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Leo Trotzki 19300500 Zum Selbstmord Wladimir Majakowskis

Leo Trotzki: Zum Selbstmord Wladimir Majakowskis

[Nach Die Aktion, 20. Jahrgang, Heft 1/2 (August 1930) Spalte 17-19]

Schon Alexander Block hat in Majakowski „ein riesiges Talent" erkannt. Man darf ohne Übertreibung sagen, dass in Majakowski Funken von Genialität vorhanden waren. Doch es war kein harmonisches Talent. Woher sollte auch künstlerische Harmonie kommen in diesen Jahrzehnten der Katastrophen, an dieser noch nicht verheilten Narbe zweier Epochen? Im Schaffen Majakowskis gehen Höhen neben Abgründen, verblüfft Flügelschlag der Genialität neben trivialen Strophen, ja sogar neben marktschreierischer Vulgarität.

Es ist nicht richtig, dass Majakowski in erster Linie Revolutionär gewesen sei und dann erst Dichter, mochte er dies auch aufrichtig gewollt haben. In Wirklichkeit war Majakowski Dichter, vor allem Künstler, bemüht, sich von der alten Welt abzustoßen, jedoch ohne mit ihr zu brechen, und der erst nach der Revolution in der Revolution für sich einen Stützpunkt suchte und zum großen Teil auch fand. Dennoch verschmolz er mit ihr nicht restlos, denn er ist nicht durch Jahre innerer Vorbereitung einer Minderheit zu ihr gelangt. Betrachtet man die Frage im großen Maßstabe, so war Majakowski nicht nur der „Sänger", sondern auch das Opfer der Übergangsepoche, die zwar die Elemente einer neuen Kultur mit früher ungeahnter Kraft formiert, doch immerhin viel langsamer und widerspruchsvoller, als es die harmonische Entwicklung eines einzelnen Dichters oder einer einzelnen Dichtergeneration erfordert, die sich der Revolution hingeben. Das Fehlen der inneren Harmonie rührt eben daher und äußerte sich im Stil des Schaffens, im Mangel an Disziplin des Wortes und des Maßes der Gestaltung. Heiße Lava des Pathos – daneben deplatziertes Anbiedern an die Epoche, an die Klasse, oder ein geradezu abgeschmackter Witz, durch den sich der Dichter gleichsam gegen Verletzungen seitens der Außenwelt schützte. Manchmal wirkte es nicht nur wie eine künstlerische, sondern auch wie eine psychologische Unwahrhaftigkeit. Doch nein! Selbst die Abschiedsbriefe vor dem Tode geben den gleichen Ton: wie wertvoll schon das Wort, mit dem der Dichter das Fazit zieht: „Der Zwischenfall ist erschöpft!" Wir möchten sagen: Was bei dem verspäteten Romantiker Heinrich Heine die Lyrik und die Ironie (die Ironie gegen die Lyrik und gleichzeitig zu ihrer Verteidigung), das ist bei dem verspäteten „Futuristen" Wladimir Majakowski das Pathos und die Vulgarität (Vulgarität gegen das Pathos und zu seiner Verteidigung). Die offizielle Mitteilung über den Selbstmord beeilte sich in der Sprache eines Gerichtsprotokolls, das im „Sekretariat" redigiert wurde, zu erklären: Der Selbstmord Majakowskis „hat mit der öffentlichen oder mit der literarischen Tätigkeit des Dichters nichts gemein". Das aber heißt zu behaupten, der freiwillige Tod Majakowskis habe mit dessen Leben keine Beziehung oder das Leben Majakowskis mit seinem revolutionär-dichterischen Schaffen nichts gemein gehabt, mit anderen Worten, sein Tod wird in eine Angelegenheit der Miliz verwandelt. Falsch, unnötig und einfältig! „Das Boot zerschellte an der Lebensform", sagt Majakowski in seinem Abschiedsvers über sein intimes Leben. Das bedeutet eben, dass die „öffentliche und literarische Tätigkeit" aufgehört hatte, ihn genügend über die Lebensform zu erheben, um ihn vor unerträglichen persönlichen Stößen zu retten. Was heißt da: „Hat nichts gemein?" Die heutige offizielle Ideologie der „proletarischen Literatur" beruht – auf künstlerischem Gebiet sehen wir das gleiche wie auf wirtschaftlichem! – auf völligem Unverständnis für die Rhythmen und Fristen der kulturellen Reifung. Der Kampf um die „proletarische Kultur" – so etwas wie „durchgehende Kollektivierung" aller Errungenschaften der Menschheit im Rahmen eines Fünfjahrplanes – trug zu Beginn der Oktober-Revolution den Charakter eines utopischen Idealismus, – und fand gerade auf dieser Linie die Zurückweisung von Seiten Lenins wie des Autors dieser Zeilen. In den letzten Jahren wurde er einfach ein System des bürokratischen Kommandos über die Kunst und – ihrer Verwüstung. Als Klassiker der pseudoproletarischen Literatur wurden jene proklamiert, die in der bürgerlichen Literatur keinen Erfolg hatten, wie Serafimowitsch, Gladkow und andere. Flinke Nullen, wie ein Awerbach, wurden zu Belinskis der … „proletarischen" (!) Literatur erhoben. Die Oberleitung über das künstlerische Wort geriet in die Hände von Molotow, der die lebendige Verneinung alles Schöpferischen in der menschlichen Natur darstellt. Der Gehilfe Molotows – von Stunde zu Stunde wird es schlimmer! – ist Gussew, ein Künstler auf allen Gebieten, nur nicht auf dem der Kunst. Diese menschliche Auslese stammt restlos aus der bürokratischen Umgestaltung der offiziellen Sphären der Revolution. Molotow und Gussew haben über die Literatur den kollektiven Malaschkin gesetzt, ein höfisch-„revolutionär"-pornographisches Schrifttum mit eingesunkener Nase.

