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Leo Trotzki 19321104 Perspektiven des amerikanischen Marxismus

Leo Trotzki: Perspektiven des amerikanischen Marxismus

[Nach Permanente Revolution, 3. Jahrgang Nr. 1 (1. Januarwoche 1933), S. 3 f.]

Lieber Genosse Calverton!

Ich habe Ihr Pamphlet «Für die Revolution» bekommen und las es mit Interesse und mit Nutzen für mich. Ihre Argumente gegen die amerikanischen Ritter der reinen Reform sind sehr überzeugend, einige – geradezu herrlich. Doch, soweit ich Ihre Aufgabe verstehe, wünschen sie von mir nicht literarische Komplimente, sondern eine politische Bewertung. Ich komme Ihnen um so freudiger entgegen, als die Probleme des amerikanischen Marxismus gegenwärtig eine außerordentliche Bedeutung erhalten.

Seinem Charakter und Aufbau nach ist ihr Pamphlet um meisten für die denkenden Vertreter der akademischen Jugend geeignet. Ignorieren darf man sie auf keinen Fall. Im Gegenteil, man muss es verstehen mit ihr in ihrer Sprache zu reden. Und doch heben Sie in Ihrer Arbeit selber oftmals jenen, für den Marxisten elementaren Gedanken hervor, dass der Sturz des Kapitalismus nur durch die Arbeiterklasse vollbracht werden kann. Die revolutionäre Erziehung ihrer Avantgarde erklären Sie völlig richtig als Hauptaufgabe. Doch finde ich in ihrem Pamphlet keine Brücke zu dieser Aufgabe und nicht einmal einen Hinweis, in welcher Richtung sie zu suchen sei.

Ist das ein Vorwurf meinerseits? Sowohl Ja wie nein. Dem Wesen nach ist ihr Büchlein eine Antwort auf eine bestimmte Art kleinbürgerlicher Radikaler (in Amerika tragen sie, scheint es mir, den Namen der «Liberalen» ab), die bereit sind die mutigsten sozialen Konsequenzen zu ziehen, unter der Bedingung, dass es sie politisch nichts kostet. Sozialismus? Kommunismus? Anarchismus? Sehr gut, aber nicht anders als auf dem Wege der Reform. Die Gesellschaft, Familie, Moral von oben bis unten umwandeln? Herrlich, aber unbedingt mit der Erlaubnis des weißen Hauses und der Tamanny-Hall. Gegen diese prätentiösen und fruchtlosen Tendenzen entfalten Sie, wie gesagt, eine sehr siegreiche Argumentation. Doch der Streit selbst nimmt dabei unvermeidlich den Charakter einer Hausdiskussion im Intellektuellenklub an, in dem es einen eignen reformistischen und einen eignen marxistischen Flügel gibt. So stritten in Petersburg und Moskau die akademischen Marxisten mit den akademischen Volkstümlern 30-40 Jahre zuvor: ob Russland durch die Epoche des Kapitalismus hindurchgehen muss oder nicht? Wie viel Zeit ist seitdem verflossen!... Allein schon die Notwendigkeit die Frage so zu stellen, wie Sie es in Ihrem Pamphlet tun. charakterisiert deutlich die politische Rückständigkeit der Vereinigten Staaten, des fortgeschrittensten Landes auf dem Gebiete der Technik. Soweit Sie nicht die Möglichkeit und nicht das Recht haben sich von den amerikanischen Verhältnissen loszureißen, soweit ist in meinen Worten kein Vorwurf.

Und gleichzeitig ist er vorhanden. Denn, neben den Pamphleten und Klubs, wo akademische Diskussionen «für» und «wider» die Revolution geführt werden, gibt es in den Reihen des amerikanischen Proletariats, bei all der Rückständigkeit seiner Bewegung, verschiedene politische, darunter auch revolutionäre Gruppierungen. Über diese sagen Sie nichts. Ihr Pamphlet erwähnt weder die sogenannte sozialistische Partei, noch die kommunistische, weder die Zwischengebilde, noch, um so mehr, die sich bekämpfenden Fraktionen des Kommunismus. Das bedeutet, dass Sie niemand und nirgends rufen. Sie erklären die Unvermeidlichkeit der Revolution. Doch der Intellektuelle, den Sie überzeugt haben, darf ruhig seine Zigarette zu Ende rauchen und dann zu seinen Tagesgeschäften zurückkehren. Soweit besteht in meinen Worten ein Element des Vorwurfs.

