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Leo Trotzki 19300926 Die Wendung der Komintern und die Lage in Deutschland

Leo Trotzki: Die Wendung der Komintern und die Lage in Deutschland

[nach der Broschüre, Verlag „Der Kommunist“, Berlin 1930, nicht identisch mit der Version im Marxist Internet Archive]

[1.] Die Ursachen der letzten Wendung.

Taktische Wendungen, sogar große, sind in unserer Epoche ganz unvermeidlich. Sie werden durch jähe Wendungen der objektiven Lage hervorgerufen. (Fehlen von stabilen internationalen Beziehungen; scharfe und unregelmäßige Schwankungen der Konjunktur; scharfe Widerspiegelungen der ökonomischen Schwankungen in der Politik; Spontaneität der Massen in dem Gefühl der Ausweglosigkeit, usw.) Das aufmerksame Verfolgen jeder Veränderung der objektiven Lage bildet gegenwärtig eine weit wichtigere und zu gleicher Zeit schwierigere Aufgabe als es vor dem Kriege, in der Epoche der „organischen" Entwicklung des Kapitalismus, der Fall war. Die Parteiführung befindet sich in der Lage des Chauffeurs, welcher sein Auto in scharfen Kurven den Berg hinauf steuert. Jede falsche Wendung, jede unrichtige Geschwindigkeit, die er einschaltet, drohen den Mitfahrern und dem Wagen mit den größten Gefahren, wenn nicht mit dem Untergang.

Die Führung der Komintern hat uns in letzter Zeit manche Beispiele von sehr schroffen Wendungen gegeben. Die letzte Wendung haben wir in den letzten Monaten beobachten können. Wodurch werden die Wendungen der nachleninschen Komintern hervorgerufen!? Durch Veränderungen der objektiven Lage? Nein. Man kann mit Bestimmtheit behaupten, dass, angefangen, mit dem Jahr 1923, es keine einzige taktische Wendung gegeben hat, die von der Komintern rechtzeitig unter dem Einfluss der richtig bewerteten Veränderungen der objektiven Lage vorgenommen worden wäre. Im Gegenteil: jede Wendung bildete das Ergebnis der unerträglichen Verschärfung der Widersprüche zwischen der Linie der Komintern und der objektiven Lage. Dasselbe können wir auch dieses Mal beobachten.

Das IX. EKKI-Plenum, der VI. Weltkongress und besonders das X. Plenum nehmen den Kurs auf einen jähen und gradlinigen revolutionären Aufschwung („Dritte Periode"). Dieser Aufschwung war damals, nach den ungeheuren Niederlagen in England, China, nach der Schwächung der Kommunistischen Parteien in der ganzen Welt und besonders unter den Bedingungen des Aufstiegs des Handels und der Industrie, der die wichtigsten kapitalistischen Länder erfasst hatte, durch die gesamte objektive Lage ausgeschlossen. Die taktische Wendung der Komintern seit Februar 1928 war somit direkt entgegengesetzt der realen Wendung der historischen Wirklichkeit. Aus diesem Widerspruch heraus entstanden die Tendenzen des Putschismus, die weitere Isolierung der Parteien von den Massen, die Schwächung der Organisationen usw. Erst nachdem diese Erscheinungen einen offen bedrohlichen Charakter angenommen haben, machte die Führung der Komintern eine neue Wendung, im Februar 1930, eine Wendung zurück und rechts von der Taktik der „dritten Periode".

Die Ironie des Schicksals, die jeder Schwanzpolitik gegenüber unbarmherzig ist, wollte es, dass die neue taktische Wendung der Komintern zeitlich mit einer neuen Wendung der objektiven Lage zusammenfällt. Die internationale Krise von unerhörter Schärfe eröffnet zweifellos Perspektiven von Radikalisierung der Massen und sozialer Erschütterungen. Gerade unter solchen Bedingungen könnte und müsste man eine Wendung nach links einschlagen. Das war sehr richtig und notwendig, wenn die Führung der Komintern in den letzten drei Jahren die Periode des wirtschaftlichen Aufschwunges und der revolutionären Ebbe dazu benutzt hätte, um die Positionen der Partei in den Massenorganisationen, vor allem in den Gewerkschaften, zu festigen. Unter diesen Bedingungen könnte und müsste der Chauffeur im Jahre 1930 den Wagen von der zweiten auf die dritte Geschwindigkeit umschalten oder sich wenigstens dazu bereithalten. In Wirklichkeit ist aber gerade ein entgegengesetzter Prozess vor sich gegangen. Um nicht abzustürzen, musste der Chauffeur von der zu früh eingeschalteten dritten Geschwindigkeit auf die zweite umschalten und das Tempo verlangsamen, – wann? – unter Bedingungen, welche bei einer richtigen strategischen Linie eine Beschleunigung des Tempo verlangten.

Das ist der schreiende Widerspruch zwischen der taktischen Notwendigkeit und der strategischen Perspektive, ein Widerspruch, in dem sich gegenwärtig, infolge der Logik der Fehler ihrer Führungen, die kommunistischen Parteien einer Reihe von Ländern befinden.

Am klarsten und gefährlichsten zeigt sich dieser Widerspruch in Deutschland. Hier haben die letzten Wahlen ein äußerst eigenartiges Kräfteverhältnis aufgedeckt, welches nicht nur das Ergebnis der zwei Perioden der deutschen Stabilisierung der Nachkriegszeit, sondern auch der drei Perioden der Fehler der Komintern ist.

2. Der parlamentarische Sieg der Kommunistischen Partei im Licht der revolutionären Aufgaben.

Gegenwärtig stellt die offizielle Presse der Komintern das Ergebnis der deutschen Wahlen als einen grandiosen Sieg des Kommunismus dar, der die Losung Sowjetdeutschland auf die Tagesordnung stellt. Die bürokratischen Optimisten wollen sich nicht in den Sinn des Kräfteverhältnisses hineindenken das sich in der Wahlstatistik offenbart hat. Sie betrachten das Anwachsen der kommunistischen Stimmenzahl ganz unabhängig von den revolutionären Aufgaben, welche die Situation und die durch diese entstandenen Schwierigkeit schaffen.

Die Kommunistische Partei erhielt 4.600.000 Stimmen gegen 3.300.000 im Jahre 1928. Der Zuwachs von 1.300.000 Stimmen ist vom Standpunkt der „normalen" Parlamentsmechanik, selbst wenn man das Anwachsen der Gesamtwählerzahl berücksichtigt, ein ungeheurer. Allein der Stimmengewinn der Partei verblasst vollkommen vor dem Sprung des Faschismus von 800.000 Stimmen auf 6.400.000 Stimmen. Keine geringere Bedeutung für die Bewertung der Wahlen besitzt jene Tatsache, dass die Sozialdemokratie trotz bedeutender Verluste, ihren Grundbestand gehalten hat und noch immer eine bedeutend höhere Anzahl von Arbeiterstimmen erhalten hat als. die Kommunistische Partei.

Wenn man sich indessen fragen würde: welche Kombination von internationalen und inneren Bedingungen geeignet wäre, die Arbeiterklasse am stärksten zum Kommunismus zu drängen, so könnte man keine günstigeren Bedingungen für eine solche Wendung anführen als die gegenwärtige Lage in Deutschland: die Schlinge des Youngplans, der Zerfall der Regierenden, die Krise des Parlamentarismus, die erschreckende Selbstentlarvung der Sozialdemokratie in der Regierung. Vom Standpunkt dieser konkreten historischen Bedingungen bleibt das spezifische Gewicht der deutschen Kommunistischen Partei im öffentlichen Leben des Landes trotz der Eroberung der 1.300.000 Stimmen ein unverhältnismäßig geringes.

