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Leo Trotzki 19290804 Der Konflikt zwischen der Sowjetunion und China und die Aufgaben der kommunistischen Opposition

Leo Trotzki: Der Konflikt zwischen der Sowjetunion und China und die Aufgaben der kommunistischen Opposition

[Nach Die Aktion, 19. Jahrgang, Heft 5-8 (Ende September 1929), Spalte 133-139]

Den 27. Juli gab ich folgende Antwort auf Fragen einer amerikanischen Presseagentur.

Über den sowjetrussisch-chinesischen Konflikt kann ich nur als Privatperson mein Urteil abgeben. Keine anderen Unterlagen als Zeitungsmeldungen besitze ich. Solchen Ereignissen gegenüber sind aber Zeitungsangaben stets unzureichend.

Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die Aggressivität nicht von der Sowjetregierung, sondern von der chinesischen Regierung ausgeht Die Verwaltungsform der ostchinesischen Bahn besteht bereits seit einer Reihe von Jahren. Die Arbeiterorganisationen, gegen die die chinesischen Behörden jetzt vorgehen, bestehen ebenfalls nicht erst seit gestern. Die heutige Verwaltungsform der ostchinesischen Bahn war das letzte Mal von einer Kommission unter meiner Leitung sorgfältigst ausgearbeitet worden. Die Beschlüsse dieser Kommission sind im April 1926 bestätigt worden und bieten den Interessen der chinesischen Seite eine absolute Garantie.

Die Haltung der heutigen chinesischen Regierung kann damit erklärt werden, dass sie sich durch die Niederschlagung der Arbeiter und Bauern erstarkt fühlt. Ich werde hier nicht über die Ursachen der Niederlage der revolutionären Bewegung des chinesischen Volkes sprechen, da ich dieses Thema in meinen bereits gedruckten Arbeiten zur Genüge beleuchtet habe. Eine Regierung, die aus der Niederwerfung einer Revolution entsteht, fühlt sich stets schwach jenen Kräften gegenüber, gegen die die Revolution gerichtet war, in diesem Falle vor allem dem englischen und japanischen Imperialismus gegenüber, Sie ist deshalb gezwungen, ihre Autorität durch abenteuerliche Gesten gegen den revolutionären Nachbar zu steigern.

Muss diese Provokation, die aus der Niederschlagung der chinesischen Revolution entstanden ist, zu einem Krieg führen? Ich glaube es nicht. Denn die Sowjetregierung will den Krieg nicht und die chinesische Regierung ist nicht in der Lage, ihn zu führen.

Die Armee Tschiang Kai-scheks errang in den Jahren 1925-27 Siege Dank dem revolutionären Enthusiasmus der Massen. Als sie sich gegen die Massen wandte, verlor die Armee die Quelle ihrer Kraft. Als eine rein militärische Organisation ist die Armee Tschiang Kai-schek äußerst schwach. Tschiang Kai-schek wird wissen, dass die Sowjetregierung die Schwäche seiner Armee sehr genau kennt. Es ist nicht daran zu denken, dass Tschiang Kai-schek ohne Hilfe anderer Mächte einen Krieg führen könnte gegen die Rote Armee. Richtiger gesagt, Tschiang Kai-schek könnte nur dann Krieg führen, wenn seine Truppen ausschließlich eine Hilfsabteilung der Armee einer anderen Macht bildeten. Ich glaube nicht, dass eine solche Kombination jetzt sehr wahrscheinlich ist, besonders bei dem bereits erwähnten aufrichtigen Bestreben der Sowjetregierung, den Konflikt mit friedlichen Mitteln beizulegen. Ich brauche nicht erst zu erklären, dass die Opposition, falls der Krieg den Sowjets aufgezwungen werden sollte, mit ihrem Leben die Oktoberevolution verteidigen würde."

Ich war der Ansicht, dass ich mit diesen Worten die absolut ungeteilte Meinung der gesamten linken kommunistischen Opposition aussprach. Es hat sich aber gezeigt, dass es nicht ganz so ist. In der Opposition sind Kräfte und Gruppen vorhanden, die bei der ersten ernsten politischen Prüfung entweder eine unklare oder eine im Grunde falsche Position einnahmen, die sie zum revolutionären Lager der Opposition in Gegensatz brachte und sie dem Lager der Sozialdemokratie bedenklich näherte.

