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Leo Trotzki 19290907 Die Verteidigung der Sowjetrepublik und die Opposition

Leo Trotzki: Die Verteidigung der Sowjetrepublik und die Opposition

Die Ultralinken und der Marxismus

Welchen Weg geht der Leninbund?

[Nach der Broschüre erschinen im Verlag A. GRYLEWICZ, BERLIN-NEUKÖLLN. Herausgegeben im Auftrage der internationalen Leninopposition]

Gruppierungen in der linken Opposition

Wir haben im internationalen Kommunismus drei grundlegende Strömungen festgestellt: die rechte, die zentristische und die linke (marxistische). Diese Einteilung erschöpft aber die Frage nicht, da sie die Ultralinken unberücksichtigt lässt. Sie existieren aber, handeln, machen Fehler und drohen, die Sache der Opposition zu kompromittieren.

Zwar gibt es jetzt keine oder fast keine Ultralinken mehr, von jenem naiv-revolutionären, „aggressiven" Typus, dem Lenin sein bekanntes Buch gewidmet hat. Es verblieben in der Opposition auch nicht viele Ultralinken vom Geist der Jahre 1924-1925 (Maslow und andere). Die Erfahrungen der Niederlagen ist nicht spurlos vorübergegangen. Aber lange nicht alle früheren Ultralinken haben sich die Lehren dieser Jahre angeeignet. Die einen haben sich von Vorurteilen befreit und den revolutionären Geist bewahrt. Die anderen haben den revolutionären Geist verloren und die Vorurteile bewahrt. Dennoch sind nicht wenige vom Skeptizismus vergiftete Ultralinke übrig geblieben. Sie bekunden gern einen formellen Radikalismus in all jenen Fällen, wo er sie zu nichts verpflichtet. In praktischen Fragen neigen sie meistens zum Opportunismus.

Wenn der Reformismus ein unversöhnlicher Feind ist, so ist die Ultralinke die innere Krankheit, die den Kampf mit dem Feind behindert. Um jeden Preis muss man sich von ihr befreien.

Viele Monate lang versuchte ich in Briefen, von der Reichsleitung des Leninbundes Klarheit über die grundlegenden Fragen der kommunistischen Politik zu erreichen. Daraus wurde nichts. Die Meinungsverschiedenheiten erwiesen sich als zu groß. Es gibt keinen anderen Weg, als sie an die Öffentlichkeit zu bringen und sie einer ernsten Prüfung zu unterwerfen. Um so mehr, als der Beginn einer solchen Diskussion bereits von der Redaktion der Zeitung des Leninbundes gemacht wurde, nachdem sich bei der linken kommunistischen Opposition in Verbindung mit dem Konflikt zwischen China und der Sowjetunion nicht nur ernste, sondern direkt entscheidende Meinungsverschiedenheiten ergeben hatten. Im Zusammenhang mit dieser Frage sind bereits Gruppierungen entstanden. Es werden selbstverständlich auch personelle Verschiebungen folgen. Eine Reihe Genossen, die einen falschen Standpunkt eingenommen haben, werden diesen korrigieren. Andere werden, im Gegenteil, ihren Fehler vertiefend, bis ans Ende gehen, d. h. sie werden zur völligen Preisgabe der marxistischen Position kommen. So geschieht es stets bei tiefgehenden Differenzen, wenn die bis dahin noch ungeformten Meinungsverschiedenheiten durch große Ereignisse kontrolliert werden.

Alles Schlechte hat auch sein Gutes. In den verschiedenen Oppositionsgruppen gibt es zu viel geistige Stagnation und Routine. Die restlose Untersuchung der großen politischen Ereignisse ermöglicht es den lebensfähigen Elementen und Gruppen der Opposition leichter, ihren richtigen Platz zu finden und dadurch den geistigen Kristallisierungsprozess um die realen, nicht aber die eingebildeten Achsen zu beschleunigen.

Formalismus statt Marxismus

In der Frage des Konfliktes zwischen China und der Sowjetunion haben wir zwei grundlegende Gesichtspunkte, die mit den wichtigsten Problemen der internationalen Revolution und der marxistischen Methode verbunden sind.

Den in seiner Art vollendetsten Ausdruck des formal-linken Gesichtspunktes hat Louzon gegeben. Ihm war es auch, nach seiner ganzen Denkungsart, am leichtesten. Louzon ist kein Marxist, sondern Formalist. Er handhabt viel besser Geographie, Technik, Statistik, als die materialistische Dialektik der Klassengesellschaft. Aus seinen Artikeln kann man häufig vieles erfahren, man kann sich nur nicht politisch an ihnen bilden. Louzon beschäftigt vielmehr die abstrakte, nationale „Gerechtigkeit", als der reale Kampf um die Befreiung der unterdrückten Völker. Louzon weist ausführlich nach, dass die ostchinesische Eisenbahn vom Zarismus zum Zwecke des Raubes und der Ausplünderung gebaut wurde. Er zeigt auf der Landkarte, dass diese Eisenbahn die Mandschurei durchquert. Er beweist mit statistischen Angaben, dass die Mandschurei in den letzten Jahrzehnten von chinesischen Bauern besiedelt wurde. Wir haben auf diese Weise eine russische Eisenbahn auf chinesischem Boden neben den Eisenbahnen der imperialistischen Staaten. Worin besteht nun der Unterschied? fragt Louzon. Einen Unterschied gäbe es nicht, oder fast nicht – folgert er. Der Vertrag von 1924 war ein imperialistischer Vertrag. Lenin hätte die Bahn China sicherlich zurückgegeben. Louzon weiß das ganz genau.

Um nachzuweisen, ob die Politik in einer bestimmten Provinz einen imperialistischen Charakter trägt, genügt, nach Louzon, die Feststellung: Welches Volk lebt in dieser Provinz? „Wenn die Nordmandschurei von Russen bevölkert ist, – so ist die Politik des Zaren und der Sowjetunion rechtmäßig; wenn sie aber von Chinesen bevölkert ist, dann bedeutet diese Politik nichts anderes als Raub und Unterjochung. (Révolution Prolétarienne, vom 1. August 1929.) Man traut seinen Augen nicht, liest man diese Zeilen. Die Politik des Zaren und die Politik des Arbeiterstaates werden ausschließlich unter dem nationalen Gesichtswinkel betrachtet und dabei völlig identifiziert. Louzon erklärt die Politik des Zaren in den russischen Gebieten für rechtmäßig (legitime). Für uns aber war die Politik des Zaren nicht weniger verbrecherisch, räuberisch und unterjochend in Sibirien als in der Mandschurei. Die Politik der Bolschewiki, ob gut oder schlecht, führt die gleichen Prinzipien in der Mandschurei, in Sibirien und in Moskau durch. Genosse Louzon! Außer den Nationen gibt es noch Klassen. Das nationale Problem außerhalb der Klassenbeziehungen ist eine Fiktion, eine Lüge und der Strang für das Proletariat.

Die Methode Louzons ist nicht Marxismus, sondern nackter Schematismus. Sie findet ihre Strafe darin, dass die sozialdemokratischen Zeitungen fast ausnahmslos den gleichen Gedankengang entwickeln und zu einer gleichen Schlussfolgerung kommen. Der unter der Führung Otto Bauers entstandene Beschluss der zweiten Internationale deckt sich genau mit dem Louzonschen Gedanken. Und wie kann es auch anders sein? Die Sozialdemokratie ist aus Not formalistisch. Sie nährt sich von den Analogien zwischen Faschismus und Kommunismus. Für sie sind alle, die die Demokratie „leugnen" oder verletzen, gleich. Ihr höchstes Kriterium (in Worten) ist die „Demokratie", die die Reformisten über die Klassen stellen. Genau so verfährt Louzon mit dem Prinzip der nationalen Selbstbestimmung. Das ist umso bemerkenswerter, da Louzon als Syndikalist eher dazu neigt, die Demokratie formell abzulehnen. Aber mit den Formalisten geschieht es öfters so, dass sie, das Ganze ablehnend, sich vor dem Teil verneigen. Das nationale Selbstbestimmungsrecht ist ein Element der Demokratie, Der Kampf um dieses Recht, wie überhaupt um die Demokratie, spielt eine große Rolle im Leben der Völker, besonders im Leben des Proletariats. Wer es nicht versteht, die Institutionen und Formen der Demokratie, darunter auch des Parlamentarismus, im Interesse des Proletariats auszunutzen, ist ein schlechter Revolutionär. Aber vom proletarischen Standpunkte aus steht weder die Demokratie in ihrer Gesamtheit, noch das nationale Selbstbestimmungsrecht als ihr wesentlicher Bestandteil, über den Klassen, und bildet auch kein höheres Kriterium der revolutionären Politik. Deshalb betrachten wir die sozialdemokratische Analogie zwischen Faschismus und Bolschewismus als Schwindel. Aus demselben Grunde bezeichnen wir es auch als einen groben Fehler, auf Grund der Gesetze der Symmetrie den Vertrag zwischen Sowjetrussland und China von 1924 den imperialistischen Verträgen gleichzustellen.

Wem hätte Louzon im Jahre 1924 die ostchinesische Bahn geben wollen? Der Pekinger Regierung? Aber diese hatte weder Arme, um sie zu nehmen, noch Beine, um an sie heranzukommen. Die Pekinger Regierung war eine reine Fiktion. Eine Realität war der Marschall Zhang Zuolin, der Führer der Hung Hu-tzu, der Diktator und Henker der Mandschurei, der bezahlte Agent Japans, der Todfeind der national-revolutionären Bewegung, die im Jahre 1925 stürmisch entbrannte und im Jahre 1926 sich in einen Feldzug des Südens gegen den Norden verwandelte, letzten Endes gegen Zhang Zuolin. Dem mandschurischen Marschall die Eisenbahn abzutreten, würde in Wirklichkeit bedeuten, ein Bündnis mit ihm gegen die sich entwickelnde chinesische Revolution einzugehen. Das wäre in nichts besser, als die Lieferung von Kanonen und Munition an das weiße Polen im Jahre 1920, während seines Krieges mit der Sowjetrepublik. Das wäre keine Erfüllung der revolutionären Pflicht, sondern der schmählichste Verrat an der chinesischen Revolution, der realen, die von den Klassen vollzogen wird, nicht aber ihres abstrakten Schattens, der im Kopfe Louzons und ihm ähnlicher Formalisten lebt.

Sich in Widersprüche verstrickend, geht Louzon in seinen Behauptungen so weit, der Sowjetregierung sogar die Tatsache zum Vorwurf zu machen, dass sie am 20. September 1924 einen Vertrag mit Zhang Zuolin, „dem reaktionärsten aller Militaristen, die jemals in China regierten", unterschrieben habe. Jawohl, dem reaktionärsten, Man sollte wohl, nach Louzon, anstatt mit ihm einen Vertrag zu schließen, der die Bahn vor diesem schlimmsten Reaktionär schützte, sie ihm einfach schenken.

Gewiss hat der Vertrag von 1924, der alle imperialistischen Privilegien Russlands abschaffte, keine unbedingten Garantien gegen Zhang Zuolin gegeben, denn dieser hatte in der Mandschurei Truppen, während die Sowjettruppen in weiter Entfernung waren. Aber wenn auch weit, sie existierten. Zhang Zuolin machte mal einen Vorstoß, mal zog er sich zurück. So forderte er zum Beispiel, dass, die Eisenbahn widerspruchslos seine gegenrevolutionären Truppen befördere, aber auf den Vertrag gestützt, bereitete ihm die Bahn allerhand Schwierigkeiten. Er verhaftete den Direktor der Eisenbahn, machte jedoch dann einen Rückzug. Mit vollem Recht verließ er sich nicht auf seine Kräfte allein. Japan wiederum entschloss sich aus verschiedenen Gründen nicht, ihn offen zu unterstützen und wartete ab. All das zusammen war ein großer Gewinn für die chinesische Revolution, die sich von Süden nach Norden entwickelte.

Revolutionäre Hilfe oder imperialistische Intervention?

Um die Unfruchtbarkeit des Louzonschen Formalismus noch greller zu beleuchten, wollen wir an die Frage von einer anderen Seite herangehen. Es ist bekannt, dass die Imperialisten, um in einem zurückgebliebenen Lande fester Fuß zu fassen, nicht selten einen Stamm gegen den anderen, eine Provinz gegen die andere, eine Klasse gegen die andere bewaffnen. So zum Beispiel verfahren, bei ihrer Wegbahnung nach Südamerika, systematisch die Vereinigten Staaten. Es ist andererseits bekannt, dass die Sowjetregierung der chinesischen national-revolutionären Armee seit den ersten Tagen ihrer Entstehung, insbesondere aber während ihres Feldzuges von Süden nach Norden, weitgehendste Hilfe geleistet hat. Die Sozialdemokraten der ganzen Welt heulten mit der Bourgeoisie über die militärische „Intervention" der Sowjetunion in China, und wollten in ihr nur die revolutionäre Verschleierung der alten Politik des zaristischen Imperialismus sehen. Ist Louzon damit einverstanden oder nicht? Diese Frage ist auch an alle Nachahmer Louzons gerichtet. Wir Bolschewiki glauben hingegen, dass die der chinesischen Revolution geleistete Hilfe – durch Ideen, Menschen, Geld, Waffen – die elementare Pflicht der Sowjetregierung war. Dass die Stalin-Bucharinsche Führung der chinesischen Revolution einen politischen Schaden zugefügt hat, der den Nutzen der materiellen Unterstützung weit überwog, ist ein besonderer Punkt, von dem noch die Rede sein soll. Die Menschewiki aber beschuldigen die Sowjetregierung des Imperialismus nicht wegen der menschewistischen Linie Stalin-Bucharins in der chinesischen Frage, sondern wegen der „Einmischung“ in die chinesischen Angelegenheiten und wegen der der chinesischen Revolution geleisteten Hilfe. War diese Einmischung ein Verbrechen oder ein Verdienst der Sowjetregierung, Genosse Louzon? Es fällt mir eigentlich schwer, hier von Verdienst zu sprechen, denn die Einmischung war nur eine Erfüllung der elementaren Pflicht gewesen, die sich sowohl aus den Interessen der russischen wie der chinesischen Revolution ergab. Nun frage ich: konnte die Sowjetregierung, während sie mit der linken Hand dem Süden half, mit der rechten dem Norden, gegen den der Krieg sich richtete, die ostchinesische Eisenbahn ausliefern?

Unsere Antwort wird sein: Da die Sowjetregierung ihre Bahn nicht von Norden nach Süden verlegen konnte, um der Revolution den Angriff auf die Militaristen des Nordens zu erleichtern, musste sie die Bahn fest in ihren Händen behalten, um dadurch die Imperialisten und Militaristen zu hindern, sie in eine Waffe gegen die chinesische Revolution zu verwandeln. So verstehen wir die revolutionäre Pflicht im realen Kampfe um das reale nationale Selbstbestimmungsrecht Chinas.

