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Leo Trotzki 19321022 Sowjetwirtschaft in Gefahr

Leo Trotzki: Sowjetwirtschaft in Gefahr

(Vor dem zweiten Fünfjahresplan)

[Nach der Broschüre, Berlin 1932, Herausgeber: Linke Opposition der KPD, Verleger: Anion Grylewicz]

Inhaltsverzeichnis:

Vorwort

Die Kunst planmäßiger Wirtschaft

Die vorläufigen Ergebnisse des ersten Fünfjahresplans

Quantität und Qualität

Der Kapitalaufbau

Die Disproportionen im Innern und der Weltmarkt

Die Lage der Arbeiter

Die Landwirtschaft

Das Problem des Arbeiter- und Bauernbündnisses («Smytschka»)

Die Bedingungen und Methoden der Planwirtschaft

Die Unterdrückung der NEP, die Geldinflation und die Auflösung der sowjetistischen Demokratie

Die Krisis der Sowjetwirtschaft

Die Sowjetwirtschaft in Gefahr

Der zweite Fünfjahresplan

Das Jahr der allgemeinen Wiederherstellung

Vorwort zu den nichtrussischen Ausgaben

Die Erfolge der beiden ersten Jahre des Fünfjahresplanes haben der Bourgeoisie der ganzen Welt gezeigt, dass es sich bei der proletarischen Revolution um etwas weit Ernsthafteres handelt, als es im Anfang geschienen hatte. Das Interesse am sowjetrussischen «Experiment» stieg überaus stark. Eine ganze Reihe von namhaften bürgerlichen Verlegern in verschiedenen Ländern fing an, verhältnismäßig objektive wirtschaftliche Informationen herauszugeben.

Die internationale kommunistische Presse griff die am meisten optimistischen Schätzungen der russischen Presse heraus, wobei sie dieselben, im angeblichen Interesse der Agitation, stark übertrieb, und machte daraus eine wirtschaftliche Legende.

Kleinbürgerliche Demokraten, die es durchaus nicht eilig gehabt hatten, sich über eine so verwickelte Sache wie die Oktoberrevolution eine Meinung zu bilden, freuten sich über die Möglichkeit, in den Zahlen des Fünfjahresplans für ihre späten Sympathien einen Rückhalt zu finden. Großmütig «anerkannten» sie endlich die Sowjetrepublik zum Lohn für ihre wirtschaftlichen und kulturellen Errungenschaften. Vielen von ihnen bedeutete diese Bekundung moralischen Heldentums die Möglichkeit, zu verbilligtem Tarif interessante Reisen zu machen.

Es ist, versteht sich, unvergleichlich würdiger, den sozialistischen Aufbau des ersten Arbeiterstaates zu verteidigen als die Ansprüche der Wallstreet oder der City. Aber man kann auf die lauen Sympathien dieser Herrschaften zum Sowjetstaat ebenso wenig bauen, wie etwa auf die Abneigung des Amsterdamer Kongresses gegen den Militarismus.

Leute wie die beiden Webb (und sie sind nicht die schlechtesten in diesem Kreise) haben natürlich keinerlei Neigung, sich über die Widersprüche der Sowjetwirtschaft den Kopf zu zerbrechen. Ohne sich auf irgend etwas festzulegen, geht ihr Bestreben hauptsächlich dahin, die Eroberungen der Sowjets zu benutzen, um mit ihnen und durch sie die herrschenden Kreise ihres Landes zu beschämen und vorwärts zu drängen. Die Revolution der anderen ist ihnen notwendig als Hilfswaffe ihres Reformismus. Zu diesem Zweck, sowie zur eigenen geistigen Beruhigung, benötigen die «Freunde der UdSSR» wie auch die internationale kommunistische Bürokratie ein einfaches, einseitiges, möglichst einleuchtendes Bild von den Erfolgen in der Sowjetunion. Jeder, der dieses Bild beeinträchtigt – ist ein Feind und Gegenrevolutionär.

Die grobschlächtige und schädliche Idealisierung des Übergangsregimes in der internationalen kommunistischen Presse nahm besonders in den letzten zwei Jahren zu, d.h. in einer Zeit, in der die Widersprüche und Disproportionen der Sowjetwirtschaft schon in den Spalten der offiziellen Sowjetpresse zum Ausdruck kamen.

Sympathien, die sich auf Legenden und Fiktionen gründen, sind schwankend. Wer für seine Sympathien Illusionen braucht, ist unzuverlässig. Die dicht bevorstehende Krisis der Sowjetwirtschaft wird, und dazu in ziemlich naher Zukunft, die schöne Legende zerstören und, es ist kein Zweifel möglich, eine Menge billiger Freunde auf den Weg der Gleichgültigkeit, wenn nicht Feindseligkeit, zurückstoßen.

Weit schlimmer und gefährlicher ist der Umstand, dass die Krisis der Sowjetwirtschaft die europäischen Arbeiter, in erster Linie die Kommunisten, völlig unvorbereitet überraschen wird, und sie für die den Sowjets und dem Sozialismus durch und durch feindliche, sozialdemokratische Kritik aufnahmefähig machen kann.

In dieser wie auch allen anderen Fragen braucht die proletarische Revolution nur die Wahrheit. In der vorliegenden kleinen Arbeit halten wir es für notwendig, die Widersprüche der Sowjetwirtschaft, die Unvollständigkeit und Unbeständigkeit vieler Errungenschaften, die groben Fehler der Führung und die auf dem Weg zum Sozialismus auftauchenden Gefahren mit aller Schärfe bloßzulegen. Rosarote und himmelblaue Aquarelle zu liefern überlassen wir den kleinbürgerlichen Freunden. Wir halten es für richtiger, die schwachen und ungeschützten Stellen, an denen der Einbruch des Feindes droht, mit dicker schwarzer Farbe zu umreißen. Das Geschrei über unsre Feindschaft gegen die Sowjetunion ist so dumm, dass es sein eigenes Gegengift in sich trägt. Schon die nächste Zukunft wird eine neue Bestätigung dafür bringen, dass die Wahrheit auf unsrer Seite ist. Die linke Opposition lehrt die Arbeiter, die Gefahren vorauszusehen, und, wenn sie eingetreten sind, nicht den Kopf zu verlieren.

Wer die proletarische Revolution nicht anders annimmt, als mit allen Bequemlichkeiten und lebenslänglichen Garantien, dessen Weg ist nicht der unsre. Wir nehmen den Arbeiterstaat so, wie er ist, und sagen: Das ist unser Staat. Ungeachtet des von der Rückständigkeit uns Hinterlassenen, ungeachtet des Hungers und des Schlangestehens, ungeachtet der bürokratischen Fehler, ja selbst Schändlichkeiten, müssen die Arbeiter der ganzen Welt mit Zähnen und Nägeln in diesem Staat ihr künftiges sozialistisches Vaterland verteidigen.

Wir dienen der Sowjetrepublik vor allem dadurch, dass wir den Arbeitern die Wahrheit über sie sagen und ihnen dadurch helfen, den Weg in die bessere Zukunft zu bahnen.

Prinkipo, den 22. Oktober 1932

L. Trotzki

Die Kunst planmäßiger Wirtschaft

Die Voraussetzungen der sozialistischen Planwirtschaft sind durch den Oktoberumsturz und durch die Grundgesetze der Sowjetmacht geschaffen worden. Im Verlaufe einer Reihe von Jahren entstanden und funktionierten die staatlichen Organe der zentralisierten Leitung der Wirtschaft. Eine gewaltige schöpferische Arbeit wurde geleistet. Was im imperialistischen und im Bürgerkriege zerstört worden war, wurde wiederhergestellt. Neue grandiose Unternehmungen, neue Produktionszweige, ganze Industriegebiete sind geschaffen worden. Das im Staat organisierte Proletariat hat praktisch seine Fähigkeit bewiesen, die Wirtschaft nach neuen Methoden zu führen und in früher unerhörtem Tempo materielle Güter zu erzeugen. Das alles mit dem Hintergrund des seinem Ende entgegengehenden Weltkapitalismus. Der Sozialismus als System hat zum ersten Male sein Recht auf den historischen Sieg bewiesen, nicht auf den Seiten des «Kapitals», sondern durch die Praxis von Wasserkraftanlagen und Hochöfen. Unzweifelhaft würde Marx diese Art der Beweisführung vorziehen.

Verbrecherisch leichtfertig sind indessen die Behauptungen, als ob die UdSSR schon in den Sozialismus eingetreten sei. Die Errungenschaften sind groß. Aber bis zum faktischen Sieg über die wirtschaftliche Anarchie, bis zur Überwindung der Disproportion, bis zur Sicherung des harmonischen Charakters der Wirtschaft ist es noch ein sehr langer und schwieriger Weg.

Wie allseitig der erste Fünfjahresplan auch überlegt war, so konnte er, dem Wesen der Sache nach, nichts anderes sein als eine erste rohe Hypothese, von vornherein dazu bestimmt, im Prozesse der Arbeit gründlichen Veränderungen unterworfen zu werden. A priori ein vollendetes System wirtschaftlicher Harmonie zu schaffen ist unmöglich. Die planwirtschaftliche Hypothese musste die alten Disproportionen und die Unvermeidlichkeit der Entstehung neuer in sich tragen. Eine zentralisierte Leitung gewährleistet nicht nur große Vorzüge, sondern bedeutet auch die Gefahr der Zentralisation von Fehlern, das heißt die Erhebung der Fehler in eine sehr hohe Potenz, Nur die beständige Regulierung des Plans während der Ausführung, seine teilweise oder gänzliche Umarbeitung auf Grund der aus der Erfahrung gewonnenen Lehren, können seine wirtschaftliche Wirkung sichern.

Die Kunst sozialistischer Planwirtschaft fällt nicht vom Himmel und wird nicht bei der Eroberung der politischen Macht fertig eingehändigt. Diese Kunst kann nur im Kampf errungen werden, Schritt für Schritt, nicht von einem Einzelnen, sondern von den Millionen, als Bestandteil der neuen Wirtschaft und Kultur. Es hat nichts Überraschendes oder Entmutigendes an sich, wenn sich die Kunst der Wirtschaftsführung zum 15. Jubiläum der Oktoberrevolution noch auf einem sehr niedrigen Niveau befindet. Die Zeitung «Für die Industrialisierung» hält es für möglich zu sagen: «Um die operative Planwirtschaft steht es bei uns erbärmlich schlecht» (12. September). Die ganze Sache dreht sich dabei aber gerade um die operative Planwirtschaft.