Die Schwäche der Positionen des Kommunismus, welche unzerreißbar mit der Politik und dem Regime der Komintern verbunden sind, wird noch greller beleuchtet, wenn wir das gegenwärtige soziale Gewicht der Kommunistischen Partei jenen konkreten und unaufschiebbaren Aufgaben gegenüberstellen, welche ihr durch die gegenwärtigen historischen Bedingungen gestellt werden.

Gewiss, die Kommunistische Partei hat einen solchen Zuwachs selbst nicht erwartet. Doch das beweist, dass unter den Schlägen der Fehler und Niederlagen die Führung der Kommunistischen Partei nicht mehr gewöhnt ist, große Ziele und Perspektiven zu haben. Wenn sie gestern noch ihre eigenen Möglichkeiten unterschätzt hat, so unterschätzt sie heute wiederum die Schwierigkeiten. So verstärkt die eine Gefahr die andere.

Indessen ist doch die erste Eigenschaft einer wirklich revolutionären Partei: der Wirklichkeit ins Auge zu schauen.

3. Die Schwankungen der Großbourgeoisie.

Bei jeder Wendung der Geschichte, bei jeder sozialen Krise muss man immer wieder die Frage der gegenseitigen Beziehungen der drei Klassen der gegenwärtigen Gesellschaft überprüfen: der Großbourgeoisie, geführt vom Finanzkapital, der KIeinbourgeoisie, welches zwischen den zwei Hauptlagern schwankt, und endlich des Proletariats.

Die Großbourgeoisie, welche den unbedeutendsten Teil der Nation bildet, kann ihre Macht nicht halten, wenn sie sich nicht auf die Kleinbourgeoisie in Stadt und Land, d. h. auf die Reste des alten und auf die Massen des neuen Mittelstandes stützen kann. Diese ihre Stütze nimmt in der gegenwärtigen Epoche zwei Grundformen an, die politisch einander entgegengesetzt sind, historisch aber einander ergänzen: die Sozialdemokratie und der Faschismus. In der Sozialdemokratie führt die Kleinbourgeoisie, die dem Finanzkapital folgt, Millionen von Arbeitern hinter sich.

Gegenwärtig schwankt die deutsche Großbourgeoisie und ist zersplittert. Ihre Zwiespältigkeit besteht in der Frage, welche von den beiden Heilmethoden sie bei der gegenwärtigen sozialen Krise anwenden soll. Die sozialdemokratische Therapie (Heilmethode) stößt den einen Teil der Großbourgeoisie durch die Unbestimmtheit ihrer Ergebnisse und durch die Gefahr allzu großer Unkosten zurück (Steuer, soziale Gesetzgebung, Arbeitslohn usw.). Der chirurgische Eingriff der Faschisten scheint dem andern Teil der Lage nicht entsprechend und allzu riskant. Mit andern Worten, die Finanzbourgeoisie als Ganzes schwankt in der Einschätzung der Lage und sieht noch keine genügende Ursache, den Eintritt ihrer „dritten Periode" anzukünden, bei der die Sozialdemokratie bedingungslos durch den Faschismus ersetzt wird: bei dieser Generalabrechnung wird die Sozialdemokratie, bekanntlich für die von ihr erwiesenen Dienste einen allgemeinen Pogrom erleiden. Die Schwankungen der Großbourgeoisie zwischen der Sozialdemokratie und dem Faschismus bilden bei gleichzeitiger Schwächung ihrer wichtigsten Parteien ein äußerst grelles Symptom einer vorrevolutionären Situation. Bei Eintritt einer wirklich revolutionären Situation würden diese Schwankungen natürlich sofort aufhören.

4. Die Kleinbourgeoisie und der Faschismus.

Damit die soziale Krise zu einer sozialen Revolution führen könnte, ist es notwendig, dass außer sonstigen Bedingungen eine entscheidende Verschiebung der kleinbürgerlichen Klassen nach der Seite des Proletariats stattfindet. Das gibt dem Proletariat die Möglichkeit, an die Spitze der Nation als deren Führer zu treten. Die letzten Wahlen offenbaren – und darin besteht ihre hauptsächliche symptomatische Bedeutung – eine entgegengesetzte Verschiebung. Unter den Schlägen der Krise neigte sich das Kleinbürgertum nicht nach der Seite der proletarischen Revolution hin, sondern nach der Seite der äußersten imperialistischen Reaktion und zog dabei bedeutende Schichten des Proletariats mit sich.

Das gigantische Anwachsen des Nationalsozialismus ist der Ausdruck zweier Tatsachen: der tiefen sozialen Krise, welche die kleinbürgerlichen Massen aus dem Gleichgewicht bringt, und das Fehlen einer solchen revolutionären Partei, welche schon heute in den Augen der Volksmassen der berufene revolutionäre Führer wäre. Wenn die kommunistische Partei die Partei der revolutionären Hoffnungen ist, so ist der Faschismus als Massenbewegung die Partei der konterrevolutionären Verzweiflung. Wenn die revolutionäre Hoffnung das gesamte proletarische Massiv ergreift, so zieht es unfehlbar bedeutende und stets anwachsende Kräfte der Kleinbourgeoisie auf den Weg der Revolution hinter sich her. Gerade auf diesem Gebiete zeigen die Wahlen ein ganz entgegengesetztes Bild: die konterrevolutionäre Verzweiflung hat das kleinbürgerliche Massiv mit einer solchen Gewalt erfasst, dass dieses bedeutende Schichten des Proletariats mit sich zog.

Wodurch kann man das erklären? In der Vergangenheit haben wir ein starkes Anwachsen des Faschismus (Italien, Deutschland) als Ergebnis einer erschöpften oder verpassten revolutionären Situation beobachtet, einer Situation am Ende einer revolutionären Krise, in deren Verlauf die proletarische Avantgarde ihre Unfähigkeit, an die Spitze der Nation zu treten, um das Schicksal aller ihrer Klassen, darunter auch der Kleinbourgeoisie, zu ändern, gezeigt hatte. Gerade das verlieh dem Faschismus in Italien seine besondere Kraft. Doch gegenwärtig handelt es sich in Deutschland nicht um den Ausgang einer revolutionären Krise, sondern nur um deren Annäherung. Daraus machen die führenden Parteibeamten als dienstliche Optimisten die Folgerung, dass der Faschismus unfehlbar zu einer raschen Niederlage verurteilt ist, da er „zu spät" gekommen ist. („Rote Fahne"), Diese Leute wollen nichts lernen. Der Faschismus kommt „zu spät" in Bezug auf die alten revolutionären Krisen. Doch er kommt noch genügend früh – noch bei Tagesgrauen – zu der neuen revolutionären Krise. Der Umstand, dass der Faschismus eine derartig mächtige Ausgangsposition bereits am Vorabend der revolutionären Periode und nicht erst an deren Ausgang einnehmen konnte, bildet nicht die schwache Seite des Faschismus, sondern die schwache Seite des Kommunismus. Die Kleinbourgeoisie wartet also erst nicht neue Enttäuschungen über die Fähigkeiten der Kommunistischen Partei, ihr Schicksal zu verbessern, ab. Sie stützt sich auf die Erfahrungen der Vergangenheit, sie erinnert sich an die Lehren von 1923, an die Bocksprünge des ultralinken Kursus von Maslow-Thälmann, an die opportunistische Kraftlosigkeit desselben Thälmann, an das Geschwätz von „der dritten Periode" usw. Endlich – und das ist das wichtigste – wird ihr Unglaube an die proletarische Revolution durch den Unglauben an die Kommunistische Partei von Seiten der Millionen der sozialdemokratischen Arbeiter genährt. Selbst ein Kleinbürgertum, das völlig durch die Ereignisse aus der konservativen Furche geschlagen worden ist, kann sich nur dann auf die Seite der sozialen Revolution schlagen, wenn sich auf dieser Seite die Sympathie der Mehrheit der Arbeiter befindet. Gerade diese wichtigste Bedingung fehlt in Deutschland noch. Und sie fehlt nicht zufällig.