Daneben gab es noch eine andere Aufgabe, Man musste die Politik in Bezug auf die Eisenbahn so gestalten, dass die chinesischen Massen, mindestens in ihren fortgeschrittenen Schichten, die Befreiungsziele und Aufgaben der Sowjetregierung im Hinblick auf China klar verstehen konnten. Ich habe darüber in einem Artikel bereits gesprochen, als ich die von mir formulierten Beschlüsse der Kommission des ZK der WKP, die im April 1926 angenommen wurden, anführte. Der Sinn jener Beschlüsse war: Wir betrachten die ostchinesische Eisenbahn als eine Waffe der Weltrevolution, Unmittelbarer: der russischen und der chinesischen Revolution. Der Weltimperialismus kann uns natürlich direkt oder indirekt, offen oder verschleiert, die Bahn entreißen. Um schwerere Folgen zu vermeiden, könnten wir in der Lage kommen, die Eisenbahn dem Imperialismus abtreten zu müssen, wie wir gezwungen waren, den Brest-Litowsker Frieden zu unterschreiben. Solange wir aber die Macht und die Möglichkeit haben, werden wir sie vor dem Imperialismus schützen und zur Übergabe an die siegreiche chinesische Revolution bereithalten. Zu diesem Zweck schaffen wir schon jetzt Schulen für die chinesischen Eisenbahner, bemüht, sie nicht nur technisch, sondern auch politisch zu erziehen.

Eben das ruft die Wut der chinesischen Reaktionäre hervor. Die Reutersche Telegrafenagentur brachte folgende Erklärungen Wangs, des heutigen chinesischen Ministers des Auswärtigen: „Der einzige Weg Chinas ist die Vereinigung aller Nationen zum Widerstand gegen den roten Imperialismus, andernfalls wird China in den Krallen des Kommunismus umkommen." Es handelt sich, wie man sieht, nicht um Imperialismus an sich. Im Gegenteil, die chinesische Regierung appelliert an den Imperialismus gegen den „roten Imperialismus", den sie mit der Gefahr des Kommunismus identifiziert. Kann man eine klarere, präzisere, überlegtere Formulierung wünschen?

Louzon versuchte nachzuweisen, dass die Sympathien der imperialistischen Staaten auf Seiten der Sowjetregierung und gegen China sind. In Wirklichkeit hat er nur bewiesen, dass das Verhalten der Imperialisten der Sowjetrepublik gegenüber in einzelnen Fragen widersprechend ist. Wo sich der Imperialismus auf das unverbrüchliche Eigentumsrecht stützt, ist er gezwungen, dieses Recht auch dem Sowjetstaat anzuerkennen. Wäre dies nicht der Fall, dann wäre zum Beispiel auch der Handel zwischen der Sowjetrepublik und den kapitalistischen Ländern unmöglich. Käme es jedoch zu einem Krieg, dann würde der Anlass zum Kriege, d. h. die Frage nach dem Besitz der Eisenbahn, in den Hintergrund treten. Die Imperialisten würden die Frage nur vom Standpunkt des Kampfes gegen jene Gefahr betrachten, die sie den „roten Imperialismus" nennen, d. h. gegen die internationale proletarische Revolution.

In diesem Zusammenhang ist es nicht überflüssig, an das Verhalten der weißen Emigranten im Fernen Osten zu erinnern. Sogar die New Yorker „Times"' schrieb darüber: „Hier (in Washingtoner Regierungskreisen) wird die Möglichkeit zugegeben, dass die weißen Russen die Zwischenfälle (die Grenz-Zusammenstöße) auf chinesischer Seite provoziert haben könnten, die sonst kaum geschehen wären" (17. August). Nach Louzon geht es um das nationale Selbstbestimmungsrecht Chinas. Tschiang Kai-schek verwirklicht den demokratischen Fortschritt, die Moskauer Regierung – die imperialistische Gewalt. Die weißen Emigranten seien jedoch aus irgendeinem Grunde auf Seiten des nationalen Selbstbestimmungsrechtes Chinas und gegen den russischen Imperialismus. Zeigt nicht allein diese Tatsache, wie hoffnungslos sich Louzon verrannte, indem er die Klassenpolitik durch Geographie und Ethnographie ersetzte. Die weißen Banditen, die an der chinesischen Grenze Rotarmisten umbringen, kennen sich in ihrer Art besser in der Politik aus als Louzon. Sie verstricken sich nicht in Nebensächlichkeiten, sondern bringen die Frage auf ihren Ursprung: den Kampf der Weltbourgeoisie gegen die Revolution.

Pazifismus statt Bolschewismus

Indem die Ultralinken den Klassenstandpunkt zugunsten des abstrakt nationalen Standpunktes aufgeben, rutschen sie notwendigerweise von der revolutionären Position auf die rein pazifistische hinab. Louzon erzählt, wie die Sowjettruppen die sibirische Eisenbahn eingenommen hatten und wie dann die „rote Armee der antiimperialistischen Politik Lenins entsprechend vor den Grenzen Chinas sorgsamst (soigneusement) Halt gemacht hat; es wurde nicht versucht, das Territorium der ostchinesischen Eisenbahn wieder zu erobern". (Révolution Prolétarienne, Seite 228). Also die höchste Pflicht der proletarischen Revolution besteht darin: sorgsamst die Fahnen vor den nationalen Grenzen zu senken. Darin bestand nach Louzon das Wesen der antiimperialistischen Politik Lenins! Man schämt sich, diese Philosophie der „Revolution in einem Lande" zu lesen. Die Rote Armee machte vor den Grenzen Chinas Halt, weil sie nicht stark genug war, diese Grenze zu überschreiten und sich der unvermeidlichen Attacke des japanischen Imperialismus entgegenzustellen. Wäre die Rote Armee für einen solchen Angriff stark genug gewesen, hätte sie die Pflicht gehabt, ihn zu unternehmen. Ihr Verzicht auf den revolutionären Angriff gegen die Kräfte des Imperialismus wäre eine Preisgabe der Interessen der chinesischen Arbeiter und Bauern und der proletarischen Weltrevolution gewesen und würde nie die Erfüllung der Leninschen Politik bedeutet haben, sondern nur einen schändlichen Verrat an dem ABC des Marxismus. Worin besteht das Unglück Louzons und seinesgleichen? Darin, dass er die national-pazifistische der international-revolutionären Politik unterschiebt. Mit Lenin hat das nichts gemein.

Die rote Armee ist seinerzeit in das menschewistische Georgien gekommen, um den georgischen Arbeitern die Macht der Bourgeoisie stürzen zu helfen, was uns die Zweite Internationale bis jetzt nicht verzeihen kann. Georgien ist von Georgiern bevölkert, die Rote Armee bestand hauptsächlich aus russischen Soldaten. Auf wessen Seite steht in diesem alten Konflikt Louzon?

Und der Feldzug gegen Warschau im Sommer 1920? Louzon weiß vielleicht, dass ich ein Gegner dieses Feldzuges war. Aber meine Einwände hatten rein praktischen Charakter, Ich befürchtete, dass die werktätigen Massen Polens sich nicht rechtzeitig erheben würden (das Kriegstempo ist in der Regel schneller als das Revolutionstempo) und war der Ansicht, dass es für uns gefährlich sei, uns zu weit von unserer Basis zu entfernen. Die Ereignisse haben die Richtigkeit dieser Voraussicht bestätigt: der Feldzug gegen Warschau war ein Fehler. Aber er war ein taktischer Fehler, keinesfalls ein prinzipieller. Unter günstigeren Bedingungen wäre es unsere Pflicht gewesen, der polnischen (wie auch jeder anderen) Revolution mit bewaffneter Hand zu helfen. Gerade aber damals beschuldigten uns zum ersten Male Lloyd George, Bonar Law und andere des roten Imperialismus. Diese Anschuldigung übernahm dann die Sozialdemokratie und von ihr übertrug sie sich unmerklich auf die Ultralinken.

Gegen die revolutionäre „Intervention" stellt Louzon an ganz unpassender Stelle das alte und unbestrittene Prinzip auf: „Die Befreiung der Arbeiter kann nur Sache der Arbeiter selbst sein." Im nationalen Maßstabe? Nur im Rahmen eines einzelnen Landes? Dürfen Arbeiter eines Landes den Streikenden eines anderen Landes helfen? Den Aufständischen Waffen liefern? Ihre Armee, falls eine solche vorhanden, den Aufständischen zu Hilfe schicken? Oder zum Zwecke der Vorbereitung eines Aufstandes, etwa wie Streikende, ihre Abteilungen entsenden, um die Arbeiter aus zurückgebliebenen Betrieben herauszuholen?

Warum entschließt sich Louzon nicht, bis zu Ende zu gehen?

Louzon stellt sich auf den national-demokratischen Standpunkt, aber er bleibt auch diesem nicht restlos treu. Wenn es wahr ist, dass die chinesische Regierung gegen den Sowjetimperialismus um ihre nationale Befreiung kämpft, so besteht die Pflicht eines jeden Revolutionärs nicht darin, Stalin philosophische Belehrungen zu erteilen, sondern Tschiang Kai-schek aktiv zu helfen. Aus der Stellung Louzons, will man sie ernst nehmen, ergibt sich die direkte Pflicht, das nationale Selbstbestimmungsrecht Chinas erkämpfen zu helfen gegen das Erbe des Zarismus, wenn es möglich ist, mit der Waffe in der Hand. Das ist sonnenklar. Louzon beruft sich, und mit Recht, selbst darauf, dass die Sowjetregierung Kemal gegen die Imperialisten geholfen hat. Louzon fordert Anwendung der gleichen Prinzipien auf China. Ganz richtig: gegen den Imperialismus muss man selbst dem Henker Tschiang Kai-schek helfen. Aber da bleibt der mutige Louzon unentschlossen stehen. Er fühlt gleichsam, dass die Schlussfolgerung, die sich aus seiner Einstellung ergibt, etwa so lauten würde: Proletarier aller Länder helft der chinesischen Regierung ihre Unabhängigkeit im Kampfe gegen die Anschläge des Sowjetstaates verteidigen. Warum bleibt Louzon auf halbem Weg stehen? Weil diese einzig konsequente Schlussfolgerung unsere ultralinken Formalisten in Agenten des Imperialismus verwandelt hätte und in politische Helfershelfer jener russischen Weißgardisten, die mit der Waffe in der Wand heute für die „Befreiung" Chinas kämpfen. Diese Inkonsequenz macht dem politischen Gefühl der Ultralinken alle Ehre, aber nicht ihrer Logik.

Sind sozialistische „Konzessionen“ zulässig?

Bei diesem Punkt mischen sich Genosse Urbahns und seine nächsten Gesinnungsgenossen aus der Reichsleitung des Leninbundes in den Streit. In dieser, wie in der Mehrheit der anderen Fragen, bemühen sie sich, eine Zwischenstellung einzunehmen. Sie drucken einen Artikel des Korschschülers H. P., einen Artikel Louzons, einen Artikel Pazs, einen Artikel voller Irrtümer der belgischen Genossen, einer marxistischen Artikel Landaus und einen vor mir ab. Dann tritt endlich die Redaktion vor mit der eklektischen Philosophie, die 66% Prozent von Louzon und Korsch, 33% Prozent von der russischen Opposition entleiht. Bildlich heißt es: „wir sind mit Trotzki nicht hundertprozentig einverstanden.". Im Wesentlichen sich auf Louzon stützend, beschränkt sich Urbahns jedoch nicht auf Geographie und Ethnographie. Aber sein Versuch, den Klassenstandpunkt hinzuziehen, d. h. Louzon durch Marx zu ergänzen, ergibt wahrhaft unglückselige Folgen.

Sehen wir uns den Programmartikel der „Fahne des Kommunismus" (das theoretische Organ des Leninbundes) an.

Die Bahn stellt auch heute noch eine chinesische Konzession an eine auswärtige Macht dar, eine Konzession, die, von chinesischer Seite gesehen (?!), nur graduell (?!) verschieden ist von den übrigen Konzessionen, die sich im Besitz imperialistischer Mächte befinden". („Über den Konflikt Russland-China", Nr. 31.)

Da haben wir noch den reinsten Louzon vor uns. Urbahns lehrt die deutschen Revolutionäre die Tatsachen von der „chinesischen Seite" aus einzuschätzen. Man muss sie aber von der proletarischen Seite einschätzen. Die Frage ist mit den nationalen Grenzen nicht erschöpft.

Es ist vor allem reinster Unsinn, dass ein proletarischer Staat überhaupt keine Unternehmen („Konzessionen") in anderen Ländern besitzen dürfe. Hinter Louzon her schleicht sich auch Urbahns an den Sozialismus in einem Lande heran. Die Frage der Gründung von Industrieunternehmungen durch einen Arbeiterstaat in zurückgebliebenen Ländern ist eine Frage nicht nur der wirtschaftlichen, sondern auch der revolutionären Strategie, Hat Sowjetrussland diesen Weg fast nicht betreten, so geschah das nicht aus prinzipiellen Gründen, sondern infolge technischer Schwäche. Fortgeschrittene, d. h, hochindustrielle sozialistische Länder, wie England, Deutschland, Frankreich würden in jeder Beziehung interessiert sein, in den zurückgebliebenen Ländern, den ehemaligen Kolonien, Eisenbahnen zu bauen, technische Betriebe, Kornfabriken usw., zu errichten. Selbstverständlich würden sie dies weder auf dem Weg der Gewalt noch auf dem großmütiger Schenkungen tun. Sie müssten bestimmte koloniale Produkte im Austausch erhalten. Der Charakter solcher sozialistischer Unternehmen, ihre Leitung, ihre Arbeitsbedingungen müssten so sein, dass sie die Wirtschaft und die Kultur der zurückgebliebenen Länder mit Hilfe von Kapital, Technik und Erfahrung der reicheren proletarischen Staaten zum gegenseitigen Vorteil beider Länder heben. Das ist kein Imperialismus, keine Ausbeutung, keine Unterjochung, sondern im Gegenteil, das ist die sozialistische Umwandlung der Weltwirtschaft. Einen anderen Weg gibt es überhaupt nicht.

Wenn in England z, B. die Diktatur des Proletariats errichtet werden wird, so kann sie keinesfalls der indischen Bourgeoisie die heutigen englischen Konzessionen schenken. Das wäre die dümmste Politik, denn sie würde die Macht der indischen Kapitalisten und der mit ihnen verbundenen Feudalen über das indische Proletariat und die Bauernschaft ungeheuer stärken, und die Entwicklung der sozialistischen Revolution in Indien für lange Zeit aufhalten. Nein, der Arbeiterstaat wird gezwungen sein, während er die völlige Freiheit der Kolonien proklamiert, die Konzessionen von allen nationalen Privilegien, von dem Kommando der einen Seite, von der Erniedrigung der anderen Seite unverzüglich zu befreien. Ohne die Konzessionen aus den Händen zu geben, wäre der Arbeiterstaat gleichzeitig gezwungen, sie in ein Mittel nicht nur für den ökonomischen Aufstieg Indiens, sondern auch für den zukünftigen sozialistischen Aufbau zu verwandeln. Es ist selbstverständlich, dass eine solche Politik, die auch im Interesse der Festigung des sozialistischen England nötig wäre, nur Hand in Hand mit der Avantgarde des indischen Proletariats durchzuführen ist und auch den indischen Bauern sichtbare Vorteile bringen müsste.

