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Leo Trotzki 19321015 15 Jahre Sowjetmacht

Leo Trotzki: 15 Jahre Sowjetmacht!

[Nach Permanente Revolution, 2. Jahrgang Nr. 26 (1. Novemberwoche 1932), S. 1]

Die noch immer isolierte Oktoberrevolution hat das fünfzehnte Lebensjahr vollendet. Diese einfache Ziffer spricht zur ganzen Welt von der gigantischen Kraft, die dem proletarischen Staat innewohnt. Eine solche Lebenszähigkeit hat niemand vorausgesehen, auch nicht die größten Optimisten unter uns. Und kein Wunder: der Optimismus einer solchen Voraussicht hätte den Pessimismus hinsichtlich der internationalen Revolution in sich tragen müssen.

Führer und Massen erblickten in der Oktoberumwälzung nur die erste Etappe der Weltrevolution. Der Gedanke an einen selbständigen Aufbau des Sozialismus im isolierten Russland war im Jahre 1917 entschieden von niemandem verteidigt, aufgeworfen oder formuliert worden. Auch in den folgenden Jahren wurde der Wirtschaftsaufbau von der gesamten Partei ausnahmslos als das Unterbauen einer materiellen Grundlage unter die Diktatur des Proletariats aufgefasst, als Sicherung des Wirtschaftsbündnisses (Smytschka) zwischen Stadt und Land, schließlich als Schaffung von Stützpunkten für die kommende sozialistische Gesellschaft, die nur auf internationaler Grundlage wird aufgebaut werden können.

Die Wege der Weltrevolution erwiesen sich als unermesslich verschlungener und länger, als wir vor 15 Jahren erwartet und erhofft hatten. Zu den äußeren Schwierigkeiten, als deren wichtigste sich die historische Rolle des Reformismus erwies, gesellten sich innere, vor allem die zutiefst falsche, in ihren Folgen verhängnisvolle Politik des bolschewistischen Epigonentums. Die Bürokratie des ersten Arbeiterstaates tut – unbewusst, das aber macht nichts besser – entschieden alles, die Geburt eines zweiten Arbeiterstaates zu verhindern. Es gilt, den bürokratischen Knoten zu lösen oder zu zerhauen, um der Revolution einen Ausweg zu bahnen.

Haben die Fristen der Entwicklung den Rahmen der von uns umrissenen Perspektiven überschritten, so wurden die grundlegenden Triebkräfte und Gesetze von uns immerhin richtig eingeschätzt. Das trifft auch völlig auf die Probleme der Wirtschaftsentwicklung der Sowjetunion zu. Die modernen Produktionskräfte lassen sich durch keine Resolutionen oder Beschwörungen in die nationalen Schranken treiben. Autarkie ist ein Ideal Hitlers, nicht aber Marxens und auch nicht Lenins. Sozialismus und nationale Abgeschlossenheit schließen einander aus. Heute wie vor 15 Jahren ist das Programm der sozialistischen Gesellschaft in einem Lande utopisch und reaktionär.

Die Wirtschaftserfolge der Sowjetunion sind sehr groß. Aber gerade zum 15-Jährigen Jubiläum haben die Gegensätze und Schwierigkeiten bedrohliche Schärfe angenommen. Rückstände, Durchbrechungen, Disproportionen sprechen in erster Reihe von einer falschen Leitung. Aber nicht nur davon. Sie gemahnen, dass der Aufbau einer harmonischen Gesellschaft möglich ist nur durch ununterbrochenes Experimentieren, im Laufe von Jahrzehnten und nicht anders als auf internationaler Grundlage, Die technischen und kulturellen Hemmnisse, der Bruch zwischen Stadt und Land, die Schwierigkeiten von Aus- und Einfuhr, all das zeugt davon, dass der Oktober seine internationale Fortsetzung heischt. Der Internationalismus ist keine rituelle Gepflogenheit, sondern eine Frage von Leben und Tod.

An Jubiläumsreden und Artikeln wird es nicht fehlen. Die Mehrzahl wird von jenen ausgehen, die im Oktober unversöhnliche Gegner der proletarischen Umwälzung waren. Uns, Bolschewiki-Leninisten, werden diese Herren «Konterrevolutionäre» nennen. Solche Späßchen gestattet sich die Geschichte nicht zum ersten Male und wir sind ihr darob nicht böse. Wenn auch verworren und langsam, sie tut ja doch ihr Werk.

Und wir werden das unsre tun!

Prinkipo, den 15. Oktober 1932.

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