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Leo Trotzki 19310131 Brief

Leo Trotzki: Brief

[nach Internationales Bulletin der Kommunistischen Linksopposition, No. 5, März 1931, S. 16-18]

Werte Genossen,

die Krise der deutschen Linksopposition, die in den letzten Wochen unerhört scharfe Formen angenommen hat,veranlasst mich, einige Erwägungen zu äußern:

1) unter anderen Dokumenten erhielt ich die Abschrift eines Briefwechsels des G. Well mit der Berliner Leitung. Ich kann den Charakter, den G. Well seinem Kampfe gegen die falsche und äußerst gefährliche Politik der von G. Landau geführten Leitung verliehen hat, nicht für richtig finden. Der Ton der Briefe des Gen. Well kann erklärt werden nur mit einem äußerst nervösen Zustand, hervorgerufen durch schwere persönliche Schläge, aber er kann politisch nicht gerechtfertigt werden, gar in einem offiziellen Briefwechsel.

G. Well stellt zur Aufgabe seines Kampfes die Vertreibung des G. Landau aus den Reihen, der Opposition. Unnütz zu sagen, dass ich mich einer solchen Fragestellung nicht anzuschließen vermag. Die Aufgabe besteht in der Veränderung des gesamten Charakters der Arbeit der deutschen Opposition und ihrer Internationalen Orientierung. Diese Aufgabe kann nicht mit einem Schlage erreicht werden. In Frankreich hat der Kampf einen weitaus klareren prinzipiellen Gehalt. Indes stellt, soweit ich beurteilen kann, der linke Flügel der Liga der jetzt deren Mehrheit bildet, sich durchaus nicht zur Aufgabe, den G. Naville aus dem Bestand der Ligue zu verdrängen. Ich meinerseits glaube, dass es unbedingt notwendig ist, alles zu tun – außer prinzipiellen Konzessionen –, zur Erhaltung der Möglichkeit gemeinsamer Arbeit. Das Gleiche beziehe ich voll und ganz auf den G. Landau, den der Charakter seiner Fehler nicht zufälligerweise Naville genähert hat.

2) In der europäischen Opposition haben wir überwiegend junge Genossen, von denen viele sich früher in der Opposition erwiesen, als sie die Möglichkeit gehabt hatten, ernst und dauernd an der Partei und dem Massenkampf teilzunehmen. Die Opposition formt sich zudem unter den Bedingungen der immer noch anhaltenden revolutionären Ebbe, was Sektierertum und Zirkelstimmungen nährt. Österreich bietet uns ein Beispiel dessen, was für Karikaturgebilde geneigt sind, unter dem Banner der linken Opposition Zuflucht zu suchen. Dieses Beispiel ist zu gleicher Zeit eine ernste Lehre und ernste Warnung. In erster Reihe – an die Adresse des Genossen Landau.

Genosse Landau trägt zweifache Verantwortung für den „Mahnruf". Er ignorierte nicht nur alle Warnungen in Bezug auf den „Mahnruf“, sondern erlaubte sich in der unzulässigsten Form die Genossen Mill und Molinier zu attackieren, die eine vollkommen objektive Bewertung der „Mahnrufgruppe" gegeben hatten. Die letzte Wendung dieser Gruppe hat den Genossen Landau hart bestraft, indem sie bewies, dass organisatorische Kombinationen und persönliche Verbindungen die politische Erziehung auf Grundlage eines bestimmten Programms nicht ersetzen.

Die Ideen des Gen. Frank bildeten gestern noch sein persönliches Gut. Für den, der seine Evolution wahrend des letzten Jahres kannte, vermochte kein Zweifel zu bestehen, dass Frank in allen wichtigen Fragen der revolutionären Politik von der marxistischen Position abgleitet. Diese Meinung habe ich ihm selbstverständlich nicht verhehlt. Wäre G. Frank mit seinen Ansichten in der Presse hervorgetreten (er bereitete eine deutsche Broschüre vor) hätte er natürlich die notwendige Bewertung erfahren. Die prinzipielle Polemik hätte der ideellen Entwicklung der Opposition einen Anstoß geben können. Auf welche Seite dabei Frank selbst im Weiteren sich hin entwickelt hätte – ist persönliche Frage, die ich nicht vorwegnehme.

