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Leo Trotzki 19321030 Der deutsche Bonapartismus

Leo Trotzki: Der deutsche Bonapartismus

[Nach Permanente Revolution, 2. Jahrgang Nr. 27 (2. Novemberwoche 1932), S. 3]

Die Reichstagswahlen werden die Präsdial-Regierung einer neuen kritischen Prüfung unterziehen. Es ist daher von Nutzen, ihre soziale und politische Natur in Erinnerung zu bringen Gerade bei der Analyse solch konkreter und auf den ersten Blick «unerwarteter» politischer Erscheinungen wie die Papen-Schleicher-Regierung, offenbart die Methode des Marxismus ihre unschätzbaren Vorzüge.

Wir kennzeichneten seinerzeit die «Präsidial»-Regierung als eine Abart des Bonapartismus Es wäre verfehlt, in dieser Kennzeichnung ein zufällige Ergebnis des Bestrebens zu sehen, einen bekannten Namen für eine unbekannte Erscheinung zu finden. Der Verfall der kapitalistischen Gesellschaft stellt den Bonapartismus – neben dem Faschismus und in Zusammenhang mit diesem – auf die Tagesordnung. Schon die Brüningregierung haben wir seinerzeit als bonapartistisch charakterisiert. Später, Rückschau haltend, präzisierten wir die Kennzeichnung als halb- oder vorbonapartistisch.

Was sagten darüber die anderen kommunistischen und überhaupt die «linken» Gruppierungen? Von der jetzigen Kominternführung den Versuch wissenschaftlicher Kennzeichnung einer neuen politischen Erscheinung zu erwarten, wäre freilich naiv, um nicht zu sagen dumm. Die Stalinisten haben Papen einfach in das Lager der Faschisten eingereiht. Sind Wels und Hitler «Zwillinge», so braucht man sich über eine solche Lappalie wie Papen überhaupt nicht den Kopf zu zerbrechen. Es ist dies die gleiche politische Literatur, die Marx grobianisch nannte und die er uns verachten lehrte. Der Faschismus ist in Wirklichkeit eines der beiden Hauptlager des Bürgerkrieges. Als er die Hand nach der Macht ausstreckte, forderte Hitler vor allem, man möge ihm für 72 Stunden die Straße freigeben. Hindenburg verweigerte dies. Aufgabe von Papen-Schleicher ist – den Bürgerkrieg zu beseitigen durch freundschaftliche Disziplinierung der Nationalsozialisten und durch Fesselung des Proletariats in Polizeiketten. Dass ein solches Regime überhaupt möglich wurde, ist durch die verhältnismäßige Schwäche des Proletariats bestimmt.

Die SAP behilft sich in der Frage der Papenregierung wie in anderen Fragen mit allgemeinen Phrasen. Die Brandlerianer schwiegen zu unserer Kennzeichnung solange es sich um Brüning handelte, d. h. um die Brutperiode des Bonapartismus. Sobald aber die marxistische Kennzeichnung durch die Theorie und Praxis der Präsidialregierung ihre völlige Bekräftigung gefunden hatte, traten die Brandlerianer mit ihrer Kritik hervor: die weise Eule Thalheimer fliegt in späten Nachtstunden aus.

Die Stuttgarter «Arbeitertribüne» belehrt uns, dass sich der Bonapartismus, der den militärisch-polizeilichen Apparat über die Bourgeoisie erhebt, um deren Klassenherrschaft gegen deren eigene politische Parteien zu verteidigen, auf die Bauernschaft stützen und die Methoden der sozialen Demagogie zu Hilfe nehmen müsse. Papen stütze sich nicht auf die Bauernschaft und stelle kein pseudoradikales Programm auf. Folglich sei unser Versuch, die Papenregierung als eine bonapartistische zu kennzeichnen, «völlig verfehlt». Ein strenges, aber unbegründetes Urteil.

