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Leo Trotzki 19320115 Die Linke Opposition und die Rechten

Leo Trotzki: Die Linke Opposition und die Rechten

[Nach Permanente Revolution, 2. Jahrgang Nr. 2 (Mitte Januar 1932), S. 8]

Werter Genosse,

ich werde mich bemühen, so kurz wie möglich über die von Ihnen aufgeworfenen Fragen mich zu äußern! Ich hatte von Anfang an die Zersetzung der Brandleristischen Fraktion für absolut unabwendbar gehalten. Eine revolutionäre Fraktion, die keine Doktrin hat, keine allgemeine Auffassung der Weltlage, keine ausgearbeiteten strategischen Prinzipien, ist verurteilt als Mittelding zwischen dem Kommunismus und der Sozialdemokratie von der Hand in den Mund zu vegetieren, und kann den Erschütterungen dieser Epoche nicht standhalten. Brandler und Thalheimer, die «Führer» der internationalen Rechten Opposition, nannten uns «Sektierer». Nun, wo wir doch über gewisse Kaders verfügen und langsam anwachsen, befinden sich diese vermeintlichen Vertreter der Massenaktion in vollständiger Zersetzung. Eine Hälfte der Führer will zu Stalin, die andere Hälfte zu Seydewitz. Wenn die Herren Brandler und Thalheimer in Bezug auf alles, was in der Sowjetunion geschieht, sich als Jasager betätigen, beweist das ja gar nicht, dass sie von Natur blind oder durch die Weisheit der Stalinisten geblendet sind, sondern nur, dass ihnen vollständig Wurst ist, was im Lande der Oktoberrevolution geschieht. Bis zum 15. Februar 1928 wiederholten Brandler und Thalheimer: Das oppositionelle Programm der Industrialisierung und Kollektivierung ist eine Utopie. Vom 16. Februar an haben sie das neue Programm Stalins, das eine Karikatur des unsrigen war, sogleich gutgeheißen. Kann man schon eher verstehen, wenn die Stalinisten, die direkt engagiert sind, unter dem unmittelbaren Druck der Schwierigkeiten und Widersprüche, die sie weder zu bewältigen noch zu verstehen imstande sind, ihre Haltung schroff ändern und mit Lügen verdecken, so macht es doch wirklich einen ekelerregenden Eindruck, wenn diese zwei Berliner Kiebitze immer und immer ja sagen, ohne an der Sache durch etwas anderes engagiert zu sein, als durch den heißen Wunsch, zur hohen Funktion berufen zu werden. Und dass die Rechte Opposition so etwas in ihrer Mitte, nein, an ihrer Spitze duldet, ist in meinen Augen sehr charakteristisch für diese Organisation.

Wir, die Linke Opposition, sind schwach. Wir wachsen langsam. Aber wir haben Geduld. Die Kader der Komintern bestehen entweder aus vollständig verbrauchten, vormals revolutionären Elementen oder aus neutralen Mietlingen. Die marxistische Tradition ist zerrissen. Was unter Leninismus segelt, ist ein Mischmasch aus den heterogensten Elementen, durch urwüchsige Stalinsche Ignoranz zementiert. Die Autorität der Oktoberrevolution ist zum Hindernis der revolutionären Entwicklung geworden. Das ist die Dialektik der Geschichte: Vernunft wird Unsinn. Oktoberrevolution wird Kaganowitsch. Wie sollen sich unter diesen Bedingungen die marxistische Richtung im Kavallerietempo vorwärts bewegen? Die Bewältigung der internationalen Lage, ihrer Wendungen, Veränderungen usw. setzt ein gewisses theoretische Niveau oder wenigstens eine gewisse politische Erfahrung voraus. Die Massen können uns gutheißen nur, inwieweit unsere Einstellung durch große Ereignisse überprüft und bestätigt wird. Beispiel: unsere kleine deutsche Organisation macht gerade einen ernsten Ruck vorwärts, weil sie sich eben in der schicksalsschweren Situation bewährt, wo die Brandlerianer bankrottieren müssen.