Nummer 26 der „Fahne des Kommunismus" enthält einen Artikel von einem G. P., der die Ursache des Konfliktes in der Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes Chinas durch die Sowjetrepublik sieht. Das bedeutet also, dass er im wesentlichen die Verteidigung Tschiang Kai-scheks auf sich nimmt. Ich will bei diesem Artikel nicht verweilen. Die nötige Abfuhr erhielt G. P. durch den Genossen Kurt Landau, der es verstanden hat, die Frage so zu stellen, wie es sich für einen Marxisten gehört.

Die Redaktion der „Fahne des Kommunismus" druckte den Artikel mit der Bemerkung „zur Diskussion" und der Erklärung, dass sie sich mit ihm nicht solidarisiere. Es ist ganz unverständlich, wie man über eine für jeden Politiker so elementare Frage eine Diskussion eröffnen kann, und noch dazu in einem Augenblick, wo politische Taten erforderlich sind. Die Sache wird noch dadurch verschlimmert, dass die Redaktion der „F. d. K." auch den Artikel Landaus „zur Diskussion" stellte. Der Artikel des G. P. spricht die Ansichten der vulgären Demokratie in Verbindung mit den Absichten des Anarchismus aus. Der Artikel Landaus formuliert die marxistische Einstellung. Wie aber ist nun der Standpunkt der Redaktion selbst?

Etwas noch viel Schlimmeres passierte einer der unzähligen Gruppen der französischen Opposition. In der Nummer 35 (vom 28. Juli) widmet die Zeitschrift „Contre le courant" dem sowjetrussisch-chinesischen Konflikt einen Leitartikel, der von Anfang bis zu Ende eine ununterbrochene Kette entsetzlicher halb sozialdemokratischer, halb ultralinker Fehler ist. Der Artikel beginnt damit, dass er die Verantwortung für den Konflikt der Abenteurerpolitik der Sowjetbürokratie zuschiebt, mit anderen Worten, er macht sich zum Anwalt Tschiang Kai-scheks. Der Artikel betrachtet die Politik des Sowjetstaates in der Frage der ostchinesischen Eisenbahn als eine kapitalistische, imperialistische Politik, die die Unterstützung der imperialistischen Mächte findet, „Die kommunistische Opposition", sagt der Artikel, „kann den Krieg Stalins, der nicht ein Krieg zur Verteidigung des Proletariats, sondern ein halber Kolonialkrieg ist. nicht unterstützen." An einer anderen Stelle: „Die Opposition muss den Mut haben, der Arbeiterklasse zu sagen, dass sie sich nicht auf die Seite der Stalinschen Bürokratie und ihres Abenteuerkrieges stellen werde."

Dieser Satz ist im Original unterstrichen, und dies nicht zufällig: er gibt den Kern des Artikels wieder, und stellt damit den Autor in unversöhnlichen Gegensatz zur gesamten linken kommunistischen Opposition, Inwiefern trägt die Stalinsche Bürokratie die Verantwortung für den heutigen Konflikt? Insofern, und nur insofern, als sie durch ihre ganze vorangegangene Politik Tschiang Kai-schek geholfen hat, die Revolution der chinesischen Arbeitern und Bauern zu erdrosseln. Ich habe darüber in meinem Artikel gegen Radek und Co. gesprochen: „Die Provokation Tschiang Kai-scheks ist nur die Quittung für die Dienste, die ihm Stalin bei der Niederwerfung der chinesischen Revolution geleistet hat. Wir haben hunderte Male wörtlich gewarnt: nachdem Stalin dem Tschiang Kai-schek in den Sattel geholfen haben wird, wird Tschiang Kai-schek bei der ersten Gelegenheit seinem Helfer mit dem Steigbügel ins Gesicht schlagen. Und gerade das ist geschehen".

Die Voraussetzung für die Provokation Tschiang Kai-scheks bildet die Niederschlagung der chinesischen Revolution. Wir haben es hier mit dem Abenteuer einer bonapartistischen Soldateska zu tun, die durch Tschiang Kai-schek verkörpert wird. Seine Provokation ist eben die Ursache des Konflikts zwischen der Sowjetunion und China.

