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Leo Trotzki 19310501 Verleumdungen gegen D. B. Rjasanow

Leo Trotzki: Verleumdungen gegen D. B. Rjasanow

[Nach Permanente Revolution, 1. Jahrgang Nr. 1 (Juli 1931), S. 9 f.]

In der «Prawda» v. 12. März ist ein Artikel «Marx über Karl Kautsky» mit Unterschrift «Marx-Engels-Institut» veröffentlicht worden. Dieser Artikel wurde darauf ohne jegliche Kommentare von der gesamten Presse der Komintern wieder veröffentlicht. Den Schwerpunkt dieses Artikels, rein äußerlich gesehen, stellt die ausgezeichnete Stelle aus dem Brief von Marx d. Jahres 1881 dar, die eine völlig vernichtende und auch eine vollkommen bestätigte Charakteristik K. Kautskys enthält.

Die Veröffentlichung des Artikels unter feierlicher Unterschrift einer ganzen Institution bezweckt etwas ganz anderes: denjenigen zu lästern, der das Marx-Engels-Institut schuf und an seiner Spitze stand. So u.a. lautet der Schluss des Artikels: «Original dieses Briefes wurde bereits im Jahre 1925 von der bekannten Menschewistin Lidia Zederbaum-Dann an Rjasanow überreicht. Diesen Brief hat Rjasanow sorgfältig verheimlicht.»

Während des Menschewistenprozesses wurde Rjasanow vom Oberstaatsanwalt der Republik vor der gesamten Öffentlichkeit in der Beteiligung am Komplott gegen die proletarische Diktatur beschuldigt. Einige Monate darauf teilte man der Öffentlichkeit ein neues Verbrechen Rjasanow' mit: er sollte noch, angeblich, außerdem ein Zitat aus dem Briefe K. Marx' d. J. 1881 verheimlicht haben. Schon allein das Bedürfnis, gegen den Gen. Rjasanow noch schwerwiegendere Beschuldigungen aufzustellen, die in keinem Einklang mit der ersten Beschuldigung stehen, legt ein Zeugnis darüber ab, inwiefern das sogenannte Gewissen bei den Herren Anklägern unsauber ist. Diese Leute, die gewöhnlich Illoyalität mit Rohheit paaren, bemerken gar nicht, dass sie mit ihren Stützen nur das Schwanken ihres Grundpfeilers herausgeben. Wie die Beschuldigung gegen Rjasanow geboren wurde, haben wir seinerzeit in einer hypothetischen Form erklärt. Alles, was man uns in dieser Angelegenheit aus Russland schreibt, bestätigt vollkommen unsere Vermutungen. Es fällt auch nicht schwer, die Mechanik der nachträglichen Beschuldigung aufzudecken, die von denselben Anklägern aufgestellt worden ist, bloß unter dem Decknamen «Institut Marx-Engels». «Die Menschewistin Lidia Zederbaum» hat den Marx-Brief schon im Jahre 1925 an Rjasanow abgegeben. Was bezweckte sie damit? Sollte dies etwa als Pfand gelten für die Freundschaft Rjasanows mit den Menschewiki und für ihre zukünftige, gemeinsame Verschwörung gegen die proletarische, Diktatur? Darüber schweigt das «Institut». Das Wort «Menschewistin» sollte in diesem Falle alle Schwankenden zum Stillschweigen zwingen, und wo noch Rjasanow diesen Brief seit dem Jahre 1925 «sorgfältig verheimlicht» hat. Warum verheimlicht? Augenscheinlich, mit der Absicht, die Interessen Kautskys und der des internationalen Menschewismus in Schutz nehmen zu wollen. Wahr ist es aber auch, dass in der Zeitspanne zwischen 1925, wo Rjasanow mit den Menschewiki ein Komplott abschloss zwecks Verheimlichung des historischen Dokuments, und 1931, wo er bei der Verschwörung gegen die proletarische Diktatur entlarvt wurde, auch eine ganze Menge von Dokumenten und Werken veröffentlicht hat, die großen Kummer den Menschewiki zufügten. Aber nichts zu machen. Die Leser der Komintern-Presse müssen sich dabei von der frommen Formel leiten lassen: «ich glaube, obwohl es Unsinn ist».

