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Leo Trotzki 19321003 Strategie der Tat und nicht der Spekulation

Leo Trotzki: Strategie der Tat und nicht der Spekulation

(Brief an die Pekinger Freunde)

[Nach Permanente Revolution, 2. Jahrgang Nr. 29 (4. Novemberwoche 1932), S. 3 f.]

Welches sind zurzeit die hauptsächlichsten Faktoren der politischen Lage in China? Zwei wichtigste revolutionäre Probleme, das National- und das Agrarproblem, erhielten eine neue Verschärfung. Der sich hinziehende, schleichende, aber im allgemeinen erfolgreiche Charakter des Bauernkrieges zeugt davon, dass sich die Diktatur der Kuomintang als unfähig erwies, sowohl das Dorf zu befriedigen, wie auch einzuschüchtern. Die japanische Intervention in Schanghai und die tatsächliche Annexion der Mandschurei enthüllten die militärische Unfähigkeit der Diktatur der Kuomintang. Die Krisis der Macht, die im wesentlichen diese ganzen Jahre hindurch nicht von der Szene verschwand, musste sich unvermeidlich zuspitzen. Der Kampf der Militärcliquen zerstört die Reste der Einheit des Landes.

Wenn der Bauernkrieg jene Elemente der Intelligenz, die mit dem Dorf verbunden sind, radikalisierte, so gab die japanische Intervention dem Kleinbürgertum der Städte einen Anstoß. Dadurch wurde die Krise der Macht noch mehr verschärft. Auch ein Teil der sogenannten «nationalen» Bourgeoisie fing an, der Schlussfolgerung zuzuneigen, dass das Kegime der Kuomintang viel verschlingt, aber wenig gibt. Die Forderung, mit der «erzieherischen» Periode der Kuomintang ein Ende zu machen, bedeutet die Forderung des Übergangs von der militärischen Diktatur zum Parlamentarismus.

In der Presse der Linken Opposition wurde das Regime Tschiang Kai-scheks gelegentlich als faschistisch bezeichnet. Diese Feststellung erwuchs daraus, dass in China wie in Italien die militärisch-polizeiliche Macht in den Händen einer bürgerlichen Partei konzentriert ist unter Ausschluss aller übrigen Parteien, und besonders – der Arbeiterorganisationen. Nach der Erfahrung der letzten Jahre, die durch die Verworrenheit, welche die Stalinisten in die Frage des Faschismus brachten, kompliziert wurde, wird es jedoch kaum richtig sein, die Diktatur der Kuomintang mit dem Faschismus zu identifizieren. Hitler, wie seinerzeit Mussolini, stützt sich vor allem auf das konterrevolutionäre Kleinbürgertum: Hierin liegt das Wesen des Faschismus. Die Kuomintang hat diese Grundlage nicht. Während in Deutschland das Bauerntum hinter Hitler steht und damit indirekt auch Papen unterstützt, führt in China die Bauernschaft einen verzweifelten Krieg gegen Tschiang Kai-Schek.

Im Regime der Kuomintang sind mehr Züge des Bonapartismus als des Faschismus enthalten. Ohne irgendeine breite soziale Basis zu haben, hält sich die Kuomintang zwischen dem Druck des Imperialismus und der einheimischen Agentur der ausländischen Kapitalisten (den Kompradoren) auf der einen Seite und der revolutionären Massenbewegung auf der anderen. Aber der Bonapartismus kann nur dann eine Dauerhaftigkeit beanspruchen, wenn der Landhunger der Bauern befriedigt ist. Davon ist in China auch nicht eine Spur vorhanden. Hiervon rührt die Ohnmacht der Militärdiktatur her, welche sich nur durch die Zersplitterung ihrer Feinde hält. Aber unter ihrem wachsenden Druck beginnt sie sich selbst zu zersplittern.

Das Proletariat hat in der Revolution 1925/27 am meisten gelitten. Sowohl moralisch, wie physisch. Dadurch erklärt sich, warum die Arbeiter jetzt gegen andere Klassen zurückstehen und zwar nicht nur gegenüber dem städtischen Kleinbürgertum, angefangen bei der Studentenschaft, sondern in gewissem Sinne auch gegenüber der Bauernschaft. Auf der anderen Seite ist es vollständig klar, dass die 3. chinesische Revolution nicht nur nicht siegen, sondern auch nicht früher eintreten wird, als die Arbeiterklasse aufs neue die Arena des Kampfes betritt.