Was aber den Austrooppositionismus – nach einem glücklichen Ausdruck des Gen. Frankel – charakterisiert, ist Zirkelkombinatorentum und Kulissenaventurismus. Der Splitter der Freygruppe, der gemeinsam mit ihr alle Fehler der letzten Jahre und Monate durchgemacht hatte, plus die „Mahnrufgruppe", die alle für einen Zirkel möglichen Schwankungen durchgemacht hat, plus Frank, der beide Gruppen politisch unfähig hielt – diese drei Gruppen nehmen auf ihrer Konferenz neue Ansichten an, die bisher in der Presse nicht auseinandergesetzt und einer Beurteilung in den Reihen der Internationalen Opposition überhaupt nicht unterzogen worden waren. Kann man denn sich eine armseligere ideelle Wahllosigkeit vorstellen, die eben die Grundlage des organisatorischen Aventurismus ist!

G. Landau verlangt nunmehr, die „Mahnrufgruppe" möge sich binnen 24 Stunden, von ihren neuen Auffassungen lossagen. Als ob dies auch nur irgend etwas ändern oder auch nur einen Schritt vorwärts bringen würde. Im Gegenteil, die neue Wendung wäre bloß eine neue Bestätigung der völligen ideellen Unzulänglichkeit dieser Gruppe.

Hinsichtlich der österreichischen Gruppen stimme ich vollkommen dem Schlusse des administrativen Sekretariats (Bulletin N°3) bei, der allen Sektionen und der kommenden Europäischen Konferenz zur Bestätigung vorgelegt werden muss.

Hinsichtlich des G. Landau scheint mir die Folgerung nicht minder klar. Man muss anerkennen und offen aussprechen – am besten wäre, wenn G. Landau selbst es täte –, dass in der Frage „Mahnruf“, trotz seiner nächsten Nähe zu dieser Gruppe, er sich am wenigsten fähig erwies, sie richtig zu bewerten. Und, da Gen. Landau in bedeutendem Maße der Führer dieser Gruppe ist, muss man die Folgerung ziehen, dass die von ihm angewendeten Methoden der Führung ihrem Zwecke nicht entsprochen haben. Das heißt: Genosse Landau muss radikal seine Arbeitsmethoden revidieren. Wir werden ihm dabei behilflich sein.

3) Das Verhalten der deutschen Leitung zur französischen Krise ergänzt die eben gezogene Schlussfolgerung und befestigt sie. Wenn die deutsche Leitung von dem Verlauf der Krise nicht unterrichtet wurde, ist dies nur zu bedauern. Doch auf G. Landau hat dies durchaus keinen Bezug: er war unterrichtet worden, wie nur überhaupt ein in einem anderen Lande lebender Genosse unterrichtet werden kann. Dem G. Landau fehlten nicht Informationen, sondern die richtigen Kriterien, d.h. die marxistische Auffassung der revolutionären Politik. Das eine wie das andere kann man durch Erfahrung und durch Überlegung erwerben. Leider hat G. Landau eine außerordentliche Unachtsamkeit für prinzipielle Fragen bezeugt: in Bezug auf Frankreich wie in Bezug auf Österreich bekümmerte er sich viel mehr um persönliche und organisatorische Kombinationen als um deren prinzipielle Grundlage. Das ist ohne Zweifel das besorgniserregendste Anzeichen. G. Landau benötigt eine neue Orientierung. Er benötigt, ernsthaft umzulernen, sonst werden die positiven Eigenschaften, die er besitzt, sich nicht zum Nutzen, sondern zum Schaden der revolutionären Bewegung wenden.

4) Die österreichischen und die französischen Lehren werfen ein grelles Licht auf die Arbeit des G. Landau in Deutschland. G. Landau führte die ganze Zelt einen unversöhnlichen und ununterbrochenen Kampf um die Führung, wobei niemand bestimmt weiß, welches die prinzipiellen Grundlagen dieses Kampfes sind. Allerdings, den persönlichen Kampf hat G. Landau mit dem Schein eines Erfolges geführt. Doch das war ein Erfolg auf Kosten der Organisation im Ganzen. Ein ferneres Verfolgen dieses Weges würde die deutsche Opposition in eine erweiterte Auflage der „Mahnrufgruppe" verwandeln.

