteils des Proletariats an der nationalen Produktion im Vergleich zu den anderen Klassen. Keine Sophistik stößt diese Tatsache um, die zu gleichen Teilen das Resultat der Politik der Rechten und des Zentrums ist.

Die Wiederaufbauperiode bedeutete die Arbeit auf den alten vom Kapitalismus durchgetretenen Wegen. Den Grundkadern des Proletariats hat diese Periode kaum die Wiederherstellung des vorkriegszeitlichen Lohnes gebracht. In der Wiederaufbauarbeit nutzten wir die Erfahrungen des von uns niedergeschlagenen Kapitalismus aus. Erst jetzt beginnt dem Wesen nach die Epoche der selbständigen sozialistischen Entwicklung. Die ersten Schritte auf dem neuen Wege zeigten schon sehr deutlich, dass hier der Erfolg einen ganz neuen Maßstab an die Initiative, an das Denken, an das Vorausschauen, an den schöpferischen Willen stellt, und das nicht nur von den eilenden Spitzen, sondern auch von den proletarischen Grundkadern und den werktätigen Massen überhaupt Die Schachtysche Sache erzählt nicht nur von dem Bürokratismus und der Talentlosigkeit der Leitung, sondern auch von dem niedrigen kulturell-technischen Niveau und der ungenügenden sozialistischen Interessiertheit der Schachtyschen Arbeiter. Hat jemand nachgezählt, wie viel der Schachtysche „sozialistische Aufbau" gekostet hat? Das haben weder die Rechten noch die Linken getan, um sich nicht die Finger zu verbrennen. Dabei kann man ganz gut sagen, dass, wenn man die Hälfte, ja sogar nur den dritten Teil der verbrecherisch vernichteten Millionen rechtzeitig für die Hebung des materiellen und kulturellen Niveaus der Schachtyschen Arbeiter ausgegeben hätte, für die sozialistische Interessiertheit am Werk, so würde die Produktion jetzt auf einer viel höheren Stute stehen. Die Schachtysche Sache ist keine Ausnahme Sie ist nur der krasseste Ausdruck für die bürokratische Unverantwortlichkeit oben, für die materiell-kulturelle Zurückgebliebenheit und Passivität unten.

Wann wir ernstlich von einem selbständigen sozialistischen Aufbau sprechen, dabei von der ererbten, elenden sozialistischen Basis ausgehend, so muss man vor allem von dem einen Gedanken durchdrungen sein dass von allen wirtschaftlichen Anlagen die unbestrittenste zweckmäßigste und rentabelste die in die Arbeiterklasse angelegte ist, und zwar mittels einer systematischen und rechtzeitigen Erhöhung des Reallohnes.

Das Verständnis hierfür sucht man vergeblich. Die kurzen Gedanken eines kleinbürgerlichen Wirtschafters sind das wichtigste Kriterium. Wenn unter der Knute der Opposition die zentristischen Meister zehn Jahre nach dem Oktober es halb begriffen haben, dass ohne rechtzeitige Kapitalanlagen in der Schwerindustrie die Widersprüche zugespitzt und die Grundlagen der Leichtindustrie untergraben werden, so haben diese leidigen Meister samt ihrer Untermeister bis jetzt nicht begriffen, dass ohne rechtzeitige Einlagen in die Sache der allgemeinen gesellschaftlich-politischen, materiellen Qualifikation der Arbeitskraft sie wahrscheinlich den Niedergang des gesamten gesellschaftlichen Systems vorbereiten.

Die fertige Antwort: woher die Mittel nehmen?, ist einfach eine bürokratische Falle. Es genügt, gegenüberzustellen, die 8 Milliarden des Staatsbudgets für 1928, mehr als 1½ Milliarden Kapitalumlagen und die 35 Millionen als Jahresfonds zur Erhöhung der Arbeitslohnes. Dass man für den Ziegelstein und das Eisen zahlen muss sowie für den Transport, das bestreitet man nicht. Die Notwendigkeit, die Produktionskosten einzukalkulieren, haben sie sich wenigstens im Prinzip angeeignet. Aber die Erhöhung der Qualifikation der Arbeitskraft bleibt in allen Berechnungen die letzte Reserve, auf deren Rücken alle Widersprüche unserer Wirtschaft, die miserabel geleitet wird, ausgefochten werden.

Die Zentristen sind es nicht, die dieser Wirtschaft ein Ende machen werden.

7. Die möglichen Folgen des Kampfes.

Wenn von den Folgen der jetzigen Kampagne gegen die Rechten gesprochen wird, so kann man an diese Frage von zwei Seiten herantreten: erstens, von den Zielen und Plänen, welche der führende und zentristische Kopf verfolgt und zweitens – von den objektiven Resultaten, welche sich entwickeln können und müssen entgegen allen Plänen des zentristischen Stabes.