Gut, wird der Leser fragen, aber wie steht doch die Sache mit dem Brief? Ist der Brief echt, hat ihn wirklich Rjasanow versteckt, und falls er ihn versteckt hatte, dann wozu? Es genügt sich nur das Zitat anzusehen, um an der Echtheit des Briefes nicht zu zweifeln: Marx können sogar Jaroslawski im Bunde mit Jagoda nicht nachahmen. Bezüglich der Umstände der «Verheimlichung» des Briefes können wir hier wieder eine Hypothese aufstellen, deren Richtigkeit aber von allen Umständen in dieser Angelegenheit auf 100% garantiert. Rjasanow hat den Brief nur von denjenigen bekommen können, die ihn in den Händen hatten. Als Besitzer der Erbschaft Engels wurde Bernstein an Hand der historischen Logik des Epigonentums, die auch jetzt Jaroslawski gestattet über die Erbschaft Lenins zu verfügen. Rjasanow hat eine ausschließliche Beharrlichkeit und Findigkeit in Sammlung der Erbschaft Marx und Engels gezeigt. Genau so wie das Lenin-Institut, hat auch das Marx-Engels-Institut sehr viel Dokumente bei den Menschewiki und durch Vermittlung der Menschewiki eingekauft: es genügt, zum Beispiel, auf das Archiv, das das Lenin-Institut bei Potressow gekauft hat, sich zu berufen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass «die Menschewistin Lidia Zederbaum» nicht einfach den Brief Rjasanow überreicht, sondern verkauft hat, aller Wahrscheinlichkeit nach als Vermittlerin Bernsteins oder von jemanden anderen der Greise, in deren Händen der Brief von K. Marx war. Es ist ganz natürlich bei der Veräußerung des Briefes, der ein vernichtendes Porträt Kautskys darstellt, dass Bernstein oder jemand anderer dieses Kreises der Besitzer des Dokuments die Bedingung bei dem Verkauf gestellt hat, dass der Brief während der Lebzeit Kautskys oder dessen, der den Brief veräußert hat, nicht veröffentlicht werden darf. Es ist allgemein bekannt, wie Bernstein scharf genug von diesem Gesichtspunkt aus die Marx-Engels-Korrespondenz zensiert hat. Dem Gen. Rjasanow blieb nichts übrig: um den Brief in seine Hände zu bekommen, war er gezwungen die aufdringliche Bedingung anzuerkennen. Jeder andere an seiner Stelle hätte genau so gehandelt. Die Bedingung anerkennend, hat er sie selbstverständlich erfüllt. Nur dank der außergewöhnlichen Vorsicht und Korrektheit in allen ähnlichen Verträgen ist der Gen. Rjasanow imstande gewesen, von den Gegnern wertvolle Elemente der Erbschaft unserer großen Klassiker herauszubekommen. Jetzt, hoffen wir, ist es verständlich, warum Gen. Rjasanow «den Brief verheimlichte». Derjenige, der Rjasanow kennt, wird keine Minute zweifeln, dass er mehr als irgendeiner vom Wunsche getragen wurde, diesen seinen wertvollen Fund zu veröffentlichen. Aber er wartete, bis die verabredete Stunde schlagen wird. Mit den Mitteln einer Haussuchung fand man bei Rjasanow den Brief v. Marx und man hat ihn nun veröffentlicht, d. h. man ist, dadurch der Verpflichtung, die Rjasanow auf sich genommen hat, nicht nachgekommen, sondern man hat ihn auch als ein Beweisstück gegen Rjasanow ins Feld geführt. Wie kann man eine solche Handlungsweise bezeichnen? Wollen wir sie mit dem wirklichen Namen nennen: es ist die Stalinsche Handlungsweise.

1. Mai 1931.

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