Die Programmerklärung der deutschen Kommunistischen Partei vor den Wahlen war voll und ganz dem Faschismus, als dem Hauptfeind gewidmet, indessen ist der Faschismus als Sieger hervorgegangen, nachdem er nicht nur Millionen halbproletarischer Elemente, sondern auch Hunderttausende von Industriearbeitern gesammelt hat. Gerade darin zeigt sich jene Tatsache, dass trotz des parlamentarischen Sieges der Partei, die proletarische Revolution als Ganzes bei diesen Wahlen eine ernste Niederlage erlitten hat, natürlich nur eine Niederlage von vorläufigem, warnendem, aber nicht entscheidendem Charakter. Aber diese Niederlage kann eine entscheidende werden, und wird unweigerlich eine entscheidende werden, wenn die Kommunistische Partei es nicht verstehen wird, ihren isolierten parlamentarischen Sieg in Verbindung mit der obengenannten „vorläufigen" Niederlage der Revolution im Ganzen einzuschätzen und daraus alle notwendigen Folgerungen zu ziehen.

Der Faschismus ist in Deutschland zu einer wirklichen Gefahr geworden, als ein Ausdruck der akuten Ausweglosigkeit des bürgerlichen Regimes, der konservativen Rolle der Sozialdemokratie gegenüber diesem Regime und der akkumulierten Schwäche der Kommunistischen Partei im Kampf gegen dieses Regime. Wer das ableugnet, ist blind oder ein Schwätzer!

Im Jahre 1923 hat Brandler, entgegen unseren Warnungen, die Kräfte des Faschismus ungeheuerlich überschätzt. Aus dieser falschen Einschätzung des Kräfteverhältnisses ist die abwartende, ausweichende, abwehrende und feige Politik herausgewachsen. Das hat die Revolution zugrunde gerichtet. Solche Ereignisse können für das Bewusstsein aller Klassen des Volkes nicht spurlos vorübergehen. Die Überschätzung des Faschismus durch die Kommunistische Führung hat eine der Vorbedingungen für dessen weitere Verstärkung geschaffen. Der entgegengesetzte Fehler, die Unterschätzung des Faschismus von Seiten der gegenwärtigen Führung der Kommunistischen Partei kann die Revolution zu einer noch schwereren Katastrophe führen, an deren Folgen sie lange Zeit leiden wird.

Die Gefahr bekommt eine besondere Schärfe in Verbindung mit der Frage des Entwicklungstempos, das nicht allein von uns abhängt. Der malariaartige Charakter der politischen Kurve, der sich bei den Wahlen zeigte, spricht dafür, dass das Entwicklungstempo der nationalen Krise sich als ein sehr rasches erweisen kann. Mit anderen Worten, die Ereignisse können schon in der nächsten Zeit in Deutschland auf einer neuen historischen Höhe den alten tragischen Widerspruch zwischen einer reifen revolutionären Situation einerseits und der Schwäche und strategischen Unzulänglichkeit der revolutionären Partei andererseits entstehen lassen. Man muss das klar, offen und vor allen Dingen rechtzeitig aussprechen!

5. Die Kommunistische Partei und die Arbeiterklasse.

Es wäre ein ungeheuerlicher Fehler, wenn man sich damit trösten wollte, dass z. B. die Bolschewistische Partei 1917 nach der Ankunft Lenins, als sie sich erst zur Eroberung der Macht rüstete, weniger als 80.000 Mitglieder zählte und sogar in Petrograd nicht mehr als ein Drittel der Arbeiter und noch weit weniger Soldaten hinter sich führte. Die Lage in Russland war eine ganz andere. Die revolutionären Parteien sind erst im März aus der Illegalität hervorgetreten nach einer beinahe dreijährigen Unterbrechung selbst jenes erdrosselten politischen Lebens, das vor dem Kriege geführt wurde. Die Arbeiterklasse hat sich im Laufe des Krieges um 40 Prozent erneuert. Die überwiegende Mehrheit des Proletariats kannte die Bolschewiki gar nicht, sie hatte nicht einmal von ihnen gehört. Das Stimmen für die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre im März bis Juni war einfach nur ein Ausdruck der ersten schwankenden Schritte nach dem Erwachen. In dieser Abstimmung war nicht einmal der Schatten einer Enttäuschung über die Bolschewiki oder eines aufgespeicherten Misstrauens diesen gegenüber enthalten. Dieses Misstrauens kann nur infolge der Fehler der Partei, die die Masse am eigenen Leibe erfahren hat, entstehen. Im Gegenteil, jeder Tag der revolutionären Erfahrungen von 1917 stößt die Massen von den Sozialverrätern auf die Seite der Bolschewiki. Daraus folgt das stürmische, unaufhaltsame Wachsen der Reihen der Partei und besonders ihres Einflusses.

Die Lage in Deutschland hat in dieser Beziehung einen von Grund aus verschiedenen Charakter. Die deutsche Kommunistische Partei ist nicht erst seit gestern oder vorgestern auf die offene Szene getreten. 1923 stand halb oder ganz offen die Mehrheit der Arbeiterklasse auf Seiten der Kommunistischen Partei. Die Partei erhielt 1924 bei der fallenden Welle 3.600.000 Stimmen. Das ist ein größerer Prozentsatz der Arbeiterklasse, als es gegenwärtig der Fall ist. Das bedeutet, dass sowohl jene Arbeiter, die bei der Sozialdemokratie geblieben sind, als auch jene, welche dieses Mal für die Nationalsozialisten gestimmt haben, nicht aus Unkenntnis so gehandelt haben, nicht etwa deshalb, weil sie erst gestern erwacht sind oder noch nicht erfahren haben, was die Kommunistische Partei ist, sondern deshalb, weil sie auf Grund der Erfahrungen der letzten Jahre nicht mehr an die Kommunistische Partei glauben.

Wir dürfen nicht vergessen, dass im Februar 1928 das IX. EKKI-Plenum das Signal zu einem verstärkten, außerordentlichen, unversöhnlichen Kampf gegen die „Sozial-Faschisten" gegeben hat. Die deutsche Sozialdemokratie befand sich diese ganze Zeit an der Macht, wobei sie bei jedem ihrer Schritte ihre verräterische und schädliche Rolle vor den Massen offenbarte. Das alles wurde zuletzt von einer grandiosen wirtschaftlichen Krise gekrönt. Es ist schwer, sich eine günstigere Bedingung für die Schwächung der Sozialdemokratie zu denken. Diese hat indessen im Grund ihre Positionen bewahrt. Wie kann man diese erstaunliche Tatsache erklären? Nur dadurch, dass die Führung der Kommunistischen Partei durch ihre gesamte Politik die Sozialdemokratie unterstützte, indem sie diese von links stützte.

Das bedeutet durchaus nicht, dass die fünf bis sechs Millionen Arbeiter und Arbeiterinnen, welche für die Sozialdemokratie gestimmt haben, dieser dadurch ihr volles und unbegrenztes Vertrauen ausgedrückt haben. Man soll diese sozialdemokratischen Arbeiter nicht für Blinde halten. Sie sind nicht so naiv in Bezug auf ihre Führer, aber sie sehen in der gegenwärtigen Lage keinen anderen Ausweg für sich. Wir sprechen natürlich nicht von der Arbeiter-Aristokratie und -Bürokratie, sondern von dem einfachen Arbeiter. Die Politik der Kommunistischen Partei flößt ihnen nicht darum kein Vertrauen ein, weil die Kommunistische Partei eine revolutionäre Partei ist, sondern darum, weil sie nicht an deren Fähigkeit, den revolutionären Sieg zu erringen, glauben und nicht umsonst ihren Kopf riskieren wollen. Solche Arbeiter drücken, indem sie schweren Herzens für die Sozialdemokratie stimmen, nicht ihr Vertrauen zu dieser aus, sondern ihr Misstrauen gegenüber der Kommunistischen Partei. Darin besteht der ungeheure Unterschied zwischen der gegenwärtigen Lage der deutschen Kommunisten und der Lage der russischen Bolschewiki 1917.

