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Leo Trotzki 19310820 Über Arbeiterkontrolle der Produktion

Leo Trotzki: Über Arbeiterkontrolle der Produktion

Brief an Genossen

[Nach der Broschüre „Gegen den Nationalkommunismus“, III. Auflage, März 1932, Herausgeber Linke Opposition der KPD, Verlag A. Grylewitz, S. 18-24]

In Beantwortung Eurer Anfrage will ich versuchen, hier zur Einleitung des Meinungsaustausches einige allgemeine Erwägungen zu skizzieren, die die Parole Arbeiterkontrolle der Produktion betreffen.

Die erste Frage, die dabei entsteht, ist: kann man sich die Arbeiterkontrolle der Produktion als ständiges, nicht ewiges natürlich, aber sehr lange andauerndes Regime denken? Um diese Frage zu beantworten, muss die Klassennatur eines solchen Regimes konkreter bestimmt werden. Die Arbeiter haben in Händen – die Kontrolle. Das heißt: Eigentum und Verfügungsrecht bleiben in Händen der Kapitalisten. Somit besitzt das Regime einen widerspruchvollen Charakter, indem es eine Art Interregnum darstellt.

Die Arbeiter brauchen die Kontrolle nicht für platonische Zwecke, sondern um Produktion und Handelsoperationen der Unternehmer praktisch zu beeinflussen. Dies lässt sich jedoch nicht erreichen, wenn nicht die Kontrolle in der einen oder der anderen Form, in den einen oder den anderen Grenzen in direkte Verfügungsfunktion übergeht. In entwickelter Form bedeutet somit Arbeiterkontrolle eine Art ökonomische Doppelherrschaft in Fabrik, Bank, Handelsunternehmen usw.

Soll die Beteiligung der Arbeiter an der Verwaltung dauerhaft, stabil, «normal» sein, muss sie auf Arbeitsgemeinschaft der Klassen, nicht aber auf Klassenkampf beruhen. Eine solche Arbeitsgemeinschaft der Klassen ist nur zu verwirklichen durch die Spitze der Gewerkschaften und der kapitalistischen Verbände. Solcher Versuche gab es nicht wenige: in Deutschland («Wirtschaftsdemokratie»), in England («Mondismus») usw. Doch handelte es sich in allen diesen Fällen nicht um Arbeiterkontrolle über das Kapital, sondern um Dienstbeflissenheit der Arbeiterbürokratie für das Kapital. Eine solche Dienstbeflissenheit kann, wie die Erfahrung zeigt, lange währen: je nach der Geduld des Proletariats.

Je näher der Produktion, der Fabrik, der Fachabteilung, um so unmöglicher ist dieses Regime, denn hier geht es um die unmittelbaren Lebensinteressen der Arbeiter, und der gesamte Prozess entwickelt sich vor den Augen der Arbeiter selbst. Die Arbeiterkontrolle durch Betriebsräte ist nur denkbar auf der Basis des scharfen Klassenkampfes, aber nicht auf der der Arbeitsgemeinschaft. Doch bedeutet auch dies Doppelherrschaft im Unternehmen, im Trust, im gesamten Industriezweig, in der gesamten Wirtschaft.

Welches Staatsregime entspricht der Arbeiterkontrolle der Produktion? Es ist offenkundig, dass die Macht sich noch nicht in den Händen des Proletariats befindet, andernfalls hätten wir keine Arbeiterkontrolle der Produktion, sondern die Kontrolle der Produktion durch den Arbeiterstaat als Einleitung zum Regime der staatlichen Produktion auf den Grundlagen der Nationalisierung. Bei uns ist die Rede von Arbeiterkontrolle im Bereich des kapitalistischen Regimes, unter der Macht der Bourgeoisie. Jedoch wird niemals eine Bourgeoisie, die sich fest im Sattel fühlt, die Doppelherrschaft in ihren Betrieben dulden. Die Arbeiterkontrolle ist folglich nur durchführbar unter der Bedingung einer schroffen Veränderung der Kräfteverhältnisse zu Ungunsten der Bourgeoisie und ihres Staates. Die Kontrolle kann vom Proletariat der Bourgeoisie nur gewaltsam aufgezwungen werden, auf dem Wege zu jenem Augenblick, wo es ihr die Macht und danach auch das Eigentum an den Produktionsmitteln wegnimmt. Somit kann das Regime der Arbeiterkontrolle ein seinem Wesen nach provisorisches, ein Übergangsregime, nur der Periode der Erschütterung des bürgerlichen Staates, der proletarischen Offensive und des Zurückweichens der Bourgeoisie entsprechen, das heißt, der Periode der proletarischen Revolution, im weitesten Sinne des Wortes gedacht.

