Die Brandlerianer (KPD-O) und die Stalin-Bürokratie

Die Brandlerianer (KPD-O) und die Stalin-Bürokratie

Zwischen den Interessen von Sowjetstaat und internationalem Proletariat gibt und kann es keinen Widerspruch geben. Doch ist es an der Wurzel falsch, dieses Gesetz auf die stalinsche Bürokratie zu übertragen. Ihr Regime gerät in immer größeren Widerspruch sowohl mit den Interessen der Sowjetunion als auch mit den Interessen des Weltproletariats.

Hugo Urbahns übersieht der Sowjetbürokratie wegen die sozialen Grundlagen des proletarischen Staates. Gemeinsam mit Otto Bauer konstruiert Urbahns den Begriff des über den Klassen stehenden Staates, findet aber zum Unterschied von Bauer dieses Muster nicht in Österreich, sondern in der heutigen Sowjetrepublik.

Andererseits behauptet Thalheimer, die «trotzkistische Stellung zur Sowjetunion, die den proletarischen Charakter (?) des Sowjetstaates und den sozialistischen Charakter des wirtschaftlichen Aufbaus anzweifelt (?).» (Arbeiterpolitik, 10. Januar), habe «zentristischen» Charakter. Damit beweist Thalheimer lediglich, wieweit er in der Gleichsetzung des Arbeiterstaates mit der Sowjetbürokratie geht. Er verlangt, auf die Sowjetunion nicht mit den Augen des internationalen Proletariats zu sehen, sondern ausschließlich durch die Brillengläser der Stalinfraktion. Mit anderen Worten, er urteilt nicht als Theoretiker der proletarischen Revolution, sondern als Lakai der Stalinbürokratie. Ein beleidigter, geächteter, aber doch ein Lakai, der Begnadigung sucht. Darum wagt er auch in der «Opposition» nicht die Bürokratie laut zu nennen: dafür kennt diese, gleich Jehova, keine Vergebung: «Du sollst meinen Namen nicht unnütz aussprechen».

Das sind die beiden Pole innerhalb der kommunistischen Gruppierungen: der eine sieht vor lauter Bäumen den Wald nicht, dem andern wehrt der Wald, die Bäume zu unterscheiden. Es ist indes entschieden nichts Überraschendes daran, dass Thalheimer und Urbahns ihre verwandten Seelen entdecken und in der Tat mit einander einen Block machen – gegen die marxistische Bewertung des Sowjetstaates.

Die summarische, zu nichts verpflichtende «Unterstützung» des «russischen Experiments» von der Seite her ist in den letzten Jahren eine ziemlich verbreitete und sehr wohlfeile Ware geworden. In allen Weltteilen finden sich nicht wenige radikale und halbradikale, humanistische und pazifistische Auch-«Sozialisten», Journalisten, Touristen, Künstlerinnen, die für die UdSSR und für Stalin den gleichen vorbehaltlosen Beifall haben wie die Brandlerianer. Bernhard Shaw, der seinerzeit Lenin und den Autor dieser Zeilen wütend kritisiert hatte, billigt vollauf Stalins Politik. Maxim Gorki, der in der leninschen Periode zur Kommunistischen Partei in Opposition gestanden hatte, ist jetzt vollständig für Stalin. Barbusse, der Hand in Hand geht mit den französischen Sozialdemokraten, unterstützt Stalin. Das amerikanische Wochenblatt «New Masses», eine Publikation radikaler Bürger zweiter Sorte, verteidigt Stalin gegen Rakowski. In Deutschland hält Ossietzky, der mit Sympathie meinen Artikel über den Faschismus zitiert, für notwendig zu bemerken, ich sei in meiner Kritik gegen Stalin ungerecht. Der alte Ledebour sagt: «Nun stehe ich in Betreff der Hauptstreitfrage zwischen Stalin und Trotzki, ob nämlich die Sozialisierung in einem Lande unternommen und glücklich zu Ende geführt werden kann, durchaus auf Seiten Stalins.» Die Zahl solcher Beispiele könnte man endlos vermehren. Alle diese «Freunde» der Sowjetunion gehen an die Fragen des Sowjetstaates von der Seite her, als Beobachter, als Sympathisierende, mitunter Flaneure heran. Selbstverständlich ist es achtenswerter, Freund des sowjetistischen Fünfjahresplanes zu sein, als wie Freund der New-Yorker Börse. Und dennoch ist die passive, spießer-linke Sympathie sehr weit entfernt von Bolschewismus. Der erste große Misserfolg Moskaus würde genügen, die Mehrzahl dieses Publikums auseinander zu wirbeln wie Staub vorm Windstoß.

