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Leo Trotzki 19320522 Brief an Albert Weisbord

Leo Trotzki: Brief an Albert Weisbord

[nach Internationales Bulletin der Kommunistischen Linksopposition, No. 17, Juni 1932, S. 9-12]

Genosse Weisbord!

Ihre Organisation hat Sie auf eigene Initiative zu einem Meinungsaustausch in Fragen delegiert, die Sie von der amerikanischen Liga, der Sektion der Internationalen Linksopposition (Bolschewiki-Leninisten) trennen. Während einiger Gespräche haben Sie eingehend die Ansichten Ihrer Gruppe über die grundlegenden Streitfragen dargelegt. Sie bestehen darauf, dass ich meine Schlussfolgerungen aus den Gesprächen mit Ihnen schriftlich niederlege. In den nachstehenden Zeilen will ich versuchen, dies zu tun, ohne darauf Anspruch zu erheben, die von Ihnen aufgerollten Fragen zu erschöpfen.

1) Ich bin geneigt, als wichtigste Frage die der Labor Party anzusehen. Hier handelt es sich um das Hauptinstrument der proletarischen Revolution. Jede Unklarheit oder Zweideutigkeit in dieser Frage wäre verderblich. Die von Ihnen entwickelten Erwägungen zur Verteidigung der Losung der Labor Party habe ich in einem separaten Dokument, das Sie erhalten haben, einer Kritik unterzogen. Hier halte ich nur einige Worte hinzuzufügen für notwendig.

In der Frage der Labor Party ist Ihre Organisation der notorisch opportunistischen Lovestone-Gruppe sehr nahe. Die Lovestone-Gruppe ist in ihrer Verneinung der selbständigen historischen Rolle der Kommunistischen Partei konsequent. Diese Gruppe billigt bis heute die Politik der Komintern in Bezug auf die Kuomintang und die britischen Trade Unions, d.h. die prinzipielle Kapitulation des Kommunismus in einem Falle vor der Bourgeoisie, im zweiten vor den Bourgeoisleutnants in der Arbeiterklasse.

Soweit mir bekannt ist, verurteilt Ihre Gruppe die Politik der Stalinisten in China und in Großbritannien, doch nimmt sie zu gleicher Zelt die Losung der Labor Party an. Das heißt: Während Sie eine marxistische Position in Bezug auf die Vergangenheit in den übrigen Ländern einnehmen oder einzunehmen versuchen, nehmen sie eine opportunistische Position in Bezug auf die Zukunft Ihres eigenen Landes ein. Ich glaube, dass ohne radikale Revision Ihrer Stellung in der zentralen Frage von der Partei eine tatsächliche Annäherung zwischen Ihrer Organisation und der Internationalen Linksopposition nicht zustande kommen kann.

2) Ihre Gruppe hat bisher die von uns angenommene Definierung der internationalen Stalinfraktion als bürokratischen Zentrismus verworfen. Sie gehen davon aus, dass man mit dem Namen „Zentrismus" nur solche Gruppen bezeichnen kann, die den Platz zwischen dem offiziellen Lager des Reformismus (Sozialdemokratie) und dem offiziellen Lager des Kommunismus einnehmen. Unter dieser rein formellen, schematischen, undialektischen Auffassung des Zentrismus verbirgt sich in Wirklichkeit die Unklarheit der politischen Position Ihrer eigenen Gruppe. Sie sind besorgt, den Unterschied zwischen der offiziellen Partei, der rechten Fraktion (Lovestone) und sogar der amerikanischen Liga zu verwischen: das erleichtert Ihnen die Möglichkeit, in einer eklektischen Position zu verharren und Ihr Recht auf einen Block mit der Lovestone-Gruppe zu verteidigen.

