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Leo Trotzki 19300826 Stalin und die chinesische Revolution

Leo Trotzki: Stalin und die chinesische Revolution

[Nach Trotzki: China. Die erwürgte Revolution. Band 2. Berlin 1975, S. 248-290]

Die chinesische Revolution von 1925-27 bleibt das größte Ereignis der modernen Geschichte nach der russischen Revolution von 1917. Über die Probleme der chinesischen Revolution haben sich die wesentlichen Strömungen des Kommunismus entzweit. Der augenblickliche offizielle Führer der Komintern, Stalin, hat bei den Ereignissen der chinesischen Revolution seinen wahren Charakter gezeigt. Die wesentlichen Dokumente, die die chinesische Revolution betreffen, sind zerstreut, verschüttet und vergessen. Manche werden sorgfältig verborgen.

Auf diesen Seiten wollen wir die wesentlichen Stadien der chinesischen Revolution im Lichte der Reden und Artikel Stalins und seiner engsten Mitarbeiter wiedergeben, wie auch die Entschlüsse der Komintern, die von Stalin diktiert wurden. Zu diesem Zweck verwenden wir Originaltexte aus unseren Archiven. Wir geben vor allem Auszüge aus einer Rede Tschitarows, eines jungen Stalinisten wieder, die auf dem XV. Kongress der KP der Sowjetunion gehalten und von Stalin vor der Partei versteckt wurde. Die Leser werden sich von der ungeheuren Bedeutung des Zeugnisses von Tschitarow überzeugen, einem jungen stalinistischen Karriere-Funktionär, Teilnehmer der chinesischen Ereignisse und gegenwärtig einer der Führer der Kommunistischen Jugendinternationale.

Um die Tatsachen und Zitate verständlicher zu machen, halten wir es für angebracht, die Leser an die Folge der wichtigsten Ereignisse der chinesischen Revolution zu erinnern.

20. März 1926 – Tschiang Kai-scheks erster Umsturz in Kanton.

Herbst 1926 – das VII. Plenum der EKKI mit Teilnahme eines Tschiang Kai-schek-Delegierten der Kuomintang.

13. April 1927 – Staatsstreich von Tschiang Kai-schek in Schanghai.

Ende Mai 1927 – konterrevolutionärer Umsturz der „Linken" Kuomintang in Wuhan

Ende Mai 1927 – VIII. Plenum der EKKI erklärt es zur Pflicht der Kommunisten, in der „Linken" Kuomintang zu bleiben.

August 1927 – die chinesische KP erklärt, dass der Kurs zum Aufstand eingeschlagen werden muss.

Dezember 1927 – Der Kanton-Aufstand.

Februar 1928 – das IX. Plenum der EKKI erklärt, dass für China der Kurs auf einen bewaffneten Aufstand und auf Sowjets eingeschlagen werden muss.

Juli 1928 – der VI. Kongress der Komintern lehnt die Losung des bewaffneten Aufstandes als undurchführbare Losung ab.

I. Der Block der vier Klassen

Stalins China-Politik beruhte auf dem Block der vier Klassen. Das Berliner Organ der Menschewiki lobte diese Politik folgendermaßen:

Am 10. April (1927) bewies Martinow in der Prawda äußerst wirksam in völlig menschewistischer Weise die Richtigkeit der offiziellen Position, die auf der Notwendigkeit besteht, den Block der vier Klassen beizubehalten, die jedoch nicht dafür ist, den Umsturz der Koalitionsregierung zu beschleunigen, in der die Arbeiter Seite an Seite mit der Großbourgeoisie sitzen, und ihr zu früh ,sozialistische Aufgaben' aufzuerlegen" (Sozialistitscheskij Westnik, Nr. 8, 23. April 1927, S. 4).

Wie sah die Politik der Koalition mit der Bourgeoisie aus? Wir wollen einen Auszug aus dem offiziellen Organ des Exekutivkomitees der Komintern zitieren:

Am 5. Januar 1927 gab die Regierung von Kanton ein neues Streikgesetz bekannt, in dem den Arbeitern verboten wird, bei den Demonstrationen Waffen zu tragen, Kaufleute und Industrielle festzunehmen, ihre Güter zu beschlagnahmen, und das Zwangsschiedssprüche für eine Reihe von Konflikten vorsieht. Dies Gesetz enthält eine Anzahl von Paragraphen, die die Interessen der Arbeiter schützen … Aber neben diesen Paragraphen gibt es andere, die die Freiheit zu streiken mehr beschränken, als das im Interesse der Verteidigung während eines revolutionären Krieges erforderlich ist" (Die Kommunistische Internationale, 1. März 1927, Nr. 9, S. 408).

In dem Strick, der von der Bourgeoisie um die Arbeiter geschlungen wird, werden die für die Arbeiter günstigen Fäden (Paragraphen) aufgespürt. Der Fehler der Schlinge liegt darin, dass sie stärker zugezogen wird, als „im Interesse der Verteidigung" (der chinesischen Bourgeoisie) erforderlich ist. Das steht in dem Zentralorgan der Komintern. Wer hat das geschrieben? Martinow! Und wann? Am 25. Februar, sechs Wochen vor dem Blutbad von Schanghai.

2. Die Perspektiven der Revolution nach Stalin

Wie beurteilte Stalin die Perspektiven der von seinem Verbündeten Tschiang Kai-schek geführten Revolution? Hier die am wenigsten skandalösen Teile von Stalins Erklärung (die allerschlimmsten Teile wurden niemals veröffentlicht):

Die revolutionären Armeen in China (d. h. die Armeen von Tschiang Kai-schek) sind der wichtigste Faktor im Kampf der chinesischen Arbeiter und Bauern für ihre Befreiung. Denn das Vorrücken der Kantonesen bedeutet einen Schlag gegen den Imperialismus, einen Schlag gegen seine Agenten in China und Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Organisationsfreiheit für alle revolutionären Elemente in China im Allgemeinen und für die Arbeiter im Besonderen". (Über die Perspektiven der chinesischen Revolution, S. 46).

Die Armee von Tschiang Kai-schek ist die Armee der Arbeiter und Bauern. Sie bringt der gesamten Bevölkerung Freiheit, für die Arbeiter im Besonderen".

Was braucht man für den Erfolg der Revolution? Sehr wenig:

Die studentische Jugend (die revolutionäre Jugend), die Arbeiterjugend, die Bauernjugend – sie alle sind eine Kraft, die die Revolution mit Sieben-Meilen-Stiefeln vorwärts bringen kann, wenn sie dem ideologischen und politischen Einfluss der Kuomintang untergeordnet würde" (ibid. S. 55).

Die Aufgabe der Komintern bestand also nicht darin, die Arbeiter und Bauern vom Einfluss der Bourgeoisie zu befreien, sondern im Gegenteil sie diesem Einfluss unterzuordnen. Das wurde in den Tagen geschrieben, in denen Tschiang Kai-schek, von Stalin bewaffnet, an der Spitze der untergeordneten Arbeiter und Bauern „mit Sieben-Meilen-Stiefeln" auf … den Staatsstreich von Schanghai losmarschierte.

3. Stalin und Tschiang Kai-schek

Nach dem Staatsstreich von Kanton, der im März 1926 von Tschiang Kai-schek ins Werk gesetzt worden war, und den unsere Presse stillschweigend überging, zu einer Zeit, als die Kommunisten auf die Rolle eines erbärmlichen Anhängsels der Kuomintang reduziert wurden und sogar eine Verpflichtung unterzeichneten, den Sun-Yat-Senismus nicht zu kritisieren, fing Tschiang Kai-schek an – tatsächlich ein bemerkenswertes Detail –, auf die Aufnahme der Kuomintang in die Komintern zu bestehen: Während er sich auf die Henkersrolle vorbereitete, wollte er die Deckung des Weltkommunismus und – er bekam sie. Die Kuomintang unter der Leitung von Tschiang Kai-schek und Hu Hanmin wurde in die Komintern aufgenommen (als eine „sympathisierende" Partei). Während er mit der Vorbereitung einer entscheidend konterrevolutionären Aktion im April 1927 beschäftigt war, sorgte Tschiang Kai-schek gleichzeitig dafür, mit Stalin Porträts auszutauschen. Diese Festigung der Freundschaftsbande wurde durch die Reise von Bubnow, einem Mitglied des Zentralkomitees und Agenten Stalins, zu Tschiang Kai-schek vorbereitet. Ein weiteres Detail: Bobnows Reise nach Kanton fiel mit dem Staatsstreich Tschiang Kai-schek im März zusammen. Was ist mit Bubnow los? Er brachte die chinesischen Kommunisten dazu, sich zu unterwerfen und still zu sein.

Nach dem Umsturz von Schanghai versuchten die Büros der Komintern auf Stalins Befehl zu leugnen, dass der Henker Tschiang Kai-schek immer noch Mitglied der Komintern war. Sie hatten die Wahl im Politbüro vergessen, als alle gegen eine Stimme (Trotzki) die Zulassung der Kuomintang in die Komintern mit beratender Stimme billigten. Sie hatten vergessen, dass auf dem VII. Plenum des EKKI, das die Linke Opposition verurteilte, „der Genosse Schao Lizi", ein Delegierter der Kuomintang teilnahm. Unter anderem sagte er: „Genosse Tschiang Kai-schek erklärte in seiner Rede an die Mitglieder der Kuomintang, dass die chinesische Revolution unzulässig wäre, wenn sie die Agrar-, d. h. die Bauernfragen nicht richtig lösen könnte. Die Kuomintang bemüht sich darum, dass nach der nationalistischen Revolution in China keine bürgerliche Herrschaft geschaffen werden soll, wie es im Westen geschah, wie wir es heute in allen Ländern außer der UdSSR sehen … Wir alle sind überzeugt, dass unter der Führung der Kommunistischen Partei und der Komintern die Kuomintang ihre historische Aufgabe erfüllen wird". (Protokolle der Erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale", deutsche Ausgabe, 30. November 1926, S. 403-4).

So standen die Dinge beim VII. Plenum im Herbst 1926. Nachdem das Mitglied der Komintern, „Genosse Tschiang Kai-schek", der versprochen hatte, alle Aufgaben unter der Leitung der Komintern zu lösen, nur eine löste: eben die Aufgabe einer blutigen Niederschlagung der Revolution, erklärte das VIII. Plenum im Mai 1927 in der Resolution über die chinesische Frage:

Das EKKI stellt fest, dass die Ereignisse die Prognose des VII. Plenums vollkommen gerechtfertigt haben."

