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Leo Trotzki 19290422 Eine demokratische Lektion – die ich nicht erhalten habe

Leo Trotzki: Eine demokratische Lektion – die ich nicht erhalten habe

(Geschichte eines Visums.)

[Nach Die Aktion, 19. Jahrgang, Heft 5-8 (Ende September 1929), Spalte 159-164]

Ich erzählte schon in der AKTION, dass nach meiner kategorischen Weigerung, in die Türkei zu fahren, der Zug, der mich nach Odessa führte, auf der Reise 12 Tage lang angehalten wurde. Während dieser Zeit versuchte die Sowjet-Regierung, nach den Worten des Bevollmächtigten der GPU, Bulanow, mir das Recht der Einreise nach Deutschland zu verschaffen. In Erwartung einer günstigen Antwort und um Verzögerungen zu vermeiden, hatte die GPU sogar eine bestimmte Marschroute für meine Durchreise nach Berlin ausgearbeitet. Am 8. Februar wurde mir mitgeteilt, dass dieser Plan am unversöhnlichen Widerstand der deutschen Regierung gescheitert wäre. Mit dieser Vorstellung kam ich in Konstantinopel an. Hier las ich in einer Berliner Zeitung die Rede des Reichstagspräsidenten, die er am 6. Februar aus Anlass des zehnten Jahrestages der Weimarer Nationalversammlung gehalten hatte. Diese Rede endete mit folgenden Worten: „Vielleicht kommen wir sogar dazu, Herrn Trotzki das freiheitliche Asyl zu geben. (Lebh. Beifall bei der Mehrheit)." Der Erklärung des Reichstagspräsidenten ging eine offiziöse Mitteilung in der deutschen Presse voran, dass die Sowjet-Regierung überhaupt um kein Visum für Trotzki nachgesucht habe. Die Worte des Herrn Löbe kamen mir ganz unerwartet, Wäre nicht diese Rede, würde ich mich natürlich nicht an die deutsche Regierung gewendet haben, um nicht eine sichere Absage zu erhalten. Es ist leicht verständlich, dass solch eine Absage sich leicht in ein „Präzedent" verwandelt und anderen Regierungen die Absage erleichtert. Aber vor mir war die Rede des Reichstagspräsidenten, die mir die ganze Frage in ganz neuem Licht zeigte. Ich rief am 15. Februar den Vertreter der GPU, der mich nach Konstantinopel begleitete und sagte ihm: „Ich muss den Schluss ziehen, dass man mich falsch informiert hat. Die Rede Löbes ist am 6. Februar gehalten. Aus Odessa nach der Türkei bin ich mit Ihnen erst nachts, den 10. Februar abgereist. Folglich war Löbes Rede um diese Zeit in Moskau schon bekannt. Ich empfehle Ihnen, sofort nach Moskau zu telegraphieren und dort vorzuschlagen, auf Grund der Rede Löbes tatsächlich in Berlin ein Visum für mich nachzusuchen. Das wird der wenigst schimpfliche Weg zur Liquidierung der ergänzenden Intrige sein, die Stalin, wie es scheint, um die Frage meiner Einreise nach Deutschland eingefädelt hat." Nach zwei Tagen brachte mir der Bevollmächtigte der GPU folgende Antwort: „Auf mein Telegramm nach Moskau hat man mir nur bestätigt, dass die deutsche Regierung noch Anfang Februar das Visum kategorisch verweigert hatte, ein neues Gesuch hat darum gar keinen Sinn; was die Rede Löbes anbetrifft, so hat sie keinen verantwortlichen Charakter. Wenn Sie sich überzeugen wollen, reichen Sie selbst ein Gesuch um das Visum ein."

Dieser Darstellung konnte ich nicht glauben. Ich meinte, der Reichstagspräsident würde die Absichten seiner Partei und seiner Regierung besser kennen, als die Agentur der GPU. Ich telegraphierte am selben Tage Löbe, dass ich, auf Grund seiner Bitte mich an das deutsche Konsulat mit der Bitte um ein Visum gewandt habe.

