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Leo Trotzki 19301012 Eine notwendige Warnung

Leo Trotzki: Eine notwendige Warnung

[nach Internationales Bulletin der Komunistischen Linksopposition, No. 2, Ende November 1930, S. 15 f.]

Die immer kritischere Lage der Stalinschen Fraktion in der UdSSR und der Komintern (ihre ideelle Basis ist vollkommen untergraben, und das wird sich mit jedem Tag immer deutlicher offenbaren), und die unzweifelhaften Erfolge der kommunistischen Linksopposition stoßen die Stalinisten auf den Weg weiterer Verschärfung des Kampfes gegen uns. Dieser Kampf nimmt und wird verschiedene Formen annehmen, die man auf drei Grundarten zurückzuführen kann: a) physische Maßregelung; b) Verleumdung; c) Provokation.

Die physischen Maßregelungen fühlen in der UdSSR zu legalen Morden an den Bolschewiki-Leninisten (Bljumkin, Silow, Rabinowitsch) durch die GPU, d.h. mittels der Agabekow, oder der Jagodas, die sich von den Agabekow durch nichts unterscheiden. In China und Griechenland geschehen die Ermordungen aus dem Hinterhalt. In den anderen Ländern ist die Sache noch nicht bis zu Mordtaten gediehen, man macht einstweilen bei Überfällen und Schlägereien halt (z. B. Leipzig).

Die Verleumdung nimmt ihrerseits verschiedenartige Formen, bewahrt dabei ihren unverändert niedrigen Charakter. So sprach auf Stalins Befehl Blücher von zwei Deserteuren-„Trotzkisten“ aus der Roten Armee im fernen Osten. Die Sowjetzeitungen schrieben über Eisenbahnsabotage durch Trotzkisten und eine von ihnen vorbereitete Eisenbahnkatastrophe. Solche und ähnliche Nachrichten, fabriziert unter unmittelbarer Leitung Stalins (auf diesem Gebiete ist er besonders stark), werden systematisch in Umlauf gesetzt. Ihr Ziel ist klar: weitere blutige Maßregelungen an untadeligen Revolutionären vorzubereiten, die sich weigern, die Oktoberrevolution preiszugeben.

In Europa hat diese Verleumdung notwendigerweise einen gemäßigteren und nebelhafteren Charakter: «Konterrevolutionär», «Gegen die Verteidigung der UdSSR», «Sie unterstützen die Sozialdemokratie», usw. Indem sie die proletarische Avantgarde zerstückeln, vergiften, schwächen, bemühen sich die Stalinisten, die Annäherung zwischen der Linksopposition und der proletarischen Parteibasis zu verhindern, denn eine solche Annäherung, die unerlässlich ist für die Erfolge des Kommunismus, würde der Apparatherrschaft Stalins einen harten Schlag versetzen. Hier bestätigt sich nochmals, dass das Stalinsche Regime zum Haupthindernis sowohl der Entwicklung der Sowjetunion, wie der Entwicklung der Komintern geworden ist.

Die dritte Kampfesform ist – die Provokation, die erheblich dadurch erleichtert wird, dass es um Mitglieder ein und derselben Partei geht. Die GPU durchsetzt die oppositionellen Zellen, Verbanntenkolonien usw. mit ihren Agenten, die dann Buße tun oder andere zur Buße drängen. Eben diese Agenten der GPU unterschieben der Opposition wirkliche oder vermeintliche «Wrangeloffiziere». Deserteure. Eisenbahnkatastrophen und bereiten auf dese Weise blutige Maßregelungen vor.

Ohne Zweifel wird in dem Maße, als die internationale Opposition wächst, die Methode der Provokation in immer breiterem Maße auch auf die anderen nationalen Sektionen angewendet werden. Hier erschließt sich ein Feld unermesslicher Gefahren. Stalin vermochte bereits zu beweisen, dass er im Kampfe gegen die Opposition vor nichts zurückschreckt, unter anderem auch nicht vor einem Block mit der bürgerlichen Diplomatie und bürgerlichen Polizei. Die Bedingungen der Ausweisung des Gen. Trotzkis in die Türkei sprechen allein für sich. Die Verständigung Stalins und Thälmanns mit der sozialdemokratischen Regierung über die Nichtzulassung des Genossen Trotzki nach Deutschland, die Unterhandlungen Cachins in derselben Sache mit Bessedowski und Dowgalewski, der Block Stalins mit dem deutschen Verleger des verleumderischen Buches Kerenskis, die skandalöse Ausweisung unseres Freundes Andreas Nin, des Führers der spanischen Kommunisten nach dem reaktionären Lettland; all das ist nur ein geringer Teil von Heldenstücken solcher Art. Die italienischen Stalinisten nannten in ihrer Presse die konspirativen Namen von Oppositionellen und setzten sie auf diese Weise den Schlägen der Polizei aus. Unnötig hinzuzufügen, dass die Agabekow. von denen es in den Organen der GPU wimmelt, dressiert zum Kampf gegen die Bolschewiki-Leninisten, durchaus fähig sind. Oppositionelle in die Hände der kapitalistischen Polizei zu liefern: dafür droht ihnen seitens Stalins jedenfalls keine Strafe.