Als Refrain dient der ganzen Kompanie die ganz idiotische Behauptung, dass der rechte Flügel und der linke „im Grunde genommen" ein and dasselbe sei. Das ist kein einfacher Unsinn, welchen man nicht nur nicht begründen, sondern auch unmöglich in seinen einzelnen Teilen formulieren kann, sondern ein sein zielbewusster Unsinn, der eine ganz bestimmte Aufgabe verfolgt: auf einer gewissen Etappe der Kampagne, wenn die Rechten genügend eingeschüchtert sein werden, mit einer schroffen Wendung das Feuer gegen den linken Flügel zu eröffnen. Es ist wahr, das Feuer hört auch ohnedies nicht auf einen Augenblick auf. Hinter den Kulissen des anonymen Kampfes gegen die Rechten wird eine ganz zügellose Kampagne gegen die Linken geführt. Hierbei berufen sich die Meister absolut nicht auf „objektive Bedingungen", sondern führen eine wütende Hetze gegen Personen mit einer schon längst gefassten Entschlossenheit, vor nichts stehen zu bleiben. Da die „Splitter“ nicht nur leben, sondern auch „den Kopf erheben“, so besteht die wichtigste Aufgabe, die die gesamte Politik des zentristischen Stabes beherrscht, darin den Kampf gegen den linken Flügel in ein neues „höheres“ Stadion eintreten zu lassen, d.h. sich endgültig von den ungenügenden Versuchen loszulösen und sie durch kräftige, wirkende Mittel zu ersetzen. Der 58. Artikel muss durch einen wirksameren ersetzt werden. Es ist nicht notwendig, davon zu sprechen dass gerade auf diesem Wege die zentristische Leitung sich den Hals brechen wird, aber die zentrischen Bankrotteure, im Besitz der Apparatmacht, haben auch keinen anderen Weg. Wegen dieser kräftigeren Mittel muss die zentristische Leitung sich von dem Versöhnlertum trennen, im Apparat selbst und um den Apparat herum- Es geht hier nicht die Rede von dem Versöhnlertum auf dem rechten Flügel – denn ein solches Versöhnlertum bildet die Seele des Stalinschen Zentrismus – sondern von dem Versöhnlertum bezüglich der Bolschewiken-Leninisten. Die Kampagne gegen die Rechten ist nur ein Anlauf für einen neuen „einheitlichen“ Druck nach links. Wer das nicht verstanden hat, der hat nichts verstanden.

Aber die Pläne des Zentrismus sind nur ein Faktor, wenn auch ein sehr wichtiger, in dem Prozess der Entwicklung des innerparteilichen Kampfes. Es ist daher notwendig zu prüfen, welche die von den zentristischen Strategen nicht vorgesehenen Folgen sind, die aus der Krisis des regierenden Blocks entstehen.

Es ist natürlich jetzt unmöglich zu sagen, auf welchem Punkt die jetzige Kampagne des Zentrums gegen die Rechten stehen bleibt, welche unmittelbaren Umgruppierungen usw. entstehen werden. Aber der allgemeine Charakter der Krise des rechtszentristischen Blockes ist ganz klar. Die schroffen Zickzacke, zu welchen der Zentrismus gezwungen ist, geben an und für sich keine Garantie bezüglich des kommenden Tages. Aber andererseits geht dieser Zickzackkurs nicht ungestört vorüber. Meistens wird er zum Ausgangspunkt der Differenzierung innerhalb des Zentrismus, einer Abbröckelung eines bestimmten Teiles ihrer Anhänger, der Heranbildung verschiedener Gruppierungen innerhalb der zentristischen Leitung selbst, was wiederum die Arbeit der bolschewistischen Agitation und Werbung erleichtert. Der Zentrismus ist jetzt die wichtigste Kraft innerhalb der Partei. Wer den Zentrismus ansieht als etwas ein für allemal Vollendetes und dabei die reellen Prozesse in ihm und hinter ihm ignoriert, der bleibt für immer entweder das radikale Orakel eines kleinen Kreises oder rollt selber zum Zentrismus herab und sogar noch weiter nach rechts. Der Bolschewik-Leninist muss klar begreifen, dass, wenn auch die rechts-zentristische Krise weitere Massen nicht unmittelbar in Bewegung setzen wird – dieses hängt in gewissem Maße auch von uns ab – so hinterlässt diese Krise ernstzunehmende Spuren, welche in die Massen hineingehen, und um welche neue tiefer wirkende Massengruppierungen entstehen werden. Es ist unnütz, zu beweisen, dass ein solches Anfassen des innerparteilichen Prozesses nichts Gemeinsames hat mit dem ungeduldigen Bestreben, irgendwie und irgendwo einen Zipfel des Zentrismus zu erfassen, um – was Gott verhüte – nicht zu spät zu kommen mit seinem oppositionellen Gepäcklein zum Abgang des nächsten Extrazuges.

