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Leo Trotzki 19320613 Über den Antikriegskongress

Leo Trotzki: Über den Antikriegskongress

[Nach Die Aktion, 22. Jahrgang, Heft 1/4 (August 1932) Spalte 32-35, vgl. Permanente Revolution, 2. Jahrgang 1932, Nr. 13, Anfang Juli, S. 5 f.]

Vor mir liegt die Nummer der Pariser Zeitschrift „Monde" vom 4. Juni. „Monde" wird von Barbusse herausgegeben und ist augenblicklich eine Art Zentralorgan zur Einberufung des „Großen Kongresses gegen den Krieg". Auf der dritten Seite ist ein Auszug aus dem von Romain Rolland und Henri Barbusse verfassten Aufruf abgedruckt. Der Geist und Charakter dieses Dokuments sind aus folgenden Worten genügend ersichtlich: „Wir rufen alle Menschen, alle Massen unabhängig von ihren politischen Bindungen, alle Arbeiterorganisationen, kulturelle, politische und gewerkschaftliche, alle Kräfte und Organisationen mit Massencharakter! Schließt euch uns an im internationalen Kongress des Krieges gegen den Krieg".Weiter folgt ein Auszug aus einem Brief von Rolland an Barbusse: „Ich bin völlig der Meinung, dass der Kongress allen Parteien und Parteilosen geöffnet werden muss, auf der gemeinsamen Basis des offenherzigen und entschlossenen Kampfes gegen den Krieg." Weiter schließt sich Rolland den Worten von Barbusse an, „dass den ersten Platz in diesem Kampfe die Arbeiterklasse einnehmen muss". Weiter unten finden wir das erste Verzeichnis derer, die sich dem Kongress bereits angeschlossen habenalles radikale und halb radikale, französische und deutsche Schriftsteller, Pazifisten, Mitglieder der Liga für Menschenrechte u. a. m.Weiter finden wir einen Aphorismus des nicht unbekannten Emile Vandervelde: „Überall erzeugt der Krieg … die gleichen Ausbrüche der revolutionären Unzufriedenheit, aber auch die tolle Reaktion des fanatischen Nationalismus. Um so notwendiger ist es, dass die Internationalen ihre Kräfte mehr denn je darauf konzentrieren, den Krieg zu vermeiden."Endlich, nach den Worten des Vandervelde, die der sozialistischen Zeitschrift „Peuple" vom 29. Mai 1932, entnommen sind, lesen wir ein Zitat aus dem Zentralorgan der KPF „Humanité", vom 31. Mai 1932:

Auf den Aufruf von Romain Rolland und Henri Barbusse zur Beteiligung am internationalen Kongress in Genf, antwortet: „Hier bin ich!"In der letzten Nummer von „La vie ouvrière" dem Zentralorgan der CGTU ist ein Artikel abgedruckt, der sich mit der Initiative von Rolland und Barbusse solidarisiert.

Wir haben also ein völlig eindeutiges Bild. Die Kommunistische Partei Frankreichs und die von ihr geführte Gewerkschaftsorganisation stehen hinter den Initiatoren des Kongresses. Hinter dem französischen Kommunismus aber steht die Führung der Komintern. Es handelt sich um die Gefahr eines neuen Weltkrieges. Im Kampfe gegen diese Gefahr muss man verstehen, sich die Hilfe von Bundesgenossen nutzbar zu machen, zu denen bis zu einem gewissen Grade die ehrlichsten und entschlossensten unter den kleinbürgerlichen Pazifisten gehören.