Für den Autor des Leitartikels besteht die Ursache des Konfliktes in der „imperialistischen" Aspiration der Sowjetrepublik auf die ostchinesische Bahn. Hände weg von China! schreien die unfreiwilligen Anwälte Tschiang Kai-scheks, wobei sie die Parolen und die Argumente der Sozialdemokratie nachsprechen. Wir waren bis jetzt der Meinung, dass nur die Klasse der kapitalistischen Bourgeoisie die Trägerin einer imperialistischen Politik sein könne. Oder ist es nicht so? Oder ist etwa in der USSR diese Klasse an der Macht? Seit wann? Wir kämpfen gegen die zentristische Stalinsche Bürokratie (ich erinnere daran: Zentrismus ist eine Strömung innerhalb der Arbeiterklasse selbst) aus dem Grunde, weil deren Politik den Übergang der Macht in die Hände der Bourgeoisie erleichtern kann: zuerst in die der Kleinbourgeoisie, dann der mittleren und schließlich in die Hände des Finanzkapitals, Darin besteht die historische Gefahr, es ist aber keinesfalls ein vollendeter Prozess Die gleiche Nummer der Zeitschrift „Contre le courant" enthält den Entwurf einer Plattform. Dort wird unter anderem erklärt: „Man kann nicht sagen, der Thermidor habe sich vollzogen" (Seite 16). Wir sehen, dass die Wiederholung der allgemeinen Formeln der Opposition keinesfalls mit dem politischen Verständnis dieser Formeln identisch zu sein braucht. Kann man nicht sagen, der Thermidor sei eine vollendete Tatsache, so kann man ebenso wenig sagen, die Politik des Sowjetstaates sei eine kapitalistische oder imperialistische Politik. Der Zentrismus bewegt sich im Zickzack zwischen dem Proletariat und der Kleinbourgeoisie. Den Zentrismus mit der Großbourgeoisie zu identifizieren, heißt einfach, nichts verstehen und allein schon dadurch die Großbourgeoisie nicht nur gegen das Proletariat, sondern auch gegen die Kleinbourgeoisie zu unterstützen. Die theoretische Weisheit der Ultralinken in Berlin wie in Paris läuft auf einige demokratische Abstraktionen hinaus, die auf einem geographischen, nicht aber auf einem sozialen Fundament beruhen. Die ostchinesische Eisenbahn befindet sich in der Mandschurei. Die Mandschurei gehört zu China. China hat das Recht auf Selbstbestimmung. Folglich: der Besitzanspruch der Sowjetunion auf die ostchinesische Eisenbahn ist imperialistisch. Man muss also die Eisenbahn zurückgeben. Wem? Tschiang Kai-schek? oder dem Sohne Tschangtsolins?

Während der Brester Verhandlungen forderte Kühlmann die Abtrennung Lettlands und Estlands, wobei er sich auf die Landtage berief, die dort unter Mitwirkung Deutschlands entstanden waren und auf dessen Befehl die Lostrennung forderten. Wir verweigerten unsere Zustimmung. Die gesamte deutsche offiziöse Presse beschuldigte uns des Imperialismus.

Stellen wir uns vor, in Transkaukasien entbrennt ein konterrevolutionäre Aufstand und erringt mit Hilfe des englischen Imperialismus einen Sieg. Stellen wir uns weiter vor, den Arbeitern von Baku gelingt es mit Hilfe der Sowjetunion, das Bakugebiet zu behalten. Es ist ganz klar, dass die transkaukasische Konterrevolution die sofortige Rückgabe des Gebietes, das sich auf dem Territorium des Turkmenischen Staates befindet, fordern würde. Es ist offensichtlich, dass die Sowjetrepublik das Gebiet nicht freiwillig aufgeben würde. Und es ist ebenso offensichtlich, dass die Feinde sie deshalb des Imperialismus bezichtigen würden.