Die Opposition ist auf dieser Weise immer mehr den gleichzeitigen und manchmal vereinigten Schlägen der Stalinschen Agentur und der bürgerlichen Polizei ausgesetzt, wobei sich nicht immer unterscheiden lässt, von wo gerade der Schlag ausgeht. So versuchten in den letzten Tagen zwei agents-provocateurs als Oppositionelle zu den Organen der Opposition durchzudringen, und nicht in Bezug auf jeden von ihnen ist leicht zu entscheiden ob er die Weisungen der polnischen Ochrana, der französischen Partei oder der Agentur Stalins erfüllt. Solche Fälle werden sich ohne Zweifel mehren.

Unsere Leipziger Genossen haben eine bemerkenswerte Maßhaltung bewiesen, indem sie sich weigerten, der auf Aufforderung von Nachbarn gekommenen sozialdemokratischen Polizei die Namen der Angreifer der Wohnung des Genossen Büchner anzugeben. Das Gericht über die Missetaten der Stalinschen Agentur erwarten wir nicht von der sozialdemokratischen Partei, sondern von den kommunistischen Arbeitern. Aber es ist vollkommen offenbar, dass, wenn sich die Überfälle und Provokationen häufen werden, sie mit unausweichlicher Logik des Kampfes zum Gegenstand der Öffentlichkeit werden, nicht zu sprechen, dass ein neuer Agabekow, einmal ins Lager der Bourgeoisie übergelaufen, in der bürgerlichen Presse von den Stalinschen Verschwörungen gegen die Opposition erzählen wird, so wie Bessedowski von seinen Unterhandlungen mit Cachin erzählte. Es ist durchaus klar, welche Vergiftung solche Tatsachen in die Arbeiter hinein tragen, und welchen Schaden sie letzten Endes den Interessen der UdSSR und der Komintern zufügen.

Welche Haltung soll die Opposition angesichts dieser Tatsachen von Gewalt, Verleumdung und Provokation einnehmen?

1) Wir lassen uns in unserer Politik nicht von blindem Hassgefühl gegen die Stalinsche Agentur leiten, sondern von einem poltischen Ziel: die verbrecherischen Methoden und ihre Autoren in den Augen der kommunistischen Arbeiter bloßzustellen.

2) Wir vermeiden sorgsam solche Schritte, die selbst durch direkte Schuld der Stalinisten – der UdSSR und der Komintern unmittelbaren oder mittelbaren Schaden verursachen können. Aber wir identifizieren nicht eine Minute die UdSSR und die Komintern mit der Stalinschen Fraktion.

3) Während wir alles tun, was in unserer Macht liegt, dass die Niederträchtigkeiten der Stalinschen Agentur gegen uns nicht vom Klassenfeind gegen das revolutionäre Proletariat ausgenützt werden können, muss gleichzeitig jede Tatsache von Gewalt, Verleumdung und Provokation, genau überprüft und von jeglicher Übertreibung gereinigt, allen kommunistischen Arbeitern im Wege von persönlichen Rundschreiben, Auftritten auf Parteiversammlungen zur Kenntnis gebracht werden.

4) Nach jedem neuen Fall, der geeignet ist, das revolutionäre Gewissen der kommunistischen Arbeiter wachzurufen, muss man immer wieder von neuem erklären, und wiederholen, dass die linke Opposition nur den offenen und kameradschaftlichen Ideenkampf im Interesse der proletarischen Revolution will, und dass die Opposition unablässig die Parteimitglieder auffordert zu ehrenhaften Formen des ideellen Kampfes, ohne was die Heranbildung wahrer Revolutionäre unmöglich ist.

5) Bei der Wahl von Konferenzdelegierten, Redakteuren, Mitgliedern von Lokal- und Zentralorganen der Opposition usw. usw. muss man auf genaue Art die Vergangenheit der Kandidaten überprüfen, um das Eindringen von agent-provocateurs zu verhindern. Eine der besten Formen der Überprüfung ist die Befragung von Arbeitern, mit denen die betreffende Person in dauernder Berührung bestanden hat.

6) In Fällen wo die oppositionellen Organisationen von einem neuen, durch die stalinistische Agentur angestifteten oder herbeigeführten Gewalt- oder Provokationsakt Kenntnis erhalten, kann es sich als zweckmäßig erweisen, die leitende Organe der offiziellen kommunistischen Partei schriftlich darauf aufmerksam zu machen, dass wir vor dem Angesicht der kommunistischen Arbeiter die Verantwortung für die sich vorbereitende Missetat der Führung auferlegen werden.

7) Von allen Fällen obenangeführten Charakters ist unverzüglich das Internationale Sekretariat unter genauer Angabe aller Umstände, der Namen der Beteiligten etc. in Kenntnis zu setzen. Dies wird uns die Möglichkeit zur Führung einer Kampagne im internationalen Maßstabe bieten.

Wir zweifeln keineswegs – und die gesamte vergangene Erfahrung der revolutionären Bewegung ist eine Bürgschaft hierfür, dass, wenn alle unsere Sektionen die nötige Maßhaltung, Ausdauer, und Wachsamkeit im Kampfe bewahren, die giftigen Methoden des Stalinismus sich gegen ihn selbst wenden und zur Festigung der Position der Bolschewiki-Leninisten dienen werden.

Das Internationale Sekretariat der kommunistischen Linksopposition.

Den 12. Oktober 1930.

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