Doch ist es jedenfalls eine Frage dritten, wenn nicht zehnten Ranges. Die Initiative hätten, so scheint es, die Komintern und die RG I vor dem Weltproletariat übernehmen müssen. Die entscheidende Aufgabe bestünde darin, die in der Zweiten und der Amsterdamer Internationale organisierten Arbeitermassen, mit mehr oder weniger Erfolg auf unsere Seite zu ziehen. Dazu muss man sich der Politik der Einheitsfront bedienen. Das letzte Plenum des Exekutivkomitees der Zweiten Internationale hat sich gegen Japan und für die „Verteidigung der Sowjetunion" ausgesprochen. Wir kennen den Wert dieser Verteidigung, solange es um den Beschluss der Führer geht. Aber schon die Tatsache dieses Beschlusses offenbart die Kraft des Massendruckes (Krise, Kriegsgefahr). Die Komintern war unter diesen Bedingungen verpflichtet, die Einheitsfrontpolitik im Weltmaßstabe zu entfalten, das heißt, offen vor der Arbeiterklasse der ganzen Welt ein konkretes, streng abgewogenes Programm von Handlungen gegen die Kriegsgefahr der zweiten und Amsterdamer Internationale vorzuschlagen. Doch die Komintern schweigt. Die Rote Gewerkschaftsinternationale schweigt. Die Initiative ist zwei pazifistischen Schriftstellern überlassen, von denen der eineRomain Rollandzweifellos ein großer Schriftsteller und eine bedeutende Persönlichkeit, aber ein der Politik völlig fern stehender Mensch ist, der andereBarbusseein Mystiker und Pazifist, halb Kommunist und halb aus der KP ausgeschlossen, aber auf alle Fälle ein Propagandist der völligen Vereinigung der Kommunistischen Parteien mit der Sozialdemokratie. „Schließt euch an" rufen Rolland und Barbusse. „Antwortet: Hier" unterstützt sie die „Humanité". Kann man sich etwas Ungeheuerlicheres, Kapitulantenhafteres, Verbrecherisches vorstellen als diese Kriecherei des offiziellen Kommunismus vor dem kleinbürgerlichen Pazifismus? In Deutschland erklärt man es für unmöglich, eine Politik der Einheitsfront in Bezug auf die proletarischen Massenorganisationen, zwecks Entlarvung der reformistischen Führer, zu betreiben. Zu gleicher Zeit führt man im internationalen Maßstäbe eine Einheitsfrontpolitik, deren erste Schritte sich in eine Reklame verwandeln für die schlimmsten aus der Reihe der reformistischen Verräter. Selbstverständlich ist Vandervelde „für den Frieden". Er meint, dass es in Friedenszeiten bequemer und angenehmer ist, Minister seines Königs zu sein als in Kriegszeiten. Und die schamlosen Aphorismen dieses Sozialpatrioten, dessen Unterschrift, wenn ich nicht irre, unter dem Versailler Frieden steht, verwandeln sich in das Programm des „Großen Kongresses gegen den Krieg". Und die „Humanité" besiegelt diese verlogene und unglückselige Maskerade!

In Deutschland geht es um die Verhinderung des faschistischen, konterrevolutionären Pogroms, der nicht nur die Arbeiterklasse, sondern auch ihre reformistischen Organisationen und sogar die reformistischen Führer bedroht. Es geht für den Herrn Sozialdemokraten nicht nur um den Staatssäckel, sondern auch um die eigene Haut. Man muss, schon in den Zustand des völligen bürokratischen Idiotismus verfallen sein, um darauf zu verzichten, den tiefen und scharfen Gegensatz zwischen Faschismus und Sozialdemokratie planmäßig und systematisch im Interesse der proletarischen Revolution auszunutzen.

In der Frage des Krieges ist die Lage ganz, ganz anders. Der Krieg bedroht durchaus nicht unmittelbar die reformistischen Organisationen, insbesondere nicht ihre Führung. Im Gegenteil, die Erfahrung hat gezeigt, dass der Krieg eine schwindelerregende Karriere für die reformistischen Führer eröffnet. Der Patriotismus ist eben die Ideologie, die die Sozialdemokratie am engsten mit ihrer nationalen Bourgeoisie verbindet. Wenn es sehr wahrscheinlich, ja, sogar unvermeidlich ist, dass die Sozialdemokratie in Deutschland sich in dieser oder jener Form gegen den Faschismus verteidigen wird, sobald er sie an der Gurgel packt (und er wird sie packen), so ist die Möglichkeit völlig ausgeschlossen, dass die Sozialdemokratie irgendeines Landes einen Kampf gegen ihre Bourgeoisie aufnehmen würde in dem Falle, dass letztere einen Krieg begänne, und sei es gegen die Sowjetunion. Gerade die revolutionäre Aktion gegen den Krieg muss im Allgemeinen wie im Besonderen die ganze Faulheit und Verlogenheit des sozialdemokratischen Pazifismus offenbaren. Und was tut die Kommunistische Internationale? Während sie die Ausnutzung des tiefen und realen Antagonismus zwischen der nationalen Sozialdemokratie und dem nationalen Faschismus verbietet,hängt sie sich an den illusorischen und trügerischen Antagonismus zwischen der internationalen Sozialdemokratie und ihren imperialistischer. Herren.

