Leo Trotzki‎ > ‎1931‎ > ‎

Leo Trotzki 19311107 Über die Aufgaben der linken Opposition in England und Indien

Leo Trotzki: Über die Aufgaben der linken Opposition in England und Indien

(Einige kritische Bemerkungen anlässlich missglückter Thesen)

[nach Internationales Bulletin der Kommunistischen Linksopposition, No. 13, Januar 1932, S. 9-14]

Zwei Genossen, Reedley und Aggarvala, haben Leitsätze über die Lage in England,über die linke Opposition und ihr Verhältnis zur Komintern ausgearbeitet. Die Verfasser betrachten sich als Parteigänger der linken Opposition, wobei es aber ernste Meinungsverschiedenheiten zwischen dieser und ihnen gibt. Sie verteidigen in ihrem Dokument einige Male die Notwendigkeit der offenen und freien inneren Kritik. Das ist ganz richtig. Die freie und offene Kritik wollen wir darum auch gegen ihre eigenen Thesen anwenden.

1.) „Großbritannien befindet sich heute in einem Zwischenstadium zwischen Demokratie und Faschismus". Demokratie und Faschismus werden hier als zwei Abstraktionen aufgefasst, ohne jede soziale Bedingtheit Augenscheinlich wollen die Verfasser sagen: der englische Imperialismus schickt sich an, seine Diktatur von der sich zersetzenden parlamentarischen Verhüllung zu befreien, und den Weg der offenen, nackten Gewalt zu beschreiten. Im Großen und Ganzen ist die richtig, aber nur im Großen und Ganzen. Die jetzige Regierung ist keine „antiparlamentarische" Regierung; umgekehrt, sie erhielt eine unerhörte parlamentarische Unterstützung durch die „Nation". Die Regierung auf den Weg der nackten außerparlamentarischen Gewalt zu drängen, vermöchte nur ein Anwachsen der revolutionären Bewegung in England. Das wird zweifellos kommen. Aber zur Zeit ist es nicht vorhanden. Es ist deshalb unbegründet, die Frage des Faschismus heute in den Vordergrund zu stellen. Auch sogar vom Standpunkt einer ferneren Perspektive aus gesehen, kann man zweifeln, in welchem Maße es einen Sinn hat, in Bezug auf England von Faschismus zu reden. Die Marxisten müssen, unserem Dafürhalten nach, davon ausgehen, dass der Faschismus eine besondere, spezifische Form der Diktatur des Finanzkapitals darstellt, aber durchaus nicht mit der imperialistischen Diktatur als solcher identisch ist. Wenn die „Partei“ Mosleys und die „Gilde des heiligen Michael" den Beginn des Faschismus darstellen, wie sich die Thesen ausdrücken, so beweist gerade die absolute Bedeutungslosigkeit der beiden genannten Gruppen,wie unvorsichtig es ist, schon heute die ganze Perspektive auf das baldige Kommen des Faschismus einstellen.

Bei der Analyse der heutigen Lage in England darf man keinesfalls die Möglichkeit ausschließen, dass die Herrschaft der Konservativen nicht direkt in eine Diktatur der rohen Gewalt übergeht, sondern,als Resultat einer scharfen parlamentarischen Bewegung nach links durch irgend welchen Block Lloyd Georges mit Henderson, d.h. durch ein Übergangsregime einer englischen Kerenskiade abgelöst wird. Lloyd George rechnet offen mit einem linken Umschwung der „Öffentlichen Meinung", und eben deswegen fürchtet er nicht, heute in einer unbedeutenden Minderheit zu stehen. In welchem Maße die Periode einer englischen Kerenskiade möglich ist, welches ihre Dauer sein wird, usw. – hängt vom weiteren Gang der ökonomischen Krise, vom Tempo des Bankrotts der „nationalen" Regierung und, hauptsächlich, von der Schnelligkeit der Radikalisierung der Massen ab. Auf jeden Fall wäre es mindestens einseitig, sich von vornherein auf den Faschismus als die nächste Periode einzustellen. Man muss auch die anderen möglichen Varianten im Auge behalten, um nicht von den Ereignissen überrascht zu werden.

Es versteht sich, dass eine Kerenskiperiode, wenn sie eintreten würde, ihrerseits ihre Unzulänglichkeit offenbaren würde und infolgedessen die Bourgeoisie auf den Woge der offenen Gewalt stoßen würde. In diesem Falle würden sich die englischen Arbeiter überzeugen müssen, dass ihre Monarchie durchaus nicht bloß eine unschuldige dekorative Einrichtung ist? Die königliche Gewalt würde unvermeidlich zum Zentrum der vereinigten imperialistischen Konterrevolution werden.

