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Leo Trotzki 19320806 Verstärken wir den Angriff

Leo Trotzki: Verstärken wir den Angriff!

[Nach Permanente Revolution, 2. Jahrgang Nr. 19 (4. Augustwoche 1932), S. 1 f.]

Die Schlägerei der Stalinisten gegen die Bolschewiki-Leninisten im Saal Bullier in Paris erweckt zugleich leidenschaftliche Empörung und ein Gefühl tiefster Scham für die jetzige Führung der Komintern. Es geht ja nicht um einfache Kommunisten, nicht um Arbeiter – diese würden sich nie zu derartigen Abscheulichkeiten erniedrigen! –, sondern um eine zentralisierte Bürokratie, die die Befehle des höheren Stabes erfüllt. Das Ziel: in den kommunistischen Reihen eine rasende Erbitterung hervorzurufen, in der Argumente der Vernunft ihre Kraft verlieren. Nur auf diesem Wege vermag sich die stalinsche Bürokratie noch vor der Kritik der Linken Opposition zu retten. Welch erschreckender Verfall!

Die Geschichte der russischen revolutionären Bewegung ist an erbitterten Fraktionskämpfen besonders reich. Dreieinhalb Jahrzehnte habe ich diesen Kampf von der Nähe beobachtet und an ihm teilgenommen. Ich erinnere mich nicht eines einzigen Falles, wo Meinungsverschiedenheiten nicht nur in den Reihen der Marxisten, sondern auch zwischen Marxisten, Volkstümlern und Anarchisten durch organisiertes Faustrecht ausgetragen worden wären. Im Jahre 1917 brodelte Petersburg in ununterbrochenen Meetings. Zuerst als geringfügige Minderheit, dann als starke Partei, schließlich als erdrückende Mehrheit führten die Bolschewiki einen Vernichtungsfeldzug gegen Sozialrevolutionäre und Menschewiki. Ich erinnere mich nicht eines einzigen Meetings, wo der politische Kampf durch Schlägereien ersetzt worden wäre. Ich habe nicht einen derartigen Hinweis in der Presse aus jener Zeit gefunden, obwohl ich im Laufe der letzten zwei Jahre die Geschichte der Februar- und Oktoberrevolution eingehend studiert habe. Die proletarische Masse wollte anhören und begreifen. Die Bolschewiki wollten überzeugen. Nur so lässt sich auch die Partei erziehen und die revolutionäre Klasse um sie vereinigen.

Im Jahre 1923 schlug Ordschonikidze in der Hitze der Streitigkeiten zwischen den kaukasischen Stalinisten und Leninisten einen seiner Gegner ins Gesicht. Lenin lag schwer krank im Kreml. Die Nachricht von Ordschonikidses Vorgehen erschütterte ihn buchstäblich. Der Umstand, dass Orschonikidse an der Spitze des Parteiapparates im Kaukasus stand, erhöhte in Lenins Augen dessen Schuld um ein Vielfaches. Lenin sandte einige Male seine Sekretäre Glasser und Fotiewa zu mir und drängte auf Ordschonikidses Ausschluss aus der Partei. In Ordschonikidses Raufboldleistung erblickte und sah Lenin eine ganze Schule und ein ganzes System voraus: die Schule und das System Stalins. Am gleichen Tage schrieb Lenin seinen letzten Brief an Stalin, in dem er erklärte, mit ihm alle «kameradschaftlichen Beziehungen» abzubrechen. Eine ganze Reihe großer historischer Ursachen hat indes dazu geführt, dass die Schule der «Grobheit» und der «Illoyalität» nicht nur in der WKP sondern auch in der Komintern den Triumph davontrug. Die Abscheulichkeit von Bullier ist deren unzweifelhafter und unverfälschte! Ausdruck.

Neun Zehntel der Apparatleute stehen dem Stalinschen System mit wachsender Beunruhigung, wenn nicht mit direkter Abneigung gegenüber. Doch sie können sich seinen Krallen nicht entwinden.

Jedes der entscheidenden Kettenglieder hat seine Semard und Jaroslawski, wie seine Bessedowski und Agabekow. Von Verleumdung und Fälschung sind diese Herren zu organisierter Schlägerei über gegangen. Die Initiative geht von Stalin aus: der Kampfbefehl wird nun allen Sektionen der Komintern übermittelt. Wird es helfen? Nein, es wird nicht helfen. Die Notwendigkeit immer stärker wirkender Mittel selbst beweist die Unwirksamkeit des vorangegangenen Krampfes gegen die Bolschewiki-Leninisten.

Gewaltige Geschehnisse entrollen sich in Deutschland. Die Komintern schweigt. Die Führer haben den Mund voll Wasser genommen. Erheischen die deutschen Ereignisse nicht die sofortige Einberufung eines Weltkongresses der Komintern? Gewiss erheischen sie das. Allein, auf dem Kongress müsste man Antwort geben. Die Stalinisten aber haben nichts zu sagen. Durch ihre Fehler, Zickzacks, Widersprüche und Verbrechen haben sie sich selbst völlig verheert. Schweigen, sich verkriechen, passiv abwarten, was sein wird,darin liegt jetzt die ganze Politik der stalinschen Fraktion.

Doch die Bolschewiki-Leninisten wollen nicht schweigen. Und sie gestatten den anderen nicht zu schweigen. Trotz ihrer geringen Zahl beweisen unsere französischen Genossen prächtige Ausdauer in der Aufrollung der brennenden Fragen der proletarischen Weltrevolution vor den Arbeitern. Indem sie sich nach Hooliganenart über sie stürzten, haben die Stalinisten der revolutionären Energie unserer Genossen Tribut gezollt. Sobald die Bolschewiki-Leninisten in Moskau vor Tschiang Kai-schek warnten, hetzte, verfolgte, zertrümmerte die stalinsche Bürokratie die Bolschewiki-Leninisten. Sobald die Pariser Bolschewiki-Leninisten gegen den Faschismus Alarm schlagen, organisiert die Stalinsche Clique die Niederschlagung der Bolschewiki-Leninisten. Diese Tatsachen werden nicht ungestraft bleiben. An großen Tatsachen lernt die Partei, lernt die Klasse.

Wir machen natürlich nicht die einfachen Kommunisten verantwortlich für die Verbrechen der stalinschen Bürokratie. Die Bolschewiki-Leninisten werden ihre Haltung zur französischen Kommunistischen Partei, wie auch zur Komintern, nicht ändern. Es wird nicht gelingen, zwischen uns und den Millionen Kommunisten in der ganzen Welt eine Mauer des Hasses aufzurichten. Dass wir im Rechte sind, ist augenfällig. Die Arbeiter hören mit immer größerer Aufmerksamkeit auf unsere Worte.

Je mehr die Stalinisten den Kopf verlieren, umso mehr Ausdauer werden die Leninisten in der Tat beweisen. Unter unserer Kritik, unter der Wucht unserer Argumente windet sich und tobt die Bürokratie. Um so klarer ist für uns unser Recht und unsere Kraft. Verdoppeln, verdreifachen, verzehnfachen wir unseren Angriff!

Prinkipo, den 6. August 1932.

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