Gerechtfertigt, und bis zum letzten Ende! Wenn das Humor ist, so jedenfalls kein freiwilliger. Wir dürfen allerdings nicht vergessen, dass dieser Humor dick mit Schanghaier Blut gefärbt ist.

4. Die Strategie Lenins und die Strategie Stalins

Welche Aufgaben stellte Lenin der Komintern in Bezug auf die rückständigen Länder?

Es ist notwendig, einen entschiedenen Kampf gegen den Versuch durchzuführen, die bürgerlich-demokratischen Befreiungsbewegungen in den rückständigen Ländern mit einem kommunistischen Mantel zu umgeben."

Unter der Befolgung dieser Lehre wurde die Kuomintang, die versprochen hatte, in China „kein bürgerliches Regime" zu errichten, in die Komintern aufgenommen.

Lenin erkannte selbstverständlich die Notwendigkeit eines zeitweiligen Bündnisses mit der bürgerlich-demokratischen Bewegung an, aber er verstand darunter natürlich kein Bündnis mit den bürgerlichen Parteien, die die kleinbürgerliche, revolutionäre Demokratie (die Bauern und die kleinen Leute in den Städten) täuschen und betrügen, sondern ein Bündnis mit den Organisationen und Gruppierungen der Massen selbst – gegen die Nationalbourgeoisie. In welcher Form stellte sich Lenin dann das Bündnis mit der bürgerlichen Demokratie der Kolonien vor? Auch hierauf gibt er in seinem Vortrag, der für den II. Kongress geschrieben wurde, eine Antwort:

Die Kommunistische Internationale sollte in ein zeitweises Bündnis mit der demokratischen Bourgeoisie der Kolonien und rückständigen Länder eintreten, aber sie sollte nicht mit ihr verschmelzen und muss den unabhängigen Charakter der proletarischen Bewegung bedingungslos aufrechterhalten, selbst in seiner embryonalen Form."

Es scheint, dass die Kommunistische Partei unter Befolgung der Beschlüsse vom II. Kongress dazu gebracht wurde, der Kuomintang beizutreten und die Kuomintang wurde in die Komintern aufgenommen. All das zusammen wird Leninismus genannt.

5. Die Regierung von Tschiang Kai-schek als eine lebendige Verneinung des Staates

Wie die Führer der Kommunistischen Partei der Sowjetunion die Regierung von Tschiang Kai-schek ein Jahr nach dem ersten Putsch von Kanton (20. März 1926) lobten, kann man deutlich aus den öffentlichen Reden von Mitgliedern des Politbüros ersehen.

Kalinin sprach im März 1927 in der Moskauer Fabrik Gosnak folgendermaßen:

Alle Klassen Chinas, angefangen beim Proletariat und aufgehört bei der Bourgeoisie, hassen die Militaristen als Marionetten des ausländischen Kapitals; alle Klassen Chinas blicken in derselben Weise auf die Regierung von Kanton als auf die Nationalregierung von Gesamtchina" (Iswestija, 6. März 1927).

Ein anderes Mitglied des Politbüros, Rudsutak, sprach ein paar Tage später bei einer Versammlung der Straßenbahnarbeiter. Der Prawda-Reporter stellte fest:

indem er weiter bei der Situation in China verweilte, erklärte Genosse Rudsutak, dass die revolutionäre Regierung alle Klassen Chinas hinter sich hat" (Prawda vom 9. März 1927).

Woroschilow sprach mehr als einmal im selben Geist.

Lenin reinigte die marxistische Theorie des Staates wirklich umsonst von kleinbürgerlichem Schmutz. Den Epigonen gelingt es In kurzer Zeit, sie mit doppelt soviel Kehricht zu bedecken.

Noch am 5. April sprach Stalin in der Säulenhalle zur Verteidigung der in der Partei Tschiang Kai-scheks verbleibenden Kommunisten, und mehr noch, er leugnete die Gefahr eines Verrats durch seinen Verbündeten; „Borodin ist auf der Wacht!" Der Umsturz fand genau eine Woche später statt.

6. Wie der Umsturz von Schanghai stattfand

In diesem Zusammenhang haben wir das außerordentlich wertvolle Zeugnis eines Zeugen und Teilnehmers, des Stalinisten Tschitarow, der am Vorabend des XV. Kongresses aus China ankam und dort mit seiner Information erschien. Die wichtigsten Punkte seiner Erzählung wurden von Stalin mit Tschitarows Zustimmung aus dem Protokoll gestrichen. Die Wahrheit kann nicht veröffentlicht werden, wenn sie alle Anklagen der Opposition gegen Stalin vernichtend unter Beweis stellt. Lassen wir Tschitarow zu Wort kommen (XVI. Sitzung des XV. Kongresses der KPdSU, 11. Dezember 1927):

Die erste blutige Wunde wurde der chinesischen Revolution in Schanghai durch die Exekution der Schanghaier Arbeiter am 11-12. April zugefügt.

Ich würde gern über diesen Umsturz ausführlicher sprechen, da mir bekannt ist, dass man in unserer Partei wenig darüber weiß. In Schanghai gab es für einen Zeitraum von 21 Tagen die sogenannte Volksregierung, in der die Kommunisten die Mehrheit hatten. Wir können daher sagen, dass Schanghai 21 Tage lang eine kommunistische Regierung hatte. Diese Kommunistisch Regierung legte jedoch trotz der Tatsache, dass Tschiang Kai-scheks Umsturz täglich erwartet wurde, völlige Passivität an den Tag.

Erstens begann die kommunistische Regierung lange Zeit nicht zu arbeiten, einerseits unter dem Vorwand, dass der bürgerliche Teil der Regierung nicht mit der Arbeit anfangen wollte und sie sabotierte, und andererseits, weil die Wuhan-Regierung mit der Zusammensetzung der Schanghaier Regierung nicht einverstanden war. Von der Aktivität dieser Regierung kennt man drei Dekrete, und einer von ihnen übrigens spricht von der Vorbereitung eines triumphalen Empfangs für Tschiang Kai-schek, der in Schanghai erwartet wurde.

In Schanghai wurden damals die Beziehungen zwischen Arbeitern und der Armee gespannt. Es ist z. B. bekannt, dass die Armee (d.h. Tschiang Kai-scheks Offiziere, L. T.) die Arbeiter absichtlich in ein Blutbad trieben. Die Armee stand mehrere Tage lang an den Toren Schanghais und wollte die Stadt nicht betreten, da sie wussten, dass die Arbeiter gegen die Leute aus Schantung kämpften und sie die Arbeiter in diesem Kampf ausbluten lassen wollten. Sie hatten vor, später in die Stadt zu gehen. Später betrat die Armee Schanghai. Aber unter diesen Truppen war eine Division, die mit den Arbeitern sympathisierte – die Erste Division der Kanton-Armee. Der Befehlshaber, Xue Yue, der bei Tschiang Kai-schek in Ungnade gefallen war, da seine Sympathien für die Massenbewegung bekannt waren (Xue Yue hatte selbst von der Pike auf gedient) Er war zuerst Kommandeur einer Kompanie und später kommandierte er eine Division.

Xue Yue kam zu den Genossen in Schanghai und erzählte ihnen, dass ein militärischer Umsturz vorbereitet würde, dass Tschiang Kai-schek ihn zum Hauptquartier befohlen hatte, ihm einen ungewöhnlich kalten Empfang bereitet hatte und dass er, Xue Yue, aus Furcht vor einer Falle nicht mehr dorthin gehen werde. Tschiang Kai-schek schlug Xue Yue vor, die Stadt mit seiner Division zu verlassen und an die Front zu gehen; und er, Xue Yue, schlug dem Zentralkomitee der KP vor zuzustimmen, dass er Tschiang Kai-scheks Befehl nicht Folge leisten solle. Er war bereit, in Schanghai zu bleiben und zusammen mit den Schanghaier Arbeitern gegen den vorbereiteten Militärputsch zu kämpfen. Zu all dem erklärten unsere verantwortlichen Führer der chinesischen KP, einschließlich Tschen Duxiu, dass sie nichts von der Vorbereitung eines Putschs wissen, aber keinen vorzeitigen Konflikt mit Tschiang Kai-schek wollen. Die Erste Division wurde aus Schanghai gelassen, die Stadt wurde von der Zweiten Division von Bai Chongxi besetzt, und zwei Tage später wurden die Schanghaier Arbeiter massakriert.“

Warum wurde diese wirklich aufregende Erzählung aus dem Protokoll weggelassen (S. 32)? Weil es keineswegs eine Frage der chinesischen Kommunistischen Partei war, sondern eine des Politbüros der Sowjetunion.

Am 24. Mai 1927 sprach Stalin vor dem Plenum des EKKI:

Die Opposition ist unzufrieden, da die Schanghaier Arbeiter nicht zur Entscheidungsschlacht gegen die Imperialisten und ihre Myrmidonen antraten. Aber sie versteht nicht, dass die Revolution in China sich nicht in schnellem Tempo entwickeln kann. Sie versteht nicht, dass man keinen Entscheidungskampf unter ungünstigen Bedingungen aufnehmen kann. Die Opposition versteht nicht, dass, wenn man den Entscheidungskampf unter ungünstigen Bedingungen nicht vermeidet (wenn er vermieden werden kann), man den Feinden der Revolution die Arbeit erleichtert …"

Dieser Teil von Stalins Rede trägt die Überschrift: „Die Fehler der Opposition". In der Tragödie von Schanghai fand Stalin Fehler … der Opposition. In Wirklichkeit kannte die Opposition zu der Zeit die konkreten Umstände der Lage in Schanghai noch nicht, d. h. sie wusste nicht, um wie viel günstiger die Situation für die Arbeiter im März und Anfang April noch war, trotz all der Fehler und Verbrechen der Führung der Komintern. Selbst aus der absichtlich verheimlichten Geschichte Tschitarows geht hervor, dass die Lage selbst zu jener Zeit noch hätte gerettet werden können. Die Arbeiter von Schanghai sind an der Macht. Sie sind teilweise bewaffnet. Alle Möglichkeiten, sie weit besser zu bewaffnen, stehen offen. Tschiang Kai-scheks Armee ist unzuverlässig. Es gibt Abteilungen, in denen selbst der Kommandostab auf Seite der Arbeiter ist. Aber alles und jeder wird sofort gelähmt. Wir dürfen den Entscheidungskampf gegen Tschiang Kai-schek nicht vorbereiten, sondern einen triumphalen Empfang für ihn. Da Stalin seine kategorischen Instruktionen aus Moskau gegeben hat: nicht nur unterlasst es, Euch dem Verbündeten zu widersetzen, sondern im Gegenteil, zeigt ihm Eure Loyalität.