Versuchen wir zusammen mit Urbahns, die Sache von der indischen Seite" zu betrachten. Es wird sich ergeben, dass die sozialistischen „Konzessionen" für die indische Bourgeoisie viel schlimmer als die kapitalistischen sein würden, allein schon deshalb, weil sie im Interesse der indischen Arbeiter und Bauern die Gewinne der Bourgeoisie grausam erfassen müssten. Umgekehrt werden die sozialistischen Konzessionen für die Arbeiter und Bauern sowohl ökonomisch wie politisch ein mächtiger Stützpunkt, gewissermaßen eine sozialistische Festung sein, wo man die Kräfte zur Vorbereitung des Umsturzes sammeln könnte. Selbstverständlich wird das indische Proletariat, sobald es zur Herrschaft gelangt, diese Konzessionen in seine Hände bekommen. Die Beziehungen des indischen Proletariats zu dem englischen Arbeiterstaat werden nicht durch Erinnerungen an den bürgerlichen Besitz, sondern durch höhere Prinzipien der internationalen Arbeitsteilung und der sozialistischen Solidarität reguliert werden.

Es gibt folglich keine einfach indische oder einfach „chinesische" Seite. Es gibt nur die Seite Tschiang Kai-scheks. Es gibt die Seite der fortgeschrittenen chinesischen Arbeiter. Es gibt unzählige Zwischenstufen der Kleinbourgeoisie. Bemüht sich Urbahns, die Sache von der „chinesischen Seite" zu betrachten, so setzt er sich in Wirklichkeit die Brille des chinesischen Kleinbürgers auf, der nicht weiß, welche Stellung er in einer schwierigen Situation einnehmen und auf welche Seite er sich schlagen soll.

Prinzipielle Fehler in der Einschätzung der chinesischen und der russischen Revolution

Bis dahin wiederholt Urbahns eigentlich nur Louzon. Aber dann „vertieft" er ihn. Reinigt man den redaktionellen Artikel der „F.d.K." von den Vorbehalten, Zweideutigkeiten und Hintertüren überhaupt, so könnte man ihn auf folgende Formel bringen: da in China die nationale Revolution gesiegt hat, in Russland die Konterrevolution gesiegt (oder fast gesiegt, oder siegen muss), so … was? Klare Antwort gibt der Artikel nicht. Seine eklektische Philosophie dient vielmehr dazu, einer klaren Antwort auszuweichen.

Ich erachte es für notwendig, der weiteren Darstellung folgende Behauptungen vorauszuschicken:

1. Der Genosse Urbahns* versteht den Charakter der russischen Revolution und ihrer heutigen Etappe falsch. Er deutet den Sinn des Thermidors falsch.

2. Genosse Urbahns missversteht die Klassenmechanik der chinesischen Revolution und ihre heutige Situation.

3. Aus seinen falschen sozialen Einschätzungen zieht er entsprechend falsche und äußerst gefährliche politische Schlussfolgerungen.

4. Die Tatsache, dass er (wie Louzon und die übrigen Ultralinken) seine Schlussfolgerungen nicht bis zu Ende führt, beweist nur den Mangel an Konsequenz, verringert aber keinesfalls die Gefahr seiner falschen Stellung.

Ich bin gezwungen, hier einen größeren Auszug aus der „Fahne des Kommunismus" zu bringen. Der redaktionelle Artikel bemüht sich, jene Bedingungen zu erklären, die in China die „nationale Befreiungsbewegung" geschaffen haben.

„ … eine nationale Befreiungsbewegung, die revolutionären Charakter trug, eine deutliche Spitze gegen die Imperialisten hatte, und in der das chinesische Proletariat seine Klasseninteressen (!!) vertrat. Diese Revolution ist im bürgerlichen stecken (!!) geblieben, hat die Militärmacht Tschiang Kai-scheks an die Spitze getragen, hat die chinesische proletarische Revolution, die revolutionären Bauernaufstände, die das Privateigentum antasteten, blutig unterdrückt und hat die chinesische Bourgeoisie den Zielen der bürgerlichen Revolution näher gebracht. Eines dieser Ziele ist die nationale Einigung … Im Fleische dieses sich national einigenden Chinas bilden die Konzessionen der Imperialisten einen schmerzenden Dorn. Seine Beseitigung wird angestrebt, bei den imperialistischen Mächten durch Verhandlungen, gegenüber Sowjetrussland, das man für einen wesentlich schwächeren Gegner hält, auf dem Wege des militärischen Angriffs. Dabei(!) ist für die chinesische Militärregierung auch maßgebend, dass die russische Konzession vom Klassenstandpunkt ein gefährlicheres Faktum ist, als die Konzessionen der kapitalistischen „feindlichen Brüder", Diesen Konflikt musste jeder voraussehen, denn ein friedliches Nebeneinanderbestehen der chinesischen und russischen Interessen konnte es im China der bürgerlichen Revolution nicht geben. Ein solches Zusammenarbeiten wäre allein gewährleistet gewesen durch eine siegreiche chinesische Revolution, Auch wenn sie nur mit einem Arbeiter-und-Bauern-China abgeschlossen hätte …"

Ich erinnere mich kaum, jemals einen solchen Gedankenwirrwarr in einigen Dutzend Zeilen angetroffen zu haben. Jedenfalls nicht häufig. Zur Entwirrung einer jeden Zeile wäre eine Seite nötig. Ich werde versuchen, das in kürzester Form zu tun, die nebensächlichen Widersprüche dabei außer Acht lassend.

In der ersten Hälfte des Zitats ist die Rede davon, dass die imperialistischen Konzessionen, darunter auch die ostchinesische Eisenbahn, einen Dorn im Körper der nationalen Unabhängigkeit Chinas darstellen. Hier wird die Sowjetrepublik mit den anderen kapitalistischen Staaten auf einen Nenner gebracht. In der zweiten Hälfte des Zitats wird gesagt: dabei ist maßgebend (!), dass die russische Konzession vom Klassenstandpunkt aus noch (!) gefährlicher erscheint. Ferner folgt aus diesen zwei sich ausschließenden Erklärungen endlich die Synthese: die chinesischen und die russischen Interesse seien überhaupt unversöhnlich. In welchem Sinne und weshalb? Aus der ersten Hälfte des Zitats ergibt sich: der russische Imperialismus ist mit der chinesischen nationalen Einheit unvereinbar. Aus der zweiten Hälfte des Zitats ergibt sich: Die Interessen des Arbeiterrusslands und des bürgerlichen Chinas sind unvereinbar. Welche dieser zwei sich ausschließenden Erklärungen wählt Urbahns? Er wählt nicht, er vereinigt sie. Auf welche Weise? Durch das Wörtchen „dabei". Fünf Buchstaben, und das Problem ist gelöst.

Die Unversöhnlichkeit der Interessen der Sowjetrepublik und des bürgerlichen Chinas, sagt Urbahns, konnte jeder voraussehen. Gut. Folglich handelt es sich gar nicht um die Eisenbahn und nicht um den Vertrag von 1924? Die Unversöhnlichkeit in den Beziehungen zwischen dem heutigen China und der Sowjetrepublik gibt nur die Unversöhnlichkeit der inneren Gegensätze in China selbst wieder. Wenn Urbahns sagen wollte, dass die sich auf Bajonette stützende chinesische Bourgeoisie die Sowjetrepublik hasst, weil diese allein durch die Tatsache ihres Bestehens die Quelle der revolutionären Unruhen in China bildet, so wäre das richtig. Dabei wäre noch hinzuzufügen, dass die chinesische Bourgeoisie die Angst vor ihren eigenen unterdrückten Massen, als Angst vor dem Sowjetimperialismus bezeichnet.

Urbahns sagt, dass in China die bürgerliche Revolution gesiegt habe. Das ist der Standpunkt der internationalen Sozialdemokratie. In China hat nicht die bürgerliche Revolution gesiegt, sondern die bürgerliche Konterrevolution. Das ist ganz und gar nicht dasselbe. Urbahns spricht von der Niederschlagung der Arbeiter und Bauern als von einem inneren Detail der bürgerlichen Revolution. Er geht sogar so weit, zu behaupten, dass die chinesischen Arbeiter in der nationalen Revolution, d. h. in der Kuomintang, wohin sie die Komintern mit Stöcken gejagt hat, ihre Klasseninteressen vertraten. Das ist der Stalinsche, d. h. der sozialdemokratische Standpunkt. Die bürgerliche Revolution hat sich im Jahre 1911 vollzogen, soweit sie sich in China, als selbständige Etappe, überhaupt verwirklichen konnte. Aber sie vollzog sich nur zu dem Zwecke, um zu beweisen, dass eine auch nur einigermaßen vollendete bürgerliche Revolution in China unmöglich ist, das will sagen, dass die nationale Vereinigung Chinas, seine Befreiung vom Imperialismus und seine demokratische Umbildung (das Agrarproblem!) unter Führung der Bourgeoisie undenkbar ist. Die zweite chinesische Revolution (1925-1927) hat durch ihren ganzen Verlauf gezeigt, was den Marxisten schon vorher klar war: die wirkliche Lösung der Aufgaben der bürgerlichen Revolution in China ist nur möglich durch die Diktatur des Proletariats, die sich auf das Bündnis der Arbeiter mit den Bauern stützt, und die gegen das Bündnis der einheimischen Bourgeoisie mit dem Imperialismus gerichtet ist. Eine solche Revolution kann jedoch auf der bürgerlichen Etappe nicht stehen bleiben. Sie verwandelt sich in eine permanente Revolution, d. h. sie wird ein Glied der internationalen sozialistischen Revolution und teilt deren Schicksale. Aus diesem Grunde schlug die bürgerliche Konterrevolution, die mit Hilfe von Stalin-Bucharin den Sieg errungen hatte, die Bewegung der Volksmassen erbarmungslos nieder und richtete nicht eine demokratische, sondern eine militärisch-faschistische Herrschaft auf.

Die Frage der permanenten Revolution in China

In der ersten Hälfte des angeführten Zitats aus der Zeitung des Gen. Urbahns wird gesagt, dass in China die bürgerliche Revolution gesiegt hätte. In der zweiten Hälfte wird jedoch erklärt, dass die Zusammenarbeit Chinas mit Sowjet-Russland nur im Falle einer „siegreichen chinesischen Revolution" denkbar wäre. Was heißt das? Nach Urbahns hatte doch die bürgerliche Revolution in China gesiegt? Darum bemüht sie sich doch, den imperialistischen Dorn aus ihrem Körper zu reißen. Von welcher anderen Revolution spricht denn Urbahns? Von der proletarischen? Nein. „Auch wenn sie nur mit einem Arbeiter- und Bauern-China abgeschlossen hätte." Was heißt das „wenn"? Das heißt eben, dass es sich nicht um die proletarische Revolution handelt. Gleichzeitig auch nicht um die bürgerliche? Um welche denn? Nach Bucharin und Radek sieht folglich Urbahns weder eine bürgerliche, noch eine proletarische, sondern irgendeine besondere Arbeiter-und-Bauern-Diktatur in China voraus. Man muss es offener, mutiger, bestimmter aussprechen, ohne sich hinter dem Wörtchen „sogar" zu verstecken. Gerade aus dieser Philosophie der nichtbürgerlichen und nichtproletarischen Diktatur ist der Stalin-Bucharinsche Kurs der Kuomintang erwachsen. Gerade an diesem Punkt sind vor allem Radek und Smilga gestolpert, Stalin, Bucharin, Sinowjew und nach ihnen auch Radek und Smilga glauben, es sei zwischen dem Weltimperialismus einerseits und dem Arbeiterstaat andererseits die kleinbürgerlich-revolutionäre Diktatur in China möglich. Trotz der Erfahrung mit der russischen Kerenskiade und der chinesischen Kuomintang, sowohl der rechten, wie auch der linken, summt Urbahns in der Frage, von der das Schicksal des ganzen Ostens abhängt, die von Radek angeschlagene Melodie schüchtern nach. Nicht umsonst druckt Urbahns den äußerst oberflächlichen und banalen Artikel Radeks über die Frage der permanenten Revolution, wobei er die eigene Stellung zu dieser Frage verschweigt.**

Es handelt sich jetzt nicht darum, entstellte Zitate aus dem Jahre 1905 über die permanente Revolution zu wiederholen. Mit dieser Fälscherarbeit haben sich die Sinowjew, Maslow und andere genügend beschäftigt. Es geht um die strategische Linie für den ganzen Osten und für eine ganze Epoche. Man muss klar feststellen, ob eine besondere demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern möglich ist und wodurch sie sich von der Diktatur der Kuomintang einerseits und der Diktatur des Proletariats andererseits unterscheiden würde. Das führt uns vor die Frage: Kann die Bauernschaft in der Revolution eine selbständige Politik haben – selbständig in Bezug auf die Bourgeoisie und auf das Proletariat? Der durch die Revolution in Russland und in China bereicherte Marxismus antwortet: nein, nein, nein. Die Bauernschaft geht entweder unter Führung ihrer oberen Schicht und der kleinbürgerlichen Intelligenz mit der Bourgeoisie: dann entsteht eine sozial-revolutionäre Bewegung, eine Kerenskiade oder die Kuomintang. Oder aber sie geht, geführt von ihren unteren Schichten, den halbproletarischen und proletarischen Elementen des Dorfes, mit dem Industrieproletariat. Dann ist es der Weg des Bolschewismus, der Oktoberrevolution (das heißt der permanenten Revolution). An dieser Fragegenau an dieserhaben Stalin und Bucharin der chinesischen kommunistischen Partei und der chinesischen Revolution den Hals umgedreht. Sinowjew, Radek, Smilga, Preobraschenski taumelten zwischen Stalinismus und Marxismus, und dieses Taumeln hat sie zu der schändlichen Kapitulation gebracht. Für die Länder des Ostens bildet diese Frage die Scheidelinie zwischen Menschewismus und Bolschewismus. Dass sich die heutigen Martynow in die Fetzen der bolschewistischen Zitate aus dem Jahre 1905 hüllen, jener Zitate, mit denen sich im Jahre 1917 Stalin, Kamenjew, Rykow und andere gegen Lenin deckten, ist eine Maskerade die nur Stumpfsinnige oder Analphabeten zu täuschen vermag.*** Die Komintern setzte sich in China unter der Führung Martynow-Bucharin-Stalin mit wütendem Geheul gegen die permanente Revolution durch. Das ist jetzt die grundlegende Frage für die Länder des Ostens und folglich auch eine der Kernfragen für den Westen, Hat Gen. Urbahns in dieser Frage eine Meinung? Nein, er hat keine. Er versteckt sich hinter einzelne Wörtchen, oder, was noch schlimmer ist, hinter den Artikel Radeks, den er „für jeden Fall" druckt.

Thermidor oder die Parteiprobe des Thermidor?

