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Oskar Seipold 19310708 Rede zum Volksbegehren

Rede des Gen. Seipold zum Volksbegehren

[Nach Permanente Revolution, 1. Jahrgang Nr. 2 (August 1931), S. 3-4, laut Louis Sinclair, Trotsky: A Bibliopraphy, Volume 1. 1989, S. 584, war die Rede von Trotzki redigiert]

In der Sitzung des Preuß. Landtages vom 8. Juli sprach Genosse Seipold in der Debatte über das Volksbegehren und begann seine Rede mit der Feststellung, dass er, aus Gründen, die im Landtag zu erörtern nicht am Platze wäre, wohl organisatorisch nicht der KPD angehört, politisch und revolutionär aber sich zu ihr gehörig betrachtet und an ihrem linken Flügel stehe. Er führt im folgenden aus:

«Die faschistische Attacke gegen den Preußischen Landtag ist nur ein Bestandteil ihres Vernichtungsfeldzuges gegen die Arbeiterschaft, und in diesem Sinne wird jeder ehrliche revolutionare Arbeiter diesen echt nationalen Mussolinisten Deutschlands auch auf dieser Barrikade Widerstand leisten. Abgesehen davon aber hat kein revolutionärer Arbeiter ein Interesse an der Erhaltung des Preußischen Landtags wie aller übrigen Landtage des Reiches. Die miserable Kleinstaaterei mit allem Schund und Plunder der deutschen Vergangenheit ist uns als Erbe geblieben, und wenn die verstümmelte, vergewaltigte und bestohlene Revolution von 1918 damit nicht aufgeräumt hat, so ist es in erster Linie die Schuld der Sozialdemokratie. Wir sind für eine einheitliche deutsche Republik und sind dessen gewiss, dass auch unsere österreichischen Brüder sich mit uns in einer einheitlichen Republik zusammenfinden werden. Aber das genügt uns noch nicht.

Wir wissen, dass Deutschland ein untrennbarer Bestandteil von Europa ist, für dessen Erniederung, Erschöpfung und Verblutung die herrschenden Klassen Deutschlands und die Sozialdemokratie ebenso große Verantwortung tragen wie die herrschenden Klassen, die den Schandfrieden von Versailles allen Völkern Europas, auch den sogenannten Siegerländern, aufgedrungen haben.

Aber auch ein wirklich einheitliches Deutschland würde in dem zerstückelten, sich gegenseitig zerfleischenden Europa keine Existenz haben. Jetzt, anno 1931, hängt es davon ab, wann und wie Herr Hoover den Zeigefinger seiner rechten Hand bewegt, ob wir ein paar hunderttausend Arbeitslose mehr oder weniger haben werden, ob Herr Brüning fliegt oder noch ein paar Monate bleibt und, was noch wichtiger ist, ob die Reichsbank fliegt oder noch bestehen bleibt. Ist es nicht Tatsache geworden, dass Amerika Deutschland auf Ration gesetzt hat? Aber sehen Sie, auch mit Frankreich, dem siegreichen, stolzen, mit den Waffen klirrenden Frankreich, steht es nicht viel anders und jedenfalls nicht viel besser. Auch die französische Bourgeoisie bekam den liebenswürdigen Vorschlag unerwartet wie einen Schlag auf den Kopf. Auch Frankreich ist von Hoovers Gnaden auf Ration gesetzt worden: von den anderen Staaten Europas gar nicht zu reden.

Um dem in Not und Verzweiflung getriebenen Volk einige Pillen hinzuwerfen, spricht und schreibt man von Paneuropa, von Abrüstung und anderen Dingen. Die Abrüstung ist in Wirklichkeit eine Aufrüstung zu neuen imperialistischen Kriegen, und Paneuropa ist der Versuch Frankreichs, seine Schwächen zu verstecken und Europa, Deutschland mit einbegriffen, unter dem Zeichen der französischen Bajonette gegen Sowjetrussland, und unter dieser Schutzmarke gegen die Vereinigten Staaten Amerikas zu vereinigen.