2.) Von Grund aus irrig ist der zweite Paragraph, der sich gegen die für einen Marxisten und Bolschewisten unerlässliche Arbeit in den Trade-Unions zum Zweck ihrer Eroberung richtet. Dem Sinn der Thesen nach stellen die Trade-Unions schon von ihrer Gründung an „imperialistische Organisationen" dar. Sie konnten leben, so lange sie von den Übergewinnen des englischen Kapitals mit zehren konnten; jetzt, nachdem die privilegierte Lage des letzteren unwiederbringlich dahin ist, können die Trade-Unions lediglich zerstört werden. Für die Eroberung der jetzigen Trade-Unions zu kämpfen, ist sinnlos. Die revolutionäre Diktatur wird zu seiner Zeit neue „wirtschaftliche Organisationen" schaffen.

In dieser Art Überlegung liegt nichts Neues. Sie wärmt Vorurteile auf, die schon längst klargestellt und zurückgewiesen wurden. Die Trade-Unions werden von den Verfassern der Thesen nicht als historisch bedingte Organisationen des englischen Proletariats angesehen, die sein Schicksal widerspiegeln, sondern als etwas Unveränderliches, das vom Tag der Geburt an mit der Sünde des Imperialismus belastet ist. Dabei besitzen die Trade-Unions eine reiche und lehrreiche Geschichte. Sie führten zu ihrer Zeit einen heldenhaften Kampf um das Koalitionsrecht. Sie nahmen ruhmreichen Anteil in den Kämpfen des Chartismus. Sie kämpften um die Verkürzung der Arbeitszeit, und Marx und Engels maßen diesem Kampfe eine große historische Bedeutung bei. Eine Reihe von Trade-Unions trat der ersten Internationale bei. Aber leider, für unsere Verfasser existiert die Geschichte nicht. In ihren Überlegungen ist auch nicht ein Tropfen von Dialektik. Sie beschränken sich auf metaphysische Begriffe: „Faschismus", "Demokratie", „imperialistische Organisation". Einem lebendigen und realen Prozess stellen sie ihre Entdeckung entgegen.

Wir erfahren von ihnen, dass die Führer der Trade-Unions den Generalstreik von 1926 nicht verraten haben: sie als „Verräter" anzuerkennen, würde bedeuten anzuerkennen, dass sie früher „Revolutionäre" gewesen seien. Da sieh, in welches Dickicht die Metaphysik führen kann! Die Reformisten haben die Arbeiter nicht zu jeder Zeit verraten. In gewissen Perioden und unter gewissen Bedingungen haben die Reformisten eine, wenn auch ungenügende, progressive Arbeit geleistet. Die Epoche des kapitalistischen Niedergangs unterwühlt den Boden unter den Füßen des Reformismus. Das ist der Grund, weshalb die Reformisten, wenn sie gezwungen sind, sich einer Massenbewegung anzuschließen, dieselbe in einem gewissen Stadium unvermeidlich verraten. So fassen die Massen das Verhalten der reformistischen Führer auf dieser lebendigen Auffassung der Massen stellen die Verfasser die Theorie von einer Erbsünde der Trade-Unions entgegen. Diese Theorie ist dadurch bemerkenswert, dass sie verbietet, einen Verräter als Verräter zu bezeichnen.

Seit dem Jahre 1920 verloren die Trade-Unions mehr als 40% ihrer Mitglieder. Die Verfasser der Thesen prophezeien, dass sie im Laufe der nächsten zwei Jahre noch 40% verlieren werden. Nehmen wir es an. Wenn diese 80% der Arbeiter sich von selbst unter das Banner des Kommunismus stellen würden, so könnten R. und A. sagen: Wozu braucht der Prophet zum Berg zu gehen, wenn der Berg zum Propheten kommt? Aber, soweit uns bekannt, steht es nicht so. R. und A. werden kaum auch nur 10 Arbeiter hinter sich haben. Die Trade-Unions umfassen noch Millionen von Arbeitern, die, wie das Jahr 1926 bewies, fähig sind, einen revolutionären Kampf zu führen. Man muss die Arbeiter, die Organisierten und die Nichtorganisierten, dort aufsuchen, wo sie sich heute befinden, aber nicht dort, wo sie sich vielleicht morgen befinden werden. Es handelt sich durchaus nicht um diejenigen wirtschaftlichen Organisationen, die eine zukünftige revolutionäre Diktatur schaffen wird, sondern um die Gewinnung der heutigen englischen Arbeiter, ohne welche die Diktatur des Proletariats eine Phrase bleibt.

