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Leo Trotzki 19320616 Die Stalinbürokratie in der Zange, die Linksopposition im Aufstieg

Leo Trotzki: Die Stalinbürokratie in der Zange, die Linksopposition im Aufstieg

[Nach Permanente Revolution, 2. Jahrgang 1932, Nr. 13 (Anfang Juli), S. 1 f.]

Die Entwicklung der Komintern und folglich auch der LO nähert sich einem ungemein bedeutsamen Wendepunkt. Die großen Ereignisse beweisen wieder, wie bitter sich die verlogene Politik rächt, die der proletarischen Avantgarde mit den Mitteln des Zwanges aufgehalst wird. Es gibt jetzt schon nicht eine Frage – buchstäblich, nicht eine – in der sich nicht die Falschheit der «Generallinie» mit tödlicher Gewissheit gezeigt hätte. Wenn eine große Firma in Schwierigkeiten gerät, tauchen von allen Seiten Gläubiger auf, die umso unnachgiebiger auftreten, je länger die Zahlung aufgeschoben wurde.

Die Kriegsgefahr im Osten ist ein direktes und unmittelbares Resultat der verderblichen Politik Stalins in Bezug auf die chinesische Revolution. Der japanische Militarismus droht der SU darum, weil Stalin seinem Bundesgenossen Tschiang Kai-schek geholfen hat, die Revolution zu erwürgen.

Danach lehrten die Stalinisten, man könne Sowjetchina aufbauen auf der Grundlage des bäuerlichen Partisanenkrieges, ohne unmittelbaren revolutionären Aufstand in den Städten. Die Jahre des Abenteurertums haben das chinesische Proletariat noch mehr geschwächt. Die Verantwortung für die jetzige Schwäche des revolutionären China liegt auf den Politikern der «dritten Periode».

Im Verlaufe der letzten 2-3 Jahre, wurde die LO nicht müde, zu warnen: dies Wettrennen der Industrialisierung in der SU, droht einen Bruch mit dem Dorfe herbeizuführen: die technisch und kulturell unvorbereitete «totale Kollektivierung» droht eine Ernährungskrise zu bringen. Diese Warnung ist nunmehr zur Tatsache geworden. Auch auf dieser Linie ist die Stalinbürokratie in die größten Schwierigkeiten gekommen. Unter dem Druck der drängenden Not, ist sie jetzt dabei, eine wirtschaftliche Wendung von ausschließlicher historischer Bedeutung zu machen. Zum Teil selbst im Unklaren über ihr eigenes Tun, zum Teil die Partei direkt betrügend, um ihr Prestige zu wahren, desorientiert und entwaffnet sie jedoch die Arbeiterklasse der SU.

Welche Bedingungen fehlen noch, um die revolutionäre Hegemonie des deutschen Proletariats innerhalb der Nation und der Kompartei innerhalb des Proletariats sicher zu stellen? Auch hier hat es die stalinsche Bürokratie verstanden, die KP in eine bösartige Passivität und entwürdigende Machtlosigkeit hinein zu manövrieren. Seit 1914, hat die deutsche Sozialdemokratie ununterbrochen zu Gunsten des Faschismus gewirkt. Die deutsche KP arbeitete seit 1925 ununterbrochen zu Gunsten der Sozialdemokratie. Die Lehren des tragischen Experiments und unsere Warnungen missachtend, jagt jetzt die Stalinbürokratie das deutsche Proletariat geradewegs in den Abgrund.

Die Wirtschaftskrise, von noch nie dagewesenem Umfang, hat zu einem direkten Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft geführt. Die bourgeoisen Klassen heulen vor Todesangst. Und trotzdem erleidet der offizielle Kommunismus in allen Ländern eine Niederlage nach der anderen. Warum? Darauf wird geantwortet: «die Generallinie ist richtig, die Durchführung falsch». Als würden die durchführenden Organe vom Himmel fallen! Als bestünde nicht gerade darin das Wesen der Generallinie, dass sie Funktionäre nach ihrem Bilde formt! Als trügen die Führer keine Verantwortung für die Geführten! Die gedankenlose und verlogene Theorie von der Unfehlbarkeit der Führung, zersetzt die kommunistischen Parteien, tötet bei den einen die Willenskraft, ruft bei den anderen Abscheu hervor.