Ich würde diesen Umstand nicht in den Vordergrund rücken, wenn ich nicht den Eindruck hätte, dass Ihr politischer Standpunkt, wie ich mir ihn auf Grund Ihrer Artikel vorstelle, typisch ist für eine ziemlich zahlreiche und theoretisch recht qualifizierte Schicht der linken Intelligenz in den Vereinigten Staaten.

Von der Partei Hilquitts und Thomas' als von einer Waffe der proletarischen Revolution zu reden kommt natürlich nicht in Frage. Ohne auch im Entferntesten die Macht des europäischen Reformismus erreicht zu haben, hat sich die amerikanische Sozialdemokratie alle seine Laster angeeignet und verfiel ins hündische Alter, nachdem sie kaum aus der Kindheit heraus war. Ich hoffe, dass Sie mit dieser Einschätzung einverstanden sind und vielleicht sogar des öfteren ähnliche Urteile geäußert haben.

Doch in Ihrem Pamphlet «Für die Revolution» sagen Sie kein Wort über die Sozialdemokratie. Warum? Es scheint mir aus dem Grunde, dass. wenn Sie sich über die Sozialdemokratie geäußert hätten, Sie gezwungen wären gleichzeitig auch über die Kommunistische Partei ein Urteil abzugeben. Das aber ist nicht nur eine kitzlige, sondern auch eine äußerst verantwortliche Frage, die Verpflichtungen auferlegt und Folgen nach sich zieht. Vielleicht irre ich mich in Bezug auf Sie persönlich. Aber viele amerikanischen Marxisten weichen offensichtlich und hartnäckig aus ihre Parteistellungnahme zu definieren. Sie zählen zu den «Freunden» der Sowjetunion, «sympathisieren» mit dem Kommunismus, schreiben Artikel über Hegel oder über die Unvermeidlichkeit der Revolutionund das ist alles. Indessen ist das ungenügend. Denn das Werkzeug der Revolution ist die Partei, nicht wahr?

Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Unter dem Streben, sich den praktischen Konsequenzen einer klaren Stellungnahme zu entziehen, verstehe ich keineswegs die Sorge um das persönliche Wohlergehen. Zwar schreckt die Kommunistische Partei einige Quasi-«Marxisten» gerade dadurch ab, dass sie die Revolution aus den Diskutierklubs auf die Straße hinausführen will. Doch mit solchen Snobs über die revolutionäre Partei zu streiten ist überhaupt wertlos. Es handelt sich um andere, ernstere Marxisten, die durchaus nicht geneigt sind die revolutionäre Aktion zu scheuen, die aber von der Kommunistischen Partei durch ihr niedriges theoretisches Niveau, ihren Bürokratismus, den Mangel an wirklicher revolutionärer Initiative abgestoßen werden. Und gleichzeitig, sagen sie sich, ist es die linkste Partei, die mit der Sowjetunion verbunden ist, diese in gewisser Weise «repräsentiert»darf man sie angreifen und ist es zulässig sie zu kritisieren?

Die opportunistischen und abenteuerlichen Fehler der gegenwärtigen Kominternführung und ihrer amerikanischen Sektion sind zu offensichtlich, als dass man dabei verharren sollte; jedenfalls wäre es unmöglich und auch überflüssig im Rahmen dieses Briefes das zu wiederholen, was zu diesem Thema in einer Reihe selbständiger Arbeiten gesagt worden ist. Alle Fragen der Theorie, der Strategie, der Taktik und der Organisation sind bereits zum Gegenstand tiefster Meinungsverschiedenheiten im Kommunismus geworden. Es haben sich 3 grundlegende Fraktionen herausgebildet, die bereits Gelegenheit hatten sich bei den gewaltigsten Ereignissen und Problemen der letzten Jahre zu zeigen. Der Kampf unter ihnen hat umso schärferen Charakter angenommen, als in der Sowjetunion jede Meinungsverschiedenheit mit der gegenwärtig herrschenden Gruppe zum sofortigen Ausschluss aus der Partei und zu staatlichen Gewaltmaßnahmen führt. Die marxistische Intelligenz in den Vereinigten Staaten, wie auch in allen anderen Ländern, ist vor die Alternative gestellt: entweder schweigend und gehorsam die Komintern, so wie sie ist, zu unterstützen, oder zum Lager der Konterrevolution und des «Sozialfaschismus» gerechnet zu werden. Ein Teil der Intelligenz entschließt sich für den ersten Weg, d. h. er folgt mit geschlossenen oder halb geschlossenen Augen der offiziellen Partei: der andere Teil wandelt parteilos umher, verteidigt, wo er kann, die Sowjetunion gegen Verleumdungen und führt eine abstrakte Propaganda zugunsten der Revolution, ohne zu sagen, durch welche Tore man ihr entgegengehen soll.

