Streikstrategie

Streikstrategie

Auf gewerkschaftlichem Gebiete, hat die kommunistische Führung die Partei endgültig verwirrt. Der allgemeine Kurs der «dritten Periode» ging auf parallele Gewerkschaftsverbände. Man nahm an, die Massenbewegung werde über die alten Verbände hinausgeschleudert und die Organe der RGO (Rote Gewerkschaftsopposition) zu Initiativkomitees des wirtschaftlichen Kampfes werden. Zur Verwirklichung dieses Planes fehlte eine Kleinigkeit: die Massenbewegung. Bei Frühjahrshochwasser tragen die Wellen viele Umzäunungen ab. Versuchen wir die Umzäunung abzutragen – meinte Losowski –, vielleicht werden dann Frühjahrswasser fließen!

Die reformistischen Verbände vermochten sich zu behaupten. Aus den Betrieben warf die Kommunistische Partei sich selbst hinaus. In die Gewerkschaftspolitik begann man hierauf Teilverbesserungen hinein zu tragen. Die Unorganisierten in die reformistischen Gewerkschaften zu rufen, darauf hat die Kommunistische Partei verzichtet. Sie spricht aber auch gegen den Austritt aus den Gewerkschaften. Während sie parallele Gewerkschaften bildet, hat sie gleichzeitig die Losung des Kampfes um den Einfluss innerhalb der reformistischen Verbände wieder aufgenommen. Die ganze Mechanik stellt eine ideale Selbstsabotage dar.

«Die Rote Fahne» beklagt sich darüber, dass viele Kommunisten die Teilnahme an den reformistischen Verbänden für zwecklos halten. «Wozu den alten Laden wieder beleben?», erklären sie. Und wirklich: wozu? Will man ernstlich um die Eroberung der alten Verbände kämpfen, muss man die Unorganisierten zum Eintritt in deren Bestand auffordern: gerade die frischen Schichten können eine Stütze für den linken Flügel abgeben. Dann darf man aber keine parallelen Verbände bauen, d. h. eine Konkurrenzagentur zur Anwerbung der Arbeiter aufmachen.

Die von oben empfohlene Politik innerhalb der reformistischen Gewerkschaften steht ganz auf der Höhe all des übrigen Wirrwarrs. Am 28. Januar werden in der «Roten Fahne» den kommunistischen Gewerkschaftsmitgliedern des Metallarbeiterverbandes in Düsseldorf die Leviten gelesen, weil sie die Losung: «Rücksichtsloser Kampf gegen jede Teilnahme der Gewerkschaftsführer an der Unterstützung der Brüningregierung» aufgestellt haben. Solche opportunistischen Forderungen seien unstatthaft, denn sie setzen voraus, dass die Reformisten fähig seien, auf die Unterstützung Brünings und seiner Notverordnungen zu verzichten. Das sieht wahrlich einem üblen Scherz ähnlich! «Die Rote Fahne» meint, es genüge die Führer zu beschimpfen, doch sei es unzulässig, sie einer politischen Überprüfung durch die Massen zu unterziehen.

Indes erschließt sich gerade in den reformistischen Verbänden ein außerordentlich dankbares Tätigkeitsgebiet. Besitzt die Sozialdemokratische Partei noch die Möglichkeit, die Arbeiter mit politischem Getue zu betäuben, so erhebt sich vor den Gewerkschaften die Sackgasse des Kapitalismus wie eine hoffnungslose Kerkermauer. Die 200.000-300.000 in den selbständigen Roten Verbänden organisierten Arbeiter könnten ein unschätzbarer Sauerteig werden innerhalb der reformistischen Einheiten.