Die Vergeltung für die Fehler und Sünden der Epigonen ist dicht herangerückt. Von der Geschichte verurteilt, klammert sich die zentristische Bürokratie mit verdoppelter Kraft an die bewährten Methoden. Vom Klassenfeind und von den Folgen der eigenen Verbrechen eingeklemmt, verdoppelt, verzehnfacht sie die Schläge gegen die LO.

Man möchte meinen, es sei schon alles erprobt: Verleumdungen. Verhaftungen, Verbannung, Erschießen. Doch nein! In Stalins Küche werden neue Gerichte bereitet aus den Resten von Hass und Treubruch. Noch vor ganz kurzem erst reproduzierte die «Prawda» die Fotografie eines Artikels der polnischen Faschisten, die Fälschung ausgebend für heilige Wahrheit. Noch sind es wenige Tage her, da druckten die «Iswestija» mit Begeisterung die Phantasien eines deutschen faschistischen Boulevardblättchens über die Verschwörung der LO mit der Sozialdemokratie. Dabei blieb man nicht stehen. Ein gewisser Büchner schreibt gemäß den Instruktionen der Stalinschen Kanzlei ein deutsches Büchlein, in dem er sich bemüht die LO mit der Polizei in Verbindung zu bringen. Alles, was 1917 die Menschewiki, Sozialrevolutionäre und Kadetten gegen die Bolschewiki gesagt und geschrieben haben, ist hier sowohl in Bezug auf Dummheit wie auf Niederträchtigkeiten überboten.

Die innere Verwerflichkeit des Bolschewismus nachweisend, klammerten sich die Menschewiki immerhin an Tatsachen: sie beriefen sich auf Malinowski, Mitglied des ZK, den die Polizei bis in die Staatsduma gebracht hatte. Sie beriefen sich darauf, dass das Polizeidepartement seinen Geheimagenten die Vorschrift gab, den Kurs auf Spaltung von Bolschewiki und Menschewiki zu unterstützen. Endlich beriefen sie sich darauf, dass Ludendorf Lenin unter seine Obhut genommen habe, indem er ihn im plombierten Wagen durchfahren ließ. Mit Verachtung antworteten die Bolschewiki jenen Halunken, die versuchten, aus den Ermittlungen der Polizei gegen die revolutionärste Partei polemische Argumente gegen diese Partei zu machen. Zur Zeit wiederholt Stalin völlig die Kampfweise der Miljukow, Kerenski, Zeretelli und Dan. Der Unterschied besteht nur darin, dass Stalin über nichts verfügt, was Tatsachen auch nur ähnlich sähe. Er fabriziert sie. Das schmutzige Subjekt, das unter dem Namen Büchner schreibt, erzählt, die Autobiographie Trotzkis werde in Warschau von der politischen Polizei herausgegeben. Und diese Phantasie wird in allen Sprachen herausgegeben: damit will man die kommunistische Jugend erziehen.

Irgend ein ungarischer Faschist «widmet» sein Buch Trotzki und drückt ihm ironisch seine «Dankbarkeit» aus, den Hass durch Geistreichelei zu verdecken suchend. Was für Folgerungen können aus dieser Episode gezogen werden? Haben denn nicht die Revolutionäre – nur mit größerem Erfolg – dieselbe Methode gegenüber ihren Klassenfeinden angewandt? Hat nicht Lenin seine Dankbarkeit für die englische Zeitung «Times» drucken lassen, für diese und jene Artikel, die er zu seinen Gunsten auswertete? Doch es findet sich ein Schurke, der in den Spalten der «Prawda» anlässlich dieser Dinge von einem Bündnis Trotzkis mit den Faschisten spricht.

