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Leo Trotzki 19330303 Alarmsignal: Der Stalinismus richtet nicht nur das deutsche, sondern das Weltproletariat zugrunde

Leo Trotzki: Alarmsignal: Der Stalinismus richtet nicht nur das deutsche, sondern das Weltproletariat zugrunde

Die Gefahr rückt immer näher

[Nach Unser Wort. Halbmonatsschrift der deutschen Sektion der Internationalen Linken Opposition. Jahrgang 1, Nr. 3 (Mitte April), S. 1 f., Nr. 4 (Anfang Mai 1933), S. 6 und Nr. 5 (Mitte Mai 1933), S. 3f.]

Es wäre Kleinmut und Kurzsichtigkeit, wollte man den Umfang der Gefahr unterschätzen: Über der WKP(B), der regierenden Partei des ersten Arbeiterstaates, ballt sich eine Katastrophe zusammen. Sie abwenden kann nur die aufopfernde Anstrengung der fortgeschrittenen Arbeiter.

Die Lage ist derart gefährlich, dass ein Beschränken auf Andeutungen und halbe Worte bedeuten würde, Vorschub leisten der unterminierenden Arbeit der regierenden Fraktion gegen die Oktoberrevolution. Unter dem Stalinregime ist der Klassenfeind über alles, was geschieht und vorbereitet wird, besser orientiert als die Arbeiterklasse. Eventuelle Versuche der Konterrevolution, unsere offene Kritik auszunutzen, bilden nicht den hundertsten Teil jener Gefahr, die die böswillige Unorientiertheit der Bürokratie und das erzwungene Schweigen der proletarischen Avantgarde in sich birgt.

Im weiteren, historischen Sinne kann die Lage der Sowjetunion nicht ausweglos sein, denn wahrhaft ausweglos ist die Sache des Weltkapitalismus. Diese allgemeine historische Perspektive rechtfertigt nicht nur restlos die Oktoberrevolution, insofern sie einer Rechtfertigung bedarf, sondern verurteilt auch von vornherein jegliches Programm der kleinbürgerlichen Demokratie (Menschewiki, Sozialrevolutionäre usw.), das unabwendbar auf eine Restauration des „demokratischen" Kapitalismus hinausläuft. Sogar im Falle eines Sieges der Konterrevolution würde der Sowjethydra für jeden abgeschlagenen Kopf ein neuer erwachsen. Doch besagt das keinesfalls dass man der Stalinschen Bürokratie leichten Herzens erlauben dürfe, das heutige, lebendige Sowjetregime zum Zusammenbruch zu führen. Die historische Rechnung ist in diesem Falle eine Rechnung mit Jahrzehnten. Der Sturz der Sowjetmacht würde sich letzten Endes nur als eine historische Episode erweisen. Doch wäre das eine der schrecklichsten Episoden der Weltgeschichte. Die gesamte Aufgabe besteht darin, sie abzuwenden, Indes – die Gefahr rückt immer näher. Wir schlagen Alarm!

Bürokratische Sabotage des sozialistischen Aufbaus unter dem Schein einer unfehlbaren Leitung

Mit unerhörter Kräfteanspannung der Werktätigen, mit dem Preise ungezählter Entbehrungen und Opfer sind grandiose technische Werke geschaffen, außerordentliche Produktionserrungenschaften erreicht. In der Sprache des Eisens, des Zements und der Elektroenergie hat die Oktoberrevolution der Menschheit bewiesen, welche Möglichkeiten der Sozialismus mit sich bringt. Gleichzeitig aber hat die selbstsichere und unkontrollierte bürokratische Führung, die unfähig ist, die Zukunft zu überblicken und keine Kritik duldet, vom Mirakel des Sozialismus in einem Lande geblendet, die Wirtschaft in ein völliges Chaos gebracht, Produktionserfolge und technische Errungenschaften werden ökonomisch von Disproportionen und Lücken aufgefressen. In den wichtigsten Lebensfragen des Volkes: wie viel ist zu verbrauchen und wie viel für die Zukunft zurückzulegen? fragt niemand nach der Meinung der Arbeiter und Bauern. Die Bürokratie verfährt nach dem Augenmaß, lehnt Kriterien des Erreichbaren ab, anerkennt keine anderen Gesetze, außer den Gesetzen des eigenen Willens, ersetzt den Plan durch Befehl und Berechnung durch Druck. Die komplizierteste, noch niemals nicht nur nicht gelöste, sondern auch nicht gestellte Aufgabe: durch planmäßige Voraussicht und Regulierung eine Übereinstimmung aller wachsenden Wirtschaftsteile des Riesenlandes zu erreichen; eine Aufgabe, die ihrem Wesen nach nicht zu lösen ist ohne die tägliche Erfahrung von Millionen, ohne deren kritische Nachprüfung der eigenen Kollektiverfahrung, ohne offen ausgesprochene Bedürfnisse und Ansprüche, – diese gigantische, allumfassende historische Aufgabe des gesamten Volkes wird in Geheimkabinetten, im Sekretariat des ZK, auf Eingebung oder Einflüsterung eines Spezs gelöst. Ist das nicht ungeheuerlich!