Die demokratische und sozialdemokratische Presse betonte mit besonderer Genugtuung, dass der Anhänger der revolutionären Diktatur nun gezwungen sei, in einem demokratischen Lande Zuflucht zu suchen. Manche drückten sogar die Hoffnung aus, dass diese Lektion mich zwingen würde, die Einrichtungen der Demokratie höher einzuschätzen. Mir blieb nur übrig, abzuwarten, wie diese Lektion in Wirklichkeit ausfallen würde. Aber ich konnte selbstverständlich, in der Frage über mein Verhältnis zu den Demokraten keine Unklarheit, keine Zweideutigkeit zulassen. Ich gab dem, bei mir sich eingefundenen, Konstantinopler Vertreter der deutschen sozialdemokratischen Presse in dieser Frage Erklärungen ab, die ich hier so bringe, wie ich sie mir gleich nach dem Gespräch notiert habe.

Da ich jetzt um eine Einreiseerlaubnis nach Deutschland nachsuche, und da die Mehrheit der deutschen Regierung aus Sozialdemokraten besteht, so bin ich vor allem an einer Klarstellung meiner Beziehungen zur Sozialdemokratie interessiert. Auf diesem Gebiet hat sich selbstverständlich nichts geändert. Mein Verhältnis zur Sozialdemokratie bleibt das frühere. Noch mehr, mein Kampf gegen Stalins Fraktion ist nur ein Reflex meines allgemeinen Kampfes gegen die Sozialdemokratie. Unausgesprochenes oder Unklarheiten brauchen weder Sie noch ich. Einige sozialdemokratische Blätter versuchen einen Widerspruch zwischen meiner prinzipiellen Position in Fragen der Demokratie und meines Einreisegesuches nach Deutschland, d, h, in eine demokratische Republik, zu konstruieren. Hier gibt es gar keinen Gegensatz. Wir „verneinen" gar nicht die Demokratie, wie sie die Anarchisten verneinen (in Worten). Die bürgerliche Demokratie hat Vorteile im Vergleich zu den ihr vorgehenden Staatsformen. Aber sie ist nicht ewig. Sie muss ihren Platz der sozialistischen Gesellschaft abtreten. Die Brücke zur sozialistischen Gesellschaft ist die Diktatur des Proletariats. In allen kapitalistischen Ländern nehmen die Kommunisten am parlamentarischen Kampf teil. Das Ausnützen des Asylrechts unterscheidet sich prinzipiell in Nichts vom Ausnützen des Wahlrechts, der Freiheit der Presse, der Versammlungsfreiheit usw. Sie interessieren sich für die Frage über meinen Kampf für Demokratie in der Partei, den Gewerkschaften, den Sowjets. Die sozialdemokratischen Blätter versuchen manchmal darin einen Schritt meinerseits zur Seite der bürgerlichen Demokratie zu erblicken. Dies ist ein großes Missverständnis, das nicht schwer aufzuklären ist. Die heutige sozialdemokratische Formel lautet: „Stalin ist gegen Trotzki im Recht, Rykow ist gegen Stalin im Recht." Die Sozialdemokratie ist für die Wiederherstellung des Kapitalismus in Russland. Aber in diesen Weg kann man nur einbiegen, indem man die proletarische Avantgarde in die hinteren Reihen stößt, ihre Selbsttätigkeit und Kritik unterdrückt. Stalins Regime ist das notwendige Resultat seiner politischen Linie. Sofern die Sozialdemokratie die wirtschaftliche Politik Stalins gutheißt, muss sie sich auch mit seinen politischen Methoden aussöhnen. Es ist eines Marxisten unwürdig, von der Demokratie „überhaupt" zu sprechen. Die Demokratie hat einen Klasseninhalt. Wenn eine Politik notwendig ist, die die Wiederherstellung des bürgerlichen Regimes bezweckt, so ist sie mit der Demokratie des Proletariats als herrschenden Klasse unvereinbar.

Der wirkliche Übergang zum Kapitalismus kann nur durch diktatorische Gewalt der Bourgeoisie gesichert werden. Es ist lächerlich, die Wiederherstellung des Kapitalismus in Russland zu verlangen und Demokratie zu ersehnen. Das sind phantastische Träume." Es ist mir unbekannt, ob mein Interview in der deutschen sozialdemokratischen Presse erschienen ist. Wie es scheint, nicht. In welchem Maße es auf die Abstimmung der sozialdemokratischen Minister gewirkt hat, ist mir auch unbekannt. In jedem Fall besteht das demokratische Asylrecht soviel ich verstehen kann, nicht darin, dass eine Regierung nur Gleichgesinnte ins Land reinlässt – das haben auch Nikolaus II und Abdul Hamid getan. Auch nicht darin, dass eine Regierung die Ausgewiesenen nur mit der Erlaubnis der Regierung, die sie ausgewiesen hatte, reinlässt. Das Asylrecht besteht (auf dem Papier) darin, dass eine Regierung auch Gegner ins Land reinlässt, unter der Bedingung der Wahrung der Gesetze des Landes. Ich konnte natürlich nur als unversöhnlicher Gegner der sozialdemokratischen Regierung nach Deutschland kommen.

