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Leo Trotzki 19310311 Anlässlich des Menschewistenprozesses

Leo Trotzki: Anlässlich des Menschewistenprozesses

Die wahre Verteilung der Figuren auf dem politischen Feld.

[Nach Mitteilungsblatt des Bezirks Westsachsen der Linken Opposition der KPD, Nr. 2, Ende April 1931, S, 1-3. Offenkundig hat Trotzki damals noch die Glaubwürdigkeit der Geständnisse von Angeklagten in stalinistischen Schauprozessen überschätzt]

Die Verbindung der Menschewiki mit den Saboteuren einerseits und zur imperialistischen Bourgeoisie anderseits bietet nichts Unerwartetes. Die Aufdeckung dieser Verbindung, unwiderleglich bestätigt durch die Geständnisse der Mitglieder des menschewistischen Zentrums, hat indessen eine große demonstrative Bedeutung, weil sie auf eine besonders eklatante Art Folgendes beweist: Trotz aller demokratischen Abstraktionen mit denen sie sich decken will, ist es unvermeidlich, dass sich eine Politik mit einem Klasseninhalt füllt, und die Interessen dieser Klasse verkörpert. Man kann nicht [in] Richtung der „reinen" Demokratie marschieren, ohne in die Richtung des Kapitalismus zu gehen. Man kann nicht in der Richtung des Kapitalismus gehen, ohne der Agent der imperialistischen Bourgeoisie zu werden. Durch ihren Klasseninhalt unterscheidet sich die Rolle der Menschewiki in nichts von der Rolle der Labour Party in Großbritannien, der Sozialdemokraten in Deutschland, die Form und Methoden sind verschieden, der tiefere Grund ist derselbe, der Kampf gegen die Sozialdemokratie ist ein Kampf gegen den demokratischen Flügel der Bourgeoisie.

Es gibt indessen in dem Menschewikiprozess einen Umstand, welcher beim ersten Blick zweitrangig erscheinen oder sogar unserer Aufmerksamkeit entgehen kann, welcher aber in Wirklichkeit mit einem grellen Licht die Verteilung der Figuren auf dem politischen Feld beleuchtet.

Das Alter aller Angeklagten schwankt zwischen 45 und 56. Nur zwei, die jüngsten sind 39 und 41 Jahre alt. Wir sehen hier die Repräsentanten der älteren Generation der Menschewiki vor uns, die Begründer des Menschewismus, seine theoretischen und praktischen Führer in der ersten Revolution, während der Jahre der Reaktion, während der Periode des Krieges, während der Monate der Februarrevolution und während der ersten Jahre des bolschewistischen Regimes.

In ihrer Anwesenheit in dieser Partei gibt es jedoch eine Unterbrechung, welche zusammenfällt mit einer gewissen Periode des Sowjetregimes. Alle 14 Menschewisten, vielleicht mit einer einzigem Ausnahme, haben die Beziehungen zu der menschewistischen Partei für mehrere Jahre von 3 bis zu 9 abgebrochen und die Mehrheit von ihnen arbeitete in dieser Zeit in den Institutionen der Sowjets auf der Basis des offiziellen Kurses und nicht nach den Direktiven des menschewistischen Zentrums. Während der Periode, welche zwischen den Jahren 23-24 und 26-27 abläuft, hatte fast keiner der Angeklagten Beziehungen, nichts einmal formelle, mit der menschewistischen Partei und ihrem Auslandszentrum. Der Wiederaufbau der offiziellen menschewistischen Organisation wurde erst vor drei Jahren auf Initiative der Angeklagten bewerkstelligt.

Die hervorragendste Figur in diesem Prozess ist Groman. Seine Verbindung mit der menschewistischen Partei, deren angesehenster Wirtschaftstheoretiker er war, ist unterbrochen im Jahre 1922, d.h. als während Lenin krank ist und Schritt für Schritt aus der Arbeit gedrängt wird, der Apparat die Vorbereitung eines geheimen aber intensiven Kampf gegen den Trotzkismus beginnt. Groman kehrt 1926 in die Reihen des Menschewismus zurück. Ginsburg, nachdem er mehrere Jahre den VSNKh (Allruss. Wirtschaftsrat) inspiriert hatte, ist nach einer Pause von 6 Jahren 1927 in die Reihen der Menschewiki zurückgekehrt; ebenso wie die andere Säule des VSNKh, Sokolowski. Die anderen sind 1928 zurückgekehrt, einige erst 1929. Das „Unionsbüro" d.h. das Zentralkomitee, der Menschewiki im Inland, wurde nach den Angaben der Anklageschrift Anfang 1928 endgültig gebildet. Die Bedeutung dieses Datums erscheint vor uns in ihrer ganzen Klarheit, wenn wir folgenden Abschnitt der Anklageschrift zitieren: „Die Entwicklung von den Positionen des Friedens 1924 zu den Positionen des bewaffneten Aufstandes im Inneren des Landes und der bewaffneten Intervention von außen ist die Entwicklung der menschewistischen Sozialdemokratie in der Periode von 1924 bis 1930“.