Ende Januar tagte in Berlin eine kommunistische Betriebsausschüsse-Konferenz des ganzen Landes. «Die Rote Fahne» druckt einen Bericht: «Die Betriebsausschüsse schmieden die Rote Arbeiterfront» (2. Februar). Vergeblich aber sucht man nach Angaben über die Zusammensetzung der Konferenz, die Zahl der vertretenen Betriebe und Arbeiter. Im Gegensatz zum Bolschewismus, der klipp und klar jede Veränderung des Kräfteverhältnisses in der Arbeiterklasse verzeichnete, spielen die deutschen Stalinisten, den russischen folgend, Versteck. Sie wollen nicht zugeben, dass die kommunistischen Betriebsräte weniger als 4 Prozent betragen gegenüber 84 Prozent sozialdemokratischer! In diesem Kräfteverhältnis ist die Bilanz der «Dritten Periode» ausgedrückt. Nennt man aber die Isoliertheit der Kommunisten in den Betrieben «Rote Einheitsfront», bringt das etwa die Sache vorwärts?

Die andauernde Krise des Kapitalismus schafft innerhalb des Proletariats die schmerzhafteste und gefahrvollste Scheidelinie: zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen. Der Umstand, dass in den Betrieben die Reformisten vorherrschen, unter den Arbeitslosen dagegen die Kommunisten, paralysiert beide Teile des Proletariats. Arbeitende können warten. Arbeitslose sind ungeduldiger. Augenblicklich hat ihre Ungeduld revolutionären Charakter. Findet aber die Kommunistische Partei nicht Kampfformen und -losungen, die durch Vereinigung der Arbeitenden und Arbeitslosen die Perspektive des revolutionären Auswegs eröffnen, die Ungeduld der Arbeitslosen wird sich unentrinnbar gegen die Kommunistische Partei wenden.

Im Jahre 1917 begannen, trotz richtiger Politik der Bolschewistischen Partei und rascher Entfaltung der Revolution, die schlechter gestellten und ungeduldigeren Schichten des Proletariats, sogar in Petrograd, während der Monate September und Oktober, ihre Blicke bereits von der Partei weg zu den Syndikalisten und Anarchisten hinzuwenden. Wäre nicht rechtzeitig der Oktoberumsturz ausgebrochen, der Zerfall des Proletariats hätte akuten Charakter angenommen und zur Fäulnis der Revolution geführt. In Deutschland bedarf es nicht der Anarchisten: ihren Platz können die Nationalsozialisten einnehmen, die anarchistische Demagogie mit bewusst reaktionären Zielen verbinden.

Die Arbeiter sind keineswegs ein für allemal gegen den Einfluss der Faschisten versichert. Proletariat und Kleinbürgertum bilden verbundene Gefäße, besonders in den gegenwärtigen Bedingungen, wo die Reservearmee kleine Handelsleute, Kolporteure usw. ausscheiden muss, das in Zersetzung befindliche Kleinbürgertum hingegen – Proletarier und Lumpenproletarier.

Angestellte, technisches und administratives Personal, gewisse Funktionärschichten haben in der Vergangenheit eine der wichtigsten Stützen für die Sozialdemokratie abgegeben. Jetzt gingen oder gehen diese Schichten zu den Nationalsozialisten über. Sie können mit sich ziehen – wenn sie dies nicht schon zu tun begonnen haben – eine Schicht der Arbeiteraristokratie. Auf dieser Linie bricht der Nationalsozialismus ins Proletariat von oben ein. Viel gefährlicher ist jedoch sein möglicher Einbruch von unten durch die Arbeitslosen. Keine Klasse vermag lange ohne Perspektiven und Hoffnungen zu leben. Die Arbeitslosen sind keine Klasse, aber bereits eine sehr kompakte und dauerhafte soziale Schicht, die sich vergeblich bemüht, den unerträglichen Verhältnissen zu entkommen. Ist es im allgemeinen richtig, dass nur die proletarische Revolution Deutschland von Fäulnis und Zerfall erretten kann, so richtig vor allem in Bezug auf die Millionen Arbeitsloser.

