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Leo Trotzki 19291109 Was geht in China vor?

Leo Trotzki: Was geht in China vor?

Eine Frage, die jeder Kommunist sich stellen sollte.

[Nach Fahne des Kommunismus. Zeitschrift der orthodoxen Marxisten-Leninisten, 3. Jahrgang 1929, Nr. 42 (6. Dezember) S. 330 f.]

Unter den Telegrammen der „Prawda" wurde im Lauf des Oktobers einige Mal mit kleiner Schrift gemeldet, dass eine bewaffnete kommunistische Abteilung unter der Leitung Tschu-De sich mit Erfolg Tschaotschou (Guandung) nähere und dass diese Abteilung von 5000 auf 20.000 Mann angewachsen ist usw. Aus den lakonischen Telegrammen der „Prawda" erfahren wir so nebenher, dass in China die Kommunisten einen bewaffneten Kampf gegen Tschiang Kai-schek führen. Was ist der Sinn dieses Kampfes? Woraus ist er entstanden? Welches sind seine Perspektiven? Davon wird uns nichts gesagt. Wenn in China die neue Revolution schon soweit ist, dass die Kommunisten zu den Waffen greifen, dann muss man doch bei einem solchen Ereignis von gigantischer historischer Bedeutung die gesamte Internationale mobilisieren. Warum jedoch ist davon nichts zu hören? Wenn aber die Lage in China nicht so ist, dass man von einem bewaffneten Kampf der Kommunisten um die Macht sprechen kann, warum und wie hat dann eine kommunistische Abteilung den bewaffneten Kampf gegen Tschiang Kai-schek eröffnet, d. h. gegen die militärisch bürgerliche Diktatur?

Ja, warum haben sich chinesische Kommunisten empört? Darum, weil das Proletariat seine Wunden schon geheilt hat? Ist die demobilisierte und obdachlose kommunistische Partei von neuem von einer revolutionären Welle erfasst worden? Haben die Arbeiter in den Städten die Verbindung mit den revolutionären Massen des Dorfes sichergestellt? Hat die Streikwelle das ganze Land überflutet? Hat der Generalstreik das Proletariat dem Aufstand nahe gebracht? Wenn sich die Sache so verhält, dann ist alles zu verstehen und alles richtig Aber warum meldet dann die „Prawda“ diese Ereignisse in einigen Petitzeilen?

Oder stehen die chinesischen Kommunisten auf, weil sie den letzten Molotowschen Kommentar zu der Resolution über die dritte Periode erhalten haben? Nicht umsonst hat Sinowjew, welcher im Gegensatz zu den übrigen Kapitulanten sich für lebendig hält, in der „Prawda“ einen Artikel geschrieben, in welchem er beweist, dass die Herrschaft Tschiang Kai-schek dasselbe sei wie die zeitweilige Herrschaft Koltschaks, d. h, nur eine einfache Episode im Prozess des revolutionären Aufschwunges darstellt. Diese Analogie ist natürlich sehr kühn. Unglücklicherweise ist sie nicht nur falsch, sondern einfach dumm. Koltschak hat einen Aufstand in der Provinz organisiert gegen die Diktatur des Proletariats, die in den wichtigsten Zentren des Landes herrschte. In China herrscht über das Land die bürgerliche Konterrevolution. Die Kommunisten haben aber einen kleinen Aufstand von einigen tausend Mann in der Provinz gemacht. Ich glaube, wir haben das Recht zu fragen: entsteht dieser Aufstand aus der Lage in China heraus, oder aus den Direktiven über die dritte Periode? Wir fragen weiter, welche politische Rolle hat hierbei die Chinesische Kommunistische Partei? Unter welchen Losungen mobilisiert sie die Massen? Wie groß ist ihr Einfluss auf die Massen? Wir hören davon nichts. Der Aufstand Tschu-De ist wohl eine Wiederholung der abenteuerlichen Feldzüge des Cho-Lun und Je-Tin im Jahre 1927 und des Kantoner Aufstandes, der zur Zeit des Ausschlusses der Opposition aus der WKP organisiert wurde?

Vielleicht ist dieser Aufstand spontan entstanden? Geben wir das zu. Aber was bedeutet dann in diesem Fall die über ihm wehende kommunistische Fahne? Wie verhält sich die offizielle chinesische kommunistische Partei zu dem Aufstand? Wie ist die Position der Komintern in dieser Frage? Warum endlich gibt die Moskauer ,,Prawda" bei der Meldung über den kommunistischen Aufstand gar keine Kommentare?