Doch damit allein sind die Schwierigkeiten nicht erschöpft. Innerhalb der Kommunistischen Partei selbst, besonders inmitten der Sympathisierenden oder auch nur für sie stimmenden Arbeiter, besteht ein großer Vorrat von verhaltenem Misstrauen gegen die Führung der Partei. Daraus entsteht das, was man die „Disproportion" zwischen dem allgemeinen Einfluss der Partei und deren zahlenmäßigen Größe und besonders deren Rolle in den Gewerkschaften, nennt. In Deutschland existiert eine derartige Disproportion zweifellos. Offiziell erklärt man diese Disproportion damit, dass die Partei es nicht versteht, ihren Einfluss organisatorisch zu „erfassen". Hier wird die Masse als ein rein passives Material betrachtet, dessen Eintritt, oder Nichteintritt in die Partei ausschließlich davon abhängt, ob der betreffende Parteisekretär es versteht, jeden einzelnen Arbeiter beim Kragen zu, packen. Die Bürokraten können nicht begreifen, dass die Arbeiter ihre eigenen Gedanken, eigene Erfahrung, eigenen Willen und ihre eigene aktive oder passive Politik gegenüber der Partei besitzen. Die Arbeiter stimmen für die Partei, für deren Fahne, für die Oktober-Revolution, für ihre eigene zukünftige Revolution. Doch indem sie sich weigern, in die Kommunistische Partei einzutreten oder ihr im Gewerkschaftskampf zu folgen, sagen sie damit, dass sie kein Vertrauen zu der Tagespolitik der Partei haben. Diese „Disproportion" ist folglich letzten Endes eine Form der Äußerung von Misstrauen der Massen gegenüber der gegenwärtigen Führung der Komintern. Dieses Misstrauen ist entstanden und befestigt worden durch die Fehler, Niederlagen, Fälschungen und direkten Betrug der Massen im Laufe der Jahre 1923 bis 1930. Es stellt eines der größten Hindernisse auf dem Wege des Sieges der proletarischen Revolution dar.

Ohne inneres Selbstvertrauen wird die Partei niemals die Klasse erobern können. Ohne das Proletariat erobert zu haben, wird es ihr nicht gelingen, die kleinbürgerlichen Massen vom Faschismus loszureißen. Das eine ist unzertrennbar mit dem anderen verbunden.

6. Zurück zur „zweiten" Periode oder der „dritten" entgegen?

Wenn man die offizielle Terminologie des Zentrismus benutzen würde, so müsste man das Problem folgendermaßen formulieren: Die Führung der Komintern hat den nationalen Sektionen die Taktik der „dritten" Periode, d. h. die Taktik des unmittelbaren revolutionären Aufschwungs gerade in einer solchen Zeit (1928) aufgedrängt, welche besonders deutliche Züge der .„zweiten" Periode enthielt, d. h. die Stabilisierung der Bourgeoisie, das Fallen der revolutionären Welle. Die daraus entstandene Wendung von 1930 bedeutet den Verzicht auf die Taktik der „dritten" Periode zugunsten der Taktik der „zweiten" Periode. Diese Wendung hat sich aber ihren Weg über den bürokratischen Apparat erst in einem solchen Augenblick gebahnt, als die wichtigsten Symptome, wenigstens in Deutschland, bereits deutlich eine wirkliche Annäherung der „dritten" Periode anzeigten. Geht daraus nicht die Notwendigkeit einer neuen taktischen Wendung, – zugunsten der erst eben verlassenen „dritten" Periode hervor?

Wir benutzen diese Bezeichnungen deshalb, um die Problemstellung selbst für jene Kreise, deren Bewusstsein für die Methodologie und Terminologie der zentristischen Bürokratie verkleistert ist, zugänglicher zu machen. Wir beabsichtigen aber keineswegs diese Terminologie, hinter der die Vereinigung des Stalinschen Bürokratismus mit der Bucharinschen Metaphysik steckt, uns anzueignen. Wir lehnen die apokalyptische Vorstellung von der „dritten" Periode als von einer letzten ab; die Anzahl der Perioden bis zum Sieg des Proletariats ist eine Frage des Kräfteverhältnisses und der Änderung der Lage. Das alles kann nur durch die Tat erwiesen werden. Wir lehnen das Wesen des strategischen Schematismus mit seiner Nummerierung der Perioden ab; denn es gibt keine abstrakte, von vorn herein festgelegte Taktik für eine „zweite" und für eine „dritte“ Periode. Gewiss, man kann nicht den Sieg und die Eroberung der Macht ohne einen bewaffneten Aufstand erlangen. Aber wie kommt man zu einem bewaffneten Aufstand? Mit welchen Methoden, in welchem Tempo man die Massen mobilisieren soll, das hängt nicht nur von der objektiven Lage überhaupt ab, sondern vor allen Dingen von jenem Zustand, in welchem sich bei dem Eintritt der sozialen Krise im Lande das Proletariat befindet, von den Verhältnissen zwischen den Parteien und den Klassen, zwischen dem Proletariat und der Kleinbourgeoisie usw. Der Zustand des Proletariats am Vorabend der „dritten“ Periode hängt seinerseits davon ab, welche Taktik die Partei in der vorangegangenen Periode angewandt hat.

Eine normale und natürliche Veränderung der Taktik bei der gegenwärtigen Wendung der Lage in Deutschland müsste eine Beschleunigung des Tempo, Verschärfung der Kampfparolen und Methoden sein.

Allein diese taktische Wendung wäre nur dann normal und natürlich gewesen, wenn das Tempo und die Kampfparolen von gestern den Bedingungen der vorangegangenen Periode entsprochen hätten. Doch davon konnte keine Rede sein! Der scharfe Widerspruch zwischen der ultralinken Politik und der stabilisierten Lage bildet ja gerade den Grund der taktischen Wendung. Das Ergebnis war, dass im Augenblick, als die neue Wendung der objektiven Lage zugleich mit der ungünstigen allgemeinen Umgruppierung der politischen Kräfte, dem Kommunismus, einen großen Stimmengewinn brachte, die Partei strategisch und taktisch mehr desorientiert, verwirrt und unklar war, als es je der Fall war.

Um diese Widersprüche zu erklären, in welche die deutsche Kompartei geraten ist, genau so wie die meisten anderen Sektionen der Komintern, nur noch weit tiefer, wollen wir einen ganz einfachen Vergleich nehmen. Um einen Sprung über eine Barriere auszuführen, muss man vorher einen Anlauf nehmen. Je höher die Barriere ist, umso wichtiger ist es, diesen Anlauf rechtzeitig zu beginnen, nicht zu spät und nicht zu früh, damit man sich dem Hindernis mit dem nötigen Kräftevorrat nähern kann. Die deutsche Kompartei hat aber indessen seit Februar 1928, besonders aber seit Juli 1929, nichts anderes getan, als Anlauf genommen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass der Partei der Atem auszugehen beginnt und sie kaum noch die Füße schleppen kann. Endlich hat die Komintern „Kürzer treten!" befohlen. Kaum aber hat die außer Atem geratene Partei begonnen, einen normalen Schritt anzunehmen, als vor ihr, anscheinend, die Silhouette keiner erdachten, sondern einer wirklichen Barriere sichtbar wurde, welche einen revolutionären Sprung erfordern kann. Genügt die Entfernung noch für einen Anlauf? Soll man auf die Wendung verzichten und eine entgegengesetzte Wendung machen? – das sind die taktischen und strategischen Fragen, die sich nun in ihrer ganzen Schärfe vor der deutschen Partei erheben.

