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Leo Trotzki 19321006 Antikriegskongress und Einheitsfront

Leo Trotzki: Antikriegskongress und Einheitsfront

Aus einem Vorwort L. T.'s zu der polnischen Ausgabe der «Kinderkrankheiten»

[Nach Permanente Revolution, 2. Jahrgang Nr. 26 (1. Novemberwoche 1932), S. 3]

Wenn wir ein vollendetes Muster dafür suchen würden, wie die Einheitsfront nicht geführt werden soll und unmöglich geführt werden kann, würden wir nichts besseres – richtiger, nichts schlechteresfinden, als den Amsterdamer Kongress «aller Klassen und aller Parteien», gegen den Krieg. Dieses Beispiel verdient nach einzelnen Punkten untersucht zu werden.

1 Die Kommunistische Partei muss, bei allen und jeden Vereinbarungen, von vorübergehenden bis zu den zeitlich ausgedehntesten, offen, unter ihrer eigenen Fahne, auftreten. In Amsterdam waren Parteien, als solche, überhaupt nicht zugelassen. Als ob der Kampf gegen den Krieg nicht eine politische und folglich eine Aufgabe der Parteien wäre. Als ob dieser Kampf nicht allerhöchste Klarheit und Genauigkeit des Gedankens erforderte. Als ob irgend eine andere Organisation, außer der Partei, fähig wäre, die klarste und vollendetste Fragestellung des Kampfes gegen den Krieg zu formulieren. Dabei ist aber der faktische Organisator des Kongresses, auf dem die Parteien ausgeschlossen sind, die Komintern!

2. Die Kommunistische Partei darf die Einheitsfront nicht suchen mit einzelnen Advokaten und Journalisten, mit sympathischen Bekannten, sondern nur mit Massenorganisationen der Arbeiter, und, folglich in erster Linie mit der Sozialdemokratie, Jedoch eine Einheitsfront mit der Sozialdemokratie war von vornherein ausgeschlossen. Als unzulässig war auch das Herantreten an die Sozialdemokratie erklärt worden, d. h. die offene Kontrolle, welche Kraft der Einfluss der sozialdemokratischen Massen auf ihre Führer schon erreicht hat.

3. Eben deshalb, weil die Politik der Einheitsfront opportunistische Gefahren einschließt, ist die Kommunistische Partei verpflichtet, jegliche zweideutige Vermittlung und Diplomatie hinter dem Rücken der Massen zu unterlassen. Aber die Komintern fand es für notwendig, als formalen Leiter, als den hinter den Kulissen stehenden Vermittler und Fahnenträger den französischen Schriftsteller Barbusse aufzustellen, der sich auf die schlimmsten Elemente des Reformismus und Kommunismus stützt. Ohne die Massen zu informieren, aber im deutlichen Auftrag des Präsidiums der Komintern, trat Barbusse mit Friedrich Adler in Unterredungen über den Kongress ein. Aber die Einheitsfront von oben ist ja doch unzulässig? Unter Vermittlung von Barbusse ist sie, wie es sich zeigte, zulässig. Überflüssig zu sagen, dass die Drahtzieher der 2. Internationale auf dem Gebiet politischer Manöver Barbusse hundert Punkte vorausgeben. Die hinter den Kulissen ausgeübte Diplomatie von Barbusse gab der 2. Internationale die Möglichkeit, sich unter den für sie günstigsten Vorwänden um die Teilnahme am Kongress zu drücken.

4. Die Kommunistische Partei hat das Recht, und ist sogar verpflichtet, auch schwache Verbündetewenn es wirkliche Verbündete sind,für die Sache zu gewinnen, aber so, dass die Arbeitermassen, d. h. ihr eigentlicher «Verbündeter», nicht abgestoßen werden. Aber die Teilnahme einzelner bürgerlicher Radikaler, Mitglieder der herrschenden Partei des imperialistischen Frankreich, am Kongress kann nur die französischen sozialistischen Arbeiter vom Kommunismus abstoßen. Den deutschen Proletariern wird es auch nicht leicht sein, zu erklären, warum man in einer Reihe mit dem Vizepräsidenten der Partei Herriots oder mit dem pazifistischen General Schönaich gehen kann, und warum der an die reformistischen Arbeiterorganisationen gerichtete Vorschlag gemeinsamer Handlungen gegen den Krieg unzulässig ist.

5. Das gefährlichste in der Politik der Einheitsfront ist, es mit falschen Größen zu tun zu haben, falsche Verbündete für wirkliche auszugeben und damit die Arbeiter zu betrügen. Aber gerade dieses Verbrechen verübten und verüben die Organisatoren des Amsterdamer Kongresses.