Wir haben mehrmals daran erinnert, dass «bei falscher Planwirtschaft und, was noch wichtiger ist, bei falscher Regulierung des Planes im Prozess seiner Ausführung, die Krisis sich erst kurz vor Beendigung des Fünfjahresplans entfalten und unüberwindliche Schwierigkeiten für die Ausnutzung und Weiterentwicklung seiner unzweifelhaften Erfolge schaffen kann». (Bulletin der Opposition Nr. 23, 15. Juni 1931.) Eben deswegen dünkte es uns, dass die übereilte, rein sportmäßige «Überführung des Fünfjahresplans auf 4 Jahre einen Akt leichtfertiger Abenteuerei darstellten (ebendort). Und die Befürchtungen und Warnungen sind, zum Unglück, vollständig bestätigt worden.

Die vorläufigen Ergebnisse des ersten Fünfjahresplans

Von einer wirklichen Erfüllung des Fünfjahresplans in vier Jahren (genauer: in vier Jahren und drei Monaten) kann jetzt auch nicht die Rede sein. Die wütendste Antreiberei im Laufe der letzten beiden Monate hatte auf die allgemeinen Ergebnisse schon keinen Einfluss mehr. Den tatsächlichen, das heißt ökonomisch abgewogenen Prozentsatz der Erfüllung des ursprünglichen Programms festzustellen ist vorläufig noch nicht möglich. Die in der Presse veröffentlichten Zahlen haben eher eine formal statistische als wirtschaftlich-buchhalterische Bedeutung. Wenn die Errichtung einer neuen Fabrik bis auf 90 % gediehen ist, dann aber angesichts offenkundigen Materialmangels die Arbeit eingestellt wird, so kann man von einem formal-statistischen Standpunkt aus 90 % des Plans als ausgeführt buchen. Vom ökonomischen Standpunkt aus jedoch müssen die gemachten Aufwendungen einfach auf die Verlustseite eingetragen werden. Die Abrechnung über die wirkliche Effektivität (die nutzbringende Wirkung) der errichteten und zu errichtenden Unternehmungen vom Standpunkt einer allgemein-staatswirtschaftlichen Bilanz aus liegt noch völlig in der Zukunft. Aber auch vom Standpunkt der Feststellung der bloßen Menge sind die Resultate, so bedeutend sie an sich sein mögen, sehr weit von den Vorausbestimmungen des Plans entfernt.

Die Ausbeute an Kohle hält sich zurzeit auf der Höhe des vergangenen Jahres, erreichte infolgedessen bei weitem nicht die Planziffern des dritten Jahres des Fünfjahresplans. «Das Donbassin schleppt sich im Schwanz der rückständigsten Teile der Sowjetindustrie dahin», klagt die «Prawda». «Die Spannung der Bilanz der Heizstoffe nimmt zu», wiederholt die «Für die Industrialisierung» (8. Oktober).

Im Jahre 1931 wurden 4,9 Millionen Tonnen Gusseisen erzeugt anstatt der im Plan vorgesehenen 7,9 Millionen; 5,3 Millionen Tonnen Stahl anstatt 8,8 Millionen; endlich 4 Millionen Tonnen Walzeisen anstatt 6,7 Millionen. Das bedeutete einen Niedergang im Vergleich zum Jahr 1930: bei Gusseisen – um 2 %, bei Stahl – um 6 %, bei Walzeisen – um 10 %.

In 9 Monaten des Jahres 1932 wurden produziert Millionen Tonnen Gusseisen, 4,1 Millionen Tonnen Stahl, Millionen Tonnen Walzeisen. Bei einer bedeutenden Erhöhung der Produktion von Gusseisen (neue Hochöfen!) steht die Erzeugung von Stahl und Walzeisen im laufenden Jahre annähernd auf dem Niveau des vergangenen Jahres. Vom Standpunkt der allgemeinen Aufgaben der Industrialisierung aus ist natürlich nicht das rohe Gusseisen entscheidend, sondern Walzeisen und Stahl.

Neben diesen mengenmäßigen Resultaten, welche die «Ekonomitscheskaja scnisn» als «himmelschreiende Durchbrüche» charakterisiert, stehen die sehr ungünstigen und in ihren Folgen weit gefährlicheren qualitativen Durchbrüche. Der speziellen wirtschaftlichen Presse folgend erkennt die «Prawda» offen an, dass in der Schwerindustrie «es um die qualitativen Indexziffern unzulässigermaßen steht». «Der Ausschuss frisst den hochwertigen Stahl auf.» «Krass verschlechtert haben sich die technischen Koeffizienten der Ausnutzung der Einrichtung.» Es genügen zwei Zahlen: Die Tonne Gusseisen stellte sich im Jahre 1931 auf 35 Rubel; in der ersten Hälfte des laufenden Jahres – auf 60 Rubel.

An Kupfer wurden in den Jahren 1929-50 47.000 Tonnen ausgeschmolzen; im Jahre 1931 48.000, der vom Plan bestimmten Aufgabe. Im laufenden Jahre wurde der Plan auf 90.000 Tonnen herabgesetzt, aber in 8 Monaten sind weniger als 30.000 Tonnen ausgeschmolzen worden. Was das für den Maschinenbau im Allgemeinen, für den Bau elektrischer Maschinen im Besonderen bedeutet, bedarf keiner Erläuterung.

Auf dem Gebiete der Elektrifizierung zeigt sich bei allen ihren Erfolgen ein bedeutendes Zurückbleiben: Die Kraftstationen gaben im August 71 % der Energie, die sie geben sollten. «Für die Industrialisierung» schreibt von einer «stümperhaften und analphabetischen, kulturlosen Ausnutzung der erbauten Stationen.» In Hinsicht auf die Kraftwirtschaft drohen im Winter große Schwierigkeiten. In den Leningrader und Moskauer Bezirken haben sie schon begonnen.

Die verarbeitende Industrie, die im vergangenen Jahre gegenüber dem Plan stark zurückgeblieben war, wuchs in der ersten Hälfte des laufenden Jahres um 16 %, fiel jedoch im 3. Quartal unter die Position des vergangenen Jahres. Die Lebensmittelindustrie steht auf dem letzten Platz. Die von den Betrieben der Schwerindustrie erzielte zusätzliche Warenproduktion für den Massenkonsum beträgt für 8 Monate nur 35 % des Jahresplans. Welcher Teil von dieser in Eile improvisierten Warenmenge in Wirklichkeit den Bedürfnissen des Marktes entspricht, entzieht sich einstweilen jeder Kontrolle.

Die Fabriken erhalten ihre Kohle und ihr Rohmaterial mit Hilfe von Blitztelegrammen. Die Industrie sitzt, nach dem Ausdruck der «Ekonomitscheskaja schisn», «auf Blitzen». Aber auch Blitze können nicht geben, was nicht vorhanden ist.

Die eilige Förderung und schlechte Sortierung der Kohle beeinträchtigt die Arbeit der Koksbetriebe. Der erhöhte Gehalt des Kokses an Feuchtigkeit und Asche senkt nicht nur die Quantität der hergestellten Metalle um Millionen Tonnen, sondern setzt auch ihre Qualität herab. Maschinen aus schlechten Metallen geben ein schlechtes Erzeugnis, verursachen Stilllegungen im Betrieb, die die Arbeitskraft lahmlegen, und nutzen sich rasch ab.

Wie die Zeitungen im Ural mitteilen, «leiden die Hochöfen an Malariafieber». Infolge ungleichmäßiger Beschickung mit Heizmaterial setzen sie 3-20 Tage aus. Eine im höchsten Grade krasse Einzelheit: Die metallurgischen Betriebe des Urals hatten zur Anfuhr des Heizmaterials ihren eigenen Pferdepark; im Februar dieses Jahres zählte er 27.000 Pferde, im Juli fiel die Zahl auf 14.000, im September auf 3.000. Grund: Futtermangel.

Der Zustand der Stalingrader Traktorenfabrik, in der die Jahresmenge an Guss von 250 auf 140 Tonnen fiel, wird Ton der «Prawda» mit folgenden Strichen charakterisiert: «Als Folge des Mangels an einer elementaren ständigen technischen Beaufsichtigung hat sich die Einrichtung… überaus stark abgenutzt.» «Der Ausschuss erhöhte sich bis zu 35%.» «Der Schmutz hat sich in allen Mechanismen des Betriebes festgesetzt.» «In der Gießerei sorgt man sich nicht um den morgigen Tag.» «Handwerksarbeit ist in die Arbeit am laufenden Band eingedrungen.»

Warum senkt die Industrie farbiger Metalle bei kolossalen Investitionen die Produktion? «Weil», antwortet die «Prawda», «die einzelnen Betriebsabteilungen in ihren Leistungen einander nicht entsprechen». Dabei ist das Problem des richtigen Verhältnisses zwischen den Betriebsabteilungen durch die kapitalistische Technik gelöst. Wie viel verwickelter und schwieriger ist die Frage der Beziehungen zwischen selbständigen Unternehmungen und ganzen Industriezweigen!

«Die Podolsker Zementfabrik ist schwer krank», – schreibt «Für die Industrialisierung». «Im ersten Halbjahr wurde das Produktionsbauprogramm ungefähr zu 60 % erfüllt, in den letzten Monaten fiel die Durchführung bis auf 40 % … Die Selbstkosten sind zweimal höher als nach dem Plan.» In verschiedenem Grade treffen die angeführten Charakteristiken auf die ganze jetzige Industrie zu.

Quantität und Qualität

Das administrative Gejage nach der Quantität führt zur schrecklichsten Herabsetzung der Qualität: die niedrige Qualität unterwühlt im folgenden Stadium den Kampf um die Quantität; die Kosten der im ökonomischen Sinne unrationellen «Erfolge» sind gewöhnlich um viele Male größer als diese Erfolge selbst. Diese Dialektik kennt jetzt jeder entwickelte Arbeiter, nicht aus den Büchern der kommunistischen Akademie (o weh, ebenfalls eine schlechte Produktion), sondern aus der Praxis der eigenen Schächte, Fabriken, Eisenbahnen, Kraftstationen usw.

Die Folgen des Gejages haben sich völlig auch auf das Unterrichtswesen übertragen. Die «Prawda» ist gezwungen, anzuerkennen: «Indem sie das Niveau der Ausbildung herabsetzten, einzelne Lehrfächer ausließen oder sie nach Art von «Kavallerie-Attacken» durchliefen, haben die technischen Hochschulen, welche diesen Weg gingen, der Industrie keinen Nutzen gebracht, sondern Schaden». Wer aber hat denn an diesen «Kavallerie-Attacken» auf den technischen Hochschulen schuld?