Die Verteidigung meiner Interessen vor der deutschen Regierung übernahm der Rechtsanwalt Kurt Rosenfeld, linker Sozialdemokrat der Partei nach. Er tat es aus eigener Initiative. Ich habe mit Dank seine mir angebotenen Dienstleistungen angenommen, unabhängig von seiner Zugehörigkeit zur Sozialdemokratischen Partei. Ich erhielt von Dr. Rosenfeld eine telegraphische Anfrage, welchen Beschränkungen ich gewillt wäre, mich während des Aufenthaltes in Deutschland zu fügen. Ich antwortete ihm:

Habe die Absicht, vollkommen isoliert außerhalb Berlins zu leben. In keinem Falle in öffentlichen Versammlungen aufzutreten. Habe die Absicht, mich auf schriftstellerische Tätigkeit im Rahmen der deutschen Gesetze zu beschränken.

Trotzki."

Jetzt ging die Frage also nicht mehr um das demokratische Asylrecht, sondern um das Recht, in Deutschland im Ausnahmezustand zu leben. Die Lehre der Demokratie, die meine Gegner mir erteilen wollten, bekam eine begrenztere Fassung. Aber die Sache ging weiter. Nach einigen Tagen erhielt ich von Dr. Rosenfeld eine neue telegraphische Anfrage: ob ich einverstanden wäre, nur zu Kurzwecken nach Deutschland zu kommen. Als Antwort drahtete ich:

Bitte mir wenigstens die Möglichkeit zu geben, die absolut notwendige Kurzeit in Deutschland zu verbringen".

In dieser Etappe wurde also das Asylrecht zum Kurrecht herabgedrückt. Die versprochene anschauliche Lektion der Demokratie verkürzte sich immer mehr. Ich nannte eine Reihe bekannter deutscher Ärzte, die mich in den letzten 10 Jahren behandelt hatten und deren Hilfe ich jetzt mehr denn je benötigte. Die Vertreter der deutschen Presse meinten, meine Einreise nach Deutschland wäre gesichert. Wie man aus dem Weiteren sehen wird, betrachtete ich die Sache weniger optimistisch, hielt aber den Erfolg doch nicht für ausgeschlossen. Zur Zeit der Osterfeiertage kam eine neue Note in die deutsche Presse: In den Regierungskreisen hält man Trotzki nicht für so krank, dass er unbedingt die Hilfe der deutschen Ärzte und die Heilkraft deutscher Kurorte brauchen würde. Welches Medium diese Nachrichten den deutschen Regierungskreisen gebracht hat, ist mir unbekannt. Den 31. März telegraphierte ich an Dr. Rosenfeld:

Den Zeitungsberichten zufolge bin ich nicht genügend hoffnungslos krank, um die Möglichkeit der Einreise nach Deutschland zu erhalten. Ich frage: hat mir Löbe das Recht auf Zuflucht oder das Recht auf den Friedhof angeboten? Ich bin mit jeder beliebigen Untersuchung und jeder beliebigen Ärztekommission einverstanden. Verpflichte mich, nach durchgemachter Kur Deutschland zu verlassen.

Trotzki."