Der Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen ist übrigens nicht so groß. Hier wie dortein Verzicht auf die Herausarbeitung einer selbständigen Meinung und des mannhaften Kampfes um sie; damit beginnt doch aber der Revolutionär. In beiden Fällen haben wir den Typ eines Weggenossen vor uns, und nicht eines aktiven Vorkämpfers der Partei des Proletariats. Selbstverständlich ist ein Weggenosse besser als ein Feind. Doch der Marxist kann nicht Weggenosse der Revolution sein. Zu alledem bezeugt die historische Erfahrung, dass im entscheidenden Moment der Sturm des Kampfes die intellektuellen Weggenossen ins feindliche Lager schleudert. Wenn sie auch zurückkehren, so nur nach der Festigung des Sieges. Maxim Gorki ist. ein besonders eindeutiges, wenn auch durchaus kein einzigartiges, Beispiel dafür. Übrigens ist im gegenwärtigen Sowjetapparat, bis zu seinen höchsten Spitzen, der Prozentsatz der Menschen, die vor 15 Jahren offen jenseits der Oktoberbarrikade standen, sehr bedeutend.

Braucht man daran zu erinnern, dass der Marxismus nicht nur die Welt erklärt, sondern auch lehrt, wie man sie verändert? Der Wille ist das treibende Element auch auf dem Gebiet der Erkenntnis. Der Marxismus deutet die politische Wirklichkeit nur solange richtig, wie er ihre revolutionäre Umwandlung anstrebt. Ein Marxist, der aus diesen oder jenen nebensächlichen Erwägungen seine Schlussfolgerungen nicht zu Ende führt, verrät den Marxismus. Über die verschiedenen Fraktionen des Kommunismus hinwegzusehen, um sich nicht zu binden, sich nicht zu kompromittieren, bedeutet jene Arbeit zu ignorieren, die, durch alle Widersprüche hindurch, die Avantgarde der Klasse formiert; bedeutet sich durch die Abstraktion der Revolution, wie durch ein Schild gegen die Schläge und blauen Flecke des realen revolutionären Prozesses zu verdecken.

Wenn die linksbürgerlichen Journalisten die Sowjet-Republik summarisch, so wie sie ist, verteidigen, tun sie ein progressives und lobenswertes Werk. Für einen marxistischen Revolutionär ist das völlig ungenügend. Die Aufgabe der Oktoberrevolution istvergesst nicht!noch nicht gelöst. Nur Papageien können sich durch die Wiederholung der Worte trösten: «der Sieg ist gesichert». Nein, er ist nicht gesichert! Der Sieg ist ein Problem der Strategie. Es gibt kein Buch, in dem im Voraus die richtige Bahn des ersten Arbeiterstaates vorgezeichnet wäre. Es gibt und kann keinen Kopf geben, der in sich die fertige Formel der sozialistischen Gesellschaft trüge. Die Wege der Wirtschaft und der Politik müssen erst aus der Erfahrung bestimmt und kollektiv, d. h. im ständigen Zusammenprall der Ideen, herausgearbeitet werden Ein Marxist, der sich auf die summarische «Sympathie» beschränkt, ohne am Kampfe um die Fragen der Industrialisierung, der Kollektivierung, des Parteiregimes u. a. teilzunehmen, steht nicht über den «fortschrittlichen» bürgerlichen Informatoren des Typus Duranti, L. Fischer u. a. sondern umgekehrt, unter ihnen, denn er missbraucht den Ruf des Revolutionärs.

Sich vor offenen Antworten zu drücken, mit gewaltigen Problemen Versteck zu spielen, sich auszuschweigen, abzuwarten, oder, was noch schlimmer ist, sich damit zu trösten, dass der gegenwärtige Kampf im Bolschewismus eine Angelegenheit «persönlicher Ehrgeize» sei,bedeutet die geistige Faulheit zu unterstützen, den übelsten Vorurteilen des Philistertums nachzugeben und sich zur Prostration zu verurteilen. Ich möchte hoffen, dafl zwischen uns in dieser Frage keine Meinungsverschiedenheiten bestehen.