In einem Artikel hatte ich gesagt, dass der japanische Imperialismus wohl kaum sich entschließen wird, der SU eine offene Herausforderung hinzuwerfen, ehe er sich in der Mandschurei befestigt haben wird. Aus diesem Anlass schreibt das Zentralorgan der amerikanischen kommunistischen (!!!) Partei, Trotzki handelte im Interesse der Japaner. Das mit Dummheit zu erklären, wäre allzu oberflächlich: Dummheit hat doch immerhin ihre Grenzen. Es handelt sich hier um einen entarteten Beamten, der vor nichts zurückschrecken wird, um sein Gehalt sicher zu stellen. Der Sinn meines Artikels war der, dass der Kampf mit der Roten Armee eine zu harte Nuss für den japanischen Imperialismus darstellt. Der Generalstab in Tokio hat Veranlassung anzunehmen, dass ich besser im Stande bin, die Kräfte der Roten Armee einzuschätzen, als die New-Yorker Kläffer, denen befohlen ist. mich in die Waden zu beißen. Gewiss, die großen weltpolitischen Fragen werden nicht durch einzelne Artikel entschieden. Aber wenn man den Einfluss von Artikeln abwägen will, so konnte meine Einschätzung der Roten Armee und der Perspektiven eines russisch-japanischen Krieges in Japan nur jenen Elementen nutzen, die einen Krieg verhindern wollen. Aber kann man denn auf Gebell und Geheul mit Argumenten antworten?

Diese Herrschaften stellen Rakowski als einen Feind der SU dar, wobei sie bei Barbusse Schutz suchen, der sich seinerseits auf Vandervelde stützen möchte. Mit dem Hut in der Hand bittet die stalinsche Bürokratie um Hilfe bei den kleinbürgerlichen Pazifisten. Unbeugsame Kämpfer aber wie Sosnowski, Held des Bürgerkrieges wie Muralow und Grünstein, wie Hunderte und Tausende, von Bolschewiki-Leninisten sind isoliert, eingekerkert, an Händen und Füßen gefesselt.

Uns in die Hände der bürgerlichen Polizei ausliefernd, reden die Stalinisten von unserer Einheitsfront mit der bürgerlichen Konterrevolution. Aber vor den Augen der Arbeiterklasse helfen die kapitalistischen Regierungen der ganzen Welt Stalin, die Oppositionellen mit einem Ring von Stacheldraht zu umgeben. Mögen die stalinschen Agenten lügen, soviel sie wollen – diese Tatsache allein deckt bis zum Grund die tatsächliche Gruppierung auf.

Sie wollen uns mit dem japanischen Stab und der polnischen Polizei in Verbindung bringen. Kerenski hat seinerzeit schon versucht, die Bolschewiki mit dem deutschen Stab und der zaristischen Polizei in Verbindung zu bringen. Kerenski tat es um so hemmungsloser, je mehr ihm der Boden unter den Füßen brannte. Nunmehr hat er Nachahmer gefunden. Und was für welche? Diese Leute erschossen die Bljumkin und schickten auf ihren Platz die Agabekoff. Den Namen Agabekoff brennen wir auf Eure Stirn. Bis zum Ende Eurer Tage werdet ihr mit diesem Mal herumgehen.

Was will Stalin? Er will die Kriegsgefahr dazu benutzen, um eine neue, womöglich physische Vernichtungskampagne gegen die Bolschewiki-Leninisten durchzuführen. Briefe aus der SU. die wir in den letzten Tagen bekamen, zeugen dafür, dass die LO zur Zeit im ganzen Lande neue Kräfte sammelt. In den Industriezentren, den Fabriken. Werken und Schachtanlagen ist eine neue Generation von Bolschewiken-Leninisten aufgetaucht. Schöpferische Ideen sterben nicht. Politische Fakten lehren. Die LO hat gezeigt, dass sie unbesiegbar ist.

Stalin aber ist von allen Seiten kompromittiert. Auf der XVII. Konferenz, hat er schamhaft zu allen Fragen geschwiegen. Kein Wort über Probleme der Sowjetwirtschaft! Kein Wort über die Lage in Deutschland! Ein «Führer», der in verantwortungsvoller Lage selbst anerkennt, dass es für ihn besser ist, zu schweigen – das ist der vollendete politische Bankrott. Schon flüstern sich in der nächsten Umgebung Stalins – wie man uns aus Moskau schreibt – die Beamten ironisch zu; «wie wäre es nach Direktiven bei Rakowski oder Trotzki anzufragen?» Aus der bürokratischen Impotenz entstand die neueste weltumspannende Kampagne gegen die LO.