Im Mai-Plenum des EKKI verteidigte Stalin immer noch diese schreckliche kampflose Aufgabe der Stellungen, die zur Niederschlagung des Proletariats in der Revolution führte, mit technischen, taktischen Gründen. Ein halbes Jahr später, auf dem XV. Kongress der KPdSU war Stalin schon still. Die Delegierten des Kongresses dehnten Tschitarows Zeit soweit aus, um ihm die Möglichkeit zu geben, seine Erzählung zu beenden, die selbst sie fesselte. Aber Stalin fand einen sehr einfachen Ausweg, indem er Tschitarows Bericht aus dem Protokollen strich. Wir veröffentlichen dies wahrhaft historische Dokument hier zum erste Mal.

Wir wollen zusätzlich noch einen interessanten Umstand bemerken: während Tschitarow den Verlauf der Ereignisse so weit wie möglich verwischt und den wirklich Schuldigen verbirgt, sondert er als verantwortlich Tschen Duxiu ab, den die Stalinisten bis dahin in jeder Weise gegen die Opposition verteidigt hatten, da er ausschließlich ihre Anweisungen befolgt hatte. Aber zu jener Zeit wurde bereits klar, dass der Genosse Tschen Duxiu nicht bereit sein würde, die Rolle eines schweigenden Sündenbocks zu spielen, dass er die Gründe für diese Katastrophe offen analysieren wollte. Alle Hunde der Komintern wurden auf ihn losgelassen, nicht wegen Fehlern, die für die Revolution verhängnisvoll waren, sondern da er nicht bereit war, die Arbeiter zu betrügen und Stalin zu decken.

7. Die Organisatoren der „Injektion von Arbeiter- und Bauernblut“

Das führende Organ der Komintern schrieb am 18. März 1927, ca. 3 Wochen vor dem Umsturz in Schanghai:

Die Führung der Kuomintang krankt gegenwärtig an einem Mangel von revolutionärem Arbeiter- und Bauernblut. Die chinesische Kommunistische Partei muss bei der Injektion dieses Blutes helfen, und dann wird sich die Lage radikal verändern."

Welch unheilvolles Wortspiel! Die Kuomintang braucht „Arbeiter- und Bauernblut". Die „Hilfe" wurde ihr in vollstem Ausmaß geleistet: Im April-Mai erhielten Tschiang Kai-schek und Wang Jingwei eine ausreichende „Injektion" von Arbeiter- und Bauernblut.

In Bezug auf das Tschang-Kai-Schek-Kapitel der Politik Stalins erklärte das VIII. Plenum (Mai 1927):

Das EKKI nimmt an, dass die Taktik des Blocks mit der Nationalbourgeoisie in der bereits niedergehenden Periode der Revolution absolut richtig war. Die Nord-Expedition alleine (!) dient als historische Rechtfertigung für diese Taktik …"

Und wie sie dient!

Das ist Stalin durch und durch.

Die Nord-Expedition, die sich zufälligerweise als eine Expedition gegen das Proletariat herausstellte, dient als Rechtfertigung seiner Freundschaft mit Tschiang Kai-schek. Das EKKI hat alles getan, um es unmöglich zu machen, die Lehren aus dem Blutbad der chinesischen Arbeiter zu ziehen.

8. Stalin wiederholt sein Experiment mit der „linken“ Kuomintang

Weiter unten ist folgender bemerkenswerter Punkt von Tschitarows Rede ausgelassen:

Nach dem Schanghai-Coup wurde es jedem klar, dass eine neue Epoche der chinesischen Revolution beginnt: dass die Bourgeoisie sich von der Revolution zurückzieht. Das wurde erkannt und sofort so festgestellt. Aber eins wurde im Zusammenhang hiermit außer Acht gelassen, dass die Wuhan-Regierung, während sich die Bourgeoisie zurückzog, nicht einmal daran dachte, die Bourgeoisie zu verlassen. Unglücklicherweise wurde das von der Mehrheit unserer Genossen nicht verstanden; sie hatten in Bezug auf die Wuhan-Regierung Illusionen. Sie betrachteten die Wuhan-Regierung fast als ein Götzenbild, einen Prototyp der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft.

Nach dem Wuhan-Umsturz wurde klar, dass die Bourgeoisie sich zurückzieht …"

Das wäre lächerlich, wenn es nicht so tragisch wäre. Nachdem Tschiang Kai-schek die Revolution angesichts der von Stalin entwaffneten Arbeiter geschlagen hatte, „verstanden" die durchdringenden Strategen schließlich, dass die Bourgeoisie „sich zurückzieht". Als Stalin aber erkannt hatte, dass sein Freund Tschiang Kai-schek sich zurückzieht, befahl er den chinesischen Kommunisten, sich derselben Wuhan-Regierung unterzuordnen, die – nach Tschitarows Information auf dem XV. Kongress – „nicht daran dachte, die Bourgeoisie zu verlassen". Unglücklicherweise „verstanden unsere Genossen das nicht". Welche Genossen? Borodin, der an Stalins Telegraphendrähten hing? Tschitarow nennt keine Namen. Die chinesische Revolution ist ihm teuer, aber seine Haut – ist ihm noch teurer.

Hören wir jedoch Stalin:

Tschiang Kai-scheks Staatsstreich bedeutet, dass es jetzt zwei Lager geben wird, zwei Regierungen, zwei Regierungen, zwei Armeen, zwei Zentren im Süden: ein revolutionäres Zentrum in Wuhan und ein konterrevolutionäres Zentrum in Nanking."

Ist klar, wo das Zentrum der Revolution angesiedelt wird? In Wuhan!

Das bedeutet, dass die revolutionäre Kuomintang in Wuhan, die einen entschiedenen Kampf gegen Militarismus und Imperialismus führt, tatsächlich in ein Organ der revolutionären demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft verwandelt wird…"

Jetzt wissen wir endlich, wie die demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft aussieht!

Hieraus folgt weiterhin", fährt Stalin fort, „dass die Politik der nahen Kollaboration der Linken und der Kommunisten innerhalb der Kuomintang eine besondere Kraft und eine besondere Bedeutung im gegenwärtigen Stadium bekommt …, dass ohne eine derartige Kollaboration der Sieg der Revolution unmöglich ist" (Probleme der chinesischen Revolution, S. 125-7).

Ohne die Kollaboration der konterrevolutionären Banditen der „linken Kuomintang" ist der Sieg der Revolution unmöglich! So sicherte Stalin Schritt für Schritt – in Kanton, Schanghai und Hankou – den Sieg der Revolution.

9. Gegen die Opposition – für die Kuomintang!

Wie betrachtete die Komintern die „linke Kuomintang"? Das VIII. Plenum des EKKI gab im Kampf gegen die Opposition eine klare Antwort auf diese Frage.

Das EKKI lehnt sehr entschlossen die Forderung, die Kuomintang zu verlassen, ab … Die Kuomintang in China ist gerade die besondere Organisationsform, in der das Proletariat direkt mit der Kleinbourgeoisie und der Bauernschaft zusammenarbeitet.“

Auf diese Weise sah das EKKI ganz richtig in der Kuomintang die Verwirklichung der stalinistischen Idee der „Zwei-Klassen-Arbeite und-Bauern-Partei".

Der nicht unbekannte Rafes, der zuerst Minister unter Petljura war und später Stalins Anweisungen in China durchführte, schrieb im Mai 1927 in theoretischen Organ des Zentralkomitees der KPdSU

Unsere russische Opposition hält es, wie bekannt ist, auch für die Kommunisten für notwendig, die Kuomintang zu verlassen. Eine konsequente Verteidigung dieses Standpunktes würde die Anhänger der Politik dazu bringen, die Kuomintang zu verlassen, nach der berühmten 1917 von Genosse Trotzki proklamierten Formulierung: „Ohne den Zar, aber eine Arbeiterregierung", was für China in die Form gebracht werden könnte: „Ohne die Militaristen, aber eine Arbeiterregierung!" Wir haben keinen Grund, solch konsequenten Verteidigern für das Verlassen der Kuomintang zuzuhören" (Proletarskaja Revoljuzija, S. 54).

Die Losung von Stalin-Rafes war: „Ohne die Arbeiter, aber mit Tschiang Kai-schek!" „Ohne die Bauern, aber mit Wang Jingwei!" „Gegen die Opposition, aber für die Kuomintang!"

10. Stalin entwaffnet die chinesischen Arbeiter und Bauern wieder!

Welche Politik betrieb die Führung während der Wuhan-Periode der Revolution? Hören wir den Stalinisten Tschitarow zu dieser Frage. Hier, was wir im Protokoll des XV. Kongresses lesen:

Welche Politik betrieb das ZK der Kommunistischen Partei zu dieser Zeit, während dieser ganzen (Wuhan) Periode? Die Politik des ZK der Kommunistischen Partei wurde unter der Losung des Rückzuges durchgeführt…"

Unter der Losung des Rückzuges – in der revolutionären Periode, Im Augenblick der höchsten Spannung des revolutionären Kampfes – führt die Kommunistische Partei ihre Arbeit durch und übergibt unter dieser Losung eine Position nach der anderen ohne Schlacht. Zu dieser Übergabe der Positionen gehört: alle Gewerkschaften, Bauernvereinigungen und andere revolutionäre Organisationen der Kuomintang unterordnen; unabhängige Aktion ohne die Erlaubnis des ZK der Kuomintang ablehnen; der Entschluss über die freiwillige Entwaffnung der Arbeiter-Streikposten in Hankou; die Auflösung der Pionier-Organisationen in Wuhan; die tatsächliche Niederschlagung aller Bauernvereinigungen auf dem Territorium der Nationalregierung usw."

Hier wird ganz offen die Politik der chinesischen KP geschildert, deren Führung der „National"-Bourgeoisie tatsächlich hilft, die Volksaufstände niederzuschlagen und die besten Kämpfer des Proletariats und der Bauernschaft zu vernichten.

Aber die Offenheit ist hier verräterisch: Das obige Zitat ist im Protokoll nach der oben durch die gepünktelte Linie zitierten Auslassung gedruckt. Hier, was die von Stalin verheimlichte Stelle sagt:

Gleichzeitig erfanden einige verantwortliche Genossen, chinesische und nicht-chinesische, die sogenannte Theorie des Rückzuges. Sie erklärten: „Die Reaktion rückt auf allen Seiten gegen uns vor. Wir müssen uns daher sofort zurückziehen, um die Möglichkeit einer legalen Arbeit zu retten, und wenn wir uns zurückziehen, werden wir diese Möglichkeit retten, aber wenn wir uns verteidigen oder vorzurücken versuchen, werden wir alles verlieren."