Steht es mit dem Gen. Urbahns schon bezüglich der chinesischen Revolution schlimm, so steht es bei ihm bezüglich der russischen womöglich noch schlimmer. Ich meine hier vor allem die Frage des Thermidors und damit auch die Frage nach dem Klassencharakter des Sowjetstaates. Die Formel des Thermidors ist, wie jede geschichtliche Analogie, selbstverständlich bedingt. Als ich diese Formel zum ersten Mal gegen Sinowjew-Stalin anwandte, betonte ich damals gleich ihre ganze Bedingtheit. Doch besteht sie vollkommen zu Recht, trotz der Verschiedenheit der Epochen und der Klassenstrukturen. Der Thermidor1 charakterisiert die erste siegreiche Etappe der Konterrevolution, d. h, den direkten Übergang der Macht von der einen Klasse zur anderen, wobei dieser Übergang notwendigerweise vom Bürgerkrieg begleitet wird; er bleibt aber politisch dadurch verschleiert, dass der Kampf zwischen den Fraktionen der noch gestern einheitlichen Partei geführt wird. Dem Thermidor ging in Frankreich eine Periode der Reaktion voraus, die sich entwickelte, während die Plebejer, die unterste Schicht der Stadt, die Macht noch in Händen hatten. Der Thermidor vollendete diesen Vorbereitungsprozess der Reaktion durch eine politische Katastrophe, in deren Verlauf die Plebejer die Macht verloren. Auf diese Weise bedeutet Thermidor nicht die Periode der Reaktion überhaupt, d. h. der Ebbe, des Herabrutschens, der Schwächung der revolutionären Positionen, sondern er hat eher eine viel präzisere Bedeutung: er zeigt auf die direkte Verschiebung der Macht von der einen Klasse zur anderen, wonach die revolutionäre Klasse die Macht nicht anders als durch einen bewaffneten Aufstand wieder erobern kann. Für den letzteren ist wiederum eine neue revolutionäre Situation notwendig, deren Eintreten von komplizierten inneren und internationalen Ursachen abhängt.

Die marxistische Opposition hatte bereits im Jahre 1923 den Beginn eines neuen Kapitels der Revolution festgestellt, eines Kapitels des geistigen und politischen Abflauens, das in der Perspektive den Thermidor bedeuten konnte. Damals gerade gebrauchten wir dieses Wort zum ersten Mal. Hätte Ende 1923 die Revolution in Deutschland gesiegt – was vollkommen möglich war –, die Diktatur des Proletariats wäre in Russland ohne innere Erschütterungen gereinigt und gefestigt worden. Die deutsche Revolution aber endete mit einer der schrecklichsten Kapitulationen in der Geschichte der Arbeiterklasse. Die Niederlage der deutschen Revolution war ein mächtiger Antrieb für alle Reaktionsprozesse in der Sowjetrepublik. Daher der Kampf in der Partei gegen die „permanente Revolution" und gegen den „Trotzkismus", die Entstehung der Theorie des Sozialismus in einem Lande usw. Die Ultralinken in Deutschland haben diese Wendung nicht begriffen. Mit der einen Hand unterstützten sie die Reaktion in der WKP, mit der anderen führten sie eine formell aggressive Politik in Deutschland, wobei sie die Niederlage der deutschen Revolution und den Beginn ihres Abflauens ignorierten. Wie die Zentristen in der WKP verschleierten auch die Ultralinken in Deutschland (Maslow-Fischer-Urbahns) ihre falsche Politik durch den Kampf gegen den „Trotzkismus", den sie als das „Liquidatorentum" darstellten, und zwar aus dem Grunde, weil sie die revolutionäre Situation nicht als gewesen , sondern als kommend betrachteten. „Trotzkismus" wurde in diesem Falle die Fähigkeit genannt, die Lage richtig einzuschätzen und die Perioden richtig zu unterscheiden. Es sei nebenbei gesagt, dass es sehr nützlich gewesen wäre, wenn Urbahns endlich die theoretische Abrechnung in diesem ganzen Kampfe vorgenommen hätte, denn gerade dieser Kampf hatte das Bewusstsein der deutschen Arbeiter abgestumpft und den Sieg der geistlosen Beamten, Abenteurer und Karrieristen vorbereitet.

Der falsche „ultralinke" Kurs der Jahre 1924-1925 hat die Positionen des europäischen Proletariats dann weiter geschwächt, und dadurch den reaktionären Abstieg in der Sowjetrepublik beschleunigt. Ausschließung der Opposition aus der Partei, Verhaftungen, Verbannungen waren nur weitere Etappen dieses Prozesses. Sie bedeuteten eine immer größere Schwächung der Partei, und folglich auch die sinkende Widerstandskraft des Proletariats in der Sowjetrepublik. Jedoch bedeutete es noch lange nicht, dass der konterrevolutionäre Umsturz bereits vollzogen, d. h., dass die Macht aus den Händen des Proletariats in die Hände einer anderen Klasse übergegangen war.

Die Tatsache, dass das Sowjetproletariat die organisatorische Niederschlagung der Opposition nicht verhindern konnte, war selbstverständlich ein beunruhigendes Zeichen. Andererseits aber war Stalin gezwungen, gleichzeitig mit der Niederschlagung der linken Opposition, aus deren Plattform auf allen Gebieten teilweise Plagiate zu begehen, das Feuer gegen rechts zu richten und das innerparteiliche Manöver in einen scharfen und anhaltenden Zickzack nach links zu verwandeln. Das beweist trotz allem, welche Kraft der Druck des Proletariats noch besitzt und wie abhängig der Staatsapparat davon ist. Auf diese grundlegende Tatsache muss sich die russische Opposition in ihrer Politik auch fernerhin stützen, die die Politik der Reform, nicht aber der Revolution ist.

Noch vor der organisatorischen Niederschlagung der Opposition haben wir wiederholt gesagt und geschrieben, dass nach der Absägung der Linken, die Rechten dem Zentrum ihren Wechsel präsentieren würden. Die Elemente, die Stalin im Kampfe gegen uns unterstützten, würden mit verdoppelter Kraft einen Druck ausüben, sobald die linke Barriere beseitigt sei. Genau so haben wir es vorausgesagt. Wir haben es folgendermaßen formuliert: „der thermidorianische Schwanz wird einen Schlag gegen den zentristischen Kopf führen". Dies ist bereits geschehen und dies wird sich noch wiederholen. Ich meine hier nicht Bucharin-Tomski, sondern die tiefgehenden thermidorianischen Kräfte, deren blasser Schatten die Rechten in der Partei sind.

Trotz der organisatorischen Zertrümmerung der Opposition und der Schwächung des Proletariats erwies sich der Druck der Klasseninteressen zusammen mit dem Druck der Ideen der Opposition als mächtig genug, um den zentristischen Apparat zu zwingen, eine anhaltende linke Kurve zu machen. Eben dieser Zickzack hat die politische Voraussetzung für die jüngste Kapitulationswelle geschaffen. Die Zusammensetzung der Kapitulanten ist natürlich sehr verschiedenartig, aber die führende Rolle spielen dabei jene, die sich früher den Prozess des Abstiegs als ganz gradlinig gedacht haben und dazu neigten, bei jeder neuen Etappe zu proklamieren: der Thermidor sei vollzogen. Der Anhänger Sinowjews, Safarow, schrie am Vorabend unseres Ausschlusses aus der Partei, zuerst in Berlin und dann in Moskau: „es sei fünf Minuten vor zwölf", d. h. fünf Minuten vor dem Thermidor. Es verstrichen fünf Minuten und Safarow kapitulierte. Radek hatte noch vor Safarow beabsichtigt, anlässlich meines und Sinowjews Ausschluss aus dem ZK zu proklamieren, der Thermidor sei da. Ich versuchte, ihm zu beweisen, dass dies erst die Parteiprobe des Thermidors sei, vielleicht sogar nicht einmal die Generalprobe, auf jeden Fall sei es nicht der Thermidor, d. h. nicht der von den Klassen vollzogene konterrevolutionäre Umsturz, Smilga war seit 1926 der Meinung, dass von der damaligen Politik der Stalin-Bucharin („Bereichert euch", das anglorussische Komitee, die Kuomintang) nur ein Weg nach rechts führe; dass die Oktoberrevolution ihre inneren Hilfsquellen erschöpft hätte und dass Rettung nur von außen kommen könnte, worauf er jedoch für die nächsten Jahre keine Hoffnungen hegte. Über dieses Thema verfasste er Thesen. Die Möglichkeit eines Bruches zwischen Zentristen und Rechten und einer Schwenkung der Zentristen nach links unter dem Druck der inneren Kräfte, fehlte in seinen Berechnungen völlig. Radek und Smilga vertraten in der Opposition in der Frage des Thermidors und der zwei Parteien die äußerste „linke" Stellung. Und deshalb haben sie die Ereignisse überrascht und deshalb haben sie so leicht kapituliert.

Diese kurze Auskunft soll dem Leser klar machen, dass die Frage Urbahns, ob „Trotzki in der Sache des Thermidors weit genug" oder „nicht weit genug" (Urbahns Formulierung) geht, nichts Neues enthält: diesen ganzen Fragenkreis haben wir längst besprochen und bei jeder neuen Etappe wiederholt.

Am 26. Mai 1928 schrieb ich aus Alma-Ata dem verbannten Genossen Michail Okudschawa, einem alten georgischen Bolschewiken: „Soweit der neue Kurs Stalins sich Aufgaben stellt, bemüht sich Stalin zweifellos, an unsere Position heranzukommen. In der Politik entscheidet aber nicht nur das was, sondern auch das wer und wie. Die grundlegenden Kämpfe, die das Schicksal der Revolution entscheiden werden, stehen noch bevor … Wir waren stets der Ansicht und haben das oft wiederholt, dass der Prozess des politischen Abstiegs der regierenden Fraktion nicht unbedingt eine ununterbrochen fallende Kurve darstellen müsse. Auch der Abstieg vollzieht sich nicht im luftleeren Raum, sondern in einer Klassengesellschaft, mit tiefen inneren Reibungen. Die Kernmasse der Partei ist nicht einheitlich, sie bildet vielmehr zu einem großen Teil einen politischen Rohstoff. Unter dem Druck der Klassenstöße von rechts und von links sind Differenzierungsprozesse unvermeidlich. Die Zuspitzungen in der letzten Periode der Parteigeschichte, deren Folgen wir tragen, sind nur die Ouvertüre zu der weiteren Entwicklung der Ereignisse. Wie die Opern-Ouvertüre die musikalischen Themen der ganzen Oper vorwegnimmt und ihnen einen gedrängten Ausdruck gibt, so hat auch unsere politische „Ouvertüre" jene Melodien vorweggenommen, die sich in der Zukunft in vollem Maße entwickeln müssen, d. h. unter Beteiligung der Trompeten, des Kontrabasses, der Trommeln und anderer Instrumente der ernsten Klassenmusik. Die Entwicklung der Ereignisse bestätigt mit restloser Sicherheit, dass wir nicht nur gegen die Drehscheiben und Wetterfahnen von der Art Sinowjews, Kamenjews, Pjatakows usw. recht hatten, sondern auch gegen die teuren Freunde von „links", die ultralinken Wirrköpfe, insofern sie dazu neigen die Ouvertüre für die Oper zu halten, d. h. anzunehmen, die grundlegenden Prozesse in der Partei und im Staat seien bereits abgeschlossen, und der Thermidor, von: dem sie zum ersten mal von uns gehört haben, sei eine vollzogene Tatsache …"

Genosse Urbahns, trifft das nicht den Nagel auf den Kopf?

Die Fehler Urbahns in der Frage des Thermidors

Die Quelle für eine ganze Reihe falscher Schlussfolgerungen des Gen. Urbahns liegt darin, dass er den Thermidor für eine vollzogene Tatsache hält. Zwar zieht er daraus nicht alle Konsequenzen, aber die wenigen, die er bereits daraus gezogen hat, für den Fall, dass sie durchgedrungen wären, genügen, die Sache des Leninbundes zu vernichten.

In einem meiner Ausweisung ins Ausland gewidmeten Artikel schrieb die „Fahne des Kommunismus", dass die „Stalin-Herrschaft nicht mehr als die Vertretung der Arbeiterklasse anzusehen ist, und deshalb auch ,mit allen Mitteln' bekämpft werden muss" (1. Februar 1929). Die Ausweisung Trotzkis aus dem Lande wurde in diesem Artikel der Guillotinierung Robespierres und seiner Mitarbeiter gleichgestellt. Mit anderen Worten, der Thermidor wird als vollzogene Tatsache erklärt. Wäre diese Erklärung nur von der Hitze des Augenblicks diktiert worden, es würde sich nicht verlohnen, dabei zu verweilen. Der politische Kampf ist ohne Übertreibungen, vereinzelte falsche Augenmaße usw. nicht denkbar. Man muss nicht die Details, sondern die Grundlinie in Betracht ziehen. Leider bemüht sich die Leitung des Leninbundes beharrlich, den Fehler in die Grundlinie zu verwandeln. Der „Volkswillen" vom 11. Februar druckt eine Resolution über die Lage in Russland im Zusammenhang mit meiner Ausweisung ins Ausland. Die Resolution sagt direkt: „Das ist der Thermidor" und fährt fort, „daraus ergibt sich für das russische Proletariat die Notwendigkeit, gegen das Stalinsche Regime zu kämpfen, um bei den herannahenden Zusammenstößen mit der offenen Konterrevolution auf der Höhe zu sein." Der Leitartikel des „Volkswillen" vom 13. Februar sagt, dass „mit der Ausweisung Trotzkis der Schlussstrich unter die Revolution von 1917 gezogen worden ist". Es ist nicht verwunderlich, wenn Urbahns in Verbindung mit dieser seiner Stellung immer häufiger gezwungen ist, zu erklären, dass er mit der russischen Opposition „nicht hundertprozentig" einverstanden sei, denn die russische Opposition „geht nicht weit genug". Ja, Urbahns selbst geht immer weiter … den Weg des anfänglichen Fehlers.

Eine im Klassensinn sehr wichtige Analogie mit dem Thermidor hat Urbahns (wie Radek) in eine formelle und teils personelle Analogie umgewandelt. Radek sagte: die Vertreibung der Opposition aus dem ZK ist mit der Entfernung der Robespierreschen Gruppe aus der Regierung gleichbedeutend. Guillotinierung oder Verbannung nach Alma-Ata ist nur eine Frage der Technik. Urbahns sagt: die Zertrümmerung der Opposition und die Ausweisung Trotzkis ins Ausland ist gleichbedeutend mit der Guillotinierung der Gruppe Robespierre. Die breite historische Analogie wird hier ersetzt durch eine willkürliche und billige Gegenüberstellung einer persönlichen und episodischen Tatsache.