Ist der Bourgeois bereits nicht mehr der Herr, das heißt, nicht mehr ganz der Herr in seinem Betriebe, dann ist er folglich auch nicht mehr völlig der Herr in seinem Staate. Dies bedeutet: das Regime der Doppelherrschaft in den Betrieben entspricht dem Regime der Doppelherrschaft im Staate.

Dieses Verhältnis darf jedoch nicht mechanisch verstanden werden, das heißt, nicht in der Art, dass die Doppelherrschaft im Betrieb und die Doppelherrschaft im Staate an ein und demselben Tage das Licht der Welt erblicken. Das fortgeschrittene Regime der Doppelherrschaft als eine der wahrscheinlichen Etappen der proletarischen Revolution in jedem Lande kann sich in verschiedenen Ländern auf verschiedene Weise und aus verschiedenen Elementen entwickeln. So kann unter gewissen Bedingungen bei einer tiefen und anhaltenden ökonomischen Krise (starker Organisiertheit der Arbeiter in den Betrieben, einer relativen Schwäche der revolutionären Partei, einer relativen Stärke des Staates, der einen starken Faschismus in Reserve hat usw.) – die Arbeiterkontrolle über die Produktion der entwickelten politischen Doppelherrschaft in einem Lande vorausgehen.

Unter den oben in großen Zügen vorgezeichneten besonders für Deutschland charakteristischen Bedingungen kann die Doppelherrschaft sich im Lande gerade aus der Arbeiterkontrolle als aus ihrer Hauptquelle entwickeln. Man muss bei dieser Tatsache verweilen schon allein deshalb, um jenen Fetischismus der Sowjetunion zu verwerfen, den die Epigonen in der Komintern in Umlauf gebracht haben.

Nach der gegenwärtig herrschenden offiziellen Ansicht kann sich die proletarische Revolution nur vermittels der Sowjets vollziehen, wobei die Sowjets zu entstehen haben unmittelbar für die Zwecke des bewaffneten Aufstandes. Diese Schablone ist absolut untauglich. Die Sowjets sind nur eine Organisationsform, entschieden wird die Frage durch den Klasseninhalt der Politik, keinesfalls durch ihre Form. In Deutschland hat es Ebert-Scheidemann-Sowjets gegeben. In Russland hatten sich die versöhnlerischen Sowjets im Juli 1917 gegen die Arbeiter und Soldaten gewandt. Deshalb rechnete Lenin eine Zeit lang damit, wir würden den bewaffneten Aufstand nicht mit Hilfe der Sowjets, sondern der Fabrikkomitees durchführen müssen. Diese Berechnung wurde durch den Gang der Ereignisse widerlegt, da es uns gelang, in den anderthalb bis zwei Monaten vor dem Aufstande die wichtigsten Sowjets zu erobern. Doch zeigt schon dieses Beispiel, wie wenig wir geneigt waren, die Sowjets als das Allheilmittel zu betrachten. Im Herbst 1923 gegen Stalin und andere die Notwendigkeit verteidigend, zur revolutionären Offensive überzugehen, kämpfte ich gleichzeitig dagegen, dass in Deutschland Sowjets auf Kommando geschaffen würden, neben den Betriebsräten, die faktisch bereits die Rolle der Sowjets zu erfüllen begannen.

Vieles spricht dafür, dass auch bei dem heutigen revolutionären Aufstieg die Betriebsräte in Deutschland in einem bestimmten Stadium der Entwicklung die Rolle der Sowjets erfüllen und sie ersetzen werden. Worauf gründe ich diese Annahme? Auf der Analyse der Bedingungen, unter denen die Sowjets in Russland im Februar-März 1917, in Deutschland und Österreich im November 1918 entstanden. Dort wie hier waren Hauptorganisatoren der Sowjets Menschewiki und Sozialdemokraten, die dazu gezwungen wurden durch die Bedingungen der «demokratischen» Revolution während des Krieges. In Russland war es den Bolschewiki gelungen, die Sowjets den Versöhnlern zu entreißen. In Deutschland war es nicht gelungen, und deshalb verschwanden die Sowjets.

Heute, im Jahre 1931, klingt das Wort «Sowjets» ganz anders, als es 1917-1918 klang. Heute ist es das Synonym der Diktatur der Bolschewiki, somit das Schreckgespenst im Munde der Sozialdemokratie. In Deutschland werden die Sozialdemokraten nicht nur nicht zum zweiten Male die Initiative zur Schaffung der Sowjets ergreifen und sich nicht nur nicht freiwillig dieser Initiative anschließen, sondern sie werden sich ihr bis zur letzten Möglichkeit widersetzen. In den Augen des bürgerlichen Staates, besonders seiner faschistischen Garde, wird das Herangehen der Kommunisten an die Schaffung der Sowjets gleichbedeutend sein mit der direkten Erklärung des Bürgerkrieges seitens des Proletariats, und folglich einen entscheidenden Zusammenstoß hervorrufen können, noch bevor die Kommunistische Partei selbst es für zweckmäßig erachtet.

Alle diese Erwägungen zwingen stark, daran zu zweifeln, dass es gelingen könnte, in Deutschland vor dem Aufstande und der Machteroberung Sowjets zu schaffen, die wirklich die Mehrzahl der Arbeiter erfassen. Es ist meiner Ansicht nach wahrscheinlicher, dass in Deutschland die Sowjets erst am Tage nach dem Siege entstehen werden, bereits als unmittelbare Machtorgane.

Ganz anders verhält sich die Sache mit den Betriebsräten. Sie existieren bereits heute. Sie werden gebildet sowohl von Kommunisten wie von Sozialdemokraten. In gewissem Sinne verwirklichen die Betriebsräte die Einheitsfront der Arbeiterklasse. Diese ihre Funktion werden sie verbreitern und vertiefen mit dem Steigen der revolutionären Flut. Ihre Rolle wird wachsen, wie auch ihre Eingriffe in das Leben der Fabrik, der Stadt, des Industriezweiges, des Bezirks, des gesamten Staates; Kreis-, Bezirks- wie auch Reichskongresse der Betriebsräte können als Basis für die Organe dienen, die faktisch die Rolle der Sowjets erfüllen werden, d. h. der Organe der Doppelherrschaft. In dieses Regime die sozialdemokratischen Arbeiter vermittels der Betriebsräte hineinzuziehen wird viel leichter sein, als die Arbeiter direkt aufzurufen, an einem bestimmten Tag und zu einer bestimmten Stunde mit der Bildung von Sowjets zu beginnen.

Das Zentrum der Betriebsräte einer Stadt kann durchaus die Rolle des Stadtsowjets erfüllen. In Deutschland konnte man das im Jahre 1923, beobachten. Indem sie ihre Funktion erweitern, sich immer kühneren Aufgaben zuwenden und Reichsorgane schaffen, können die Betriebsräte, die sozialdemokratischen Arbeiter eng mit den Kommunisten verbindend, in Sowjets hineinwachsen und eine organisatorische Stütze für den Aufstand werden. Nach dem Siege des Proletariats werden diese Betriebsräte-Sowjets natürlicherweise sich scheiden müssen in Betriebsräte im eigentlichen Sinne des Wortes und in Sowjets als Organe der Diktatur des Proletariats.

Mit alledem wollen wir keinesfalls sagen, dass die Entstehung von Sowjets vor der proletarischen Umwälzung in Deutschland von vornherein völlig ausgeschlossen sei. Es besteht keine Möglichkeit, alle denkbaren Varianten der Entwicklung vorauszusehen. Würde der Verfall des bürgerlichen Staates der proletarischen Revolution weit zuvorkommen, der Faschismus sich noch vor dem Aufstande des Proletariats den Kopf einrennen oder auseinanderfallen, dann könnten Bedingungen für die Schaffung von Sowjets als Kampforgane um die Macht entstehen. Selbstverständlich würden in solchem Falle die Kommunisten rechtzeitig die Lage erkennen und die Parole der Sowjets erheben müssen. Dies wäre die denkbar günstigste Situation für den proletarischen Aufstand. Würde sie sich ergeben, müsste sie restlos ausgenutzt werden. Doch im Voraus damit zu rechnen, ist ganz unmöglich. Inwiefern die Kommunisten mit dem noch hinlänglich festen bürgerlichen Staat und der Reservearmee des Faschismus in seinem Rücken rechnen müssen, insofern erscheint der Weg über die Betriebsräte als der wahrscheinlichere.

Die Epigonen haben rein mechanisch den Gedanken akzeptiert, Arbeiterkontrolle der Produktion wie Sowjets seien nur unter revolutionären Bedingungen durchführbar. Würden die Stalinisten versuchen, ihre Vorurteile in ein bestimmtes System zu bringen, sie würden wahrscheinlich folgendermaßen argumentieren: Arbeiterkontrolle als eine Art ökonomischer Doppelherrschaft ist undenkbar ohne politische Doppelherrschaft im Lande, die wiederum undenkbar ist, ohne dass die Sowjets der bürgerlichen Macht gegenüber gestellt werden; folglich – würden die Stalinisten schlussfolgern – ist die Parole der Arbeiterkontrolle der Produktion nur zulässig gleichzeitig mit der Parole der Sowjets.

Aus allem oben Gesagten geht klar hervor, wie falsch, schematisch und leblos eine solche Konstruktion ist. In der Praxis geht sie auf das eigenartige Ultimatum hinaus, das die Partei den Arbeitern stellt: ich, die Partei, werde euch nur in dem Falle erlauben, für die Arbeiterkontrolle zu kämpfen, wenn ihr bereit seid, gleichzeitig Sowjets zu errichten. Gerade darum aber handelt es sich, dass diese zwei Prozesse keinesfalls unbedingt parallel und gleichzeitig laufen müssen. Unter dem Einfluss von Krisen, Arbeitslosigkeit und räuberischen Manipulationen der Kapitalisten kann die Arbeiterklasse in ihrer Mehrheit bereit sein zu kämpfen für die Abschaffung des Geschäftsgeheimnisses und für Kontrolle über Banken, Handel und Produktion, noch ehe sie zu der Einsicht der revolutionären Machteroberung gelangt ist.

Den Weg der Kontrolle der Produktion beschreitend wird das Proletariat unvermeidlich in die Richtung der Eroberung der Macht und der Produktionsmittel weiter vorstoßen müssen. Fragen des Kredits, des Rohstoffes, des Absatzes führen die Kontrolle umgehend über die Mauern des isolierten Unternehmens hinaus. In einem industriell so hoch entwickelten Lande wie Deutschland genügen allein die Fragen des Exports und Imports, um die Arbeiterkontrolle sogleich bis zu den Staatsaufgaben emporzuheben und den offiziellen Organen des bürgerlichen Staates die zentralen Organe der Arbeiterkontrolle entgegenzustellen. Die ihrem Wesen nach unversöhnlichen Widersprüche des Regimes der Arbeiterkontrolle werden sich in dem Maße der Ausdehnung seines Wirkungsgebietes und seiner Aufgaben unvermeidlich verschärfen müssen, um sich bald als unerträglich zu erweisen. Ein Ausweg aus diesen Widersprüchen kann gefunden werden, entweder in der Machteroberung durch das Proletariat (Russland), oder in der faschistischen Konterrevolution, die die nackte Diktatur des Kapitals errichtet (Italien). Gerade in Deutschland mit seiner starken Sozialdemokratie wird der Kampf um die Arbeiterkontrolle der Produktion am wahrscheinlichsten die erste Etappe der revolutionären Einheitsfront der Arbeiter sein, die dem offenen Kampfe um die Macht vorangeht.