Die Stärkung des Zentrismus von links, d. h. vom proletarischen Kern der Partei, selbst wenn dieses als Folge des Kampfes gegen die Rechten in Erscheinung treten würde, würde nicht von langer Dauer sein. In ihrem Kampf gegen die Leninsche Opposition sind die Zentristen gezwungen, mit der rechten Hand das wegzunehmen, was sie mit der linken aussäen. Irgend welche reale und fühlbare Änderungen hinsichtlich der materiellen Lage des Proletariats oder hinsichtlich des Parteiregimes wird ein Sieg der Zentristen nicht mit sich bringen, wenigstens nicht ohne den kräftigen Druck der Arbeiter, die von den Bolschewiken-Leninisten geführt werden Die aufgeregte Masse wird auf ihre eigene Art die Fragen der rechten Gefahr zu Ende denken. Die Leninisten werden darin den Massen helfen. Der Zentrismus hat an seiner linken Seite eine offene Wunde, welche nicht zuheilen, sondern im Gegenteil noch tiefer gehen wird, welche den Zentrismus im Wundfieber schütteln lassen und ihm keine Ruhe geben wird. Gegen alle Gesetze der Naturwissenschaft werden die „Splitter“ eine immer größere Nachkommenschaft schaffen.

Zu gleicher Zeit wird der Zentrismus auch von der rechten Seite geschwächt. Der Eigentümer und der Bürokrat sah im rechtszentristischen Block ein Ganzes, sahen in ihm das kleinere Übel und den Kern der weiteren Entwicklung und um dieser Eigenschaft willen unterstützten sie ihn auch. Jetzt lernen die Eigentümer und die Bürokraten die Zentristen und die Rechten unterscheiden. Mit den Rechten sind sie natürlich wegen ihrer Schlappheit und Charakterlosigkeit unzufrieden. Aber das sind eigene Leute, welche vom Wege abgekommen sind. Die Zentristen aber sind für sie Fremde, fast Feinde. Der Zentrismus schädigt sich durch seiner Sieg an zwei Fronten. Seine soziale Grundlage verengert sich in dem Maße, wie die Macht seines Apparates schwillt. Das Gleichgewicht des Zentrismus gleicht immer mehr dem Gleichgewicht eines Seiltänzers. Von seiner Beständigkeit kann keine Rede sein.

Im rechten Flügel wird auch eine ernst zu nehmende Umgruppierung vor sich gehen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein gewisser Teil der Rechten, die den „Trotzkismus“ für ernst nahmen und im Kampf mit ihm auferzogen sind, jetzt ernstlich ihr Geistesgepäck untersuchen werden und schroff nach links, fast bis zur Opposition kehrt machen werden. Selbstverständlich kann diesen Weg nur eine kleine Minderheit einschlagen. Die Hauptbewegung des rechten Flügels wird die der entgegengesetzten Richtung sein. Die unteren Schichten werden mit dem Kapitulieren der oberen nicht zufrieden sein. Der Eigentümer wird drücken. Die Ustraljowisten werden fertige Formeln ins Ohr flüstern. Die zahlreichen Kanzlei-Elemente der Rechten werden natürlich kuschen, d.h. werden sich als Zentristen ausgeben, werden sich nach ihren Vorgesetzten richten und auf dem Parteitag gegen die rechte Abweichung stimmen. Die Zahl der Karrieremacher im Apparat wird wachsen. Aber die bodenständigeren Elemente des rechten Flügels werden sehr schnell reifen, ihre Aufgaben bis zum Ende durchdenken, werden klare Losungen formulieren, sich mit den nicht parteilichen Kräften des Thermidors in Verbindung setzen. Was die Gruppe der „Führer“ betrifft, so ist hier das Vorausschauen etwas schwieriger. In jedem Falle sind für die den Rechten bevorstehende Arbeit die Woroschilows und Uglanows wichtiger als die Bucharins und Rykows. Unter diesen Namen verstehen wir nicht so sehr bestimmte Personen als politische Typen. Als Resultat der Umgruppierung wird der „niedergeschlagene“ rechte Flügel bewusster und stärker.