Wenn den offiziellen Angaben der die Qualität berücksichtigende, zusätzliche Koeffizient hinzugefügt wird, so erfahren die Indexzahlen der Durchführung des Plans sofort die gewaltigste Senkung. Das war auch Kuibyschew vor mehr als einem Jahre gezwungen, anzuerkennen. «Die Zahlen des gewaltigen Anwachsens der Industrie bleiben relativ, – erklärte er vorsichtig auf einer Sitzung des Obersten Volkswirtschaftsrates –, wenn man die qualitativen Veränderungen in Betracht zieht.» Weit deutlicher drückte sich Rakowski aus: «Ohne Berechnung der Qualität der Produktion stellen die mengenmäßigen Indexzahlen eine statistische Einbildung dar».

Der Kapitalaufbau

Rakowski machte vor reichlich zwei Jahren auf die die Kräfte übersteigende Ausdehnung des Planes aufmerksam. «Weder die durch den Plan vorgesehene Zunahme der Produktion», – schrieb er –, «noch der vorgesehene Plan des Kapitalaufbaus waren vorbereitet … die ganze vorausgegangene Politik im Bereich der Industrie lief im Wesentlichen auf eine erhöhte Ausnutzung des alten Grundkapitals hinaus… ohne die geringste Sorge um den folgenden Tag.»

Der Versuch, Versäumtes mit einem Sprung einzuholen, ist am allerwenigsten real auf dem Gebiet des Kapitalaufbaues. Die zur Ausführung des Plans notwendigen Hilfsquellen «gibt es im Lande nicht und wird es in der nächsten Zeit nicht geben». Daraus entsprang die Warnung: «Der Plan des Kapitalaufbaues wird in erheblichem Grade scheitern».

Und diese Vorhersage hat sich vollständig bewahrheitet. Im Bauwesen war ein besonders starkes Zurückbleiben schon im Jahre 1931 bemerkbar. In diesem Jahr hat es noch mehr zugenommen. Im Transportwesen wurde das Bauprogramm, nach eigener Schätzung des Ressorts, zu 38 % erfüllt. Auf anderen Gebieten steht es nach allgemeiner Regel mit dem Bauwesen noch ungünstiger; am schlechtesten – auf dem Gebiet des Wohnungsbaues. Die Hilfsquellen an Baumaterialien und Geld sind auf zu zahlreiche Bauobjekte verteilt, was einen geringen Nutzeffekt der Aufwendungen bedingt.

In den Kupferwerken von Balchaschk sind 65 Millionen Rubel verausgabt worden, die Ausgaben wachsen von Tag zu Tag weiter an – faktisch ins Bodenlose: zur Weiterführung der Arbeiten hätten im Laufe des Jahres 300.000 Tonnen an Frachten bewältigt werden müssen, während die zur Verfügung stehenden Transportmittel nur 20.000 Tonnen ermöglichen. Beispiele ähnlicher, wenn auch nicht solch krasser Art, gibt es reichlich viel.

Die schlechte Qualität der Materialien und Einrichtungen tritt besonders grell im Kapitalaufbau in Erscheinung. «Das Tafelblech zum Dachdecken ist von einer solch erbärmlichen Qualität» – schreibt die «Prawda», – «dass es bei der bloßen Berührung in Stücke geht.»

Die himmelschreiende Rückständigkeit auf dem Gebiete des Kapitalaufbaues untergräbt automatisch die Grundlagen des zweiten Fünfjahresplans.

Die Disproportionen im Innern und der Weltmarkt

Das Problem des gegenseitigen Verhältnisses der Elemente der Produktions- und der Wirtschaftszweige bildet die eigentliche Seele der sozialistischen Ökonomie. Die zur Lösung dieses Problems führenden verschlungenen Wege sind auf keiner Karte eingetragen. Sie zu entdecken, richtiger: sie zu legen, ist ein sich lang hinziehendes und schweres Werk.

Die gesamte Industrie stöhnt infolge des Mangels an Ersatzteilen. Webstühle stehen still, weil ein Bolzen fehlt. «Das Sortiment der hergestellten Waren», schreibt «Ekonomitscheskaja schisn» über die Massenbedarfsartikel, «ist ein zufälliges und entspricht nicht … der Nachfrage.»

«Eine Milliarde Rubel sind allein im Verlaufe der ersten Hälfte des Jahres 1932 in der (schweren) Industrie festgelegt, «eingefroren», in Vorräten an Materialien, in unfertiger Produktion und auch in fertigen Erzeugnissen in den Fabriklagern». («Ekonom. schisn», 12. September.) So drücken sich gewisse Disproportionen und Nichtübereinstimmungen nach offizieller Schätzung in Geld aus.

Die großen und kleinen Disproportionen machen es notwendig, sich an den internationalen Markt zu wenden. Eine eingeführte Ware zu einem Tscherwonez kann der einheimischen Produktion über den toten Punkt hinweghelfen mit einem Effekt von Hunderten und Tausenden von Tscherwonzen. Die totale Zunahme der Wirtschaft einerseits, das Entstehen neuer Bedürfnisse und neuer Disproportionen andererseits, erhöhen unabänderlich die Notwendigkeit der Verbindungen mit der Weltwirtschaft. Das Programm dieser «unabhängigen», das heißt sich selbst genügenden Sowjetwirtschaft enthüllt je länger je mehr seinen reaktionär-utopischen Charakter. Die Autarkie ist das Ideal Hitlers, nicht das von Marx und nicht das von Lenin.

So ist die Einfuhr von Roheisen seit Beginn des Fünfjahresplans der Menge nach um das Fünffache, dem Wert nach um das Vierfache gestiegen. Wenn sich im laufenden Jahre dieser Teil der Einfuhr verringerte, so nur aus Valutagründen. Dafür hat die Einfuhr an Maschinen überaus stark zugenommen.

Kaganowitsch behauptete in einer Rede am 8. Oktober, dass die Opposition, die linke sowohl wie die rechte, «uns vorschlägt, unsere Abhängigkeit von der kapitalistischen Welt zu verstärken». Als ob es sich um irgendeinen künstlichen und freiwilligen Schritt handelte, nicht aber um die automatische Logik des wirklichen Wachstums!

In der gleichen Zeit zitiert die Sowjetpresse lobend ein Interview von Sokolnikow am Abend vor seiner Abreise aus London: «In England verbreitet sich immer mehr die Anerkennung der Tatsache, dass ein in industrieller und technischer Beziehung fortgeschrittener Sowjetstaat für die industrielle Produktion Englands einen aufnahmefähigeren Markt darstellt». Das Merkmal für den wirtschaftlichen Fortschritt der Sowjetunion sieht Sokolnikow nicht in einem Nachlassen, sondern in einer Zunahme der Verbindungen mit dem äußeren Markt, folglich auch in der erhöhten Abhängigkeit von der Weltwirtschaft. Handelt der frühere Oppositionelle Sokolnikow nicht mit «trotzkistischer Schmuggelware»? Aber warum deckt ihn dann die offizielle Presse?

Die Lage der Arbeiter

Stalins Rede (im Juli 1931) mit den rettenden «Sechs Bedingungen» richtet sich gegen die schlechte Qualität der Produktion, die hohen Selbstkosten, die Fluktuation der Arbeiterschaft, den hohen Prozentsatz des Ausschusses usw. Seit jener Zeit ist kein Artikel ohne Bezugnahme auf die «geschichtliche Rede» erschienen. Unterdessen haben sich alle jene Krankheiten, die durch die sechs Bedingungen geheilt werden sollten, vertieft und einen noch bösartigeren Charakter angenommen.

Der Bankrott der Stalinschen Rezeptur wird von der offiziellen Presse tagaus tagein bezeugt. Zur Erklärung des Sinkens der Produktion weist die «Prawda» auf die «Verminderung der Arbeitskräfte in den Fabriken, die erhöhte Fluktuation, das Nachlassen der Arbeitsdisziplin» hin (23. September). Die Zeitung «Für die Industrialisierung» führt an Gründen der überaus niedrigen Produktivität des Krafinouraler Kombinats außer dem «himmelschreienden Missverhältnis zwischen den einzelnen Teilen des Kombinats» an: 1. «Die kolossale Fluktuation der Arbeiter»; 2. «die engstirnige Lohnpolitik»; 3. «das Nichtversorgtsein (der Bergarbeiter) mit einigermaßen erträglichen Wohnungen»; 4. «die miserable Ernährung der Arbeiter»; 5. «das katastrophale Nachlassen der Arbeitsdisziplin». Wir zitieren wörtlich. In Bezug auf die Fluktuation, die «alle Grenzen überschritten hat», schreibt die gleiche Zeitung: «Die Versorgung (der Arbeiter) mit dem alltäglichen Bedarf ist in allen Betrieben der Industrie der farbigen Metalle ohne Ausnahme abscheulich».

In den Lokomotiv-Werkstätten, die der Wirtschaft in den ersten drei Quartalen dieses Jahres ungefähr 250 Lokomotiven zu wenig geliefert haben, «wird ein scharfer Mangel an qualifizierten Arbeitern beobachtet». Allein aus dem Kolomnaer Werk gingen im Sommer mehr als 2.000 Arbeiter weg. Die Gründe? «Die schlechte Versorgung mit dem alltäglichen Bedarf.» In der Fabrik in Sormowsk ist «die Fabrikküche – eine Garküche schlimmster Sorte» («Für die Industrialisierung», 28. September). In dem privilegierten Traktorenwerk in Stalingrad «hat sich die Arbeit der Fabrikküche krass verschlechtert». («Prawda», 21. September.) Welchen Grad musste die Unzufriedenheit der Arbeiter erreicht haben, bis alle diese Tatsachen ihren Weg bis in die Spalten der Stalinschen Presse gefunden haben!

In der Textilindustrie steht es selbstredend nicht besser. «Allein im Gebiet von Iwanowsk», teilt «Ekon. schisn» mit, «gingen ungefähr 35.000 qualifizierte Weber aus den Betrieben fort.» Nach den Worten der gleichen Zeitung stößt man im Lande auf Unternehmen, in denen mehr als 60 % der Belegschaft monatlich wechseln. «Die Fabrik wird: zum Durchgangshof.»

Lange hat man sich zur Erklärung des völligen Bankrotts der «sechs Bedingungen» auf bloße Anklagen an die Adresse der Wirtschaftler und der Arbeiter selbst beschränkt: «Man versteht nichts», «man will nicht», «man gibt sich mit dem Erreichten zufrieden» usw. In den letzten Monaten jedoch nennen die Zeitungen immer öfter, wenn auch heimlich, die wirkliche Wurzel des Übels: die unerträglich schweren Existenzbedingungen der Arbeiter.