Bei der Ohnmacht der Kommunistischen Partei in Betrieben und Gewerkschaften entscheidet das Wachstum der Partei nichts. In dem erschütterten, von Krise und Gegensätzen zerrissenen Volke kann eine extrem linke Partei zehntausende neuer Anhänger finden, besonders wenn ihr gesamter Apparat auf individuellen Mitgliederfang im Wege des «Wettbewerbs» gerichtet ist. Alles liegt am Wechselverhältnis zwischen Partei und Klasse. Ein Kommunist, in den Betriebsausschuss oder die Gewerkschaftsleitung gewählt, hat mehr Bedeutung als tausend da und dort aufgelesene Mitglieder, die heute der Partei beitreten, um sie morgen zu verlassen.

Aber auch der individuelle Zustrom zur Partei wird durchaus nicht endlos andauern. Wird die Kommunistische Partei auch weiterhin den Kampf bis zum Moment verschieben, wo sie die Reformisten endgültig verdrängt hat, sie wird sich davon überzeugen müssen, dass die Sozialdemokratie von einem bestimmten Moment an nicht mehr ihren Einfluss an die Kommunisten abtreten, der Faschismus aber die Arbeitslosen, das Hauptfundament der Kommunistischen Partei, zersetzen wird.

Die Nichtausnutzung der eigenen Kräfte für die Aufgaben, die sich aus der ganzen Situation ergeben, vergeht für eine politische Partei nie ungestraft.

Um dem Massenkampf den Weg zu bahnen, versucht die Kommunistische Partei Teilstreiks auszulösen. Die Erfolge auf diesem Gebiete sind nicht groß. Wie immer, beschäftigen sich die Stalinisten mit Selbstkritik: «Wir verstehen noch nicht zu organisieren» … «Wir verstehen noch nicht mitzureißen» … «Wir verstehen noch nicht zu erfassen»… Wobei «wir» immer «Ihr» bedeutet. Wiedererstanden ist die Theorie seligen Andenkens aus den Märztagen 1921: das Proletariat «elektrisieren» durch Offensivaktionen der Minderheit. Doch die Arbeiter brauchen nicht «elektrisiert» zu werden. Sie wollen, dass man ihnen eine klare Perspektive gibt und die Voraussetzungen einer Massenbewegung schaffen hilft.

In ihrer Streikstrategie lässt sich die Kommunistische Partei augenscheinlich durch einzelne Zitate aus Lenin in der Auslegung Manuilskis oder Losowskis leiten. Tatsächlich gab es Perioden, wo die Menschewiki gegen das «Streikhasard» kämpften, während die Bolschewiki hingegen sich an die Spitze eines jeden neuen Streiks stellten und immer größere Massen in die Bewegung hineinzogen. Das entsprach der Periode des Erwachens neuer Schichten der Klasse. Dies war die Taktik der Bolschewiki im Jahre 1905; während des industriellen Aufschwungs in den Vorkriegsjahren; auch in den ersten Monaten der Februarrevolution.

Allein, in dem der Oktoberrevolution unmittelbar vorausgehenden Zeitabschnitt, angefangen mit dem Julizusammenstoß 1917 hatte die Taktik der Bolschewiki anderen Charakter: sie hielten von Streiks zurück, bremsten sie ab. denn jeder größere Streik hatte die Tendenz, sich in eine Entscheidungsschlacht zu verwandeln. während die politischen Voraussetzungen zu dieser noch nicht herangereift waren.

Doch auch während jener Monate stellten sich die Bolschewiki weiterhin an die Spitze aller Streiks, die trotz ihrer Warnungen hauptsächlich in den rückständigeren Industriezweigen (Textilarbeiter. Lederarbeiter usw.) ausgebrochen waren.

Lösten unter den einen Bedingungen die Bolschewiki kühne Streiks aus im Interesse der Revolution, so hielten sie umgekehrt unter anderen Bedingungen im Interesse der Revolution von Streiks zurück. Auf diesem Gebiete gibt es, wie auf den übrigen, keinerlei fertige Rezepte. Doch bildete die Streikstrategie der Bolschewiki in jeder gegebenen Periode stets ein Element der Gesamtstrategie, und den fortgeschrittenen Arbeitern war die Verbindung zwischen Teil und Ganzem klar.

Wie steht die Sache jetzt in Deutschland? Die beschäftigten Arbeiter widersetzen sich den Lohnherabsetzungen nicht, da sie sich vor den Arbeitslosen fürchten. Kein Wunder: bei einigen Millionen Arbeitsloser ist der gewöhnliche, gewerkschaftlich organisierte Streikkampf offenkundig hoffnungslos. Doppelt hoffnungslos ist er bei politischem Antagonismus zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen. Das schließt indes Teilstreiks nicht aus, besonders in zurückgebliebeneren, weniger zentralisierten Industriezweigen. Aber gerade die Arbeiter der wichtigsten Industrien neigen bei dieser Lage dazu, ihr Gehör den reformistischen Führern zu schenken. Die Versuche der Kommunistischen Partei, Teilstreiks auszulösen, ohne die Gesamtlage im Proletariat zu ändern, führen lediglich zu kleinen Partisanenoperationen, die selbst im Falle des Erfolgs keine Fortsetzung finden.

Nach Erzählungen kommunistischer Arbeiter (siehe etwa «Der Rote Aufbau») spricht man in den Betrieben davon, dass Teilstreiks gegenwärtig keinen Sinn hätten, und nur ein Generalstreik die Arbeiter aus dem Elend hinausführen könnte. «Generalstreik» heißt hier: Kampfperspektive. Die Arbeiter können sich umso weniger durch zerstreute Streiks inspirieren lassen, als sie es unmittelbar mit der Staatsmacht zu tun bekommen: das Monopolkapital redet mit ihnen in der Sprache der Brüningschen Notverordnungen.*

Beim Anbruch der Arbeiterbewegung hatten sich die Agitatoren bei der Hineinziehung von Arbeitern in Streiks der Entwicklung revolutionärer und sozialistischer Perspektiven enthalten, um die Arbeiter nicht abzuschrecken. Jetzt hat die Lage direkt entgegengesetzten Charakter. Die führende Schicht der deutschen Arbeiter kann sich zum Eintritt in den ökonomischen Verteidigungskampf nur dann entschließen, wenn ihr die allgemeinen Perspektiven des weiteren Kampfes klar sind. Diese Perspektive bekommen sie bei der kommunistischen Leitung nicht zu spüren.

Zur Taktik der Märztage des Jahres 1921 in Deutschland (die Minderheit des Proletariats «elektrisieren», statt dessen Mehrheit zu erobern) sagte der Autor dieser Zeilen auf dem III. Kongress: »Wenn aber die überwiegende Mehrheit der Arbeiterklasse sich über die Bewegung keine Rechenschaft abgibt, mit ihr nicht sympathisiert oder an ihren Erfolg nicht glaubt, die Minderheit hingegen vorwärts stürmt und mit mechanischen Mitteln die Arbeiter in den Streik zu treiben sucht, – dann kann diese ungeduldige Minderheit in Gestalt der Partei mit der Arbeiterklasse in feindliche Zusammenstöße geraten und sich den Kopf einrennen».