Können sich denn, in der Tat, die Arbeiter einfach mit einem bloßen Sprung auf den Weg des Aufstandes begeben, ohne in der vorhergehenden Periode ihren Kampf gegen das Kapital zu vertiefen, ohne sich und die Methoden des Kampfes und ihre Organisationen zu radikalisieren? Auf welche Weise kann die Revolutionierung der Arbeitermassen vor sich gehen abseits von den Trade-Unions, ohne auf sie zurückzuwirken, ohne ihre Physiognomie zu verändern, ohne eine Auswahl neuer Führer hervorzurufen? Wenn es richtig ist, dass die Trade-Unions auf Grund des kapitalistischen Extraprofite Großbritanniens entstanden sind – und das ist in gewissem Grade richtig – so muss die Vernichtung dieses Extraprofits die Trade-Unions radikalisieren, selbstverständlich von unten, nicht von oben, selbstverständlich im Kampfe mit den Führern und mit alten Traditionen. Dieser Kampf wird um so erfolgreicher sein, je unmittelbarer und entschiedener die Kommunist® an ihm teilnehmen.

Die Verfasser gehen so weit, dass sie den Kampf um die Gewerkschaften mit der Politik des Englisch-Russischen Komitees in einen Topf werfen. Ein durchschlagendes Argument! Die linke Opposition warf Stalin, Tomski u. Co vor, dass sie durch ihre politische Freundschaft mit Citrine, Purcell, Cook usw. die Kommunisten in den Gewerkschaften hinderten, die Verräterei jener Herrschaften zu brandmarken. Die Genossen R. u. A. unterbreiten jetzt eine neue Entdeckung: Sich mit Verrätern anzufreunden und sie vor den Massen bloßzustellen – das ist ein und dasselbe. Kann man solche Darlegungen ernst nehmen ?

Mit vollem Recht berief sich der amerikanische Genosse Glotzer in einer Beweisführung über die Notwendigkeiten, in den Gewerkschaften zu arbeiten, um sie zu erobern, auf Lenins Buch „Die Kinderkrankheiten der Linken". Darauf antworten die Genossen R. u. A. mit vier Einwänden:

a) Sie fordern Beweise, aber keine Hinweise auf Autoritäten. Darin haben sie Recht. Aber in Lenins Buch befinden sich viele Argumente, auf welche die Thesen keinerlei Antwort geben.

b) Die Autoren leugnen das römisch-katholische Dogma der Unfehlbarkeit. Wir sind damit einverstanden. Aber wir raten mit einer Kritik der Unfehlbarkeit ihres eigenen Evangeliums zu beginnen.

c) „Lenin war weder ein Gott, noch der römische Papst". Das ist eine Wiederholung des voraufgegangenen Satzes. .Lenin, der nicht der Papst war, kämpfte erfolgreich gegen Metaphysik und Sektiererei.

d) Lenin habe im Jahre 1920 geschrieben; die Umstände haben sich aber seit jener Zeit stark geändert. Die Verfasser enthalten sich jedoch einer Erklärung, worin denn diese Änderung besteht, wenn man nicht die Hinweise auf die Verminderung der Mitgliederzahl der Trade-Unions rechnet, was keine entscheidende Bedeutung hat .

Wir sehen, die Beweisführung unserer Autoren ist äußerst abstrakter, ja rein formaler Natur. Der Hinweis auf das Jahr 1920 steht in direktem Widerspruch zum Grundgedanken der Thesen selbst. Wenn die Trade-Unions von ihrer Entstehung an rein imperialistische Organisationen gewesen und es bis auf diesen Tag geblieben sind, untauglich für revolutionäre Ziele, so verliert auch der Hinweis auf das Jahr 1920 jeden Sinn. Dann muss man einfach sagen, dass das Verhältnis von Marx, Engels und Lenin zu den Gewerkschaften durch und durch irrig gewesen ist.