Die russische Revolution des XX. Jahrhunderts ist unermesslich breiter und tiefer als die französische des XVIII. Jahrhunderts. Die revolutionäre Klasse, auf die sich die Oktoberrevolution stützt, ist größer, einheitlicher, kompakter und entschlossener als der städtische Plebs Frankreichs. Die Führung der Oktoberrevolution ist in allen ihren Strömungen erfahrener und scharfblickender als es die führenden Gruppen der französischen Revolution waren oder sein konnten. Endlich sind die politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Veränderungen, die die bolschewistische Diktatur vollzogen hat, unvergleichlich tiefgehender als die Veränderungen, die die Jakobiner gemacht haben. Wenn es nicht möglich war, den Plebejern, obwohl sie durch das Anwachsen der Klassengegensätze und durch die Bürokratisierung der Jakobiner geschwächt waren, die Macht ohne Bürgerkrieg zu entreißen, – der Thermidor war ein Bürgerkrieg, in dem die Sansculotten eine Niederlage erlitten –, wie kann jemand dann annehmen oder glauben, die Macht des russischen Proletariats könne auf friedlichem, ruhigem, unmerklichem, bürokratischem Wege an die Bourgeoisie übergehen? Eine solche Auffassung des Thermidors ist nichts anderes als ein umgekehrter Reformismus.

Die Produktionsmittel, die den Kapitalisten gehört haben, sind auch heute noch in den Händen des Sowjetstaates. Der Boden ist nationalisiert. Aus den Sowjets und aus der Armee sind die ausbeuterischen Elemente immer noch ausgeschlossen. Das Außenhandelsmonopol zum Schutze gegen die ökonomische Intervention des Kapitalismus besteht noch. Das alles sind keine geringen Tatsachen. Noch mehr. Durch die Kraft ihres Angriffs hat die Opposition die Zentristen gezwungen, den thermidorianischen Klassenkräften und dem Ausdruck ihrer Tendenzen in der Partei einen Schlag zuzufügen – wenn auch keinen tödlichen und selbstverständlich keinen vernichtenden. Man darf auch davor die Augen nicht schließen. Eine Politik mit geschlossenen Augen ist überhaupt eine schlechte Politik.

Der Stalinsche Zickzack nach links ist ebenso wenig ein „Schlussstrich" unter die thermidorianische Gefahr, wie die Ausweisung der Oppositionellen der „Schlussstrich" unter die Oktoberrevolution war. Der Kampf geht weiter, die Klassen haben ihr letztes Wort noch nicht gesprochen, Zentrismus bleibt Zentrismus. Bolschewiki müssen Bolschewiki bleiben, Kapitulanten verdienen nur Verachtung. Und die ultralinken Wirrköpfe müssen zur Ordnung gerufen werden.

Am 1. Mai 1928 entwickelte die „Arbeiterstimme", das Organ der österreichischen kommunistischen Opposition (die Gruppe des Genossen Frey) in einem „Trotz Stalin ist Sowjetrussland ein Arbeiterstaat" betitelten Artikel folgenden Gedanken:

Es gibt politische Fragen, die als untrüglicher Prüfstein wirken … Auch für die linkskommunistischen Oppositionen, die heute in allen möglichen Gruppierungen und Schattierungen auftreten, besteht ein solcher Prüfstein: die Frage des proletarischen Charakters Sowjetrusslands … Es gibt in den linkskommunistischen Oppositionen Elemente, die aus Entrüstung über die Stalinpolitik in den verschiedenartigsten Formen das Kind mit dem Bad ausschütten. Z. B. taucht in einzelnen Köpfen die Auffassung auf [, durch] die Fortführung der Stalinpolitik werde sich Sowjetrussland rein evolutionär in einen bürgerlichen Staat verwandeln … Alle Entartung in Sowjetrussland ist das Ergebnis der von der Bourgeoisie geleisteten, vom Stalinkurs objektiv geförderten Minierarbeit der Bourgeoisie. Dadurch versucht sie den Sturz der Sowjetmacht vorzubereiten. Aber die proletarische Diktatur stürzen, die Macht wirklich an sich reißen, das kann die Bourgeoisie nur durch den gewaltsamen Umsturz … Wir bekämpfen den Stalinkurs. Aber etwas anderes als Stalin ist Sowjetrussland. Trotz aller Entartung, die wir auf das Schärfste bekämpfen werden, letzten Endes solange die klassenbewussten Arbeiter bewaffnet sind, solange ist Sowjetrussland für uns proletarischer Staat, den wir in unserem eigenen Interesse vorbehaltlos verteidigen, im Frieden und im Kriege, trotz Stalin und gerade um Stalin, der ihn mit seiner Politik nicht verteidigen kann, zu überwinden. Wer in der Frage des proletarischen Charakters Sowjetrusslands nicht absolut fest ist, schadet dem Proletariat, schadet der Revolution, schadet der linkskommunistischen Opposition."

Diese Formulierung ist theoretisch völlig einwandfrei. Genosse Urbahns wurde besser getan haben, sie im Organ des Leninbundes nachzudrucken, anstatt korschistische und halbkorschistische Artikel zu bringen.

Nicht Zentrismus an sich, sondern ein bestimmter Zentrismus

Der von uns analysierte Artikel im Organ des Leninbundes versucht unseren Standpunkt vom anderen Ende her anzugreifen. „Zwar ist der Zentrismus eine Strömung und Richtung innerhalb der Arbeiterklasse, aber er ist nur graduell verschieden von der anderen Strömung und Richtung in der Arbeiterklasse, dem Reformismus. Beide dienen, wenn auch verschieden, dem Klassengegner."

(„Fahne des Kommunismus", Nr. 31.)

Das klingt sehr überzeugend. In Wirklichkeit ist hier die marxistische Wahrheit in eine Abstraktion verwandelt worden und damit in eine Lüge. Es genügt nicht, zu sagen, Zentrismus überhaupt oder Reformismus überhaupt bilden Strömungen innerhalb der Arbeiterklasse. Man muss untersuchen, welche Funktionen der bestimmte Zentrismus in einer bestimmten Arbeiterklasse eines bestimmten Landes und einer bestimmten Epoche erfüllt. Die Wahrheit ist immer konkret.

In Russland steht der Zentrismus an der Macht. In England herrscht jetzt der Reformismus. Beides – belehrt uns Urbahns – sind Strömungen innerhalb der Arbeiterklasse, die sich nur graduell unterscheiden, beide dienen, wenn auch verschieden, dem Klassengegner. Gut, wir wollen es uns merken. Welche Taktik ergibt sich daraus, zum Beispiel in einem Kriegsfalle? Müssen die Kommunisten in Russland wie in England Defätisten sein? Oder müssen sie, im Gegenteil, hier wie dort, wenn auch nicht bedingungslos, sondern unter gewissen Vorbehalten, das Land verteidigen? Defätismus wie Landesverteidigung sind Klassenlinien und die „nebensächlichen Unterschiede" zwischen dem russischen Zentrismus und dem englischen Reformismus können nicht ohne Einfluss auf sie bleiben. Aber vielleicht wird dem Gen. Urbahns hier selbst manches einfallen und ihn erschrecken … In England gehören Fabriken, Eisenbahnen und Boden den Ausbeutern; der Staat besitzt Kolonien, d. h. es ist ein sklavenhalterischen Staat; die Reformisten verteidigen folglich dort den bestehenden bürgerlichen Staat, – verteidigen ihn nicht sehr geschickt, nicht sehr sinnreich, die Bourgeoisie betrachtet sie halb misstrauisch, halb verächtlich, überwacht sie aufmerksam, schreit sie an und ist bereit sie jeden Augenblick davonzujagen, – auf jeden Fall verteidigen die an der Macht stehenden englischen Reformisten die inneren und äußeren Interessen des Kapitals. Dasselbe gilt natürlich von der deutschen Sozialdemokratie.

Was aber verteidigt der Zentrismus der Sowjetunion? Er verteidigt eine Gesellschaftsordnung, die aus der politischen und ökonomischen Expropriierung der Bourgeoisie erwachsen ist. Er verteidigt sie sehr schlecht, sehr ungeschickt, Misstrauen und Enttäuschung bei dem Proletariat erweckend (das leider nicht die Erfahrung der englischen Bourgeoisie besitzt), schwächt die Diktatur, hilft den Kräften des Thermidors, aber infolge der objektiven Lage ist der Stalinsche Zentrismus immerhin ein proletarisches und nicht ein imperialistisches Regime. Das, Gen. Urbahns, ist nicht ein gradueller Unterschied, sondern es ist ein Unterschied zwischen zwei Klassenordnungen, Das sind die beiden Seiten der historischen Barrikade. Wer diesen grundlegenden Unterschied außer acht lässt, ist für die Revolution verloren.

Die umgekehrte Kerenski-Periode“

Was bedeuten in diesem Falle, erwidert mir Urbahns, Ihre eigenen Worte, wonach die Stalin-Periode eine umgekehrte Kerenski-Periode sein soll. So unwahrscheinlich das ist, aber gerade aus dieser Formulierung versucht Urbahns den Schluss zu ziehen, dass der Thermidor bereits eine abgeschlossene Tatsache sei. In Wirklichkeit ergibt sich aus meiner Formulierung ganz klar das gerade Gegenteil. Die Kerenski-Periode war eine Herrschaftsform der Bourgeoisie. Das war die letzte mögliche Form der bürgerlichen Herrschaft in der Epoche der nahenden proletarischen Revolution. Es war eine schwankende, wacklige, unsichere Herrschaftsform, aber doch eine Herrschaft der Bourgeoisie. Damit das Proletariat die Macht bekäme, war nichts mehr und nichts weniger erforderlich gewesen, als der bewaffnete Aufstand, als die Oktoberrevolution.

Wenn Stalinismus die umgekehrte Kerenski-Periode ist, so heißt es, dass der regierende Zentrismus auf dem Wege zum Thermidor die letzte Form der Herrschaft des Proletariats bildet, das von inneren und äußeren Widersprüchen, von Fehlern der Führung, durch Mangel an eigener Aktivität geschwächt ist. Aber immerhin eine Form der proletarischen Herrschaft.

Die Zentristen ablösen können nur die Bolschewiki oder der Thermidor. Ist hier eine andere Deutung überhaupt denkbar?

Doch, ich erinnere mich, dass sie denkbar ist. Aus meiner Formel: „eine umgekehrte Kerenski-Periode", haben die Stalinisten die Schlussfolgerung gezogen, dass die Opposition gegen die Herrschaft der Zentristen den bewaffneten Aufstand vorbereitet, wie wir seinerzeit den Aufstand gegen die Kerenski-Herrschaft vorbereitet haben. Aber dies ist eine offen betrügerische Deutung, die sich nicht aus dem Marxismus, sondern aus den Bedürfnissen der GPU ergibt und keiner Berührung mit einer Kritik standhält. Gerade, weil der Zentrismus die umgekehrte Kerenski-Periode ist, braucht die Bourgeoisie, nicht aber das Proletariat den bewaffneten Aufstand für die Eroberung der Macht. Gerade darum, weil der Thermidor sich noch nicht vollzogen hat, kann das Proletariat seine Aufgaben durch tiefgreifende innere Reformen – im Sowjetstaat, in den Gewerkschaften und vor allem in der Partei verwirklichen.

Proletarischer oder bürgerlicher Staat?

Man muss zugeben, dass in dem von uns untersuchten Artikel über den Thermidor gleichsam ein halber Schritt zurück gemacht wird. Aber das macht die Sache nicht viel besser. Ist Sowjetrussland ein bürgerlicher Staat? Der Artikel antwortet: nein. „Haben wir also in Russland noch proletarische Diktatur?" Der Artikel antwortet wiederum: „nein". Was haben wir dann eigentlich in Russland? Einen klassenlosen Staat? Eine über den Klassen stehende Regierung? Darauf antwortet der Artikel: wir haben in Russland eine Regierung, die „scheinbar vermittelnd über den Klassen steht, in Wirklichkeit aber die Interessen der ökonomisch stärkeren Klasse vertritt. (Nr. 32 der „F. d. K.". Gesperrt von mir. T.) Ohne direkt zu sagen, welche Klasse er als die „stärkere" betrachtet, lässt der Artikel jedoch keinen Zweifel darüber, dass es sich um die Bourgeoisie handelt. Eine Regierung jedoch, die scheinbar über den Klassen steht, in Wirklichkeit aber die Interessen der Bourgeoisie verkörpert, ist eine bürgerliche Regierung. Anstatt das offen zu erklären, greift der Autor zu der umschreibenden Methode die nicht von geistiger Gradheit zeugt. Über den Klassen stehende Regierungen gibt es nicht. In Bezug auf die proletarische Revolution bedeutet der Thermidor den Übergang der Macht aus den Händen des Proletariats in die Hände der Bourgeoisie. Etwas anderes kann er nicht bedeuten. Hat sich der Thermidor verwirklicht, dann ist Russland ein bürgerlicher Staat.

Ist es aber wahr, dass die Bourgeoisie in der Sowjetrepublik die „ökonomisch stärkere Klasse" darstellt? Nein, das ist glatter Unsinn. Der Artikelschreiber gibt sich offenbar keine Rechenschaft darüber, dass, indem er diese Behauptung aufstellt, er das Kreuz nicht über Stalin, sondern über die Oktoberrevolution macht. Wenn die Bourgeoisie ökonomisch schon jetzt stärker ist als das Proletariat, wenn das Kräfteverhältnis „mit Riesenschritten" sich zu ihren Gunsten verschiebt, wie der Artikel behauptet, dann ist es ein Unsinn, von der Aufrechterhaltung der proletarischen Diktatur zu sprechen, selbst wenn sie sich als Überbleibsel bis auf den heutigen Tag erhalten hätte. Zum Glück aber ist die Vorstellung von der Sowjetbourgeoisie als der ökonomisch stärkeren Klasse nichts anderes als ein Phantom.

Urbahns antwortet uns, der Artikel meine nicht nur die russische, sondern die internationale Bourgeoisie. Das macht die Sache keinesfalls besser. Die internationale Bourgeoisie ist ökonomisch unvergleichlich stärker als der Sowjetstaat, das unterliegt keinem Zweifel. Und darum ist die Theorie vom Sozialismus in einem Lande eine banale, national-reformistische Utopie. Wir aber stellen doch die Frage anders. Die Rolle des Weltproletariats in der Produktion und in der Politik bildet einen der wichtigsten Faktoren im Kräfteverhältnis. Der Kampf hat einen Weltmaßstab, und in diesem Kampfe entscheidet sich das Schicksal der Oktoberrevolution. Glauben die Ultralinken, dieser Kampf sei hoffnungslos? Sie mögen es sagen. In welcher Weise sich das Kräfteverhältnis in der Welt verändern wird, hängt bis zu einem gewissen Grad auch von uns ab. Indem die Ultralinken offen oder verschleiert das heutige Sowjetrussland für einen bürgerlichen Staat erklären und ihm ganz oder zu drei Vierteln die Unterstützung gegen den Weltimperialismus versagen, legen sie auch ihren Teil in die Waagschale der Bourgeoisie.