Jetzt ist alles klar. Genau im Verlauf der Jahre, in denen die stalinsche Bürokratie einen immer mehr bewaffneten Kampf gegen die linke Opposition führte, rüsteten die Menschewiki ab und brachen entweder mit ihrer Partei, weil sie dachten, dass das Notwendige ohne sie getan werden würde, oder sie machten sich eine friedliche Politik zu eigen, eine Kabinettspolitik, welche ebenfalls alle ihre Hoffnungen gründete auf eine bourgeoise Evolution der Bolschewiki.

Der Pogrom gegen die Linke Opposition wurde die Verbindung, der Versöhnung der Menschewiki mit, dem Stalinschen Regime. Das ist die Hauptsache, welche in dem Anklageakt vom 23. Febr. auf eine trockene aber präzise Art registriert ist.

Wann hat der Linkskurs Stalins begonnen? Am 15. Februar 1928, als er zum ersten Mal offen dekretiert wurde im Leitartikel der „Prawda". Das Unionsbüro hat sich endgültig, wie man weiß, Anfang 1928 gebildet. Die politischen Wendepunkte der beiden Entwicklungslinien fallen vollkommen zusammen. Im selben Moment, wo die Stalinsche Bürokratie aus Furcht vor der verfolgten, aber nicht besiegten Opposition sich gezwungen sah, eine heftige Linkswendung zu machen, gruppieren sich die Menschewiki um die Fahne des Kampfes für den Sturz des Sowjetregimes.

Die Anklageschrift in der Sache der Spezialisten-Saboteure hat festgestellt auf Grund der Anordnungen der Angeklagten, dass während der Periode von 1923 bis 1928 die wesentliche Arbeit der Ingenieure-Saboteure im Gosplan, im VSNKh und in anderen leitenden Wirtschaftszentren darin bestand, künstlich die Tempi der Industrialisierung und Kollektivierung zu verlangsamen.

Gerade auf Grund der technischen und ökonomischen Angaben von Ramsin und Osadtschi einerseits und von Groman, Ginsburg, Sokolowski andererseits, führte das Zentralkomitee eine rasende Attacke gegen die „Überindustrialisierer" zur Verteidigung der pseudoleninistischen Linie. Was die Tempi der Industrialisierung betrifft, so erklärte der Hauptangeklagte Ramsin, „die leitenden Organe, welche über diese Frage entschieden, befanden sich gänzlich in den Händen der Industriepartei“.

Die Menschewiki taten nichts als dem Industriellenzentrum des Auslandes Dienste leisten. In seinem Kampf gegen die Opposition war Stalin nur der Lautsprecher der zwei Parteien: der menschew. Partei und der Industriepartei.

Von 1928 an ist nach den Geständnissen von Ramsin u.a. die legale Sabotage in Form der künstlichen Verlangsamung des Tempos, der Industrialisierung unmöglich geworden auf Grund der allzu heftigen Wendung der offiziellen Politik. Im selben Moment bildet sich das menschewistische Unionsbüro, welches eine heftige Wendung in den Kampfmethoden der Menschewiki gegen die Sowjetmacht vollzieht. Das Büro nähert sich in dieser Arbeit den konterrevolutionären Spezialisten und der emigrierten Bourgeoisie,

Es gibt nur zwei feste Linien: Die Linie der imperialistischen Bourgeoisie und des revolutionären Proletariats. Der Menschewismus ist die demokratische Maske der ersten Linie. Der Stalinismus ist die zentristische Verunstaltung der zweiten. Im vollen Kampf gegen die proletarische, revolutionäre, konsequente Fraktion befanden sich die Zentristen in einem nicht formellen, aber umso wirksameren Block mit den Menschewiki. So taten die Zentristen das unbewusst, was die Menschewiki bewusst taten, d.h. sie führten die Aufgaben des ausländischen Stabes der Kapitalisten durch. Von dem Moment an, wo die Zentristen unter dem Druck der Linken Opposition jäh nach links gewendet haben – Anfang 1928 – haben die Menschewiki eine jähe Wendung im Sinne eines offenen Blocks mit der Weltbourgeoisie gemacht, Das ist die wahre unbestreitbare Aufstellung der Hauptfiguren auf dem politischen Feld.

Die Ramsin, die Osadtschi, ebenso die Menschewiki haben gestanden. Die Frage, zu wissen inwieweit diese Geständnisse aufrichtig sind, ist für uns nicht von großem Interesse. Es steht indessen außer Zweifel, dass der folgende Prozess aufdecken wird die Verbrechen der Saboteure, die schuldig sind an der wilden Beschleunigung der in einem Missverhältnis stehenden Tempi und der restlosen Kollektivierung, in der administrativen Eutkulakisierung, und dieser Prozess wird zeigen, dass, wenn die menschewistischen Wirtschaftler während der Jahre 1923 bis 28, und das mit Recht, in der Verzögerung der Industrialisierung den Weg der bürgerlichen Degeneration des Sowjetsystems sahen, so viele von ihnen [von] 1928 an zu wahren Überindustrialisierern geworden sind, um auf dem Wege des ökonomischen Abenteurertums den politischen Sturz der Diktatur des Proletariats vorzubereiten.

Man kann den Inhalt dieses dritten zukünftigen Anklageakts genau voraussehen dank der Tatsache, dass die zwei vorhergehenden Anklageakte uns mit einer leuchtenden Klarheit die Aufstellung der Figuren der Klassen auf dem politischen Feld zeigen.

Prinkipo, den 11. März 1931

Leo Trotzki.

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