Während in Deutschland die Einheitsfront im Allgemeinen verboten wird, wird ihr im internationalen Maßstäbe ein dekorativer und von vorne herein fauler und verlogener Charakter erteilt. Die idealistische Naivität des allerehrlichsten Romain Rolland ausnutzend, werden alle Lügner, alle angefaulten Karrieristen, alle sozialistischen Minister a. D. und alle Minister-Kandidaten ausrufen: „Hier bin ich." Für sie ist ein solcher Kongressein Kurort, in dem sie ihre leicht angegriffene Reputation aufbessern, um sich gleich danach noch vorteilhafter zu verkaufen. Vor uns ist eine Wiederholung der Kuomintang und des anglo-russischen Komitees im Weltmaßstabe.

Es gibt Pedanten, die in Zweifel geraten, ob wir recht haben, wenn wir die internationale stalinische Fraktion als Zentrismus bezeichnen. .Menschen, die durch schlecht verdaute Texte vergiftet sind, verstehen nicht aus den lebendigen Tatsachen zu lernen. Hier seht ihr ihn, den idealen, klassischen, universellen Zentrismus: die Nase scharf nach rechts, den Schwanz noch schärfer nach links. Zieht die Verbindungslinie zwischen Nase und Schwanz, und ihr habt die Bahn des Zentrismus.

Die Geschichte ist am Scheidewege. Die ganze Welt ist jetzt am Scheidewege. Und auch der Zentrismus ist am Scheidewege. In der UdSSR fahren die Stalinisten fort von der Beseitigung der Klassen in fünf Jahren zu schwatzen, während sie gleichzeitig den Markt wiederherstellen. Der ultralinke Schwanz weiß noch nicht, was der weise, opportunistische Kopf beschlossen hat. In Fragen der Kulturpolitik der UdSSR eine schroffe Wendung nach rechts … Natürlich eine stumme, kommentarlose Wendung, doch eine um so gefährlichere. Das gleiche in der Politik der KI. Während die unglückseligen Pjatnitzkis die letzten ultralinken Reste wiederkäuen, ist den Manuilskis schon längst befohlen, ohne Rücksicht auf die Halswirbel, den Kopf nach rechts zu drehen. Noch niemals in den neun Jahren der Epigonenpolitik ist ihre Prinzipienlosigkeit, ideologische Hohlheit und praktische Verlogenheit in einer so nackten und schamlosen Form aufgetreten. In der Weltatmosphäre häufen sich die Symptome großer historischer Umwälzungen. Der Kampf gegen den Krieg bedeutet in erster Linie den Kampf gegen die pazifistische Maskerade, gegen die zentristisch-bürokratische Scharlatanerie. Man muss einen unerbittlichen Kampf zur Entlarvung der Widersprüche des stalinschen Apparats eröffnen, dessen Bankrott angesichts der heranrückenden großen Ereignisse unvermeidlich wird.

Die Verteidigung der UdSSR ist keine Salonphrase, mit der die nicht immer uneigennützigen Freunde der Stalinbürokratie paradieren. Die internationale Verteidigung der UdSSR stützt sich immer mehr auf den internationalen revolutionären Kampf des Proletariats. Wo Blut und Schicksal von Millionen auf dem Spiele stehen, ist die größte Klarheit vonnöten. Niemand erweist heute dem Klassenfeinde einen solchen Dienst, wie die stalinsche Bürokratie, die, um die Reste ihres Prestiges kämpfend, überall nur Chaos und Verwirrung sät.

Leo Trotzki.

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