3) Der 3. Paragraph ist der Komintern gewidmet. Die Verfasser treten für die Gründung einer 4. Internationale ein, wobei sie auch hier den Grundcharakter ihres Denkens zeigen: vollkommene Metaphysik. Erinnern wir uns, dass Engels, auf Hegel fußend, unter Metaphysik jene Betrachtungsweise verstand, die die Erscheinungen, Tatsachen, Kräfte, Tendenzen usw. als unveränderliche Gegebenheiten auffasst, aber nicht als Prozess einer Entwicklung, noch dazu einer Entwicklung, die sich in ständigen Gegensätzen bewegt. Wenn die Trade-Unions von oben bis unten, in allen Epochen und Perioden eine unveränderliche imperialistische Substanz darstellt, so stellt die Komintern für unsere Neuerer eine unveränderliche bürokratische Substanz dar. Die inneren Prozesse in der Komintern, die unvermeidlichen Gegensätze zwischen der Masse der Mitglieder und dem bürokratischen Apparat bleiben vollständig außer Betracht. Die Verfasser fragen uns, ob wir glauben, dass die Bürokratie unter dem Einfluss unserer Thesen ihre Interessen preisgeben werde. „Muss man eine solche Annahme als Idealismus oder als Materialismus bezeichnen?" fragen R. u. A. mit unnachahmlicher Ironie weiter, ohne darauf zu kommen, dass ihre eigene Fragestellung als blutleere Metaphysik bezeichnet werden muss.

Die Bürokratie ist sehr stark, aber durchaus nicht allmächtig, wie R. u. A. denken. In der UdSSR, werden durch die sich verschärfenden Widersprüche der ökonomischen Entwicklung die Millionen der Mitglieder der Partei und kommunistischen Jugend mehr und mehr vor die Grundfragen des Programms und der Taktik gestellt. Soweit die Bürokratie diese Widersprüche nicht lösen kann, werden die Millionen Kommunisten und kommunistischen Jugendlichen gezwungen sein, selbständig über ihre Lösung nachzudenken. Diesen Massen sagen wir heute und werden es morgen sagen: „die zentristische Bürokratie hat sich, dank bestimmter historischer Bedingungen; des Parteiapparats bemächtigt. Ihr, kommunistische Arbeiter, haltet an der Partei fest nicht wegen ihrer Bürokratie, sondern im Namen ihrer großen revolutionären Vorgängerin, und ihrer möglichen revolutionären Zukunft; wir verstehen Euch; revolutionäre Proletarier wechseln ihre Organisation nicht mit solcher Leichtigkeit wie einzelne Studenten; wir Bolschewisten-Leninisten wollen nichts anderes als Euch kommunistischen Arbeitern helfen, die Partei wieder herzustellen."

Der deutschen kommunistischen Partei folgen Millionen von Arbeitern. Die katastrophale Krise in Deutschland stellt ihnen revolutionäre Aufgaben, Fragen auf Leben und Tod. Auf Grund dessen wird innerhalb der Partei ein aufwühlender ideeller Kampf geführt werden. Wenn dabei einige hundert linke Oppositionäre zur Seite ständen, würden sie zu einer ohnmächtigen, traurigen Sekte werden: Wenn sie aber an den ideellen Kämpfen der Partei Anteil nahmen, und ungeachtet aller Ausschlüsse ein Bestandteil derselben bleiben. So können sie gewaltigen Einfluss auf den proletarischen Kern der Partei gewinnen.

Nein, die linke Opposition hat keinen Anlass, den Weg zu beschreiten, auf welchen: die Genossen R. u. A. sie rufen. Innerhalb der Komintern gibt es, – auch ungerechnet der UdSSR – zehntausende von Arbeitern, die eine gründliche Erfahrung gesammelt haben, die eine Reihe von Enttäuschungen durchgemacht haben, und die gezwungen sind, die richtigen Antworten auf alle Grundfragen der Politik zu suchen. Es wäre sehr schlimm, wenn die kritischen Mitglieder der der offiziellen englischen kommunistischen Partei dächten, dass die Anschauungen von R. und A. die Anschauungen der linken Opposition darstellen.