Die besten Vertreter der proletarischen Jugend, jene, die berufen wären, die Elemente einer neuen Literatur und einer neuen Kultur vorzubereiten, gerieten unter das Kommando von Menschen, die ihre eigene Kulturlosigkeit als das Maß aller Dinge betrachten.

Ja, Majakowski hat mutiger und heroischer als sonst einer aus der letzten Generation der alten russischen Literatur – deren Anerkennung zu erringen er übrigens nicht Zeit gefunden hatte – eine Verbindung mit der Revolution gesucht. Ja, er hat diese Verbindung vollständiger als irgendein anderer verwirklicht. Aber ein tiefer Zwiespalt blieb auch in ihm. Zu den allgemeinen Widersprüchen der Revolution, die stets schwerwiegend für die Kunst sind, da sie nach vollendeten Formen sucht, gesellte sich noch der durch die Epigonen verursachte Niedergang der letzten Jahre. Bereit, der „Epoche" mit der schwärzesten Arbeit des Alltags zu dienen, musste sich Majakowski von dem pseudorevolutionären Bürokratismus abwenden, wenn er auch theoretisch nicht fähig war, ihn zu erkennen und damit den Weg des Sieges über ihn zu finden. Der Dichter sagt mit vollem Recht von sich: „der nicht im Solde stand". Lange und erbittert wehrte er sich, in den administrativ-awerbachschen Kolchos der „proletarischen" Pseudoliteratur hineinzugehen. Daher seine wiederholten Versuche, unter der Flagge des „LEF" (russische Abkürzung für linke Front) einen Orden rasender Kreuzträger der proletarischen Revolution zu schaffen, die ihr nicht aus Angst, sondern aus Überzeugung dienen. Der „LEF" aber war ohnmächtig, „150 Millionen" seine Rhythmen aufzuzwingen: die Dynamik der Fluten und Ebben der Revolution ist zu tief und zu gewichtig. Niedergerungen durch die Logik der Situation, tat sich Majakowski im Januar dieses Jahres Gewalt an und trat endlich – zwei, drei Monate vor seinem Selbstmord, in die WAPP ein (russische Abkürzung für Assoziation proletarischer Dichter der Sowjetunion). Das hat jedoch nichts gegeben, wahrscheinlich aber manches genommen. Und als der Dichter die Rechnung mit den Widersprüchen der „Lebensform" machte, der persönlichen und der gesellschaftlichen, indem er sein „Boot" auf den Grund gehen ließ, riefen die Vertreter des bürokratischen Schrifttums, die „im Solde Stehenden": „unfassbar, unbegreiflich" und bewiesen damit, dass nicht nur der große Dichter Majakowski ihnen „unfassbar" war, sondern auch die Widersprüche der Epoche ihnen „unbegreiflich" geblieben sind. Die bürokratisch erzwungene, geistig verwahrloste Vereinigung der proletarischen Dichter, aufgebaut auf einer Reihe vorangegangener Pogrome auf lebensfähige und wahrhaft-revolutionäre literarische Nester, hat offenbar doch wohl keine moralische Verschmelzung ergeben, wenn man auf den Weggang des größten Dichters Sowjetrusslands von dort aus nur mit einem offiziösen Staunen zu antworten vermochte: „Hat nichts gemein". Wenig, allzu wenig für den Aufbau einer neuen Kultur „in kürzester Frist".

Majakowski ist nicht der direkte Stammvater der proletarischen Literatur geworden und hat es nicht werden können aus demselben Grunde, aus dem man den Sozialismus in einem Lande nicht aufbauen kann. Doch in den Kämpfen der Übergangsperiode war er der mutigste Krieger des Wortes und einer der unbestreitbaren Vorläufer der Literatur der neuen Gesellschaft.

Leo Trotzki.

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