5) Haben in diesem Falle nicht doch die Genossen recht, die die Losung der Frage in der Beseitigung des G. Landau aus den Reihen der Linksopposition sehen? Nein. Diese Lösung liegt vollkommen auf der Ebene der Griffe und Methoden Landaus selbst. Hätten wir eine Organisation, die klar und fest ihren Weg kennt, mit gestählten Kadern, so konnte die Beseitigung der einen oder der anderen Person die Lösung der gegebenen persönlichen Frage sein. Doch die Lage in Deutschland ist ja durchaus nicht so. Die Organisation im Ganzen bedarf marxistischer Selbsterziehung. Die erste Aufgabe besteht darin, der Organisation im Ganzen zu helfen, die Fehler der gegenwärtig von Landau geführten Leitung zu untersuchen, zu beurteilen, zu verstehen. Ohne dies wird die Organisation sich nicht vom Flecke rühren. Die Beurteilung muss auf der Grundlage bestimmter Thesen offen und vor den Augen der gesamten internationalen Opposition vor sich gehen. Nur auf diese Weise kann man nach und nach wirklich revolutionäre Kader formen, bei denen alle übrigen Erwägungen der ständigen Sorge um die ideelle Festigkeit, Geschlossenheit und revolutionäre Standhaftigkeit der internationalen Fraktion untergeordnet sind. Und nur auf diesem Wege kann sich auch das weitere politische Schicksal jedes einzelnen Genossen entscheiden.

6) Im Briefe vom 13. 1. erklärte die Leitung, dass sie ihren Beschluss hinsichtlich der französischen Krise fassen wird und dieser Beschluss für alle Mitglieder der deutschen Organisation innerhalb wie außerhalb Deutschlands bindend sein soll. Diese Bestimmung allein – an deren Möglichkeit ich nie geglaubt haben würde, hätte ich sie nicht selbst gelesen – zeigt, in welch undurchdringlichen Sumpf das organisatorisch-kombinatorische Herangehen an prinzipielle Fragen führt. Wie kann die Leitung den Mitgliedern der Organisation befehlen, eine bestimmte Position einzunehmen, dabei in einer Frage, die den Gegenstand internationaler Diskussion bildet? Hier wird die nationale Disziplin – karikaturenhaft aufgefasst – höher gestellt, als die internationale Disziplin und, was weitaus ernster ist, höher als jene prinzipiellen Grundlagen, auf die die Disziplin allein sich stützen kann. Es zeigt sich, dass ein deutscher Genosse, der vorübergehend in Frankreich weilt und in der Ligue arbeitet, bei den strittigen Fragen zu stimmen hat nicht als Kommunist,sondern als … Deutscher

Aber auch in Deutschland müsste man jenen Kommunisten als zu nichts Nutz ansehen, der sich einer Leitung unterordnete, die ihm von oben befiehlt, welche Position er in der Diskussion einzunehmen hat. Kein Wunder, dass bei diesem Ultrabürokratismus die Berliner Leitung sich im Zustand des Bürgerkriegs mit ihren wichtigsten Provinzorganisationen befindet,

7) Am 7. Juli v. J. schrieb ich an die Leitung der deutschen Opposition durch G. Müller: „Im Allgemeinen muss ich Folgendes sagen: Wenn die Leitung Autorität gewinnen will (und sie ist verpflichtet, dies zu wollen), darf sie nicht so vorgehen, als ob sie bereits unerschütterliche Autorität besäße und darf sich vorerst möglichst wenig auf rein formelle Rechte stützen. Die Leitung muss einen ruhigen, freundschaftlichen Ton wahren und die größte Geduld an den Tag legen, besonders ihren Widersachern gegenüber. Die Leitung kann keine Autorität gewinnen, wenn sie nicht in der Tat der ganzen Organisation ihre volle Objektivität und Gewissenhaftigkeit in aller Art innerer Konflikte beweist und ihre beständige Sorge um das Interesse der Organisation als solcher.

Nur aus dieser Art Autorität, die nicht in einem Tage erobert werden kann, kann das Recht der Anwendung organisatorischer Maßnahmen, Repressionen u.a. erwachsen. Ohne dies kann die Organisation nicht leben. Aber der Versuch, Repressionen ohne die notwendige Autorität anzuwenden und ohne die Überzeugung der Organisation von der Berechtigung dieser Repressionen, führt unausweichlich nicht zur Festigung der Organisation, sondern zu ihrer Schwächung und vor allem zum Verfall der Autorität der Leitung selbst.

Mein wärmster Rat ist daher: Bei Festigkeit der politischen Linie möglichst große Vorsichtigkeit und Weichheit, möglichst große Duldsamkeit und Takt in allen persönlichen Fragen, Konflikten und Missverständnissen." Auch jetzt kann ich diese Worte nur wiederholen. In dem seit dem angeführten Schreiben verflossenen Zeitraum hat die Leitung bedauerlicherweise die administrativen Maßnahmen ungeheuerlich verstärkt, aber nicht im Geringsten ihre Autorität erhöht.

Der Ausweg aus der Krise der deutschen Opposition kann im gegebenen Moment nur auf dem Weg einer gut vorbereiteten und gewissenhaft organisierten Konferenz gefunden werden.

L. Trotzki

Prinkipo, den 31. Jänner 1931.

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