Dass die Lovestone-Gruppe nicht eine rein reformistische Organisation darstellt, ist unbestreitbar. Aber die Frage liegt in der Tendenz und der politischen Kreisbahn. Die Lovestone-Gruppe stellt einem Abart des rechten Zentrismus dar, der vom Kommunismus zur Sozialdemokratie sich entwickelt. Die deutsche SAP, die sich von der Sozialdemokratie abgespalten hat, enthält progressivere Tendenzen als die Brandlerianer, obwohl den theoretischen Formeln nach die Letzteren uns scheinbar näher stehen. Statisch1 stellen die Lovestone-Gruppe die deutschen Brandlerianer wie auch die deutsche SAP Abarten des rechten Zentrismus dar. Aber dynamisch unterscheiden sie sich voneinander. Und es entscheidet die Dynamik.

Gewiss, in einer Reihe von Teilfragen hat die Lovestone-Gruppe einne richtigere Position eingenommen als die offizielle Partei. Aber einen Block mit der Lovestone-Gruppe schließen hieße ihre allgemeinne Autorität steigern und damit ihr helfen, ihre reaktionäre historische Mission zu erfüllen. Ich halte mich hier nicht eingehender bei der Frage vom Zentrismus auf und gestatte mir, Sie auf meine letzte Broschüre zu verweisen, die bald in Amerika erscheinen soll. („Was nun?“)

Ohne Klarheit in dieser wesentlichen Frage kann es meiner Meinung nach keine Annäherung zwischen Ihrer Gruppe und der Internationalen Linken geben.

3) Ihre Kritik an der amerikanischen Liga geht in bedeutendem Maße von falschen Voraussetzungen aus. (Die wichtigsten von ihnen sind oben angeführt.) Zu gleicher Zeit verleihen Sie Ihrer Kritik einen so übertriebenen, maßlosen und erbitterten Charakter, der nötigt, in Ihnen eine ideelle Schattierung nicht im Lager der Linksopposition, sondern derem Gegner, wenn nicht direktem Feinde zu sehen.

Auf Grund von teils falschen, teils ungenügenden und willkürlichen Kriterien leugnen Sie, wie gesagt, das Vorhandensein eines prinzipiellen Unterschiedes zwischen der amerikanischen Liga, der Lovestone-Gruppe und der offiziellen Partei. Damit erklären Sie nicht nur, dass die Leitung der amerikanischen Liga auf einer opportunistischen Position steht, sondern auch, dass die Internationale Linke im Ganzen vollkommen unfähig ist, in den wesentlichsten Fragen Marxismus von Opportunismus zu unterscheiden. Können Sie sich dann wundern, dass die Bolschewiki-Leninisten sich fragen, was Ihre Gruppe mit der Internationalen Linken verbinden kann?

4) Sie bestehen mit besonderer Energie auf der Notwendigkeit einer aktiven Teilnahme der Linksopposition im Allgemeinen und jedes einzelnen Oppositionellen im besonderen an der Bewegung und dem Kampfe der Arbeitermassen. Während sie im gegebenen Stadium in der Mehrheit der Länder eine vorwiegend propagandistische Organisation ist, baut indes die Linksopposition ihre Propaganda nicht sektiererhaft, sondern marxistisch auf, d.h. auf Grund der Teilnahme an dem gesamten Leben des Proletariats. Ich kann nicht annehmen, dass irgendwer von den Führern oder den Mitgliedern der amerikanischen Liga dieses Prinzip verneint. Die Frage läuft in hohem Maße auf die realen Möglichkeiten hinaus, zu denen selbstverständlich auch Fähigkeit, Erfahrung und Initiative gehören,

Nehmen wir für einen Augenblick an, dass die amerikan. Liga diese oder jene Möglichkeiten der Massenarbeit verpasst. Ich bin bereit zuzugeben, dass Ihre Gruppe in dieser Hinsicht die Arbeit der amerikan. Liga ergänzen könnte. Aber die Massenarbeit muss auf dem Boden bestimmter Prinzipien und Methoden vor sich gehen. Solange in einer Reihe wesentlicher Fragen die notwendige Einheitlichkeit nicht erzielt ist, werden die Streitigkeiten über „Massenarbeit" unvermeidlich leblos bleiben.