Wie kennzeichnen die Brandlerianer die Papenregierung? In der gleichen Nummer der «Tribüne» werden ganz nebenbei Brandlers Vorträge angekündigt über das Thema: «Junkerlich-monarchistische, faschistische oder proletarische Diktatur?» Das Papenregime wird in dieser Dreifaltigkeit als junkerlich-monarchistische Diktatur dargestellt. Dies ist vollkommen würdig des «Vorwärts» und der Vulgärdemokraten überhaupt. Dass die hochbetitelten deutschen Bonapartisten den Junkern gewisse private Geschenkchen machen, ist unbestreitbar. Dass diese Herren der monarchistischen Denkweise ergeben sind, ist gleichfalls bekannt. Reinster liberaler Unsinn aber ist, dass der Wesenskern des Präsidialregimes im Junkermonarchismus liege.

Begriffe wie Liberalismus, Bonapartismus, Faschismus haben den Charakter von Verallgemeinerungen. Historische Erscheinungen erfahren niemals eine vollständige Wiederholung. Es wäre unschwer zu beweisen, dass sogar die Regierung Napoleons III., verglichen mit dem Regime Napoleon I., nicht «bonapartistisch» war, nicht nur weil Napoleon III. seinem Blute nach ein zweifelhafter Bonaparte war, sondern auch weil sein Verhältnis zu den Klassen, besonders zur Bauernschaft und dem Lumpenproletariat durchaus anders war als jenes Napoleons I. Überdies war der klassische Bonapartismus aus der Epoche grandioser Kriegssiege hervorgegangen, die das zweite Reich keineswegs kannte. Würde man aber eine Wiederholung aller Züge des Bonapartismus suchen, es erwiese sich, daft der Bonapartismus eine einmalige, nie wiederkehrende Erscheinung war, d.h. dass ein Bonapartismus überhaupt nicht existiert, sondern dass es einmal einen General Bonaparte aus Korsika gab. Nicht viel anders steht die Sache mit dem Liberalismus und allen anderen verallgemeinernden Begriffen der Geschichte. Spricht man aber Bonapartismus als Analogie, muss man daher aufzeigen, welche seiner Züge in den gegebenen historischen Bedingungen ihren vollständigen Ausdruck gefunden haben. Der gegenwärtige deutsche Bonapartismus ist von äußerst kompliziertem und sozusagen zusammengesetztem Charakter. Die Papenregierung wäre unmöglich ohne den Faschismus. Doch ist der Faschismus immerhin nicht an der Macht. Papenregierung aber ist nicht Faschismus. Andererseits wäre die Papenregierung wenigstens in ihrer heutigen Gestalt unmöglich ohne Hindenburg, der trotz der schließlichen Zerschlagung Deutschlands im Kriege, in der Erinnerung breiter Volksmassen die großen Siege Deutschlands, verkörpert und dessen Armee symbolisiert. Die Wiederwahl Hindenburgs hatte alle Merkmale eines «Plebiszits». Für Hindenburg stimmten viele Millionen Arbeiter, Kleinbürger und Bauern (Sozialdemokratie und Zentrum). Sie erblickten in ihm keineswegs irgendein politisches Programm. Sie wollten vor allem dem Bürgerkrieg entgehen und hoben Hindenburg auf ihre Schultern als den «Unparteiischen», als obersten Schiedsrichter über die Nation. Das ist eben die wichtigste Funktion des Bonapartismus: indem er sich über die beiden kämpfenden Lager erhebt, um Eigentum und Ordnung zu beschirmen, unterdrückt er mit Hilfe des militärisch-polizeilichen Apparates den Bürgerkrieg, verhindert diesen oder lässt sein Wiederaufflackern nicht zu. Spricht man von der Papenregierung. darf man Hindenburg nicht vergessen, auf dem der Segen der Sozialdemokratie ruht. Der zusammengesetzte Charakter des deutschen Bonapartismus hat seinen Ausdruck darin gefunden, dass die demagogische Arbeit des Massenfanges an seiner statt und zu seinen Gunsten von zwei großen selbständigen Parteien besorgt wurde: von der Sozialdemokratie und vom Nationalsozialismus. Dass beide über die Ergebnisse ihrer Arbeit erstaunt waren, ändert an der Sache nicht das Geringste.