Damit die führenden Parteikaders die richtige Antwort auf diese Frage finden können, müssen sie die Möglichkeit haben, den nächsten Wegabschnitt in Verbindung mit der gesamten Strategie der letzten Jahre, und deren Folgen, die sich in den letzten Wahlen gezeigt haben, bewerten zu können. Wenn es aber der Bürokratie, im Gegenteil, durch ihr Geschrei von dem Sieg gelingt, die Stimme der Selbstkritik zu ersticken, so würde das unfehlbar das Proletariat zu einer noch schrecklicheren Katastrophe führen, als es 1923 der Fall war.

7. Die möglichen Varianten der weiteren Entwicklung.

Die revolutionäre Situation, welche vor dem Proletariat das unmittelbare Problem der Machteroberung stellt, setzt sich aus objektiven und subjektiven Elementen zusammen, die miteinander verbunden sind und in bedeutendem Maße einander bedingen. Doch diese gegenseitige Bedingtheit ist relativ. Das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung erstreckt sich auch auf die Faktoren der revolutionären Situation. Die ungenügende Entwicklung eines der Faktoren kann dazu führen, dass entweder die revolutionäre Situation überhaupt nicht zum Ausbruch kommt, sondern im Sande verläuft, oder, wenn sie zum Ausbruch kommt, mit der Niederlage der revolutionären Klasse endet. Wie ist in dieser Beziehung die Lage in Deutschland?

1. Die tiefe nationale Krise (die Wirtschaft, die internationale Lage) ist unbedingt vorhanden. Auf dem normalen Wege des bürgerlich-parlamentarischen Regimes ist ein Ausweg nicht zu sehen.

2. Die politische Krise der herrschenden Klasse und seines Regierungssystems ist zweifellos vorhanden. Das ist keine parlamentarische Krise, sondern eine Krise der Klassenherrschaft.

3. Allein die revolutionäre Klasse ist in ihrem Innern durch tiefe Widersprüche zersplittert. Die Verstärkung der revolutionären Partei auf Kosten der reformistischen befindet sich noch im Anfangsstadium und geht in einem Tempo vor sich, welches der gegenwärtigen Tiefe der Krise bei weitem nicht entspricht.

4. Das Kleinbürgertum hat bereits bei Beginn der Krise eine Stellung eingenommen, welche das gegenwärtige System der Herrschaft des Kapitals bedroht, aber gleichzeitig eine tödliche Feindschaft gegenüber der proletarischen Revolution in sich birgt.

Mit andern Worten, die wichtigsten objektiven Vorbedingungen der proletarischen Revolution sind vorhanden. Vorhanden ist eine ihrer politischen Vorbedingungen (der Zustand der regierenden Klasse). Die andere der politischen Vorbedingungen (der Zustand des Proletariats) hat sich erst zugunsten der Revolution zu verändern begonnen und kann sich nicht, ein Erbe der Vergangenheit, rasch verändern. Die dritte politische Vorbedingung endlich (der Zustand des Kleinbürgertums) neigt sich nicht zugunsten der proletarischen Revolution, sondern zugunsten der bürgerlichen Konterrevolution. Eine Änderung dieser letzten Vorbedingung nach der günstigen Seite hin kann nur durch eine radikale Änderung im Proletariat selbst erzielt werden, d. h. durch die politische Liquidierung der Sozialdemokratie.

Wir haben somit eine sehr widerspruchsvolle Lage. Der eine ihrer Faktoren stellt die proletarische Revolution auf die Tagesordnung; die anderen Faktoren dagegen schließen die Möglichkeit eines Sieges der proletarischen Revolution für die nächste Periode, d. h. ohne eine vorhergehende tiefe Veränderung in dem politischen Kräfteverhältnis, aus.

Theoretisch sind für die weitere Entwicklung der jetzigen Lage in Deutschland mehrere Varianten denkbar, die sowohl von objektiven Gründen, zu denen auch die Politik der Klassenfeinde gehört, wie auch von der Haltung der Kommunistischen Partei selbst abhängig sind.

Wir zeichnen hier ein Schema von vier möglichen Entwicklungsvarianten auf:

1. Die Kommunistische Partei, erschrocken vor ihrer eigenen Strategie der dritten Periode, geht tastend, mit äußerster Vorsicht, unter Vermeidung jedes gewagten Schrittes, vor und verpasst kampflos die revolutionäre Situation. Das würde eine neue Auflage der Politik Brandlers von 1921-1923 bedeuten. In diese Richtung, welche den Druck der Sozialdemokratie widerspiegelt, werden die Brandlerianer und Halb-Brandlerianer in und außerhalb der Partei, diese stoßen.

2. Unter dem Einfluss des Wahlerfolges wird die Partei, im Gegenteil, eine neue, schroffe Wendung nach links vornehmen, zum direkten Kampf um die Macht und wird als die Partei der aktiven Minderheit eine katastrophale Niederlage erleiden. In dieser Richtung stößt sie der Faschismus; die schreiende, unkluge, nichts erwägende, unaufgeklärte und betäubende Agitation des Apparats; die Verzweiflung und Ungeduld eines Teiles der Arbeiterklasse, besonders der arbeitslosen Jugend.

3. Weiter ist es möglich, dass die Führung, auf nichts verzichtend, versuchen wird, empirisch die mittlere Linie zwischen den beiden Varianten zu finden; sie wird dabei eine Reihe neuer Fehler begehen und überhaupt so langsam das Misstrauen des Proletariats und der halbproletarischen Massen zu überwinden beginnen, dass unterdessen die objektiven Bedingungen bereits verändert sein werden nach einer für die Revolution ungünstigen Seite hin, indem sie einer neuen Stabilisierungswelle Platz macht. Nach dieser eklektischen Richtung hin, welche den allgemeinen Chwostismus (Schwanzpolitik) mit teilweisen Abenteuern verbindet, stößt die deutsche Partei hauptsächlich die Moskauer Stalinsche Spitze, die eine klare Stellungnahme einzunehmen fürchtet und sich von vornherein ein Alibi vorbereitet, d. h. die Möglichkeit, die Verantwortung auf die „Ausführenden" abzuwälzen, – nach rechts oder nach links, je nach den Ergebnissen. Das ist die uns genügend bekannte Politik, welche die internationalen historischen Interessen des Proletariats im Interesse des „Prestige" der bürokratischen Spitze opfert. Theoretische Voraussetzungen eines solchen Kursus sind bereits in der „Prawda" vom 16. September enthalten.

4. Endlich die günstigste, oder richtiger gesagt, die einzigste günstige Möglichkeit: die deutsche Partei, mit Hilfe ihrer besten, bewusstesten Elemente, legt sich klare Rechenschaft über alle Widersprüche der gegenwärtigen Situation ab. Es gelingt der Partei durch eine richtige, kühne, biegsame Politik, noch auf der Grundlage der jetzigen Situation die Mehrheit des Proletariats zu vereinigen und eine Frontänderung der halbproletarischen und der am meisten geknechteten kleinbürgerlichen Massen zu erzwingen. Die proletarische Avantgarde, die Führerin des werktätigen und geknechteten Volkes, erringt den Sieg. Der Partei zu helfen, ihre Politik in diese Richtung zu verlegen, ist die Aufgabe der Bolschewiki-Leninisten (linke Opposition).

Es wäre fruchtlos, raten zu wollen, welche dieser Möglichkeiten die meisten Chancen auf Verwirklichung in der nächsten Periode besitzt. Derartige Fragen werden nicht durch Rätselraten, sondern durch Kampf gelöst.