Die französische Bourgeoisie gibt sich jetzt durch und durch als «pazifistisch»; kein Wunder: Jeder Sieger ist bestrebt, den Besiegten zu hindern, einen Revanchekrieg zu beginnen. Die französische Bourgeoisie sucht immer und überall Garantien des Friedens, d.h. Garantien für die Unberührbarkeit des Zusammengeraubten. Der linke Flügel des kleinbürgerlichen Pazifismus ist bereit, diese Garantien auch in einer episodischen Vereinbarung mit der Komintern zu suchen. Aber schon am ersten Tag des Krieges werden diese Pazifisten auf der Seite der Regierungen stehen. Sie werden den französischen Arbeitern sagen: «Im Kampf für den Frieden gingen wir auf alles ein; auch auf den Amsterdamer Kongress; aber man hat uns zum Krieg gezwungen; wir sind für die Verteidigung des Vaterlandes». Die Teilnahme der französischen Pazifisten am Kongress, die praktisch niemals zu irgendetwas verpflichtet, wirkt sich im Moment des Krieges völlig zu Gunsten des französischen Imperialismus aus. Man kann auf der anderen Seite nicht zweifeln, dass im Falle des Krieges für die «Gleichberechtigung» auf dem Gebiete der internationalen Räuberei der General Schönaich und seinesgleichen vollkommen auf der Seite ihres deutschen Vaterlandes sein werden, und ihre frische Amsterdamer Autorität in dessen Interessen ausnützen werden.

Der indische bürgerliche Nationalist Patel nahm am Kongress aus dem gleichen Grunde teil, aus dem Tschiang Kai-schek «mit beratender Stimme» an der Komintern teilgenommen hat. Eine solche Teilnahme erhöht unvermeidlich die Autorität der «nationalen» Führer in den Augen der Volksmassen. Einem beliebigen indischen Kommunisten, der Patel und seine Freunde auf einer Versammlung Verräter nennt, antwortet Patel: «Wenn ich ein Verräter wäre, hätte ich nicht ein Verbündeter der Bolschewisten in Amsterdam sein können». Die Stalinisten haben den indischen Bourgeois gegen die indischen Arbeiter bewaffnet.

6. Eine Vereinbarung im Namen eines praktischen Ziels darf auf keinen Fall mit prinzipiellen Zugeständnissen, mit Verschweigung wesentlicher Gegensätze und zweideutigen Formulierungen erkauft werden, die jedem Teilnehmer die Möglichkeit bieten, ihre eigene Auslegung zu geben. Aber das Manifest des Amsterdamer Kongresses ist ganz auf Kniffen und Zweideutigkeiten aufgebaut, auf Wortspielen, auf der Maskierung der Gegensätze, auf stolzen Deklamationen ohne Inhalt, auf feierlichen Schwüren, die zu nichts verpflichten. Die Mitglieder der bürgerlichen Parteien und Freimaurerlogen «verurteilen» den Kapitalismus! Die Pazifisten «verurteilen»… den Pazifismus! Schon am andern Tag nach dem Kongress nennt sich General Schönaich in einem im Journal W. Münzenbergs gedruckten Artikel Pazifist. Nachdem sie den Kapitalismus verurteilt haben, kehren die kleinen und nichtkleinen Bourgeois in die kapitalistischen Parteien zurück und sprechen Herriot das Vertrauen aus. Ist das etwa nicht eine unwürdige Maskerade? Nicht eine schmähliche Marktschreierei?

Die marxistische Unversöhnlichkeit, unerlässlich bei Anwendung der Einheitsfront überhaupt, wird zwei- und dreifach unerlässlich, wenn es sich um eine so brennende Frage wie den Krieg handelt. Die entscheidende Stimme des einen Liebknecht hatte während des Krieges unvergleichlich mehr Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Revolution, als die sentimentalen Halbproteste der Pazifisten aus der Unabhängigen Partei. In Frankreich fand sich kein einziger Liebknecht. Einer der Gründe dafür besteht eben darin, dass in Frankreich der Pazifismusder freimaurerische, radikale, sozialistische, syndikalistischeeine sehr dichte Atmosphäre der Lüge und Heuchelei bildet. Lenin forderte, dass auf jeglichen Kongressen «Gegen den Krieg» nicht unverbindliche Gemeinplätze erzielt werden dürften, sondern, dass umgekehrt, die Frage so klar, präzis und scharf gestellt werden müsse, daß die Pazifisten gezwungen würden, sich die Finger zu verbrennen, seitwärts zu treten –, und damit den Arbeitern eine Lehre zu geben. So schrieb Lenin in der Instruktion für die Sowjetdelegation, die sich zum Haager Kongress «Gegen den Krieg» im Jahre 1922 versammelte: «Mir scheint, dass, wenn wir auf dem Haager Kongress einige Leute haben, die fähig sind, in dieser oder jener Sprache eine Rede gegen den Krieg zu halten, so wird wichtiger als alles sein, die Anschauung zu zerstören, als ob die auf dem Kongress Anwesenden Kriegsgegner seien, als ob sie begriffen, dass der Krieg in einem Moment über sie hereinbrechen kann und muss, in dem sie ihn am allerwenigsten erwarten, als ob sie irgend eine Art des Kampfes gegen den Krieg anerkennten, als ob sie irgendwie imstande wären, einen vernünftigen und erfolgversprechenden Weg des Kampfes gegen den Krieg einzuschlagen».

Stellen Sie sich auf einen Moment Lenin vor, der in Amsterdam ein hohles und brüchiges Manifest verkündet. Hand in Hand mit dem französischen Radikalen Berger, mit dem deutschen General Schönaich und dem indischen Nationalliberalen Patel. Die Widernatürlichkeit dieses Bildes lässt am besten die Tiefe des Falles der Epigonen erkennen.

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