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Leo Trotzki 19280900 Wer leitet heute die Kommunistische Internationale?

Leo Trotzki: Wer leitet heute die Kommunistische Internationale?

[Nach der Broschüre, Verlag der Zeitschrift DIE AKTION (Franz Pfemfert), Berlin-Wilmersdorf 1930]

Nichts ist so bezeichnend für den veränderten Charakter der offiziellen Partei in der Sowjet-Union, wie ihr Verhältnis zu den Fragen der internationalen Revolution. Für die Mehrheit der Apparat-Bürokratie ist die Kommunistische Internationale zu einem Ressort geworden, um das sich nur diejenigen kümmern, denen es von Amts wegen zusteht. In den letzten Jahren hat die Leitung die Partei systematisch abgewöhnt, sich für das innere Leben der internationalen Arbeiterbewegung, besonders für ihre kommunistische Partei, zu interessieren. Man muss es offen sagen, dass die heutigen Zeitungsinformationen in der UdSSR über die inneren Prozesse der Arbeiterklasse der Welt unvergleichlich niedriger stehen, als die Informationen, die die besseren Organe der Sozialdemokratie vor dem Kriege gaben. Den heutigen, durch und durch bürokratischen. immer nur den bestimmten heutigen Interessen der regierenden Spitzen angepassten Informationen kann man überhaupt nicht glauben. Es ist keine Rede von einer ständigen Beobachtung der Entwicklung der Arbeiterbewegung und des in ihr stattfindenden inneren Kampfes. Einige Prozesse werden verschwiegen, andere dagegen aufgebauscht. aber auch das nur zeitweilig. Nach längerem Misserfolg, wenn diese oder jene Partei sozusagen aus dem Gesichtsfelde unserer Presse überhaupt verschwindet, erscheint plötzlich eine „neue Gefahr", eine „neue Abweichung" – eine Katastrophe. Allerdings erfährt der Leser von dieser Katastrophe erst, nachdem die entsprechenden Organe ihre „Maßregeln" getroffen haben. Dem Leser (d. h. der Partei) wird einfach mitgeteilt, dass die Katastrophe, von deren Wachsen er keine Ahnung hatte, glücklich durch die gestrigen Beschlüsse des Präsidiums liquidiert wäre, und dass die Bedingungen für die Einheit der entsprechenden nationalen Partei gesichert seien. Die einförmige Wiederholung dieser Methode macht den Leser stumpf und gleichgültig. Der durchschnittliche Parteimann beginnt sich zu den einander ablösenden Katastrophen in der Komintern, ja auch teilweise zu der eigenen Partei so zu verhalten, wie der Bauer sich zu Hagel oder Trockenheit verhält: da ist nichts zu machen, bleibt nur übrig, zu dulden.

Selbstverständlich ist dieser Prozess nur auf dem Hintergrunde der größten Niederlagen der internationalen Revolution denkbar, und zwar solcher Niederlagen, deren Sinn der Parteimasse nie offenbart wurde, denn die Offenbarung ihres Sinnes würde die Unfähigkeit der Leitung klarstellen. Die zerstörende Kraft derartiger Methoden ist ungeheuerlich. Nur das riesige, von der Vergangenheit geerbte geistige moralisch-politische Kapital, die bloße Tatsache der Existenz eines Arbeiterstaates, der aus der Oktoberrevolution hervorgegangen ist, gestattet der Komintern, im Rahmen ihrer Organisation noch immer 400-500.000 Menschen in der Welt (außer in der UdSSR) zu vereinigen, allerdings auch nicht mehr.

Die theoretische Gewissenlosigkeit ist zu einer der wichtigsten Waffen im inneren Kampf geworden. Diese Tatsache allein ist ein untrügliches Symptom der schweren Krankheit, die den Organismus der Komintern befallen hat; ideologische Gewissenlosigkeit der revolutionären Leitung ist dasselbe wie Liederlichkeit und Unsauberkeit eines Chirurgen. Beides führt unvermeidlich zu einer Vergiftung des Organismus. Die theoretische Gewissenlosigkeit der Führung ist durchaus kein Zufall und keine persönliche Eigenschaft: sie ergibt sich aus dem Gegensatz zwischen den Grundsätzen des Leninismus und der wirklichen Politik der Stalinschen Fraktion. Je kleiner die Autorität und Geschlossenheit. desto schärfer der Druck. Die Disziplin, unentbehrlich wie Salz zur Nahrung, ist in den letzten Jahren zum Ersatz dieser Nahrung geworden. Niemandem aber ist es gelungen, von Salz allein satt zu werden. Die Auswahl der Menschen geht entsprechend dem Kurs und Regime vor sich. Die kommunistischen Kämpfer werden immer öfter durch Feldwebel des Kommunismus ersetzt. Das zeigt sich am gröbsten und klarsten im Zentrum der kommunistischen Führung, d. h. im Zentral-Apparat der Komintern.

Es ist deshalb im höchsten Grade wichtig, sich darüber klar zu werden, welche Elemente, welche politischen Typen es sind, die heute die Hauptfäden der Komintern in ihren Händen halten. Eine umfassende Statistik und politische Charakteristik der Komintern-Bürokratie besitze ich nicht. Das ist auch nicht direkt notwendig. Es genügt einfach, auf die „repräsentativsten" Gestalten, die die heutige führende Linie und das heutige Regime verkörpern, mit den Fingern zu weisen.

Da ich nicht Anspruch darauf erhebe, mit diesen Zeilen eine irgendwie systematische Arbeit zu geben, und da die Galerie der Stalinschen Komintern mit irgend jemand anfangen muss, so nenne ich zuerst Bela Kun. ihn damit aber durchaus nicht, weder im guten, noch im schlechten Sinne, hervorhebend. Die Gerechtigkeit verlangt es sogar, anzuerkennen, dass Bela Kun in jedem Falle nicht das schlechteste Element der herrschenden Schicht der Komintern darstellt. Ihn vervollständigen zwei andere ungarische Kommunisten: Varga und Pepper. Alle drei spielen eine internationale Rolle, da sie beinahe ununterbrochen als Lehrer und Ratgeber der nationalen Sektionen auftreten. Zwei von ihnen, Kun und Pepper, sind außerdem noch qualifizierte Spezialisten im Kampf gegen den „Trotzkismus". Die kurzlebige Sowjetrepublik in Ungarn wirft auf sie immer noch einigen Abglanz der Autorität. Man darf aber keineswegs vergessen, dass diese Politiker es nicht nötig gehabt hatten, die Macht zu erkämpfen: sie wurde ihnen von der in eine Sackgasse geratenen Bourgeoisie einfach zugeschoben. Nachdem sie die Macht ohne Kampf erhalten hatten, zeigten die ungarischen Führer, dass sie durchaus unfähig waren, sie festzuhalten. Ihre Politik war eine Kette von Fehlern: 1. vergaßen sie die Bauern, indem sie ihnen kein Land gaben; 2. vereinigten sie in ihrer Freude die junge kommunistische Partei mit der linken Sozialdemokratie, sobald die letztere sich der Macht anbiederte. Damit zeigten sie – und in erster Linie Bela Kun –, dass die Erfahrungen der russischen Revolution sie weder die Bauernfrage, noch die Frage der Rolle der Partei während der Revolution zu verstehen gelehrt hatten. Natürlich erklären sich diese Fehler, die der ungarischen Revolution den Kopf gekostet haben, durch die Jugend der ungarischen Partei und die völlig mangelnde politische Vorbereitung ihrer Führer. Ist es aber nicht erstaunlich, dass sich sowohl Bela Kun, wie auch sein sozialdemokratischer Schatten, Pepper, berufen fühlen, uns, die Opposition, der Unterschätzung der Bauernschaft und des Verkennens der Rolle der Partei während der Revolution zu zeihen? Wo ist gesagt, dass ein Mensch, der aus Leichtsinn seinem Nächsten Arme und Beine gebrochen hat, als berufener Professor der Chirurgie fungieren soll?

Auf dem III. Kongress nahm Bela Kun mitsamt seiner unvermeidlichen Komplettierung, Pepper, eine ultralinke Stellung ein. Sie rechtfertigten die März-Strategie (1921) in Deutschland. einer deren nächsten Inspiratoren Bela Kun war. Ihre Stellung war die, dass, wenn nicht schleunigst eine Revolution im Westen hervorgerufen würde, die Sowjet-Republik dem Untergang geweiht sei. Bela Kun versuchte mich nicht nur einmal zu überzeugen, auf diesem Wege „das Glück" zu erproben. Ich lehnte entschieden seine Abenteuer ab, erklärte zusammen mit Lenin ihm auf dem III. Kongress, dass die Aufgabe der europäischen Kommunisten nicht in der „Rettung" der UdSSR mit Hilfe revolutionärer Inszenierungen bestehe, sondern in ernster Vorbereitung der europäischen kommunistischen Parteien auf die Eroberung der Macht. Jetzt hält sich Bela Kun mit allen anderen Peppers für berufen, mich des „Unglaubens" an die Lebenskraft der Sowjetrepublik und der „Spekulation" auf die Weltrevolution zu beschuldigen. Die sogenannte Ironie der Geschichte erhält hier den Charakter der reinen Harlekinade. Wahrhaftig, nicht zufällig wurde der III. Kongress von der Leninschen Formel begleitet: „Das alles sind Dummheiten von Bela Kun". Und wenn ich im Gespräch unter vier Augen mit Lenin Bela Kun vor der beinahe schon zu harten Verurteilung zu verteidigen versuchte, antwortete Lenin: „Ich bestreite nicht, dass er ein Kämpfer ist, aber ein vollkommen untauglicher Politiker; man muss die Menschen lehren, ihm nicht zu vertrauen."

Was Pepper anbetrifft, so ist das der vollendete Typus eines „Konjunkturmenschen", eines politischen Parasiten. Solche Menschen klebten immer an der siegreichen Revolution, genau so wie Fliegen am Zucker. Bald nach dem Untergang der Räterepublik in Ungarn versuchte Pepper in Beziehungen zum Grafen Karolyi zu treten. Auf dem III. Kongress war er Ultralinker. In Amerika wurde er Verkünder der Partei La Folettes und zog die junge Partei in den Sumpf. Unnötig zu sagen, dass er Prophet des Sozialismus in einem Lande wurde und einer der unversöhnlichsten Anti-Trotzkisten. Jetzt betreibt er dies einfach als Beruf, so wie andere den Beruf eines Heiratsvermittlers oder Lotteriekollekteurs ausüben.

Von Varga kann ich das schon einmal Gesagte wiederholen, dass er der vollendete Typus eines theoretischen Polonius unter jeder Leitung der Komintern ist. Zweifellos ist Varga seinen Kenntnissen und analytischen Eigenschaften nach ein sehr nützlicher und qualifizierter Arbeiter. Er besitzt aber auch nicht die Spur der physischen Kraft des Denkens oder des revolutionären Willens. Von dieser Seite gesehen, erscheint Varga als Miniaturausgabe von Kautsky. Er war Brandlerianer zur Zeit Brandlers, Maslowist unter Maslow, Thälmannianer unter der leeren Stelle, die Thälmann genannt wird. Er serviert immer gewissenhaft und peinlich korrekt die wirtschaftlichen Argumente zu der jeweiligen politischen Linie. Die objektive Bedeutung seiner Arbeit wird völlig durch die politischen Eigenschaften der Bestellung erschöpft, auf welche er nicht den geringsten Einfluss ausübt. Er rechtfertigt die Theorie des Sozialismus in einem Lande, wie ich schon erzählte, mit dem Hinweis auf die politische Unkultur des russischen Arbeiters, der eine „Trost-Perspektive" benötigte.

Manuilski erfreut sich gleich Pepper sogar in den Fraktionskreisen, denen er jetzt angehört, eines ganz bestimmten Rufes. Die letzten sechs Jahre haben diesen Menschen, dessen Haupteigenschaft geistige Flinkheit ist, endgültig korrumpiert. Früher mal besaß er Fähigkeiten, keine theoretischen, keine politischen, aber literarische. Er hatte ein Feuerchen in sich, wenn auch kein großes. Aber irgendein innerer Wurm fraß ihn immer. Vor sich selber fliehend, suchte Manuilski immer jemanden, an den er sich anlehnen konnte. Er hatte immer etwas an sich von einem Beamten „für besondere Missionen". Es genügt zu sagen, dass er es verstanden hat. längere Zeit unter Alexinski zu arbeiten. Während der Kriegsjahre hielt sich Manuilski nicht schlecht. Dennoch schwamm sein Internationalismus immer auf der Oberfläche. Die Oktober-Periode war für Manuilski eine Periode des Schwankens. 1918 erklärte er vollkommen unerwartet (am überraschendsten für mich), dass Trotzki den Bolschewismus von der nationalen Enge befreit habe. Niemand maß übrigens seinen Schreibereien irgendwelche Bedeutung bei. Manuilski welkte still in der Ukraine dahin, in der Eigenschaft eines wenig brauchbaren Administrators, aber eines guten Anekdoten-Erzählers. Er erwachte und kam hoch, wie alle heutigen Führer, erst nach der Krankheit und dem Tode Lenins. Das Sprungbrett für ihn bildete die Intrige gegen Rakowski. Die ungeteilte Hochachtung, die Rakowski in der Ukraine genoss, war so groß, dass 1923 niemand sich wagte, gegen ihn eine Kampagne zu eröffnen, trotz aller Antreibereien aus Moskau. Manuilski hatte es gewagt. In privaten Gesprächen, zwischen zwei Anekdoten, bekannte er offen, wessen Auftrag er erfülle, verhöhnte seinen Auftraggeber, noch mehr sich selbst. Manuilskis Kenntnis des „Auslandes" prädestinierte den Schauplatz seiner weiteren Heldentaten: die Komintern. Würde man Stalins und Sinowjews Urteile über ihn sammeln, man würde keinen schlechten Kodex von politischem Zynismus erhalten. Die Sache würde sich kaum ändern, sammelte man Manuilskis Urteile über Sinowjew und Stalin. Auf dem VI. Kongress trat Manuilski als Hauptankläger gegen die Opposition auf. Für diejenigen, die die persönliche Zusammensetzung und die Vergangenheit der Partei kennen, löst allein diese Tatsache die ganze Frage!

Eine sehr bemerkbare Rolle spielt im Apparat der Komintern und in der Presse Waletzky. In der „Kommunistischen Internationale" und der „Prawda" entlarvt er den Trotzkismus nicht selten vom „theoretischen" und „philosophischen" Standpunkte aus. Die Natur selbst hat ihn für diese Aufgabe geschaffen. Für die jüngere Generation ist Waletzky einfach ein ehrwürdiger Unbekannter. Die ältere Generation kennt ihn schon lange. Am Anfang des Jahrhunderts erschien Waletzky in der Verbannung als ein besessener PPS-Mann*. Sein Abgott war damals Piłsudski. In der Politik war Waletzky Nationalist, in der Theorie Idealist und Mystiker. Er propagierte das Dekadententum, den Glauben an Gott und an Piłsudski. In unserer Verbannten-Kolonie blieb er ein Einzelner. Bei der Spaltung der PPS, die durch die Revolution des Jahres 1905 verursacht wurde, blieb Waletzky im „sozialistischeren" Flügel, aber nur, um sogleich die äußerste menschewistische Stellung einzunehmen.

Gegen die Theorie der „permanenten Revolution" kämpfte er auch damals, d. h. er hielt den Gedanken, dass im zurückgebliebenen Russland das Proletariat eher als in Westeuropa zur Macht gelangen könnte, nicht nur für phantastisch, sondern auch für wahnsinnig. Während des Krieges schloss er sich im besten Falle Martow von rechts an. Man braucht nicht zu zweifeln, dass noch 5 Minuten vor dem Oktoberumsturz Waletzky ein unversöhnlicher Gegner des Bolschewismus war. Ich habe keine Kenntnis davon, wann er „Bolschewik" wurde. Aber in jedem Falle erst, nachdem das Proletariat in Russland die Macht fest in den Händen hielt. Auf dem III. Kongress lavierte Waletzky zwischen Lenins Linie und der der Ultralinken. Unter Sinowjew war er Sinowjewist, um sich rechtzeitig in einen Stalinisten zu verwandeln. Seine Beweglichkeit und Elastizität sind noch nicht erschöpft. Ihm fällt es nicht schwer, mit leichtem Handgepäck aus einem Wagen in den andern umzusteigen. Jetzt lehrt dieser gewesene Nationalist, Idealist, Mystiker, Menschewist die Arbeiterklasse, wie man die Macht erobert, obschon er selbst das zuerst nach ihrer Eroberung erfahren hat. Menschen der Art wie Waletzky werden nie etwas erobern. Aber das Eroberte zugrunde zu richten, dazu sind sie ohne weiteres fähig.

Die Vergangenheit Warskis ist unvergleichlich ernster. Im Laufe langer Jahre folgte er Rosa Luxemburg, die von Waletzky mit dem blinden Hass des polnischen Chauvinisten verfolgt wurde. Aber Warski hat sich viel mehr die schwachen Seiten Rosa Luxemburgs zu eigen gemacht, als ihre starken, deren stärkste die revolutionäre Unbeugsamkeit war. Schließlich ist Warski bis zum heutigen Tage ein revolutionärer Sozialdemokrat vom alten Schlage geblieben. Das bringt ihn Clara Zetkin nahe, wie es sich sehr krass in ihrem beiderseitigen Verhältnis zu den deutschen Ereignissen von 1923 gezeigt hat. Im Bolschewismus fühlte sich Warski nie wohl. Damit erklärt sich sein zeitweiliges, auf einem Missverständnis beruhendes „Versöhnlertum" zu der Opposition im Jahre 1923. Sobald aber die Linie festgelegt war, fand Warski seinen natürlichen Platz in den offiziellen Reihen. Der Kampf der Epigonen gegen die „permanente Revolution" und die „Unterschätzung" der Bauernschaft brachte den erschrockenen Warski dazu, dass er den siegreichen Aufstand Piłsudskis für eine eigene Art „demokratischer Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft" hielt und die polnischen Kommunisten zur Unterstützung des faschistischen Umschwungs führte. Schon allein diese Tatsache gibt einen Maßstab für den marxistischen Weitblick und für die revolutionäre Standhaftigkeit Warskis. Man braucht nicht zu erwähnen, dass er „nach Einsehen seines Fehlers" zu einer Stütze des Stalinismus wurde. Wie dieser frühere Kampfgenosse Rosa Luxemburgs – einer Internationalistin durch und durch – die polnischen Arbeiter den Aufbau des Sozialismus in einem Lande lehrt, weiß ich nicht. Aber es ist sehr zweifelhaft, dass Menschen dieser Art polnische Arbeiter lehren könnten, wie man der Bourgeoisie die Macht entreißt.

Kehren wir jedoch zum Zentralapparat der Komintern zurück, aus dem Warski ausgeschieden ist, nachdem er Deputierter des Sejms geworden war.

Clara Zetkin ist schon längst zu einer rein dekorativen Figur des Präsidiums des EKKI geworden.

Diese harten Worte hätten vermieden werden können, wenn Clara Zetkin nicht als pathetischer Deckmantel für Methoden gebraucht würde, die nicht nur sie selbst kompromittieren, sondern auch der Sache des internationalen Proletariats unermesslichen Schaden zufügen. Die Stärke Zetkins bestand immer in ihrem Temperament. Geistige Selbständigkeit hat sie nie besessen. Den politischen Inhalt lieferte ihr während langer Jahre Rosa Luxemburg. Später versuchte Zetkin bei Paul Levi, teilweise bei Brandler neuen Inhalt zu finden.

Nach den Märztagen 1921 kämpfte Zetkin nicht nur gegen „die Dummheiten Bela Kuns", sondern dem Wesen der Sache nach bestand sie auf der „alten erprobten Politik" der steten Sammlung der Kräfte. Im Gespräch, das Lenin und ich mit ihr führten, betonte Lenin weich, aber eindringlich: „Junge Leute machen nicht wenig Dummheiten, machen dann aber dennoch eine gute Revolution." Sie tobte und schrie: „Sie werden nicht einmal eine schlechte Revolution machen." Lenin und ich sahen einander an und lachten.

Die kurze und unbestimmte Halb-Sympathie der Zetkin für die Opposition von 1923 wurde nur dadurch hervorgerufen, dass ich gegen das Abwälzen der Schuld der Komintern für die deutsche Katastrophe von 1923 auf die Brandler-Gruppe war. Zetkin selbst zeigte im Jahre 1923 alle Eigenschaften der alten guten Sozialdemokratin: sie hat die schroffe Änderung der Situation absolut nicht verstanden und auch nicht die Notwendigkeit eines kühnen Umschwungs der Politik. An der Lösung der wesentlichen Fragen nimmt Zetkin keinen Anteil. Aber ihre traditionelle Autorität ist als Deckung für die Manuilski. Pepper und Heinz Neumann notwendig.

Von den Menschen, die in der letzten Periode aus dem Zentrum des Präsidiums heraus die Arbeit der Komintern beeinflussen, nimmt der Vertreter der Tschechoslowakischen Kommunistischen Partei, Smeral, nicht den letzten Platz ein – auch einer der heutigen unbeugsamen Ritter des Bolschewismus der neuesten Formation. Smeral und Unbeugsamkeit, das ist dasselbe wie Tartüffe und Aufrichtigkeit oder Shylock und Uneigennutz. Smeral hat die solide österreichische Schule durchgemacht, und wenn er sich vom austromarxistischen Typus unterscheidet, so nur darin, dass er ihn nie erreicht hat. In der alten tschechischen Sozialdemokratie befand sich Smeral in der Halb-Opposition, deren Charakter um so schwieriger zu erkennen war, als die Ideen Smerals immer einem auseinander laufenden Ölfleck ähnlich sahen. Man kann behaupten, dass Smeral dem tschechischen National-Sozialismus von Nemec und andern die austro-ungarische imperialistische Staatlichkeit im Sinne Renners, aber ohne dessen Kenntnisse und Talente, entgegenstellte. Die Tschechische Republik wurde dennoch verwirklicht – nicht als Frucht der Politik von Kramarsch, Benesch und Nemec, sondern als Nebenprodukt der Arbeit des anglo-französischen Imperialismus. Jedenfalls entstand die unabhängige Tschechoslowakei, und der Österreich-ungarische Smeral geriet in eine Sackgasse. Wohin nun? Arbeiter, die sich in der ersten Zeit am tschechoslowakischen Staat berauschten, gab es nicht wenig. Noch mehr gab es solche, deren Herz dem Oktober-Russland entgegenschlug. Arbeiter aber, die sich nach dem österreich-ungarischen Staat gesehnt hätten, gab es überhaupt nicht. Da führte Smeral seine Pilgerfahrt nach Moskau aus. Ich erinnere mich, wie ich Lenin die psychologische Mechanik des Smeralschen Bolschewismus erklärte. Iljitsch wiederholte mit nachdenklichem Lächeln: „Das ist wahrscheinlich … wissen Sie, sehr wahrscheinlich … Jetzt werden auch solche zu uns kommen. Und man muss scharf aufpassen. Sie auf jedem Schritt kontrollieren …"

Smeral selbst war fest überzeugt, dass mit der Umbenennung der tschechischen Partei in die kommunistische die Frage erschöpft sei. In jedem Falle tat er seinerseits alles, was er vermochte, um in der Zukunft die Worte Otto Bauers von den zwei guten sozialdemokratischen Parteien in Europa: der österreichischen Sozialdemokratie und der tschechischen kommunistischen Partei – zu bestätigen. Der „Rote Tag" des Jahres 1929 hat tragischerweise bewiesen, dass fünf Jahre Sinowjewscher, Bucharinscher, Stalinscher und Smeralscher „Bolschewisierung" nichts, rein nichts der Partei, d.h. in erster Linie ihrer Führung, gelehrt haben. Dafür aber hat Smeral selbst Wurzel gefasst. Je tiefer die Leitung der Komintern politisch und geistig sank, desto höher stieg Smeral. Menschen solcher Art dienen als gute politische Gradmesser. Unnötig zu sagen, dass wir Oppositionelle, für diesen patentierten Bolschewik nichts anderes als erledigte Opportunisten bedeuten. Die tschechischen Arbeiter müssen aber wissen: nie wird Smeral sie zur Eroberung der Macht führen.

Eine andere Abart des Typus, der sich in den letzten fünf Jahren im Hotel „Lux" ausgebildet hat, ist Kolarow. Seine Vergangenheit ist ernster in dem Sinne, dass er während einer langen Periode der bulgarischen Partei „Tjesniaki" angehörte, die bemüht war, sich auf marxistischer Grundlage zu halten. Das war aber, bei aller äußeren Unversöhnlichkeit, ein propagandistisch abwartender, passiver, ziemlich lebloser Marxismus. In internationalen Dingen näherten sich die Tjesniaki viel mehr Plechanow als Lenin. Die Zertrümmerung Bulgariens im imperialistischen Krieg und später die Oktoberrevolution stießen die Tjesniaki zum Bolschewismus. Kolarow richtete sich in Moskau ein. In den ersten Jahren nach dem Oktober klammerten wir uns an jeden ausländischen Marxisten. richtiger an jeden, den wir für einen revolutionären Marxisten hielten. In dieser Eigenschaft kam Kolarow in den Apparat der Komintern, das Amt eines Generalsekretärs winkte in der Perspektive. Aber schon nach einigen Monaten gaben wir vollkommen einmütig unsere Hoffnungen preis. Lenin berichtete über seinen Eindruck von Kolarow mit solchen Worten, dass ich sie hier nicht wiederholen möchte. Im Jahre 1923 ergänzte Kolarow während der bulgarischen Ereignisse seine Entwicklung. Das Resultat änderte nichts. Noch bei Lebzeiten Lenins wurde Kolarows Entfernung von leitender Arbeit der Komintern beschlossen. Nach Lenins Krankheit und Tod begann aber der lebenspendende Kampf gegen den Trotzkismus. Kolarow tauchte sofort in dieses Becken unter und erschien danach wie neugeboren. Erst ging er mit Sinowjew gegen Trotzki. dann mit Bucharin gegen Sinowjew, heute mit Stalin gegen Bucharin. Mit einem Wort, ein im Feuer nicht brennender, im Wasser nicht untergehender Bolschewik aus dem „Lux“**.

Kuusinen – einer von denen, die die finnländische Revolution 1918 zugrunde gerichtet haben. Unter dem Druck der Massen und der Ereignisse musste sich Kuusinen gegen seine besseren Absichten auf den Boden der Revolution stellen, aber als sich selbst treu bleibender Philister wollte er sie nach den besten vegetarischen Mustern machen. Während des Aufstandes flehte er mit der ihm allein eigenen Beredsamkeit das verehrte Publikum an, zur Vermeidung von Opfern zu Hause zu sitzen. Hätten ihm die Ereignisse nach ungarischem Muster die Macht zugeworfen, er hätte sich nicht mal gleich gebückt, um sie aufzuheben Aber niemand warf ihm die Macht zu. Man musste sie erobern. Alle Umstände waren außerordentlich günstig. Notwendig waren nur: revolutionäre Kühnheit und Angriffsgeist. D. h. notwendig waren Eigenschaften, deren lebende Verneinung Kuusinen darstellt. Er erwies sich als vollkommen unfähig, die finnische Bourgeoisie anzugreifen. Das gab ihr die Möglichkeit, den heroischen Aufstand in Blut zu ersticken. Desto angriffslustiger wurde Kuusinen gegen den linken Flügel der Komintern, nachdem er sich umgesehen und vergewissert hatte, dass er, nach Shakespeares Ausdruck, nicht schlechter sei als alle diejenigen, die nicht besser waren als er. Hier riskierte er nichts. Er schwamm mit dem Strom, genau so wie diejenigen, die ihn kommandierten. Der kleine Räsoneur wurde zum großen Intriganten. Ein großer Teil der Lügen, mit denen die Epigonen in den letzten Jahren das Bewusstsein der Arbeiter vergifteten, man kann sagen, der Löwenanteil kommt auf das Konto von Kuusinen. Das klingt paradox? Es gibt Bedingungen, unter welchen der Löwenanteil dem Hasen zufällt. Wie sein Kolonialreferat auf dem VI. Kongress beweist, ist Kuusinen auch jetzt vollkommen derselbe geblieben, der er war, als er der finnischen Bourgeoisie half, das finnische Proletariat zu morden, und der chinesischen Bourgeoisie, das chinesische Proletariat zu vernichten.

Eine sehr aktive Rolle spielt jetzt in der Komintern solch ein Mensch, wie Petrowski-Bennet. Gerade solche Leute sind jetzt maßgebend, denn die offiziellen „Führer", unabhängig von ihrer Kompetenz, beschäftigen sich kaum mit den Fragen der Komintern. In der Tat entscheiden die Petrowskis, sich vorsichtig versichernd, d. h. sich rechtzeitig mit der Autorität deckend. Darüber wird noch später die Rede sein.

Petrowski – ein Bundist-Menschewik der besonderen amerikanischen, d. h. der schlechtesten Art. Lange Zeit war er eine der Stützen einer jämmerlichen gelbsozialistischen jüdischen Zeitung in New York, die im Kriege erst die Deutschen verherrlichte, später Wilsons Fersen leckte. Im Jahre 1917 nach Russland zurückgekehrt, trieb sich Petrowski in den gleichen bundistisch-menschewistischen Kreisen herum. Wie Guralsky, wie Rafes schloss er sich den Bolschewisten an erst nachdem sie die Staatsmacht in ihren Händen hatten. Er entpuppte sich als pünktlicher und flinker Beamter bei militärischer Arbeit, aber nur als Beamter. Der tote Frunse, ein ausgezeichneter Soldat, der sich nicht durch feinen politischen Instinkt auszeichnete, sagte mir wiederholt: „Petrowski riecht schrecklich nach Bundismus." Nicht nur in militärischen Verwaltungsfragen, sondern auch in parteipolitischen Fragen hielt Petrowski sich an die Vorgesetzten. Scherzend musste ich oft meinem verstorbenen Freunde Skljansky den Vorwurf machen, dass Petrowski sich zu sehr „bemühe", mich zu unterstützen. Skljansky, der die praktische Tüchtigkeit Petrowskis sehr schätzte und ihn darum in Schutz nahm, antwortete auf den Vorwurf mit einem Scherz: „Nichts zu machen, das ist schon seine Natur." Und wirklich, es handelte sich hier nicht um Strebertum im gewöhnlichen Sinne des Wortes, sondern um den Instinkt der Anpassung, die Gier nach Protektion, um organischen Opportunismus.

Rafes , eine andere Abart desselben Typus, ist genau so fähig, Minister bei Petljura, wie Ratgeber der chinesischen Revolution zu sein. In welchem Maße er durch seine Hilfe mitgeholfen hat, das Regime Petljuras zu untergraben, weiß ich nicht. Dass er aber alles getan hat, was er konnte, die chinesische Revolution zu vernichten, davon zeugt jede Zeile seiner Berichte und Artikel.

Die Atmosphäre, in der die Petrowski, Rafes, Guralsky sich wirklich heimisch fühlen, ist die der Hintertreppen-Intrigen, der Heiratskuppeleien, der diplomatischen Klatschereien um das Anglo-russische Komitee oder die Kuomintang, überhaupt das Purzelbaumschießen um die Revolution herum. Die Gelenkigkeit und Anpassungsfähigkeit dieser Leute hat ihre tragische Grenze: sie sind organisch unfähig zur revolutionären Initiative der Tat und zum Kampf für ihre Anschauungen innerhalb einer Minderheit. Diese beiden Eigenschaften, die einander ergänzen, machen aber einen echten Revolutionär aus. Ohne die Fähigkeit, standhaft in der Minderheit zu bleiben, ist es unmöglich, eine mannhafte, widerstandsfähige, zuverlässige Mehrheit zu bilden. Andererseits bleibt die revolutionäre Mehrheit, wenn auch einmal erobert, doch keinesfalls ein dauernder, unveränderlicher Besitz. Die proletarische Revolution macht kolossale Auf- und Abstiege, über Hügel, Abhänge, durch Tunnels. Solcher Auf- und Niedergänge wird es noch Jahrzehnte geben. Von entscheidender Bedeutung für die Partei ist die dauernde Auslese der Revolutionäre und ihr Erstarken nicht nur im Massenkampf mit dem Feinde, sondern auch im geistigen Kampf innerhalb der Partei, ihre beständige Kontrolle durch große Ereignisse und schroffe Wendungen. Goethe sagte, was man einmal erworben habe, müsse man wieder und wieder erkämpfen, um es wirklich zu besitzen.

Während der ersten großen Reinigung der Partei riet Lenin. 99% der früheren Menschewiki hinauszuwerfen. Er meinte dabei nicht so sehr den Menschewismus als politische Linie des Versöhnlertums, sondern als psychologischen Typus der Anpassung, der Schutz sucht und deshalb bereit ist, sich in einen Bolschewik umzufärben – nur um nicht gegen den Strom schwimmen zu müssen. Wenn Lenin empfahl, die Partei mitleidslos von den Versöhnlern zu säubern, so fingen in der nachleninschen Periode gerade diese Elemente an, eine große und in der Komintern eine geradezu entscheidende Rolle zu spielen. Guralsky krönte und entthronte die Führer der französischen, deutschen und anderer Parteien, Petrowski und Pepper leiteten die angelsächsische Welt, Rafes lehrte das chinesische Volk desselben Typus, d h. Parasiten der Revolution.

Unnötig zu sagen, dass der heutige „linke Kurs" des Stalin dieses Publikum in keiner Weise gestört hat. Im Gegenteil, alle Petrowski machen heute lebenslustig den linken Kurs mit, und alle Rafes kämpfen gegen die rechte Gefahr. In dieser links-zentristischen Kampagne fühlen sich die „Anpassler" wie die Fische im Wasser, sich und anderen auf billige Art zeigend, was für große Revolutionäre sie doch seien. Dabei bleiben sie mehr denn je – sie selbst. Wenn etwas die Komintern zugrunde richten kann, dann ist es dieser Kurs, dieses Regime, dieser Geist, der sich in den Petrowskis verkörpert.

Einer der unbestrittensten Inspiratoren und Erzieher der nachleninschen Komintern ist Martynow geworden, eine vollkommen symbolische Figur in der Geschichte der revolutionären Bewegung. Der konsequenteste und darum der stumpfsinnigste Theoretiker des Menschewismus, Martynow wartete ruhig in einem gemütlichen Versteck die Revolution und den Bürgerkrieg ab, wie ein Wanderer das Unwetter abwartet. Das Licht der Welt erblickte ihn erst im 6. Jahre nach dem Oktober. 1923 tauchte Martynow unerwartet in der Moskauer Zeitschrift „Krasnaja Nowj" mit einem Artikel auf. Im Frühjahr 1923 sagte ich bei einer Sitzung des Politbüros halb scherzend, halb ernst, nebenbei: „Seht zu, Martynow wird sich noch bis an die Partei heranpirschen!" Darauf antwortete Lenin, die Hände wie ein Rohr an den Mund legend, nach meiner Seite „flüsternd", aber so, dass es durch das ganze Zimmer schallte: „Aber er ist doch ein Dummkopf." Ich hatte keinerlei Gründe, diese kurze Charakteristik, die in überzeugtem Tone gegeben wurde, zu bestreiten. Ich bemerkte nur, man könne doch eine große Partei nicht allein aus Klugen aufbauen und Martynow könnte unbemerkt mit der anderen Kategorie durchschlüpfen. Aus dem Scherz wurde aber Ernst. Martynow ist nicht nur bei der Partei angelangt, sondern er wurde einer der nächsten Inspiratoren der Komintern. Man zog ihn hinzu, erhob ihn, richtiger, man näherte sich ihm und stieg zu ihm hinab – ausschließlich weil er gegen den „Trotzkismus" kämpfte. Martynow brauchte nicht umzulernen. Er fuhr fort, die ..permanente Revolution" zu bekämpfen, d. h. er tat dasselbe, was er in den vorhergehenden 20 Jahren getan hatte. Hatte er früher von meiner Unterschätzung des bürgerlichen Liberalismus und der bürgerlichen Demokratie gesprochen, so setzte er jetzt in dasselbe Klischee noch die Bauernschaft.

In den menschewistischen Zeitschriften aus der Epoche der Reaktion kann man nicht wenig Artikel von Martynow finden, die zu beweisen suchen, dass „der Trotzkismus zeitweilig im Oktober, November und Dezember 1905 triumphierte" (buchstäblich), als die entfesselten Elemente alle Lichter der menschewistischen Vernunft ausgelöscht hatten. Den höchsten Aufschwung der Revolution – Oktober, November und Dezember 1905 – beurteilte Martynow als „trotzkistischen" Verfall. Für ihn begann der wahre Aufschwung mit der Epoche der „Reichs-Duma", der Koalitionen mit den Kadetten usw., d. h. mit dem Beginn der Konterrevolution.

Nachdem Martynow in seinem Asyl das neue, unvergleichlich bedrohlichere Spiel der „entfesselten Elemente", d. h. den Oktober-Umsturz, Bürgerkrieg, die Revolution in Deutschland und Österreich-Ungarn, den Sowjet-Umsturz in Ungarn, die Ereignisse in Italien usw. usw. abgewartet hatte, kam er im Jahre 1923 zu dem Schluss, dass der Moment, das Licht der Vernunft in der WKP leuchten zu lassen, gekommen wäre. Er fing da an, wo er in der Epoche der Stolypinschen Reaktion stehen geblieben war. Er schrieb in der „Krasnaja Nowj":

L. Trotzki dachte 1905 logischer und konsequenter als die Bolschewiki und Menschewiki. Aber die Fehler seiner Schlussfolgerungen bestanden darin, dass er ,zu konsequent' war. Das von ihm damals gezeichnete Bild entsprach sehr genau der bolschewistischen Diktatur in den ersten 3 Jahren der Oktober-Revolution, die, wie bekannt, in eine Sackgasse geriet, indem sie das Proletariat von der Bauernschaft losriss; infolgedessen war die bolschewistische Partei gezwungen, sehr weit zurückzugehen." (Krasnaja Nowj Nr. 2, 1923, S. 262, Unterstreichungen von mir.)

Martynow erzählt hier ganz aufrichtig, was ihn im Grunde mit dem Oktober versöhnt hat: der grolle Rückzug zur NEP, der wiederum durch die Verzögerung der Weltrevolution notwendig wurde. Tief überzeugt, dass die ersten 3 Jahre der Oktoberrevolution nichts anderes als den Ausdruck. des „historischen Irrtums des Trotzkismus" darstellten, ist Martynow in die Partei eingetreten und nahm im Kampf gegen die Opposition sofort die Stellung der schweren Artillerie ein. Diese Tatsache allein illustriert überzeugender als viele theoretische Erwägungen den tiefen Prozess, der sich in den Spitzen der Parteileitung in den letzten Jahren vollzogen hat.

In seiner noch nicht veröffentlichten Arbeit „Lenin über die Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft" (heutzutage bleiben alle ernsten und gewissenhaften Arbeiten im Manuskript, gedruckt wird über heikle Fragen nur das Apparat-Gewäsch) gibt Genosse B. Lifschiz in einer kurzen Randbemerkung folgende lehrreiche Charakteristik Martynows:

Es scheint mir – sagt er –, dass die politische Biographie dieses Menschen besondere Aufmerksamkeit erfordert. In der Tat. Er kam zu den Narodowolzy in der Periode des Anfangs ihrer epigonenhaften Entartung (in der Mitte der 80er Jahre). Zum Marxismus und zur Sozialdemokratie kommt er, um den Teil der Sozialdemokratie zu repräsentieren, der von den Positionen der Gruppe ,Befreiung der Arbeit' und des Leninschen ,Petersburger Kampf-Bundes' zu den Positionen des opportunistischen Ökonomismus hinab glitt. Dann kommt dieser gestrige Gegner der ,Iskra' zur ,Iskra' (tatsächlich zu der neuen Iskra) in dem Moment, da die verbliebenen Leiter die Positionen der alten ,Iskra' verlassen. Währender hier scheinbar die zweite Rolle spielte (außerhalb der Redaktion der ,Iskra'), gibt er tatsächlich in seinen ,Zwei Diktaturen' der opportunistisch versöhnlerischen Taktik der Menschewiki in der Revolution 1905 eine Plattform. Dann kommt der gestrige Menschewik, der bösartigste Anti-Bolschewik, zu den Bolschewiki, wiederum in dem Moment (1923), da ihre epigonenhaften Führer die bolschewistischen Positionen verlassen. Auch hier die zweiten Rollen spielend (außerhalb des Politischen Büros und des Präsidiums der Komintern bleibend), inspiriert er tatsächlich den Kampf gegen den bolschewistischen Teil der Partei und gibt in seinen Veröffentlichungen und Artikeln die Plattform der opportunistisch-versöhnlerischen Taktik Stalins in der chinesischen Revolution … Wahrlich, es liegt etwas Fatales in dieser Gestalt."

Der „fatale" Charakter in Martynows Gestalt vereinigt sich ausgezeichnet mit ihrer ungewollten Komik. Ein Leisetreter, von der Natur für den Train der Revolution geschaffen, ist Martynow von einer edlen Leidenschaft besessen: theoretisch mit allem fertig zu werden. Da er sich nur entweder den Ideen des Niedergangs oder aber den untergehenden Abzweigungen gesunder Strömungen anschließt, so führt er in seinem Bestreben, für alles die Theorie zu liefern, jeden Fehler bis zur Grenze des Stumpfsinns Der Autor der „Zwei Diktaturen" gab 1926-1927 eine theoretische Formel des „Blocks der vier Klassen", darunter die Tatsache verstehend, dass die chinesische Bourgeoisie mit Hilfe der Komintern fest auf drei Klassen ritt: den Arbeitern, Bauern und Kleinbürgern. Im März 1927 gab Martynow die Losung aus: „der Kuomintang Arbeiterblut beizumengen" – gerade bevor Tschiang Kai-schek sich anschickte, das Arbeiterblut in der Kuomintang zu vergießen. Als die anglorussischen und chinesischen Streitigkeiten und Gruppierungen sich entwickelten, erlebte Martynow seine zweite Jugend, er servierte den alten Menschewismus ohne jede Änderung oder Zusatz in seiner unberührtesten und stumpfsinnigsten Form. Während andere in aller Eile neue Theorien für das politische Hinabgleiten zu erfinden suchten, holte Martynow aus der Tasche das schon lange Ausgedachte, Fertige, nur etwas Vergessene hervor. Das gab ihm ein sichtbares Übergewicht.

Und diese „fatale" Erscheinung ist einer der Haupt-Inspiratoren der Kommunistischen Internationale. Er lehrt sie, sich in einer Situation zu orientieren, den Verlauf der künftigen Entwicklung vorauszusehen, die Kader auf dieser Basis auszuwählen, rechtzeitig die revolutionäre Lage zu erkennen und die Massen zur Niederwerfung der Bourgeoisie zu mobilisieren. Eine schlimmere Karikatur ist nicht denkbar.

In der Propaganda-Abteilung der Komintern arbeitet, ja er leitet sie beinahe, ein gewisser Lenzner. Wie unbedeutend diese Gestalt auch ist, es lohnt sich doch, über sie einige Worte zu sagen, als über einen nicht zufälligen Teil des Ganzen. Eine Zeitlang arbeitete Lenzner an der Herausgabe meiner Schriften. Da lernte ich ihn als Vertreter der „roten Professur", kennen. Er hatte keine revolutionäre Vergangenheit. An und für sich konnte ihm das nicht zum Vorwurf gemacht werden: er war jung. Er kam zur Politik, als die Revolution vollbracht war. Schlimmer war es, dass die chaotische Zerstörung auf allen Gebieten ihm die Möglichkeit gegeben hatte, mit minimalen theoretischen Hilfsmitteln die „rote Professur" zu erreichen. Mit anderen Worten, die Revolution bedeutete für ihn vor allem Karriere. Am meisten überraschte mich sein Analphabetentum. In den von ihm geschriebenen Anmerkungen musste man nicht nur die Gedanken überwachen, sondern auch Etymologie und Syntax des Herrn „Professor". Besonders aber musste man aufpassen, dass nicht zu viel Eifer aufgewandt wurde: Lenzner glich nicht so sehr einem Gesinnungsgenossen als einem Handlanger. Damals – 1923 – versuchten viele ungeduldige Streber und noch nicht ganz ausgebildete Apparat-Leute ihr Glück auch auf Seiten der Opposition. Man musste aber mit Lenzners Oberflächlichkeit und Analphabetentum Nachsicht haben, denn alle ernsten Arbeiter waren beschäftigt: man drängte damals die Oppositionellen noch nicht aus der Arbeit.

Lenzner bereitete mir das Material für „die Lehren des Oktober" vor, d.h., er sammelte Auszüge, suchte nach meinen Anweisungen Zitate heraus usw. Als aber die seit langem vorbereitete anti-trotzkistische Kampagne eröffnet und formell gerade gegen die „Lehren des Oktober" geführt wurde, ließ Lenzner die Augen in alle Winkel laufen und änderte innerhalb 24 Stunden den Kurs. Um sich noch mehr zu sichern, benutzte er das von ihm gesammelte Material in der entgegengesetzten Richtung, d. h. zum Kampf gegen den „Trotzkismus". Er schrieb eine Broschüre, selbstverständlich über die permanente Revolution: diese Broschüre befand sich schon im Druck, aber der Satz wurde im letzten Moment auf Anordnung des Politbüros abgelegt: man sagte sich, es wäre zu peinlich, sich mit einer derartigen Person zu verbinden. Dennoch begünstigte ihn Sinowjew und gab ihm eine Unterkunft in der Komintern. Neben Kuussinen und Martynow wurde Lenzner einer der Leiter der laufenden Arbeit der Internationale. Dieser rote Professor schreibt Leitartikel im leitenden Organ der Komintern. Die wenigen Zeilen, die ich gelesen habe, genügten mir, um mich davon zu überzeugen, dass Lenzner auch heute nicht zwei Worte richtig verbinden kann. In der Redaktion der „Kommunistischen Internationale" gibt es aber augenscheinlich niemanden, der nicht nur über den Marxismus sondern auch über die Grammatik wachen könnte. Solche Lenzner geben dem Apparat der Komintern das Gesicht.

Einen hervorragenden Platz in der Profintern und einen einflussreichen in der Komintern nimmt Losowski ein. Wenn seine Rolle bei der alten Leitung der Partei in der ersten Zeit eine rein technische war und er auch in dieser Eigenschaft sehr angezweifelt und nur als provisorisch betrachtet wurde, so rückte Losowsky in der späteren Periode in die allererste Reihe.

Man kann Losowski bestimmte Fähigkeiten nicht absprechen, eine Schnelligkeit der Auffassung, einen bestimmten Spürsinn für Details. Aber alle diese Eigenschaften haben bei ihm einen sehr oberflächlichen Charakter. Er fing, scheint mir, mit dem Bolschewismus an, entfernte sich aber dann auf viele Jahre von ihm. Er war dann Versöhnler, während des Krieges – Internationalist, arbeitete mit mir im Pariser „Nasche Slowo" („Unser Wort"), immer dessen rechten Flügel bildend. In den inneren Fragen der französischen Arbeiterbewegung, wie auch in den Fragen der Internationale und der russischen Revolution neigte er stets nach rechts zum pazifistischen Zentrismus. Als einziger der Gruppe „Nasche Slowo" schloss er sich auch 1917 den Bolschewiki nicht an. Die Oktober-Revolution betrachtete er wie der ärgste Feind. Feindlich gesinnt blieb er, scheint es, bis 1920, er mobilisierte einen Teil der Eisenbahner und der Gewerkschaftler überhaupt gegen die Partei. Er schloss sich der Oktober-Revolution früher als Martynow an: aber jedenfalls nicht nur erst, nachdem sie vollzogen war, sondern auch die schlimmsten Gefahren siegreich überstanden hatte. Die Kenntnis der fremden Sprachen und des Lebens der westlichen Staaten führte ihn in den Jahren, als die Verteilung der Arbeiten noch sehr chaotisch gehandhabt wurde, in die Profintern. Als wir im Politbüro auf diese Tatsache aufmerksam wurden, schüttelten alle die Köpfe, als erster Lenin, aber wir trösteten uns: bei der ersten Möglichkeit muss er abgesetzt werden. Aber die Lage änderte sich. Lenin wurde krank und starb. Es begann ein sorgfältig hinter den Kulissen des Apparats vorbereiteter Richtungswechsel Auch Losowski kam hoch. Er schwamm mit der Strömung. Hat er doch während des Krieges zur Verteidigung des Longuetismus und der kleinbürgerlichen Demokratie in Russland gegen mich polemisiert. Polemisierte er doch gegen die Oktober-Revolution, den roten Terror, den Bürgerkrieg. Mit einer kleinen Unterbrechung erneuerte er den Kampf gegen den „Trotzkismus". Das sicherte seine Stellung in der Profintern und schuf ihm sogleich eine Position in der Komintern. In der Blütezeit des Martynowschen Kurses geriet Losowski im gewissen Sinne sogar auf den linken Flügel. Das war durchaus gleich ungefährlich sowohl für Losowski wie für die Komintern, denn bei seiner ganzen eiligen Oberflächlichkeit kennt Losowski sehr genau die Grenzen, wo man aufhören muss, das Linke zu fördern. Wie es oft vorkommt, verträgt sich bei Losowski die springende Fixigkeit der Gedanken sehr wohl mit geistigem Konservativismus. Er kann in einem flotten Artikel den Arbeitern von Südafrika oder den Eingeborenen der Philippinen empfehlen, ihre Bourgeoisie zu stürzen, um eine Stunde danach seinen eigenen Rat zu vergessen. Aber in allen Fällen, wo man ernsthaft verantwortungsvolle Beschlüsse fassen muss, wird er immer nach rechts abbiegen. Das ist kein Mensch der revolutionären Tat, sondern ein organischer Pazifist. Die Zukunft wird es noch oft zeigen.

Die Frage der Leitung der jungen Parteien des Ostens, denen kolossale Aufgaben bevorstehen, stellt beinahe den dunkelsten Teil des nachleninschen Kapitels der Komintern dar.

Es genügt, zu sagen, dass in diesen Fragen die führende Rolle Raskolnikow spielt. Zum Unterschied von allen oben Erwähnten ist er zweifellos ein Kämpfer, ein Revolutionär, ein Bolschewik mit einiger vorrevolutionärer Vergangenheit. Aber nur die schreckliche Dezimierung in den führenden Reihen brachte es dahin, dass Raskolnikow Führer der russischen Literatur und der asiatischen Revolutionen wurde. Er ist für beides gleich untauglich. Seine Taten waren immer besser als seine Reden und Artikel. Seine Worte sind immer den Gedanken voraus. Es ist nicht schlecht, ihn neben sich im Bürgerkrieg zu wissen. Viel schlechter ist es, ihn im geistigen Kampfe neben sich zu haben. 1923 aus Afghanistan zurückgekehrt, eilte Raskolnikow zum Kampf auf Seiten der Opposition. Ich hielt ihn hartnäckig zurück, da ich befürchtete, er würde mehr schaden als nützen. Aus diesem oder anderem Grunde zeigte er sich nach einigen Tagen als aktiver Kämpfer – auf der anderen Seite. Ich weiß nicht, wie gründlich er den Osten, in Afghanistan sitzend, studiert hat. Dafür hat er dort viele Erinnerungen an die ersten Jahre der Revolution geschrieben und es für nötig gehalten, dem Autor dieser Zeilen in diesen Memoiren keinen geringen Platz einzuräumen. 1924 änderte er – die schon gedruckten Erinnerungen, indem er dort, wo ein Plus gestanden hatte, ein Minus machte und umgekehrt. Diese Änderung hat einen derartig kindisch-primitiven Charakter, dass man sie nicht einmal ernsthaft als Fälschung bezeichnen kann. Hier liegt eine äußerste Primitivität des Denkens zugrunde. Raskolnikows Tätigkeit auf dem Gebiet der proletarischen Literatur wird als äußerst lustige Anekdote in die Geschichte der Revolution eingehen. Aber uns geht hier dieses Thema nichts an. Einen viel tragischeren Charakter hat Raskolnikows Arbeit als Leiter der östlichen Abteilung der Komintern. Es genügt, Raskolnikows Vorwort zum Bericht von Tan-Pin-Sjan zu lesen, um sich noch einmal zu überzeugen, wie leicht Menschen bestimmter Art unter passenden Bedingungen in politisches Analphabetentum zurück verfallen. Zum menschewistischen Bericht von Tan-Pin-Sjan hat Raskolnikow ein lobend-menschewistisches Vorwort geschrieben. Man muss allerdings zufügen, dass der Bericht von Tan-Pin-Sjan vom VII. Exekutivkomitee der Komintern gebilligt worden war. Schrecklich, wenn man bedenkt, wie viel Mittel und Mühe verschwendet werden, um die Menschen zu verwirren! Raskolnikow ist nicht so sehr verantwortlicher Erfinder als Opfer dieser ganzen Mechanik. Aber seine unglückselige Leitung wird ihrerseits zu einer Quelle von Unglück und Verlusten.

Die indische Bewegung wird in der Komintern durch Roy*** repräsentiert. Man konnte wohl dem indischen Proletariat kaum mehr schaden, als es Sinowjew, Stalin und Bucharin durch Roys Vermittlung getan haben. In Indien wie in China wurde und wird die ganze Arbeit auf dem bürgerlichen Nationalismus aufgebaut. Während der ganzen nachleninschen Periode führte Roy Propaganda zur Bildung einer „Volkspartei", die, wie er sich ausdrückte, „weder ihrem Namen, noch ihrem Wesen nach" eine Partei der proletarischen Vorhut sein sollte. Das ist die Anpassung der Kuomintang, des Stalinismus, des La Folettismus an die Bedingungen der nationalen Bewegung in Indien. Politisch bedeutet das: durch Roys Vermittlung hält die Komintern dem künftigen indischen Tschiang Kai-schek die Steigbügel. Roys Anschauungen sind eine Mischung von Liberalismus und Volkstümlerei unter der Sauce des Kampfes gegen den Imperialismus. Während die „Kommunisten" „Arbeiter-Bauern"-Parteien bilden, bemächtigen sich die indischen Nationalisten der Gewerkschaften. Die Katastrophe wird in Indien genau so planmäßig vorbereitet, wie es in China gemacht wurde. Roy lernte an den chinesischen Vorbildern und trat selbst auf chinesischen Kongressen als Lehrer auf. Unnötig zu sagen, dass dieser durch Margarine-Marxismus vergiftete National-Demokrat ein unversöhnlicher Kämpfer gegen den Trotzkismus ist. wie der ihm geistesverwandte Ta-Pin-Sjan.

In Japan steht es durchaus nicht besser. Die japanische kommunistische Partei ist in der Komintern durch Katayama vertreten. Mit der zunehmenden Verwüstung der Führung in der Komintern ist auch Katayama ein bolschewistischer Pfeiler geworden. Im Wesentlichen stellt Katayama ein völliges Missverständnis dar. Zum Unterschied von Clara Zetkin kann man ihn nicht einmal eine dekorative Figur nennen, denn er ist jedes Dekorativem bar. Seine Anschauungen sind ein ganz klein wenig marxistisch gefärbtes Fortschrittlertum. Katayama steht seinem ganzen Wesen nach den Ideen Sun Yat-sens näher als denen Lenins. Was aber Katayama nicht hindert, Bolschewisten-Leninisten aus der Komintern auszuschließen und überhaupt mit seiner Stimme über die Schicksale der proletarischen Revolution zu entscheiden. Zum Lohn für die Dienste im Kampfe gegen die Opposition unterstützt die Komintern in Japan die fiktive Autorität Katayamas. Die jungen japanischen Kommunisten blicken zu ihm empor und lernen bei ihm. Was? Nicht umsonst gibt es ein japanisches Sprichwort: „Man kann auch den Kopf einer Sardine anbeten: alles liegt im Glauben."

Unterdessen werden in Japan ununterbrochen Versuche zur Vereinigung der verschiedenen „Arbeiter-Bauern“-Parteien gemacht, der Rechten, Zentristischen und Linken, die alle gleicherweise ein organisiertes Attentat auf die politische Selbständigkeit der proletarischen Avantgarde darstellen. Diplomatische Noten und Kontre-Noten. Vereinigungskonferenzen und Kontrekonferenzen mehren und vervielfältigen sich, die wenig zahlreichen Kommunisten aufsaugend und verderbend, sie von der wirklichen Arbeit der Einigung und der Erziehung von Arbeiter-Revolutionären fernhaltend. Die Presse der Komintern teilt beinahe nichts mit von wirklich revolutionärer Arbeit der Kommunisten, vom Aufbau der Organisationen, der illegalen Arbeit, von Proklamationen usw. Dafür erfahren wir beinahe jede Woche über neue Schritte des neuen Komitees zur Bildung einer linken Arbeiter- und Bauernpartei in der Richtung der Vereinigung mit dem linken Flügel der zentristischen Arbeiter- und Bauern-Partei, die sich ihrerseits an den linken Flügel der rechten Partei wendet, usw. usw. ohne Ende. Was hat das mit Bolschewismus zu tun? Welche Beziehung haben Marx und Lenin zu diesem unwürdigen Mäusespiel?

Auf die brennenden Fragen des Ostens muss man noch einmal viel gründlicher in anderen Zusammenhängen zurückkommen.

Der allgemeine Geist der in der Leitung der Komintern eingetretenen Veränderungen erhält, wie wir sehen, bei dem Vorbeimarsch der verantwortlichen Gestalten große Anschaulichkeit. Die Komintern wird von Martynows und Versöhnlern aller Grade geleitet. Die Franzosen haben einen politischen Terminus „Rallie", was der „Sich angeschlossene" bedeutet. Die Notwendigkeit dieses Terminus ist aus den häufigen politischen Umwälzungen erwachsen. Wenn die Republikaner sich mit dem Kaiserreich versöhnen mussten, so mussten Bonapartisten und Monarchisten sich mit der Republik versöhnen. Sie taten es nicht gleich, sondern nachdem sie sich von der Dauerhaftigkeit und Festigkeit des republikanischen Regimes überzeugt hatten. Das sind nicht jene Republikaner, die für eine Republik kämpften, sondern diejenigen, welche gnädig Ämter und Geld von ihr anzunehmen geruhten Das eben ist ein „Rallie". Man darf nicht denken, dass dieser Typus nur der bürgerlichen Revolution eigen ist. Der Grund für den Anschluss ist nicht die Revolution, sondern ihr Sieg und die durch den Sieg errungene Staatsmacht.

Selbstverständlich schlossen und schließen sich auch wirkliche Kämpfer nicht nur aus den jüngeren, sondern teilweise auch aus der älteren Generation der Oktober-Revolution an, besonderen in anderen Ländern. Aber das heutige Regime der Komintern erlaubt ihnen nicht, den Grad selbständiger Führer geschweige denn revolutionärer Führer zu erreichen. Es stößt ab, verkrüppelt, zerstampft alles Selbständige. Geistig-Befestigte und Willensstarke. Es braucht Anpassungsfähige. Es findet sie ohne Mühe, gruppiert und bewaffnet sie.

Unter denen, die sich anschlossen, gibt es alle Schattierungen - von den ehrlichen politischen Leisetretern, die aller Voraussicht und Initiative bar sind, bis zu den nackten Strebern Aber auch die besten dieser „Railies" entwickeln wie die Psychologie sagt und die Erfahrung zeigt, in ihrem Verhältnis zu neuen Revolutionen dieselben Eigenschaften, die sie vor dem Oktober und sogar an seinem Vorabend zeigten: Unfähigkeit der Voraussicht. Mangel an schöpferischer Phantasie und das Fehlen wirklich revolutionären Mutes. Die Kolarow, Pepper, Kuusinen, Waletzky, Martynow, Petrowski. Losowski und die anderen Helden, die eine, zwei, drei und mehr Revolutionen verschlafen, versäumt oder zugrunde gerichtet haben, sagen sich zweifellos: „Begegnen wir noch einmal einer Revolution, werden wir uns schon beweisen." So schwört jeder Sonntagsjäger nach jedem neuen Fehlschuss, dass er das nächste Wild ganz sicher treffen werde. In Bereitschaft, das nächste Mal richtig zu zielen, und in Unruhe, ihre Sünden seien nicht vergessen, sind diese Nach-Oktober-Oktobristen immer auf dem Sprung, dem Wink der Obrigkeit gehorchend Kühnheit zu zeigen – weit, weit vom Schuss. Daher kommt es. dass tragisches Nichtausnützen revolutionärer Situationen mit nicht weniger tragischen revolutionären Abenteuern abwechselt.

Das Beste, was man in Bezug auf die verschiedenartigen Martynow. Kuusinen. Pepper tun kann, ist, sie auf Kanonenschussweite von den Stellen entfernt zu halten, an denen sich das Schicksal der Revolution entscheidet.

Man könnte entgegnen, dass die von mir oben aufgezählten Gestalten doch nur eben „Personen zweiten Ranges" seien, dass die „echte" Leitung im Politbüro der WKP konzentriert sei. Das aber ist eine Illusion. Bei Lenins Lebzeiten lag die unmittelbare Leitung der Komintern in den Händen von Sinowjew. Radek und Bucharin. Bei Entscheidungen von irgendwie wichtigen Fragen nahmen an den Beratungen Lenin und der Autor dieser Zeilen teil. Unnötig festzustellen, dass in Grundfragen der Komintern der Ton von Lenin bestimmt wurde. Mit Ausnahme von Bucharin hat keins der heutigen Mitglieder des Politbüros irgendwelchen Anteil an der Leitung der Komintern gehabt. Das ist natürlich kein Zufall. Diese Arbeit setzt ihrem Wesen nach nicht nur ein bestimmtes theoretisches und allgemeinpolitisches Niveau voraus, sondern auch eine unmittelbare Kenntnis des inneren Lebens der Weststaaten, auch die Beherrschung der fremden Sprachen, die die Möglichkeit gibt, dauernd die ausländische Presse zu verfolgen. Bei der heutigen Zusammensetzung des Politbüros besitzt sogar diese Eigenschaften niemand außer Bucharin, und der war zu Lenins Lebzeiten nur Kandidat des Politbüros.

In dem sogenannten Leninschen „Testament" erhält Bucharin, wie es scheinen kann, eine widerspruchsvolle Charakteristik. Einerseits wird von ihm als dem wertvollsten und besten Theoretiker der Partei gesprochen, andrerseits darauf hingewiesen, dass seine theoretischen Anschauungen nur mit großem Zweifel als völlig marxistische angesehen werden können, denn „in ihm steckt etwas Scholastisches (er begriff nie völlig die Dialektik)". Wie kann aber ein Nichtdialektiker und Scholastiker Theoretiker einer marxistischen Partei sein? Ich werde mich hier nicht dabei aufhalten, dass das „Testament", für bestimmte Parteizwecke geschrieben, vom Bestreben durchdrungen ist, wenigstens bis zu einem bestimmten Grade die Urteile über die führenden Mitarbeiter der Partei auszugleichen: Lenin schränkte sorgfältig das besonders stark ausgedrückte Lob ein, wie er auch die zu harte Verurteilung abschwächte. Aber dies alles geht nur die Form des „Testaments" an, nicht seinen Inhalt, und erklärt nicht, wie „marxistische" Arbeiten eines Schriftstellers, der die Dialektik nicht beherrscht, „wertvoll" sein können. Ungeachtet des äußerlichen Widerspruches, der die Pille versüßen sollte, ist Lenins Urteil inhaltlich nicht widerspruchsvoll, sondern ganz richtig.

Die Dialektik schließt die formale Logik nicht aus, wie die Synthese die Analyse nicht ausschließt, sondern im Gegenteil sich darauf stützt. Das Denken Bucharins ist formal-logisch und durch und durch abstrakt-analytisch. Die besten von ihm geschriebenen Seiten gehören ins Gebiet der formal-logischen Analyse. Dort, wo sich Bucharins Gedanke in der von Marx und Lenin vorgezeichneten Spur bewegt, kann er wertvolle Einzel-Resultate geben; allerdings haben sie immer einen scholastischen Beigeschmack. Aber dort, wo Bucharin selbständig in eine neue Sphäre kommt, oder wo er Elemente verschiedener Ebenen vereinigen muss – der Ökonomik und Politik, der Soziologie und Ideologie, überhaupt des Fundaments und Überbaues –, da entwickelt er eine vollkommen unverantwortliche und hemmungslose Willkür, indem er Verallgemeinerungen aus der Luft greift und mit Begriffen wie mit Schwertern jongliert. Wenn man sich die Mühe macht, alle „Theorien", die Bucharin der Komintern seit 1919 und besonders seit 1923 serviert hat, zu sammeln und chronologisch zu ordnen, so wird man das Bild einer Walpurgisnacht erhalten, in der die Zugwinde der Scholastik die armen Schatten des Marxismus toll durcheinanderwirbeln.

Der VI. Kongress der Komintern brachte die Widersprüche der Apparat-Leitung zur höchsten Entfaltung und damit zum Absurden. Äußerlich lag die Leitung gleichsam in Bucharins Händen. Er gab den Rechenschaftsbericht, die strategische Linie, schlug das Programm vor und setzte es durch – keine Kleinigkeit –, endlich eröffnete und schloss er den Kongress, indem er das Fazit zog. Seine Herrschaft schien unbeschränkt. Trotzdem wissen alle, dass Bucharins Einfluss auf den Kongress sehr nahe an Null heranreichte. Die unendlichen Bucharinschen Phrasen erinnerten sehr an Luftblasen, welche Ertrinkende zurücklassen. Währenddessen, ganz unabhängig vom Geist der Vorträge und im Gegensatz zu diesen, ging unter den Delegierten eine Umgruppierung der Elemente vor und ihre fraktionelle Bindung. In diesem monströsen Doppelspiel zeigte es sich, welche untergeordnete, dekorative und unwichtige Rolle unter dem bürokratischen Apparat-Regime die sogenannte Ideologie spielt.

Wenn man also jetzt von einer Führung Bucharins gar nicht reden kann, denn der Clou des VI. Kongresses war die Liquidation Bucharins, – so bleibt nur Stalin übrig. Hier aber geraten wir von einer Groteske zu der anderen: denn derjenige, den man jetzt mit gewissem Grund den Führer der Komintern nennt, erschien überhaupt nicht auf dem Kongress und erledigte in späteren Referaten die Fragen des Programms und der Strategie der Komintern mit einigen nichtssagenden Phrasen. Und dies wiederum nicht zufällig.

Es liegt hier keine Notwendigkeit vor, von neuem den grob-empirischen Charakter der Stalinschen Politik zu erörtern. Mit dieser oder jener Verspätung spiegelt sie nur passiv die unterirdischen Klassenstöße wieder. In der empirischen Anpassung besteht ja die Stärke des Apparat-Zentralismus in einer bestimmten Periode und unter bestimmten Bedingungen. Aber das ist auch seine Achilles-Ferse.

Menschen, die abseits stehen, können sich schwerlich vorstellen, auf welchem primitiven Niveau die wissenschaftlichen Erkenntnisse und theoretischen Hilfsquellen

Stalins sich befinden. Zu Lenins Lebzeiten kam es niemandem von uns in den Sinn, Stalin zu Beratungen von theoretischen Problemen und strategischen Fragen der Komintern heranzuziehen. Im besten Falle hatte er manchmal in dieser oder jener Frage mit abzustimmen wenn Meinungsverschiedenheiten unter den russischen Führern in der Komintern es nötig machten, eine Frage formell durch das Politbüro zu entscheiden. In jedem Falle kann man bis 1924 keinen Artikel, keine Rede Stalins finden, die sich mit internationalen Problemen befasst hätten. Aber gerade diese seine „Qualität" – die persönliche Unabhängigkeit von irgend welchen ideellen Verpflichtungen und Traditionen in theoretischen und internationalen Fragen – hat ihn besonders tauglich zur Leitung einer Rückzugspolitik gemacht, als im Lande die vom Oktober zerschlagenen Klassen wieder anfingen aufzuleben und einen Druck auf die Partei auszuüben. Stalin wurde gebraucht, als man den Oktoberfilm in entgegengesetzter Richtung abzukurbeln begann. „Jede große gesellschaftliche Epoche" – sagt Marx, sich auf Helvetius berufend – „verlangt ihre großen Männer, wenn aber solche sich nicht finden, so erfindet sie sie selbst." („Der Klassenkampf in Frankreich".) Solch ein „erfundener" großer Mann der Anti-Oktober-Reaktion ist eben Stalin.

Wie bekannt, „verneint" der Marxismus die Rolle der persönlichen Initiative in der Geschichte durchaus nicht, im Gegenteil, er erklärt besser als jede andere Lehre die historische Funktion einer hervorragenden Persönlichkeit. Aber der Fetischismus des Personenkultus ist dem Marxismus fremd. Die Rolle der Persönlichkeit wird immer durch objektive Bedingungen, die in den Klassenverhältnissen liegen, erklärt. Es gab historische Perioden, wo, nach dem Ausdruck des klugen Feindes Ustrjalow, man „zur Rettung des Landes" eine hervorragende Mittelmäßigkeit brauchte – und weiter nichts. In seinem „18. Brumaire" zeigt Marx, auf welche Weise „der Klassenkampf Bedingungen und Umstände schuf, die einer durchschnittlichen und vulgären Person die Rolle eines Helden zu spielen erlaubten". Die Rede geht bei Marx um Napoleon III. Den sozialen Unterbau seiner Macht bildete die zersplitterte parzellierte Bauernschaft bei gegenseitiger Neutralisierung der Bourgeoisie und des Proletariats. Die Grundelemente dieser Situation sind auch bei uns vorhanden. Die ganze Frage besteht in ihrem gegenseitigen Verhältnis und den Tendenzen der weiteren Entwicklung. Um diese Tendenzen werden wir noch kämpfen. Jetzt ist es aber unbestreitbar, dass das Stalinsche Regime, je weiter desto mehr, zu einer Generalprobe des Bonapartismus wird.

Gleichgültigkeit in prinzipiellen Fragen und politische Denkunfähigkeit waren stets Stalins Begleiter. 1925 hat ihm die Tifliser Partei-Zeitung „Sarja Wostoka" (Morgenrot des Ostens) einen schlechten Dienst erwiesen, indem sie seinen Brief vom 24. Januar 1911 veröffentlichte. Lenins Kampf gegen die Liquidatoren und Versöhnler nennt Stalin in diesem Brief „einen ausländischen Sturm im Wasserglase" – nicht mehr und nicht weniger, und fährt dann fort:

Überhaupt beginnen die Arbeiter das Ausland verächtlich anzusehen; mögen die auf die Wände klettern, soviel sie wollen: wir aber sind der Meinung, wem die Interessen der Bewegung teuer sind, der arbeitet, alles andere wird sich schon finden. – Das ist, denke ich, das Beste."

Auf diese Weise überließ 1911 Stalin verächtlich „das auf die Wände klettern" im Kampf gegen das Liquidatorentum Lenin, und Lenins geistig sich bildende Gruppierung nannte Stalin verächtlich „einen ausländischen Sturm im Wasserglase". Welche widerliche Verlogenheit liegt in der heutigen nachträglichen Unversöhnlichkeit Stalins gegenüber dem alten geistigen Kampf!

Die Sache beschränkt sich aber nicht auf das Jahr 1911. Im Frühjahr 1917 war der „Halbvaterlandsverteidiger“ Stalin prinzipiell geneigt, die Partei mit dem Vaterlandsverteidiger Zeretelli zu vereinen. Wir lesen in den noch bis jetzt verheimlichten Protokollen der Parteiberatungen im März 1917:

Auf der Tagesordnung steht der Vorschlag Zeretellis auf Vereinigung.

Stalin: Wir müssen darauf eingehen. Es ist notwendig, unsere Vorschläge über die Linie der Vereinigung festzulegen: Eine Vereinigung auf der Linie Zimmerwald-Kienthalx ist möglich."

Auf die Befürchtungen der einzelnen Delegierten antwortet Stalin:

Man darf nicht im Voraus Meinungsverschiedenheiten vorbeugen. Ohne verschiedene Meinungen gibt es kein Parteileben. Innerhalb der Partei werden sich die kleinen Meinungsverschiedenheiten ausgleichen."

Die Meinungsverschiedenheiten mit Zeretelli erschienen Stalin gering, wie er auch 6 Jahr früher den theoretischen Kampf Lenins gegen die Liquidatoren als „Sturm im Wasserglase" ansah. In dieser zynischen Gleichgültigkeit gegen die prinzipiellen Grundlagen der Politik und in diesem versöhnlerischen Empirismus sind schon ganz und voll eingeschlossen: das zukünftige Bündnis mit Tschiang Kai-schek und die Freundschaft mit Purcell und der Sozialismus in einem Lande und die zweiteilige Arbeiter- und Bauern-Partei und die Vereinigung mit Martynow, Pepper und Petrowski zum Kampf gegen die Bolschewisten-Leninisten.

Wir wollen noch einen Brief Stalins zitieren, der am 7. August 1923 zur Lage in Deutschland geschrieben wurde :

Sollen denn die Kommunisten (im gegenwärtigen Stadium) die Eroberung der Macht ohne die Sozialdemokratie anstreben, sind sie dafür schon reif. – darin liegt, meiner Meinung nach, die Frage. Als wir die Macht in Russland ergriffen, hatten wir solche Reserven wie: a) den Frieden, b) das Land den Bauern, c) die Unterstützung der größten Mehrheit der Arbeiterklasse, d) die Sympathie der Bauernschaft. Nichts von alledem (??) haben jetzt die deutschen Kommunisten. Gewiss, sie haben als Nachbarn einen Sowjetstaat, etwas, was wir nicht hatten, aber was können wir ihnen in diesem Moment geben? Wenn jetzt in Deutschland die Macht sozusagen fällt und die Kommunisten nach ihr greifen, so werden sie mit Glanz durchfallen (?). Das im „besten" Falle. Aber im schlechtesten wird man sie zu Scherben schlagen und zurückwerfen. Es handelt sich nicht darum, dass Brandler „die Massen lehren" will, – es handelt sich darum, dass die Bourgeoisie mit den rechten Sozialdemokraten ganz sicher diese „Lehr-Demonstration" in eine Generalschlacht verwandeln (dafür haben sie vorläufig alle Chancen) und die Kommunisten vollkommen vernichten wird. Gewiss, die Faschisten schlafen nicht, aber für uns ist es vorteilhafter, dass die Faschisten zuerst angreifen: Das wird die ganze Arbeiterklasse um die Kommunisten scharen. Deutschland ist nicht Bulgarien. Außerdem sind, nach allen Anzeichen, die Faschisten in Deutschland schwach. Nach meiner Meinung muss man die Deutschen zurückhalten und nicht ermutigen".

Diesem überwältigenden Dokument, von dessen Analyse wir hier absehen müssen, kann man nur hinzufügen, dass im Frühjahr 1917, bis zu Lenins Ankunft in Russland. Stalin die Frage der Eroberung der Macht durchaus nicht revolutionärer stellte, als 1923 in Bezug auf Deutschland. Ist es nicht klar, dass Stalin die geeignete Person ist, um Brandler und die Rechten überhaupt zu zertrümmern?

Was das theoretische Niveau Stalins anbelangt, so genügt es eigentlich, darauf hinzuweisen, wie er, beim Versuch, erklären zu wollen, warum Marx und Engels den reaktionären Gedanken des Aufbaues des Sozialismus in einem Lande verwarfen, sagte, dass in der Epoche von Marx und Engels „vom Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung in den kapitalistischen Ländern keine Rede sein konnte"! Das wurde am 15. September 1925 geschrieben.

Was müsste man von einem Mathematiker sagen, der behaupten würde, dass Lagrange, Hauß oder Lobatschewsky noch keine Logarithmen kennen konnten? Das ist durchaus keine Ausnahme bei Stalin. Wenn man die plumpe Eklektik der Stalinschen Reden und Artikel näher ansieht, so bemerkt man, dass sie aus lauter solcher Art Perlen und Diamanten beinahe jungfräulichem Analphabetismus bestehen.

In einer ganzen Reihe seiner Angriffe erst gegen den „Trotzkismus". dann gegen Sinowjew und Kamenew, konzentrierte sich Stalin immer auf einen Punkt: gegen die alten revolutionären Emigranten. Die Emigranten sind keine bodenständigen Elemente, sie denken nur an die internationale Revolution, jetzt aber braucht man neue Führer, die fähig sind, den Sozialismus in einem Lande zu verwirklichen. Der Kampf gegen die Emigranten, sozusagen als eine Fortsetzung des Stalinschen Briefes von 1911 gegen Lenin, ist ein untrennbarer Teil der Stalinschen Ideologie des Nationalsozialismus. Nur völlige Unkenntnis der Geschichte erlaubt ihm. offen ein so bekannt reaktionäres Argument zu gebrauchen. Nach jeder Revolution begann die Reaktion mit dem Kampf gegen die Emigranten, die Fremden und Fremdstämmigen. Wenn die Oktober-Revolution noch eine Etappe zurück rollen sollte auf der Ustrialowschen Bahn, so würde die nächste Auswahl der Führer zweifellos eine Hetze gegen die professionellen Revolutionäre im Allgemeinen veranstalten: während diese sich vom Leben abwandten und in die Illegalität untertauchten, standen wir, die neuen „Führer", stets auf dem Boden der Wirklichkeit.

In Nichts äußert sich Stalins provinziell-nationale Beschränktheit so krass wie in diesem Einschüchtern mit den alten revolutionären „Emigranten". Die Sache ist die, dass die Emigration für Stalin Flucht vor Kampf und politischem Leben bedeutet. Der Gedanke, dass ein russischer Marxist, der in Frankreich oder den Vereinigten Staaten wohnt, ein Teilnehmer im Kampfe der französischen oder amerikanischen Arbeiterklasse wird, ist ihm organisch fremd, – schon keine Rede davon, dass in den meisten Fällen die russischen Emigranten wichtige Funktionen im Dienste der russischen Revolution erfüllten.

Kurioserweise merkt Stalin nicht, dass er mit seinen „bodenständigen" Schlägen nach der alten Emigration das Exekutiv-Komitee der Komintern trifft, das aus Ausländern besteht, die in Sowjet-Russland als Emigranten leben und nichtsdestoweniger zur Leitung der internationalen Arbeiterbewegung bestimmt sind. Am schlimmsten schlägt Stalin aber sich selbst, als „Führer" der Komintern: denn einen vollendeteren, d. h. einen in Bezug auf die fremden Staaten isolierteren „Emigranten" als ihn kann man sich nicht vorstellen. Ohne jede Kenntnis der Geschichte und des inneren Lebens der ausländischen Staaten, ohne persönliche Kenntnis ihrer Arbeiterbewegung, ja ohne Möglichkeit, die ausländische Presse zu verfolgen, ist Stalin heute berufen, die Fragen der internationalen Revolution zu lösen und zu entscheiden. Mit anderen Worten, Stalin repräsentiert die absolute Verkörperung der Karikatur jenes Typus der Emigration, den seine Phantasie ihm vorgaukelt. Damit erklärt sich auch, warum Stalins Einbruch ins Gebiet der internationalen Fragen, der im Herbst 1924 begonnen hat (man kann ohne Mühe Tag und Datum feststellen), immer einen episodenhaften, abrupten, zufälligen, wenn auch deshalb nicht weniger unseligen Charakter trug.

Der durch und durch zynische Empirismus Stalins und Bucharins Leidenschaft für Verallgemeinerungen gingen nicht zufällig während einer ziemlich langen Zeit nebeneinander. Stalin handelte unter dem Druck unmittelbarer sozialer Stöße. Bucharin brachte Himmel und Hölle in Bewegung, um die auf der Tagesordnung stellende Zickzacklinie zu rechtfertigen. Stalin betrachtete die Bucharinschen Verallgemeinerungen als notwendiges Übel. Im Herzen dachte er wie früher, dass es sich nicht lohne, wegen theoretischer Stürme „im Glase Wasser" sich aufzuregen. Aber Ideen leben im bestimmten Sinne ihr selbständiges Leben. An die Ideen klammern sich die Interessen. Sich auf die Interessen stützend, vereinigen die Ideen die Menschen. Auf diese Weise für Stalin arbeitend, begann Bucharin die rechte Gruppierung theoretisch zu nähren, während Stalin Praktiker der zentristischen Zickzacke blieb. Hier liegt die Ursache ihres Auseinandergehens. Auf dem VI. Kongress bekam ihr Auseinandergehen umso mehr die Form eines Skandals, je mehr man es zu maskieren versuchte.

Das wirkliche, nicht zur Schau gestellte Interesse Stalins an der Komintern wird von der Sorge bestimmt, die wirksame Unterstützung von Seiten der führenden Kader der Komintern für den nächsten Zickzack der inneren Politik zu finden. Mit anderen Worten, von der Komintern wird nur bürokratische Gefügigkeit verlangt.

Bucharin gab auf dem VI. Kongress Lenins Zettel an Sinowjew und Bucharin bekannt, in dem die Warnung ausgedrückt wird, dass, wenn sie kluge und selbständige Menschen in der Komintern durch gefügige Dummköpfe ersetzen sollten, sie die Komintern mit Sicherheit zu Grunde richten würden. Bucharin wagte diese Zeilen nur darum anzuführen, weil sie ihm zu seiner Verteidigung gegen Stalin dienen mussten. Im Grunde aber erfasst diese Leninsche Warnung, die heute so tragisch klingt, genau so das Sinowjewsche und Bucharinsche wie das Stalinsche Regime! Auch dieser Teil des „Testaments" wurde mit Füßen getreten. Heute sind nicht nur in der WKP sondern in allen ausländischen Parteien ohne Ausnahme alle diejenigen Elemente von der Führung entfernt und aus der Partei gestoßen, die die Komintern aufgebaut und sie in der Epoche der ersten 4 Kongresse geleitet haben. Diese Änderung der Führerschicht ist nicht zufällig. Die Stalinsche Linie braucht Stalinsche und nicht Leninsche Menschen.

Eben darum sind die Pepper, Kuusinen, Martynow, Petrowski, Raffes, Manuilski usw. unentbehrlich und unersetzlich. Die Anpassungsfähigkeit ist ihr Element. Indem sie von der Internationale Gehorsam fordern, erfüllen sie ihre eigene Bestimmung. Der Bürokratismus ist für viele Parasiten die Voraussetzung der größten persönlichen „Freiheit" geworden. Sie sind zu jeder Schwenkung bereit unter der Bedingung, dass sie im Rücken den „Apparat" haben – und zu gleicher Zeit fühlen sie sich als direkte Erben der Oktober-Revolution, als deren Verkünder in der ganzen Welt. Was brauchen sie noch? Fürwahr, sie schaffen die Komintern nach ihrem Ebenbild.

In dieser „Arbeit" ist trotzdem ein tragischer Fehler: sie rechnet nicht mit dem Widerstand des Materials, d. h. der lebenden Arbeitermasse. Dieser Widerstand äußert sich in den kapitalistischen Ländern früher, denn dort besitzen die Kommunisten keinen Zwangsapparat. Bei aller Sympathie für die Oktober-Revolution ist die Masse durchaus nicht geneigt, jedem Stock, der zum Führer ernannt wird, zu glauben und den „Kopf einer Sardine" anzubeten. Die Masse ist außerstande und nicht gewillt, den Mechanismus des Apparates zu begreifen. Sie lernt an großen Tatsachen. Sie sieht nichts als Fehler, Wirrwarr und Niederlagen. Die Arbeiter-Kommunisten fühlen eine Kälte um sich. Ihre Unruhe verwandelt sich in geistige Gärung, die zu Fraktions-Gruppierungen führt.

Es ist klar: die Komintern muss schwer büßen für die Sünden von 6 Jahren, in denen man mit Ideen wie mit entwerteten Banknoten, mit Revolutionären wie mit Beamten und mit der Masse – wie mit einem gehorsamen Chor umsprang. Die Hauptkrisen stehen noch bevor. Die geistigen Forderungen der proletarischen Avantgarde drängen nach außen und sprengen die Fesseln des Apparats. Die vorgetäuschte Geschlossenheit zerfällt in der Komintern schneller als in der WKP, wo die Fesseln des Partei-Apparats schon vollkommen durch wirtschaftliche und staatliche Repressalien ersetzt sind.

Es ist unnötig zu sagen, welche Gefahr die Fraktionszersplitterung darstellt. Aber es ist noch nie gelungen, diese Gefahr durch Jammern zu überwinden. Das Versöhnlertum, über das in allen Resolutionen so geklagt wird, ist am wenigsten geeignet, die Fraktionsbildung abzuschwächen. Es ist selbst gleichzeitig das Produkt des Fraktionskampfes und sein Halbfabrikat. Das Versöhnlertum wird unvermeidlich sich differenzieren und aufgesaugt werden. Jedes Vertuschen und Verkleistern der Meinungsverschiedenheiten würde nur das Chaos vergrößern und den Fraktionsbildungen einen schlimmeren und krankhaften Charakter verleihen. Man kann die wachsenden Wirren der Fraktionsbildungen nur durch eine klare prinzipielle Linie besiegen. Von diesem Standpunkt erscheint die heutige Periode des offenen geistigen Kampfes als große fortschrittliche Tatsache. Man muss sie nur nicht mit dem abstrakten Ideal der Geschlossenheit vergleichen, sondern mit der mörderischen Realität der letzten Jahre.

Drei Grundlinien sind im internationalen Maßstab zutage getreten. Die rechte Linie, die einen hoffnungslosen Versuch darstellt, die Vorkriegs-Sozialdemokratie unter neuen Bedingungen aufleben zu lassen, im besten Falle des Bebelschen Typus (Brandler und andere). Die linke Linie, die die Fortsetzung und Entwicklung des Bolschewismus und der Oktober-Revolution ist. Das ist unsere Linie. Endlich die zentristische Linie, die zwischen den beiden Grundlinien schwankt, sich bald der einen, bald der andern nähernd; sie ist jedes eigenen prinzipiellen Inhaltes bar und bildet letzten Endes nur die Deckung des rechten Flügels (Stalin und dessen Gesinnungsgenossen).

Persönliche Verschiebungen werden sogar in den obersten Spitzen noch stattfinden. Was aber die kommunistische Kernmasse sowohl innerhalb wie außerhalb der Partei betrifft, so steht ihre Selbstorientierung noch bevor. Es geht eben um die Eroberung der Masse. Das muss dem Kampf die größte Unversöhnlichkeit verleihen. Die Masse kann man nie durch Anspielungen oder Andeutungen erobern. Die Dialektik der Entwicklung ist derart, dass die Komintern von der Gefahr des Fraktionszerfalls nur durch kühnen, festen, unversöhnlichen Zusammenschluss der internationalen Fraktion der Bolschewisten-Leninisten gerettet werden kann.

* PPS = Polnische Sozialistische Partei (die alte Partei Piłsudskis).

** Das Hotel in Moskau, in dem die Angestellten der Komintern wohnen.

*** Jetzt auch schon aus der Komintern als Sündenbock ausgeschlossen

x Damals beriefen sich alle – Zeretelli, Dan etc. – auf Zimmerwald-Kienthal.

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