Eines der wichtigsten Elemente dieses Kampfes bildet der unversöhnliche ideologische Kampf gegen die zentristische Führung der Komintern. Aus Moskau hat man bereits das Signal für die bürokratische Prestigepolitik gegeben, welche die Fehler von gestern deckt und durch ihr falsches Geschrei von dem neuen Triumph der Parteilinie die Fehler von morgen vorbereitet. Indem die „Prawda" ungeheuerlich den Sieg der Partei übertreibt und die Schwierigkeiten ungeheuerlich verkleinert, wobei sie sogar die Erfolge der Faschisten als einen positiven Faktor der Revolution auslegt, macht sie dabei eine kleine Klausel: „Die Erfolge der Partei dürfen ihr nicht den Kopf schwindlig machen." Die treubrüchige Politik der Stalinschen Politik bleibt sich auch hier gleich. Die Analyse der Lage wird im Geist einer unkritischen Ultralinksheit gegeben. Die Partei wird dadurch bewusst auf den Weg des Putschismus gestoßen. Zu gleicher Zeit bereitet sich Stalin ein Alibi vor mit Hilfe der rituellen Phrase über „den Kopf schwindlig machen". Gerade diese kurzsichtige und unehrliche Politik kann der deutschen Revolution den Untergang bringen.

8. Wo ist der Ausweg?

Wir haben weiter oben eine Analyse der Schwierigkeiten und Gefahren ohne jede Einschränkung und Schönfärberei gegeben; sie bezieht sich ganz auf die politische subjektive Sphäre, die hauptsächlich aus den Fehlern und Verbrechen der Epigonenführung entstanden ist und die heute offen die revolutionäre Situation, die sich vor unseren Augen bildet, zu sprengen droht. Die Beamten-Bürokraten werden entweder vor unserer Analyse die Augen verschließen oder sie werden ihren Vorrat an Beschimpfungen erneuern. Allein es geht hier nicht um die hoffnungslosen Bürokraten, sondern um das Schicksal des deutschen Proletariats. Es gibt in der Partei, einschließlich des Apparats, genügend Leute, die beobachten und denken und die durch die zugespitzte Lage morgen gezwungen werden, mit doppeltem Eifer nachzudenken. An sie wenden wir uns auch mit unserer Analyse und Schlussfolgerungen.

Jede kritische Lage birgt in sich eine Quelle von Unvorhergesehenem. Stimmungen, Ansichten und Kräfte, feindselige oder freundschaftliche, bilden sich erst im Verlaufe des Prozesses der Krise selbst. Man kann sie nicht mathematisch vorausberechnen. Man muss sie im Prozess des Kampfes, durch den Kampf werten und auf Grund dieser lebendigen Wertungen in die eigene Politik die notwendigen Richtigstellungen: einfügen.

Kann man die Stärke des konservativen Widerstandes der sozialdemokratischen Arbeiter im Voraus berechnen? Nein! Diese Kraft erscheint im Licht der Ereignisse der letzten Jahre eine gigantische. Jedoch das Wesen der Sache besteht gerade darin, dass der Zusammenschluss der Sozialdemokratie am allermeisten durch die falsche Politik der Kompartei begünstigt wurde, jener Politik, deren höchste Ausdrucksform die unsinnige Theorie vom Sozialfaschismus bildete. Um die wirkliche Widerstandsfähigkeit der sozialdemokratischen Reihen berechnen zu können, braucht man ein anderes Messgerät, d. h. eine richtige kommunistische Taktik. Unter dieser Bedingung, – und das ist keine geringe Bedingung, – kann sich in einer verhältnismäßig geringen Frist herausstellen, bis zu welchem Grade die Sozialdemokratie im Innern zersetzt ist.

In einer anderen Form bezieht sich das oben Gesagte auch auf den Faschismus. Neben sonstigen vorhandenen Bedingungen ist der Faschismus auf der Hefe der Sinowjew-Stalinschen Strategie aufgegangen. Wie stark ist seine Angriffskraft? Wie ist seine Widerstandsfähigkeit? Hat er bereits den Kernpunkt erreicht, wie das uns die Optimisten von Beruf versichern, oder befindet er sich erst auf der ersten Stufe? Das kann man nicht mechanisch voraussagen. Das kann man nur durch die Tat bestimmen. Gerade in Bezug auf den Faschismus, der ein Rasiermesser in den Händen des Klassenfeindes darstellt, kann eine falsche Politik der Kommunistischen Partei in einer sehr kurzen Frist zu fatalen Ergebnissen führen. Andererseits kann die richtige Politik, wenn auch freilich nicht in einer solch kurzen Frist, die Positionen des Faschismus untergraben.

Eine revolutionäre Partei ist während der Krisen eines Regimes stärker im außerparlamentarischen Massenkampf als im Rahmen des Parlamentarismus. Aber wiederum nur unter der einzigen Bedingung: wenn die Partei die Lage richtig einschätzt und es versteht, die lebendigen Bedürfnisse der Massen mit der Aufgabe der Eroberung der Macht zu verbinden. Das ist jetzt der Kernpunkt der ganzen Sache.

Es wäre deshalb der größte Fehler, wenn man in der gegenwärtigen Lage Deutschlands nur Schwierigkeiten und Gefahren sehen wollte. Nein, die Lage eröffnet auch ungeheure Möglichkeiten unter der Bedingung, dass man sie klar und bis zu Ende erfasst und richtig ausnutzt.

Was ist dazu notwendig?

1. Die erzwungene Wendung nach „rechts", während die Lage eine Wendung nach „links" macht, verlangte eine besonders aufmerksame, gewissenhafte und verständnisvolle Beobachtung der weiteren Veränderung sämtlicher Faktoren der Lage.

Man muss die abstrakte Gegenüberstellung der Methoden der zweiten und dritten Periode über Bord werfen. Man muss die Situation so nehmen, wie sie ist, mit allen ihren Widersprüchen und der lebendigen Dynamik ihrer Entwicklung. Man muss aufmerksam sich an die realen Veränderungen der Lage anpassen und auf sie in der Richtung ihrer wirklichen Entwicklung einwirken, nicht aber zu Gefallen des Schema von Molotow und Kusinen..

Sich in der Lage orientieren zu können, ist der wichtigste und schwierigste Teil der Aufgabe. Mit bürokratischen Methoden ist diese Aufgabe nicht zu lösen. Die Statistik, so wichtig diese an sich auch ist, ist für diesen Zweck unwichtig. Man muss tagtäglich die verborgensten Wunden des Proletariats und der Arbeitenden überhaupt untersuchen. Man muss nicht nur lebendige und packende Losungen aufstellen, sondern auch darauf achten, welchen Widerhall sie in Massen finden. Das kann man nur durch eine aktive Partei erreichen die überallhin ihre zehntausende Fühlhörner ausstreckt, Feststellungen sammelt, über alle Fragen diskutiert und aktiv ihre kollektive Ansicht herausarbeitet.

2. Untrennbar damit ist die Frage des Partei-Regimes verbunden. Menschen, die von Moskau bestimmt werden, ganz unabhängig vom Vertrauen oder Misstrauen der Partei, vermögen nicht die Massen zum Sturm auf die kapitalistische Gesellschaft zu führen. Je künstlicher das gegenwärtige Regime ist, desto tiefer wird seine Krise in den Tagen und Stunden der Entscheidung sein. Die wichtigste und unaufschiebbarste von allen „Wendungen" betrifft die Wendung des Partei-Regimes. Das ist eine Frage auf Leben und Tod.

3. Die Änderung des Regimes ist eine Voraussetzung des Kurswechsels und gleichzeitig eine Folge des letzteren. Das eine ist ohne das andere undenkbar. Die Partei muss sich von der Atmosphäre der Lüge, der Bedingtheiten, des Verschweigens von wirklichen Nöten, der Verherrlichung scheinbarer Werte, mit einem Worte, von der verderblichen Atmosphäre des Stalinismus, der nicht durch ideologischen und politischen Einfluss gebildet wird, sondern durch die materielle Abhängigkeit des Apparates, durch die darauf bedingten Methoden des Kommandierens, loslösen.

