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Leo Trotzki 19320115 Antwort auf die Erklärung der jüdischen Gruppe der Kommunistischen Liga in Frankreich

Leo Trotzki: Antwort auf die Erklärung der jüdischen Gruppe der Kommunistischen Liga in Frankreich

[Nach dem maschinenschriftlichen Text in Lev Davidovič Trockij / International Left Opposition Archives, inventory number 949, International Institute of Social History, Amsterdam. Die „jüdische Gruppe“ sollte die aus Osteuropa relativ frisch zugewanderten jiddischsprachigen ArbeiterInnen organisieren.]

Werte Genossen,

Eure Erklärung ist ein antikommunistisches Dokument und zeigt auf welchen traurigen Weg die gegenwärtigen Leiter Eurer Organisation die Gruppe von jüdischen Arbeitern führen.

1. Ihr ruft die Gen. Felix und Fuchs aus dem EK der Liga ab, um Euch der „Verantwortlichkeit“ für die Leitung der Liga zu entziehen. Diese Handlungsweise ist ein Sabotageakt. Die Konferenz hat eine bestimmte Leitung gewählt. Ihr setzt Euch über die Konferenz, über die Liga und Ihr sabotiert das leitende Organ der Liga.

Im Grunde ist Eure Tat eine Spaltungshandlung. Für die Leiter Eurer Gruppe ist diese Handlungsweise eine Demonstration, ein Misstrauensvotum, mit einem Wort ein parlamentarisches Spiel. So handeln nicht proletarische Revolutionäre, sondern kleinbürgerliche Anarchisten, welche den Parlamentarismus in Worten verachten, aber in der Tat imitieren.

2. Welchen Grund wähltet ihr, um das EK der Liga zu verlassen? Meinen Rundbrief. Aber ist denn das EK der Liga dafür verantwortlich? Zwischen Eurer Handlung und ihrer Begründung besteht absolut kein Zusammenhang, Ich kann nicht – auch nicht für einen Augenblick – annehmen, dass alle Mitglieder der jüdischen Gruppe einen Desorganisationsakt von dieser Art billigen konnten. Ich kenne nicht den Gen. Fuchs und ich kann nicht über seine Gründe urteilen. Aber Gen. Felix bleibt in dieser Sache sich selbst treu.

3. Die Sache kompliziert sich dadurch noch mehr, dass Ihr Felix und Fuchs nicht zurückruft im Namen irgend einer Fraktion oder irgend einer Lokalorganisation, sondern im Namen einer nationalen Gruppe, Ihr verwandelt also die Liga in eine Föderation von nationalen Gruppen. Das ist das Regime, welches der Bund in der russischen Partei einzuführen versucht hat. Nicht nur die Bolschewiki, sondern auch die Menschewiki hielten im Jahre 1903 diese Ordnung der Dinge für unvereinbar mit den Grundlagen einer proletarischen, revolutionären Organisation. Ihr führt den Bundismus in die Reihen der Linksopposition ein. Die Linksopposition würde ihren eigenen Untergang verursachen, wenn sie eine solche Ordnung der Dinge auch nur während 24 Stunden dulden würde.

4. Während sie eine solche fraktionelle jüdische Organisation schaffen, während sie sie so von der Liga trennen, indem sie sie der Liga entgegenstellen, versuchen die Gen. Mill und Felix zu gleicher Zeit, der Liga zu kommandieren, Der Gen Mill hat seine Stellung im Sekretariat missbraucht für seinen rein fraktionellen Kampf gegen die Liga. Der Gen Felix missbraucht für dieselben Ziele die jüdische Gruppe, indem er in monströser Weise die Differenzen übertreibt, indem er künstliche Vorwände für Differenzen sucht, indem er jeder Differenz den Charakter einer Karikatur gibt. Im ideologischen Sinne haben diese Diskussionen, in Anbetracht ihres scholastischen und unfruchtbaren Charakters, der Liga nichts gegeben. Im politischen Sinn lähmen sie die Liga, indem sie die französischen Arbeiter von Ihr abstoßen. So ist die jüdische Gruppe, statt ein Werkzeug zur Erfassung der jüdischen Arbeiter zu sein, dank ihrer gegenwärtigen Führer ein Werkzeug zur Zurückstoßung der französischen Arbeiter geworden.