Die Sozialdemokratie behauptet, der Faschismus sei ein Produkt des Kommunismus. Dies ist insofern richtig, als der Faschismus unnötig wäre ohne Verschärfung des Klassenkampfes, ohne revolutionäres Proletariat, ohne Krise des kapitalistischen Systems. Einen anderen Sinn kann die Lakaientheorie von Wels. Hilferding, Otto Bauer nicht haben. Ja, der Faschismus ist eine Reaktion der bürgerlichen Gesellschaft auf die drohende proletarische Revolution. Aber gerade deshalb, weil diese Gefahr heute keine unmittelbare ist, unternehmen die herrschenden Klassen den Versuch, durch die bonapartistische Diktatur den Bürgerkrieg zu vermeiden.

Bei ihren Einwendungen gegen unsere Charakterisierung der Hindenburg-Papen-Schleicherregierung berufen sich die Brandlerianer auf Marx und sprechen ironisch die Hoffnung aus, dass seine Autorität auch für uns Geltung habe. Schwer kann man kläglicher in die Grube fallen, Marx und Engels haben nicht nur über den Bonapartismus der beiden Bonaparte geschrieben, sondern auch über andere seiner Abarten. Ungefähr seit dem Jahre, 1864 haben sie mehrfach das «nationale» Regime Bismarcks dem französischen Bonapartismus zur Seite gestellt. Und das, obwohl Bismarck kein pseudoradikaler Demagoge war und sich, soweit uns bekannt, nicht auf die Bauern stützte. Der eiserne Kanzler gelangte zur Macht nicht durch ein Plebiszit, sondern wurde von seinem rechtmäßigen, dynastischen König ernannt. Und dennoch haben Marx und Engels recht. Bismarck nützte auf bonapartistische Weise den Gegensatz zwischen den besitzenden Klassen und dem aufwärtsstrebenden Proletariat aus, überwand, dadurch den Antagonismus innerhalb der besitzenden Klassen, zwischen Junkertum und Bourgeoisie und erhob den militärisch-polizeilichen Apparat über die Nation. Bismarcks Politik ist gerade jene Überlieferung, auf die sich die «Theoretiker» des gegenwärtigen deutschen Bonapartismus berufen. Allerdings hat Bismarck auf seine Art das Problem der Einheit und äußeren Macht Deutschlands gelöst. Papen dagegen verspricht vorderhand nur die «Gleichberechtigung» Deutschlands auf der internationalen Arena zu erringen. Der Unterschied ist nicht gering! Indes gedachten wir nicht zu behaupten, Papens Bonapartismus sei von gleichem Kaliber wie der Bonapartismus Bismarcks. Auch Napoleon III. war nur eine Parodie auf seinen vorgeblichen Oheim.

Der Hinweis auf Marx hat. wie wir sehen, offenkundig unbesonnenen Charakter. Dass Thalheimer die revolutionäre Dialektik des: Marxismus nicht begreift, hatten wir längst schon erraten. Doch wir müssen gestehen, wir dachten, er kenne zumindest die Schriften von Marx und Engels. Ergreifen wir die Gelegenheit, diesen unseren Irrtum zu berichtigen.

Unsere von den Brandlerianern zurückgewiesene Charakteristik der Präsidialregierung hat eine äußerst krasse Bestätigung gefunden seitens einer völlig unerwarteten, doch in ihrer Art durchaus «autoritären» Stelle. Anlässlich der Auflösung des.«Fünf-Tage-Reichstages» zitierte die «DAZ» vom 28. August in einem größeren Artikel Marxens Arbeit «Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte». – Zu welchem Zweck? – Zu keinem geringeren als dem, die historische und politische Berechtigung des Reichspräsidenten nachzuweisen, seinen Stiefel auf das Genick der Volksvertretung zu setzen. Das Organ der Schwerindustrie riskierte es, in einer schweren Minute aus dem vergifteten Brunnen des Marxismus zu trinken. Mit bemerkenswerter Findigkeit brachte die Zeitung aus der unsterblichen Schrift ein ausführliches Zitat, das erklärt, warum und wieso der französische Präsident als persönliche Verkörperung der «Nation» über das zersplitterte Parlament die Überhand gewann. Der gleiche Artikel der «DAZ» erinnerte ganz passend daran, wie Bismarck im Frühjahr 1890 den Plan des bequemsten Staatsstreichs ausarbeitete. Napoleon III. und Bismarck werden als Vorfahren der Präsidialregierung beim Namen genannt durch eine Berliner Zeitung, die zumindest im August die Rolle des Offiziosus spielte.