Darf man jedoch die Parole der Arbeiterkontrolle schon jetzt erheben? Ist die revolutionäre Situation «reif» dafür? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Es gibt keinen solchen Messapparat, der es erlauben würde, auf einmal und fehlerlos die Grade der revolutionären Situation zu bestimmen. Man ist gezwungen, sie durch die Tat, im Kampfe, mit Hilfe der verschiedensten Gradmesser nachzuprüfen. Einer dieser Messapparate, unter den gegebenen Verhältnissen vielleicht einer der wichtigsten, ist gerade die Parole der Arbeiterkontrolle der Produktion.

Die Bedeutung dieser Parole besteht vor allem darin, dass man auf ihrer Basis die Einheitsfront der kommunistischen Arbeiter mit den sozialdemokratischen, parteilosen, christlichen usw. vorbereiten kann. Entscheidend ist das Verhalten der sozialdemokratischen Arbeiter. Die revolutionäre Einheitsfront der Kommunisten mit den Sozialdemokraten – das ist ja die grundlegende politische Bedingung, die in Deutschland zur unmittelbaren revolutionären Situation fehlt. Das Vorhandensein eines starken Faschismus ist gewiss ein ernstliches Hindernis auf dem Wege zum Siege. Doch kann der Faschismus seine Anziehungskraft nur behalten, weil das Proletariat zersplittert und schwach ist, und weil ihm die Möglichkeit fehlt, das deutsche Volk auf den Weg der siegreichen Revolution zu führen. Die revolutionäre Einheitsfront der Arbeiterklasse bedeutet an sich bereits den politischen Todesstoß für den Faschismus.

Aus diesem Grunde, nebenbei gesagt, trägt die Politik der KPD-Leitung in der Frage des Volksentscheids einen umso verbrecherischeren Charakter. Der wütendste Feind hätte kein sicheres Mittel ausdenken können, um die sozialdemokratischen Arbeiter gegen die Kommunistische Partei zu verhetzen und das Fortschreiten der Politik der revolutionären Einheitsfront aufzuhalten.

Jetzt heißt es, diesen Fehler wieder gutmachen. Die Parole der Arbeiterkontrolle kann dabei außerordentlich helfen. Doch muss man richtig an sie herangehen. Hingeworfen ohne die nötige Vorbereitung, als bürokratischer Befehl, kann sich die Parole der Arbeiterkontrolle nicht nur als ein Blindgänger erweisen, sondern die Partei in den Augen der Arbeitermassen noch stärker kompromittieren und das Vertrauen zu ihr auch bei jenen Arbeitern untergraben, die heute noch für sie stimmen. Bevor man diese äußerst verantwortliche Kampfparole aufstellt, muss man die Situation gut abfühlen und den Boden vorbereiten.

Man muss beginnen von unten, von der Fabrik, von der Werkstatt. Man muss die Fragen an einigen typischen Industrie-, Bank- und Handelsunternehmen überprüfen, sie ihnen anpassen. Man muss besonders krasse Spekulationsfälle zum Ausgangspunkt nehmen, verschleierte Aussperrung, böswillige Verkleinerung der Gewinne zum Zwecke der Lohnkürzung oder böswillige Übertreibung der Herstellungskosten zu dem gleichen Zwecke usw. Im Betrieb, der ein Opfer solcher Machinationen geworden ist, muss man durch die kommunistischen Arbeiter die Stimmung der übrigen Arbeitermasse abtasten, vor allem der sozialdemokratischen Arbeiter: in welchem Maße sie bereit wären, der Forderung entgegenzukommen, das Geschäftsgeheimnis aufzuheben und die Arbeiterkontrolle der Produktion zu errichten. Man muss aus Anlass besonders krasser Einzelfälle mit rein sachlicher Fragestellung beginnen, beharrliche Propaganda führen, und auf diese Weise die Widerstandskraft des sozialdemokratischen Konservativismus ermessen. Dies wäre eines der besten Mittel, um festzustellen, in welchem Maße die revolutionäre Situation «reif» ist.

Die vorherige Abtastung des Bodens setzt voraus eine gleichzeitige theoretische und propagandistische Bearbeitung der Frage durch die Partei, ernstliche und sachliche Instruierung der fortgeschrittenen Arbeiter, in erster Linie der Betriebsratsmitglieder, der hervorragenderen Gewerkschaftsarbeiter usw. Nur der Verlauf dieser Vorbereitungsarbeit, das heißt der Grad ihres Erfolges kann ergeben, in welchem Augenblick die Partei von der Propaganda zur weiteren Agitation und zu unmittelbaren praktischen Handlungen unter der Parole der Arbeiterkontrolle übergehen kann.

Die Politik der Linken Opposition in dieser Frage ergibt sich aus dem Dargelegten klar genug, wenigstens in ihren Grundzügen. Es handelt sich in der ersten Zeit um die Propaganda der richtigen prinzipiellen Fragestellung und gleichzeitig um das Studium der konkreten Bedingungen des Kampfes um die Arbeiterkontrolle. Die Opposition muss in kleinem Maßstabe und in bescheidenem, ihren Kräften entsprechendem Maße, an die Vorbereitungsarbeit gehen, die oben als die nächste Aufgabe der Partei charakterisiert worden ist. Auf dem Boden dieser Aufgabe muss die Opposition Verbindung mit den Kommunisten suchen, die in Betriebsräten und Gewerkschaften arbeiten, ihnen unsere Ansicht über die Gesamtsituation erklären und bei ihnen lernen, wie unsere richtige Ansicht über die Revolutionsentwicklung den konkreten Verhältnissen der Fabrik und der Werkstatt anzupassen wäre.

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P. S. Ich wollte damit schließen, doch da kommt mir in den Sinn, dass die Stalinisten folgenden Einwand machen könnten: ihr seid bereit, die Parole der Sowjets für Deutschland «abzusetzen»; uns aber habt ihr erbittert kritisiert und gebrandmarkt, weil wir uns seinerzeit geweigert hatten, die Parole der Sowjets in China zu proklamieren. In Wirklichkeit ist ein solcher «Einwand» nur niedriger Sophismus, der auf dem immer gleichen organisatorischen Fetischismus beruht, d. h. auf der Identifizierung des Klassenwesens mit der Organisationsform. Würden die Stalinisten seinerzeit erklärt haben: es bestünden in China Gründe, die die Anwendung der Sowjetform verhindern, und würden sie eine andere Organisationsform der revolutionären Einheitsfront der Massen, eine den chinesischen Verhältnissen angepasstere, empfohlen haben, wir würden selbstverständlich mit aller Aufmerksamkeit einem solchen Vorschlag begegnet sein. Man hat uns aber empfohlen, die Sowjets durch die Kuomintang zu ersetzen, das heißt, durch die Versklavung der Arbeiter an die Kapitalisten. Der Streit ging um den Klasseninhalt einer Organisation und nicht um ihre organisatorische «Technik». Aber man muss gleich hinzufügen, dass es gerade in China keinerlei subjektive Hindernisse für die Sowjets gegeben hat, berücksichtigt man das Bewusstsein der Massen, nicht aber das der damaligen Stalinschen Verbündeten, Tschiang Kai-schek und Wan Jin-wei. Die chinesischen Arbeiter besitzen keine sozialdemokratischen, konservativen Traditionen. Der Enthusiasmus für die Sowjetunion war wahrlich ungeteilt. Sogar die heutige Bauernbewegung in China strebt danach, Sowjetformen anzunehmen. Umso allgemeiner war das Streben der Massen nach Sowjets in den Jahren 1925-1927.

20. August 1931.

L. Trotzki.

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