Was die Stalinsche Sowjetrepublik von der Leninschen unterscheidet, ist weder die bürgerliche Macht, noch die über den Klassen stehende Macht, sondern die Elemente der Doppelherrschaft, Die Analyse dieses Zustandes ist von der russischen Opposition längst vorgenommen worden. Die zentristische Macht hat durch ihre Politik der Bourgeoisie ungeheuerlich geholfen, sich herauszubilden, inoffiziell ihre Machthebel, ihre Einflusskanäle zu schaffen. Aber wie in jedem, ernsten Klassenkampf geht der Streit um den Besitz der Produktionsmittel, Ist dieses Problem bereits zugunsten der Bourgeoisie entschieden worden? Um solche Behauptungen aufzustellen, muss man entweder den Kopf ganz verloren oder nie einen gehabt haben. Die Ultralinken „abstrahieren" einfach von dem sozial-ökonomischen Inhalt der Revolution. Sie beschäftigen sich mit der Schale und ignorieren den Kern. Gewiss, ist die Schale verletzt – und das ist sie – ist auch der Kern bedroht. Dieser Gedanke erfüllt die ganze Tätigkeit der Opposition. Von hier aber bis zum Augenverschließen vor dem sozial-ökonomischen Kern der Sowjetrepublik liegt noch ein tiefer Abgrund, Die wichtigsten Produktionsmittel, die am 7. November 1917 vom Proletariat erobert wurden, sind noch immer in den Händen des Arbeiterstaates. Ultralinke, dieses darf man nicht vergessen!

Wie müsste die Politik sein, wenn sich der Thermidor bereits vollzogen hätte

Hat sich der Thermidor vollzogen, ist die Bourgeoisie jetzt schon die „ökonomisch stärkere Klasse", so bedeutet das, dass die wirtschaftliche Entwicklung endgültig vom sozialistischen auf das kapitalistische Geleise übergegangen ist. Dann aber muss man den Mut besitzen, die entsprechenden taktischen Schlussfolgerungen zu ziehen.

Welche Bedeutung können einschränkende Gesetze gegen Bodenpacht, Dingung von Arbeitskraft und anderes haben, wenn die wirtschaftliche Entwicklung in ihrer Gesamtheit den Weg des Kapitalismus geht? Dann wären diese Einschränkungen nur eine kleinbürgerliche reaktionäre Utopie, ein sinnloses Hemmnis bei der Entwicklung der Produktivkräfte. Der Marxist müsste die Dinge bei ihrem Namen nennen und die Notwendigkeit der Abschaffung reaktionärer Einschränkungen anerkennen.

Welche Bedeutung hat – vom Standpunkt der kapitalistischen Entwicklung – das Außenhandelsmonopol? Eine rein reaktionäre. Es verhindert den freien Zustrom von Ware und Kapital und stört Russland, am System des kreisenden Blutlaufs der Weltwirtschaft teilzunehmen. Der Marxist müsste die Notwendigkeit der Abschaffung des Außenhandelsmonopols anerkennen.

Das gleiche kann man von den Methoden der Planwirtschaft überhaupt sagen. Sie haben Existenz- und Entwicklungsberechtigung nur unter dem Gesichtswinkel der sozialistischen Perspektive.

Die russische Opposition hat aber stets systematische Einschränkungsmaßnahmen gegen die kapitalistische Bereicherung, die Beibehaltung und Festigung des Außenhandelsmonopols und die möglichst größte Entwicklung der Planwirtschaft gefordert und fordert sie auch jetzt noch. Diese ökonomische Plattform erhält ihren Sinn nur im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Entartung der Partei und anderer Organisationen des Proletariats. Es genügt jedoch die Annahme, der Thermidor sei vollzogen, damit die Grundlagen der oppositionellen Plattform zur Sinnlosigkeit werden. Urbahns schweigt über all dieses. Er versucht nicht einmal, sich Rechenschaft abzugeben über die gegenseitige Abhängigkeit der Bestandteile dieses Problems. Dafür aber tröstet er sich und die anderen damit, dass er „nicht hundertprozentig" mit der russischen Opposition einverstanden sei. Ein billiger Trost!

Für die proletarische oder für die bürgerliche Demokratie?

Urbahns und seine Gesinnungsgenossen ziehen aus dem „vollendeten" Thermidor wenn nicht alle, so doch einige Schlussfolgerungen. Wir haben bereits oben gelesen, dass sie der Ansicht sind, das russische Proletariat müsse sich „alle Freiheiten" erobern. Aber auch hier bleiben die Ultralinken unentschlossen vor der Schwelle stehen. Sie erklären nicht, um welche Freiheiten es sich handelt und berühren das Thema überhaupt nur nebenbei. Warum?

Im Kampf mit dem Stalinschen Bürokratismus, der den Druck der feindlichen Klassen widerspiegelt und erleichtert, fordert die russische Opposition Partei-, Gewerkschafts- und Sowjetdemokratie auf proletarischer Basis. Sie entlarvt erbarmungslos die ekelhaften Verfälschungen der Demokratie, die unter dem Namen „Selbstkritik" die Grundlagen des revolutionären Bewusstseins der proletarischen Avantgarde zerfressen und zersetzen. Für die Opposition jedoch hat der Kampf um die Parteidemokratie Sinn nur auf der Basis der Anerkennung der proletarischen Diktatur. Eine Donquichotterie, um nicht zu sagen eine Idiotie, wäre der Kampf um die Demokratie in Bezug auf eine Partei, die die Macht der feindlichen Klasse verwirklicht. In diesem Falle könnte die Rede nicht von der Klassendemokratie in der Partei und in den Sowjets sein, sondern von der „allgemeinen" (d.h. bürgerlichen) Demokratie im Lande – gegen die regierende Partei und deren Diktatur. Die Menschewiki haben wiederholt die Opposition beschuldigt, sie gehe „nicht weit genug", da sie nicht die Demokratie im Lande fordere. Aber die Menschewiki und wir stehen auf verschiedenen Seiten der Barrikade, augenblicklich – angesichts der thermidorianischen Gefahr – unversöhnlicher und feindseliger als je. Wir kämpfen für die proletarische Demokratie gerade deshalb, um das Land der Oktoberrevolution vor den „Freiheiten" der bürgerlichen Demokratie, d. h. vor dem Kapitalismus zu schützen.

Nur unter diesem Gesichtswinkel darf man die Frage der Geheimabstimmung betrachten. Diese Forderung der russischen Opposition hat die Aufgabe, dem proletarischen Kern die Möglichkeit zu geben, sich zuerst in der Partei und danach in der Gewerkschaft Geltung zu verschaffen, um mit Hilfe dieser zwei Hebel ihre Klassenpositionen in den Sowjets zu sichern. Genossen Urbahns und einige seiner nächsten Gesinnungsgenossen aber versuchten, die Forderung der Opposition, die völlig im Rahmen des Diktaturregimes bleibt, als eine allgemeine demokratische Parole zu deuten. Ein ungeheuerlicher Irrtum! Diese zwei Positionen haben nichts miteinander gemein und stehen sich todfeindlich gegenüber.

Unbestimmt von „Freiheiten" im Allgemeinen sprechend, hat Urbahns eine dieser Freiheiten bei Namen genannt, und zwar die Koalitionsfreiheit. Nach der Meinung der Ultralinken muss sich das Sowjetproletariat die „Koalitionsfreiheit" erobern. Es ist zweifellos, dass der Stalinsche Bürokratismus die Gewerkschaften an der Kehle hält, jetzt, beim Zickzack nach links fester denn je. Dass die Gewerkschaftsorganisationen die Möglichkeit haben müssen, die Arbeiterinteressen gegen die zunehmenden Entartungen des Regimes der Diktatur zu verteidigen, hat die Opposition durch Wort und Tat längst festgestellt. Man muss sich jedoch über die Ziele und Kampfmethoden gegen die zentristische Bürokratie klar Rechenschaft geben. Es ist hier nicht die Rede von der Eroberung der „Koalitionsfreiheit" gegen den klassenfeindlichen Staat, sondern vom Kampf um ein solches Regime, unter dem die Gewerkschaften – im Rahmen der Diktatur ihren eigenen Staat verbessern. Mit anderen Worten, es handelt sich um jene „Freiheit", die zum Beispiel die machtvollen Bündnisse von Industriellen und Agrariern in ihrem kapitalistischen Staat genießen, auf den sie mit allen Mitteln und bekanntlich nicht ohne Erfolg Druck ausüben; es handelt sich hier aber keinesfalls um jene „Freiheit", die die proletarischen Organisationen im bürgerlichen Staate besitzen oder zu erobern bestrebt sind. Das ist längst nicht ein und dasselbe!

Die Koalitionsfreiheit bedeutet die „Freiheit" (wir wissen ja, welche) des Klassenkampfes in einer Gesellschaft, wo die Wirtschaft auf kapitalistischer Anarchie beruht und wo die Politik in den Rahmen der sogenannten Demokratie hineingezwängt ist. Sozialismus dagegen ist nicht nur ohne Planwirtschaft im engen Sinne, sondern auch ohne Systematisierung aller sozialen Beziehungen undenkbar. Eines der wichtigsten Elemente der sozialistischen Wirtschaft ist die Regulierung des Lohnes und überhaupt der Beziehungen der Arbeiter zur Produktion und zum Staat. Welche Rolle bei dieser Regulierung den Gewerkschaften zukommen muss, darauf haben wir oben hingewiesen. Aber diese Rolle hat nichts gemein mit der Rolle der Gewerkschaften in bürgerlichen Staaten, wo die „Koalitionsfreiheit" selbst nicht nur ein Abbild, sondern ein aktives Element der kapitalistischen Anarchie darstellt. Es genügt schon, an die ökonomische Rolle des Streikes der englischen Kohlenarbeiter im Jahre 1926 zu erinnern. Nicht umsonst führen jetzt die Kapitalisten gemeinsam mit den Reformisten einen verzweifelten und hoffnungslosen Kampf um den Industriefrieden,

Urbahns aber stellt die Parole der Koalitionsfreiheit im allgemein demokratischen Sinne auf. In anderem Sinne ist sie auch unmöglich. Urbahns formuliert die gleiche Forderung für Russland, für China und alle kapitalistischen Länder. Das wäre schon richtig, jedoch unter der einen kleinen Bedingung: dass man anerkennt, der Thermidor sei bereits vollzogen. Aber hier geht nun Urbahns „nicht weit genug". Die Koalitionsfreiheit als eine isolierte Forderung aufzustellen, ist die Karikatur von Politik. Die Koalitionsfreiheit ist undenkbar ohne Versammlungs- und Pressefreiheit und all die übrigen Freiheiten, die der Beschluss des Reichsausschusses des Leninbundes vom Februar nur dumpf und kommentarlos erwähnt hat. Diese Freiheiten aber sind undenkbar außerhalb des Regimes der Demokratie, d. h. außerhalb des Kapitalismus. Man muss eben lernen, seine Gedanken zu Ende zu denken.

Selbst beim Rückzug vor der marxistischen Kritik kämpft Urbahns nicht gegen die Korschisten, sondern gegen die Marxisten

Bezüglich meiner Worte, dass wir gegen die Stalinsche Fraktion kämpfen, aber die Sowjetrepublik bis zu Ende verteidigen, setzte mir die „Fahne des Kommunismus" auseinander, dass „eine bedingungslose (?) Unterstützung (?) der Stalinschen Politik (??), auch der Außenpolitik" unzulässig sei, und dass ich mir dessen selbst bewusst werden müsste, wenn ich meine Gedanken „zu Ende denke" (Nr. 31 „F. d, K."). Es ist nicht verwunderlich, dass ich mit Interesse die Fortsetzung des Artikels (Nr. 32) erwartete: er sollte taktische Schlussfolgerungen aus jenen theoretischen Widersprüchen bringen, von denen der erste Teil voll war und außerdem Menschen lehren, Gedanken zu Ende zu denken.

Zwischen der ersten und der zweiten Hälfte des Artikels hatte sich manches geklärt. In der Zwischenzeit hatten wohl Urbahns und seine Freunde die Resolution des Büros der Zweiten Internationale bekommen, die auf sie nicht ohne ernüchternden Einfluss bleiben konnte, da die Übereinstimmung in den Ausführungen Otto Bauers mit den Ausführungen Louzons und Paz zu verblüffend waren.

Wie es auch sei, in der zweiten Hälfte des Artikels kommt „Die Fahne des Kommunismus" zum Entschluss, dass man die Sowjetrepublik auch im Konflikt mit China verteidigen müsse. Sehr lobenswert. Aber seltsamerweise polemisiert der Artikel auf dem Weg zu diesem Entschluss nicht gegen die Korschisten, nicht gegen die Ultralinken, nicht gegen Louzon, nicht gegen Paz, sondern gegen die russische Opposition. Es sollte scheinen, dass die Frage der Verteidigung oder der Nichtverteidigung der Sowjetrepublik an sich so wichtig ist, dass vor ihr die zweit- und drittrangigen Umstände zurücktreten sollten. Das diktiert die elementarste Forderung der Politik. Aber ganz anders verfahren Urbahns und dessen Freunde. Im kritischsten Augenblick des sowjetrussisch-chinesischen Konflikts bringen sie Artikel der Ultralinken, die, wie ich oben gezeigt habe, eigentlich auffordern, Tschiang Kai-schek gegen die Sowjetrepublik zu unterstützen. Erst unter dem Druck der Marxisten tritt die Redaktion der ,Fahne des Kommunismus" anderthalb Monate nach Beginn des Konflikts für die Verteidigung der Sowjetrepublik ein. Doch führt sie auch hier den Kampf nicht gegen jene, die die elementar revolutionäre Pflicht der Verteidigung ablehnten, sondern gegen … Trotzki. Jeder reife Politiker muss dabei zu der Schlussfolgerung kommen, dass die Frage der Verteidigung der Oktoberrevolution für Urbahns eine nebensächliche Angelegenheit ist, und seine Hauptaufgabe darin besteht, zu beweisen, er sei nicht „hundertprozentig" mit der russischen Opposition einverstanden. Gen. Urbahns kommt, scheint es, gar nicht auf den Gedanken, dass, wer seine Selbständigkeit mit solchen künstlichen und negativen Mitteln zu beweisen versucht, in Wirklichkeit nur seine geistige Unselbständigkeit beweist,

Neben der im chinesischen Volke durch die Politik Stalins zerstörten Sympathie für Sowjetrussland und den Kommunismus würde zweifellos auch die Tatsache bei der Stellung des chinesischen Volkes zu einem solchen Kriege eine Rolle spielen, dass Russland das Mittel des Krieges ergreift wegen der ostchinesischen Bahn, während es keine Hand gerührt hat, als Tschiang Kai-schek und seine militärischen Horden im Blute der chinesischen Arbeiter und armen Bauern wateten." (F. d. K. Nr. 32.)

Richtiges und längst Ausgesprochenes vermengt sich hier mit Neuem und Falschem. Die Verbrechen der zentristischen Führung in China sind ganz beispiellos, Stalin und Bucharin haben die Revolution in China gemordet. Das ist eine historische Tatsache, die je weiter umso mehr in das Bewusstsein der Avantgarde des internationalen Proletariats eindringt. Der Sowjetrepublik jedoch einen Vorwurf daraus zu machen, dass sie sich nicht mit der Waffe in der Hand in die Schanghaier oder Kantoner Ereignisse eingemischt hat, heißt revolutionäre Politik durch sentimentale Demagogie ersetzen. Louzon ist der Meinung, dass jede militärische Einmischung in die Angelegenheit einer anderen Nation „Imperialismus" sei. Das ist natürlich pazifistischer Unsinn. Aber nicht weniger unsinnig ist auch die gerade entgegengesetzte Forderung, dass die Sowjetrepublik unter den heutigen Kräfteverhältnissen und bei der heutigen internationalen Lage mit Hilfe der bolschewistischen Bajonette das gutzumachen versuchen müsste, was die menschewistische Politik angerichtet hat. Die Kritik muss sich auf einer realen, nicht auf einer eingebildeten Linie bewegen, andernfalls wird die Opposition niemals das Vertrauen der Arbeiter gewinnen.