Dem vorrevolutionären politischen Zustand Chinas entsprechen besser als alle anderen die Losungen der revolutionären Demokratie.

Dass die Bauern, welches auch ihre Fahnen sein mögen, im Namen der Aufgaben der kleinbürgerlichen Agrardemokratie kämpfen, bedarf für einen Marxisten keiner Beweisführung. Die Losung der Unabhängigkeit Chinas, aufs Neue durch die japanische Intervention bis zur Weißglut erhitzt, ist die Losung der nationalen Demokratie. Die Ohnmacht der militärischen Diktatur und der Zerfall des Landes zwischen den militaristischen Cliquen stellt auf die Tagesordnung die Losungen der politischen Demokratie. Die Studenten rufen: «Nieder mit der Regierung der Kuomintang!» Die vordersten Arbeitergruppen unterstützen diesen Ruf. Die «nationale» Bourgeoisie fordert den Übergang zum konstitutionellen Regime. Die Bauern erheben sich gegen den Landmangel, gegen das Joch des Militarismus und Beamtenwesens, gegen das Wuchertum. Unter diesen Bedingungen kann eine proletarische Partei keine andere politische Losung aufstellen, als die nationale (konstituierende) Versammlung.

Bedeutet das, – fragt ihr, – dass wir den Zusammentritt der Nationalversammlung von der jetzigen Regierung fordern? Oder schicken wir uns an, sie selbst einzuberufen? Eine solche Fragestellung ist – mindestens m gegebenen Stadium – reichlich formalistisch. Im Lauf einer Reihe von Jahren verband die russische Revolution zwei Losungen: «Nieder mit der Selbstherrschaft» und «Es lebe die konstituierende Versammlung». Auf die Frage, wer die konstituierende Versammlung einberufen werde, haben wir lange geantwortet: Das wird die Zukunft zeigen, d. h. das Verhältnis der Kräfte, welches sich im Prozesse der Revolution selbst ergeben wird. Die gleiche Taktik bleibt auch für China richtig. Ob die Regierung der Kuomintang vor ihrem Untergang den Versuch macht, diese oder jene repräsentative Versammlung einzuberufen, wie wir uns zu diesem Versuch verhalten, d. h. wie wir ihn für die Interessen der Revolution ausnützen, – auf dem Weg des Boykotts oder der Teilnahme an den Wahlen –; ob die revolutionären Massen es erreichen und ob sie imstande sind, ein selbständiges Regierungsorgan aufzustellen, welches die Einberufung der Nationalversammlung in seine Hände nimmt; ob das Proletariat schon im Prozess des Kampfes um die Losungen der Demokratie seine Sowjets zu schaffen vermag; ob diese Sowjets die Einberufung einer Nationalversammlung nicht selbst überflüssig machen, – alles das jetzt vorauszusagen ist unmöglich. Und die Aufgabe besteht auch nicht in kalendermäßigen Voraussagen, sondern in der Mobilmachung der Arbeiter für die Losungen, welche aus der politischen Lage entspringen. Unsere Strategie ist eine Strategie der revolutionären Tat, aber nicht der abstrakten Spekulationen.

Die revolutionäre Agitation ist jetzt durch die Logik der Tatsachen vor allem gegen die Kuomintang-Regierung gerichtet. Wir erklären den Massen, dass die Diktatur Tschiang Kai-Scheks das Haupthindernis auf dem Weg zur Nationalversammlung ist, und dass man China nur auf dem Wege des bewaffneten Aufstandes von den imperialistischen Cliquen reinigen kann. Mündliche und schriftliche Agitation, Streiks, Meetings, Demonstrationen, Boykotts, welchen konkreten Fragen sie auch gelten mögen, müssen durch die Losungen gekrönt sein: «Nieder mit der Kuomintang! Es lebe die Nationalversammlung!»

Um eine wirklich nationale Befreiung zu erreichen, muss man die Kuomintang stürzen. Das bedeutet aber nicht, dass wir den Kampf mit dem Imperialismus bis zur Beseitigung der Kuomintang hinausschieben werden. Je mehr sich der Kampf gegen die ausländische Unterdrückung ausbreitet, um so schwieriger wird die Lage der Kuomintang werden. Je erfolgreicher wir die Massen gegen die Kuomintang führen werden, um so mehr wird sich der Kampf gegen den Kapitalismus entwickeln.