Gerade in jenen Tagen (Ende März 1927), als die Wuhan-Konterrevolution begann, die Arbeiter und Bauern niederzuschlagen, unter den Augen der Linken Kuomintang, erklärte Stalin auf dem Plenum des EKKI (24. März 1927):

Die Agrarrevolution ist die Basis und der Inhalt der bürgerlich-demokratischen Revolution in China. Die Kuomintang in Hankou und die Hankou-Regierung sind das Zentrum der bürgerlich-demokratischen revolutionären Bewegung" (Protokoll, deutsche Ausgabe, S. 71).

Auf die schriftliche Anfrage eines Arbeiters, warum in Wuhan keine Sowjets gebildet werden, antwortete Stalin:

Es ist klar, dass jeder, der momentan nach einer sofortigen Schaffung von Sowjets von Arbeiterdeputierten in diesem Wuhan-Distrikt verlangt, versucht, die Kuomintang-Phase der Chinesischen Revolution zu überspringen (!) und er riskiert es, die chinesische Revolution in eine äußerst schwierige Lage zu bringen."

Genau: in eine „äußerst schwierige Lage"! Am 13. Mai 1927 erklärte Stalin in einer Unterhaltung mit Studenten:

Sollten Sowjets von Arbeiter- und Bauern-Delegierten überhaupt in China geschaffen werden? Ja, das sollten sie, das sollten sie unbedingt. Sie werden nach der Stärkung der Wuhan-revolutionären Regierung errichtet werden müssen, nach der Entwicklung der Agrarrevolution in der Transformation der Agrarrevolution, der bürgerlich-demokratischen Revolution in die Revolution des Proletariats.“

Auf diese Weise hielt es Stalin nicht für zulässig, die Position der Arbeiter und Bauern durch Sowjets zu stärken, solange die Position der Wuhan-Regierung, der konterrevolutionären Bourgeoisie, nicht gestärkt wäre.

Auf die berühmte These Stalins Bezug nehmend, die die Wuhanpolitik rechtfertigte, schrieb das Organ der russischen Menschewiki zu jener Zeit damals:

Man, kann sehr wenig gegen das Wesen der dort (in Stalins Thesen) verfolgten „Linie" einwenden. So sehr wie möglich in der Kuomintang bleiben und sich an ihren linken Flügel und die Wuhan-Regierung bis zum letztmöglichen Augenblick klammern; „einen Entscheidungskampf unter ungünstigen Bedingungen vermeiden"; nicht die Losung „alle Macht den Sowjets" ausgeben, um „den Feinden des chinesischen Volkes nicht neue Waffen für den Kampf gegen die Revolution in die Hände zu geben, damit neue Legenden entstehen, dass in China nicht die nationale Revolution stattfindet, sondern eine künstliche Transplantation der Moskauer Sowjetisierung" – tatsächlich, was könnte sinnvoller sein? … (Sozialistitscheskij Westnik Nr. 9 (151), S. 1).

Das VIII. Plenum des EKKI seinerseits, das Ende Mai 1927 tagte, d. h. zur gleichen Zeit, als die Niederschlagung der Arbeiter- und Bauernorganisationen in Wuhan bereits begonnen hatte, nahm folgenden Beschluss an:

Das EKKI lenkt die Aufmerksamkeit der chinesischen KP dringend darauf, alle nur möglichen Maßnahmen zur Stärkung und Entwicklung der Massenorganisationen der Arbeiter und Bauern zu ergreifen … Innerhalb aller dieser Organisationen ist es notwendig, eine Agitation für den Eintritt in die Kuomintang zu betreiben und diese dadurch in eine mächtige Massenorganisation der revolutionären kleinbürgerlichen Demokratie und der Arbeiterklasse zu machen."

Eintritt in die Kuomintang" bedeutete, sich freiwillig abschlachten zu lassen. Die blutige Lehre von Schanghai ging vorüber, ohne eine Spur zu hinterlassen. Die Kommunisten wurden wie früher zu Viehherden für die Partei der bürgerlichen Henker (der Kuomintang), zu Lieferanten von „Arbeiter- und Bauernblut" für Wang Jingwei und Co. gemacht.

11. Das stalinistische Experiment mit der Jagd nach Ministerposten

Trotz der Erfahrung der russischen Kerenskiade und den Proteste der Linken Opposition beschloss Stalin seine Kuomintang-Politik mit einem Experiment in der Jagd nach Ministerposten: Zwei Kommunisten traten in die bürgerliche Regierung ein, als Landwirtschafts- und Arbeitsminister – die klassischen Posten von Geiseln! – unter den direkten Instruktionen der Komintern: um den Klassenkampf zu lähmen mit dem Ziel einer Einheitsfront. Derartige Direktiven wurden bis August 1927 fortwährend telegraphisch von Moskau gegeben.

Hören wir nun, wie Tschitarow die kommunistische Jagd auf Ministerposten in der Praxis vor einem Auditorium von Delegierten des XV. Kongresses der KPdSU schilderte:

Sie wissen, dass es zwei kommunistische Minister in der Regierung gab", sagt Tschitarow. Der Rest dieses Abschnitts ist aus um Protokoll gestrichen:

Später hörten sie (die kommunistischen Minister) überhaupt auf, in die Ministerien zu gehen, sie erschienen nicht mehr selbst und setzten an ihre Stelle hundert Funktionäre. Während der Amtszeit dieser Minister wurde nicht ein einziges Gesetz verabschiedet, das die Position der Arbeiter und Bauern erleichtert hätte. Diese tadelnswerte Aktivität wurde von einem noch tadelnswerteren, schändlichen Ende beschlossen. Die Minister erklärten, dass einer von ihnen krank sei und der andere wünschte, ins Ausland zu gehen usw., und baten daher, sie zu entlassen. Sie traten nicht mit einer politischen Erklärung zurück, in der sie hätten erklären können: Ihr seid Konterrevolutionäre. Ihr seid Verräter. Ihr seid Betrüger – wir wollen nichts mehr mit Euch zu tun haben. Nein. Sie erklärten, dass einer vorgeblich krank sei. Außerdem schrieb Tan Pingshan, dass er mit dem Umfang der Bauernbewegung nicht fertig werden könne und daher bäte, seinen Abschied zu gewähren. Kann man sich eine größere Schande vorstellen? Ein kommunistischer Minister erklärt, dass er nicht mit der Bauernbewegung fertig werden kann. Wer kann es dann? Offensichtlich das Militär und niemand sonst. Das war eine offene Legalisierung der rigorosen Unterdrückung der Bauernbewegung, die die Wuhan-Regierung unternahm."

So sahen die Teilnehmer der Kommunisten an der „demokratischen Diktatur" der Arbeiter und Bauern aus. Im Dezember 1927, als Stalins Reden und Artikel noch frisch im Gedächtnis von allen waren, konnte Tschitarows Bericht nicht gedruckt werden, obgleich letzterer – jung, aber altklug! – auf sein eigenes Wohlergehen bedacht, kein einziges Wort über die Moskauer Führer der chinesischen Jagd nach Ministerposten fallen ließ und sich sogar auf Borodin nur als „einem gewissen nicht-chinesischen Genossen" bezog.

Tan Pingshan beklagte sich – tobte Tschitarow scheinheilig –, dass er nicht mit der Bauernbewegung fertig werden könne. Aber Tschitarow musste wissen, dass dies gerade die Aufgabe war, die Stalin Tan Pingshan gestellt hatte. Tan Pingshan kam Ende 1926 nach Moskau, um Instruktionen entgegenzunehmen, und berichtete dem Plenum des EKKI, wie gut er mit den „Trotzkisten" fertig geworden sei, d.h. mit jenen Kommunisten, die die Kuomintang verlassen wollten, um die Arbeiter und Bauern zu organisieren. Stalin sandte Tan Pingshan telegraphische Instruktionen, die Bauernbewegung an die Kandare zu nehmen, um Tschiang Kai-schek und dem bürgerlichen Militärstab nicht entgegenzuwirken. Gleichzeitig beschuldigte Stalin die Opposition …, die Bauernbewegung zu unterschätzen.

Das VIII. Plenum nahm sogar eine besondere „Resolution über die Reden des Genossen Trotzki und Wujowitsch auf der Plenarsitzung des EKKI" an. Sie lautete:

Genosse Trotzki … forderte auf der Plenarsitzung die sofortige Errichtung der Doppelherrschaft in Form von Sowjets und die sofortige Annahme eines Kurses in Richtung auf den Sturz der linken Kuomintang-Regierung. Diese offensichtliche (!!!) Forderung ist nichts als die Wiederholung der alten trotzkistischen Position vom Überspringen des kleinbürgerlichen Bauern-Stadiums der Revolution.“

Wir haben hier den Kern des Kampfes gegen den Trotzkismus in seiner ganzen Nacktheit vor uns: die Verteidigung der Bourgeoisie gegen die Revolution der Arbeiter und Bauern.

12. Führer und Massen

Alle Organisationen der Arbeiterklasse wurden von den „Führern“ benutzt, um den Kampf der revolutionären Massen einschränken, zu hemmen und zu lähmen. Hier, was Tschitarow berichtete:

Der Kongress der Gewerkschaften (in Wuhan) wurde von Tag zu Tag verschoben, und als er schließlich zusammentrat, wurde keinerlei Versuch unternommen, ihn zur Organisation des Aufstandes zu benutzen. Im Gegenteil, am letzten Tag des Kongresses wurde beschlossen, eine Demonstration vor dem Gebäude der Nationalregierung zu veranstalten, um der Loyalität der Regierung Ausdruck zugeben (Losowski: Ich erschreckte sie dort mit meiner Rede).“ Losowski schämte sich damals nicht, sich einzumischen. Es gelang Losowski, diese chinesischen Gewerkschaftler, die er mit kühnen Phrasen in Verwirrung gestürzt hatte, am Ort, in China zu „erschrecken", wo er nichts sah, nichts verstand und nichts voraussah. Von China zurückgekehrt, schrieb dieser „Führer":

Das Proletariat ist die beherrschende Kraft im chinesischen Klassenkampf für die nationale Emanzipation Chinas geworden" (Arbeiter-China, S. 6).