Aber es gibt noch eine mögliche Erklärung, vielleicht die beunruhigendste von allen: Ist nicht der Aufstand der chinesischen Kommunisten in Verbindung mit der Besitzergreifung der ostchinesischen Bahn durch Tschiang Kai-schek zu betrachten? Hat nicht dieser Aufstand, dem Typus nach ein reiner Partisanenaufstand, das Ziel, Tschiang Kai-schek im Rücken so viel als möglich Unruhe zu schaffen? Wenn es so ist, dann fragen wir: wer hat den chinesischen Kommunisten einen solchen Rat gegeben? Wer trägt die politische Verantwortung für ihren Partisanenkrieg?

Erst unlängst haben wir ganz entschieden jenes Geschwätz über die Notwendigkeit der Übergabe einer solch wichtigen Waffe, wie die ostchinesische Bahn, aus den Händen der russischen Revolution in die Hände der chinesischen Konterrevolution verurteilt. Wir haben an die elementare Pflicht des internationalen Proletariats erinnert, in diesem Konflikt zur Verteidigung der Sowjetrepublik gegen das bürgerliche China und seine möglichen Helfershelfer bereit zu sein. Aber andererseits ist es ganz klar, dass das Proletariat der UdSSR, welches im Besitz der Macht und der Armee ist, nicht verlangen kann,, dass die Avantgarde des chinesischen Proletariats jetzt einen Krieg mit Tschiang Kai-schek anfangen kann, d. h. sich auf den Weg stellt, welchen die Regierung der Sowjetrepublik zu beschreiten sich nicht entschließen kann (und sie tut recht daran ) Wenn zwischen der UdSSR und China oder richtiger zwischen der UdSSR und dem imperialistischen Verteidiger Chinas Kriegszustand wäre, dann würde die Pflicht der chinesischen Kommunisten darin bestehen, so schnell als möglich die Umwandlung dieses Krieges in einen Bürgerkrieg zu beschleunigen. Aber auch hier müsste der Anfang des Bürgerkrieges der allgemeinen revolutionären Politik unterordnet werden. Den Weg des offenen Aufstandes könnten die chinesischen Kommunisten nicht aufs Geratewohl und irgendwann beschreiten sondern erst nachdem sie sich, als Partei der notwendigen Unterstützung der Arbeiter- und Bauernmassen versichert haben. Der Aufstand im Rücken Tschiang Kai-scheks würde dann in diesem Fall die Fortsetzung der Front der Sowjetarbeiter und Bauern sein. Das Schicksal der aufständischen chinesischen Arbeiter würde dann unmittelbar verbunden sein mit dem Schicksal der Sowjetrepublik. Aufgaben, Ziel, Perspektive – all das würde ganz klar sein.

Aber welche Perspektive eröffnet sich vor dem isolierten Partisanenaufstand der chinesischen Kommunisten, jetzt – ohne Krieg und ohne Revolution? Die Perspektive des grausamsten Niederschlagens und der putschistischen Wiedergeburt der Reste der kommunistischen Partei.

Man muss noch sagen: Das Rechnen auf den Partisanenputsch entspricht vollkommen dem Charakter der Stalinschen Politik. Vor zwei Jahren erwartete Stalin alles von dem Bündnis mit den Imperialisten des britischen Generalrats. Jetzt ist er absolut fähig zu meinen, dass der Aufstand der Kommunisten in China, wenn er auch vollkommen hoffnungslos ist, immerhin in der schwierigen Lage einen „kleinen Nutzen" bringen kann. Im ersten Fall trug die Rechnung einen grob opportunistischen Charakter, im zweiten – einen offen putschistischen. Aber in beiden Fällen wird diese Rechnung abseits von den allgemeinen Aufgaben der internationalen Arbeiterbewegung geführt, im Gegensatz zu diesen Aufgaben, und zum Schaden der richtig verstandenen Interessen der Sowjetrepublik.

Zu einer endgültigen Schlussfolgerung fehlen uns die notwendigen Angaben. Darum fragen wir: was geht in China vor? Man soll es uns erklären. Ein Kommunist, der sich und seiner Leitung diese Frage nicht stellt, ist dieses Namens nicht würdig. Die Leitung, die vorsichtigerweise abseits stehen möchte, um im Fall der Niederlage der chinesischen Partisanen, die Hände von neuem in Unschuld zu waschen, und die Verantwortung dem ZK der chinesischen Partei zu überlassen, diese Leitung befleckt sich, wirklich nicht zum ersten Mal, mit dem schwersten Verbrechen den Interessen der Weltrevolution gegenüber.

Wir fragen: Was geht in China vor? Und wir werden diese Frage stellen, bis wir eine Antwort bekommen.

9. November 1929.

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