In einem zugespitzten Moment der japanischen Intervention forderten die Arbeiter und Studenten Waffen. Von wem? Wiederum, von der Kuomintang. Es wäre eine sektiererische Abgeschmacktheit, auf eine solche Forderung aus dem Grund zu verzichten, weil wir die Kuomintang stürzen wollen. Wir wünschen sie zu stürzen, aber haben sie noch nicht gestürzt. Um so energischer wir die Bewaffnung der Arbeiter fordern, um so schneller werden wir die Kuomintang stürzen.

Die offizielle Kommunistische Partei, ungeachtet ihres ganzen Ultraradikalismus, erhebt die Forderung: «Wiederherstellung der russisch-chinesischen diplomatischen Beziehungen»; dabei richtet sich diese Losung unmittelbar an die Adresse der Kuomintang-Regierung. Die Aufstellung einer solchen Forderung bedeutet durchaus nicht die «Vertrauenserklärung» an die Kuomintang, umgekehrt hat sie das Ziel, ihre Lage vor den Massen noch mehr zu erschweren. Einzelne Führer der Kuomintang zeigten sich schon gezwungen, die Losung der Wiederherstellung der Beziehungen mit der USSR zu wiederholen. Wir wissen, wie weit es bei diesen Herren von den Worten zur Tat ist. Aber auch hier, wie in allen anderen Fragen, kommt es vor allem auf die Kraft des Einflusses der Massen an. Wenn die Regierung der Kuomintang unter der Peitsche der Revolution ihre Zuflucht zu teilweisen Zugeständnissen in der Agrarfrage nimmt, wenn sie versucht, etwas wie eine Nationalversammlung einzuberufen, wenn sie sich gezwungen zeigt, den Arbeitern Waffen zu geben, oder die Beziehungen mit der USSR wieder aufzunehmen, so versteht sich, dass wir diese Zugeständnisse sofort ausnützen, uns fest auf sie stellen und zu gleicher Zeit mit vollem Recht ihre Unzulänglichkeit nachweisen, um die Zugeständnisse der Kuomintang in eine Waffe zu ihrem Sturz umzuwandeln. Derart ist überhaupt das gegenseitige Verhältnis von Reformen und Revolutionen in der Politik des Marxismus.

Bedeutet das Ausmaß des Bauernkrieges aber nicht, dass für Losungen und Aufgaben der parlamentarischen Demokratie in China weder Zeit noch Raum mehr übrigbleibt? Wenden wir uns aufs Neue dieser Frage zu.

Wenn die chinesischen revolutionären Bauern ihre Kampforganisationen jetzt «Sowjets» nennen, so haben wir keinen Grund, von dieser Benennung abzurücken. Nur darf man sich nicht selbst an Worten berauschen. Zu glauben, dass eine Sowjetmacht in rein bäuerlichen Bezirken eine folgerichtig revolutionäre und dauerhafte sein könnte, wäre die größte Leichtfertigkeit. Es ist unmöglich, die Erfahrung des einzelnen Landes zu übergehen, in dem die Sowjetmacht wirklich gesiegt hat. Ungeachtet dessen, dass in Petrograd, Moskau und anderen Industriezentren und Gebieten Russlands die Sowjetmacht sich seit dem November 1917 fest und ununterbrochen gehalten hatte, ist entlang der ganzen ungeheuren Peripherie (Ukraine, Nordkaukasus, Kaukasus, Ural, Sibirien, Zentralasien, Archangelsk-Murmansk) die Sowjetmacht mehrmals entstanden und gefallen, nicht nur als Folge der Intervention, sondern auch infolge der inneren Aufstände. Die chinesische Sowjetmacht hat einen rein bäuerlichen, rein peripheriemäßigen Charakter. Sie entbehrt noch vollkommen einer industriell-proletarischen Festigung. Je unbeständiger und je weniger aussichtsreich sie ist, um so weniger ist sie eine – Sowjetmacht.

In dem Artikel Ko-Lins. in der deutschen Zeitschritt «Der Rote Aufbau», wird mitgeteilt, dass angeblich in den roten Armeen die Arbeiter 36%, die Bauern 57%, die Intelligenz 7% stellen. Ich bekenne, dass diese Ziffern mir einen starken Zweifel einflößen. Wenn sich die Prozente auf alle bewaffneten Kräfte des Aufstands beziehen, die nach den Worten des Autors 350.000 Mann umfassen, so ergibt sich, dass es in der Armee ungefähr 125.000 Arbeiter gibt. Wenn man die 36 % nur auf die roten Armeen im eigentlichen Sinn bezieht, so kommen auf 150.000 rote Soldaten mehr als 50.000 Arbeiter. Ist es so? Und weiter: Was sind das für Arbeiter? Waren sie früher in den Gewerkschaftsverbänden, in der Partei, nahmen sie am revolutionären Kampf teil? Und auch damit ist die Sache noch nicht entschieden. Bei dem Mangel starker selbständiger proletarischer Organisationen in den Industriezentren vermischen sich die revolutionären Arbeiter, ohne Erfahrung oder mit nur geringer Erfahrung, unvermeidlich in ihrer Mehrheit mit der bäuerlichen und kleinbürgerlichen Umgebung.