Genosse St. meint, nach Ihren Worten, wir hätten unzuverlässige, konfuse und sogar kompromittierende Kantonisten unter uns, insbesondere in Österreich. Es ist wahr, in Österreich existieren, jedenfalls nicht vier, sondernsoweit ich informiert binzwei Gruppen die sich zur Linken Opposition rechnen, die wir aber einstweilen beide außerhalb des Rahmens unserer Organisation laufen lassen, weil wir vorderhand mehr auf die Qualität als auf die Zahl Gewicht legen. Die Zahl gibt nur dann die wirkliche Masse, wenn sich die Kader durch ihre Qualität, d. h. durch ihre Ideen und Methoden, bewähren. Für wann die großen Erfolge? Das kann ich Ihnen nicht sagen. Die Linksradikalen blieben jahrelang eine kleine Minderheit in der deutschen Sozialdemokratie. Die Zimmerwalder Linke bestand aus einzelnen Genossen verschiedener Länder, und sie warenzur Kenntnis des Genossen St.nicht immer die besten: ein junger norwegischer Poet, der konfuse Höglund aus Schweden. Julius Borchard etc. Die Doktrin war aber solid, die Orientierung sicher, die Methoden richtig, d. h. der Epoche adäquat. Und aus der kleinen Gruppe ist die Dritte Internationale entstanden. Jedenfalls durch die Vermittlung der Oktoberrevolution. Die großen Revolutionen pflegen aber immer ganze Generationen zu verbrauchen, und das ist eben nun der Fall. Zu einem gewissen, aber nur zu einem gewissen Grade muss man jetzt von Neuem beginnen. Die wichtigste Aufgabe dabei ist, die Kontinuität des revolutionär-marxistischen, das heißt für unsere Epoche des bolschewistischen Gedankens zu wahren, der jungen Generation zu übermitteln. Die konfusen Kantonisten, die uns «kompromittieren», werden beiseite geschleudert werden. Man richtet seinen Weg nach den fundamentalen, ausschlaggebenden, objektiven Faktoren und nicht nach subjektiven Eindrucken von der einen oder anderen Gruppe von Anhängern der revolutionären Tendenz. Engels schrieb einst an Bernstein ungefähr: «Wir (d. h. natürlich Marx und Engels) blieben unser Leben lang in der Minderheit und fühlten uns ganz wohl dabei.» Damit will ich gar nicht sagen, dass man sich das zum Zweck setzen soll. Auch Engels meinte das nicht. Es passierte mir in meinem Leben auch, in der Mehrheit zu sein. Aber diejenigen, die immer von der «Masse» und der «Mehrheit» schwärmen, die kriegen sie nie, wenigstens nicht für revolutionäre Ziele. Die Massen gewinnt man nicht durch eine spezielle Massentechnik, wie Brandler und Thalheimer sich das vorstellen auf diesem Wege sind ihnen die Gewerkschaftsbonzen himmelhoch überlegen –, die Massen gewinnt man in unserer ereignisschweren und krisenhaften Epoche nur durch eine klare Sozialrevolutionäre Konzeption.

Die nächste Entwicklung der deutschen Lage wird für die internationale Arbeiterbewegung entscheidend sein, in erster Reihe für die Komintern. Siegt das deutsche Proletariatdies kann geschehen nur unter höchster Anspannung aller der schöpferischen Kräfte, die es in sich birgt –, fällt sogleich die Diktatur der hohlen und brutalen Stalinschen Bürokratie, große Ideenkämpfe lösen sich aus, die Linke Opposition wirkt befruchtend auf die Neugestaltung der Arbeiterbewegung in Deutschland und in der ganzen Welt. Wird das deutsche Proletariat durch die Faschisten besiegt, dann ist es aus mit der Komintern und möglich auch mit der Sowjetunion, Für das Weltproletariat würde das einen Rückschlag auf lange Jahre hinaus bedeuten. Unter diesen strategischen "Verhältnissen würde nur die Linke Opposition die Weiterführung der marxistischen Ideen übernehmen können, sicher aber schon nicht mehr im formellen Rahmen der Dritten Internationale. Wir stellen uns auf lange Sicht ein. Die Ereignisse können unsere Entwicklung beschleunigen, ihr sogar ein fieberhaftes- Tempo verleihen. Wohlan! Wir sind aber bereit, auch jahrelang als «Sektierer» propagandistische und erzieherische Arbeit zu. leisten, um für die Zukunft den Sauerteig vorzubereiten.

Mit besten kommunistischen Grüßen!

L. Trotzki

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