Die Politik des Proletariats hat eine große theoretische Tradition und darin besteht eine der Quellen ihrer Kraft. Der gebildete Marxist studiert die Meinungsverschiedenheiten zwischen Engels und Lassalle anlässlich des europäischen Krieges von 1859. Das ist notwendig. Aber wenn es sich nicht um einen Pedanten der marxistischen Historiographie, nicht um einen Bücherwurm, sondern um einen proletarischen Revolutionär handeltso ist es tausend Male wichtiger und unaufschiebbarer, sich eine selbständige Meinung über die revolutionäre Strategie in China der Jahre 1925-32 zu bilden. Gerade bei dieser Frage verschärfte sich der Kampf innerhalb des Bolschewismus zum ersten Male bis zum Bruch. Man kann kein Marxist sein ohne eine Position einzunehmen in einer Frage, von der das Schicksal der chinesischen Revolution und damit auch der indischen abhängt, d. h. die Zukunft fast der Hälfte der Menschheit!

Sehr nützlich ist es, sagen wir, die alten Meinungsverschiedenheiten der russischen Marxisten über den Charakter der zukünftigen russischen Revolution zu studieren,es versteht sich, nach den Urquellen, und nicht nach den ungebildeten und ungewissenhaften Zusammenstellungen der Epigonen. Jedoch ist es unvergleichlich wichtiger sich eine klare Vorstellung über die Theorie und Praxis des anglo-russischen Komitees, der «dritten Periode», des «Sozialfaschismus», der «demokratischen Diktatur» in Spanien und der Einheitsfrontpolitik zu machen. Das Studium der Vergangenheit wird doch letzten Endes dadurch gerechtfertigt, dass es uns hilft, uns in der Gegenwart zurechtzufinden.

Ein marxistischer Theoretiker darf nicht an den Kongressen der I. Internationale vorbeigehen. Aber tausend Male unaufschiebbarer ist das Studium der lebendigen Meinungsverschiedenheiten anlässlich des Amsterdamer «Antikriegskongresses» von 1932. Was ist letzten Endes die aufrichtigste und glühendste Sympathie gegenüber der Sowjet-Union wert, wenn sie von Gleichgültigkeit in Bezug auf die Methoden ihrer Verteidigung begleitet wird?

Gibt es gegenwärtig für einen Revolutionär ein wichtigeres, ergreifenderes, brennenderes Thema als den Kampf und das Schicksal des deutschen Proletariats? Kann man andrerseits, unter Umgehung der Meinungsverschiedenheiten im Lager des deutschen sowie des internationalen Kommunismus, seinen Standpunkt zu den Problemen der deutschen Revolution bestimmen? Ein Revolutionär, der über die Politik Stalin-Thälmanns keine Meinung besitzt,ist kein Marxist. Ein Marxist, der eine Meinung hat, aber schweigt,kein Revolutionär.

Es genügt nicht den Nutzen der Technik zu predigen. Man muss Brücken bauen. Wie würde man einen jungen Mediziner beurteilen, der, statt der Arbeit im Operationssaal, sich damit begnügte die Lebensbeschreibungen der großen Chirurgen der Vergangenheit zu lesen? Was hätte Marx zu einer Theorie gesagt, die, anstatt die revolutionäre Praxis zu vertiefen, dazu dienen würde, sich von ihr abzugrenzen? Wahrscheinlich hätte er seinen sarkastischen Ausdruck wiederholt: «nein; ich bin kein Marxist.»

Alles spricht dafür, dass die gegenwärtige Weltkrise einen großen Meilenstein auf dem historischen Wege der Vereinigten Staaten aufrichten wird. Der selbstgenügsame amerikanische Provinzialismus nähert sich jedenfalls seinem Ende. Jene Allgemeinplätze, die den amerikanischen politischen Gedanken in allen seinen Verzweigungen nährten, haben sich endgültig verbraucht. Alle Klassen benötigen eine neue Orientierung. Es steht eine radikale Erneuerung nicht nur des umlaufenden, sondern auch des Grundkapitals der politischen Ideologie bevor. Wenn die Amerikaner auf dem Gebiet der sozialistischen Theorie so hartnäckig zurückblieben, so bedeutet es nicht, dass sie immer zurückbleiben müssen. Man kann ohne Risiko die entgegengesetzte Voraussage treffen: je länger sich die Yankees mit den ideellen Resten vergangener Zeiten begnügten, um so größeren Schwung wird in Amerika der revolutionäre Gedanke erhalten, wenn seine Stunde endlich geschlagen haben wird. Und diese Stunde ist nahe. Die Erhebung der revolutionären Theorie auf eine neue Höhe kann man in den nächsten Jahrzehnten von zwei Seiten erwarten: vom asiatischen Osten und von Amerika.