Den «Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte» anlässlich des «20. Juli des von Papen» zu zitieren ist allerdings sehr riskant, denn Marx hat in allzu galligen Strichen das Regime Napoleon III. als eine Herrschaft von Abenteurern, Falschspielern und Zuhältern bezeichnet. Eigentlich müsste die «DAZ» wegen böswilliger Schmähung der Regierung bestraft werden. Lässt man aber diesen nebensächlichen Missstand beiseite, so bleibt es dennoch außer Zweifel, dass der historische Instinkt die «DAZ» gerade dorthin führte, wo es sich gehörte. Das kann man leider nicht vom theoretischen Verstand Thalheimers behaupten.

Der Bonapartismus der Verfallsepoche des Kapitalismus unterscheidet sich außerordentlich vom Bonapartismus der Aufstiegsepoche der bürgerlichen Gesellschaft. Der deutsche Bonapartismus stützt sich nicht unmittelbar auf die Kleinbourgeoisie des Dorfes oder der Stadt, und das ist kein Zufall. Gerade deshalb schrieben wir seinerzeit von der Schwäche der Papenregierung, die sich nur durch die Neutralisierung zweier Lager halte: des proletarischen und des faschistischen.

Aber hinter Papen steht doch das Großgrundbesitzertum, das Finanzkapital, die Generalität – so wenden andere «Marxisten» ein. Stellen die besitzenden Klassen nicht an sich eine gewaltige Kraft dar? Dieser Einband beweist nochmals, dass es weitaus leichter ist, die Wechselbeziehungen der Klassen in ihrem allgemeinen, soziologischen Schema zu begreifen, als in ihrer konkreten historischen Gestaltung. Ja, hinter Papen stehen unmittelbar die Besitzerspitzen, und nur sie: darin eben liegt der Grund ihrer Schwäche.

Unter den Bedingungen des heutigen Kapitalismus ist überhaupt eine Regierung unmöglich, die nicht die Agentur des Finanzkapitals wäre. Aber unter all den möglichen Agenturen stellt die Papenregierung die unbeständigste dar. Könnten die besitzenden Klassen unmittelbar herrschen, sie brauchten weder Parlamentarismus, noch Sozialdemokratie, noch Faschismus. Die Papenregierung entblößt das Finanzkapital allzu sehr und lässt es sogar ohne den vom Preußenkommissar Bracht vorgeschriebenen geheiligten Zwickel. Gerade deshalb, weil die außerparlamentarische, «nationale» Regierung in der Tat nur im Namen der gesellschaftlichen Spitze zu sprechen vermag, hütet sich das Kapital immer mehr, sich mit der Papenregierung zu identifizieren. Die «DAZ» möchte für die Präsidialregierung eine Stütze in den nationalistischen Massen finden und fordert von Papen in der Sprache von Ultimatums, einen Block mit Hitler zu schließen, d. h. vor ihm zu kapitulieren.

Bei der Einschätzung der «Macht» der Präsidialregierung darf man den Umstand nicht übersehen, dass, wenn das Finanzkapital hinter Papen steht, dies keineswegs bedeutet, dass es mit ihm fällt. Das Finanzkapital besitzt unermesslich größere Möglichkeiten als Hindenburg-Papen-Schleicher. Bei Verschärfung der Gegensätze bleibt die Reserve des reinen Faschismus. Bei Milderung der Gegensätze kann man auf die Linie eines «rationalisierten» Parlamentarismus zurückgehen. Das Finanzkapital wird solange manövrieren, als ihm das Proletariat nicht das Knie auf die Brust setzt. Wie lange Papen manövrieren wird, wird eine nahe Zukunft zeigen.

Bis diese Zeilen die Presse erreichen, werden die Reichstagswahlen bereits zurückliegen. Die bonapartistische Natur der «anti-französischen» Regierung wird sich unvermeidlich mit neuer Krassheit, aber auch in ihrer ganzen Schwäche offenbaren. Darauf werden wir später noch zurückkommen.

Prinkipo, den 30. Oktober 1932.

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