Das wurde von einem Proletariat gesagt, dessen Kopf in den eisernen Fesseln Tschiang Kai-scheks zerdrückt wurde. So betrog der Generalsekretär der Roten Gewerkschafts-Internationale die Arbeiter der ganzen Welt. Und nach der Niederschlagung der chinesischen Arbeiter (mit Hilfe aller Sorten von „Generalsekretären") verhöhnt Losowski die chinesischen Gewerkschaftler: Diese „Feiglinge" bebten, wie man sieht, aus Angst vor den unerschrockenen Reden des äußerst erschrockenen Losowski. In dieser kleinen Episode liegt die Kunst der augenblicklichen „Führer", ihr gesamter Mechanismus, ihre ganze Moral!

Die Macht der revolutionären Massenbewegung des Volkes war wirklich unvergleichlich. Wir haben gesehen, dass trotz dreier Jahre voller Fehler die Situation in Schanghai immer noch hätte gerettet werden können, indem man Tschiang Kai-schek nicht als Befreier, sondern als Todfeind empfangen hätte. Noch mehr, selbst nach dem Putsch von Schanghai hätten die Kommunisten sich immer noch in den Provinzen stärken können. Aber es wurde ihnen befohlen, sich der „linken Kuomintang“ unterzuordnen. Tschitarow beschreibt eine der kennzeichnendsten Episoden der zweiten, von der linken Kuomintang durch geführten Konterrevolution:

Der Umsturz in Wuhan fand am 21.-22. Mai statt … Der Umsturz fand unter einfach unglaublichen Umständen statt. In Tschangscha bestand die Armee aus 1700 Soldaten, und die Bauern bildeten mit 20.000 Bewaffneten, die um Tschangscha zusammengezogen waren, die Mehrheit. Trotzdem gelang es dem Militärkommando, die Macht zu ergreifen, indem es alle aktiven Bauern erschoss, alle revolutionären Organisationen auflöste, und seine Diktatur nur aufgrund der feigen unentschlossenen, versöhnlerischen Politik der Führer von Tschangscha und Wuhan aufrichtete. Als die Bauern von dem Umsturz in Tschangscha erfuhren, begannen sie sich vorzubereiten, sich um Tschangscha zu sammeln, um dorthin zu marschieren. Dieser Marsch war auf den 21. Mai festgesetzt. Die Bauern fingen an, ihre Abteilungen in wachsender Zahl um Tschangscha zusammenzuziehen. Es war klar, dass sie die Stadt ohne große Anstrengung nehmen würden. Aber in diesem Augenblick kam ein Brief vom Zentralkomitee der chinesischen KP an, in dem Tschen Duxiu schrieb, sie sollten einen offenen Konflikt möglichst vermeiden und die Frage nach Wuhan verschieben. Aufgrund dieses Briefes sandte das Distriktkomitee einen Rückzugbefehl an die Bauernabteilungen und befahl, nicht weiter vorzurücken; aber dieser Befehl erreichte zwei Abteilungen nicht. Zwei Bauernabteilungen rückten auf Wuhan vor und wurden von den Soldaten vernichtet.(Protokoll, S. 34).

So ungefähr verliefen die Dinge auch in den anderen Provinzen. Unter Borodins Führung – „Borodin ist auf der Wacht!" – führten die chinesischen Kommunisten die Instruktionen Stalins sehr pünktlich aus: nicht mit der linken Kuomintang brechen, den erwählten Führern der demokratischen Revolution. Die Kapitulation von Tschangscha fand am 31. Mai statt, d.h. ein paar Tage nach den Beschlüssen des VIII. Plenums des EKKI und in voller Übereinstimmung mit diesen Beschlüssen.

Die Führer taten in der Tat alles, um die Sache der Massen zu zerstören!

In jener Rede erklärt Tschitarow:

Ich halte es für meine Pflicht zu erklären, dass, obgleich die chinesische KP lange Zeit unerhörte opportunistische Fehler begangen hat … wir dennoch die Partei der Massen nicht für diese Verantwortlich machen müssen … Nach meiner tiefen Überzeugung (ich habe viele Sektionen der Komintern gesehen) ist keine andere Sektion der Sache des Kommunismus so sehr ergeben, so mutig in ihrem Kampf für unsere Sache, wie es die chinesischen Kommunisten sind. Es gibt keine Kommunisten, die so mutig sind, wie die chinesischen Genossen" (Protokoll, S. 36).

Zweifellos bewiesen die revolutionären chinesischen Arbeiter und Bauern eine außerordentliche Opferbereitschaft im Kampf. Zusammen mit der Revolution wurden sie von ihrer opportunistischen Führung zerschmettert. Nicht von der Führung, die ihren Sitz in Kanton, Schanghai und Wuhan hat, sondern von der, die von Moskau aus befahl. So wird das Urteil der Geschichte lauten!

13. Der Aufstand in Kanton

Am 7. August 1927 verurteilte eine Sonderkonferenz der chinesischen KP, nach vorausgehenden Instruktionen aus Moskau, die opportunistische Politik ihrer Führung, d. h. ihre ganze Vergangenheit, und beschloss, sich für einem bewaffneten Aufstand vorzubereiten. Stalins spezielle Abgesandte hatten die Aufgabe, in Kanton einen Aufstand vorzubereiten, der mit dem XV. Kongress der KP der Sowjetunion zusammenfallen sollte, um die physische Vernichtung der russischen Opposition mit dem Triumph der stalinistischen Taktik in China zu decken.

Auf der niedergehenden Welle, während in den städtischen Massen immer noch die Depression herrschte, wurde überstürzt der Kanton-„Sowjet"-Aufstand organisiert, der heroisch im Verhalten der Arbeiter und kriminell im Abenteurertum der Führung war. Die Nachricht von der Niederschlagung des Kantoner Proletariats kam gerade zum XV. Kongress zurecht. Auf diese Weise vernichtet Stalin die Bolschewisten-Leninisten gerade zur gleichen Zeit, als sein Verbündeter von gestern, Tschiang Kai-schek, die chinesischen Kommunisten niederschlug.

Es war notwendig, eine neue Bilanz aufzustellen, d.h. noch einmal die Verantwortung auf die Vollstrecker zu schieben. Am 7. Februar schrieb die Prawda:

Die Provinzarmeen kämpften ungeteilt gegen das Rote Kanton, und es stellte sich als größter und ältester Mangel der chinesischen KP heraus, dass sie unzureichende politische Arbeit für die Zersetzung der reaktionär! Armee geleistet hatte“!

Der älteste Mangel"! Soll das heißen, dass es die Aufgabe der chinesischen KP gewesen wäre, die Armeen der Kuomintang zu zersetzen? Seit wann?

Am 25. Februar 1927, anderthalb Monate vor der Niederwerfung von Schanghai, schrieb das Zentralorgan der Komintern:

Die chinesische KP und die bewussten chinesischen Arbeiter dürfen unter keinen Umständen eine Taktik verfolgen, die die revolutionären Armeen desorganisieren könnte, da der Einfluss der Bourgeoisie dort bis zu einem gewissen Grad stark ist …" (Die Kommunistische Internationale, 25. 2. 1927, S. 19).

Und hier, was Stalin auf dem Plenum des EKKI am 24. Mai 1927 sagte – und bei jeder Gelegenheit wiederholte:

Nicht unbewaffnete Leute stehen gegen die Armeen des alten Regimes in China, sondern bewaffnete Leute in Gestalt der Revolutionsarmee. In China kämpft eine bewaffnete Revolution gegen eine bewaffnete Konterrevolution."

Im Sommer und Herbst 1927 wurden die Armeen der Kuomintang als ein bewaffnetes Volk geschildert. Als aber diese Armeen den Kanton-Aufstand niederschlugen, erklärte die Prawda es zum „ältesten Mangel" der chinesischen Kommunisten, dass die nicht Imstande waren, die „reaktionären Armeen" zu zersetzen, eben dieselben, die noch am Vorabend von Kanton als das „revolutionäre Volk" bezeichnet wurden.

Schamlose Marktschreier! Hat man je so etwas bei wirklichen Revolutionären gesehen?

14. Die Periode des Putschismus

Das IX. Plenum des EKKI kam im Februar 1928 zusammen, weniger als zwei Monate nach dem Kanton-Aufstand. Wie beurteilte es die Lage? Hier sind die genauen Worte der Resolution:

Das EKKI macht es allen seinen Sektionen zur Pflicht, gegen die Verleumdungen der Sozialdemokraten und Trotzkisten zu kämpfen, die behaupten, die chinesische Revolution sei liquidiert worden".

Welch tückischer und gleichzeitig elender Vorwand! Die Sozialdemokratie glaubt in Wahrheit, dass der Sieg Tschiang Kaischeks der Sieg der nationalen Revolution ist (die verwirrten Urbahns täuschten sich eben in diesem Punkt). Die linke Opposition glaubt, dass der Sieg Tschiang Kaischeks die Niederlage der nationalen Revolution ist.

Die Opposition sagte niemals, dass die chinesische Revolution im Allgemeinen liquidiert ist, und hätte das auch niemals tun können. Liquidiert, verwirrt, betrogen und niedergeschlagen wurde „nur" die zweite chinesische Revolution (1925-27). Das allein wäre eine hinreichende Leistung für die Herren der Führung!

Wir behaupteten, dass seit Herbst 1927 in China eine Zeit der Ebbe herrscht, des Rückzuges des Proletariats, des Triumphs der Konterrevolution. Welche Haltung hatte Stalin?

Am 7. Februar 1928 schrieb die Prawda:

Die chinesische KP geht auf einen bewaffneten Aufstand zu. Die ganze Lage in China spricht dafür, dass dies der richtige Kurs ist … Die Erfahrung zeigt, dass die chinesische KP alle ihre Bemühungen auf die Aufgaben der alltäglichen und weitverbreiteten, sorgfältigen Vorbereitung des bewaffneten Aufstandes konzentrieren muss."

Das IX. Plenum des EKKI billigte diese abenteuerliche Linie mit zweideutigen, bürokratischen Vorbehalten über den Putschismus. Das Ziel dieser Vorbehalte ist bekannt: Löcher für die „Führer" schaffen, in die sie im Fall eines erneuten Rückzuges kriechen können. Die kriminell leichtsinnige Resolution des IX. Plenums bedeutete für China: Neue Abenteuer, neue Gemetzel, neues Abfallen der Massen, den Verlust von Positionen, den Verschleiß der besten revolutionären Elemente im Feuer des Abenteurertums, die Demoralisierung der Überbleibsel der Partei. Die gesamte Periode zwischen der Konferenz der chinesischen Partei vom 7. August 1927 und dem VI. Kongress der Komintern am 8. Juli 1928 ist ganz und gar von der Praxis des Putschismus durchdrungen. So versetzte die stalinistische Führung der chinesischen Revolution und der Kommunistischen Partei den Todesstreich.