Kein ernster Mensch glaubt daran, auch nicht Herr Briand, dass das kapitalistische Regime es fertig bringt, die Bedürfnisse der Völker Europas unter Führung des militärischen Frankreich zu befriedigen. Nein! Schon die Verschiebung der Kriegsschuldzahlungen um ein Jahr, was im Grunde eine untergeordnete Frage ist, hat die Katzbalgerei in Europa vergrößert. Wie kann man da glauben, dass es die Bourgeoisie fertig bringen wird, alle unversöhnlichen Rivalitäten, Appetite und Gegensätze zu beseitigen und ein einiges Europa zu schaffen! Wenn das deutsche Bürgertum samt seiner Sozialdemokratie sich unfähig erwiesen hat, wenigstens die deutsche Nation demokratisch zu einigen, dann sind sie um so weniger berufen, an der Einigung Europas tatkräftig mitzuwirken. Die deutsche Nation kann nur vom siegreichen Proletariat geeint werden. Nicht anders steht es mit Europa.

Ein Sowjet-Deutschland im Sowjet-Europa – das ist Tür uns die Lösung der Frage.

Blicken wir nach Sowjet-Russland! Wir brauchen gar nicht die Schwächen und Wunden zu verheimlichen, die die schreckliche Erbschaft der Vergangenheit darstellen, wir brauchen gar nicht den heutigen Zustand zu idealisieren. Es ist ein Übergangszustand mit allen seinen Widersprüchen und Qualen. Aber kann man auch nur einen Augenblick unsere Misere mit den hoffnungsvollen Perspektiven vergleichen, die die proletarische Revolution in Russland eröffnet hat? Stellen Sie sich nur einen Augenblick vor, dass diese Methode der konzentrierten planmäßigen Wirtschaft sich nicht oder nicht nur auf die zurückgebliebenen Produktionskräfte Russlands, sondern auch auf die deutsche Wirtschaft und Technik, auf die Tüchtigkeit des deutschen Arbeiters und Technikers stützen würde, welche unermesslichen Perspektiven und Möglichkeiten würden sich dann für die gesamte Menschheit eröffnen! Dass dies nicht wenigstens zum Teil verwirklicht ist, daran trägt die Sozialdemokratie den größten Teil der Schuld. Die Faschisten, die den Preußischen Landtag beseitigen wollen, nur weil sie ihn als Hindernis auf dem Wege zur Knechtung, zur echt nationalen Mussolinisierung Deutschlands ansehen, diese Mussolinisten sprechen auch von einer Revolution, nämlich im Gegensatz zu uns Marxisten-Bolschewiken von einer Volksrevolution, die sie der proletarischen entgegenstellen. Auf diesen Leim gehen wir nicht. Selbstredend handelt es sich um eine Revolution, die dem gesamten Volke, die allen Völkern Europas und in letzter Instanz der gesamten Menschheit der Welt zugutekommen wird; aber diese Revolution kann nur vom siegreichen Proletariat durchgeführt werden, indem es seinen Willen zum Gesetz des Staates macht. Unter der zweideutigen Formel der Volksrevolution sehen wir echt chauvinistische Elemente, wie Leutnant Scheringer, in die Reihen der proletarischen Avantgarde eindringen, um deren internationale Gesinnung zu trüben, zu verwischen und zu vergiften.

Leute dieser Art sprechen von der «nationalen» Befreiung Deutschlands durch Krieg gegen die Westmächte. Zu diesem Zwecke sind sie bereit, die Kräfte des revolutionären Proletariats den nationalen Interessen zu opfern und als Kanonenfutter zu gebrauchen. Nein, nicht das ist unser Standpunkt. Wir trennen die Geschicke Deutschlands von denen Sowjet-Russlands, Europas und der ganzen Welt nicht.

Unser Programm ist nicht die «nationale» Befreiung Deutschlands, sondern die Rettung Europas durch die proletarische Revolution.

Wir kennen keine andere Rettung für das darbende, von Krisen, Arbeitslosigkeit und Kriegsgefahren bedrohte Volk außer dem Sozialismus. Wir fassen aber den Sozialismus nicht national, sondern international auf. Die Arbeiter der Sowjet-Union haben ein prächtiges Beispiel gezeigt; sie haben einen prächtigen Anfang des sozialistischen Aufbaues gemacht. Beendet kann dies Werk nur werden, indem es sich auf immer mehr und mehr Staaten erweitert, in erster Linie auf den europäischen Kontinent. Dann wird die Sowjetunion die natürliche Brücke zum erwachten Asien bilden, und das wird der Weg zur sozialistischen Weltföderation sein.