Hätte in China die Revolution der Arbeiter und Bauern gesiegt die Frage der ostchinesischen Bahn könnte keine Schwierigkeiten bieten. Die Bahn wäre selbstverständlich an das siegreiche chinesische Volk übergegangen. Aber in China ist das revolutionäre Volk von den Spitzen der chinesischen Bourgeoisie mit Unterstützung des ausländischen Imperialismus besiegt worden. Unter diesen Umständen würde die Übergabe der Bahn an Tschiang Kai-schek bedeuten: der bonapartistischen Konterrevolution gegen das chinesische Volk helfend beizustehen. Doch das allein erschöpft die Frage noch nicht. Es gibt eine andere, nicht weniger wichtige Erwägung. Weder die finanziellen, noch die militärischen, geschweige denn die politischen Kräfte Tschiang Kai-scheks reichen hin, die Bahn zu übernehmen und noch weniger, sie zu halten. Nicht ohne Grund duldet er ja die faktische Abhängigkeit der Mandschurei, die unter dem Protektorat Japans steht. Die Eisenbahn könnte dem Tschiang Kai-schek nur als provisorisches Pfandobjekt dienen zur Erlangung einer Auslandsanleihe. Die Eisenbahn würde zu den wirklichen Imperialisten übergehen und deren wichtigster, sowohl ökonomischer wie strategischer Weg nach dem Osten Asiens sein – gegen die chinesische Revolution und gegen die Sowjetrepublik. Da die Imperialisten, um ihre schmutzigen Geschäfte zu besorgen, sogar die Parole des Selbstbestimmungsrechtes der Völker auszunutzen verstehen, das wissen wir. Ich glaube aber nicht, dass es Aufgabe für Marxisten ist, sie dabei zu unterstützen. Die Ultralinken gehen davon aus, dass die ostchinesische Eisenbahn einstmals von dem russischen Imperialismus zum Zwecke des Raubes und der Ausplünderung dem chinesischen Volke aufgezwungen wurde. Das ist unbestreitbar, Sie vergessen nur hinzuzufügen, dass der Imperialismus sie auch dem russischen Volke aufgezwungen hat. Die Bahn wurde gebaut zur Ausplünderung der chinesischen Arbeiter und Bauern. Sie wurde aber auch gebaut mit Hilfe der Ausplünderung von russischen Arbeitern und Bauern. Danach war die Oktoberrevolution. Hat sie die gegenseitigen Beziehungen verändert oder nicht? Mit dem Siege der Revolution endete die Periode der Reaktion und vollzog sich die Umwandlung des Verwaltungsapparates. Ist Russland zum Ausgangspunkt zurückgekehrt oder nicht? Kann man sich jetzt, unter den heutigen historischen Bedingungen, trotz Stalin und Molotow, trotz aller Verbannungen der Opposition usw. usw., kann man sich jetzt einen anderen Besitzer der ostchinesischen Eisenbahn denken, einen vom Standpunkte des internationalen Proletariats und der chinesischen Revolution vorteilhafteren Eigentümer als die Sowjetunion? So muss man die Frage stellen.

Die gesamte weiße Emigration betrachtet die Frage der chinesischen Bahn nicht vom nationalen oder geographischen, sondern vom Klassenstandpunkt aus. Trotz der inneren Meinungsverschiedenheiten ist sich die gesamte Emigration darin einig, dass die Internationalisierung der ostchinesischen Eisenbahn, d. h. ihre Übergabe an den Weltimperialismus vom Standpunkt des „zukünftigen", d. h. des bürgerlichen Russlands günstiger wäre, als deren Verbleiben in den Händen der Sowjetmacht. Mit dem gleichen Recht kann man wohl sagen, das Verbleiben der Bahn in den Händen der Sowjetmacht ist für die spätere Unabhängigkeit Chinas unermesslich vorteilhafter als ihre Übergabe an irgendeinen der heutigen Prätendenten.

Soll das besagen, dass bei der Eisenbahn alles wohl bestellt ist? Nein, das soll es nicht besagen. Die alten Gepflogenheiten der Großmächte sind bei der Bahn noch recht stark erhalten geblieben. Alle Schwankungen der inneren Politik fanden ihren Ausdruck auch in dem Verwaltungsapparat der Eisenbahn. Die Aufgabe der Opposition umfasst auch diese Frage.

Ich erlaube mir, mich auf eine persönliche Erfahrung zu berufen. Ich hatte Gelegenheit, den Kampf zu führen um die Verbesserung des Regimes der chinesischen Eisenbahn. Zum letzten Mal wurde diese Frage im März 1926 von einer besonderen Kommission unter meinem Vorsitz behandelt. Zur Kommission gehörten Woroschilow, Dserschinski und Tschitscherin. In vollem Einverständnis mit den chinesischen Revolutionären, nicht nur den Kommunisten, sondern auch den damaligen Vertretern der Kuomintang bezeichnete die Kommission folgendes als erforderlich:

Das strikte Verbleiben des Apparates der Eisenbahn in den Händen der Sowjetmacht, weil einzig und allein diese sie in der nächsten Periode vor der Eroberung durch die Imperialisten schützen kann". „In der nächsten Periode“ bedeutete „bis zum Siege der chinesischen Revolution“. Wie sollte das Übergangsregime sein? Die Resolution sagt darüber: „Es ist unbedingt erforderlich, weitgehende Maßnahmen kulturpolitischen Charakters zu treffen, um China die Bahn zu sichern.

a) die Verwaltungsgeschäfte sind in zwei Sprachen zu führen;

b) für die Eisenbahner ist eine chinesische Schule zu schaffen, die die technische mit der politischen Erziehung vereinigen soll,

c) für die chinesischen Arbeiter und für die Bevölkerung, die mit der Bahn in Beziehung stehen, sind an den dafür geeigneten Punkten der Eisenbahnlinie kulturelle und erzieherische Institutionen zu schaffen".