Erst auf dem VI. Kongress erkannte die Führung der Komintern, dass, „der Kanton-Aufstand objektiv bereits eine „Rückzugschlacht" der zurückgehenden Revolution war" (Prawda, 27. Juli 1928).

Objektiv"! Und subjektiv? Das heißt im Bewusstsein seiner Anstifter und Führer? Auf diese Weise wird der abenteuerliche Charakter des Kanton-Aufstandes indirekt anerkannt. Wie das aber auch sein mag, ein Jahr nach der Opposition und, was wichtiger ist, nach einer Reihe grausamer Niederlagen erkannte die Komintern, dass die zweite chinesische Revolution zusammen mit der Wuhan-Periode aufgehört hatte und dass sie nicht durch Abenteurertum wiederbelebt werden kann. Auf dem VI. Kongress berichtete der chinesische Delegierte Zhan Fuyun:

Die Niederlage des Kanton-Aufstandes hat dem chinesischen Proletariat einen noch stärkeren Schlag versetzt. Das erste Stadium der Revolution wurde auf diese Weise mit einer Reihe von Niederlagen beendet. In den Industriezentren macht sich eine Depression in der Arbeiterbewegung spürbar" (Prawda, 17. Juli 1928, Nr. 164).

Tatsachen sind eine hartnäckige Angelegenheit! Das muss auch vom VI. Kongress zugegeben werden. Die Losung des bewaffneten Aufstandes wurde abgeschafft. Das einzige, was übrigblieb, war der Name „zweite chinesische Revolution" (1925-27), deren „erstes Stadium" vom zukünftigen zweiten Stadium durch eine unbestimmte Zeitspanne getrennt wird. Das war der terminologische Versuch, das letzte bisschen Prestige zu retten.

15. Nach dem VI. Kongress

Der Delegierte der chinesischen Partei, Siu, erklärte auf dem XVI. Kongress der KPdSU:

Nur trotzkistische Renegaten und chinesische Tschen Duxiuisten sagen, dass die chinesische Nationalbourgeoisie eine Aussicht auf unabhängige (? ) Entwicklung (? ) und Stabilisierung (? ) hat.“

Lassen wir die Beschimpfungen beiseite: Diese unglücklichen Leute wären niemals im Lux-Hotel, wenn sie nicht die Opposition beschimpfen würden. Das ist ihre einzige Zuflucht. Tan Pingshan donnerte in genau derselben Weise auf dem VII. Plenum des EKKI gegen die „Trotzkisten", bevor er zum Feind überlief. Seltsam an dieser nackten Schamlosigkeit ist der Versuch, uns, der linken Opposition, die Idealisierung der chinesischen „Nationalbourgeoisie" und ihrer „unabhängigen Entwicklung" zuzuschreiben. Stalins Agenten, wie auch ihr Führer selbst, wettern, weil die Zeit nach dem VI. Kongress wieder einmal ihre vollkommene Unfähigkeit gezeigt hat, die veränderten Umstände und den Lauf ihre weiteren Entwicklung zu verstehen.

Nach der Niederlage von Kanton, als das EKKI im Februar 1928 auf einen bewaffneten Aufstand zusteuerte, erklärten wir, da wir damit nicht einverstanden waren, folgendes:

Die Situation wird sich jetzt in genau der entgegengesetzten Richtung verändern; die Arbeiterklasse wird sich zeitweilig von der Politik zurückziehen; die Partei wird geschwächt werden, was nicht weitere Bauernaufstände ausschließt. Das Nachlassen des Kriegs der Generäle wie auch das Nachlassen der Streiks und Aufstände des Proletariats wird in der Zwischenzeit unvermeidlich zur Errichtung elementarer Prozesse im Wirtschaftsleben Im Lande führen und folglich zu etwas in einem, wenn auch schwachen, kommerziellen und industriellen Aufschwung. Letzterer wird die Streikkämpfe der Arbeiter wiederbeleben und der Kommunistischen Partei erlauben, wenn sie die richtige Taktik anwendet, noch einmal den Kontakt und ihren Einfluss herzustellen, und später, bereits auf einer höheren Ebene, kann der Aufstand der Arbeiter- mit dem Bauernkrieg verknüpft werden. Darin bestand unser sogenanntes „Liquidatorentum".

Aber abgesehen von Beschimpfungen, was sagte Siu über China In den letzten zwei Jahren? Als erstes stellte er die Tatsache fest:

In der chinesischen Industrie und im Handel konnte man 1928 eine gewisse Wiederbelebung feststellen".

Und weiter:

1928 streikten 400.000 Arbeiter, 1929 hatte die Zahl der Streikenden bereits 750.000 erreicht. In der ersten Hälfte von 1930 war die Arbeiterbewegung noch mehr in ihrem Entwicklungstempo gestärkt."

Selbstverständlich müssen wir mit den Zahlen der Komintern, einschließlich Sius, sehr vorsichtig umgehen. Aber unabhängig von einer möglichen Übertreibung der Zahlen – führen Sius Darlegungen völlig unsere Prognose vom Ende 1927 und Anfang 1928 aus.

Leider nahmen das EKKI und die chinesische KP eine direkt entgegengesetzte Prognose zu ihrem Ausgangspunkt. Die Losung des bewaffneten Aufstandes wurde erst auf dem VI. Kongress fallengelassen, d. h. Mitte 1928. Aber abgesehen von dieser rein negativen Entscheidung erhielt die Partei keinerlei neue Orientierung. Die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Wiederbelebung wurde von ihr nicht in Betracht gezogen. Die Streikbewegung ging zu einem beträchtlichen Grad getrennt von ihr vonstatten. Kann man auch nur einen Augenblick daran zweifeln, dass, wenn die Komintern sich nicht mit blödsinnigen Beschuldigungen über Liquidatorentum gegen die Opposition abgegeben hätte und die Lage rechtzeitig begriffen hätte, wie wir es taten, die chinesische KP beträchtlich stärker gewesen wäre, besonders in der Gewerkschaftsbewegung? Erinnern wir uns daran, dass während des höchsten Aufschwungs der zweiten Revolution, in der ersten Hälfte 1927, 2.800.000 Arbeiter in Gewerkschaften unter dem Einfluss der KP organisiert waren. Augenblicklich gibt es nach Siu 60.000. Und das in ganz China!

All diese erbärmlichen „Führer", die sich in eine hoffnungslose Sackgasse hinein manövriert haben, die ungeheuren Schaden angerichtet haben, reden über „trotzkistische Renegaten" und glauben, dass sie durch diese Verleumdung den Schaden gutmachen können. Das ist Stalins Schule! Das sind ihre Früchte!

16. Die Sowjets und der Klassencharakter der Revolution

Welche Rolle spielen, nach Stalin, die Sowjets in der chinesischen Revolution? Welcher Platz wurde ihnen in den verschiedenen Stadien der Revolution zugewiesen? Mit der Herrschaft welcher Klasse werden sie verbunden?

Während der Nord-Expedition wie auch in der Wuhan-Periode hörten wir von Stalin, dass die Sowjets erst nach der Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution errichtet werden können, erst auf der Schwelle der proletarischen Revolution. Gerade aus dies Grund lehnte das Politbüro, das Stalin dicht auf dem Fuß folgte, hartnäckig die Losung der Sowjets ab, die die Opposition vorbrachte.

Die Losung der Sowjets bedeutet nichts als ein sofortiges Überspringen des Stadiums der bürgerlich-demokratischen Revolution und die Organisation der Macht des Proletariats" (Aus der schriftlichen „Antwort des Politbüros" auf die Thesen der Opposition, April 1927).

Am 24. Mai, nach dem Staatsstreich von Schanghai und während des Umsturzes von Wuhan, bewies Stalin die Unvereinbarkeit der Sowjets mit der bürgerlich-demokratischen Revolution auf folgende Weise:

Aber die Arbeiter werden dabei nicht haltmachen, wenn sie Sowjets und Arbeiterdeputierte haben. Sie werden zu den Kommunisten sagen – und sie werden recht haben – : Wenn wir die Sowjets sind und die Sowjets die Organe die Macht sind, können wir dann nicht die Bourgeoisie ein bisschen drücken und „etwas" enteignen? Die Kommunisten werden leere Windbeutel sein, wenn sie nicht den Weg der Enteignung der Bourgeoisie einschlagen, sobald es Sowjets von Arbeiter- und Bauerndelegierten gibt. Ist es möglich, diesen Weg augenblicklich einzuschlagen, und sollten wir es tun, in der gegenwärtigen Phase der Revolution?

Nein, wir sollen nicht."

Und was wird aus der Kuomintang werden, nachdem man zur proletarischen Revolution übergegangen ist? Stalin hatte es alles ausgerechnet. In seiner Unterhaltung mit Studenten am 13. Mai 1927, die wir bereits zitierten, antwortete Stalin:

Ich glaube, dass in der Periode der Errichtung von Sowjets von Arbeiter- und Bauerndelegierten und der Vorbereitung des chinesischen Oktober die chinesische KP den augenblicklichen Block innerhalb der Kuomintang durch einen Block außerhalb der Kuomintang wird ersetzen müssen."

Unsere großen Strategen sahen alles voraus – entschieden sahen sie alles voraus, abgesehen vom Klassenkampf. Selbst beim Übergang zur proletarischen Revolution versorgte Stalin die chinesische KP besorgt mit einem Verbündeten, mit eben derselben Kuomintang. Um die sozialistische Revolution durchzuführen, wurde den Kommunisten nur gestattet, aus den Reihen der Kuomintang auszutreten, aber keineswegs, den Block mit ihr zu brechen. Wie man weiß, war das Bündnis mit der Bourgeoisie die beste Voraussetzung zur Vorbereitung des „chinesischen Oktober". Und all das wurde Leninismus genannt …

Sei es, wie es wolle, 1925-27 stellte Stalin die Frage der Sowjets sehr kategorisch, indem er die Bildung von Sowjets mit der unmittelbaren sozialistischen Enteignung der Bourgeoisie verband. Es ist wahr, er benötigte diesen „Radikalismus" damals nicht. um die Enteignung der Bourgeoisie zu verteidigen, sondern im Gegenteil um die Bourgeoisie gegen die Enteignung zu verteidigen. Aber die prinzipielle Fragestellung war ohnehin klar: Die Sowjets können nur und ausschließlich Organe der sozialistischen Revolution sein. Das war die Einstellung des Politbüros der KPdSU, das war die Einstellung des EKKI.