5. Ihr versichert, dass ich meine Einschätzung der Leiter der jüdischen Gruppe, welche die Gruppe in ihr Verderben führen und die Liga sabotieren (Mill und Felix), auf der einseitigen und falschen Information des Gen. Molinier aufbaue. Das zeigt noch einmal, mit welch einem Leichtsinn eure Führer Anschuldigungen tragen, die auf nichts aufgebaut sind. Die Qualität von Informationen unterscheiden, verstehen, welcher Information man glauben und welcher man nicht glauben kann, Klugheit angesichts einer Information an den Tag legen, wenn es sich um innere Konflikte handelt, – alle diese Regeln und Forderungen sind die elementarsten, das ABC vom Standpunkt des gesunden politischen Gedankens aus. Wenn man also jemand anklagt, seine Urteile auf der Basis einseitiger und falscher Informationen aufzubauen, so heißt das im Grunde genommen einen solchen Menschen für politisch zahlungsunfähig anerkennen. Wir verstehen etwas verschiedenes darunter, Ihr und ich, was die Linksopposition ist, was einen revolutionäre Organisation ist. etc., aber warum also das vermischen mit der Frage einer falschen Information durch irgend jemand. Es ist noch gar nicht so lange her, dass Gen. Mill Naville die ganze Unzulässig[keit] dieses Arguments auseinandergesetzt hat. Mein Rundbrief, der die Politik der gegenwärtigen Führung der jüdischen Gruppe verurteilt, war geschrieben vor jeder Unterhaltung mit Gen. Molinier.

6. Was hat endgültig meine Einschätzung der gegenwärtigen Führung der jüd. Gruppe entschieden? Euer Brief an Rosmer. Ich bin der Meinung, dass dieses Dokument vollkommen skandalös ist und die Gruppe durch den Fehler ihrer Führung tief kompromittiert.

Der Kampf gegen Landau, Naville, Rosmer war bisher das wichtigste und bedeutungsvollste Ereignis im inneren Leben der internationalen Linken, die sich so von Elementen von fremdem Ursprung reinigte. Dieser Kampf hat zu Spaltungen, Amputationen und Desertionen geführt. Im Verlauf Eurer Konflikte mit der neuen Leitung der Liga habt Ihr Euch plötzlich mit Rosmer solidarisiert. Das zeigt, dass die Führer Eurer Gruppe im vorhergehenden Kampf nichts verstanden haben, oder noch schlimmer, dass sie im Allgemeinen nicht fähig sind, wirklich prinzipielle Differenzen ernst zu nehmen. Vom Standpunkt der ideologischen Treue und der revolutionären Disziplin aus war der Brief an Rosmer ein direkter Akt von Verrat. Ich kann noch verstehen, dass einige jüdische Arbeiter irregeführt werden konnten; aber die Führer dieser Geschichte wussten, was sie taten. Ich persönlich lehne ab, das geringste Vertrauen Leuten zu geben, welche der jüdischen Gruppe einen solchen treulosen Akt wie den Versuch eines Bocks mit den Deserteuren gegen die Intern. Linksoppos. auferlegt haben.

7. Ihr klagt mich an, weil ich mich über Eure Differenzen mit Gen. Treint und anderen in der Frage „Fraktion", „Partei" etc. ausgesprochen habe. Nun, ich bilde mir mein Urteil nicht auf Grund von Episoden abgetrennt von dem ununterbrochenen inneren Kampf, sondern auf Grund der Erfahrung der letzten zwei, drei Jahre in ihrer Gesamtheit. Welche politische Bedeutung können für mich die Ansichten der Gen. Felix und Mill haben, wenn sie, ohne nachzudenken, Sprünge von der Fraktion, der ich angehöre, in die Fraktion von Rosmer-Landau vollführen? Mögen Felix und Mill heute die beste Definition der Fraktion unterschreiben, das ist in meinen Augen eine leere Wortfechterei. Indem sie versuchen, die Liga in eine Föderation von unabhängigen nationalen Gruppen zu verwandeln, treten Mill und Felix den Begriff der revolutionären Fraktion mit Füßen. Welche Bedeutung können also in meinen Augen ihre Übungen mit dem Wort Fraktion haben?Unser ideologischer Kampf hat nicht einen Charakter an sich, sondern er ist ein Werkzeug der Aktion und er wird durch die Aktion überprüft. Ich habe vor Augen die Aktivität von Felix und Mill als Ganzes und die neue Episode der Diskussion kann nicht mein Urteil ändern.

8. Paz unterschrieb, wie man weiß, alle Formulierungen und hielt sich für einen hundertprozentigen Bolschewik-Leninist. Als bei ihm einige unbedeutende Differenzen mit Delfosse auftauchten, verlangte er, ich sollte mich unverzüglich über diese Differenzen aussprechen. Und ich verlangte, dass die Gruppe Paz vom Geschwätz zu einer ernsten Arbeit übergehen sollte, und lehnte es ab, mich mit Differenzen zu beschäftigen, welche keine Beziehung zur wirklichen Arbeit hatten. Die Gruppe von Paz verurteilte mich deswegen, indem sie wahrscheinlich der Ansicht war, dass ich nicht genügend die Tiefe und die Bedeutung der bei ihnen aufgetauchten Differenzen einschätzte. In dieser Diskussion war Gen. Felix mit Paz gegen mich. Sowie es für Paz klar war, dass ich ihn nicht unterstütze, kamen bei ihm unverzüglich prinzipielle Differenzen mit der russischen Opposition zum Vorschein, es zeigte sich, dass Rakowski sich nicht zu den revolutionären Höhen von Paz erhebt. Felix und Mill imitieren nur Paz, indem sie von mir fordern, dass ich mich mit ihrer Wortfechterei befasse, anstatt ihre Aktivität in ihrer Gesamtheit zu beurteilen.