Also, auf den Streikkampf verzichten? Nein, nicht verzichten, sondern für ihn die notwendigen politischen und organisatorischen Voraussetzungen schaffen. Eine von ihnen ist die Wiederherstellung der Gewerkschaftseinheit. Die reformistische Bürokratie will sie natürlich nicht. Die Spaltung hat bisher ihre Lage, wie es nicht besser möglich ist, gesichert. Doch die Bedrohung durch den Faschismus ändert die Lage in den Verbänden zu Ungunsten der Bürokratie. Der Zug zur Einheit wächst. Möge die Leipartclique in den jetzigen Bedingungen versuchen, die Wiederherstellung der Einheit zu verweigern: das würde sogleich den kommunistischen Einfluss in den Verbänden verdoppeln, und verdreifachen. Kommt die Einigung zustande, desto besser: vor den Kommunisten wird sich ein breites Arbeitsfeld erschließen. Nicht halbe Maßnahmen tun Not, sondern eine kühne Wendung!

Ohne breite Kampagne gegen Teuerung, für Kürzung der Arbeitswoche, .gegen Lohnabbau; ohne Einbeziehung der Arbeitslosen in den Kampf, Hand in Hand mit den Arbeitenden; ohne erfolgreiche Anwendung der Einheitsfrontpolitik – werden die kleinen Improvisationsstreiks die Bewegung nicht auf eine breite Bahn hinausführen können.

Die linken Sozialdemokraten sprechen von der Notwendigkeit, «im Falle der Machtübernahme durch die Faschisten» zum Generalstreik zu greifen. Wahrscheinlich prunkt auch Leipart zwischen vier Wänden mit solchen Drohungen. Bei diesem Anlass spricht «Die Rote Fahne» von Luxemburgismus. Das ist eine Verleumdung gegen die große Revolutionärin. Hat auch Rosa Luxemburg die selbständige Bedeutung des Generalstreiks für die Machtergreifung überschätzt, so begriff sie immerhin sehr gut, dass man einen Generalstreik nicht willkürlich hervorrufen kann, dass er durch den gesamten vorhergehenden Verlauf der Arbeiterbewegung vorbereitet wird, durch die Politik von Partei und Gewerkschaften. Im Munde der linken Sozialdemokraten ist der Massenstreik eher eine Tröstungsmythe, die sich über die klägliche Wirklichkeit erhebt.

Die französische Sozialdemokratie hat viele Jahre hindurch versprochen, im Kriegsfalle zum Generalstreik zu greifen. Der Baseler Kongress von 1912 versprach sogar, zum revolutionären Aufstand zu greifen. Die Drohung mit Generalstreik und Aufstand hatte in diesen Fällen nur den Charakter eines Theaterdonners. Hier geht es keineswegs um Gegenüberstellung von Streik und Aufstand, sondern um lebloses, formales, verbales Verhalten sowohl zum Streik wie zum Aufstand, Ein Reformist, gewappnet mit der Abstraktion der Revolution – das war überhaupt der Typs des Bebelschen Sozzialisten der Vorkriegszeit. Der Nachkriegsreformist, der mit dir Drohung des Generalstreiks fuchtelt, ist schon eine lebendige Karikatur.

Die kommunistische Leitung verhält sich zum Generalstreik sicherlich weitaus gewissenhafter. Doch Klarheit besitzt sie auch in dieser Frage nicht. Klarheit aber tut Not. Der Generalstreik ist ein sehr wichtiges Kampfmittel, doch kein universales. Es gibt Bedingungen, unter denen der Generalstreik die Arbeiter mehr schwächen kann als ihren unmittelbaren Feind. Der Streik muss ein wichtiges Element strategischer Berechnung bilden, nicht aber ein Allheilmittel, in dem jede Strategie ertrinkt.

Allgemein gesprochen ist der Generalstreik die Waffe des Schwächeren gegen den Stärkeren; oder genauer gesagt, dessen, der zu Beginn des Kampfes sich schwächer fühlt jenem gegenüber, den er für stärker hält: kann ich nicht eine wirksame Waffe ausnützen, so suche ich den Widersacher an deren Ausnutzung zu hindern; kann ich nicht aus Kanonen schießen, so löse ich zumindest ihren Verschluss. Das ist die «Idee» des Generalstreiks.

Der Generalstreik war stets Kampfwaffe gegen die bestehende Staatsmacht, die über Eisenbahn, Telegraf, militärisch-polizeilichen Apparat verfügt. Indem er den Staatsapparat paralysierte, «schreckte» der Generalstreik entweder die Macht, oder er schuf die Voraussetzungen für die revolutionäre Lösung der Machtfrage.

Der Generalstreik stellt eine besonders wirksame Kampfesart dar in Bedingungen, wo die werktätigen Massen lediglich durch revolutionäre Empörung geeint sind, jedoch bar von Kampforganisationen und Stäben, und im Voraus weder Kräfteverhältnis abwägen noch einen Operationsplan ausarbeiten können. So kann man sich vorstellen, dass die antifaschistische Revolution in Italien, durch diese oder jene Teilzusammenstöße eingeleitet, unvermeidlich durch ein Stadium des Generalstreiks hindurchgehen wird. Nur auf diese Weise wird das jetzt zersplitterte Proletariat Italiens sich wieder auf eigenen Füßen fühlen und die Widerstandskraft des Feindes messen, den zu stürzen ihr bevorsteht.

Durch Generalstreik müsste der Faschismus in Deutschland bekämpft werden nur in dem Falle, als er bereits an der Macht stünde und sich des Staatsapparates fest bemächtigt hätte. Handelt es sich aber darum, den Versuch der Machtergreifung durch die Faschisten zurückzuschlagen, so stellt die Losung des Generalstreiks schon im Voraus einen leeren Platz dar.

Während Kornilows Offensive auf Petrograd hatten weder die Bolschewiki. noch die Sowjets im Ganzen auch nur daran gedacht, den Generalstreik zu proklamieren. Auf den Eisenbahnen ging der Kampf darum, dass die Arbeiter und Angestellten die revolutionären Truppen befördern und die Kornilowschen Staffeln aufhielten, Betriebe wurden eingestellt nur, soweit die Arbeiter un die Front mussten. Die Betriebe, die die revolutionäre Front bedienten, arbeiteten mit verdoppelter Energie.

Während des Oktoberumsturzes war gleichfalls nicht die Rede vom Generalstreik. Betriebe und Regimenter hatten sich schon am Vorabend der Umwälzung in überwiegender Mehrzahl der Führung der bolschewistischen Sowjets untergeordnet. Die Betriebe zum Streik aufzurufen, hätte unter diesen Umständen bedeutet, sich selbst zu schwächen und nicht den Gegner. Auf den Eisenbahnen suchten die Arbeiter den Aufständischen Hilfe zu leisten; die Angestellten halfen unter dem Schein der Neutralität der Konterrevolution. Ein Eisenbahnstreik hätte keinen Sinn gehabt: die Frage wurde durch das Überwiegen der Arbeiter über die Angestellten entschieden.

Würde in Deutschland der Kampf die durch faschistische Provokation hervorgerufenen Teilkämpfe überschreiten, ein Aufruf zum Generalstreik wäre kaum der Lage entsprechend. Der Generalstreik würde vor allem bedeuten: eine Stadt von der anderen abzuschneiden, einen Bezirk vom anderen, einen Betrieb vom anderen. Nicht am Werk befindliche Arbeiter sind schwerer zu finden und zu sammeln. Unter diesen Bedingungen könnten die Faschisten, denen es an Stäben nicht mangelt, dank zentralisierter Leitung ein gewisses Übergewicht erlangen. Allerdings sind ihre Massen so zerstäubt, dass auch unter diesen Umständen ein Anschlag der Faschisten abgewehrt werden könnte. Das aber ist eine andere Seite der Sache.

Die Frage der Eisenbahnverbindung, zum Beispiel, darf nicht unter dem Gesichtspunkt des «Prestiges» des Generalstreiks betrachtet werden, das da heischt, dass alles stillstehe, sondern vom Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit des Kampfes: Wem und gegen wen die Verbindungswege während des Konfliktes dienen würden.

Rüsten heißt es folglich nicht zum Generalstreik, sondern zum Widerstand gegen die Faschisten. Das heißt: überall Stützpunkte schaffen. Stoßtruppen. Reserven. Lokalstäbe und Leitungszentren, einen gut funktionierenden Kurierdienst, elementare Mobilisierungspläne.

Das, was in Bruchsal und Klingenthal getan worden ist, wo die Kommunisten gemeinsam mit SAP und Gewerkschaften, bei Boykott der reformistischen Spitze, eine Abwehrorganisation geschaffen haben, das ist trotz der bescheidenen Ausmaße ein Vorbild für das ganze Land, O hohe Führer, möchte man von da aus rufen, o siebenmal weise Strategen, lernt bei den Arbeitern von Bruchsal und Klingenthal, ahmt ihnen nach, verbreitert ihre Erfahrung, präzisiert deren Formen, lernt bei den Arbeitern von Bruchsal und Klingenthal!

Das deutsche Proletariat verfügt über mächtige politische, wirtschaftliche und sportliche Organisationen. Darin besteht ja auch der Unterschied zwischen dem «Brüningregime» und dem «Hitlerregime». Hier gibt es kein Verdienst Brünings: bürokratische Schwäche ist kein Verdienst. Doch muss man sehen, was ist. Die wichtigste, grundlegendste, kapitale Tatsache ist, dass Deutschlands Proletariat heute noch in vollem Rüstzeug seiner Organisationen steht. Wenn es schwach ist. so bloß deshalb, weil seiner organisatorischen Kraft eine unrichtige Anwendung zuteil wird. Es würde aber genügen, den Versuch von Bruchsal und Klingenthal auf ganz Deutschland zu übertragen, damit Deutschland anders aussehe. Gegen die Faschisten könnte die Arbeiterklasse unter diesen Bedingungen weitaus wirksamere und direkte Kampfesarten in Anwendung bringen als den Generalstreik. Würde aber aus dem Zusammenwirken der Umstände sich dennoch die Notwendigkeit des Massenstreikes ergeben (eine solche Notwendigkeit könnte sich ergeben aus einem bestimmten Wechselverhältnis zwischen Faschismus und Staatsorganen), so wäre ein System von Verteidigungskomitees der Einheitsfront imstande, den Massenstreik mit im Voraus gesichertem Erfolg durchzuführen.

Auf dieser Etappe würde der Kampf nicht halt machen. Denn was ist im Grunde die Bruchsaler oder die Klingenthaier Organisation? Man muss im Kleinen das Große zu sehen wissen: das ist der Lokalsowjet der Arbeiterdeputierten. Er nennt sich nicht so und fühlt sich nicht so, denn es handelt sich um einen vergessenen Provinzwinkel. Die Quantität bestimmt auch hier die Qualität, übertragt den Versuch auf Berlin – und Ihr habt den Berliner Sowjet der Arbeiterdeputierten!

* Manche Ultralinken (zum Beispiel die italienische Gruppe der Bordigisten) meinen, die Einheitsfront sei nur im Wirtschaftskampf zulässig. Der Versuch, den wirtschaftlichen vom politischen Kampf zu trennen, ist in unserer Epoche undurchführbarer als je zuvor. Deutschlands Beispiel, wo durch Regierungsverordnungen Tarifverträge aufgehoben und Arbeitslöhne verkürzt werden, müsste diese Wahrheit auch kleinen Kindern eingeben.

Nebenbei sei bemerkt, dass in ihrem gegenwärtigen Stadium die Stalinisten viele der früheren Vorurteile des Bordigismus reproduzieren. Kein Wunder, wenn die Prometheusgruppe, die nichts zulernt und keinen Schritt vorwärts macht, heute, in der Periode des ultralinken Zickzacks der Komintern, den Stalinisten weitaus nähersteht als uns.

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