Eine der wichtigsten Vorbedingungen der Befreiung der Partei aus der bürokratischen Gefangenschaft bildet die generelle Überprüfung der „Generallinie" der deutschen Leitung, angefangen mit dem Jahre 1923, sogar mit den Märztagen 1921. Die linke Opposition veröffentlichte in einer Reihe von Dokumenten und theoretischen Arbeiten ihre Einschätzung sämtlicher Etappen der unglückseligen Politik der Komintern. Diese Kritik muss ein Besitz der Partei werden. Er wird nicht gelingen ihr auszuweichen oder sie zu verschweigen. Die Partei wird sich niemals zu dem Niveau ihrer großen Aufgaben erheben, wenn sie nicht ganz offen ihr Heute im Lichte ihrer Vergangenheit einschätzt,

4. Wenn die Kommunistische Partei, trotz der ausnehmend günstigen Bedingungen, sich als zu schwach erwiesen hat, das Gebäude der Sozialdemokratie mit Hilfe der Formel des „Sozialfaschismus" zu erschüttern, so bedroht der wirkliche Faschismus jetzt dieses Gebäude bereits nicht nur durch Pseudoformeln des Wortradikalismus, sondern auch durch chemische Formeln der Sprengstoffe. Mag jene Feststellung, dass die Sozialdemokratie durch ihre gesamte Politik das Aufblühen des Faschismus vorbereitet, noch so richtig sein, nicht weniger richtig bleibt es, dass der Faschismus eine tödliche Bedrohung vor allem der Sozialdemokratie selbst bildet, deren ganze Herrlichkeit untrennbar mit den parlamentarisch-demokratisch-pazifistischen Formen und Methoden des Staates verbunden ist.

Dass die Führer der Sozialdemokratie und eine dünne Schicht der Arbeiter-Aristokratie den Triumph des Faschismus der revolutionären Diktatur des Proletariats vorziehen werden, darüber kann gar kein Zweifel bestehen. Doch gerade das Herannahmen einer solchen Entscheidung bringt der sozialdemokratischen Führung außerordentliche Schwierigkeiten vor dem Angesicht ihrer eigenen Arbeiter. Die Politik der Einheitsfront der Arbeiter gegen den Faschismus wird durch die ganze Lage bedingt. Sie eröffnet der Kommunistischen Partei ungeheure Möglichkeiten. Die Bedingung eines Erfolges bildet der Verzicht auf die Theorie und die Praxis des „Sozial-Faschismus", deren Schädlichkeit unter den gegenwärtigen Bedingungen direkt katastrophal wird.

Die soziale Krise muss unfehlbar tiefe Risse innerhalb der Sozialdemokratie bilden. Die Radikalisierung der Massen wird auch die sozialdemokratischen Massen erfassen, lange bevor diese aufhören, Sozialdemokraten zu sein. Wir werden unfehlbar gezwungen werden, mit verschiedenen sozialdemokratischen Organisationen und Fraktionen Abmachungen gegen den Faschismus abzuschließen, indem wir dabei den Führern vor dem Angesicht der Massen bestimmte Bedingungen stellen werden. Nur erschrockene Opportunisten, die gestrigen Bundesgenossen von Purcell und Cook, von Tschiang Kai-schek und Wan Tin-wai können sich im Voraus durch eine formelle Verpflichtung gegen derartige Abmachungen binden. Man muss vom der leeren bürokratischen Phrase von der Einheitsfront zur Politik der Einheitsfront zurückkehren, wie sie von Lenin formuliert und ständig von den Bolschewiki angewandt worden ist, besonders 1917.

5. Das Problem der Arbeitslosigkeit bildet eine der wichtigsten Bestandteile der politischen Krise. Der Kampf gegen die kapitalistische Rationalisierung und für den 7-Stunden-Tag bleibt voll und ganz auf der Tagesordnung. Jedoch nur die Parole einer umfassenden und planmäßigen Zusammenarbeit mit der Sowjet-Union kann diesen Kampf auf die Höhe der revolutionären Aufgaben erhöhen. In der Programmdeklaration zu den Wahlen erklärt das ZK der deutschen Partei, dass die Kommunisten nach der Machtergreifung ein wirtschaftliches Zusammenarbeiten mit der UdSSR herstellen werden. Das ist zweifellos. Doch man kann nicht eine historische Perspektive den politischen Aufgaben des heutigen Tages gegenüberstellen. Man muss die Arbeiter, und in erster Linie die Arbeitslosen, schon heute unter der Parole einer breiten wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Sowjet-Republik mobilisieren. Der Gosplan (Behörde zur Ausarbeitung des Staatsplanes) muss unter Teilnahme der deutschen Kommunisten und Gewerkschaftler einen Plan der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ausarbeiten, der von der jetzigen Arbeitslosigkeit ausgehend zu einer allseitigen Mitarbeit führen und alle Hauptgebiete der Wirtschaft umfassen muss. Die Aufgabe besteht nicht darin, dass man verspricht, nach der Machtergreifung, die Wirtschaft umzubauen, sondern darin, dass man die Macht ergreift. Die Aufgabe besteht nicht darin, dass man eine Zusammenarbeit von Sowjet-Deutschland mit der UdSSR verspricht, sondern darin, dass man heute die Arbeitermassen für diese Zusammenarbeit gewinnt, indem diese eng mit der Krise und der Arbeitslosigkeit verbindet und diese Zusammenarbeit im weiteren Verlauf zu einem gigantischen Plan des sozialistischen Umbaus der beiden Länder umbaut.

6. Die politische Krise in Deutschland macht das Regime von Versailles fraglich. Das ZK. der deutschen Kompartei erklärt, dass das deutsche Proletariat nach der Machtergreifung den Vertrag von Versailles zerreißen wird. Ist das alles? Die Zerreißung des Versailler Vertrags als die höchste Errungenschaft der proletarischen Revolution! Was wird man aber an seine Stelle setzen? Darüber wird kein Wort gesagt. Solche negative Fragestellung nähert die Partei dem National-Sozialismus. Die Vereinigten Sowjetstaaten von Europa – ist die einzige richtige Losung, die den Ausweg aus der europäischen Zerrissenheit zeigt, die nicht nur Deutschland allein, sondern das gesamte Europa mit einem völligen wirtschaftlichen und kulturellen Niedergang bedroht.

Die Losung der proletarischen Vereinigung Europas bildet gleichzeitig eine sehr wichtige Waffe im Kampf gegen den niederträchtigen faschistischen Chauvinismus, gegen die Frankreichhetze usw. Am unrichtigsten und gefährlichsten ist eine solche Politik, die in der passiven Anpassung an den Feind besteht. Den Losungen der nationalen Verzweiflung, der nationalen Besessenheit muss man die Parolen des internationalen Auswegs entgegenstellen. Aber dazu ist es notwendig, dass man die eigene Partei von dem Gift des National-Sozialismus reinigt, dessen wichtigstes Element die Theorie vom Sozialismus in einem Lande ist.

Um alles oben Gesagte auf eine einfache Formel zu bringen, stellen wir die Frage folgendermaßen: soll die Taktik der Kommunistischen Partei in der nächsten Periode unter dem Zeichen der Verteidigung oder des Angriffs geführt werden? Wir antworten: der Verteidigung.

Wenn der Zusammenstoß infolge eines Angriffs der Kommunistischen Partei heute erfolgen sollte, so würde die proletarische Avantgarde sich den Kopf an dem Block des Staates mit dem Faschismus einrennen, bei der erschrockenen und unschlüssigen Neutralität der Mehrheit der Arbeiterklasse und bei einer Unterstützung des Faschismus seitens der Mehrheit des Kleinbürgertums. Die Position der Verteidigung bedeutet die Politik der Annäherung an die Mehrheit der deutschen Arbeiterklasse und die Einheitsfront mit den sozialdemokratischen und parteilosen Arbeitermassen gegen die faschistische Gefahr.