4.) Die Verfasser der Thesen machen der linken Opposition, besonders der amerikanischen Liga, den Vorwurf einer „absurden Überschätzung" der kommunistischen Partei Englands. Nein, wir haben ihre Bedeutung um nichts überschätzt.Die letzten Wahlen haben die schwäche der KPE genügend deutlich zu Tage treten lassen.* Aber die linke Opposition in England ist ja doch heute noch hundertmal schwächer als diese schwache Partei. R. u. A. haben ja doch gar nichts hinter sich. Außer einzelnen Personen, ohne Verbindung mit dem proletarischen Kampfe, steht niemand hinter ihnen. Haben sie die Politik der Partei einer ernsthaften Kritik unterzogen ? Worin besteht ihre Arbeit ? Wo sind ihre Programmthesen? Haben sie mit den einfachen Mitgliedern der Partei diskutiert? Versucht, sie zu überzeugen und auf ihre Seite zu ziehen? Haben A. u. R. von den 70.000 für die offizielle Partei Stimmenden auch nur 700 oder wenigstens nur 70 für sich gewonnen? Und dabei beeilen sie sich, schon eine 4. Internationale zu gründen: das Proletariat soll ihnen augenscheinlich auf Vorschuss zutrauen, dass sie wirklich imstande sind, eine Internationale zu errichten und zu leiten.

Diese ganze Fragestellung ist in keiner Weise ernst zu nehmen. Man muss noch dazu hinzufügen, dass, wenn die linke Opposition den verderblichen Fehler machen wurde, heute die Gründung einer 4. Internationale zu beschließen, die Gen. R. u. A. , die mit uns in allen Grundfragen auseinandergehen, augenscheinlich sofort eine 5. Internationale gründen müssten.

5.) Der Indien gewidmete Paragraph leidet an der gleichen maßlosen Abstraktheit. Es ist absolut unbestreitbar, dass Indien die volle nationale Unabhängigkeit nur über eine wirkliche, große Revolution erreichen kann, die das junge indische Proletariat zur Macht bringt. Ein anderer Gang der Entwicklung wäre denkbar nur in dem Falle, dass die proletarische Revolution in England früher siegen würde, als eine Revolution in Indien. In diesem letzteren Falle könnte die nationale Befreiung Indiens – mutmaßlich nur eine kurze Frist – der Diktatur des indischen Proletariats, das die armen Bauern um sich sammelt, vorausgehen. Aber von dieser zweifellos richtigen Perspektive ist es weit bis zu der Behauptung, als ob Indien schon reif für die Diktatur des Proletariats sei, als ob das indische Proletariat schon seine demokratischen Illusionen überwunden habe, usw. Nein, vor dem indischen Kommunismus steht eine fast noch nicht in Angriff genommene Aufgabe. Die Bolschewisten-Leninisten in England müssen eine gewaltige, hartnäckige, tagtägliche, noch grobe Arbeit leisten. Man muss in alle Organisationen der Arbeiterklasse eindringen, vor allem in die reformistischen, nationalistischen Gewerkschaftsverbände. Man muss die ersten Kader von kommunistischen Arbeitern heranbilden. Man muss am alltäglichen, „prosaischen" Leben der Arbeiter und ihrer Organisationen teilnehmen. Man muss alle Verbindungen, die zwischen der Stadt und dem Dorf bestehen, studieren.

Zur Durchführung einer solchen Arbeit bedarf es, versteht sich, programmatischer und taktischer Thesen. Aber es wäre falsch, die Sache mit der Einberufung einer internationalen Konferenz über die indische Frage zu beginnen, wie unsere Autoren es vorschlagen. Auf einer Konferenz ohne gründliche vorbereitende Arbeit kommt nichts heraus. Wenn die indischen linken Oppositionäre sich mit der Auswahl neuen Materials, seiner Bearbeitung oder auch nur Übersetzung in eine der europäischen Sprachen beschäftigen würden, (Materials über Streiks, Demonstrationen, Formen der Agrarbewegung, über Parteien und politische Gruppierungen in den verschiedenen Klassen, besonders im Proletariat, über die Tätigkeit der Komintern, ihrer Aufrufe und Losungen) so würde eine solche vorbereitende Arbeit die Möglichkeit einer kollektiven Ausarbeitung des Programms und der Taktik der proletarischen Vorhut in Indien außerordentlich erleichtern.

7. 11. 1931.

L. Trotzki.

* Unnötig zu wiederholen, dass die Wahlen nicht der einzige und kein genauer Maßstab des politischen Einflusses sind: Im Kampf erweist sich eine revolutionäre Partei immer stärker als bei den Parlamentswahlen. Nichtsdestoweniger, die Wahlstatistik bleibt ein sehr wertvoller Zeiger für die Stärke oder die Ohnmacht der politischen Parteien. Nur Anarchisten können diesen Gradmesser ignorieren.

Man muss ernstlich beginnen mit der Gründung einer Zelle der linken Opposition aus indischen Genossen, die tatsächlich auf den Standpunkt der Bolschewisten-Leninisten stehen.

Kommentare