Rakowski wies vor mehr als zwei Jahren auf diese Ursache der Ursachen hin: «… die Bummelei nimmt zu, die Arbeitsdisziplin sinkt, die Zahl der Arbeiter musste so erhöht werden», schrieb er, «weil der Arbeiter nicht imstande ist, die für ihn unerträgliche Belastung auszuhalten».

Aber warum denn sind die Lebensbedingungen schlecht? Die Zeitungen berufen sich zur Erklärung auf das «geringschätzige (!) Verhalten gegenüber den Fragen des täglichen Lebens und der Versorgung der Arbeiterschaft». («Für die Industrialisierung», 24. September.) Mit diesem einzigen Wörtchen sagt die Stalinsche Presse mehr, als sie zu sagen wünschte. «Ein geringschätziges Verhalten» gegenüber den Bedürfnissen der Arbeiter ist in einem Arbeiterstaat nur von Seiten einer überheblichen und nicht unter Aufsicht stehenden Bürokratie möglich.

Die gewagte Erklärung war ohne Zweifel dazu nötig, um die Hauptsache zu verdecken: den direkten Mangel an zur Befriedigung der Arbeiter dienenden materiellen Gütern. Das nationale Einkommen ist unrichtig verteilt. Die wirtschaftlichen Aufgaben werden ohne Berechnung der realen Mittel gestellt. Auf die Schultern der Arbeiter wird eine immer unerträglichere Last gewälzt.

Den Hinweisen auf die «Unregelmäßigkeiten» in der Nahrungsmittelversorgung begegnet man zurzeit in jeder Nummer der Sowjetpresse. Unterernährung plus Antreiberei! Die Verbindung dieser beiden Bedingungen genügt, um in kürzester Frist die maschinellen Einrichtungen zu vernichten und die Produzenten selbst aufzubrauchen. Zum Trost bringt die «Prawda» eine photographische Aufnahme von einer Arbeiterin, die «ihr eigenes» Schwein füttert. Das ist in der Tat ein Ausweg. «Die eigene Hauswirtschaft», lehrt die Zeitung (3. Oktober), «hat den Arbeiter früher an den Kapitalismus gefesselt, aber heute fesselt sie ihn an die Ordnung der Sowjets.» Man traut seinen Augen nicht! Einstmals haben wir gelernt, dass die eigene Hauswirtschaft die Versklavung der Frau, die schändlichste Seite der sozialen Sklaverei überhaupt, bedeutet. Jetzt zeigt sich, dass «das eigene» Schwein das Proletariat an den Sozialismus fesselt. So machen die scheinheiligen Beamten von der Presse aus einer harten Not eine Tugend.

Schlechtes Essen und Ermüdung der Nerven rufen Teilnahmslosigkeit gegen das umgebende Milieu hervor. Das Resultat davon ist, dass nicht nur die alten, sondern auch die neuen, auf Grund der neuesten Technik erbauten Fabriken rasch der Verödung verfallen. «Versucht es», so ruft selbst die «Prawda» aus, «sei es auch nur einen Hochofen oder Martinofen zu finden, der nicht von Schmutz starrte!»

Die moralischen Bedingungen sind nicht besser als die physischen. «Die Fabrikleitung hat sich von der Masse isoliert.» («Prawda».) Anstatt feinfühliger Einstellung auf die Arbeiter, «bloße Kommandiererei, Rüffelei». In jedem einzelnen Fall ist bei der «Prawda» die Rede von einem einzelnen Betriebe. Die «Prawda» ahnt nicht, dass die Summe der einzelnen Fälle das Stalinsche Regime bildet.

In der ganzen Industrie der farbigen Metalle findet sich «nicht ein einziges Fabrikkomitee, das einigermaßen zufriedenstellend arbeitet» («Für die Industrialisierung», 13. September). Wieso und warum arbeiten aber in einem Arbeiterstaat die Betriebskomitees – in der ganzen Industrie, nicht nur in der der farbigen Metalle – nicht zufriedenstellend? Etwa nicht deshalb, weil sie unter dem Druck der Parteibürokratie ersticken?

In der Lokomotivfabrik Dshershinski wurden in einer einzigen Sitzung des Zellenbüros der Schmiede-Abteilung auf einmal 18 Fälle von Ausschlüssen aus der Partei behandelt, im Räderwerk 9, in der Kesselschmiede 12. Die Sache ist nicht auf einzelne Fabriken beschränkt. Das Kommandieren herrscht durchweg. Repressalien bilden die einzige Antwort der Bürokratie auf die Initiative und Kritik von unten …

Im Entwurf zur Plattform der internationalen linken Opposition heißt es: «Das Lebensniveau der Arbeiter und ihre Rolle im Staat ist der oberste Maßstab für die sozialistischen Erfolge». Wenn die Stalinsche Bürokratie unter diesem Gesichtspunkt an die Aufgaben der Planung und lebendigen Regulierung der Wirtschaft gehen würde», haben wir vor mehr als einem Jahre geschrieben, «so würde sie nicht jedes Mal solche völlige Versager erzielen, so wäre sie nicht zu einer so kraftvergeudenden Zickzackpolitik gezwungen und würde sich nicht politischen Gefahren gegenübersehen.» (Bulletin Nr. 23, Seite 5.)

Die Landwirtschaft

«Die Landwirtschaft der Sowjetunion», schrieb die «Prawda» am 28. September, «hat sich definitiv auf sozialistischem Wege befestigt.» Derartige Phrasen, gewöhnlich durch eine bloße Bezugnahme auf die Zahl der kollektivierten Bauernhöfe und Hektare bekräftigt, sind ein schmählicher Hohn auf den tatsächlichen Zustand der Landwirtschaft und des gegenseitigen Verhältnisses zwischen Stadt und Dorf.

Die Jagd nach rekordmäßiger Kollektivierung, ohne die technischen, wirtschaftlichen und kulturellen Möglichkeiten der Landwirtschaft zu berechnen, führte zu in der Tat verderblichen Folgen. Sie beseitigte für die kleinen Warenerzeuger alle Anreize, noch lange, bevor sie imstande war, dieselben durch andere höhere wirtschaftliche Anreize zu ersetzen. Der administrative Druck, der sich auch in der Industrie rasch selbst erschöpft, erweist sich in der Landwirtschaft als vollständig ohnmächtig.

Ein kaukasisches Kosakendorf, teilt die gleiche «Prawda» mit, wurde für seine Frühjahrs-Aussaatkampagne prämiiert. Dabei erwies sich die Bearbeitung dann als so schlecht, dass die Felder dicht von Steppenkraut überwuchert wurden. Dieses kaukasische Kosakendorf ist ein Symbol für das Jagen der Verwaltungsbehörden nach der Quantität im Bereich der Landwirtschaft. Die kompakte Kollektivierung führte zum kompakten Unkraut auf den Feldern.

Den Kollektivgütern wurden 100.000 Traktoren überwiesen. Eine gigantische Eroberung! Aber wie die unzähligen Zeitungsnachrichten aus dem Lande beweisen, entspricht der Nutzeffekt der Traktoren bei weitem nicht ihrer Zahl. Auf der Maschinenfabrik von Poltawa, einer der neuerrichteten, «erlitten von 27 unlängst gelieferten Traktoren 19 schon starke Defekte». Diese Zahlen sind keine Ausnahmen. Die Traktorenstation von Priwolshiansk (Ukraine) verfügt über 52 Traktoren, von denen zwei seit dem Frühjahr nicht arbeiten, 14 befinden sich in Generalreparatur, und von den übrigen 36 werden noch nicht die Hälfte für die Saatarbeit verwendet, «und auch die stehen abwechselnd still». Der Koeffizient aus dem wirklichen Nutzeffekt der 100.000 Traktoren ist noch nicht berechnet worden!

Im schwindelerregendsten Moment der durchgängigen Kollektivierung stellte Rakowski die harte Diagnose: «Als erstes Ergebnis zeigt sich ein durch die ganze voraufgegangene Politik vorbereitetes und durch die Periode der ultralinken Abenteuer verstärktes Sinken der landwirtschaftlichen Produktivkräfte, das auf dem Gebiet. der Viehzucht und teilweise auch der technischen Pflanzenkulturen unbestreitbar ist und sich auf dem Gebiet der Getreidekulturen zu zeigen beginnt».

Hat sich Rakowski geirrt? Unglücklicherweise, nein. Nichts kann einen so erschütternden Eindruck hervorrufen, als ein kleines, ganz unbemerkbares Dekret des ZIK vom 11. September 1932, das in der Sowjetpresse ohne Kommentar geblieben ist. Unter der Unterschrift von Kalinin und Molotow wurde den einzelnen selbständigen Bauern die Verpflichtung auferlegt, für den Bedarf der Kollektivgüter und auf deren Forderung hin gegen eine bestimmte Bezahlung ihre Pferde leihweise abzutreten. Die Kollektivgüter werden verpflichtet, diese Pferde den Besitzern «in gutem Zustand» zurückzugeben.

So steht es um das Verhältnis zwischen dem sozialistischen und dem kleinbürgerlichen Sektor der Landwirtschaft! Die Kollektivgüter, die 80-90% des Ackerbodens bearbeiten und, in der Theorie, durch ihre Errungenschaften die individuellen Bauernwirtschaften nachziehen sollen, zeigen sich in Wirklichkeit genötigt, ihre Zuflucht zur staatlichen Gesetzgebung zu nehmen, um für ihre Bedürfnisse von den einzelnen Bauern auf dem Zwangswege deren Pferde ausgeliefert zu bekommen. Hier ist alles auf den Kopf gestellt. Dieses eine Dekret vom 11. September enthält für die Stalin-Molotowsche Politik ein Todesurteil.

Das Problem des Arbeiter- und Bauernbündnisses („Smytschka")

Können sich auf dieser materiellen und produktiven Grundlage die Beziehungen zwischen Stadt und Dorf bessern?

Wir erinnern noch einmal daran: Das wirtschaftliche Fundament der Diktatur des Proletariats kann erst von dem Moment an als völlig gesichert gelten, wenn der Staat, um die landwirtschaftlichen Produkte zu erhalten, nicht mehr gezwungen ist, gegenüber der Mehrheit der bäuerlichen Bevölkerung zu Maßnahmen des behördlichen Zwanges zu greifen, das heißt, wenn die Bauern im Austausch gegen Maschinen, Werkzeuge und persönliche Bedarfsartikel dem Staat freiwillig die nötige Menge Nahrungsmittel und Rohstoffe liefern. Nur auf dieser Grundlage kann die Kollektivierung – wenn die übrigen inneren und internationalen Bedingungen gegeben sind – einen wirklich sozialistischen Charakter erhalten.