Die Arbeit, die die Bolschewiki-Leninisten geleistet haben ist nicht verborgen geblieben. Die wichtigsten Dokumente und Abhandlungen der LO sind in allen Sprachen der zivilisierten und halb zivilisierten Welt erschienen. In Dutzenden von Ländern gibt es oppositionelle Kader, die durch und durch von ihrem historischen Recht auf den Sieg überzeugt sind. Eine gewaltige und unaustilgbare Eroberung!

Unfähig, auf unsere Kritik zu antworten, sich in den Widersprüchen verfangend, von den Verhältnissen angeklagt, gezwungen in den Grundfragen der Politik, zu schweigen, macht die Stalinclique den letzten Versuch, uns von den offiziellen kommunistischen Parteien mit Hilfe eines Kriminalromans zu trennen, dessen Talentlosigkeit nicht im Stande ist, seine Gemeinheit zu mildern.

Die Stalinisten möchten uns mit ihrer Hetze auf den Weg der zweiten Partei und einer IV. Internationale drängen. Sie verstehen, dass ein solcher verhängnisvoller Fehler, die Opposition wenn nicht um alle ihre Erfolge bringen würde, so doch ihren Aufstieg um Jahre verlangsamen müsste. Sich feindselig der kommunistischen Partei entgegenstellen würde in deren gegenwärtigen Verhältnissen bedeuten, das Programm der zentristischen Bürokratie zu erfüllen. Nein, das ist nicht unser Weg! Die Intrigen Stalins, seiner Büchner und Agabekoffs. der offenen und der versteckten, weiden uns nicht dazu bringen, unseren Kurs zu ändern. Wir stehen auf der Grundlage der ersten vier Kongresse der Komintern, der Doktrin und Tradition des Bolschewismus. Die Lehren der Oktoberrevolution wenden wir – und nur wir – bei allen Aufgaben des Weltproletariats an. Über unseren Köpfen weht das Banner der III. Internationale. Wir prätendieren ganz auf ihr historisches Erbe.

Die proletarische Politik kennt weder das Gefühl des Beleidigtseins noch der Rache. Sie wird bestimmt durch die revolutionäre Notwendigkeit. Vor dem Angesicht der Arbeitermassen der SU und der ganzen Welt wiederholen die Bolschewisten-Leninisten: heute, wie auch an jenem Tage, da sie zum ersten Mal ihre warnende Stimme gegen die Bürokratie der Epigonen erhoben, sind sie bereit, bis zum letzten Mann sich zur Verfügung der Komintern und der Sowjetmacht zu stellen, für die allerbescheidensten, für die schwärzesten, für die gefährlichsten Arbeiten. Sie verpflichten sich dabei unbedingt Aktionsdisziplin zu halten. Sie stellen nur eine Bedingung: im Rahmen der Komintern müssen sie die Möglichkeit haben für ihre Ideen einzustehen, d. h., für die Ideen des Marxismus, gemäß den elementaren Grundsätzen der Parteidemokratie.

Wir wissen, dass die Stalinisten unser Angebot nicht annehmen werden: es geht über ihre Kräfte. Um es anzunehmen, müssten sie uns nicht fürchten. Aber das ist es eben, dass die Angst vor der linken Opposition, eine der wichtigsten Triebfedern für das Handeln des durch und durch kompromittierten Apparats darstellt.

Nicht die Freundschaft der Bürokratie erstreben wir, sondern Kampfgemeinschaft mit der revolutionären Avantgarde. Die Provokationen und Intrigen der Stalinisten beantworten die Bolschewiki-Leninisten damit, dass sie noch näher an die kommunistische Masse heranrücken. Wie bisher, werden unsere Gesinnungsgenossen nicht dabei stehen bleiben die politischen Fehler und Verbrechen der Leitung zu enthüllen. Hand in Hand mit den Parteimitgliedern werden sie für das Banner des Kommunismus kämpfen – im Streik, in der Straßendemonstration, in den Wahlkämpfen, und in entscheidenderen Kämpfen, wenn deren Stunde geschlagen haben wird.

Mit einzelnen Bolschewisten mag Stalin fertig werden. Den Bolschewismus kann er nicht ersticken. Der Sieg der linken Opposition ist historisch sicher gestellt.

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