Der Anfang dieses Jahres in der Kominternpresse erschienene Artikel Van Mings übertreibt, soweit ich urteilen kann, außerordentlich die Ausmaße der städtischen Bewegung, den Grad der Selbständigkeit der Arbeiter in dieser Bewegung und den Grad des Einflusses der Kommunistischen Partei. Das Unglück der jetzigen offiziellen Presse besteht darin, dass sie erbarmungslos die Tatsachen fraktioneller Interessen wegen entstellt. Nichtsdestoweniger ist auch aus dem Artikel Van Mings unschwer zu ersehen, dass der führende Platz in der Bewegung, die im Herbst vergangenen Jahres begann, der Studentenschaft und den Studierenden im allgemeinen zukam. Die Streiks an den Universitäten spielten eine bedeutend sichtbarere Rolle als die Streiks in den Betrieben.

Die Arbeiter aufzurütteln, sie zusammenzuschweißen, ihnen die Möglichkeit zu geben, sich auf die nationale und auf die Agrarbewegung zu stützen, um die eine wie die andere zu führen: darin besteht die Aufgabe. Die unmittelbaren Forderungen des Proletariats als solchem (Arbeitstag, Arbeitslohn, Koalitionsfreiheit usw.) müssen die Grundlage unserer Agitation bilden. Aber das allein ist ungenügend. Um das Proletariat zur Rolle des Führers der Nation zu erheben, braucht es jetzt 3 Losungen: Die Unabhängigkeit Chinas, das Land den Bauern (der Dorfarmut), die Nationalversammlung.

Die Stalinisten glauben, dass, wenn nur die aufständischen Bauern ihre Organisationen Sowjets nennen, dies bedeutet, dass das Stadium des revolutionären Parlamentarismus schon hinter uns liegt. Das ist ein gro0er Irrtum. Die aufständische Bauernschaft kann als Stütze für die proletarischen Räte nur in dem Fall dienen, wenn das Proletariat der Bauernschaft seine Fähigkeit zur Leitung in der Tat beweist. Aber ohne Leitung durch das Proletariat kann die bäuerliche Bewegung nur das Übergewicht einer bürgerlichen Clique über die andere sichern, um sich nachher in seine provinziellen Teile zu zerstreuen. Die Nationalversammlung, dank ihrer zentralisierenden Bedeutung, würde eine wichtige Etappe in der Entwicklung der Agrarrevolution darstellen. Das Vorhandensein bäuerlicher «Sowjets» und «Roter Armeen» würde dabei der Bauernschaft helfen, seine revolutionären Vertreter zu wählen. Nur auf diesem Weg kann man im gegebenen Moment die Bauernbewegung mit der nationalen und proletarischen politisch verbinden.

Die offizielle chinesische Kommunistische Partei stellt als ihre «Haupt- und Zentrallosung» im gegenwärtigen Moment die Lösung des national-revolutionären Krieges gegen den japanischen Imperialismus auf, (siehe den Artikel Van Mings in der Zeitschrift «Die Kommunistische Internationale» 1932, Nr. 1). Das ist eine einseitige und selbst abenteuerliche Darstellung der Frage. Der Kampf gegen den Imperialismus, der eine äußerst wichtige Aufgabe des chinesischen Proletariats ist, kann ohne Zweifel nicht anders zu Ende geführt werden, als auf dem Weg des Aufstandes und des revolutionären Krieges. Aber daraus ist durchaus nicht zu folgern, dass der Krieg gegen den japanischen Imperialismus die zentrale Losung des gegenwärtigen Moments darstellt. Die Frage muss unter internationalem Gesichtswinkel entschieden werden.