Das Verhältnis der Preise der industriellen und landwirtschaftlichen Erzeugnisse hat sich ohne Zweifel zugunsten des Bauern verändert. Freilich, auf diesem Gebiet eine der Wirklichkeit einigermaßen nahekommende Berechnung aufzustellen, ist eine unlösbare Aufgabe. «Der Preis für den Zentner Milch», schreibt beispielsweise die «Prawda», «schwankt je nach den Kollektivgütern zwischen 43 und 206 Rubeln.» Der Unterschied zwischen den staatlichen Preisen und den Preisen der zugelassenen Märkte ist noch größer. Nicht weniger verschiedenartig sind die Preise auf Industrieerzeugnisse, je nachdem, auf welchen Kanälen sie bis zum Bauern gelangen. Ohne Anspruch auf Genauigkeit kann man jedoch behaupten, dass der Bauer die Preisschere im engen Sinne des Wortes geschlossen hat. Das Dorf begann für seine Produkte die Menge von Geldzeichen zu erhalten, mit denen es sich zu festen staatlichen Preisen mit Industriewaren hätte versorgen können, wenn – diese Waren vorhanden wären.

Jedoch eine der wichtigsten Disproportionen besteht darin, dass dem Vorhandensein von Geld kein Vorhandensein von Waren entspricht. In der Sprache des Geldumlaufs heißt das Inflation. In der Sprache der Planwirtschaft bedeutet es übertriebene Pläne, falsche Verteilung der Kräfte und Mittel, vor allem bei der Herstellung von Bedarfsgegenständen und derjenigen von Produktionsmitteln.

Seitdem sich die Preisverhältnisse gegen die Stadt zu richten begannen, hat sich die letztere dadurch geschützt, dass sie die Waren «bronierte», das heißt einfach nicht in Umlauf setzte, sondern zum Zweck bürokratischer Verteilung zurückbehielt. Das bedeutete, dass nur der als Geld wahrzunehmende Schatten der Schere sich geschlossen hat, die materielle Disproportion jedoch bestehen blieb. Aber den Bauern interessiert nicht der Schatten. Das Fehlen von Waren drängte ihn und drängt ihn auf den Weg des Brotstreiks: Um Geld mag er sein Brot nicht abgeben.

Da sie nicht zu einer Angelegenheit des einfachen und für beide Teile vorteilhaften Austauschs wurde, bleibt die Aufbringung von Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Rohstoffen wie früher eine «politische Kampagne», «ein Feldzug», der jedes Mal die Mobilisierung des staatlichen und des Parteiapparates nötig macht. «Viele Kollektivgüter», schreibt die «Prawda» vorsichtig (26. September), «widersetzen sich der Getreideaufbringung, verstecken das Getreide.» Wir wissen, was in ähnlichem Zusammenhang das Wort «viele» bedeutet. Wenn der Austausch zwischen Dorf und Stadt vorteilhaft ist, dann kann der Bauer keine Veranlassung haben, sein «Getreide zu verstecken»; wenn aber der Austausch unvorteilhaft ist, das heißt, eine Form von Zwangsenteignung darstellt, so sind alle Kollektivgüter, nicht nur «viele», bestrebt, ihr Getreide zu verstecken, ebenso, wie auch die Einzelwirtschaften. Den Verpflichtungen der Bauern in Bezug auf die Fleischversorgung ist jetzt offiziell der Charakter einer Naturalsteuer mit allen damit verbundenen Repressalien gegeben worden. Mit diesen Tatsachen werden die Resultate der kompakten Kollektivierung weit richtiger gekennzeichnet, als mit der dürren Statistik der kollektivierten Hektare.

Die Tatsache, dass gegen die Ausplünderung des sozialistischen Eigentums drakonische Gesetze erlassen werden, charakterisiert zur Genüge die Ausmaße eines Übelstandes, dessen Wesen auf dem Dorfe darin besteht, dass der Bauer bestrebt ist, sein Korn nicht in die sozialistischen, sondern in die kapitalistischen Kanäle zu leiten. Die Preise auf den der Spekulation dienenden Märkten sind genügend hoch, um das strafgesetzliche Risiko zu rechtfertigen. Ein wie großer Teil des Getreides schwimmt auf den Kanälen der Spekulation davon?

Im Wolga-Kaspi Fischtrust nimmt man an, dass bis zu 20 % der Beute auf den privaten Zwischenhandel geleitet wird. «Und wie viel wird in Wirklichkeit dahin geleitet?» fragt skeptisch die «Prawda». In der Landwirtschaft muss der Prozentsatz der Abgänge bedeutend höher sein. Und selbst 20 % bedeuten Hunderte von Millionen Pud Getreide. Die Repressalien mögen unvermeidliche Maßnahmen der Selbstbehauptung darstellen. Aber sie ersetzen nicht das wirtschaftliche Bündnis zwischen Arbeitern und Bauern, schaffen kein wirtschaftliches Fundament für die Diktatur des Proletariats und sichern nicht einmal die Getreideaufbringung.

Auf Repressalien allein konnte sich deshalb die Behörde nicht beschränken. Im Kampf um Brot und Rohstoffe sah sie sich gezwungen, der Stadt vorzuschreiben, die Industriewaren in Umlauf zu setzen. Im Lauf der. letzten Monate gingen die Massenbedarfsartikel in verstärktem Maße ins Dorf. In den Städten jedoch, besonders in der Provinz,, sind die staatlichen und Kooperativläden leer geworden.

Die Bilanz der «Smytschka» mit dem Dorf in diesem Jahre ist noch nicht gezogen. Aber die Magazine der Städte sind leer. «Wir gaben dem Dorf mehr Waren», sprach Kaganowitsch am 8. Oktober in Moskau, «und haben, wenn man sich so ausdrücken darf, die Stadt übervorteilt.» Man kann sich durchaus so ausdrücken: Die Städte und die Industriebezirke wurden übervorteilt, das heißt übervorteilt wurden die Arbeiter.*

Die Bedingungen und Methoden der Planwirtschaft

Welches sind die Organe für die Aufstellung und für die Durchführung des Plans? Welches die Methoden seiner Überprüfung und Regulierung? Welches die Bedingungen für seinen Erfolg?

Drei Systeme müssen in diesem Zusammenhang einer kurzen Betrachtung unterzogen werden: 1. Die eigentlichen staatlichen Organe, das heißt das hierarchische System der Plankommissionen im Zentrum und an den einzelnen Orten; 2. der Handel, als System der Marktregulierung; 3. die Sowjetbürokratie, als System der lebendigen Einwirkung der Massen auf die Wirtschaftsstruktur.

Wenn es einen mit der wissenschaftlichen Phantasie Laplaces ausgezeichneten universalen Verstand gäbe: einen Verstand, der gleichzeitig alle Prozesse der Natur und der Gesellschaft registrieren, die Dynamik ihrer Bewegung ermessen, die Resultate ihrer Wechselwirkung voraussehen würde, – ein solcher Verstand könnte selbstredend a priori einen fehlerlosen und vollendeten Wirtschaftsplan aufstellen, angefangen bei der Anzahl der Hektare Weizen bis herunter zum Westenknopf. Es ist wahr, der Bürokratie scheint es nicht selten, dass eben gerade sie einen ähnlichen Verstand besitzt: deshalb begibt sie sich so leicht der Kontrolle des Marktes und der Demokratie der Sowjets. Faktisch unterliegt die Bürokratie mit der Einschätzung ihrer geistigen Hilfsquellen einem schweren Irrtum. Tatsächlich muss sie sich auf die vom kapitalistischen Russland hinterlassenen Proportionen (mit dem gleichen Recht kann man sagen Disproportionen) stützen; auf die Angaben über die Wirtschaftsstruktur der heutigen kapitalistischen Nationen; endlich auf die Erfahrung der Erfolge und Fehler der Sowjetwirtschaft selbst. Aber selbst die richtigste Kombination aller dieser Elemente kann nur erlauben, ein äußerst unvollständiges Drahtgerüst des Plans aufzurichten, und nicht mehr.

Die zahllosen lebendigen Teilnehmer an der Wirtschaft, die staatlichen und privaten, die kollektiven und einzelnen, müssen ihre Bedürfnisse und ihre relative Leistungsfähigkeit nicht nur auf dem Weg über die statistischen Berechnungen anmelden, sondern auch durch den unmittelbaren Druck von Angebot und Nachfrage. Der Plan wird auf dem Weg über den Markt überprüft und, in erheblichem Maße, verwirklicht. Die Regulierung des Marktes selbst muss sich auf die durch ihn zum Ausdruck kommenden Tendenzen stützen. Die in den Kanzleien aufgestellten Vorausbestimmungen müssen ihre wirtschaftliche Zweckmäßigkeit auf dem Wege über die kaufmännische Kalkulation nachweisen. Das System der Übergangswirtschaft ist ohne Kontrolle durch den Rubel undenkbar. Das setzt seinerseits voraus, dass der Rubel sich selbst gleich ist. Ohne eine feste Geldeinheit ist die kaufmännische Berechnung nur geeignet, das Chaos zu vermehren.

Die Prozesse des wirtschaftlichen Aufbaues gehen vorläufig noch nicht in einer klassenlosen Gesellschaft vor sich. Die Fragen der Verteilung des nationalen Einkommens stellen die zentrale Achse des Plans dar. Diese letztere verändert ihre Lage unter der unmittelbaren Einwirkung des Kampfes der Klassen und der sozialen Gruppen, darunter auch der verschiedenen Schichten des Proletariats selbst. Die wichtigsten sozialen und wirtschaftlichen Fragen: das Bündnis zwischen Stadt und Dorf, das heißt die Bilanz, was die Industrie von der Landwirtschaft erhält und was sie ihr gibt; die Wechselbeziehungen zwischen Akkumulation und Verbrauch, zwischen dem Fonds für den Aufbau und für den Arbeitslohn; die Regelung der Bezahlung für die verschiedenen Arbeitskategorien (die gelernten und ungelernten Arbeiter, die Angestellten, die Spezialisten, die leitende Bürokratie); endlich die Verteilung des auf das Dorf entfallenden Anteils am nationalen Einkommen zwischen den verschiedenen Schichten der Bauernschaft, – alle diese Fragen lassen ihrem eigenen Wesen nach keine a priori getroffenen Entscheidungen einer Bürokratie zu, die sich gegen die Einmischung der interessierten Millionen abschließt.