Die Arbeiterbewegung hat im Laufe der letzten hundert Jahre ihren nationalen Schwerpunkt mehrere Male verschoben. England, Frankreich, Deutschland, Russland – das ist die historische Reihenfolge der Residenzen des Sozialismus und Marxismus. Die gegenwärtige revolutionäre Hegemonie Russlands kann am allerwenigsten einen dauerhaften Charakter beanspruchen. Die Tatsache des Bestehens der Sowjetunion besitzt selbstverständlich, insbesondere vor dem Sieg des Proletariats in einem der fortgeschrittenen Länder, eine unermessliche Bedeutung für die Arbeiterbewegung aller Länder. Doch der unmittelbare Einfluss der in Moskau herrschenden Fraktion auf die Kommunistische Internationale ist bereits zu einer Bremse für die Entwicklung des Weltproletariats geworden. Die befruchtende ideelle Hegemonie des Bolschewismus ist in den letzten Jahren durch das erstickende Joch des Apparates ersetzt worden. Die verheerenden Wirkungen dieses Regimes braucht man nicht zu beweisen: es genügt auf die Führung der amerikanischen Kommunistischen Partei mit dem Finger zu zeigen. Die Befreiung von dem ideenlosen bürokratischen Kommando ist eine Frage von Tod und Leben der Revolution und des Marxismus geworden.

Sie sind völlig im Recht, wenn Sie meinen, dass die Avantgarde des amerikanischen Proletariats es verstehen muss, sich auch auf die revolutionären Traditionen des eignen Landes zu stützen. In gewissem Sinne kann man die Losung «Amerikanisierung» des Marxismus anerkennen. Das bedeutet natürlich nicht seine Grundlagen und Methoden zu revidieren. Der Versuch von M. Eastman, die materialistische Dialektik zugunsten der «lngenieurkunst» der Revolution über Bord zu werfen, ist ein von vornherein hoffnungsloses und seinen möglichen Folgen nach rückläufiges Unternehmen. Das System des Marxismus hat die historische Prüfung vollkommen bestanden. Gerade heute, in der Epoche des kapitalistischen Niederganges, der Kriege und Revolutionen, der Stürme und Erschütterungen, entfaltet die materialistische Dialektik voll und ganz ihre unerschütterliche Kraft. Den Marxismus amerikanisieren, heißtihn auf dem amerikanischen Boden zu verwurzeln, an den Ereignissen der amerikanischen Geschichte zu überprüfen, mit seiner Methode die Probleme der amerikanischen Wirtschaft und Politik durchzuarbeiten, die internationale revolutionäre Erfahrung unter dem Gesichtswinkel der Aufgaben der amerikanischen Revolution zu assimilieren. Eine große Arbeit! Es ist Zeit, mit hochgekrempelten Ärmeln an sie heranzugehen.

Anlässlich der Streiks in den Vereinigten Staaten, wohin das zerfallende Zentrum der 1. Internationale verlegt worden war. schrieb Marx am 23. Juli 1877 an Engels: «Drüben beginnt die Grütze zu kochen, und die Verlegung des Zentrums der Internationale in die Vereinigten Staaten wird sich letzten Endes noch völlig rechtfertigen». Einige Tage später antwortete ihm Engels: «Erst 12 Jahre seit der Beseitigung der Sklaverei und die Bewegung hat bereits eine solche Schärfe erreicht!» Beide, Marx wie Engels, haben geirrt. Aber, wie auch in anderen Fällen, irrten sie sich im Tempo und nicht in der Richtung. Die große «Grütze» jenseits des Ozeans beginnt zweifellos zu kochen: der Bruch in der Entwicklung des amerikanischen Kapitalismus wird unvermeidlich ein Aufblühen des kritischen und verallgemeinernden Gedankens hervorrufen: und, vielleicht, ist die Frist nicht so groß, die uns von der Verlegung des theoretischen Herds der internationalen Revolution nach New York trennt.

Vor den amerikanischen Marxisten eröffnen sich wahrhaft gigantische, atemraubende Perspektiven!

Mit herzlichen Grüßen

L. Trotzki.

Prinkipo, d. 4. November 1932.

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