Zu Beginn dieses Jahres galt es in den Kreisen der Komintern als feststehend, dass Japan seine militärische Aktion gegen China begonnen hatte, um die Sache unmittelbar zum Krieg mit der Sowjetunion zu führen. Ich schrieb damals, dass die Regierung in Tokio vollständig den Kopf hätte verlieren müssen, um den Krieg mit der Sowjetunion früher zu riskieren, als bis sie, wenn auch noch so wenig, das mandschurische Aufmarschgebiet für sich gesichert hätte. Als Antwort auf diese Bewertung der Lage erklärten die amerikanischen Stalinisten, die gröblichsten und dümmsten von allen, dass ich im Interesse des japanischen Staates arbeite… Was haben jedoch die Ereignisse der letzten Monate bewiesen? Die Furcht der Regierungskreise Japans vor den Folgen eines militärischen Abenteuers erwies sich als so groß, dass die Militärclique eine gewisse Anzahl japanischer Staatsmänner zu ihren Vätern versammeln musste, um die Regierung des Mikado zu veranlassen, die Annexion der Mandschurei zu Ende zu führen. Dass der Krieg gegen Sowjetrussland auch jetzt eine überaus reale Perspektive bleibt, das ist völlig unbestreitbar; aber in der Politik hat eine große Bedeutung die Zeit.

Wenn die Sowjetregierung damit rechnen würde, dass der Krieg mit Japan schon jetzt unvermeidlich ist, so hätte sie kein Recht und keine Möglichkeit, eine friedliche Politik, die eine Vogel-Strauß-Politik wäre, zu treiben. In Wirklichkeit schloss die Sowjetregierung im Verlaufe dieses Jahres mit Japan eine Konvention über den Fischfang und eine Vereinbarung über die Lieferung von russischem Petroleum für die japanische Kriegsflotte ab. Wenn der Krieg jetzt schon unvermeidlich ist, so ist die Lieferung von Petroleum an die Japaner ein direkter Verrat gegenüber der proletarischen Revolution. Wir treten hier nicht in die Untersuchung der Frage darüber ein, wie weit diese oder jene Erklärungen und praktischen Schritte der Sowjetregierung richtig sind. Klar ist eines: Im größten Gegensatz zu den hitzigen amerikanischen Stalinisten, nahmen die Moskauer Stalinisten den Kurs auf den Frieden mit Japan, und nicht auf den Krieg.

Die «Prawda» vom 24. September schreibt: «Die internationale Bourgeoisie erwartete mit größter Ungeduld den japanisch-russischen Krieg. ... Aber die strikte Nichteinmischung der UdSSR in den japanisch-chinesischen Konflikt und die feste Friedenspolitik haben dem Konflikt vorgebeugt». Wenn die Position der amerikanischen und sonstigen Schreihälse irgendeinen praktischen Sinn hatte, so nur den einen: Sie drängten die Sowjetmacht auf den gleichen Weg, wie es die internationale Bourgeoisie tat. Wir wollen damit durchaus nicht sagen, dass sie den japanischen Staat bewusst unterstützten. Genug damit, dass sie unfähig sind, bewusst der proletarischen Revolution zu dienen.

Das chinesische Proletariat schreibt auf seine Fahne nicht nur die Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion, sondern auch den Abschluss des engsten Angriffs- und Abwehrbündnisses mit ihr. Das setzt voraus die Übereinstimmung der Politik des chinesischen Proletariats mit der ganzen internationalen Lage und, vor allem, mit der Politik der Sowjetunion. Wenn Japan heute der Sowjetunion einen Krieg aufdrängen würde, so würde das Hineinziehen Chinas in diesen Krieg zu einer Frage auf Leben und Tod für das chinesische Proletariat und seine Partei werden. Ein solcher Krieg würde der chinesischen Revolution unübersehbare Perspektiven eröffnen. Aber soweit die internationale Lage und die inneren Verhältnisse die Sowjetunion zwingen, im Fernen Osten auf sehr ernste Zugeständnisse einzugehen, um den Krieg zu vermeiden, d. h. um ihn nach Möglichkeit hinauszuschieben, während Japan sich außerstande zeigt, die feindlichen Handlungen zu beginnen, – insoweit kann der Krieg gegen den japanischen Imperialismus in keiner Weise die zentrale Kampflosung der chinesischen Kommunistischen Partei im gegenwärtigen Moment sein.

Van Ming zitiert die folgenden Losungen der chinesischen Linken Opposition: «Wiederherstellung der Massenbewegungen», «Einberufung der Nationalversammlung», und «Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen zwischen China und der Sowjetunion». Aus dem einzigen Grund, dass diese Losungen in dem Artikel des legalen oppositionellen Organs, angeblich schlecht begründet sind, nennt Van Ming die chinesische Linke Opposition «eine trotzkistisch-Tschendusjusistische, konterrevolutionäre Gruppierung».