Aber Ende 1927 wurde in Kanton ein Aufstand durchgeführt, dem ein Sowjet-Charakter gegeben wurde. Die Kommunisten besaßen die Macht. Die dekretierten Maßnahmen von rein sozialistischem Charakter (Nationalisierung des Landes, der Banken, Wohnungen Industrieunternehmen usw.). Es möchte scheinen, dass wir es mit einer proletarischen Revolution zu tun hatten. Aber nein. Ende Februar 1928 zog das IX. Plenum des EKKI die Bilanz des Kanton-Aufstandes. Und was war das Ergebnis?

Das laufende Jahr ist in der chinesischen Revolution eine Periode der bürgerlich-demokratischen Revolution, die noch nicht vollendet wurde … Die Tendenz, dieses bürgerlich-demokratische Stadium zu überspringen, bei gleichzeitiger Einschätzung der Revolution als „permanenter" Revolution, ist ein Fehler, der dem Trotzkis von 1905 gleicht."

Aber zehn Monate früher (April 1927) erklärte das Politbüro, dass allein die Losung von Sowjets (nicht Trotzkismus, sondern die Losung der Sowjets!) ein unzuverlässiges Überspringen des bürgerlich-demokratischen Stadiums bedeute. Aber jetzt, nach der vollständigen Erschöpfung aller Variationen der Kuomintang, als es notwendig war, die Losung der Sowjets zu sanktionieren, sagt man uns, dass nur Trotzkisten diese Losung mit der proletarischen Diktatur in Verbindung bringen können. Auf diese Weise wird aufgedeckt, dass Stalin 1925-27 ein … „Trotzkist" war, und ebenso umgekehrt.

Es ist wahr, dass das Programm der Komintern in dieser Frage auch eine entscheidende Wendung vornahm. Unter den wichtigsten Aufgaben der kolonialen Länder erwähnte das Programm: „Die Errichtung einer demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft, die auf Sowjets basiert." Wirklich wundersam! Was gestern noch mit der demokratischen Revolution unvereinbar war, wurde heute zur ihrer grundlegenden Basis erklärt. Man würde vergeblich nach irgendeiner theoretischen Erklärung dieses vollkommenen Purzelbaums suchen. Alles wurde streng administrativ getan.

Wann hatte Stalin unrecht? Als er die Sowjets für unvereinbar mit der demokratischen Revolution erklärte oder als er die Sowjets zur Grundlage der demokratischen Revolution machte? In beiden Fällen. Denn Stalin versteht nicht die Bedeutung der demokratischen Diktatur, die Bedeutung der proletarischen Diktatur, ihre gegenseitigen Beziehungen und die Rolle, die die Sowjets im Zusammenhang mit ihnen spielen.

Er zeigte das nochmals aufs Beste, wenn auch nur mit ein paar Worten, auf dem XVI. Kongress der KPdSU.

17. Die chinesische Frage und der XVI. Kongress der KPdSU

Stalin konnte, so sehr er sich auch darum bemühte, in seinen Zehn-Stunden-Bericht die Frage der chinesischen Revolution nicht vollständig übergehen. Er widmete ihr genau 5 Sätze. Und was für Sätze! Tatsächlich „viel in wenig" wie die Lateiner sagen (multum in parvo). Da er alle scharfen Ecken vermeiden wollte, sich riskanter Verallgemeinerungen und noch mehr konkreten Prognosen enthalten wollte, gelang es Stalin, in fünf Sätzen alle die Fehler zu machen, die er noch machen konnte.

Es wäre lächerlich anzunehmen", sagte Stalin, „dass dies schlechte Benehmen der Imperialisten für sie ungestraft vorübergehen wird. Die chinesischen Arbeiter und Bauern haben darauf bereits durch die Errichtung von Sowjets und die Rote Armee geantwortet. Man sagt, dass dort bereits eine Sowjet-Regierung geschaffen worden ist. Ich glaube, dass, wenn das wahr ist, dann daran nichts Überraschendes ist. Zweifellos können nur Sowjets China vor der völligen Zerstückelung und Verarmung retten" (Prawda 29. Juli 1930).

Es wäre lächerlich anzunehmen". Hier liegt der Ausgangspunkt für alle weiteren Schlüsse. Wenn das schlechte Benehmen der Imperialisten unausweichlich eine Antwort in der Form von Sowjets und einer Roten Armee verursachen wird, wie kommt es dann, dass es den Imperialismus immer noch auf der Welt gibt?

Man sagt, dass dort bereits eine Sowjet-Regierung geschaffen ist." Was bedeutet das „Man sagt"? Wer sagt das? Und was am wichtigsten ist, was sagt die chinesische KP dazu? Sie ist ein Teil der Komintern, und ihre Vertreter sprachen auf dem Kongress. Bedeutet das, dass die Sowjet-Regierung in China ohne die KP und ohne ihr Wissen geschaffen wurde? Wer führt dann die Regierung? Wer sind ihre Mitglieder? Welche Partei hat die Macht? Stalin gibt nicht nur keine Antwort, sondern er stellt noch nicht einmal die Frage.

„Ich glaube, dass, wenn (!) das wahr ist, dann (!) daran nichts Überraschendes ist.“ Es ist nichts Überraschendes darin, dass in China eine Sowjet-Regierung geschaffen wurde, über die die chinesische KP nichts weiß und über deren politische Physiognomie der höchste Führer der chinesischen Revolution uns keine Information geben kann. Was auf der Welt kann einen dann noch überraschen?

Zweifellos können nur die Sowjets China vor der völligen Zerstücklung und Verarmung retten." Mit Sowjets? Bisher haben wir alle Arten von Sowjets gesehen: Zeretelis Sowjets, Otto Bauers und Scheidemanns Sowjets einerseits und die bolschewistischen Sowjets andererseits. Zeretelis Sowjets konnten Russland nicht vor der Zerstückelung und Verarmung retten. Im Gegenteil, ihre ganze Politik ging dahin, Russland in eine Kolonie der Entente zu verwandeln. Nur die Bolschewiki machten die Sowjets zu einer Waffe für die Befreiung der werktätigen Massen. Zu welcher Art Sowjets gehören die chinesischen? Wenn die chinesische KP nichts über sie sagen kann, so bedeutet das, dass sie sie nicht führt. Wer führt sie dann? Abgesehen von den Kommunisten können nur zufällige, dazwischenliegende Elemente, Leute einer „dritten Partei", mit einem Wort, Fragmente der Kuomintang der zweiten und dritten Sorte, an die Spitze von Sowjets kommen und eine Sowjet-Regierung schaffen.

Erst gestern dachte Stalin, dass „es lächerlich wäre, anzunehmen", vor der Vollendung der demokratischen Revolution an die Schaffung von Sowjets zu denken. Jetzt scheint er zu denken – wenn seine fünf Sätze überhaupt irgendeine Bedeutung haben –, dass in der demokratischen Revolution die Sowjets das Land, selbst ohne die Führung der Kommunisten, retten können.

Wenn man von einer Sowjet-Regierung spricht, ohne von der Diktatur des Proletariats zu sprechen, so heißt das, dass man die Arbeiter betrügt und der Bourgeoisie dabei hilft, die Bauern zu betrügen. Wenn man aber von der Diktatur des Proletariats spricht, ohne von der Führungsrolle der kommunistischen Partei zu sprechen, so heißt das, noch einmal die Diktatur des Proletariats in eine Falle für das Proletariat zu verwandeln. Die chinesische KP ist jetzt allerdings außerordentlich schwach. Die Zahl ihrer Arbeitermitglieder beschränkt sich auf ein paar tausend. In Roten Gewerkschaften gibt es ungefähr 50.000 Arbeiter. Unter diesen Umständen von der Diktatur des Proletariats als einer unmittelbaren Aufgabe sprechen, ist offensichtlich undenkbar. Andererseits entfaltet sich in Südchina eine breite Bauernbewegung, an der sich Partisanenbanden beteiligen. Der Einfluss der Oktober-Revolution ist, trotz der Jahre dauernden Herrschaft der Epigonen-Führung, immer noch so groß in China, dass die Bauern ihre Bewegung „Sowjet" nennen und ihre Banden – „Rote Armeen". Dies zeigt noch einmal die Tiefe von Stalins Philistertum in der Periode, als er, gegen die Sowjets gewendet, sagte, dass wir die Massen des chinesischen Volkes nicht durch eine künstliche „Sowjetisierung" abschrecken dürfen. Nur Tschiang Kai-schek hätte davon abgeschreckt werden können, aber nicht die Arbeiter, nicht die Bauern, für die nach 1917 die Sowjets Symbole der Emanzipation geworden waren. Die chinesischen Bauern füllten die Losung der Sowjets natürlich mit vielen Illusionen. Das ist bei ihnen verzeihlich. Aber ist es bei den führenden Chwostisten verzeihlich, die sich auf eine feige und zweideutige Verallgemeinerung der Illusionen beschränken, die die chinesische. Bauernschaft hat, ohne dem Proletariat die wirkliche Bedeutung der Ereignisse zu erklären?

Es ist nichts Überraschendes daran", sagt Stalin, wenn die chinesischen Bauern, ohne die Beteiligung der Industriezentren und ohne die Führung der Kommunistischen Partei eine Sowjet-Regierung schufen. Aber wir sagen, dass das Auftreten einer Sowjet-Regierung unter diesen Umständen absolut unmöglich ist. Nicht nur die bolschewistische, sondern sogar die Zereteli-(Halb-) Regierung der Sowjets konnte nur auf der Basis der Städte entstehen. Wenn man meint, die Bauernschaft sei fähig, unabhängig ihre Sowjet-Regierung zu schaffen, so glaubt man an Wunder. Es wäre genauso ein Wunder, eine Rote-Bauern-Armee zu schaffen. Die Bauern-Partisanen spielten in der Russischen Revolution eine große revolutionäre Rolle, aber weil es Zentren proletarischer Diktatur und eine zentralisierte proletarische Rote Armee gab. Bei der augenblicklichen Schwäche der chinesischen Arbeiterbewegung und bei der noch größeren Schwäche der KP ist es schwer, von einer Diktatur des Proletariats als der nächstliegenden Aufgabe in China zu sprechen. Daher ist Stalin, der im Kielwasser des Bauernaufstandes schwimmt, gezwungen, trotz all seiner früheren Erklärungen die Bauernsowjets und die Rote-Bauern-Armee mit der bürgerlich-demokratischen Diktatur zu verknüpfen. Die Führung dieser Diktatur, die eine zu schwere Aufgabe für die KP ist, wird der einen oder anderen politischen Partei anvertraut, die irgendein revolutionäres X ist. Da Stalin die chinesischen Arbeiter und Bauern daran hinderte, ihren Kampf für die Diktatur des Proletariats zu führen, so muss nun irgend jemand Stalin dabei helfen, die Sowjet-Regierung in die Hand zu nehmen, als das Organ der bürgerlich-demokratischen Diktatur. Als Motivierung für diese neue Perspektive werden uns fünf Argumente in fünf Sätzen angeboten. Hier sind sie: (1) „Es wäre lächerlich anzunehmen"; (2) „man sagt"; (3) „wenn es wahr ist"; (4) „es ist nichts Überraschendes daran"; (5) „zweifellos". Hier haben wir sie, die administrative Argumentation in all ihrer Macht und Glorie!

18. Der Charakter von Stalins „Fehlern“

Es gibt Fehler und Fehler. In den verschiedenen Gebieten des menschlichen Denkens kann es sehr beträchtliche Fehler geben, die aus einer unzureichenden Untersuchung des Objekts, aus unzureichenden Faktenmaterial, aus zu großer Schwierigkeit der zu berücksichtigenden Faktoren usw. herrühren können. Zu diesen können wir die Fehler der Meteorologen bei der Wettervorhersage rechnen, die für eine ganze Reihe von Fehlern auf dem Gebiet der Politik typisch sind. Die Fehler eines ausgebildeten, geistesgegenwärtigen Meteorologen allerdings sind für die Wissenschaft häufig nützlicher als die Vermutung eines Empirikers, selbst wenn diese zufällig durch Tatsachen bestätigt wird. Was würden wir aber von einem ausgebildeten Geographen, dem Führer einer Polarexpedition sagen, der davon ausgeht, dass die Erde auf drei Walfischen ruht? Und doch gehören Stalins Fehler fast vollkommen zu dieser letzten Kategorie. Stalin, der niemals so weit kam, den Marxismus als Methode anzuwenden, und der nur die eine oder andere „marxistisch anmutende" Formel rituell gebrauchte, nimmt als Ausgangspunkt für seine praktische Handlungen die krassesten empirischen Vorurteile. Aber das ist die Dialektik des Vorganges: Diese Vorurteile wurden in der Periode des revolutionären Niedergangs zu Stalins größter Stärke. Sie gestatteten es ihm, die Rolle zu spielen, die er subjektiv nicht wollte. Die schwerfällige Bürokratie, die sich von der revolutionären Klasse, die die Macht erobert hatte, absonderte, ergriff Stalins Empirismus wegen seiner Käuflichkeit, seines vollkommenen Zynismus auf dem Gebiet der Prinzipien, um ihn zu ihrem Führer zu machen und um die Stalin-Legende zu schaffen, die die Lieblings-Legende der Bürokratie selbst ist. Das erklärt, warum und wie die starke aber absolut mittelmäßige Person, die in den Jahren des Aufstieg der Revolution zweit- und drittrangige Rollen spielte, sich dazu berufen zeigte, die Führungsrolle zu spielen in den Jahren des revolutionären Niedergangs, in den Jahren der Stabilisierung der Weltbourgeoisie, der Regeneration der Sozialdemokratie, der Schwächung der Komintern und der konservativen Degeneration der breitesten Kreise der Sowjetbürokratie.

Die Franzosen sagen von einem Mann: Seine Fehler sind seine Tugenden. Von Stalin kann man sagen: Seine Fehler erwiesen sich für ihn als vorteilhaft. Die Zahnräder des Klassenkampfes verfingen sich in seiner theoretischen Beschränktheit, seiner politischen Anpassungsfähigkeit, seiner moralischen Unbedenklichkeit, kurz, in seinen Fehlern als proletarischer Revolutionär, um ihn zu einem Staatsmann in der Periode der kleinbürgerlichen Emanzipation vom Oktober, vom Marxismus, vom Bolschewismus zu machen.

Die chinesische Revolution war eine Prüfung der neuen Rolle Stalins – durch die umgekehrte Methode. Nachdem er in der UdSSR mit Hilfe der Schichten an die Macht gekommen war, die von der internationalen Revolution abgefallen waren, und mit der indirekten, aber sehr wirkungsvollen Hilfe der feindlichen Klassen wurde Stalin automatisch zum Führer der chinesischen Revolution. Der passive Held des Hinter-den-Kulissen-Apparats musste seine Methode und Qualität an den Ereignissen des großen revolutionären Stroms zeigen. Darin liegt das tragische Paradoxon von Stalins Rolle in China. Nachdem er die chinesischen Arbeiter der Bourgeoisie unterstellt hatte, die Agrarbewegung gebremst, die reaktionären Generäle unterstützt, die Arbeiter entwaffnet, das Auftreten von Sowjets verhindert und die liquidiert hatte, die auftraten, führte Stalin die historische Rolle zu Ende, die Zereteli in Russland nur auszuführen versuchte. Der Unterschied besteht darin, dass Zereteli auf offener Bühne handelte, – nachdem er die Bolschewiki gegen sich aufgebracht hatte – und dass er sofort und auf der Stelle die Verantwortung für seinen Versuch tragen musste, die gefesselte und betäubte Arbeiterklasse an die Bourgeoisie zu verraten. Stalin jedoch handelte in China vor allem hinter den Kulissen, verteidigt von einem mächtigen Apparat und mit dem Banner des Bolschewismus behängt. Zereteli stützte sich auf die Unterdrückung der Macht der Bolschewiki durch die Bourgeoisie. Stalin dagegen wendete diese Unterdrückung selbst gegen die Bolschewisten-Leninisten (Opposition) an. Die Unterdrückung der Bourgeoisie wurde durch die sich erhebende Welle zunichte gemacht. Stalins Repressionen wurden durch die zurückweichende Woge begünstigt. Deshalb konnte Stalin das Experiment mit der rein menschewistischen Politik in der chinesischen Revolution bis zu Ende führen, d.h. in die äußerst tragische Katastrophe.

Wie steht es aber mit dem augenblicklichen linken Anfall der stalinistischen Politik? Nur sehr engstirnige Leute können in dieser Episode – und der linke Zickzack wird trotz all seiner Bedeutung als eine Episode in die Geschichte eingehen – einen Widerspruch zu dem Gesagten erblicken – Leute, denen das Verständnis dafür fehlt, dass die Dialektik des menschlichen Bewusstseins im Zusammenhang mit der Dialektik des historischen Prozesses steht. Der Niedergang der Revolution wie auch ihr Aufstieg verläuft nicht geradlinig. Der Empiriker, der den Niedergang der Revolution – „man glaubt zu schieben und man wird geschoben" (Goethe) – anführt, musste in einem bestimmten Augenblick Angst vor dem Abgrund des sozialen Verrats bekommen, an dessen Rand er 1925-27 durch seine eigenen Qualitäten getrieben wurde, die Kräfte ausnützten, die dem Proletariat halb und ganz feindlich waren. Und da die Degeneration des Apparats kein glatter Vorgang ist und da die revolutionären Tendenzen in den Massen stark sind, standen genügend Unterstützung und Reservekräfte bereit, um die Wendung vom Rand des Thermidor-Abgrundes zur Linken hin zu vollziehen. Die Wendung nahm den Charakter von panikartigen Sprüngen an, eben weil dieser Empiriker nichts vorhersah, bis er dicht an den Rand des Abgrundes gekommen war. Die Ideologie des Sprungs nach links wurde durch die Linke Opposition vorbereitet – man musste nur noch ihre Arbeit in Brocken und Fragmenten benutzen, wie es einem Empiriker zukommt. Aber der scharfe Anfall von Linkstum ändert nichts an dem grundlegenden Entwicklungsvorgang der Bürokratie oder dem Wesen Stalins selbst.

Das Fehlen theoretischer Vorbereitung bei Stalin, der Mangel an einem breiten Gesichtskreis und kreativer Vorstellungskraft – Züge, ohne die es keine unabhängige Arbeit in großem Ausmaß geben kann – erklären vollständig, warum Lenin, der Stalin als praktischen Gehilfen schätzte, dennoch empfahl, die Partei solle ihn von seinem Posten des Generalsekretärs entfernen, als es klar wurde, dass dieser Posten eine unabhängige Bedeutung bekommen könnte. Lenin sah in Stalin nie einen politischen Führer.

Sich selbst überlassen, nahm Stalin immer und unveränderlich stets eine opportunistische Haltung in allen großen Fragen, an. Wenn Stalin keine wichtigen theoretischen oder politischen Konflikte mit Lenin hatte, wie Bucharin, Kamenew, Sinowjew und sogar Rykow, so deshalb, weil Stalin nie an seinen prinzipiellen Ansichten festhielt und in allen Fällen ernsthafter Uneinigkeit einfach schwieg, sich zurückzog und abwartete. Abgesehen davon hatte Lenin oft organisatorisch-moralische Konflikte mit Stalin, häufig sehr scharfe, und zwar gerade wegen der Fehler Stalins, die Lenin in seinem „Testament" der Form nach vorsichtig, dem Inhalt nach aber so erbarmungslos charakterisiert hat.

Zu all dem müssen wir hinzufügen, dass Lenin Hand in Hand mit einer Gruppe von Mitarbeitern arbeitete, von denen jeder Wissen, persönliche Initiative und ausgezeichnetes Talent mit zur Arbeit brachte. Stalin ist, besonders nach der Liquidierung der Gruppe des rechten Flügels, von vollendeten Dutzendmenschen umgeben, denen jeder internationale Gesichtskreis fehlt und die unfähig sind, sich auch nur in einer einzigen Frage der Weltarbeiterbewegung eine unabhängige Meinung zu bilden.

Währenddessen ist die Bedeutung des Apparats seit Lenins Zeit unermesslich gewachsen. Stalins Führung in der chinesischen Revolution ist eben die Frucht aus der Kombination von theoretischer, politischer und nationaler Beschränktheit mit einer gewaltigen Macht des Apparats. Stalin hat sich als unfähig erwiesen zu lernen. Seine fünf Sätze über China auf dem XVI. Kongress sind ganz und gar von demselben organischen Opportunismus durchdrungen, der Stalins Politik in allen früheren Stadien im Kampf des chinesischen Volkes beherrschte. Der Mann, die die zweite chinesische Revolution unternommen hat, bereitet sich nun vor unseren Augen darauf vor, die dritte chinesische Revolution in ihren ersten Anfängen zu erwürgen.

Prinkipo, 26. August 1930

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