Auf diese Weise ist innerhalb einiger Wochen das demokratische Prinzip einer dreifachen Verkürzung unterworfen worden. Das Asylrecht verwandelte sich zuerst in das Recht, im Ausnahme-Zustand zu leben; dann – in das Recht, eine Kur durchzumachen; schließlich – in ein Recht auf den Kirchhof. Aber das bedeutete, dass ich erst als Leiche die Vorteile der Demokratie in ihrem ganzen Ausmaße schätzen gelernt haben würde. Noch am 19. März schrieb ich an Dr. Rosenfeld in einem Brief folgendes:

Erlauben Sie mir, Ihnen, als Vertreter meiner Interessen, nicht aber als Mitglied der sozialdemokratischen Partei, meine Beurteilung der Lage auseinanderzusetzen. Angeregt durch Löbes Rede wandte ich mich vor einem Monat an die deutsche Regierung. Eine Antwort ist noch nicht da. Stalin hat mit Stresemann die Sache wie es scheint in dem Sinne geregelt, dass ich nach Deutschland nicht zugelassen werden soll, unabhängig davon, ob die Sozialdemokraten es wollen oder nicht wollen werden. Die sozialdemokratische Regierungsmehrheit lässt die Frage in der Luft hängen bis zur neuen Regierungskrise. Bis dahin werde ich geduldig, – d, h. mit gebundenen Händen und Füßen warten, und werde sogar gezwungen sein, die Versuche meiner Freunde, mir in Frankreich oder in einem anderen Lande ein Asylrecht zu verschaffen, zu desavouieren. Noch zwei, drei Wochen und die öffentliche Meinung verliert das Interesse an dieser Frage. Ich verliere auf diesem Wege nicht nur die nächste Kursaison, sondern auch überhaupt die Möglichkeit, in ein anderes Land überzusiedeln. Deshalb ist in dieser Lage für mich eine formelle Absage einer weiteren Verschleppung der Entscheidung vorzuziehen." Eine Antwort gab es immer noch nicht. Ich telegraphierte von neuem nach Berlin: „Ich betrachte das Fehlen einer Antwort als illoyale Form einer Absage".

Nur danach erhielt ich am 12. April, – d. h. nachdem 2 Monate verflossen waren, eine Mitteilung, dass die deutsche Regierung mein Gesuch um das Einreiserecht abgelehnt habe. Es blieb mir nichts anderes übrig, als dem Reichstagspräsidenten Löbe am nächsten Tage folgendes Telegramm zu senden:

Bedaure sehr, dass ich nicht die Möglichkeit erhalten habe, die Vorteile des demokratischen Asylrechts praktisch zu studieren."

Das ist die kurze und lehrreiche Geschichte dieser Affäre. Stalin verlangte und erzielte durch Stresemann und andere, dass man mich nicht nach Deutschland ließ im Namen der Freundschaft zur Sowjetregierung. Thälmann verlangte, dass man mich nicht nach Deutschland ließ im Namen der Interessen Thälmanns und der kommunistischen Internationale. Hilferding verlangte, dass man mich nicht nach Deutschland ließ, weil ich die Unvorsichtigkeit begangen habe, ein politisches Portrait von Hilferding in meinem Buche gegen Kautsky zu machen, und weil dieses Portrait eine zu beleidigende Ähnlichkeit mit dem Original besitzt. Hermann Müller hatte keinen Anlass, Stalin in einer solchen Frage eine Gefälligkeit zu verweigern. Unter solchen Bedingungen konnten sich die platonischen Verteidiger der Prinzipien der Demokratie ungestraft in Artikeln und Reden für die Gewährung des Asylrechts für mich äußern. Sie verloren dabei nichts und ich gewann nichts. Genau auf die gleiche Weise äußern sich die demokratischen Pazifisten in allen den Fällen gegen den Krieg, wenn er nicht auf der Tagesordnung steht.

Wie man mir erzählte, entwickelte Chamberlain besondere Aktivität in der Frage meines Visums. Dieser ehrenwerte Gentleman äußerte sich nicht nur einmal in dem Sinne, man müsste mich im Interesse der Demokratie an die Wand stellen. Man sagt, außer allgemeinen konservativen Erwägungen hatte Chamberlain auch noch persönliche Motive. Es ist wirklich möglich, dass ich ohne die notwendige Ehrerbietung vor seinem politischen Genie in meinem England gewidmeten Buche gesprochen habe. Da zur selben Zeit die Verhandlungen der Sachverständigen in Paris stattfanden, so hatten weder Stresemann noch Hermann Müller Grund, Chamberlain zu kränken. Besonders, weil letzterer nichts verlangte, was ihrem eigenen politischen Geschmack widersprochen hätte. Alles stimmte vorzüglich zusammen.