Wodurch unterscheidet sich die Position der Brandlerianer zum Sowjetstaate von der Position all dieser «Freunde»? Höchstens durch geringere Aufrichtigkeit. Solch eine Unterstützung der Sowjetrepublik macht weder heiß noch kalt. Und wenn Thalheimer, uns, die Linke Opposition, die russischen Bolschewiki-Leninisten, belehrt, wie zur Sowjetunion zu stehen, kann er nichts als ein Gefühl des Abscheus erwecken.

Rakowski hat unmittelbar die Verteidigung der Grenzen des Sowjetstaates geleitet, an den ersten Schritten der Sowjetwirtschaft teilgenommen, an der Ausarbeitung der Politik gegenüber der Bauernschaft, war Initiator der Komitees mittelloser Dörfler (Bauernarmut) in der Ukraine, leitete die Anwendung der NEP in den eigenartigen Bedingungen der Ukraine, kennt alle Krümmungen dieser Politik, verfolgt sie auch jetzt, in Barnaul, tagaus tagein, mit leidenschaftlicher Spannung, warnt vor Fehlern, weist die richtigen Wege auf. Der in der Verbannung verschiedene alte Kämpe Kotje Zinzadse, Muralow, Karl Grünstein, Elzin – Vater und Sohn –, Kasparowa, Kossior, Schumskaja, Dingelstedt. Solnzew, Sosnowski, Stopalow, Poznansky, Sermux, der von Stalin erschossene Blumkin, der von Stalin im Kerker zu Tode gefolterte Butow, Dutzende, Hunderte, Tausende anderer, in Gefängnissen und Verbannungsorten zerstreut, das sind ja alles Kämpfer der Oktoberumwälzung, des Bürgerkriegs, Teilnehmer des sozialistischen Aufbaus, durch keine Schwierigkeiten zu entmutigen und aufs erste Alarmsignal hin bereit, ihre Kampfposten einzunehmen. Und die sollten von Thalheimer Treue zum Arbeiterstaate lernen?

Alles, was an der Politik Stalins progressiv ist, war von dar Linken Opposition formuliert worden und einer Hetze seitens der Bürokratie ausgesetzt gewesen. Die Initiative des Planprinzips, der hohen Tempi, des Kampfes gegen das Kulakentum, breiterer Kollektivierung bezahlte und bezahlt die Linke Opposition mit Kerker- und Verbannungsjahren. Was haben denn in die Wirtschaftspolitik der UdSSR all die vorbehaltslosen Anhänger, Sympathisierenden, Freunde, einschließlich der Brandlerianer gebracht? Nichts! In ihrer summarischen, unkritischen Unterstützung alles dessen, was in der UdSSR geschieht, liegt keineswegs internationaler Enthusiasmus, sondern bloß laue Sympathie: die Sache spielt sich ja außerhalb der Grenzen ihrer eigenen Vaterländer ab. Brandler und Thalheimer glauben, teils sagen sie: «Für uns Deutsche wäre Stalins Regime gewiss ungeeignet; aber für die Russen ist es gut genug!»

Der Reformist sieht in der internationalen Lage eine Summe der nationalen: der Marxist betrachtet die nationale Politik als Funktion der internationalen. In dieser kardinalen Frage nimmt die Gruppe KPD-O (Brandlerianer) eine national reformistische Position ein, d. h. leugnet in der Tat, wenn auch nicht in Worten, die internationalen Prinzipien und Kriterien der nationalen Politik.

Engster Gesinnungsgenosse und Mitarbeiter Thalheimers war Roy, dessen politisches Programm für Indien wie für China ganz von der stalinschen Idee der «Arbeiter und Bauern»-Partei für den Osten ausgeht. Während einer Reihe von Jahren ist Roy als Propagandist einer nationaldemokratischen Partei für Indien aufgetreten. Mit anderen Worten: nicht als proletarischer Revolutionär, sondern als kleinbürgerlicher Nationaldemokrat. Das verwehrte ihm keineswegs die aktive Teilnahme am zentralen Stabe der Brandlerianer.*