Wie könnte sich in diesem Falle die Sowjetrepublik entschließen, den Krieg um die ostchinesische Bahn zu führen? Ich habe bereits gesagt, wenn es zum Krieg kommt, dann würde diese Tatsache beweisen, dass es sich nicht um die ostchinesische Eisenbahn, sondern um etwas unermesslich Größeres handelt. Zwar ist die chinesische Eisenbahn an sich ein viel ernsterer Gegenstand, als der Kopf des Erzherzogs, der den Anlass zum Krieg von 1914 gegeben hat. Aber es geht nicht um die Eisenbahn. Ein Krieg im Osten würde, unabhängig davon, was auch der unmittelbare Anlass wäre, sich am nächsten Tage unvermeidlich in einen Kampf gegen den Sowjet-„Imperialismus" verwandeln, d. h. gegen die Diktatur des Proletariats, und zwar mit größerer Heftigkeit als der Krieg um den Kopf des Erzherzogs sich in einen Krieg gegen den preußischen Militarismus verwandelte.

Es sieht jetzt nach einer Verständigung zwischen Moskau und Nanking aus, die damit enden kann, dass China mit Hilfe ausländischer Banken die Eisenbahn ablösen wird. Das würde in Wirklichkeit bedeuten, dass die Kontrolle aus den Händen des Arbeiterstaates in die Hände des Finanzkapitals übergegangen ist. Ich habe schon davon gesprochen, dass ein Abtreten der ostchinesischen Eisenbahn nicht ausgeschlossen sei. Aber eine solche Abtretung muss man nicht als die Verwirklichung des Prinzips der nationalen Selbstbestimmung betrachten, sondern als eine Verschiebung der Macht der proletarischen Revolution zu Gunsten der kapitalistischen Reaktion. Es kann aber keinen Zweifel geben, dass gerade Stalin und Konsorten versuchen werden, die Aufgabe der Position als die Verwirklichung nationaler Gerechtigkeit darzustellen, im Einklang mit dem kategorischen Imperativ, dem Evangelium von Kellogg bis Litwinow, mit den Artikeln von Louzon und Paz, die im Organ des Leninbundes abgedruckt waren.

Praktische Aufgaben im Fall eines Krieges

Die praktischen Aufgaben der Opposition im Fall eines Krieges zwischen China und Sowjetrussland sind in dem Artikel unklar, zweideutig und ausweichend charakterisiert. „Im Falle eines Krieges zwischen China und Sowjetrussland um die ostchinesische Bahn", sagt die Zeitung, „steht die Leninsche Opposition gegen Tschiang Kai-schek und, die hinter ihm stehenden Imperialisten". (Nr. 32.) Der ultralinke Wirrwarr hat so weit geführt, dass „Marxisten-Leninisten“ erklären müssen, „wir stehen gegen Tschiang Kai-schek". So weit kann man kommen. Gut, gegen Tschiang Kai-schek. Aber für wen seid ihr?

Die Leninsche Opposition wird in einem solchen Krieg", antwortet darauf die Zeitung, „in allen Ländern alle Kräfte des Proletariats mobilisieren mit dem Ziele des Generalstreiks ausgehend von der Organisierung der Verhinderung der Waffenherstellung und jeglichen Waffentransportes usw." (Nr. 32) Das ist die Stellung der pazifistischen Neutralität. Die Aufgabe des internationalen Proletariats besteht nach Urbahns nicht in der Unterstützung der Sowjetrepublik gegen den Imperialismus, sondern darin, jegliche Art von Waffentransporten zu verhindern, also nicht nur nach China, sondern auch nach der Sowjetrepublik, Ist das Euer Gedanke? Oder habt Ihr einfach etwas anders ausgesprochen, als Ihr eigentlich wolltet? Vielleicht Euren Gedanken nicht „zu Ende" gedacht? Dann beeilt Euch mit der Korrektur, die Frage ist es wert. Die richtige Formulierung muss heißen: mit allen Mitteln den Waffentransport an das konterrevolutionäre China zu verhindern, und mit allen Mitteln den Waffenerwerb für die Sowjetrepublik zu erleichtern.

Bedeutet die Verteidigung der UdSSR Friedensschluss mit dem Zentrismus?

Um zu zeigen, worin sich der Standpunkt des Leninbundes von dem Standpunkte der russischen Opposition unterscheidet, macht Urbahns zwei Eröffnungen: 1. Sollte im Falle eines Krieges der Sowjetrepublik mit China ein imperialistischer Staat sich auf Russlands Seite einmischen, dann dürfen die Kommunisten dieses bürgerlichen Staates mit ihrer Bourgeoisie keinen Burgfrieden schließen, wie Bucharin das lehrt, sondern sie müssen den Kurs auf die Niederwerfung ihrer Bourgeoisie nehmen; 2. die Sowjetrepublik im Kriege mit der chinesischen Konterrevolution verteidigend, darf sich die Opposition mit dem Stalinschen Kurs nicht abfinden, sondern muss gegen ihn einen entschiedenen Kampf führen. Dies soll den Unterschied zwischen der Position des Leninbundes und der unseren erklären. In Wirklichkeit ist es ein Wirrwarr und ich fürchte, kein unbewusster. Diese beiden an den Haaren herbeigezogenen Thesen beziehen sich nicht auf den Konflikt China-Sowjetrussland, sondern auf jeden Krieg gegen die Sowjetrepublik überhaupt. Urbahns löst hier die Einzelfrage in der Gesamtfrage auf. Weder Louzon noch Paz haben bis jetzt die Pflicht des internationalen Proletariats, die Sowjetrepublik zu verteidigen, abgelehnt, falls sie zum Beispiel von Amerika oder England wegen der Bezahlung der Zarenschulden, der Abschaffung des Außenhandelsmonopols, der Nationalisierung der Banken und Betriebe usw. überfallen werden sollte. Die Diskussion war entstanden wegen des besonderen Charakters des heutigen Konfliktes zwischen China und der Sowjetunion. Gerade in dieser Frage haben sich die Ultralinken unfähig gezeigt, die einzelnen komplizierten Tatsachen vom Klassenstandpunkt aus richtig einzuschätzen. Ihnen eben hat der Leninbund die Spalten seiner Zeitungen weit geöffnet. Gerade über die Parole „Hände weg von China" hat sich die „Fahne des Kommunismus" anderthalb Monate lang jeder Äußerung ihres Standpunktes enthalten und sich, als eine weitere Enthaltung unmöglich wurde, auf Halbheiten und Zweideutigkeiten beschränkt.

Was hat damit die Theorie Bucharins zu tun? Was hat hier die Frage über Kampfeinstellung mit dem Stalinschen Zentrismus zu tun? Wer hat es vorgeschlagen? Wer davon gesprochen? Um was handelt es sich? Wozu ist es nötig?

Das ist nötig, um darauf anzuspielen, dass die russische Opposition – nicht die Kapitulanten und die Überläufer, sondern die russische Opposition –, unter dem Vorwand des Krieges zu einem Frieden mit dem Zentrismus neige. Da ich für uninformierte oder schlecht informierte ausländische Genossen schreibe, so betrachte ich es als unerlässlich, wenn auch nur ganz kurz, daran zu erinnern, wie die russische Opposition die Frage über das Verhalten zum Stalinschen Kurs unter den Bedingungen eines Krieges gestellt hat.

Im Augenblick des Abbruchs der Beziehungen zwischen England und der Sowjetunion hat die russische Opposition, mit Verachtung die Lüge vom Defätismus und bedingter Landesverteidigung beiseite schiebend, in einem offiziellen Dokument erklärt, dass sich im Falle eines Krieges alle Fragen der Meinungsverschiedenheiten nur verschärfen könnten. Eine solche Feststellung erfordert im Lande der revolutionären Diktatur, im Augenblick des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen mit England, keine Erklärungen und bietet jedenfalls ernstere Garantien als das eine oder das andere Artikelchen Außenstehender.

Über diese Frage entbrannte 1927 ein wütender Kampf. Haben Urbahns und seine Gesinnungsgenossen etwas von der sogenannten „These über Clemenceau" gehört? Mit dieser These versuchte der Apparat monatelang die Partei zu erschüttern. Es handelte sich darum, dass ich als Beispiel patriotischer Opposition im Lager der Imperialisten auf die Clique Clemenceau verwies, die in den Jahren 1914 bis 1917, trotz des von der Bourgeoisie erklärten Burgfriedens, gegen alle übrigen bürgerlichen Fraktionen einen Kampf geführt, die Macht erobert und den Sieg des französischen Imperialismus gesichert hat. Ich fragte: wird sich im Lager der Bourgeoisie ein Dummkopf finden, der Clemenceau dafür einen Defätisten und bedingten Landesverteidiger nennen würde? Das ist die berühmte „These über Clemenceau", die in Tausenden von Artikeln und in Abertausenden von Reden diskutiert wurde.

Vor kurzem ist in Paris mein Buch „Die gefälschte Revolution"x erschienen. Es enthält unter anderem meine Rede auf dem Vereinigten Plenum des ZK und des ZKK vom 1. August 1927. Folgendes ist in dieser Rede über die uns hier interessierende Frage gesagt worden: „Die größten Ereignisse in der menschlichen Gesellschaft sind Revolutionen und Kriege. Die zentristische Politik haben wir an der chinesischen Revolution erprobt … Die größte historische Prüfung nach der Revolution ist der Krieg. Wir sagen im Voraus: die Stalinsche und Bucharinsche Politik der Zickzacks, der Umschweife, der Zweideutigkeiten – die Politik des Zentrismus – wird in den Ereignissen des Krieges keinen Platz finden. Das bezieht sich auf die gesamte Führung der Komintern, Im Augenblick haben die Führer der verschiedenen kommunistischen Parteien nur die einzige Prüfungsfrage zu bestehen: sind sie bereit, Tag und Nacht gegen den Trotzkismus zu stimmen? Der Krieg wird an sie verantwortungsvollere Forderungen stellen … Für die zentristische Position Stalins wird es keinen Platz geben. Darum müsst Ihr mir schon erlauben, Euch ehrlich zu sagen, dass Diskussionen über einen „Haufen Oppositioneller", über „Generäle ohne Armee" usw. uns einfach lächerlich erscheinen. Das alles haben Bolschewiki schon wiederholt gehört – sowohl im Jahre 1914 wie 1917. Wir übersehen zu klar den morgigen Tag und bereiten ihn vor … Auch in der inneren Politik wird es unter den Bedingungen des Krieges keinen Platz für das langsame zentristische Herabgleiten geben. Alle Streitigkeiten werden sich verdichten, die Klassengegensätze verschärfen, akut werden. Man wird eine klare und präzise Antwort geben müssen … Die zentristische Politik wird sich im Kriege entweder nach rechts oder nach links zu wenden haben, d. h. sie wird entweder den Weg des Thermidors oder den der Opposition wählen müssen. (Lärm)". Eben diese Rede schloss mit den Worten: „Für das sozialistische Vaterland? Ja! Für den Stalinschen Kurs? Nein!" Und wenn mir Urbahns und seine Freunde gerade wegen dieser Worte genau nach zwei Jahren empfehlen, die Frage „zu Ende" zu denken und zu begreifen, dass man im Krieg keinen Frieden mit dem Zentrismus schließen dürfe, so kann Ich nur bedauernd die Achsel zucken.

Wie wurde die Diskussion geführt?

Jedes Schlechte hat auch sein Gutes. Der Konflikt zwischen China und Sowjetrussland hat wieder einmal gezeigt, dass innerhalb der marxistischen Opposition eine unversöhnliche geistige Trennung nicht nur nach rechts, sondern auch nach links notwendig ist. Philister mögen darüber kichern, dass wir, eine kleine Minderheit, uns dauernd mit inneren Spaltungen beschäftigen. Das darf uns nicht irre machen. Gerade weil wir eine kleine Minderheit sind, deren ganze Kraft in der ideologischen Klarheit besteht, müssen wir besonders erbarmungslos gegen die zweifelhaften Freunde von rechts und von links sein. Viele Monate versuchte ich durch Privatbriefe von der Leitung des Leninbundes Klarheit zu erreichen. Es gelang mir nicht. Inzwischen haben die Ereignisse eine der wichtigsten Fragen auf die Spitze getrieben. Die Meinungsverschiedenheiten drangen nach außen. Die Diskussion begann.

Ist es gut oder schlecht? Der Artikel der „Fahne des Kommunismus" erklärt mir den Nutzen der Diskussion und verweist auf den Schaden, der der Komintern durch das Fehlen der Diskussion zugefügt wird. Ich habe diesen Gedanken schon einmal gehört, vielleicht von Urbahns, vielleicht von jemand anderem. Aber es gibt Diskussionen und Diskussionen. Es wäre unvergleichlich besser, wenn der russisch-chinesische Konflikt den Leninbund nicht überrascht hätte. In der Vergangenheit war Zeit genug, sich vorzubereiten. Die Frage des Thermidors und der Verteidigung der UdSSR ist keine neue Frage. Gut, dass es nicht zum Krieg gekommen ist. Aber wenn es dazu gekommen wäre? All dies ist ein Argument nicht gegen die Diskussion, sondern gegen die falsche Führung, die wichtige Fragen verschweigt, solange sie sich nicht Bahn gebrochen haben. Es ist eine Tatsache, dass der Leninbund sich unvorbereitet gezeigt hat, mindestens seine Leitung, auf die vom Leben gestellte Frage Antwort zu geben. Es blieb also nichts anderes übrig, als die Diskussion zu eröffnen. Ich habe jedoch bis jetzt in den Blättern des Leninbundes keinen Widerhall der Diskussion in der Organisation selbst entdecken können. Die Redaktion der „Fahne des Kommunismus" hatte aus den ausländischen Oppositionsblättern der Ultralinken einseitig jene Artikel ausgesucht, die den lachhaften Artikel des „sympathisierenden" Korschisten zur Grundlage der Diskussion hatten. Die Redaktion selbst hielt sich abseits gleichsam abwartend, was daraus entstehen würde. Trotz der ausnahmsweisen Schärfe wartete Urbahns eine Woche nach der anderen ab und beschränkte sich auf den Nachdruck fremder Artikel, die gegen den marxistischen Standpunkt gerichtet waren. Erst nach meinem Artikel, d. h. etwa sechs Wochen nach dem Beginn des Konfliktes im Fernen Osten, hat die Redaktion der „Fahne des Kommunismus" die Zeit als gekommen betrachtet, um sich zu äußern. Aber auch jetzt noch beeilte sie sich nicht. Ein kurzer Artikel, in zwei Teile geteilt. Die politischen Schlussfolgerungen vertagte sie wiederum um eine Woche. Warum? Etwa um der Verleumdung Radeks gegen die russische Opposition in der betreffenden Nummer Raum zu geben? … Wie aber war in diesen sechs Wochen die Linie des Leninbundes in der wichtigsten Frage der internationalen Politik? Das ist unbekannt.

So geht es nicht. Solche Methoden schwächen den Leninbund und leisten Hilfe nicht nur Thälmann, sondern auch Brandler,

Dem, der die Geschichte der russischen Opposition kennt, ist es klar, dass Urbahns in der Form von Halbheiten gerade jene Ansichten zum Ausdruck bringt, die von den Stalinisten böswillig und gewissenlos der russischen Opposition zugeschrieben wurden. Während die Stalinisten unsere Kundgebungen ehrlos vor den Arbeitern verheimlichten, wiederholten sie unermüdlich in Aber-Millionen von Exemplaren, die Opposition betrachte die Oktoberrevolution als verloren, den Thermidor als vollzogen, und nehme den Kurs auf bürgerliche Demokratie. Es ist unzweifelhaft, dass die organisatorischen Erfolge Stalins nicht im geringen Maße auf der Verbreitung dieser Lüge beruhten. Aber wie groß muss die Verwunderung, und mitunter auch die Entrüstung der russischen Oppositionellen sein, wenn sie in den Zeitungen des Leninbundes den halb verschleierten freundschaftlichen [Rat] findet; den Weg zu gehen, den die Stalinisten ihnen längst unterzuschieben versuchten.

Diese Frage bekommt einen schärferen Charakter deshalb, weil es unter den Ultralinken Herrchen gibt, die sich einander zuflüstern: die russische Opposition ist damit einverstanden, dass der Thermidor vollzogen sei, kann es aber aus „Diplomatie" nicht offen aussprechen. Wie weit muss man selbst von einer revolutionären Stellung entfernt sein, um von Revolutionären auch nur für einen Augenblick solch ekelhafte Zweideutigkeiten anzunehmen. Man kann nur das eine sagen: die Vergiftung durch den sinowjewschen und maslowschen Zynismus hat in den Reihen der Ultralinken ihre Spuren hinterlassen. Je schneller die Opposition sich von solchen Elementen befreien wird, umso besser für sie.

Der von uns untersuchte Programmartikel, der gewissermaßen das Fazit der „Diskussion" zieht, enthält nebenbei Anspielungen darauf, Urbahns habe in verschiedenen Fragen Recht behalten, alle anderen aber hätten Unrecht gehabt (die Erklärung, der russischen Opposition vom 16. Oktober 1926; die Frage der Schaffung des Leninbundes, nicht als Fraktion, sondern als selbständige Partei, mit eigenen Kandidaten; die Frage über den 1. Mai und den 1. August 1929 usw.). Ich glaube, es wäre besser, der Artikel würde diese Fragen nicht berühren, denn jede dieser Fragen kennzeichnet einen bestimmten Fehler des Gen. Urbahns, den er bis jetzt nicht gesehen hat. Ich will schon gar nicht von der durch und durch irrigen Stellung in den Jahren 1923-26 sprechen, als Urbahns neben Maslow und den anderen die Parteireaktion in der WPK unterstützte und den ultralinken Kurs in Deutschland hielt. Wenn es notwendig sein sollte, bin ich bereit, auf all diese Fragen zurückzugreifen und nachzuweisen, dass die Fehler Urbahns miteinander verbunden und nicht zufällig sind, und dass sie sich aus einer bestimmten Denkungsart ergeben, die ich nicht als marxistisch bezeichnen kann. In der Praxis besteht die Politik Urbahns in Schwankungen zwischen Korsch und Brandler, oder aber in der mechanischen Vereinigung von Korsch und Brandler.

Die Gefahr des Sektierertums und der nationalen Beschränktheit

In dieser Broschüre werden Meinungsverschiedenheiten untersucht, die man als strategische bezeichnen kann. Im Vergleich mit ihnen erweisen sich die Meinungsverschiedenheiten über die innerdeutschen Fragen eher als taktische Meinungsverschiedenheiten, obwohl man sie vielleicht auf verschiedene Linien zurückführen kann. Diese Fragen wird man jedoch gesondert untersuchen müssen.

Es ist unzweifelhaft, dass der Grund vieler Fehler Urbahns in der deutschen Politik aus seiner falschen Einstellung zur offiziellen Kommunistischen Partei stammt. Die Kommunistische Partei, – nicht den Beamtenapparat, sondern ihren proletarischen Kern und die mit ihm gehenden Massen, – als eine vergangene, verlorene, versunkene Organisation zu betrachten, heißt in Sektiererei zu verfallen. Der Leninbund wäre in der Lage gewesen, als eine revolutionäre Fraktion eine große Rolle zu spielen. Aber er schneidet sich die Wege zur Entwicklung selbst ab durch seine, mindestens unbegründeten, Ansprüche auf die Rolle einer zweiten Partei.

Bei der ideologischen Formlosigkeit des Leninbundes führt sein Bestreben, möglichst schnell eine „Partei" zu werden, dazu, dass er in seinen Reihen auch solche Elemente aufnimmt, die mit Marxismus und Bolschewismus längst gebrochen haben. In dem Wunsch, diese Elemente nicht zu verlieren, hält sich die Führung des Leninbundes bewusst davon zurück, in einer ganzen Reihe von Fragen eine bestimmte Stellung einzunehmen, was natürlich die Sache nur verwirrt und verschlimmert, da dies das Leiden nach Innen treibt.

Es existieren zur Zeit genügend „linke" Gruppen und Grüppchen, die auf ein und demselben Platz trampeln; während sie ihre Selbständigkeit verteidigen, beschuldigen sie sich gegenseitig, die anderen gingen nicht weit genug; die darauf stolz sind, mit den anderen hundertprozentig nicht einverstanden zu sein; von Zeit zu Zeit ein Blättchen herausgeben und Befriedigung finden in dieser illusorischen Existenz ohne Boden unter den Füßen, ohne klaren Standpunkt und ohne Perspektive. Da diese Gruppen oder richtiger Spitzen, die eigene Schwäche fühlen, fürchten sie am meisten, unter jemandes „Einfluss" zu geraten, oder sich mit jemand solidarisch erklären zu müssen, – denn wo bleibt dann die süße Selbständigkeit in der Größe von 64 Kubikmetern, wie es für ein Redaktionszimmer nötig ist?

Damit ist noch eine andere Gefahr verbunden.

Die geistige Führung seitens der russischen Partei ist in der Komintern längst durch das Kommando des Apparats und die Diktatur der Kasse ersetzt worden. Bezeugt auch die rechte Opposition in Protesten gegen die Diktatur des Apparats nicht weniger Aktivität als die linke, so sind unsere Positionen in dieser Frage doch entgegensetzte. Der Opportunismus ist seinem Wesen nach national, da er sich auf lokale und zeitliche Bedürfnisse des Proletariats stützt, nicht aber auf dessen historische Aufgaben. Die internationale Kontrolle ist für Opportunisten unerträglich, und sie sind bestrebt, ihre internationalen Verbindungen möglichst auf harmlose Formalitäten zu beschränken, dabei die Zweite Internationale nachahmend. Die Brandlerianer werden die Konferenz der tschechischen Opposition begrüßen, werden freundschaftliche Noten mit der Gruppe Lovestone in Amerika austauschen usw., unter der Bedingung, dass eine Gruppe die andere nicht hindert, die opportunistische Politik auf eigene nationale Art weiter zu führen. Das alles wird dann unter dem Deckmantel des Kampfes gegen Bürokratismus und gegen russisches Kommando verhüllt.

Mit solchen Gepflogenheiten kann die linke Opposition nichts gemein haben. Die internationale Einheit ist für uns keine Dekoration, sondern die Achse unserer theoretischen Anschauungen; und unserer Politik. Es gibt jedoch nicht wenige Ultralinke – nicht nur in Deutschland – die unter der Flagge des Kampfes gegen das bürokratische Kommando des Stalinschen Apparats einen halb unbewussten Kampf für die Zersplitterung der kommunistischen Opposition in selbständige nationale Gruppen und für ihre Befreiung von der internationalen Kontrolle führen.

Die russische Opposition bedarf der internationalen Verbindungen, der internationalen Kontrolle nicht weniger als jede andere nationale Sektion. Ich befürchte jedoch sehr stark, dass das Verhalten des Gen. Urbahns nicht von der Absicht geleitet wird, sich in die russischen Angelegenheiten einzumischen, was nur zu begrüßen wäre, sondern im Gegenteil: vom Bestreben, die deutsche Opposition von der russischen zu trennen.

Man muss scharf darauf achten, dass sich in der linken Opposition nicht unter dem Schein des Kampfes gegen Bürokratismus Tendenzen nationaler Abgeschlossenheit und geistigen Separatismus befestigen, die wiederum unvermeidlich zur bürokratischen Entartung – nur nicht im internationalen, sondern im nationalen Rahmen – führen.

Wenn man die Frage richtig durchdenkt: von welcher Seite droht der linken Opposition im Augenblick die Gefahr des Bürokratismus und der Verknöcherung, so wird es vollkommen klar: nicht von der Seite der internationalen Verbindungen, Der hypertrophische Internationalismus der Komintern konnte nur – auf der Basis der alten Autorität der WKP – unter der Bedingung einer Staatsmacht und einer Kasse entstehen. Die vernichtende Politik der Bürokratie führt zu schrankenlosen zentrifugalen Tendenzen und Bestrebungen, sich in eine nationale, folglich sektiererische Schale zu verkriechen; doch im nationalen Rahmen verbleibend, könnte die linke Opposition nur ein sektiererisches Dasein führen.

Schlussfolgerungen

1. Man muss eine klare Position zu der Frage des Thermidors und des Klassencharakters des heutigen Sowjetstaates einnehmen. Man muss die korschistischen Tendenzen erbarmungslos verurteilen.

2. Man muss die Position der entschiedenen und vorbehaltlosen Verteidigung der UdSSR gegen äußere Gefahren einnehmen, was den unversöhnlichen Kampf gegen den Stalinismus im Kriege noch mehr als im Frieden voraussetzt.

3. Man muss das Programm des Kampfes für „Koalitionsfreiheit" und für alle anderen „Freiheiten" in der UdSSR ablehnen und verurteilen, – denn das ist das Programm der bürgerlichen Demokratie. Diesem Programm der bürgerlichen Demokratie muss man die Parolen und Methoden der proletarischen Demokratie entgegenstellen, die die Aufgabe haben, im Kampf mit dem bürokratischen Zentrismus die Diktatur des Proletariats zu beleben und zu festigen.

4. Man muss jetzt eine klare Position in der chinesischen Frage einnehmen, damit uns die nächste Etappe nicht überrascht. Man muss sich entweder für die „demokratische Diktatur" oder für die permanente Revolution in China aussprechen.

5. Man muss sich darüber klar Rechenschaft geben, dass der Leninbund eine Fraktion und nicht eine Partei ist. Daraus ergibt sich eine bestimmte Politik in Bezug auf die Partei (insbesondere während der Wahlen).

6. Man muss die Tendenzen des nationalen Separatismus verurteilen. Man muss aktiv den Weg der internationalen Vereinigung der linken Opposition auf der Basis der prinzipiellen Einheit beschreiten.

7. Man muss anerkennen, dass die „Fahne des Kommunismus", so wie sie heute ist, ihrer Bestimmung, das theoretische Organ der kommunistischen Linken zu sein, nicht entspricht. Es ist unbedingt notwendig, mit vereinten Kräften der deutschen und der internationalen Linken ein ernstes marxistisches Organ in Deutschland zu schaffen, das fähig ist, richtige Einschätzungen der inneren Situation in Deutschland im Zusammenhang mit der internationalen Situation und ihren Entwicklungstendenzen zu treffen.

Diese wenigen Punkte, die lange nicht alle Fragen umfassen, erscheinen mir als die wichtigsten und unaufschiebbarsten.

Konstantinopel, den 7. September 1929.

* Ich spreche hier, wie auch fernerhin, vom Genossen Urbahns der Kürze halber. Ich meine damit die Mehrzahl der Reichsleitung des Leninbundes und der Redaktionen seiner Organe. Allerdings kann man im „Volkswillen" häufig den Ausdruck finden: „die Reichleitung des Leninbundes und Genosse Urbahns."

** Es sei nebenbei bemerkt; der Artikel Radeks enthält den ungeheuerlichen Klatsch, ich hätte in Alma-Ata die Enthüllungen über die Verhandlungen Bucharins mit Kamenjew aus dem Wunsche heraus zurückgehalten, um mit den Rechten einen Block zu bilden. Woher stammt das? Aus der Tabakdose Jaroslawskis? Oder aus dem Notizbuch Menschinskis? Es ist kaum wahrscheinlich, dass es Radek selbst erfunden hat. Gen. Urbahns aber hat so viel Platz, dass er nicht nur die Romane von Sinclair, sondern auch die Klatschereien der Jaroslawski-Radeks drucken kann. Hätte sich Gen. Urbahns loyalerweise an mich um Auskunft gewandt, so würde ich ihm geantwortet haben, dass ich die […] kommen hatte, wie die Nachricht von den zweideutigen Erklärungen Urbahns über einen Block mit Brandler. Ich beantworte dies mit einem Artikel über die völlige Unzulässigkeit prinzipienloser Blocks zwischen der linken und der rechten Opposition. Dieser Artikel ist vor einigen Monaten von Brandler veröffentlicht und erst danach im „Volkswillen" nachgedruckt worden.

Wenn Genosse Urbahns loyal hatte ich nach Informationen gefragt, hätte ich ihm gesagt haben, dass ich von Gesprächen zwischen Bucharin und Kamenew fast auf den Tag gewarnt, als ich erlebte die zweideutige Aussagen Urbahns für einen Block mit Brandler.

[In der Broschüre fehlt eine Zeile der Fußnote (eine andere ist dafür doppelt). Nach der französischen Fassung muss es sinngemäß lauten, dass er vor Gesprächen zwischen Kamenjew und Bucharin noch fast am selben Tage warnte, als er davon erfuhr.]

*** Martynow war zwanzig Jahre lang (1903-1323) der Haupttheoretiker des Menschewismus, Er trat in die bolschewistische Partei ein, als Lenin schon krank war und die Kampagne gegen den Trotzkismus begonnen hatte. Die Oktoberrevolution vor dem NEP beschuldigte Martynow im Jahre 1923 des Trotzkismus. Jetzt ist er der Haupttheoretiker der Komintern. Er blieb, was er war. Aber seine alte, grundlegende Linie verdeckt er mit Zitaten aus Lenin. Für Auswahl und Fälschung solcher Zitate existieren mehrere Fabriken.

1 Später hat Trotzki den „Thermidor“ anders definiert und daher die Frage, ob er in der Sowjetunion bereits stattgefunden hat, anders beantwortet.

x L. Trotzki: „La revolution defiguree. Les editions Rieder, Paris.

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