Folgendes sagt ferner die Resolution über die Politik der Sowjetvertreter in Bezug auf China: „Es ist ganz unzweifelhaft, dass das Benehmen der Vertreter verschiedener Ämter China gegenüber unzulässige Gepflogenheiten in der Art der Großmächte zeigte, die die Sowjetmacht kompromittieren und den Eindruck des Imperialismus hervorrufen konnten.

Die in Frage kommenden Organe und Personen sind dahin zu belehren, dass eine solche Politik und sogar solche äußeren Formen der Politik in Bezug auf China lebensnotwendig sind, die nicht einmal den Schatten des Verdachtes an Großmachtabsichten aufkommen lassen. Stets und überall ist eine Linie durchzuführen, die auf der größten Achtung vor den Rechten Chinas beruht, auf der Anerkennung und Unterstreichung seiner Souveränität usw. In jedem einzelnen Falle der Verletzung dieser Politik, wie unbedeutend sie auch scheinen könnten, sind die Schuldigen zu bestrafen und ist die chinesische öffentliche Meinung davon in Kenntnis zu setzen."

Es bleibt noch hinzuzufügen, dass sämtliche chinesischen Herrscher, Tschiang Kai-schek nicht ausgenommen, dem sowjetistischen Verwaltungsapparat der Eisenbahn nicht einen chinesischen, sondern in erster Linie einen russisch-weißgardistischen Apparat gegenüberstellen, der im Solde der Imperialisten aller Länder ist. Die Weißgardisten, von denen es in der chinesischen Polizei und in der chinesischen Armee des Eisenbahnstrichs wimmelt, haben wiederholt Gewaltakte gegen die Eisenbahnarbeiter verübt. Folgendes verfügte darüber die Resolution der genannten Kommission: „ es ist erforderlich, schon jetzt auf das Sorgfältigste Material zu sammeln über die Gewaltakte der chinesischen Soldateska, der Polizeischergen und der russischen Weißgardisten gegen die russischen Arbeiter und Angestellten der Eisenbahn und auch in Zukunft alle solche Fälle zu sammeln, wie auch alle Fälle von Konflikten zwischen Russen und Chinesen, die auf nationalem Boden entstehen. Man muss solche Wege und Mittel der Verteidigung der persönlichen und nationalen Würde der russischen Arbeiter finden, dass Konflikte, die auf diesem Gebiete entstehen, bei keiner der beiden Parteien chauvinistische Gefühle entfachen können, sondern im Gegenteil, politisch-erzieherische Wirkung haben. Es ist notwendig, besondere Schlichtungskommissionen oder Ehrengerichte bei den Gewerkschaften zu schaffen unter Beteiligung beider Parteien nach dem Prinzip der Gleichberechtigung und unter faktischer Leitung durch ernste Kommunisten, die die ganze Bedeutung und Schärfe des nationalen Momentes zu übersehen in der Lage sind."

Ich glaube, dies alles ist vom Imperialismus weit entfernt. Ich glaube, dass die Ultralinken dabei manches lernen könnten. Ich bin bereit, im Voraus zuzugeben, dass lange nicht alles durchgeführt wurde. Verfälschungen der Prinzipien gab es auf der chinesischen Eisenbahn sicherlich nicht weniger als in Moskau, sondern mehr. Gerade deshalb führt ja auch die Opposition ihren unversöhnlichen Kampf. Aber schlimm ist es mit den Politikern bestellt, die das Kind mit dem Bade ausschütten.

Ich habe oben auseinandergesetzt, in welchem Sinne die Stalinsche Fraktion für die Provokation Tschiang Kai-scheks verantwortlich ist. Aber nehmen wir an, es verhielte sich anders. Nehmen wir an, die Stalinsche Bürokratie hätte neue Dummheiten angestellt, die dem Feinde den Schlag gegen die Sowjetrepublik erleichterten. Welche Schlussfolgerung wäre daraus zu ziehen? Etwa die, dass man die Sowjetrepublik nicht verteidigen solle? Oder vielmehr die, dass man sie von der Stalinschen Führung befreien müsse? Der Leitartikel des „Contre le courant" verfällt verbrecherischerweise auf die erste Schlussfolgerung Er erklärt, er könne sich nicht auf die Seite der Stalinschen Bürokratie und ihres abenteuerlichen Krieges stellen. Als handele es sich im Falle eines Krieges um die Stalinsche Bürokratie und nicht um die Oktoberrevolution und die in ihr enthaltenen Möglichkeiten! Um noch tiefsinniger zu erscheinen, sagt der Autor: „Die Opposition könne kein besonderes Rezept in der heutigen schweren Krise vorweisen." Man kann sich schwer eine gefährlichere Position ausdenken. Das ist doch die Position nicht eines Revolutionärs, sondern eines fremden Zuschauers. Und was soll der russische Revolutionär tun? Was sollen die russischen Kämpfer der Opposition im Falle eines Krieges es tun? Neutral bleiben? Darüber denkt der Autor nicht mal nach. Weshalb nicht? Weil ihn nicht der Standpunkt des Revolutionärs, der unmittelbar am Kampfe teilnimmt, leitet, sondern der eines Notars, der die Handlungen beider Parteien registriert, ohne sich persönlich einzumischen.

Die Stalinisten machten wiederholt den Versuch, uns bald den Vorwurf des Defätismus, bald den der bedingten Verteidigung zu machen. Dieser Frage war meine Rede am 1. August 1927 vor dem vereinigten Plenum des Zentralkomitees und der Zentralkommission gewidmet. Ich sagte darin:

Die Lüge von der bedingten Verteidigung schleudern wir den Verleumdern ins Gesicht zurück!" Ich habe mithin nicht nur den Gedanken der Neutralität, sondern auch den der bedingten Verteidigung als Verleumdung bezeichnet, und diese Verleumdung den Stalinisten ins Gesicht zurückgeschleudert. Wie konnte das der Autor des Leitartikels nicht bemerken? Und wenn er es bemerkt hat, warum griff er mich nicht an. Diese Rede ist in dem vor kurzem in französischer Sprache erschienenen Buch „Die Fälschung der Revolution" enthalten.

Ich habe nicht von einem bestimmten Krieg gesprochen, sondern von jedem nur denkbaren Krieg gegen die Sowjetunion. Man muss schon gar nichts verstehen, um hinter den vorübergehenden Konjunkturerscheinungen nicht den grundlegenden Gegensatz zwischen den imperialistischen Staaten und der Sowjetrepublik zu sehen. In der Frage des Visums für einen Oppositionellen einigen sich die Imperialisten mit Stalin gern. Aber der Sowjetrepublik gegenüber bleiben sie trotz Stalin Todfeinde, Jeder Krieg wird unvermeidlich die Frage der Existenz der Sowjetrepublik stellen. Und deshalb sagte ich in der erwähnten Rede:

Stellen wir, die Opposition, die Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes in Frage? Nicht im Geringsten. Wir hoffen es nicht nur zu verteidigen, sondern die anderen auch manches zu lehren. Stellen wir die Fähigkeit Stalins in Frage, für die Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes die richtige Linie zu bezeichnen? Jawohl, und sogar im höchsten Grade. Die Opposition ist für den Sieg der UdSSR, sie hat es bewiesen und wird es nicht schlechter als die anderen beweisen. Stalin aber meint etwas anderes. Eigentlich meint Stalin die Frage, die zu stellen er nicht den Mut hat. Nämlich: glaubt die Opposition, dass die Führung Stalins nicht imstande sei, der UdSSR den Sieg zu sichern? Ja, sie glaubt es. (Sinowjew: „Sehr richtig!)" Und weiter:

Aber kein einziger Oppositioneller wird auf sein Recht und auf seine Pflicht verzichten, am Vorabend des Krieges oder während des Krieges für die Korrektur des Parteikurses zu kämpfen – wie es in der Partei immer der Fall war – denn darin liegt eine wichtige Bedingung des Sieges. Ich resümiere: Für das sozialistische Vaterland? Ja! Für den Stalinschen Kurs? Nein!" Ich glaube, diese Position ist auch im heutigen Augenblick richtig.

Den 4. August 1929.

Leo Trotzki

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