Am gröbsten aber zeigt sich der nationale Opportunismus der Brandlerianer gegenüber der Sowjetunion. Die Stalinbürokratie, sollte man ihnen glauben, handelt bei sich zu Hause ganz makellos. Aber aus irgendeinem Grunde erweist sich die Führung der gleichen Stalinfraktion verderblich für Deutschland. Wieso das? Es geht doch nicht um Teilfehler Stalins infolge seiner Unkenntnis der übrigen Länder, sondern um einen bestimmten Kurs von Fehlern, um eine ganze Richtung. Thälmann und Remmele kennen Deutschland, wie Stalin Russland kennt, wie Cachin, Semard und Thorez Frankreich. Zusammen bilden sie eine internationale Fraktion und arbeiten die Politik für die verschiedenen Länder aus. Doch zeigt sich, dass: diese Politik untadelig in Russland, in allen übrigen Ländern die Revolution ruiniert.

Brandlers Position wird besonders unglückselig, überträgt man sie ins Innere Russlands, wo ein Brandlerianer verpflichtet ist, Stalin vorbehaltlos zu unterstützen. Radek, der eigentlich seit jeher näher zu den Brandlerianern stand als zur Linken Opposition, hat vor Stalin kapituliert. Brandler wusste diesen Akt nur zu billigen. Doch verpflichtete Stalin den Kapitulanten Radek unverzüglich, Brandler und Thalheimer für «Sozialfaschisten» zu erklären. Die platonischen Anbeter des stalinschen Regimes in Berlin versuchen nicht einmal aus diesen erniedrigenden Widersprüchen herauszukommen. Ihr praktisches Ziel ist indes auch ohne Kommentare klar: «Stellst Du mich an die Spitze der Partei in Deutschland», sagt Brandler zu Stalin, verpflichte ich mich, Deine Unfehlbarkeit in russischen Dingen anzuerkennen, unter der Bedingung, dass Du mir gestattest, meine Politik in Deutschland durchzuführen. Kann man vor solchen Revolutionären Achtung empfinden?

Aber auch die Kominternpolitik der Stalinbürokratie kritisieren die Brandlerianer äußerst einseitig und theoretisch ungewissenhaft. Als deren einziges Verbrechen erscheint der «Ultraradikalismus». Kann man jedoch den vierjährigen Block Stalins mit Tschiang Kai-schek des Ultraradikalismus bezichtigen? Als Ultraradikalismus die Gründung der Bauerninternationale? Kann man den Block mit dem Generalrat der Streikbrecher Putschismus nennen? Die Schaffung von Arbeiter- und Bauernparteien in Asien und der Arbeiter-Farmer-Partei in den Vereinigten Staaten?

Weiter: welches ist das soziale Wesen des Stalinschen Ultraradikalismus? Vorübergehende Stimmung? Krankheitszustand? Vergeblich sucht man Antwort auf diese Frage beim Theoretiker Thalheimer.

Indes ist das Rätsel langst schon durch die Linke Opposition gelöst: es handelt sich um einen ultralinken Zickzack des Zentrismus. Aber gerade diese, durch die Entwicklung der letzten 9 Jahre bestätigte Definition können die Brandlerianer nicht anerkennen, denn sie bedeutet den Todesstoß gegen sie selbst. Sie haben mit der Stalinfraktion alle ihre rechten Zickzacks mitgemacht, sich aber gegen die linken erhoben; damit haben sie bewiesen, dass sie der rechte Flügel des Zentrismus sind. Dass sie als verdorrter Ast von ihrem Vaterstamm gefallen, entspricht ganz der Ordnung der Dinge: an scharfen Wendepunkten des Zentrismus splittern unvermeidlich Gruppen und Abfälle nach rechts und links ab.

Das Gesagte bedeutet nicht, dass die Brandlerianer in allem geirrt haben. Nein, gegen Thälmann und Remmele hatten sie und behalten sie oft recht. Darin liegt nichts Außergewöhnliches. Opportunisten können im Kampfe gegen Abenteurertum sich auf der richtigen Position befinden. Eine ultralinke Tendenz kann umgekehrt den Moment des Übergangs vom Kampf um die Massen zum Machtkampf richtig erfassen. In ihrer Kritik an Brandler haben die Ultralinken Ende 1923 so manchen richtigen Gedanken ausgesprochen, was sie 1924-25 nicht hinderte, die gröbsten Fehler zu begehen. Der Umstand, dass die Brandlerianer in ihrer Kritik an den Affensprüngen der «dritten Periode» eine Reihe nicht neuer, aber richtiger Einwände wiederholten, zeugt keineswegs von der Richtigkeit ihrer allgemeinen Position. Die Politik einer jeden Gruppe muss man an mehreren Etappen analysieren: in Defensiv- und Offensivkämpfen, in Perioden der Flut wie in Momenten der Ebbe, unter den Bedingungen des Kampfes um die Massen wie in der Situation des direkten Machtkampfes.