So oder anders, wir haben endlich seitens Stalins und Thälmanns die erste erfolgreiche Anwendung der Politik der Einheitsfront auf breiter internationaler Arena. Stalin schlug mir durch die GPU am 16. Dezember vor, der politischen Tätigkeit zu entsagen. Dieselbe Bedingung wurde als selbstverständlich während der Überlegungen der Presse über das Asylrecht von deutscher Seite gestellt. Das bedeutet, dass die Regierung Müller-Stresemann dieselben Ideen für schädlich und gefährlich hält, gegen die auch Stalin und Thälmann kämpfen. Stalin hat diplomatisch, Thälmann aber agitatorisch, von der sozialdemokratischen Regierung verlangt, mich nicht ins bürgerliche Deutschland reinzulassen – man muss denken, im Namen der Interessen der proletarischen Revolution. Vom anderen Hügel verlangte Chamberlain die Ablehnung meines Visum-Gesuchs im Interesse der kapitalistischen Ordnung. Auf diese Weise konnte Hermann Müller gleichzeitig das notwendige Vergnügen seinen Partnern rechts und seinen Verbündeten links bereiten. Die sozialdemokratische Regierung ist zu einem vereinigenden Glied der internationalen Einheitsfront gegen den revolutionären Marxismus geworden. Um das Vorbild dieser Einheitsfront zu finden genügt es, sich zu den ersten Zeilen des kommunistischen Manifestes von Marx und Engels zu wenden „Zur heiligen Hetze gegen dieses Gespenst (Kommunismus) haben sich alle Kräfte des alten Europa vereinigt – der Papst, Metternich, Guizot, die französischen Radikalen und die deutschen Polizisten." Die Namen sind andere, aber der Inhalt derselbe. Dass heute die Sozialdemokraten die deutschen Schutzleute sind, ändern am wenigsten an der Sache. Dem Wesen nach schützen sie dasselbe, was die Gendarmen der Hohenzollern schützten.

Selbstverständlich, hätte ich das Asylrecht erhalten, es hätte nicht im Geringsten die Widerlegung der marxistischen Theorie vom Klassenstaat bedeutet. Alles Notwendige darüber ist in der oben angeführten Erklärung dem Vertreter der deutschen sozialdemokratischen Presse gesagt worden. Das Regime der Demokratie entspringt nicht aus dem Selbstdruck der philosophischen Prinzipien, sondern aus ganz realen Bedürfnissen der herrschenden Klassen. Das Regime der Demokratie hat seine Logik. Kraft dieser Logik enthält es auch das Asylrecht. Das Gewähren des Asylrechts einem proletarischen Revolutionär widerspricht dem rein bürgerlichen Charakter der Demokratie durchaus nicht. Aber jetzt besteht keine Notwendigkeit dieser Argumentation, denn in Deutschland, geführt von Sozialdemokraten, besteht gar kein Asylrecht. Nachdem mich die Stalinisten, die mit dem Marxismus und der Oktoberevolution, aus der Sowjetrepublik ausgewiesen haben, weigerten die deutschen Sozialdemokraten sich mich reinzulassen gerade, weil ich die Prinzipien des Marxismus und die Tradition der Oktoberevolution vertrete. Dieses Mal ging es nur um einen Menschen. Und die Sozialdemokratie – diese Ultralinke der bürgerlichen Welt – hat sich nicht eine Minute bedacht, die „Prinzipien der reinen Demokratie" zu verleugnen. Aber wie wird die Sache in dem Falle sein, wenn es gilt, die Frage des Eigentums an den Produktionsmitteln praktisch zu entscheiden? Wie werden in dem Moment die unglückseligen und unbeschützten Prinzipien der Demokratie aussehen? Wir haben es schon in der Vergangenheit gesehen und werden es nicht nur einmal in der Zukunft sehen. Die letzten Endes vollkommen unwichtige Episode mit meinem Visum wirft einen hellen Strahl auf den Kern des Problems unserer Epoche und zerstört mit einem Schlage die lügnerischen und reaktionäre Lüge – die Möglichkeit eines demokratischen Überganges zur sozialistischen Gesellschaft. Das ist die einzige Lehre, die aus den von mir gemachten frischen Erfahrungen folgt. Das ist eine ernste Lehre und sie wird in das Bewusstsein der Arbeitermassen dringen.

Konstantinopel, 22. April 1929.

L. Trotzki.

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