Diese Gefahr leugnen, verkleinern oder leichtsinnig zu behandeln, wäre das größte Verbrechen, das man jetzt an der proletarischen Revolution in Deutschland begehen könnte.

Was würde die Kommunistische Partei „verteidigen"? Die Weimarer Verfassung? Nein, diese Aufgabe überlassen wir Brandler. Die Kommunistische Partei muss zur Verteidigung jener materiellen und geistigen Positionen aufrufen, die das Proletariat in Deutschland bereits errungen hat. Es geht unmittelbar um das Schicksal seiner politischen Organisationen, seiner Gewerkschaften, seiner Zeitungen und Druckereien, seiner Heime und Bibliotheken usw. Der kommunistische Arbeiter muss zum sozialdemokratischen Arbeiter sagen: „Die Politik unserer Parteien ist unversöhnlich; doch wenn die Faschisten heute Nacht kommen werden, um die Räume Deiner Organisation zu zerstören, so werde ich mit der Waffe in der Hand Dir zu Hilfe kommen. Versprichst Du, dass Du, wenn die Gefahr meine Organisation bedrohen wird, ebenfalls zu Hilfe kommen wirst?" Das ist die Quintessenz der Politik der gegenwärtigen Periode. Die gesamte Agitation muss auf diesen Ton abgestimmt sein.

Je hartnäckiger, ernster und überlegter – ohne Geschrei und Prahlerei, die dem Arbeiter so schnell über werden – wir diese Agitation führen werden, je sachlicher die organisatorischen Verteidigungsmaßnahmen sein werden, die wir in jedem Betriebe, in jedem Arbeiterviertel und Bezirk vorschlagen, um so weniger Gefahr ist vorhanden, dass der Angriff der Faschisten uns überraschen wird, um so mehr Sicherheit besteht, dass dieser Angriff die Arbeiterreihen zusammenschweißen und nicht spalten wird.

Gerade die Faschisten werden dank ihres schwindelnden Erfolges und dank des kleinbürgerlichen, undisziplinierten Bestandes ihrer Armee in der nächsten Zeit geneigt sein, was den Angriff anbelangt, sich zu übernehmen. Mit ihnen jetzt auf diesem Wege zu konkurrieren, wäre nicht nur hoffnungslos, sondern auch auf den Tod gefährlich. Im Gegenteil, je mehr die Faschisten in den Augen der sozialdemokratischen Arbeiter und der werktätigen Massen überhaupt als der angreifende Teil erscheinen wird und wir als der verteidigende, um so größer werden unsere Chancen sein, nicht nur den Angriff der Faschisten niederzuschlagen, sondern auch unserseits zu einem erfolgreichen Angriff überzugehen. Die Abwehr muss wachsam, aktiv und kühn sein. Der Stab muss das gesamte Schlachtfeld übersehen, und alle Änderungen berechnen, um sich nicht den neuen Umschwung der Lage entgehen zu lassen, wenn es erforderlich sein wird, das Signal zum Gegenangriff zu geben.

Es gibt Strategen, die stets und unter jeder Bedingung für die Verteidigung sind. Zu ihnen gehören z. B. die Brandlerianer. Doch sich dadurch, dass sie, die Brandlerianer, auch heute ebenfalls von Verteidigung sprechen, in Verlegenheit bringen zu lassen, wäre die reinste Kinderei: sie machen das immer. Die Brandlerianer sind eines der Sprachrohre der Sozialdemokratie. Unsere Aufgabe besteht darin, dass wir, nachdem wir uns dem sozialdemokratischen Arbeiter auf der Grundlage der Verteidigung genähert haben, sie zum entscheidenden Angriff führen. Die Brandlerianer sind dazu absolut unfähig. In dem Augenblick, wenn die Kräfteverhältnisse sich radikal zugunsten der proletarischen Revolution ändern werden, werden die Brandlerianer wiederum Ballast und Bremse derselben sein. Die Politik der Verteidigung, die auf eine Annäherung an die sozialdemokratischen Massen berechnet ist, bedeutet darum auf keinen Fall eine Abschwächung der Widersprüche gegenüber dem Stab der Brandlerianer, hinter welchem keine Massen stehen und niemals stehen werden.

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In Verbindung mit den oben charakterisierten Kräftegruppierungen und Aufgaben der proletarischen Avantgarde erhalten die Methoden der physischen Erledigung, welche die Stalinsche Bürokratie in Deutschland und den anderen Ländern in Bezug auf die Bolschewiki-Leninisten anwendet, eine ganz besondere Bedeutung. Das ist ein direkter Hilfsdienst für die sozialdemokratische Polizei und für die Stoßbanden des Faschismus. Diese Methoden, welche von Grund aus den Traditionen der proletarischen Bewegung widersprechen, entsprechen um so mehr dem Geiste der kleinbürgerlichen Beamten, welche von oben gesicherte Gehälter bekommen und am meisten befürchten, diese beim Eintritt der Parteidemokratie zu verlieren. Gegen die Stalinistische Niederträchtigkeiten ist eine breite Aufklärungsarbeit erforderlich, welche möglichst konkret die Rolle der unwürdigen Beamten des Parteiapparates entlarvt. Die Erfahrungen der UdSSR. und der andern Länder bezeugt, dass gerade jene Herrschaften, gegen die linke Opposition mit größter Heftigkeit kämpfen, welche ihre Sünden und Verbrechen vor den hohen Vorgesetzten verbergen müssen: Veruntreuung öffentlicher Gelder, Missbrauch der Amtsgewalt, oder einfach völlige Unfähigkeit. Es ist ganz klar, dass die Entlarvung der Gewalttätigkeiten des Stalinschen Apparates gegen die Bolschewiki-Leninisten umso erfolgreicher sein wird, je breiter wir unsere allgemeine Agitation auf der Grundlage der oben geschilderten Aufgaben entfalten.

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Wir haben die Frage der taktischen Wendung der Komintern ganz ausschließlich im Licht der Lage in Deutschland betrachtet. Denn erstens stellt die deutsche Krise jetzt die deutsche Kommunistische Partei wiederum in das Zentrum der Aufmerksamkeit der internationalen proletarischen Avantgarde, und weil im Lichte dieser Krise alle Probleme mit besonderer Schärfe hervortreten. Es wäre aber nicht schwer zu zeigen, dass das hier Gesagte mehr oder weniger auch auf andere Länder zutrifft.

In Frankreich sind alle Formen des Klassenkampfes nach dem Kriege von einem ungleich weniger scharfen und entschiedenen Charakter als in Deutschland, Im Allgemeinen ist aber die Entwicklungstendenz dieselbe, ganz abgesehen von der unmittelbaren Abhängigkeit des Schicksals Frankreichs vom Schicksal Deutschlands. Die Wendung der Komintern besitzt jedenfalls einen universellen Charakter. Die französische Kompartei, welche von Molotow bereits 1928 als die erste Kandidatin zur Machtergreifung erklärt wurde, führte in den letzten beiden Jahren eine vollkommen selbstmörderische Politik. Sie hat insbesondere den wirtschaftlichen Aufschwung verpasst. Die taktische Wendung in Frankreich wurde gerade in jenem Augenblick verkündet als die wirtschaftliche Belebung offensichtlich durch die Krise abgelöst wurde. Somit stehen die gleichen Widersprüche, Schwierigkeiten und Aufgaben, von denen wir bezüglich Deutschland gesprochen haben, auch in Frankreich auf der Tagesordnung.

Die Wendung der Komintern stellt in Verbindung mit der Wendung der Lage neue und äußerst wichtige Aufgaben vor die linke kommunistische Opposition. Ihre Kräfte sind nicht groß. Doch jede Bewegung wächst mit ihrer Aufgabe. Diese genau zu erkennen, bedeutet eines der wichtigsten Unterpfänder des Sieges zu erlangen.

Prinkipo, 26. September 1930.

L. Trotzki

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