Der Kampf der Lebensinteressen als Grundfaktor der Planung führt uns in das Reich der Politik, die eine konzentrierte Ökonomie ist. Als Instrumente der sozialen Gruppen der Sowjetgesellschaft erscheinen (sollen erscheinen): Die Sowjets, die Gewerkschaften, die Kooperativen und vor allem die herrschende Partei. Nur durch die Wechselwirkung der drei Elemente: der staatlichen Planwirtschaft, des Marktes und der sowjetistischen Demokratie ist eine richtige Leitung der Wirtschaft der Übergangszeit durchzuführen und zu sichern – nicht die volle Überwindung der Widersprüche und Disproportionen in einigen Jahren (das ist eine Utopie!), aber ihre Milderung und eben damit die Festigung der materiellen Basis der proletarischen Diktatur bis zu dem Moment, in dem eine neue siegreiche Revolution den Schauplatz der sozialistischen Planwirtschaft erweitert und ihr System umbaut.

Die Unterdrückung der NEP, die Geld-Inflation und die Auflösung der sowjetistischen Demokratie

Die Notwendigkeit der Einführung der neuen ökonomischen Politik, das heißt der Wiedereinführung der Bedingungen des Marktes, war seinerzeit vor allem durch das Vorhandensein von 25 Millionen selbständiger Bauernwirtschaften bedingt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Kollektivierung schon in ihrem ersten Stadium zur Beseitigung des Marktes führt. Die Kollektivierung kann nur insoweit lebensfähig sein, insoweit sie die persönliche Interessiertheit der den Kollektiven Angeschlossenen in Kraft lässt, indem sie deren gegenseitige Beziehungen, wie auch das Verhältnis der ganzen Kollektive zur Außenwelt, auf Grund kaufmännischen Rechnens aufbaut. Das bedeutet, dass eine richtige, wirtschaftlich begründete Kollektivierung im gegebenen Stadium nicht zur Beseitigung der NEP, sondern nur zur allmählichen Umbildung ihrer Methoden führen muss.

Die Bürokratie jedoch ging mit Gewalt voran: in der ersten Zeit konnte es ihr dabei scheinen, dass sie der Linie des geringsten Widerstandes folgte. Die echten und unzweifelhaften Erfolge der zentralisierten Anstrengungen des Proletariats hielt sie für Erfolge ihrer a priori erlassenen Planmaßnahmen. Anders gesagt: sie setzte die sozialistische Revolution mit sich selbst gleich. Das ungelöste Problem des Bündnisses mit dem Dorf maskierte sie mit der administrativen Kollektivierung. Durch die neue ökonomische Politik auf die Disproportionen gestoßen, beseitigte sie die neue ökonomische Politik. Die Methoden des Marktes ersetzte sie durch Ausdehnung ihrer Methoden des Zwanges.

Die feste Geldeinheit in Form des Tscherwonzen bildete die wichtigste Waffe der NEP. Als ihr vor den Erfolgen der Kollektivierung schwindelig wurde, entschied die Bürokratie, dass sie schon mit beiden Füßen auf dem Boden wirtschaftlicher Harmonie steht; dass die heutigen Erfolge automatisch die Zunahme weiterer Erfolge sichern, und dass der Tscherwonez nicht dazu dient, den planwirtschaftlichen Schwung zu zügeln, sondern dass er umgekehrt eine selbständige Quelle von Kapitalanlagen ist. An Stelle der Regulierung der materiellen Elemente und des wirtschaftlichen Prozesses fing die Bürokratie an, die Risse mit Hilfe der Notenpresse zuzustopfen. Mit anderen Worten, sie begab sich auf den Weg einer «optimistischen» Inflation.

Nach der verwaltungsmäßigen Erdrosselung der NEP verwandelten sich die berühmten «Sechs Bedingungen Stalins» – wirtschaftliches Rechnen, Akkordlohn usw. – in eine Anhäufung leerer Worte. Eine wirtschaftliche Berechnung ist ohne Marktverhältnisse undenkbar. Der Tscherwonez ist der Maßstab für die Smytschka. Welche Bedeutung haben für den Arbeiter einige Rubel im Monat mehr, wenn er gezwungen ist, fehlende Lebensmittel zu verzehnfachten Preisen auf dem Basar zu kaufen?

Die Wiederzulassung der Märkte war das Eingeständnis der voreiligen Aufhebung der NEP, aber ein durch die Erfahrung erpresstes, teilweises, unüberlegtes und widerspruchsvolles Eingeständnis. Den Basar als eine Form des «Sowjet»- (sozialistischen?) Handels, im Gegensatz zum Privathandel und zur Spekulation, zu bezeichnen, heißt, sich einer Selbstverblendung hinzugeben. Auch wenn er von einem als geschlossenes Ganzes, auftretenden Kollektivgut getrieben wird, stellt der Handel auf dem Basar eine Spekulation in Lebensmitteln auf die Bedürfnisse der nächsten Stadt dar und führt seinen Ergebnissen nach zur sozialen Differenzierung, das heißt zur Bereicherung einer Minderheit von besonders günstig gelegenen Kollektivgütern. Aber den ersten Platz im Handel nehmen nicht die Kollektivgüter als Ganzes, sondern, neben den Einzelbauern, die einzelnen Mitglieder der Kollektivgüter ein. Der Handel der einzelnen Mitglieder der Kollektivgüter, die ihre überflüssigen Vorräte zu Spekulationspreisen verkaufen, führt zur Differenzierung innerhalb der Kollektivgüter selbst. So entwickelt der Basar im «sozialistischen» Dorf zentrifugale Kräfte.

Indem die Bürokratie den Markt beseitigte und den asiatischen Basar wieder herstellte, schuf sie zu allem übrigen die Voraussetzung für den allerbarbarischsten Tanz der Preise, legte sie folglich eine Mine sowohl unter den Plan wie unter die kaufmännischen Berechnungen. Als Resultat ergab sich die Vertiefung des wirtschaftlichen Chaos.

Parallel damit ging die nicht erst seit gestern begonnene Verknöcherung der Gewerkschaftsverbände, der Sowjets und der Partei. Angesichts der Reibung zwischen Stadt und Dorf, der Forderungen der verschiedenen Teile der Bauernschaft und des Proletariats, griff die Bürokratie zu immer entschiedeneren Verboten jeglicher Forderungen und Proteste und jeder Kritik. Das einzige Recht, das sie schließlich den Arbeitern noch ließ, war das Recht, das den Betrieben gestellte Produktionsprogramm zu überschreiten. Jeder Versuch, von unten auf die wirtschaftliche Leitung einzuwirken, wurde sofort als rechte oder linke Abweichung, das heißt praktisch als kriminelles Vergehen hingestellt. Die bürokratische Oberschicht erklärte sich zugute Letzt auf dem Gebiet der sozialistischen Planwirtschaft als unfehlbar (ungeachtet dessen, dass ihre Mitarbeiter und Inspiratoren häufig üble Schädlinge gewesen waren). Auf diese Weise erwies sich die grundlegende Mechanik des sozialistischen Aufbaues, das biegsame und elastische System der sowjetistischen Demokratie, als beseitigt. Die Bürokratie hatte angesichts der wirtschaftlichen Wirklichkeit und ihrer Schwierigkeiten nur das verbogene und zerknitterte Drahtgerüst des Plans und ihren auch ziemlich mitgenommenen administrativen Willen zur Verfügung.

Die Krisis der Sowjetwirtschaft

Wenn das durch den ersten Fünfjahresplan beabsichtigte allgemeine wirtschaftliche Niveau anstatt in vier Jahren in sechs oder sieben erreicht worden wäre; wenn der Plan auch nur zu 50 % verwirklicht worden wäre, so würde das an und für sich noch keinen Anlass zur Sorge geben. Die Gefahr liegt nicht in der Verlangsamung des Wachstums, sondern in dem zunehmenden Missverhältnis der verschiedenen Gebiete der Wirtschaft. Auch wenn a priori alle Bestandteile des Plans in volle Übereinstimmung gebracht worden wären, würde die Herabsetzung des die durchschnittliche Zunahme ausdrückenden Koeffizienten um 50 % an sich große Schwierigkeiten zur Folge haben: an Stelle von zwei Millionen Paar Schuhen nur eine Million herzustellen, ist eines: eine Schuhfabrik nur zur Hälfte fertig zu bauen, das ist ein anderes. Aber die Wirklichkeit ist bei weitem verwickelter und widerspruchsvoller als unser angenommenes Beispiel. Die Disproportionen stammen noch aus der Vergangenheit. Die Programme des Plans enthalten unvermeidliche Mängel und. Rechenfehler. Die Nichterfüllung des Plans vollzieht sich unter dem Einfluss der in jedem einzelnen Falle vorliegenden besonderen Ursachen nicht gleichmäßig. Eine durchschnittliche Zunahme der Wirtschaft um 50% kann bedeuten, dass im Gebiet von A der Plan zu 90 % erfüllt ist, im Gebiet von B aber nur zu 10 %; wenn A von B abhängig ist, so kann im folgenden Produktionszyklus das Gebiet von A auf unter 10 % herabsinken.

Nicht darin liegt folglich das Unglück, dass sich die Unausführbarkeit des abenteuerhaften Tempos herausgestellt hat. Das Übel liegt darin, dass die Rekordrennen der Industrialisierung die verschiedenen Elemente des Plans in gefährliche Widersprüche zueinander gebracht haben. Das Übel liegt darin, dass die Wirtschaft ohne materielle Reserven und ohne Kalkulation arbeitet. Das Übel liegt darin, dass die sozialen und politischen Instrumente zur Bestimmung des Nutzeffekts des Plans zerschlagen oder verstümmelt sind. Das Übel liegt darin, dass die Anhäufung der Disproportionen die Gefahr immer größerer und größerer Überraschungen bedeutet. Das Übel liegt darin, dass die keiner Kontrolle unterworfene Bürokratie ihr Ansehen mit der Anhäufung weiterer Fehler verbunden hat. Das Übel liegt darin, dass sich eine Krise mit einer Reihe von solchen Folgen, wie die notgedrungene Schließung von Betrieben und die Arbeitslosigkeit, vorbereitet.

Der Unterschied des sozialistischen und des kapitalistischen Tempos der industriellen Entwicklung – auch im Vergleich mit dem früheren, progressiven Kapitalismus – ist in seiner Ausdehnung überraschend. Aber es wäre ein Fehler, das sowjetistische Tempo der letzten Jahre für endgültig zu halten. Der Durchschnitts-Koeffizient des kapitalistischen Wachstums wird nicht nur aus den Aufstiegen, sondern auch aus den Krisen entnommen. Anders steht es mit der Sowjetwirtschaft. Im Verlauf der letzten 8-9 Jahre erlebte sie eine Periode ununterbrochenen Wachstums. Ihre durchschnittlichen Indexzahlen auszuarbeiten, dazu ist sie noch nicht gekommen.