Es kann keine marxistische Führung geben, die sich nur in den Fragen der Offensive oder Defensive, der Einheitsfront oder des Generalstreiks spezialisiert hat. Die richtige Anwendung aller dieser Methoden ist möglich nur bei Fähigkeit, die Gesamtlage synthetisch zu bewerten, beim Vermögen, ihre treibenden Kräfte zu analysieren, die Etappen und Wendepunkte festzulegen und auf dieser Analyse ein System von Aktionen aufzubauen, das der augenblicklichen Lage entspricht und die nächste Etappe vorbereitet.

Brandler und Thalheimer halten sich schier für die Monopol-Spezialisten des «Kampfes um die Massen». Mit ernstester Miene behaupten diese Leute, die Argumente der Linken Opposition zugunsten der Einheitsfrontpolitik seien … Plagiate an ihnen, den Brandlerianern. Man kann niemandem das Recht auf Ehrgeiz absprechen! Stellt Euch vor, dass, während Ihr Heinz Neumann seine Fehler im Einmaleins erläutert, irgendein glänzender Arithmetiklehrer Euch erkläre. Ihr begehet ein Plagiat an ihm, denn er erläutere in gleicher Weise jahraus jahrein die Geheimnisse der Rechenkunst.

Die Anmaßung der Brandlerianer hat mir jedenfalls eine heitere Minute bereitet in dieser wenig heiteren Lage. Die strategische Weisheit dieser Herren beginnt ihre Zeitrechnung beim Dritten Weltkongress. Das Alphabet des Kampfes um die Massen hatte ich dort gegen den damaligen «linken» Flügel verteidigt. In meinem der populären Darlegung der Einheitsfrontpolitik gewidmeten Buch «Die neue Etappe», seinerzeit durch die Komintern in verschiedenen Sprachen herausgegeben, wird in jeder Weise der elementare Charakter der dort verteidigten Gedanken hervorgehoben. «Alles Gesagte», lesen wir auf Seite 70 der deutschen Ausgabe, «ist vom Standpunkt ernsthafter revolutionärer Erfahrung eine Binsenwahrheit. Aber einige «linke» Elemente des Kongresses sahen in dieser Taktik eine Verschiebung nach rechts» … Unter diesen einigen befand sich neben Sinowjew, Bucharin, Radek, Maslow, Thälmann auch Thalheimer.

Die Beschuldigung des Plagiats ist nicht die einzige Beschuldigung. Dem bei Thalheimer entwendeten geistigen Gut gibt die Linke Opposition, wie sich zeigt, eine opportunistische Auslegung. Dieses Kuriosum verdient Beachtung insoweit, als es uns die Möglichkeit bietet, nebenbei auch die Frage der Politik des Faschismus besser zu beleuchten.

Ich habe in einer meiner vergangenen Arbeiten den Gedanken ausgesprochen, Hitler habe keine Möglichkeit, auf parlamentarischem Wege zur Macht zu gelangen: zugegeben sogar, er bekäme seine 51% Stimmen, das Anwachsen der ökonomischen und die Verschärfung der politischen Gegensätze würden noch vor dem Eintreten dieses Momentes zur Explosion führen müssen. Im Zusammenhange damit schreiben mir die Brandlerianer den Gedanken zu, die Nationalsozialisten werden von der Szene abtreten, «ohne dass eine außerparlamentarische Massenaktion der Arbeiter hierzu notwendig wäre». Worin ist das besser als die Erfindungen der «Roten Fahne»?

Aus der Unmöglichkeit für die Faschisten, «friedlich» die Macht zu erlangen, habe ich die Unvermeidlichkeit anderer Wege der Machtergreifung abgeleitet: entweder den Weg des direkten Staatsstreichs oder den Weg einer Koalitionsetappe mit unvermeidlichem Staatsstreich. Eine schmerzlose Selbstliquidierung des Faschismus wäre nur in einem Falle möglich: wenn Hitler 1932 jene Politik führen würde, die Brandler 1923 geführt hat. Ohne irgendwie die nationalsozialistischen Strategen zu überschätzen, glaube ich immerhin, dass sie weitblickender und fester sind als Brandler und Co.