Auch wenn man zugibt, dass die Begründung revolutionärer Losungen nicht sehr gelungen war, so gibt das weder den Losungen selbst, noch den Organisationen, die sie aufgestellt haben, einen konterrevolutionären Charakter. Aber Van Ming und seinesgleichen müssen von konterrevolutionären «Trotzkisten» sprechen, wenn sie nicht ihrer Posten und Gehälter verlustig gehen wollen. Während sie so streng zu den Bolschewisten-Leninisten sind, deren Standpunkt sich in allen durch die Jahre 1924 bis 1932 sich hinziehenden chinesischen Ereignissen als richtig erwiesen hat, zeigen sich die Stalinisten äußerst gnädig gegen sich selbst, d. h. zu der ununterbrochenen Kette der eigenen Fehler.

In den Tagen des japanischen Schlages gegen Schanghai schlug die Kuomintang «die Einheitsfront der Arbeiter, Bauern, Soldaten, Kaufleute und Studenten für den Kampf gegen den Imperialismus» vor. Aber das ist doch eben der berühmte «Block der vier Klassen» Stalins-Martynows! Seit der Zeit der zweiten Revolution ist die ausländische Unterdrückung Chinas nicht schwächer geworden, sondern hat sich verstärkt. Gewachsen ist auch der Widerspruch zwischen den Forderungen der Entwicklung des Landes und dem Regime des Imperialismus. Folglich erhielten alle alten stalinschen Argumente zu Gunsten des Blocks der vier Klassen ein doppeltes Gewicht. Aber für dieses Mal legten die Stalinisten den Vorschlag der Kuomintang als einen neuen Versuch des Betrugs der Massen aus. Richtig! Aber sie vergaßen zu erklären, warum im Laufe der Jahre 1924/27 die Leitung der Komintern der chinesischen Bourgeoisie geholfen hat, den Betrug bis zu Ende zu führen, und warum die Philosophie der Unterstützung der Kuomintang seinen Ausdruck im Programm der Komintern gefunden hat?

Selbstverständlich können und müssen wir die Losungen der lokalen demokratischen Selbstverwaltung, der Wahl der Beamten durch das Volk usw. aufstellen. Das Programm der Demokratie im Verhältnis zum Regime der Militärdiktatur stellt einen großen Schritt vorwärts dar. Man muss nur die einzelnen und teilweisen demokratischen Losungen in Zusammenhang mit den Hauptlosungen bringen und sie mit der Aufgabe des revolutionären Zusammenschlusses und der Bewaffnung der Arbeiter verbinden.

Die Frage über den «Patriotismus» und «Nationalismus», wie auch einige andere Fragen dieses Briefes, betreffen eher die Terminologie, als das Wesen der Sache. Auf dem Boden der nationalen Befreiung der unterdrückten Völker, auf revolutionärem Weg stehend, unterstützen die Bolschewiki aus allen Kräften die nationale Freiheitsbewegung der Volksmassen, – nicht nur gegen die ausländischen Imperialisten, sondern auch gegen die inneren bürgerlichen Exploitateure der nationalen Bewegung, in der Art der Kuomintang. Müssen wir noch den genügend kompromittierten und abgegriffenen Ausdruck «Patriotismus» einführen? Ich bezweifle es. Drückt sich in diesem Versuch nicht das Bestreben aus, sich an die kleinbürgerliche Ideologie und Terminologie anzupassen? Einem solchen Bestreben, wenn es wirklich in unseren Reihen auftreten würde, ist aufs Schonungsloseste entgegenzutreten.

Viele taktischen und strategischen Fragen scheinen, wenn man sie formalistisch stellt, unlösbar. Aber sie stehen sofort am richtigen Platz, wenn man sie dialektisch stellt, d.h. in der Perspektive des lebendigen Kampfes der Klassen und Parteien. Die revolutionäre Dialektik jedoch wird am besten in aktiver Tätigkeit erworben. Ich zweifle nicht dass unsere chinesischen Gesinnungsgenossen und Freunde, die Bolschewiki-Leninisten, nicht nur mit Leidenschaft die verwickelten Probleme der chinesischen Revolution durchberaten, sondern auch mit nicht geringerer Leidenschaft sich an dem sich entwickelnden Kampfe beteiligen werden. Wir sind für die Strategie der Tat, nicht der Spekulationen.

Prinkipo, den 3. Oktober 1932.

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