Man hält uns natürlich entgegen, dass wir die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus auf die sozialistische Wirtschaft übertragen; dass die planmäßige Wirtschaft nicht der Regulierung mittels Krisen oder auch nur mittels absichtlicher Verlangsamung des Tempos bedarf. Das Arsenal an Argumenten der Stalinschen Bürokratie und ihrer Theoretiker ist so arm, dass man immer voraussehen kann, zu welchem Gemeinplatz sie ihre Zuflucht nehmen. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine einfache Wortwiederholung. Weil wir in den Sozialismus eingetreten sind, so müssen wir «sozialistisch» handeln, das heißt, wir müssen die Wirtschaft nur auf dem Wege eines immer schnelleren planmäßigen Aufstiegs regulieren. Aber der Kern liegt ja gerade darin, dass wir nicht in den Sozialismus eingetreten sind. Die Methoden der planmäßigen Regulierung beherrschen wir noch lange nicht. Wir führen nur die erste rohe Hypothese aus, führen sie schlecht aus, noch dazu mit gelöschten Lichtern. Krisen sind bei uns nicht nur möglich, sondern unvermeidlich. Die kommende Krisis hat die Bürokratie schon vorbereitet.

Die Gesetzmäßigkeiten der Übergangsgesellschaft sind von den Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus sehr verschieden. Aber nicht weniger verschieden sind sie von den zukünftigen Gesetzmäßigkeiten des Sozialismus, das heißt der harmonischen, auf Grundlage eines geregelten und gesicherten dynamischen Gleichgewichts wachsenden Wirtschaft. Die produktiven Vorteile des Sozialismus – Zentralisation, Konzentration, Einheitlichkeit des leitenden Willens sind unermesslich. Aber bei falscher Anwendung, besonders aber bei bürokratischem Missbrauch, können sie sich in ihr Gegenteil verwandeln. Teilweise haben sie sich schon darin verwandelt, denn die Krisis ist dicht herangerückt. Die Augen vor ihr verschließen, heißt, der wirtschaftlichen Anarchie das Feld räumen. Zu versuchen, die Wirtschaft durch weiteres Aufpeitschen zu vergewaltigen, heißt, das Unheil zu vergrößern.

Welches Ausmaß die Krisis annehmen wird, ist unmöglich vorauszusagen. Diese Frage wird, zum Glück, bei uns nicht nur durch blinde Kräfte entschieden. Die Vorteile einer planmäßigen Wirtschaft bleiben auch unter einer Krise bestehen, ja, treten gerade bei einer solchen besonders krass in Erscheinung. Die kapitalistischen Staaten sind gezwungen, passiv zu warten, bis die Krisis sich auf dem Rücken des Volkes ausgelebt hat, oder aber zu finanziellen Kunststücken im Stile Papens zu greifen. Der Arbeiterstaat begegnet auch der Krise in voller Rüstung. Alle Kommandohebel – Budget, Kredit, Produktion, Handel – sind in einer Hand zusammengefasst. Die Krise kann man mildern und sodann auch überwinden nicht mit Kommandieren, sondern mit den Maßnahmen wirtschaftlicher Regulierung. Auf den abenteuerlichen Vormarsch hat ein möglichst durchdachter planmäßiger Rückzug zu folgen. Darin liegt die Aufgabe des kommenden Jahres, des sechzehnten Jahres der proletarischen Diktatur. II faut reculer, pour mieux sauter: Zurückgehen, um dann umso gewisser vorwärts zu gehen!

Die Sowjetwirtschaft in Gefahr

Die offizielle Presse veröffentlicht zurzeit von einer Nummer zur anderen eine ununterbrochene Anklage gegen die Arbeiter, Direktoren, Techniker, Wirtschaftler, die Angestellten der Kooperativen und gegen die Gewerkschaftler: alle tragen die Schuld an der Nichterfüllung der Pläne, Direktiven und der «Sechs Bedingungen». Aber wo liegen die Gründe dafür? Objektive Gründe gibt es keine. Das ganze Übel liegt im schlechten Willen der ausführenden Organe. So schreibt die «Prawda»: «Sind irgendwelche objektiven Gründe für diese Verschlechterung der Arbeit vorhanden? Nicht die geringsten» (2. Oktober). Die Leute wollen einfach nicht arbeiten, wie es sich gehört – und weiter nichts. Das Oktoberplenum des ZK hat eine «unbefriedigende Leitung an allen Gliedern» festgestellt. Mit Ausnahme natürlich desjenigen Gliedes, das ZK genannt wird.

Aber hat die schlechte Qualität der Arbeit etwa keine objektiven Ursachen? Auch für die Aneignung der verwickelten technologischen Prozesse, nicht nur für das Reifen des Weizens, braucht es seine bestimmte Zeit. Die psychologischen Prozesse, das ist richtig, sind eher zu beeinflussen, wie die vegetativen, aber auch bei jenen hat die Beeinflussungsmöglichkeit ihre Grenzen. Man kann sie nicht überspringen. Und außerdem, – und das ist nicht weniger wichtig –, kann man nicht ein Maximum an Intensität fordern bei einem Minimum an Ernährung.

Die Resolution des Oktoberplenums klagt die Arbeiter und Verwaltungsbeamten an, dass sie es nicht verstanden hätten, ihre höchsten Erfolge «fest zu behaupten» und von ihnen wieder abwärts gleiten. Mit einer einmaligen Anstrengung kann ein Mensch eine seine «durchschnittliche» Kraft weit übersteigende Last heben. Aber lange vermag er ein solches Gewicht nicht über seinem Kopfe zu halten. Es ist sinnlos, ihn anzuklagen, dass er seine Anstrengung nicht «behauptete».

Die Sowjetwirtschaft ist in Gefahr! Es ist nicht schwer, ihre Krankheit festzustellen. Sie entspringt aus der Natur der Erfolge selbst. Infolge der übermäßigen und schlecht berechneten Anspannung zeigen sich in der Wirtschaft Risse. Man muss sie behandeln: aufmerksam und ausdauernd. Rakowski warnte schon im Jahre 1930: «Wir treten in eine ganze Epoche ein, die im Zeichen der Bezahlung für alles Frühere stehen wird».

Der zweite Fünfjahresplan

Der zweite Fünfjahresplan wurde nach den Maßstäben des Gigantismus»** aufgestellt. Es ist schwierig, richtiger unmöglich, «nach dem Augenmaß» zu beurteilen, in welchem Maß die Indexzahlen des zweiten Fünfjahresplans übertrieben sind. Aber jetzt handelt es sich nicht um die Bilanz des zweiten Fünfjahresplans, sondern um die Ausgangspositionen desselben, darum, wie er mit dem ersten Fünfjahresplan zusammengefügt wird. Das erste Jahr des zweiten Fünfjahresplans ist mit dem schweren Erbteil aus dem letzten Jahre des ersten Fünfjahresplans belastet.

Der zweite Plan stellt, der Absicht nach, eine spiralartige Fortsetzung des ersten Plans dar. Aber der erste Plan ist nicht erfüllt. Der zweite Plan hängt von Anfang an in der Luft. Wenn man den Dingen ihren Lauf lässt, so wird der zweite Fünfjahresplan damit beginnen, dass unter der administrativen Knute die Löcher des ersten gestopft werden. Das wird eine Vertiefung der Krise bedeuten. Auf diese Weise kann es zur Katastrophe kommen.

Es gibt nur einen Ausweg: Man muss den Beginn des zweiten Fünfjahresplans um ein Jahr verschieben. Das Jahr 1933 muss als Puffer zwischen dem ersten und dem zweiten Fünfjahresplan dienen. Im Laufe dieser Zeit muss auf der einen Seite der Nachlass aus dem ersten Fünfjahresplan überprüft, die klaffendsten Lücken ausgefüllt, die unerträglichen Disproportionen gemildert, die Wirtschaftsfront ausgeglichen werden, von der anderen Seite aber muss der zweite Fünfjahresplan derartig umgestellt werden, dass er in seinen Ausgangspositionen sich eng an die wirklichen, nicht aber nur eingebildeten Resultate, des ersten Fünfjahresplans anschließt.

Bedeutet das nicht, die Frist für die Erfüllung des ersten Plans einfach um noch ein Jahr zu verlängern? Nein, leider steht es nicht so. Die materiellen Nachwirkungen des vierjährigen Rennens sind mit der Feder nicht aus der Welt zu schaffen. Es bedarf einer Überprüfung, Regulierung, Kundmachung der wirklich erzielten Koeffizienten des Wachstums der Produktion. Der jetzige Zustand der Wirtschaft schließt überhaupt die Möglichkeit einer planmäßigen Arbeit aus. Das Jahr 1933 kann weder ein Zusatzjahr für den ersten Fünfjahresplan, noch das erste Jahr des Zweiten sein. Es muss eine besondere Stelle zwischen beiden einnehmen, um die Milderung der Nachwirkungen des wirtschaftlichen Abenteurertums und die Vorbereitung der materiellen und moralischen Voraussetzung eines planmäßigen Aufstiegs zu gewährleisten.

Die linke Opposition hat seinerzeit zuerst die Inangriffnahme eines Fünfjahresplans gefordert. Jetzt muss sie sagen: Der zweite Fünfjahresplan muss verschoben werden. Schluss mit der schreihälsigen Hasardspielerei! Fort mit der Agiotage! Eine planmäßige Arbeit kann nicht mit ihnen in Einklang gebracht werden. Rückzug? ja, zeitweiliger Rückzug. Aber das Prestige der unfehlbaren Führung? Das Schicksal der proletarischen Diktatur ist wichtiger als alles aufgeblasene Prestige.

Das Jahr der allgemeinen Wiederherstellung

Die aus dem Gleichgewicht geworfene Sowjetwirtschaft bedarf einer gründlichen Wiederherstellung. Unter dem Kapitalismus wird das gestörte Gleichgewicht durch die blinde Gewalt der Krise wiederhergestellt. In der sozialistischen Republik ist auch eine bewusste und vernünftige Heilung möglich.

Es ist selbstverständlich unmöglich, die Produktion einzustellen, so wie sie während einer Ausbesserung in einem Werk oder in einer Fabrik eingestellt wird. Aber dessen bedarf es auch nicht. Es genügt, das Tempo zu mäßigen. Die laufende produktive Arbeit im Jahre 1933 kann nicht ohne Plan geführt werden, aber das muss ein Einjahresplan sein, der sich auf Programme aufbaut, die in Bezug auf die Quantität herabgesetzt sind.