An dem der Sowjetunion entgegengesetzten Ende lodert die große Flamme der Revolution. Das revolutionäre Proletariat Spaniens stellt dort bereits die Parole der Sowjets auf. Diese Parole ist unverlöschlich und unverwüstlich wie das Proletariat selbst. Der Gang der Entwicklung geht dort erst durch die erste Etappe hindurch. Unsere prachtvollen spanischen katalanischen, und baskischen Brüder mit ihrem ausgezeichneten Temperament und Opfermut werden ihre Revolution nicht auf der Ebert-Zamorra-Etappe stecken lassen; sie werden sie, gestützt auf das arme ausgeplünderte Landvolk ununterbrochen bis zum vollständigen Siege der proletarischen Revolution führen. Die Befehlshaber Frankreichs blicken nicht ohne Grund mit Besorgnis auf die Vorkommnisse jenseits der Pyrenäen, und in der nächsten Zukunft – dessen sind wir gewiss – wird das alte geschichtliche Wort «Es gibt keine Pyrenäen mehr» zur revolutionären Tatsache werden. Nein und tausendmal nein! Nicht von Locarno, nicht von Chequers, nicht aus dem Weißen Hause von Washington, aus den vergoldeten Höhlen der Habgier und blutrünstiger Intrige wird Freiheit und Rettung, des deutschen Volkes und der anderen Völker kommen; nur das Proletariat wird sich, auf seine eigene Kraft verlassend, befreien können, das ist der einzige Weg zur Befreiung Europas vom Joche des Kapitalismus.

Die Revolution ist ein raues Mittel und erheischt große Opfer. Aber die Opfer müssen gebracht werden; denn es gibt kein anderes Mittel zur Befreiung als die proletarische Revolution. Gegen die permanente Misere, gegen die permanente gegenseitige Zerfleischung der Völker, gegen die permanenten Lügen und Intrigen der Befehlshaber der kapitalistischen Nationen, und selbstverständlich auch der unsrigen, erheben wir die Losung der permanenten Revolution des Proletariats. Unter diesem Zeichen steht die linke kommunistische Opposition, Bolschewiki-Leninisten, die eine internationale Fraktion des Weltkommunismus bildet, der ich angehöre und in deren Namen ich von dieser Tribüne spreche. Wenn wir uns heute noch mit Faschisten herumschlagen müssen, so ist das nicht zuletzt die Schuld der sozialdemokratischen Führung, die die Revolution von 1918 auf nicht einmal halbem Wege, kaum auf dem viertel Wege abgewürgt hat.

Wenn Sie (zu der Nationalen) nicht i. J. 1918 diese Freunde – die Sozialdemokraten – gehabt hätten, dann würden Sie nicht mehr hier sitzen.

Ohne diese Leute (auf die S. P. D. zeigend) hätte die Revolution 1918 anders mit Ihnen aufgeräumt. Sie wären aus den Mauselöchern, in denen Sie sich verkrochen hatten, nicht mehr hervorgekommen.

Ich sagte, dass das revolutionäre Proletariat außer dieser Tatsache, wegen der die Faschisten die Beseitigung des Landtages wollen, an der Erhaltung dieses Landtags kein Interesse bat. Ich sage ganz offen: wir haben auch kein Interesse an der Erhaltung dieser demokratischen Republik, denn sie ist nicht die Demokratie für das Proletariat, sondern für die Bourgeoisie. Das «Recht» dieser Demokratie ist für die Arbeiterklasse eine Falle mit tausend Schlingen, für die Ausbeuterklasse ein Theater mit tausend Notausgängen. Es gibt eben zwei Arten von Demokratie: eine Demokratie für die Bourgeoisie – das ist die der demokratischen Republik – und eine Demokratie für das Proletariat – das ist die revolutionäre Diktatur des Proletariats. Hauptsächlich von den Parteien der Mitte wird oft gesagt, wir lebten in der freiesten Republik der Welt. Ich brauche zur Widerlegung dieser «kühnen» Behauptung wohl nicht erst Bespiele anzuführen. Man braucht sich nur im Leben umzusehen und man wird sehen, wie vorzüglich die Gummiknüppel gegen die revolutionären Arbeiter angewendet werden. Wenn man z. B. in letzter Zeit die Spartakiade verboten hat, so ist eine solche Gewaltpolitik nicht immer ein Zeichen der Stärke!

Ich werde gegen diesen beantragten Volksentscheid der faschistischen Organisationen stimmen und werde natürlich für den Antrag der kommunistischen Fraktion auf Auflösung des Landtags stimmen, weil das Proletariat, wie ich schon kein Interesse an der Erhaltung dieses Parlaments, überhaupt an der Erhaltung der Parlamentarismus hat, sondern unser Ziel ist die außerparlamentarische Revolution in Permanenz, die Räterepublik Deutschland in Sowjeteuropa als Brücke zur sozialistischen Weltföderation.»

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