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Leo Trotzki 19310700 Bucharin über die permanente Revolution

Leo Trotzki: Bucharin über die permanente Revolution

[Nach Permanente Revolution, 1. Jahrgang Nr. 1 (Juli 1931), S. 10 f.]

Anfang 1918 hat Bucharin in einer Broschüre, die der Oktober-Revolution gewidmet war, geschrieben :

«Der Sturz des imperialistischen Regimes war durch die ganze vorherige Geschichte der Revolution vorbereitet. Aber dieser Sturz und der Sieg des Proletariats, das durch die Dorfarmut unterstützt wurde, der Sieg, der mit einem Male ungeheure, unerfassbare Horizonte in der ganzen Welt eröffnete, ist noch nicht der Beginn einer organischen Epoche … Vor dem russischen Proletariat stellt sich scharf, wie noch niemals, das Problem der Weltrevolution… Die Gesamtheit der in Europa entstandenen Beziehungen führt zum unvermeidlichen Ende. So verwandelt sich die permanente Revolution in Russland in eine europäische Revolution des Proletariats».

(Bucharin : «Vom Sturz des Zarismus bis zum Sturz der Bourgeoisie» S. 78 ; fett von der Redaktion)

Die Broschüre endet mit folgenden Worten:

«In das Pulverfass des alten verbluteten Europas ist die Fackel der russischen sozialistischen Revolution geworfen. Sie ist nicht gestorben. Sie lebt. Sie verbreitet sich. Und sie wird unvermeidlich mit dem siegreichen Aufstand des Weltproletariats sich verbinden.» (S. 144).

Wie weit war Bucharin damals von der Theorie des Sozialismus in einem Lande entfernt!

Es ist allen bekannt, dass Bucharin in der Tat der wichtigste Theoretiker aller Kampagnen gegen den Trotzkismus war und vor allem ausdrücklich im Kampf gegen die Theorie der Permanenten Revolution.

Jedoch früher, als die Glut des revolutionären Umsturzes noch nicht zu erkalten begann, hat Bucharin, wie wir sehen, keine andere Einteilung für die Charakteristik der Revolution gefunden, außer der, gegen die er nach einigen Jahren rücksichtslos zu kämpfen gezwungen war.

Die Broschüre Bucharins ist im Verlag des ZK der Partei «Priboy» (Brandung) erschienen. Diese Broschüre wurde nicht nur von niemandem als ketzerisch bezeichnet, sondern umgekehrt, alle sahen in ihr die offizielle unbestreitbare Ansicht des ZK der Partei.

Auf diese Weise wurde die Broschüre im Laufe der nächstfolgenden Jahre mehrere Male herausgegeben; gleichzeitig mit einer anderen, die der Februar-Revolution gewidmet war, und unter der allgemeinen Benennung «Von der Zertrümmerung des Zarismus bis zum Sturz der Bourgeoisie» in die deutsche, französische, englische u. a. Sprachen übersetzt.

Im Jahre 1923 war die Broschüre – wie es scheint zum letzten Male – vom Charkower Parteiverlag «Proletarier» herausgegeben; und im Vorwort wurde die Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass das Buch eine «gewaltige Wichtigkeit» nicht nur für die neuen Mitglieder der Jugend usw., sondern auch für die alte bolschewistische Garde in der illegalen Periode der Partei habe.

Dass Bucharin in seinen Anschauungen keine besondere Standhaftigkeit besitzt, ist genügend bekannt. Es geht jedoch nicht um die Person Bucharin.

Wenn man der Legende, die im Herbst 1924 zum ersten Male auftauchte, Glauben schenken sollte, dass zwischen der Leninschen Auffassung der Revolution und der Theorie der Permanenten Revolution Trotzkis ein unüberbrückbarer Abgrund sei, und dass die alte Parteigeneration in der Auffassung der Unversöhnlichkeit dieser beiden Theorien erzogen worden ist, wieso konnte Bucharin anfangs 1918 vollständig ungestraft diese Theorie propagieren, die er nannte: Theorie der Permanenten Revolution? Warum ist niemand, hauptsächlich niemand in der ganzen Partei, gegen Bucharin aufgetreten? Wieso und warum hat der Verlag des ZK der Partei diese Broschüre herausgegeben? Wieso und warum hat Lenin geschwiegen? Wieso und warum hat die Komintern die Broschüre Bucharins zur Verteidigung der Permanenten Revolution in vielen Sprachen herausgegeben? Wieso und warum wurde die Broschüre Bucharins in Charkow, im künftigen des stalinschen wilden Fanatismus, noch im Jahre 1923 herausgegeben und der Parteijugend so wie der alten bolschewistischen Garde dringend empfohlen?

Die Broschüre Bucharins unterscheidet sich von allen seinen ferneren Schriften und von allen neueren stalinschen Geschichtsschreibungen nicht nur über den Charakter der Revolution, sondern auch über ihre Führer; so heißt es z. B. auf der Seite 131 der Charkower Ausgabe:

«Zum zentralen Punkt des politischen Lebens… wird nicht der klägliche Sowjet der Republik, sondern der künftige Kongress der allrussischen Revolution. Im Zentrum dieser mobilisierenden Arbeit stand der Petersburger Sowjet, welcher zu seinem Vorsitzenden demonstrativ den allerglänzendsten Führer des proletarischer Aufstandes, den Genossen Leo Trotzki, wählte.»

Und weiter auf der Seite 138:

«Am 25. Oktober hat "Trotzki, der glänzende und tapfere Führer des Aufstandes, der unermüdliche Agitator der Revolution, im Namen des revolutionären Kriegskomitees im Petersburger Sowjet, vom grandiosen Beifall begleitet, verkündet, dass die «provisorische Regierung nicht mehr besteht». Und, wie zum lebendigen Beweis dieser Tatsache, erschien mit stürmischen Ovationen begrüßt Lenin, befreit aus der Illegalität durch die neue Revolution

Im Jahre 1923-24 entwickelte sich die Flut der sogenannten Diskussion gegen den Trotzkismus. Sie hat viel von dem zerstört, was durch die Oktoberrevolution aufgerichtet war, überschwemmte die Zeitungen, Bibliotheken, Lesehallen, und unter ihrem Schlemmsand und Schmutz wurde eine unzählige Menge von Dokumenten begraben, die sich auf die größte Epoche in der Entwicklung der Partei und der Revolution beziehen. Jetzt muss man diese Dokumente Teil um Teil hervorholen, um das wieder herzustellen, was gewesen ist.

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