An erste Stelle müssen die qualitativen Errungenschaften gestellt werden. Unzeitgemäße Bauaufgaben sind zu liquidieren; die Mittel und Kräfte sind auf Bauaufgaben erster Ordnung zu konzentrieren; das Verhältnis zwischen den verschiedenen Gebieten der Industrie ist auf Grund der Erfahrung ins Gleichgewicht zu bringen; die Fabriken sind in Ordnung zu bringen; die Einrichtungen sind auszubessern.

Nicht hetzen, nicht zerren, keine Rekorde aufstellen; in jedem Unternehmen die Produktion ihrem technologischen Rhythmus unterordnen. Was zu früh das Laboratorium verließ, wieder ins Laboratorium zurückschicken. Fertigstellen, was nicht fertig gestellt ist. Die Wechselbeziehungen zwischen den Abteilungen der Fabriken in Einklang bringen. Was verbogen ist, gerade machen. Was verdorben ist, ausbessern. Die Fabrik auf den Übergang zu einer höheren Stufe vorbereiten. Die mengenmäßigen Aufgaben müssen einen biegsamen und bedingten Charakter haben, damit sie nicht die qualitativen Erfolge verhindern.

Das Jahr 1933 muss über die Fluktuation der Arbeiter siegen, indem es die Bedingungen der letzteren verbessert: Hiermit ist zu beginnen, denn hierin liegt der Schlüssel zu allem übrigen. Den Arbeitern und ihren Familien ist Nahrung, Wohnung und Kleidung zu garantieren. Um jeden Preis!

Die Verwaltung und die proletarischen Kerntruppen in den Fabriken sind von den zusätzlichen Lasten, wie Anbau von Kartoffeln, Kaninchenzucht usw. zu befreien. Die Frage der Ernährungsbasis der Betriebe ist als selbständige Aufgabe, nicht als Behelfsmaßnahme zu regeln.

In die Frage der Herstellung von Gegenständen des Massenbedarfs ist Ordnung zu bringen. Die Waren müssen den menschlichen Bedürfnissen, nicht den Rohstoffabfällen der Schwerindustrie angepasst sein.

Mit eiserner Hand ist der Prozess der Inflation aufzuhalten und die feste Geldeinheit wieder herzustellen. Diese schwierige und schmerzhafte Operation ist nicht zu verwirklichen ohne mutige Einschränkung der Investierung von Kapital; ohne viele Hunderte von Millionen, die unzweckmäßig oder unzeitig in neue Bauten gesteckt worden sind, zu opfern, damit Milliardenverluste in der Zukunft verhütet werden.

Der zeitweilige Rückzug ist notwendig in der Industrie sowohl wie auch in der Landwirtschaft. Die letzte Linie für den Rückzug ist im Voraus nicht zu bestimmen. Nur durch die Erfahrung im Verlaufe der allgemeinen wirtschaftlichen Wiederherstellung wird sie sich zeigen.

Die leitenden Organe müssen kontrollieren, helfen, alles Lebensfähige auswählen, aber nicht das Unternehmen zu Tode hetzen, wie es jetzt geschieht. Die Wirtschaft und die Menschen müssen sich von der administrativen Vergewaltigung und Abenteuerei erholen.

Viele Wirtschaftler kommen, wie aus den Zeitungen ersichtlich ist, zu dem Schluss, dass das Jahr 1933 sich irgendwie vom vergangenen Jahre unterscheiden muss. Aber sie führen ihre Gedanken nicht zu Ende, um nicht unter das Fallbeil zu geraten.

In Bezug auf das Transportwesen schreibt die «Ekonomitscheskaja schisn»: «Eine der wichtigsten Aufgaben des Jahres 1933 muss die der vollständigen und endgültigen Liquidierung aller und jeglicher Zänkereien, Unfertigkeiten und Disproportionen in der Arbeit der einzelnen Bestandteile des Transportmechanismus sein». Ausgezeichnet gesagt! Diese Formel muss man ganz und gar akzeptieren, indem man sie auf die ganze Wirtschaft insgesamt überträgt.

«Man muss entschieden», schreibt die «Prawda» mit Bezug auf die Traktorenfabrik in Stalingrad, «auf die zu Beschädigungen führenden Methoden der Arbeit verzichten, mit der Fieberhaftigkeit am laufenden Band ein Ende machen, um die planmäßige Ablieferung der Produktion zu sichern.» Vollkommen richtig! Die Planwirtschaft, im Ganzen genommen, stellt ihrem Typ nach einen Convoyer im staatlichen Maßstabe dar. Die Methode des Zustopfens der Löcher ist mit einer planmäßigen Arbeit nicht zu vereinbaren. Das Jahr 1933 muss «mit der Fieberhaftigkeit am laufenden Band ein Ende machen» oder zum mindesten die Temperatur erheblich herabsetzen.

Auf dem Gebiete der Landwirtschaft hat das Manifest der Sowjetregierung selbst die «Schwenkung» von der Quantität zur Qualität angekündigt. Das ist richtig, aber man muss die Frage in weiterem Umfange stellen. Es handelt sich nicht nur um die Qualität der Landbearbeitung, sondern auch um die ganze Politik und Praxis in Bezug auf die Kollektiv- und Staatsgüter. Die Schwenkung von der Quantität auf die Qualität muss auch auf die Arbeit der Regierung selbst ausgedehnt werden.

Der Rückzug ist vor allem auf dem Gebiet der Kollektivierung unvermeidlich. Hier mehr als irgendwo erscheint die Regierung als Gefangener ihrer eigenen Irrtümer. Indem sie fortfährt, nach außen hin unumschränkterweise zu kommandieren und mit der Unterschrift von Molotow und Stalin die genaue Zahl der Desjatinen für die Aussaat der Getreidefrüchte vorschreibt, überlässt sich die Bürokratie im Wesentlichen schon der Strömung.

Unterdessen zeigt sich im Dorf eine neue Schicht von sogenannten «Auswanderern», früheren Mitgliedern der Kollektivgüter. Ihre Zahl wächst. Die Bauern, die die Ernte berauben, das Saatgetreide vertrödeln und es dann vom Staat anfordern, mit Gewalt in den Kollektivgütern zurückzuhalten – ist die reinste Verrücktheit. Kein geringeres Verbrechen jedoch ist es, dem Prozess des Verfalls seinen Lauf zu lassen. Die Tendenz, unter die Kollektivbewegung ein Kreuz zu machen, erhebt ihr Haupt jetzt anscheinend auch in den Reihen der Partei. Dies zuzulassen, heißt, mit dem Bade auch das Kind auszuschütten.

Das Jahr 1933 muss dazu dienen, die kollektive Landwirtschaft in Übereinstimmung mit den technischen, wirtschaftlichen und kulturellen Hilfsquellen zu bringen. Das heißt: Auswahl der lebensfähigsten Kollektiven, ihre Umformung auf Grund der Erfahrung und der Wünsche der Haupt-Bauernmasse, vor allem der armen Bauern. Gleichzeitig – Ausarbeitung von solchen Bedingungen für den Austritt aus den Kollektivgütern, durch die die Erschütterungen für die Landwirtschaft auf das geringste Maß beschränkt werden, gar nicht zu reden vom der direkten Gefahr des Bürgerkriegs.

Die Politik der mechanischen «Liquidierung des Kulaken» ist faktisch schon aufgegeben. Man muss offiziell unter sie ein Kreuz machen. Gleichzeitig muss man die Politik strenger Beschränkungen der ausbeuterischen Tendenzen des Kulaken wieder einführen. Zu diesem Zweck sind die unteren Schichten des Dorfes in einen Bund der armen Bauern zusammenzuschließen.

Auch im Jahre 1933 wird der Bauer das Land pflügen, die Textilarbeiter Baumwollstoffe herstellen, die Hochöfen Metalle liefern, die Eisenbahnen die Menschen und die Arbeitsprodukte befördern. Aber das oberste Kriterium für dieses Jahr wird nicht darin bestehen, ob möglichst viel und möglichst schnell produziert wird, sondern darin, dass Ordnung in die Wirtschaft gebracht wird: dass das ganze Inventar einer Durchsicht unterzogen, das Gesunde vom Kranken, das Brauchbare vom Unbrauchbaren geschieden wird, Schutt und Schmutz beiseite geräumt wild, dass die fehlenden Wohnungen und Speiseanstalten gebaut, die Dächer eingedeckt werden, Kanalisation gelegt wird. Denn um gut zu arbeiten, müssen die Menschen vor allem menschlich leben, ihre menschlichen Bedürfnisse befriedigen können.

Ein besonderes Jahr der allgemeinen Wiederherstellung einzuführen – diese Maßnahme entscheidet an und für sich natürlich nichts. Ihren großen Sinn kann sie erhalten nur bei Veränderungen der Stellungnahme zur Wirtschaft und vor allem gegenüber ihren Trägern, den Arbeitern und Bauern. Stellungnahme zur Wirtschaft ist Politik. Die Waffe der Politik ist die Partei.

Die Aufgabe aller Aufgaben ist – die Wiedererweckung der Partei. Auch hier ist eine Bestandaufnahme der schweren Nachwirkungen der nachleninschen Periode notwendig, eine Trennung des Gesunden vom Kranken, des Brauchbaren vom Unbrauchbaren, eine Reinigung von Schutt und Schmutz, eine Durchlüftung und Desinfektion aller Winkel der Bürokratie. Nach der Partei folgen die Sowjets und die Gewerkschaften. Die allgemeine Wiederherstellung aller Sowjetorganisationen bildet die allerwichtigste und: unaufschiebbarste Aufgabe des Jahres 1933.

Prinkipo, den 22. Oktober 1932.

L. Trotzki

* Im Jahre 1929 prophezeite Preobraschenski zur Rechtfertigung seiner Kapitulation, dass die Partei mit Hilfe der Sowjet- und Kollektivgüter im Laufe von zwei Jahren den Kulaken auf die Knie zwingen werde. Seitdem sind vier Jahre vergangen. Und nun? Wenn nicht der Kulak – er ist «erledigt» –, so hat der kräftige Mittelbauer den Sowjethandel auf die Knie und dabei zur Übervorteilung der Arbeiter gezwungen. Wie wir sehen, hat sich auf jeden Fall Preobraschenski selbst über Gebühr beeilt, vor der Stalinschen Bürokratie auf die Knie zu sinken.

** Die Feindseligkeit, der direkte Hass gegen den «Gigantismus» nimmt in Sowjetkreisen rasch zu, als die natürliche und unvermeidliche Reaktion gegen das Abenteurertum der verflossenen Periode. Überflüssig jedoch, auseinanderzusetzen, wie sehr diese, dem kleinbürgerlichen Krumensammler behagende Reaktion im Weiteren dem sozialistischen Aufbau gefährlich werden kann.

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