Wenn das Politbüro aus sieben Universalgenies bestehen würde, aus sieben Marxens, sieben Lenins, es könnte nicht aus seiner schöpferischen Phantasie heraus die Wirtschaft von 170 Millionen Seelen befehligen. Ader das ist ja die Sache, dass ein Politbüro aus Marxens und Lenins sich niemals eine solche Aufgabe gestellt haben würde. Das heutige Politbüro besteht aus mittelmäßigen Bürokraten, die die der Partei entrissene Macht in trunkenen Taumel versetzt hat, die den Boden unter den Füßen verloren haben und am meisten um Erhaltung des eigenen aufgeblasenen Prestiges besorgt sind

Wie lange ist es her, dass diese Menschen die von ihnen schlecht verstandene Formel vom Bündnis der Arbeitet mit den Bauern als der Grundlage aller Grundlagen immer aufs Neue wiederholten? Wie lange ist's her, dass sie den Mittelbauern anbeteten? Die Existenz des Kulaken ableugneten? Angeblich im Namen der Nichtgefährdung der Smytschka1 das Programm der Planindustrialisierung ablehnten. Durch Die Folgen der eigenen Versäumnisse erschreckt, stürzten sie sich auf das Extrem der durchgehenden Kollektivierung. 25 Millionen isolierte Bauernegoismen, die gestern noch die Motoren der Landwirtschaft bildeten – armselige, schwächliche wie die Bauernmasse, aber immerhin Motoren – versuchte die Bürokratie auf einen Hieb durch den administrativen Willen von zweihunderttausend Kolchos-Verwaltungen zu ersetzen, denen die notwendigen Mittel, Kenntnisse und die Stützpunkte in der Bauernschaft selbst fehlten.

Die zu starke Verschiebung in der Verteilung der Volkseinnahmen – vom Lande zur Stadt, von der leichten Industrie zur schweren: das gefährliche Missverhältnis innerhalb der Industrie, der leichten wie der schweren, haben das Ergebnis der Arbeitsanstrengungen und der Kapitalausgaben äußerst herabgemindert. Die ökonomische Schere zwischen Staatsindustrie und Bauernschaft wurde abgebrochen, noch bevor sie sich verwirklichen konnte. Der Tscherwonez in der Tasche des Bauern geriet in das gleiche Verhältnis zur Ware, wie ein Lotterielos zum Gewinn sleht. Die neue Form der Smytschka, von höchster Bedeutung iu der Perspektive der sozialistischen Umgestaltung des Dorfes, gerade die von Traktoren und landwirtschaftlichen Maschinen zu verwirklichende Smytschka der Produktion verlor in den Augen des Bauern auf einmal die Anziehungskraft, insofern für ihn die realen Früchte unsichtbar blieben. 15 Millionen Bauernhöfe sind kollektiviert, 10 Millionen Einzelwirtschaften sind vorsätzlich Bedingungen aufgezwungen, die verhindern sollen, dass die Vorzüge der barbarischen Kleinwirtschaft vor der rein bürokratischen Kollektivierung augenfällig werden. So gelang es der Bürokratie durch kombinierte Mittel, die Anregung zur Arbeit bei der Bauernschaft zu schwächen, wenn nicht gar zu töten. Der auch früher niedrige Ertrag begann bedrohlich zu sinken. Die Versorgung der Industrie mit Rohstoffen und der Städte mit Lebensmitteln verschlechtert sich von Monat zu Monat. Die schwierigen Existenzbedingungen der Arbeiter erzeugen in Betrieben Fluktuität der Arbeitskräfte, Ausfall, nachlässige Arbeit, Bruch von Maschinen, hohe Prozente an Ausschuss, sinkende Qualitäten. Die gesamte Planwirtschaft ist bedroht.

Geldinflation

Die Bürokratie hat sich nicht nur von der politischen Kontrolle seitens der Massen freigemacht, sondern auch von der automatischen Kontrolle seitens des Tscherwonez. Alle Vorschriften bezüglich wirtschaftlicher Rentabilität, Wirtschaftsrechnungslegung, Qualität der Produktion, Selbstkosten und Arbeitsproduktivität sind null und nichtig geworden, nachdem die Inflation den stabilen Wertmesser liquidiert hat. Bürokratische Umsicht nahm auch dabei die Stelle der ökonomischen Realität ein: Die Funktion des stabilen Geldsystems sollte von nun an die Predigt der „sechs Bedingungen Stalins" erfüllen. Das ist das gleiche, wie wenn eine richtige Ernährung durch die Lektüre eines Kochbuchs ersetzt wird.

Inflation bedeutet steigende Besteuerung auf den Lebensstandard der Massen. Indem sie das Interesse des Arbeiters am Akkordlohn tötet, die Empörung des Arbeiters gegen feste Preise für landwirtschaftliche Produkte nährt, erzeugt die Inflation eine wilde Nachfrage nach Spekulation und nach dem Spekulanten. Es lügt, wer behauptet, unter dem sozialistischen Aufbau ist eine Inflation ungefährlich. Im Gegenteil bei den ersten Schritten der Planwirtschaft – und dies bedeutet die Reihe der Fünfjahrespläne – gestaltet sich die Inflation besonders gefährlich, um nicht zu sagen verheerend. Der Plan kontrolliert sich eben dadurch, dass er ohne Inflation auskommt. Zu behaupten, dass beim Vorhandensein eines planes die Inflation ungefährlich ist, ist beispielsweise dasselbe, wie zu behaupten, beim Vorhandensein eines Kompasses sei ein Loch im Schiff ungefährlich. Die Geldinflation wird die Quelle der Kreditinflation. Die Lücken des Planes werden mit Makulatur ausgefüllt. Reale Kriterien werden durch Fiktionen verdrängt. Die Planwirtschaft wird von innen zerfressen. Die Arbeiter der Planwirtschaft sollten in allen Räumen, wo die sich widersprechenden Vertilgungen des Politbüros in die Sprache der Zahlen übersetzt werden, Plakate aushängen: „Inflation ist die Syphilis der Planwirtschaft".

Wer wen?

Die Unrentabilität der verfrühten, unvorbereiteten, bürokratischen Kolchosen bei desorganisierter Verbindung von Landwirtschaft und Industrie führt zur Paralyse des Wirtschaftswillens der Bauernschaft. Um dem Bauern den verlorenen ökonomischen Antrieb teilweise wiederzugeben, hat die Stalinsche Führung den freien Handel in gewissen Grenzen legalisiert, wobei sie dieses mit der verlogenen Bezeichnung Kolchoshandel verschleierte. Verbot von Handelsvermittlern bei legalisiertem Privathandel bedeutet ungeheuerliche Preisanarchie, wie zersplitterte aber um so ungehemmtere Spekulation. Die Preise auf dem freien Markt sind gegenüber den Staatspreisen um das 10-, 15- und 20fache gestiegen.

Es ist nur natürlich, wenn der Kolchosbauer Brot und andere Produkte unter Umgehung des Staates aus den Markt zu bringen trachtet. Dies sind die „negativen Seiten des KoIchoshandels", stellt Stalin fest, ohne jedoch daraus weitere Schlussfolgerungen zu ziehen. „Negative Seiten!" Aber die Tatsache, dass der kollektivierte Bauer die Kanäle des Privathandels und der Spekulation dem Planhandel mit dem Staate vorzieht, bedeutet nichts anderes, als dass die ökonomische Smytschka zwischen Staat und Bauernschaft noch nicht im Geringsten erreicht ist.

Der freie Handel hat, indem er die Quecksilbersäule der Preise unerhört in die Höhe trieb, den krankhaften Zustand des Organismus enthüllt. Der Kampf gegen die Krankheit erfordert eine radikale Nachprüfung der Wirtschaftspläne und eine nicht weniger radikale Änderung der Methoden der Führung. Die über die Anzeichen der Quecksilbersäule erschreckte Bürokratie beschloss jedoch, auf das Thermometer unmittelbar einzuwirken. Molotow verkündete eine bevorstehende „Regulierung'' der Marktpreise. Diesen Weg haben die ökonomischen Zentren offenbar bereits beschritten. AIs könne man das Fieber eines kranken Organismus dadurch zum Sinken bringen, dass man auf der Thermometerskala die Null verschiebt! Man muss die Wirtschaft heilen. Man muss mit dem offenen Geständnis beginnen, dass die Frage wer wen?, der offiziellen Prahlerei entgegen, nicht nur auch im gröbsten noch nicht gelöst ist, sondern dass die Bedingungen für ihre Lösung, infolge der ununterbrochenen und uneinheitlichen Vergewaltigung der lebendigen Materie der Wirtschaft, sich bedeutend verschlechtert haben.

Die Aufhäufung von festen Preisen, der staatlichen Preise wie des freien Marktes; der Übergang vom Planabkommen, d.h. dem Anschein eines Handels zwischen Staat und Bauernschaft zu Getreide , Fleisch- und Milchsteuern; der Kampf auf Leben und Tod gegen Massenunterschlagungen des Kolchosengutes und gegen die Massenbegünstigungen dieser Unterschlagungen: die rein militärische Mobilisierung der partei zum Kampfe gegen Sabotage ber KuIaken – nach der „Liquidierung“ des Kulakentums als Klasse –: gleichzeitig damit: Unzureichende Ernährung der Städte, Rückkehr zum Kartensystem und Bajok. schließlich Wiedereinführung das Passsystems – ja, was bedeuten diese Maßnahmen, abgesehen davon, ob sie richtig sind oder nicht – anderes als den erbittertsten Kampf zwischen kapitalistischen und sozialistischen Tendenzen, einen Kampf, der im Jahre 1933 eine Reihe von charakteristischen Zügen der Jahre 1918-1919 wieder auferstehen last?

Anstatt dem realen Zustande der Landwirtschaft entsprechend die ökonomischen Rahmen der persönlichen Interessen der Bauernschaft zu erweitern, übt die Bürokratie einen noch stärkeren Druck auf den administrativen Hebel auf. An die Spitze der Kolchosen, die der Idee nach freiwillige Produktionskooperativen darstellen, sollen Kommunisten „gestellt" werden, gefügige Werkzeuge des kommandierenden Zentrums. Gleichzeitig bezeugt das, dass die Dorfkommunisten vom Geiste des bäuerlichen Widerstandes durchdrungen sind und dass unter ihnen eine Massensäuberung vorgenommen werden muss. Indes sind um die Kommandoposten in den Kolchosen mit Parteimitgliedern zu besehen, mindestens anderthalb Millionen Kommunisten erforderlich. Wo sie hernehmen?

Den bäuerlichen Kollektiven eine Wirtschaftsleitung nach dem Parteiabzeichen aufdrängen, heißt aber nicht nur die Kolchosen, sondern auch die Autorität der Partei untergraben; heißt die Aufgabe des ökonomischen Wetteiferns durch eine neue Portion administrativen Zwanges ersetzen; heißt sich nicht von der Nep entfernen, sondern von ihr zurückkehren zum „Kriegskommunismus", wenn auch auf einer höheren ökonomischen Stufe.

Das Fazit des ersten Fünfjahresplanes

Der Moment des Abschlusses des ersten Fünfjahresplanes fällt zusammen mit der seit den Zeiten des Bürgerkrieges ungeahnten Zuspitzung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Aber die Bürokratie führt zwei Existenzen: eine scheinbare und eine wirkliche. Sie trägt diesen Zwiespalt überall hinein, auch in das Gebiet der ökonomischen Statistik.

Mit dem Sekundenmesser in der Hand sagt Stalin: Wenn der Plan nur zu 93,7 Prozent durchgeführt wurde, so nur deshalb, weil die Drohung einer japanischen Intervention, die man bei der Aufstellung des Planes nicht voraussehen konnte, die 6,3 Prozent verschluckt hat. Mit anderen Worten: die Durchführung des gigantischen Planes, der die erste Erfahrung der Menschheit auf diesem Gebiete darstellt, der das Leben eines Landes mit einer Bevölkerung von 170 Millionen von allen Seiten erfasst, und zwar für volle 5 Jahre, hat Punkt für Punkt die Entwürfe des ZK bestätigt! Schon allein diese verblüffende Übereinstimmung zwischen Absicht und Durchführung muss bei jedem mit dem Abc der Frage Vertrauten schärfstes Misstrauen gegen die gesamte Bilanz hervorrufen. Und dieses Misstrauen ist völlig berechtigt. Es genügt schon das flüchtige Geständnis MoIotows, wonach die Produktion im Jahre 1932 insgesamt um 8,5 Prozent gegen die nach dem Jahresplan vorgesehenen 36 Prozent gewachsen sei! Wo blieb nun diese gewaltige Lücke, wie auch die Lücken der vorangegangenen Jahre? Stalin bringt falsche Zahlen und führt die Arbeiter und Bauern irre. Die Bilanz wird charakteristischerweise in Rubeln gezogen. In diesem elastischen Instrument der Berechnung liegt bei Schlüssel zur verblüffenden Übereinstimmung der Entwurf- und der Planzahlen. So sind auch riesige Mehrausgaben des Aufbaues verbucht als mehr als hundertprozentige Durchführung des Planes, während in Wirklichkeit die materiellen Resultate des Aufbaues, trotz den Milliarden an Mehrausgaben, um mehrere 10 Prozent zurückbleiben. Die gesamte Bilanz stützt sich auf solche Kunststücke der Buchhalterei, die das Ziel verfolgen, das, was ist, zu verschleiern, um das Prestige der Führung zu retten.*

Wir sind am allerwenigsten geneigt, die Erfüllung des Wirtschaftsplanes als eine Sportaufgabe zu betrachten, und würden die Durchführung des Fünfjahresplanes in sechs, sieben und acht Jahren als gewaltigen Erfolg betrachten, unter der Bedingung, dass die Disproportionen abnehmen und das Lebensniveau der Massen steigt. Aber gerade diese wichtigsten Kriterien zeigen äußerst ungünstige Momente.

Die Verfasser des Planes haben seinerzeit die Aufgabe verkündet: „Das Land auf ein neues, ungeahnt hohes Niveau der materiellen und kulturellen Aufgabe zu erheben". Bereits in den ersten zwei Jahren sollte eine Linderung des Warenhungers erreicht werden, die ferneren zwei Jahre sollten einen Warenüberfluss bringen. Im fünften Jahre sollte der Verbrauch an Industrieerzeugnissen je nach verschiedenen Kategorien um das Anderthalb-, Zwei- und Zweieinhalbfache steigen: der Fleischkonsum um 25 Prozent, Milch um 50 Prozent usw. zunehmen. In Wirklichkeit hat sich der Warenhunger unerträglich verschärft, der Brotkonsum scharf abgenommen. Fleisch und Milchprodukte sind eine große Seltenheit geworden. Dafür aber ist die Theorie entstanden, Sozialismus ist kein Konsumregime. Der Trost ähnelt zu stark einer Verhöhnung! Inmitten der errichteten Werke, Fabriken, Gruben, elektrischen Stationen, Kolchosen und Sowchosen beginnen Arbeiter und Bauern immer stärker sich wie zwischen gigantischen, für das Leben lebendiger Menschen gleichgültigen Gespenstern zu fühlen. