Leo Trotzki‎ > ‎1928‎ > ‎

Leo Trotzki 19280400 Zweiter Brief an Preobraschenski

Leo Trotzki: Zweiter Brief an Preobraschenski

[Nach Leo Trotzki: China, Band 2, Berlin 1975, S. 17-28]

Ihr Brief hat auch 22 Tage gebraucht. Es ist schwierig, lebenswichtige Fragen unter derartigen Umständen zu diskutieren, und meiner Meinung nach gehört die chinesische Frage zu den allerdringendsten, da der Kampf sich in China immer noch entfaltet, die Partisanenarmeen in Aktion sind, und der bewaffnete Aufstand auf die Tagesordnung gestellt wurde, wie Sie zweifellos aus der Resolution des letzten Plenums des EKKI erfahren haben.

Als erstes möchte ich zu einem geringfügigen aber ärgerlichen Punkt Stellung nehmen. Sie sagen, ich polemisiere unnötigerwiese gegen sie unter dem Pseudonym von Sinowjew. Darin täuschen Sie sich vollkommen. Ich glaube übrigens, dass das Missverständnis durch die unregelmäßige Postzustellung entstand. Ich schrieb über die Kanton-Angelegenheit zu einer Zeit, als ich von dem berühmten Brief der beiden Musketiere (Sinowjew und Kamenew) erfuhr, und außerdem kamen noch Berichte aus Moskau, die besagten, dass diese beiden mit Sekretären ausgestattet wurden, um den „Trotzkismus" bloßzustellen. Ich war sicher, dass Sinowjew mehrere meiner Briefe über die chinesische Frage veröffentlichen würde, in denen ich zu beweisen versuche, dass es in der chinesischen Revolution auf keinen Fall eine besondere Epoche geben wird, wie die Epoche der demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern, da in China unvergleichlich geringere Voraussetzungen dafür existieren, als in unserem eigenen Land, und, wie die Erfahrung,und nicht die Theorie, uns bereits gezeigt hat, die demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern sich schon in unserem Land nicht als solche verwirklicht hat. Mein ganzer Brief wurde also in Hinblick auf die vergangenen und künftigen „Bloßstellungen" von Seiten Sinowjews geschrieben. Als ich mich auf die Beschuldigung des Ignorierens der Bauernschaft bezog, vergaß ich keinen Augenblick lang gewisse unserer Diskussionen über China – aber ich hatte nicht den mindesten Anlass, Ihnen diesen abgedroschenen Vorwurf gegen mich in den Mund zu legen; Denn ich glaube, dass Sie erkennen, dass man, ohn die „Bauernschaft" im mindesten zu ignorieren, zu dem Schluss gelangen kann, dass der einzige Weg zur Lösung der Bauernfrage in der Diktatur des Proletariats liegt. Sie, mein lieber E. A. – bitte seinen Sie nicht gekränkt durch das Lächeln eines Jägers – nehmen also freiwillig die Rolle des verwirrten Hasen auf sich, der meint, das Gewehr sei auf ihn gerichtet, wenn die Jagd einer völlig anderen Spur folgt.

Seit der Zeit, als die Wuhan-Regierung zum ersten Mal gebildet wurde, kam ich zu der Auffassung, dass es in China keinerlei demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern geben würde. Dabei stützte ich mich gerade auf die Analyse der grundlegendsten gesellschaftlichen Tatsachen, und nicht auf die Weise,in der sie sich politisch brachen, die, wie wohl bekannt ist, oft eigenartige Formen annimmt, da auf diesem Gebiet Faktoren zweitrangiger Bedeutung, einschließlich nationaler Traditionen, hinzukommen. Ich wurde davon überzeugt, dass die wesentlichen gesellschaftlichen Tatsachen sich bereits einen Weg durch alle Eigenheiten des politischen Überbaus gebahnt hatten, als das Scheitern von Wuhan die Legende der Linken Kuomintang vollständig zerstörte, die angeblich 9/10 der gesamten Kuomintang umfassen sollte. 1924-1925 war es fast ein allgemein anerkannter Gemeinplatz, dass die Kuomintang eine Arbeiter- und Bauernpartei ist. Diese Partei stellte sich „unerwarteterweise" als bürgerlich-kapitalistisch heraus. Daraufhin wurde eine andere Version geschaffen, und zwar, dass nur die „Spitze" so sei, dass aber die eigentliche Kuomintang, 9/10, der Kuomintang eine revolutionäre Bauernpartei ist. Wieder einmal stellte sich „unerwarteter Weise" heraus, dass die Linke Kuomintang,in ihrer Gesamtheit wie auch in Teilen, bemüht war, die Bauernbewegung zu vernichten, die, wie wohlbekannt ist, in China eine große Tradition hat und ihre eigenen, traditionellen Organisationsformen besitzt, die während der letzten Jahre sehr verbreitet wurden. Aus diesem Grund antworte ich, wenn Sie im Geiste absoluter Abstraktion schreiben, dass „man nicht sagen kann, ob die chinesische Kleinbourgeoisie im Stande sein wird, irgendwelche Parteien zu schaffen, die unseren Sozialrevolutionären gleichen, oder ob derartige Parteien von den Kommunisten des rechten Flügels geschaffen werden, die sich abspalten usw. Auf dies Argument von der „Theorie der Unwahrscheinlichkeiten" folgendes: Erstens, selbst wenn Sozialrevolutionäre geschaffen würden, würde daraus keineswegs irgendeine Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft folgen, ebenso wenig, wie sie in unserem Land folgte, obgleich die Voraussetzungen unvergleichlich günstiger dafür waren; zweitens, statt zu raten, ob die Kleinbourgeoisie fähig ist in Zukunft – d. h. bei der weiteren Zuspitzung der Klassenverhältnisse – eine mehr oder weniger unabhängige Rolle zu spielen (das heißt annehmen, dass ein Holzprügel plötzlich zu schießen beginnt) sollte man sich lieber fragen, warum die Kleinbourgeoisie sich als unfähig erwiesen hat, eine derartige Rolle in der jüngsten Vergangenheit zu spielen, als ihr die günstigsten Voraussetzungen zur Verfügung standen: die Kommunistische Partei wurde in die Kuomintang getrieben, diese wurde zur Arbeiter- und Bauernpartei erklärt, sie wurde durch die gesamte Autorität der Kommunistischen Internationale und der UdSSR unterstützt, die Bauernbewegung war weit ausgedehnt und suchte eine Führung, die Intelligenz war seit 1919 weitgehend mobilisiert usw. usw.

Sie schreiben, China stehe immer noch dem ungeheuren Problem der bürgerlich-demokratischen Agrarrevolution gegenüber. Das war für Lenin die Wurzel der Frage. Lenin wies darauf hin, dass die Bauernschaft selbst als Klasse eine revolutionäre Rolle im Kampf gegen die Klasse des Landadels und die Bürokratie spielen kann, die unlöslich mit ihr verbunden ist und von der zaristischen Autokratie gekrönt wird. Im folgenden Stadium, sagt Lenin, werden die Kulaken mit den Arbeitern brechen, und zugleich mit ihnen auch ein beträchtlicher Teil der mittleren Bauern, aber das wird bereits während des Übergangs zur proletarischen Revolution, als einem Teil der internationalen Revolution, stattfinden. Wie aber steht die Sache in China? China besitzt keinen Landadel; keine Bauernklasse, die durch gemeinsame Interessen gegen die Grundbesitzer zusammengeschweißt ist. Die Agrarrevolution wendet sich in China gegen die Bourgeoisie in Stadt und Land. Radek hat das häufig betont – sogar Bucharin hat das jetzt halb verstanden. Das ist der Kern der Sache!

Sie schreiben, dass „der soziale Inhalt des ersten Stadiums der künftigen dritten chinesischen Revolution nicht als ein sozialistischer Umsturz beschrieben werden kann“. Wir geraten hier in die Gefahr, in Bucharins Scholastizismus zu verfallen und uns mit terminologischen Haarspaltereien abzugeben, statt mit einer lebendigen Beschreibung des dialektischen Prozesses. Welchen Inhalt hatte unsere Revolution im Oktober 1917 und Juli 1918? Wir beließen die Werke und Fabriken in Händen der Kapitalisten und beschränkten uns auf die Arbeiterkontrolle; wir enteigneten den Großgrundbesitz und führten das kleinbürgerliche Programm der Sozialrevolutionäre für die Sozialisierung des Landes durch; und, als Krönung der Sache, hatten wir während dieser Zeit einen Machtteilhaber, nämlich die linken Sozialrevolutionäre. Man könnte mit gutem Recht sagen, dass „der soziale Inhalt des ersten Stadiums der Oktoberrevolution nicht als ein sozialistischer Umsturz bezeichnet werden kann" . Ich glaube, dass es Jakowljew und verschiedene andere Rote Professoren waren, die eine ganze Menge sophistischer Bemerkungen hierüber machten. Lenin sagte, dass wir die bürgerlich-demokratische Revolution im Vorbeigehen vollendeten. Die chinesische Revolution aber wird schon in ihrem allerersten Stadium gegen die Kulaken vorgehen müssen, (die „dritte" Revolution nämlich); sie wird die Konzessionen der ausländischen Kapitalisten enteignen müssen, denn ohne sie kann es keine Einigung Chinas im Sinne einer wirklichen staatlichen Souveränität in Wirtschaft und Politik geben. Mit anderen Worten, schon das allererste Stadium der dritten chinesischen Revolution wird weit weniger bürgerlich in ihrem lnhalt sein, als das erste Stadium der Oktoberrevolution.

Andererseits haben die Ereignisse von Kanton (wie schon frühere Ereignisse in China) gezeigt, dass die „National"bourgeoisie, die Hongkong und ausländische Ratgeber und ausländische Kriegsschiffe hinter sich hat, ebenfalls eine Haltung gegenüber der geringsten unabhängigen Bewegung der Arbeiter und Bauern eingenommen, die die Kontrolle der Arbeiter über die Produktion noch unwahrscheinlicher macht, als sie es bei uns war. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden wir die Werke und Fabriken jeder Größe gleich zu Anfang der „dritten chinesischen Revolution" enteignen müssen.

Sicherlich, Sie schlagen einfach vor, das Zeugnis des Kanton-Aufstandes beiseite zu lassen. Sie sagen: „da" der Kanton-Aufstand ein Abenteuer war, – d. h. kein Unternehmen, dass aus der Massenbewegung erwuchs – „wie kann dann ein derartiges Unternehmen eine neue Situation schaffen? …“. Sie wissen doch selber, dass es völlig unzulässig ist, die Angelegenheit derartig, zu simplifizieren. Ich wäre der letzte, der der Tatsache widersprechen würde, dass es im Kanton-Aufstand abenteuerliche Elemente gab. Wenn man aber die Ereignisse von Kanton als irgend eine Art Hokuspokus beschreibt, aus dem sich keine Schlussfolgerungen ergeben, so ist das ein furchtbar vereinfachter Versuch, einer Analyse des tatsächlichen Inhalts der Erfahrung von Kanton auszuweichen. Worin bestand das Abenteurertum? In der Tatsache, dass die Führung in der Bemühung, ihre früheren Sünden zu decken, den Lauf der Ereignisse ungeheuerlich vergewaltigte und eine Fehlgeburt verursachte. Die Massenbewegung existierte, aber die war nicht zeitgemäß und unreif. Es ist falsch zu glauben, eine Fehlgeburt könne uns vermutlich nichts über den Organismus der Mutter und den Prozess der Schwangerschaft aussagen. Die ungeheure, theoretisch entscheidende Bedeutung der Kanton-Ereignisse für die grundlegenden Fragen der chinesischen Revolution liegt eben gerade in der Tatsache, dass wir hier – „dank" des Abenteuers (ja! natürlich!) – etwas vor uns haben, was so selten in der Geschichte und Politik auftritt: praktisch ein Laboratoriumsexperiment in riesigem Ausmaß. Wir haben sehr teuer dafür bezahlt, aber deshalb haben wir um so weniger Grund, seine Lehren nicht zu berücksichtigen.

Die Bedingungen des Experiments waren fast „chemisch rein". Alle zuvor verfassten Resolutionen hatten – genau wie zwei mal zwei vier ist – festgesetzt, besiegelt und kanonisiert, dass die Revolution eine bürgerlich-bäuerliche sei, dass nur diejenigen, „die Stadien überspringen" von der Diktatur des Proletariats schwatzen konnten, die sich auf ein Bündnis mit den armen Bauern stützt, die 80% der chinesischen Bauernschaft darstellen, usw., usw. Die letzte Zusammenkunft der Kommunistischen Partei Chinas fand unter diesem Banner statt. Ein Sondervertreter der Komintern, Genosse N., war anwesend. Man hat uns gesagt, dass das neue ZEK der chinesischen Kommunistischen Partei über allen Verdacht erhaben sei. Während dieser Zeit lief die Kampagne gegen den sogenannten Trotzkismus auf höchsten Touren, auch in China. Und doch nahm das ZEK der chinesischen KP noch am Vorabend der Kanton-Ereignisse eine Resolution an, die nach den Worten der „Prawda" erklärte, dass die chinesische Revolution einenpermanenten" Charakter angenommen hat. Außerdem vertrat auch Genosse N, der Vertreter der Komintern, die selbe Ansicht. Unter „permanentem" Charakter der Revolution müssen wir nun folgendes verstehen: Angesichts der äußerst verantwortungsvollen praktischen Aufgabe (obgleich sie vorzeitig gestellt wurde), zogen die chinesischen Kommunisten und sogar der Vertreter der Komintern – nachdem sie die gesamten früher gemachten Erfahrungen und alle politischen Faktoren in Betracht gezogen hatten, – die Schlussfolgerung, dass nur die Arbeiter, angeführt von den Kommunisten, die Bauern gegen die Grundbesitzer (städtische und ländliche Bourgeoisie) führen könnten; und dass nur die Diktatur des Proletariats, die auf dem Bündnis mit den hundert Millionen von armen Bauern beruhte, aus einem solchen Kampf siegreich hervorgehen könnte. Genau wie während der Pariser Kommune, die ebenfalls Elemente eines Laboratoriumsversuchs trug, (denn der Aufstand fand damals in einer einzigen, vom Rest des Landes isolierten Stadt statt) die Anhänger Proudhons und die Blanquisten zu Maßnahmen greifen mussten, die ihrer eigenen Doktrin direkt widersprach, und auf diese Weise (nach Marx) die tatsächliche Logik der Klassenverhältnisse um so mehr aufdeckten, – so verfielen auch in Kanton die Führer, die bis zum Hals voll Vorurteile gegen die Attrappe der „permanenten Revolution" steckten, sobald sie sich an die Arbeit machten, schon bei ihren ersten Schritten in diese permanente Erbsünde. Was geschah denn dann mit dem ehemaligen Martynowschen Gegengift, das in Ochsen- und Eselsdosen injiziert worden war? Oh nein! Wenn das nur ein Abenteuer war, d.h. eine Art Hokuspokus, der nichts zeigt und nichts beweist, dann hätte dies Abenteuer das Aussehen und Gesicht seines Schöpfers angenommen. Aber nein! Dies Abenteuer kam in Kontakt mit der Erde, es wurde mit den Säften der wirklichen (obgleich unreifen) Massenbewegungen und Verhältnisse genährt; und aus diesem Grund packte eben dies „Abenteuer" seine Schöpfer beim Genick, hob sie unhöflich in die Höhe, schüttelte sie in der Luft, stellte sie dann auf ihre Köpfe und klopfte ihre Schädel der Sicherheit halber gegen chinesisches Pflaster. … Wie die letzten Resolutionen und der letzte Artikel über dies Thema bezeugen, stehen die oben genannten „Schöpfer" immer noch auf ihren Köpfen, und tanzen mit ihren Füßen „permanent" in der Luft herum.

Es ist lächerlich und, unzulässig zu sagen, es sei „unpassend" Schlussfolgerungen aus lebendigen Ereignissen zu ziehen, die jeder Arbeiter-Revolutionär bis zu Ende durchdenken muss. Zur Zeit des Aufstandes von He Long und Ye Ting wollte ich nur offen darlegen, dass angesichts dessen, dass der Entwicklungszyklus der Kuomintang vollendet war, nur die Avantgarde des Proletariats die Macht erstreben konnte. Das würde bedeuten, dass es einen neuen Standpunkt und eine neue Selbsteinschätzung vornimmt, – nach einer Neubewertung der objektiven Lage – und das hätte gerade eine abenteuerliches Angehen der Situation ausgeschlossen wie z. B.: „Wir werden unsere Zeit in einer kleinen Ecke abwarten, der Muschik wird uns zu Hilfe kommen, indem er die Sache anfängt, und irgendjemand wird irgendwie die Macht ergreifen und irgendetwas tun". Gleichzeitig sagten gewisse Genossen zu mir, „Es ist unpassend, diese Fragen jetzt in Zusammenhang mit He Long aufzuwerfen, der offensichtlich bereits geschlagen worden ist.“ Ich neigte keineswegs dazu, den Aufstand He Longs zu überschätzen; Ich dachte aber dennoch, das er das letzte Signal dafür sei, dass es notwendig ist, die Orientierung der chinesischen Revolution zu überprüfen. Wenn diese Fragen damals geeigneterweise gestellt worden wären, dann wären die ideologischen Autoren des Kanton-Abenteuers vielleicht gezwungen gewesen, die Angelegenheit zu überdenken, und die chinesische Partei wäre vielleicht nicht so rücksichtslos vernichtet worden; und wenn das nicht eingetreten wäre, dann wären die Ereignisse von Kanton im Licht unserer Prognose und unserer Warnung als eine schwerwiegende Lehre in das Bewusstsein von Hunderten und Tausenden eingedrungen, wie es z. B. Radeks Warnung vor Tschiang Kai-schek am Vorabend der Staatsstreichs von Schanghai tat. Nein, die günstige Zeit ist vorbei. Ich weiß nicht, wann die chinesische Revolution wieder aufleben wird. Aber wir müssen alle uns zur Verfügung stehende Zeit völlig für die Vorbereitung, und zwar auf der Grundlage der neuen Spur der Ereignisse, benutzen.

Sie schreiben, es sei notwendig, die Geschichte Chinas, sein Wirtschaftsleben, statistische Daten usw. zu studieren. Niemand kann dem widersprechen (es sei denn, es wird als Argument dafür benutzt, dass man die Angelegenheit bis zum Jüngsten Gericht verschieben soll). Zu meiner eigenen Rechtfertigung muss ich allerdings sagen, dass ich seit meiner Ankunft in Alma Ata mich ausschließlich mit China (Indien, Polynesien usw. zum Vergleich) beschäftigt habe. Natürlich verbleiben immer noch mehr Lücken als vollständig bedeckte Stellen, aber ich muss dennoch sagen, dass in allen (für mich) neuen Büchern, die ich lese, ich selbst heute nichts prinzipiell Neues finde. Aber der wesentliche Punkt bleibt bestehen – die Bestätigung unserer Prognose durch die Erfahrung – zuerst in Bezug auf die Kuomintang in ihrer Gesamtheit, dann in Bezug auf die „Linke" Kuomintang und die Wuhan-Regierung und schließlich in Bezug auf die „Anzahlung" auf die dritte Revolution in Form des Kanton Aufstandes. Daher meine ich, dass es keinerlei Aufschub geben darf.

Zwei abschließende Fragen:

Sie fragen: Hatte Lenin recht, als er während des Krieges gegenüber Bucharin den Gedanken vertrat, dass Russland sich immer noch in einer bürgerlichen Revolution befinde? Ja, er hatte recht, die Formulierung Bucharins war schematisch und scholastisch, d. h. sie stellte gerade die Karikatur der permanenten Revolution dar, die Bucharin nun mir zuzuschieben versucht. Es gibt aber noch eine andere Seite derselben Frage: Hatte Lenin recht, als er gegen Stalin, Frunse, Rykow, Sinowjew, Kamenew, Kalinin, Tomski usw., usw. (ganz zu schweigen von den Ljadows) die Aprilthesen vorbrachte? Hatte er recht, als er gegen Sinowjew, Kamenew, Miljutin usw., usw. die Machtergreifung durch das Proletariat verteidigte? Sie wissen besser als ich, dass es keinen Oktober gegeben hätte, wenn es Lenin im April 1917 nicht gelungen wäre, nach Petrograd zu gelangen. Bis zum Februar war die Losung der Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft historisch fortschrittlich; nach dem Februarumsturz wurde dieselbe Losung (von Stalin, Kamenew und dem Rest) reaktionär.

April-Mai 1927 unterstützte ich die Losung der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft für China (richtiger, ich stimmte mit dieser Losung überein) da die gesellschaftlichen Kräfte noch nicht ihr politisches Verdikt ausgesprochen hatten, obgleich die Situation in China unvergleichlich viel ungünstiger für diese Losung war als in Russland. Nachdem dies Verdikt durch eine ungeheure historische Aktion ausgesprochen war (die Erfahrung von Wuhan), wird die Losung der demokratischen Diktatur zu einer reaktionären Kraft und wird unvermeidlich zum Opportunismus oder Abenteurertum führen.

Sie bringen weiter das Argument, dass wir für den Oktober-Sprung den Anlauf des Februar hatten. Das ist richtig. Wenn wir, selbst zu Anfang der Nordexpedition, angefangen hätten, in den „befreiten" Gebieten Sowjets aufzubauen ( und danach verlangten die Massen), so hätten wir den nötigen Anlauf bekommen, die Armeen der Feinde aufgelöst, unsere eigene Armee erhalten, und die Macht erlangt – wenn nicht in ganz China auf einmal, so doch in einem beträchtlichen Teil. Gegenwärtig befindet sich die Revolution natürlich im Niedergang. Das Geschwätz leichtfertiger Schreiber darüber, dass die Revolution am Anfang eines neuen Aufschwungs steht, da in China, wenn Sie gestatten, zahllose Hinrichtungen stattfinden und eine grauenhafte Krise in Industrie und Handel herrscht – dies Geschwätz ist kriminelle Idiotie! Nach drei riesigen Niederlagen treibt die Krise das Proletariat nicht an, sondern bedrückt es im Gegenteil, während die Hinrichtungen die politisch geschwächte Partei zerstören. Wir sind in eine Zeit des Niedergangs eingetreten. Was wird den Anstoß für einen neuen Aufschwung geben? Oder anders gesagt: welche Bedingungen werden der proletarischen Avantgarde an der Spitze der Arbeiter- und Bauernmassen den notwendigen Anlauf geben? Das weiß ich nicht. Die Zukunft wird zeigen, ob interne Prozesse allein ausreichen werden, oder ob ein Anstoß von außen nötig sein wird. Ich bin bereit zuzugeben, dass das erste Stadium der Bewegung in verkürzter und veränderter Form die Stadien der Revolution wiederholen wird, die wir bereits durchlaufen haben (z. B. irgendeine neue Parodie der „gesamt-nationalen Front" gegen Zhang Zuolin); aber diese erste Phase wird vielleicht nur dazu ausreichen, um die Kommunistische Partei in den Stand zu setzen, den Volksmassen ihre „Aprilthesen" vorzulegen und zu verkünden, d. h, ihr Programm und ihre Strategie zur Eroberung der Macht durch das Proletariat. Wenn wir aber mit dem Schema einer „demokratischen Diktatur", das bereits heute verbraucht ist, in einen neuen Aufschwung eintreten werden, der sich unvergleichlich viel schneller entwickeln wird als in der Vergangenheit, dann kann man schon im Voraus seinen Kopf darauf setzen, dass sich viele Ljadows in China finden werden, aber kaum ein Lenin, um (gegen all die Ljadows) die taktische Neubewaffnung der Partei am Tag nach dem revolutionären Philippi durchzuführen.

Kommentare