Leo Trotzki‎ > ‎1931‎ > ‎

Leo Trotzki 19310902 Erläuterungen an den Kreis der Freunde

Leo Trotzki: Erläuterungen an den Kreis der Freunde!

[Nach Mitteilungsblatt der Reichsleitung der Linken Opposition der KPD, Nr. 4 (Oktober 1931) S. 4-7]

Ist es gleichwohl richtig, von einer Doppelherrschaft in der UdSSR zu sprechen?

Wir haben nie von einer Doppelherrschaft gesprochen, sondern nur von Elementen einer Doppelherrschaft.

Vollständig richtig, gerade dies hatte ich im Sinn. Aber auch eine solche Formulierung erweckt Zweifel. Elemente der Doppelherrschaft gab es in der Sowjet-Republik die ganze Zeit, vom ersten Tage ihres Bestehens an.Warum aber sprechen wir jetzt von ihnen? Die NEP war doch eine offizielle Anerkennung der Elemente einer Doppelherrschaft in der Wirtschaft? Jetzt hat sich das Verhältnis der kapitalistischen und sozialistischen Tendenzen der Wirtschaft zu Gunsten des Sozialismus geändert. Während dem fingen wir gerade jetzt an, von Elementen einer Doppelherrschaft zu reden. Ist das nicht falsch? Kann dies nicht eine solche Verstellung hervorrufen, als ob wir die Ausbilden einer Doppelherrschaft, und folglich auch den Zusammenbruch der proletarischen Diktatur für unvermeidlich halten ?

Es ist unbestreitbar, dass man in jeder Klassenherrschaft Elemente sowohl des voraufgegangenen Regimes wie auch des Regimes,das sich anschickt, das bestehende Regime abzulösen, feststellen kam. Die ganze Frage ist jedoch, welche Klasse herrscht, und in welchem Grade sie herrscht. Die Bourgeoisie macht, wenn sie dazu gezwungen ist, bedeutende wirtschaftliche und politische Konzessionen an das Proletariat, das im Schoße der kapitalistischen Gesellschaft wichtige Stützpunkte für die kommende Gesellschaft schafft. Aber soweit die Bourgeoisie selbst entscheidet, worin sie nachzugeben hat und worin nicht; soweit die Macht in ihren Händen bleibt; soweit sie sich zuversichtlich auf den bürokratischen Apparat und auf die bewaffnete Macht stützt, soweit bestellt kein Grund, von Elementen einer Doppelherrschaft zu reden. Die NEP war eine bewusste und genau berechnete Konzession der proletarischen Macht an die kleinbürgerliche Masse in der Bevölkerung. Worin nachzugehen sei und wie weit nachzugeben sei, das entschied die proletarische Diktatur, in erster Linie die kommunistische Partei, als die aktive Führerin der Sowjets. In diesem grundlegenden Punkt ist die Situation heute unermesslich weniger günstig, ungeachtet der großen wirtschaftlichen Erfolge. Gegenwärtige existiert keine Partei als Führerin des Sowjetapparates, der seinerseits völlig durch den bürokratischen Apparat verdrängt ist; dieser letztere aber ist durch und durch durchsetzt mit den Elementen einer anderen Klasse: Die Prozesse der Schädlinge mussten Blinden in dieser Beziehung die Augen öffnen. Aber gab es ähnliche Prozesse nicht auch früher? Gab es etwa nicht verschiedene Verschwörungen? Erinnern wir uns der Angelegenheit des nationalen Zentrums, des Prozesses der Sozialrevolutionäre usf. Dennoch sprachen wir nicht von Elementen einer Doppelherrschaft.

Vollständig richtig. Aber zwischen den alten Prozessen und den neuen besteht der tiefste qualitative Unterschied. Damals handelte es sich um illegal tätige Verschwörer, die ihre Kräfte für den bewaffneten Umsturz sammelten oder sich mit terroristischen Akten abgaben. Darin liegen so wenig Elemente der Doppelherrschaft, wie in der früheren Tätigkeit der Revolutionäre im zaristischen Russland. Auf ganz andere Weise arbeiteten die Schädlinge der letzten Jahre. Sie nahmen verantwortliche leitende Posten im Wirtschaftsapparat ein. Ihre Schädlingsarbeit bestand darin, dass sie frei und offen, mit Billigung des Pol.Büros, ihr Programm durchführten, das seinem Wesen nach gegen den sozialistischen Aufbau und gegen die Diktatur des Proletariats gerichtet war. Die linke Opposition entlarvte sie. Aber der durch die herrschende Stalinsche Fraktion geleitete Parteiapparat zertrümmerte im Laufe einiger Jahre die linke Opposition, indem er den Arbeitern darlegte, dass die wirtschaftlichen Pläne der Schädlinge die reinste Verkörperung des Leninismus darstelle. Wenn die Schädlinge Agenten der Bourgeoisie darstellen, so bedeutet das, dass der staatliche Apparat, den sie in so weitgehendem Maße nach eigenem Gutdünken lenkten, keinen zuverlässigen Apparat für das Proletariat bildet, sondern sehr wichtige Elemente der Herrschaft einer anderen Klasse in sich trägt. Die Bedeutung dieser Elemente erhöht sich hundertfach dadurch, dass der Parteiapparat auch jene proletarischen Revolutionäre schlägt, die die Schädlinge entlarvten. Als die Ramsins nicht nur legal, sondern machthaberisch unter der Aufsicht Krshischanowskis ihre Programme durchführten, forderte Ustrjalow, dass das Politbüro diejenigen verhaften und ausweisen solle, die den Ramsins entgegen wirkten, und Stalin führte den sozialen Auftrag Ustrialows aus. Ist es etwa nicht klar, dass wir Elemente einer Doppelherrschaft in den Spitzen des Staatsapparates selbst vor uns haben?

Aber bei alledem wurden die Schädlinge doch für ihre Politik des Verrats bestraft?

Natürlich. Wenn das nicht gekommen wäre, so müsste man nicht von Elementen einer Doppelherrschaft, sondern vom Übergang der zentristischen Bürokratie in den Dienst der Bourgeoisie und vom Zusammenbruch der proletarischen Diktatur als von einer vollzogenen Tatsache reden. Das ist die Auffassung von Korsch, Urbahns, Pfemfert, aber nicht die unsere. Es wäre jedoch grundfalsch, zu denken, dass die Änderungen der zentristischen Politik nach links die Erledigung der poxi'isohrn Elemente der Doppelherrschaft bedeutet. Das künstliche Antreiben des Tempos der Industrialisierung und Kollektivierung kann in einem ebensolchen Grad einen Akt von Schädlingstätigkeit sein, wie auch die künstliche Verzögerung desselben. Symptome dafür sind nicht vorhanden. Die Partei ist jedoch unterdessen noch mehr erdrückt. Der Apparat noch demoralisierter. In welchem Maße ist nicht nur der Staatsapparat, sondern auch der Parteiapparat durchsetzt mit den Besedowskis, Dimitriewskis, Agabekows, überhaupt mit Klassenfeinden, die die Rakowskis erwürgen und die Rjasanows ausschließen In welchem Maße wird sich dieser Apparat in einer Minute der Entscheidung und Probe als Waffe der proletarischen Diktatur bewähren? Wer kann diese Frage beantworten? Niemand! Aber das bedeutet doch oben, dass der staatliche Apparat der proletarischen Diktatur einen widerspruchsvollen Charakter angenommen hat, d.h. er ist durchsetzt mit Elementen einer Doppelherrschaft.

Heißt das nicht, dass der Weg in der Richtung einer entfalteten Doppelherrschaft führt ,

Das lässt sich nicht mit Mutmaßungen beantworten. Das ist eine Frage des Kräfteverhältnisses. Sie wird im Laufe des Kampfes selbst geprüft und entschieden. Nicht den letzten Platz in diesem Kampf nimmt die linke Opposition ein. Der Zahl nach gering; besteht sie jedoch aus Kerntruppen, noch dazu von hoher Qualifikation, vom besten Schlag. Eine Kristallisation um diese Kerntruppen kann sich im kritischen Moment sehr rasch vollziehen.

Was bedeutet die Losung eines Koalitions-ZK? Kann das nicht im Sinne eines prinzipienlosen Blocks der drei Fraktionen verstanden werden? In welchem Maße ist diese Losung auf die westeuropäischen Parteien verwendbar?

Beginnen wir mit der letzten Frage: Die Losung des Koalitions-ZK in Deutschland oder in Frankreich aufzustellen wäre einfach lächerlich. Die linke Opposition fordert für sich einen Platz nicht im ZK, sondern in der Partei. Die Zusammensetzung des ZK wird auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus durch die Partei bestimmt. In Russland ist die Frage wesentlich anders. Dort gibt es keine Partei, sie ist aufgelöst in den Millionen, die sich in die Liste der kommunistischen Partei und der Jugend eingetragen haben, und künstlich im Zustand der Zersplitterung und ideellen Ohnmacht gehalten werden. Im Moment einer politischen Krise kann der Apparat über einem Chaos hängen und beginnt unmittelbar selbst zu zerbröckeln. Wie einen Ausweg aus einen solchen Lage finden? Wie die Partei auffinden? Dabei sind sehr zahlreiche und sehr wertvolle, wenngleich in den parteilosen Millionen zerstreute Elemente der Partei vorhanden, und werden in der Stunde der Gefahr antworten. Unter solchen Verhältnissen wird ein Koalitions-ZK in der Hauptsache zu einer Organisationskommission zur Wiederherstellung der Partei. Es handelt sich nicht um eine prinzipielle Losung, sondern um einen der möglichen organisatorischen Auswege aus einer völlig ausnahmsweisen und nicht wiederholbaren Lage. Aber natürlich ist das nur eine hypothetische Formel.

Wie stehen Sie zur Losung der Arbeiter- und Bauernregierung?

Ablehnend im Allgemeinen, aber für Deutschland besonders. Auch in Russland, wo die Agrarfrage eine entscheidende Rolle spielte, und wo wir eine revolutionäre Bauernbewegung hatten, haben wir nicht einmal im Jahre 1917 diese Losung aufgestellt. Wir sprachen von einer Regierung des Proletariats und der Dorfarmut, d.h. der Halb-Proletarier, die dem Proletariat folgen. Damit war der Klassencharakter der Regierung völlig bestimmt. Richtig ist, dass wir später die Sowjet-Regierung als Arbeiter- und Bauernregierung bezeichneten. Aber da war die Diktatur des Proletariats schon eine Tatsache an der Macht befand sich die Kommunistische Partei, und der Name einer Arbeiter- und Bauernregierung konnte infolgedessen keinerlei Zweideutigkeit oder Verwirrung erzeugen. Aber gehen wir zu Deutschland über: Hier die Losung der Arbeiter-und Bauernregierung aufstellen und so gleichsam Proletariat und Bauernschaft gleichzustellen, schon in keiner Weise angemessen. Wo ist in Deutschland eine revolutionäre Bauernbewegung? Es ist unmöglich, in der Politik mit scheinbaren oder mutmaßlichen Größen zu operieren. Wenn wir von einer Arbeiterregierung reden, so können wir dem Tagelöhner auseinandersetzten, dass es sich um eine solche Regierung handelt, die ihn vor den Ausbeutern, und seien es auch Bauern, schützt . Wenn wir aber von einer Arbeiter- und Bauernregierung sprechen, so machen wir den Tagelöhner irre, den landwirtschaftlichen Arbeiter, der für uns in Deutschland gegenwärtig tausendmal wichtiger ist, als der „abstrakte" "Bauer" oder der uns feindliche „Mittelbauer". An die Kleinbauern können wir in Deutschland nur über die landwirtschaftlichen Arbeiter herankommen. Die Zwischenschichten der Bauern können wir nur neutralisieren, nachdem wir des Proletariat unter der Lesung der Arbeiterregierung in sich gefestigt haben.

Sind die Hinweise auf Lenin zur Unterstützung der Losung der Arbeiter- und Bauernregierung richtig?

Sie sind absolut falsch. Die Losung selbst wurde, soviel ich mich erinnere, zwischen dem 4. u. 5. Kongress der Komintern aufgestellt, als Waffe im Kampf gegen den Trotzkismus. Unter dieser Losung vollzog sich die Gründung der famosen Bauerninternationale. Der Sekretär derselben, Theodorowitsch, formulierte die neue marxistische Losung: „Die Befreiung der Bauern muss das Werk der Bauern selbst sein". Diese Ideologie der Epigonen entspricht durchaus der Losung der Arbeiter-und Bauernregierung! mit dem Leninismus hat sie nichts gemein.

L. T.

Kommentare