Noch tiefsinniger ist Thalheimers zweiter Einwand: Die Frage, ob Hitler auf parlamentarischem oder einem anderen Wege zur Macht gelangen werde, sei überhaupt nicht von Bedeutung, denn sie ändere nichts am «Wesen des Faschismus, der seine Macht ohnehin nur auf den Trümmern der Arbeiterorganisationen begründen könne. Die Arbeiter können es ruhig den Redakteuren des «Vorwärts» überlassen, Untersuchungen über den Unterschied zwischen der verfassungsmäßigen und nicht verfassungsmäßigen Machtübernahme durch Hitler anzustellen» (Arbeiterpolitik, 10. Januar). Würden die fortgeschrittenen Arbeiter sich nach Thalheimer richten, Hitler durchschnitte ihnen zweifellos die Gurgel. Für unseren weisen Schullehrer ist nur das «Wesen» des Faschismus von Wichtigkeit, wie aber dieses Wesen sich durchsetzt, überlässt er den «Vorwärts -Redakteuren zur Beurteilung. Doch die Sache ist so, dass das Pogrom-«Wesen» des Faschismus sich zur Gänze zeigen kann erst nach seiner Machtübernahme. Die Aufgabe besteht aber gerade darin, ihn nicht an die Macht kommen zu lassen. Dazu muss man erst selber die Strategie des Feindes verstehen und sie den Arbeitern darlegen. Hitler macht die größten Anstrengungen, nach außenhin die Bewegung in das Flussbett der Verfassung zu lenken. Nur ein Pedant, der sich als «Materialist» ausgibt, kann meinen, solche Griffe blieben ohne Einfluss auf das politische Bewusstsein der Masse. Hitlers Verfassungsmäßigkeit dient nicht nur dazu, die Tür für den Block mit dem Zentrum offen zu lassen, sondern auch, die Sozialdemokratie zu täuschen, richtiger, den sozialdemokratischen Führern die Täuschung der Massen zu erleichtern. Wenn Hitler beteuert, er werde auf verfassungsmäßigem Wege die Macht übernehmen, ist es doch klar: die faschistische Gefahr ist heute nicht mehr so groß. Jedenfalls wird noch einige Male Zeit sein, das Kräfteverhältnis bei allerhand Wahlen zu überprüfen. Unter der Hülle der verfassungsmäßigen Perspektive, die den Gegner einschläfert, will sich Hitler die Möglichkeit wahren, den Schlag im geeigneten Moment zu führen. Diese Kriegslist, so einfach sie an und für sich auch sei, birgt jedoch eine gewaltige Kraft in sich, denn sie stützt sich nicht nur auf die Psychologie der Mittelparteien, die die Frage friedlich und legal lösen möchten, sondern, was weitaus gefahrvoller, auf die Vertrauensseligkeit der Volksmassen.

Man muss hinzufügen, dass Hitlers Manöver ein zweischneidiges Manöver ist: er täuscht nicht nur seine Gegner sondern auch seine Anhänger. Indes ist zum Kampf, besonders zum offensiven, Kampfgeist erforderlich. Dieser lässt sich aufrechterhalten nur, wenn man seine Armee im Verständnis für die Unvermeidlichkeit des offenen Kampfes erzieht. Diese Erwägung spricht gleichfalls dafür, dass Hitler seinen zärtlichen Roman mit der Weimarer Verfassung nicht allzu lange hinausziehen kann, ohne die eigenen Reihen zu demoralisieren. Er wird rechtzeitig das Messer unter dem Braunhemd hervorholen müssen.

Es genügt nicht allein, das «Wesen» des Faschismus zu begreifen. Man muss ihn zu bewerten wissen als politische Erscheinung, als bewussten und hinterlistigen Feind. Unser Schullehrer ist zu «soziologisch», um Revolutionär sein zu können. Ist es in Wirklichkeit nicht klar, dass Thalheimers Tiefsinnigkeit gleichfalls als winziges, vorteilhaftes Element in Hitlers Berechnungen fällt, denn die vom «Vorwärts» gesäten Verfassungsillusionen auf einen Haufen zu werfen mit der Entlarvung der auf diesen Illusionen aufgebauten Kriegslist des Feindes, heißt dem Feind einen Dienst erweisen.

Eine Organisation kann Bedeutung haben entweder durch die von ihr erfassten Massen oder durch den Inhalt jener Ideen, die sie in die Arbeiterbewegung hinein zu tragen befähigt ist. Die Brandlerianer besitzen weder dies noch jenes. Mit welch erhabener Verachtung sprechen Brandler und Thalheimer vom zentristischen Sumpf der SAP! Stellt man in Wirklichkeit diese beiden Organisationen – SAP und KPD-O – nebeneinander, sind alle Vorzüge auf Seiten der ersteren. Die SAP ist kein Sumpf, sondern eine lebendige Strömung. Ihre Richtung geht von rechts nach links, zum Kommunismus hin. Die Strömung ist nicht rein, sie führt viel Schutt und Schlamm mit sich, sie ist aber kein Sumpf. Viel näher steht der Benennung Sumpf die Organisation Brandler-Thalheimers. die durch vollen geistigen Stillstand gekennzeichnet ist.

Im Innern der KPD-O bestand seit langem eine eigene Opposition, unzufrieden hauptsächlich damit, dass die Führer in ihrer Politik nicht so sehr den objektiven Umständen sich anzupassen suchten, als den Stimmungen des stalinschen Stabes in Moskau.

Dass die Opposition Walcher-Frölich während einer Reihe von Jahren Brandler-Thalheimers Politik toleriert hat, die besonders gegenüber der UdSSR nicht einfach fehlerhaften, sondern bewusst heuchlerischen, politisch unlauteren Charakters war, wird natürlich niemand der abgespaltenen Gruppe als Plus einstellen. Tatsache aber ist, dass die Walcher-Frölich-Gruppe schließlich die völlige Hoffnungslosigkeit einer Organisation anerkannte, deren Führer sich auf die Gnade der Obrigkeit orientieren. Die Minderheit hält eine selbständige und aktive Politik für nötig, gerichtet nicht gegen den unglückseligen Remmele. sondern gegen Kurs und Regime der Stalinbürokratie in der UdSSR und in der Komintern. Wenn wir die Position Walcher-Frölich auf Grund der bisher noch unzulänglichen Materialien richtig auslegen, bedeutet sie in dieser Frage einen Schritt vorwärts. Doch nach dem Bruch mit der notorisch toten Gruppe ist die Minderheit jetzt erst vor die Aufgabe einer Neuorientierung gestellt, national wie auch insbesondere international.

Die abgespaltene Minderheit sieht, soweit sich beurteilen lässt, ihre Hauptaufgabe für die nächste Periode darin, auf den linken Flügel der SAP gestützt die neue Partei für den Kommunismus zu gewinnen, um sodann mit deren Hilfe den bürokratischen Konservatismus der KPD zu zerschlagen. Sich zum Plan in diesen allgemeinen und unbestimmten Formen zu äußern, ist unmöglich, denn ungeklärt bleiben die prinzipiellen Grundlagen, auf denen die Minderheit selbst steht, und die Methoden, die sie im Kampfe für diese Grundlagen anzuwenden gedenkt. Eine Plattform ist notwendig! Wir haben nicht ein Dokument im Auge, das die Gemeinplätze des Kommunismus reproduziert, sondern klare und konkrete Antworten auf jene Kampfesfragen der proletarischen Revolution, die im Laufe der letzten 9 Jahre die Reihen des Kommunismus zerrissen haben und noch heute ihre brennende Bedeutung bewahren. Anders könnte man sich in der SAP nur auflösen und deren Entwicklung zum Kommunismus verzögern statt beschleunigen.

Die Linke Opposition wird die Evolution der Minderheit aufmerksam und unvoreingenommen verfolgen. Die Spaltung einer leblosen Organisation hat mehr als einmal in der Geschichte den Anstoß für die progressive Entwicklung ihres lebensfähigen Teils gegeben. Wir werden uns sehr freuen, wenn dieses Gesetz auch diesmal am Schicksal der Minderheit seine Bestätigung finden sollte. Doch eine Antwort vermag erst die Zukunft zu geben.

*Roy ist von der Macdonaldregierung soeben für lange Jahre verurteilt worden. Die Kominternblätter fühlen sich nicht verpflichtet, dagegen auch nur zu protestieren: man kann in engem Bündnis sein mit Tschiang Kai-schek. aber keinesfalls den Brandlerianer Roy gegen die imperialistischen Henker verteidigte.

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