5. Oben habe ich die Position Ihrer Gruppe eklektisch genannt. Damit wollte ich keineswegs irgendeine Verurteilung en bloc aussprechen, die die Möglichkeit einer künftigen Annäherung ausschlösse. Die Frage wird auch hier dynamisch entschieden werden. Sie müssen offen, klar und aufmerksam Ihr Gepäck revidieren und dabei besorgt sein, nicht nur Ihre offenkundigen politischen Fehler aufzudecken, sondern auch die historischen und prinzipiellen Wurzeln dieser Fehler. Ich habe mit so warmen Lob auf die Thesen der 2. Konferenz der amerikan. Liga über die Labor Party reagiert, weil in diesen Thesen nicht nur eine richtige Position eingenommen wird zum Wesen der Frage, sondern auch eine offene und mutige Kritik der eigenen Vergangenheit gegeben wird. Nur auf diese Weise kann eine revolutionäre Strömung sich ernstlich versichern vor kläglichen Rückfällen.

6. Ihre Gruppe hat die Losung einer Internationalen Konferenz mit Teilnahme aller Organisationen und Gruppen aufgestellt, die sich zur Linken rechnen. Dieser Weg erscheint mir an der Wurzel falsch. Die Internationale Linke besteht nicht erst seit einem Tage. Im Kampfe um ihre Ideen und Methoden hat sie ihre Reihen von fremden Elementen gesäubert. Die internationale Konferenz kann und muss ausgehen von der bereits vollbrachten ideologischen Arbeit, deren Ergebnisse befestigen, sie systematisieren. Den Weg zu betreten, den Iihre Gruppe vorgeschlagen hat, hieße ein Kreuz zu machen über die ganze Vergangenheit und in den Zustand des ursprünglichen Chaos zurückzukehren. Davon kann nicht einmal die Rede sein,

Die Linksopposition ist nicht die mechanische Summe schwankender Gruppen, sondern eine internationale Fraktion, die sich auf dem granitenen Fundamrnt des Marxismus erhabt. Die Annäherung und Verschmelzung mit der Internationalen Linken lässt sich nicht errreichen durch organisatorische Manipulationen oder abenteuerische Kombinationen à la Landau. Ich bin erfreut, von Ihnen zu hören, dass Ihre Gruppe mit Landau und seinen Methoden nichts gemein hat. Gerade deshalb muss man ein für allemal auf den Gedanken verzichten, die Internationale Linke in eine Arche Noahs zu verwandeln. Man muss einen andern Weg wählen, einen weniger übereilten aber sicheren und zuverlässigeren.

Vor allem müssen Sie sich klar Rechenschaft darüber ablegen, dass der Weg zur Internationalen Linken über die amerikanische Liga führt: einen zweiten Weg kann es nicht geben. Die Vereinigung mit der amerikanischen Liga ist möglich nur auf Grund der Einheit theoretisch formulierter und durch die Erfahrung überprüfter Prinzipien und Methoden.

Am Besten wäre es meiner Meinung nach, wenn Sie eine der nächsten Nummern Ihres Organs der kritischen Revidierung ihres ideologischen! Gepäcks insbesondere in Bezug auf die strittigen Fragen widmen würden. Nur der Charakter dieser Revidierung (vor allem natürlich sein Inhalt, doch teilweise auch seine Form) wird zeigen können bis zu welchem Grade praktische Schritte in der Richtung zur Einheit tatsächlich herangereift sind. Die wichtigsten Auszüge aus Ihren Artikeln könnten im Internationalen Bulletin als Informationsmaterial abgedruckt werden. Die Frage wird selbstverständlich von der amerikan. Liga entschieden werden, aber alle unsere Sektionen wollen auf dem Laufenden sein. Nicht eine von ihnen wird von der amerikan. Liga irgendwelche prinzipiellen Zugeständnisse verlangen. Alle werden sie jedoch vollauf mitwirken in der Sache der Annäherung und Verschmelzung, wei das Vorhandensein einer gemeinsamen prinzipiellen Grundlage bestätigt wird. Unnötig zu sagen, dass ich sehr erfreut sein werde, wenn Ihre Reise hierher und unsere Auseinandersetzungen zum Übergang Ihrer Gruppe ins Lager der Bolschewiki-Leninisten beigetragen haben sollte.

22. Mai 1932.

L.Trotzki.

1 Im „Internationalen Bulletin“ steht „statistisch“.

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