Es ist wahr, die Rechten wollen Ruhe haben. Aber man muss ja nicht denken, dass der rechte Flügel durch und durch und unbedingt „pazifistisch“ ist. Der Kleinbürger kann in dem Kampf um die Ordnung die größte Unordnung hervorbringen. Beispiel; der italienische Faschismus. Im Kampf gegen die Krisen, Erschütterungen, Gefahren kann der rechte Flügel in einer weiteren Etappe den neuen Eigentümer und überhaupt allen Unzufriedenen helfen, an der Sowjetmacht zu rütteln, um die Diktatur des Proletariats hinauszuwerfen. Man muss nicht vergessen, dass die lange niedergehaltenen Eigentums-Instinkte des Kleinbürgers einen starken Explosivstoff darstellen. Niemals und nirgends sind die konservativen Eigentums-Instinkte und Verlangen, so lange und so hart niedergedrückt worden, wie unter dem Sowjet-Regime. Im Lande sind sehr viele thermidorianisch-faschistische Elemente. Sie sind sehr stark geworden. Ihr politisches Selbstbewusstsein ist während des Prozesses der Niederschlagung der Opposition gewachsen Den Kampf gegen die Opposition hielten sie ganz richtig für ihren Kampf. Die Zickzackpolitik festigt, bremst und ärgert sie. Im Gegensatz zum Zentrismus besitzt der rechte Flügel eine immer wachsende Reserve.

Das Gesamtresultat ist Folgendes: Stärkung und Formierung der Flügel bei Schwächung des Zentrums, trotz der wachsenden Konzentrierung der Macht in seinen Händen. Das bedeutet eine wachsende Differenzierung der Partei d.h. eine harte Strafe für die falsche Einheitlichkeit. Dass hiermit nicht nur große Kosten, sondern auch direkte Gefahren der Diktatur des Proletariats verbunden sind, steht außer allem Zweifel. Aber das ist der Fluch des Zentrismus. Die folgerichtige marxistische Politik hat die bolschewistische Partei zusammengeschweißt und ihr eine revolutionäre Einheitlichkeit gegeben. Der Zentrismus ist die ideal formlose Achse, um die sich bis zu einem gewissen Zeitpunkt rechte und linke Elemente drehen. In den letzten fünf Jahren ist die Partei außerordentlich angeschwollen, sie verlor dabei an Bestimmtheit, was sie an Zahl gewann. Die Wiedervergeltung für die zentristische Politik ist im vollen Gange: zuerst vom linken Flügel, jetzt vom rechten. Zentristische Leitung bedeutet letzten Endes immer Spaltung der Partei. Der Versuch, jetzt aus den Prozessen der Differenzierung der Partei und der Formierung mit Hilfe von versöhnlerischen Tränen und verstecktem Werben herauszukommen, würde einfach eine Dummheit bedeuten. Ohne eine Generalabgrenzung in der prinzipiellen Linie würden wir nur eine molekulare Verkrümelung der Partei erleben, welcher ein katastrophaler Übergang folgen würde.

Trotz der großen Aufmachung sind beide Kampagnen der Zentristen gegen die Flügel – gegen die Bolschewik-Leninisten und gegen die rechten Thermidorianer – vorbereitenden präventiven Charakters. Die wirklichen Kämpfe liegen noch vor uns. Die Klassen werden entscheiden. Die Frage der Oktobermacht, mit welcher jetzt die die zentrischen Kämpfer auf dem Seile spielen, werden von den Millionen und Abermillionen entschieden werden. Ob früher oder später, teilweise oder insgesamt, ob mit offener Anwendung der Gewalt oder im Rahmen der Wiederherstellung der Partei und Sowjetkonstitution – das hängt von dem Tempo de inneren Prozesse und der internationalen Lage ab: Klar ist eines: für die Bolschewik-Leninisten gibt es keinen anderen Weg, als die Mobilisierung der lebendigen und lebensfähigen Elemente ihrer Partei, der Zusammenschweißung des proletarischen Kerns, die Mobilisierung der Arbeiterklasse im Ganzen, in Verbindung mit dem Kampf um die leninistische Linie der Komintern. Die jetzige zentristische Kampagne gegen die Rechten bedeutet für die proletarischen Revolutionäre die Notwendigkeit und die Pflicht, ihre Kräfte für die selbständige politische Linie, die die gesamte Geschichte des Bolschewismus geschmiedet hat, und die durch die größten Ereignisse des letzten Jahres geprüft worden ist, zu verzehnfachen.

1 In der „Fahne des Kommunismus“ steht „muss nicht“ statt „darf nicht“. In der englischen Fassung steht „must not“

2 In der „Fahne des Kommunismus“ steht „eine“ statt „keine“. Im englischen Text steht „no class“

3 Ergänzt nach der englischen Fassung

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