9. Wenn Ihr Euch für meine wirklichen Informationsquellen interessiert, so will ich Euch nichts verheimlichen. Mein Hauptinformator war immer Gen. Mill. Ich habe mit ihm viele, viele Dutzende von Briefen gewechselt. Meine Schlüsse über die Politik von Mill habe ich vor allem auf Grund seiner eigenen Briefe gezogen. In den Briefen ist nicht wenig die Rede von Gen. Felix. Aber hier habe ich mich um alles in der Welt nicht auf die Unparteiischkeit von Gen. Mill verlassen. Den Gen. Felix habe ich versucht nach seinen eigenen Handlungen zu beurteilen. Seine Unterstützung von Paz gegen die Vérité, seine Diskussionsartikel in der Vérité, seine Rolle bei dem Versuch des Blocks mit Rosmer, sein Brief an die griechische Opposition – das genügt vollständig. Fügt hierzu die Protokolle des EK der Liga und die Bull. Int. der Liga. Das gegenwärtige Verlassen des EK durch Gen. Felix, in der Art eines parlamentarischen Spiels, vervollständigt nur das Bild.

10. Ihr schlagt vor, eine internationale Kontrollkommission zur Prüfung meiner „Anklagen“ zu schaffen.Ich kann Euch hierzu nur mein Erstaunen aussprechen. Es handelt sich von meiner Seite um die politische Einschätzung der Methoden und des Vorgehens von Gen. Mill und Gen. Felix. Meine Einschätzung kann richtig oder falsch sein, aber was kann das mit einer Kontrollkommission zu tun haben?

Wenn gewisse ehemalige und gegenwärtige Mitglieder der Liga im politischen Kampf persönliche Unterstellungen gegen ihre Gegner gemacht haben, dann habe ich vorgeschlagen eine Kontrollkommission zu schaffen. Aber keiner der Ankläger hat indessen gewagt, seine Anklagen vorzutragen. Dadurch haben sich die Ankläger endgültig disqualifiziert, indem sie zeigten, dass sie sich im Kampf nicht durch die Leidenschaft von Revolutionären, sondern durch die. Skrupellosigkeit von ohnmächtigen Kleinbürgern leiten ließen. In einem ähnlichen Fall ist eine Kontrollkommission vollständig am Platz, um die Atmosphäre zu reinigen. Aber in unserem Fall handelt es sich keineswegs um Anklagen moralischer Art, und die über die Richtigkeit oder Nicht-Richtigkeit von politischen Einschätzungen muss sich die ganze Masse der Mitglieder der Organisation und nicht eine spezielle Kontrollkommission entscheiden.

11. Eure Erklärung sagt, dass ich verurteile die Tätigkeit der jüdischen Gruppe in ihrer Gesamtheit. Das ist eine Unwahrheit. In demselben Maß, wie die Mitglieder Eurer Gruppe unter der Leitung der Liga eine Propagandaarbeit für den Bolschewismus unter den jüdischen Arbeitern durchführen, indem sie unter ihnen die Ideen des Bolschewismus verbreiten, so kann ich bestimmt eine solche Arbeit nur begrüßen und sie unterstützen, so wie ich sie nach Maßgabe meiner Kräfte in der ersten Periode des Bestehens der Gruppe unterstützt habe, bis man sie auf den prinzipienlosen Weg der kleinbürgerlichen Politikasterei von Felix und Mill gezogen hat. Gerade jetzt, wo die Krise vor allen anderen die ausländischen Arbeiter in Frankreich trifft, wo die sozialist. Partei sie vollständig verrät und die kommunistische Partei zur Hälfte (Abstimmung der Parlamentsfraktion) könnte und müsste die Linksopposition eine energische Arbeit unter den ausländischer. Arbeitern entwickeln, mit einbegriffen den jüdischen Arbeitern. Aber dazu muss die jüdische Gruppe aufhören, eine national jüdische Fraktion im Innern der Liga zu sein, sondern sie muss werden das Organ der Liga für die Propaganda in jüdischer Sprache. Was muss dazu geschehen? Befreien die jüdische Gruppe von der Führung der Gen. Felix und Mill, welche, außer dem Schädlichen, nichts herbeiführen kann.

Mit kommunistischem Gruß

L. Trotzki

Kadikoy 15. Jan. 1932.

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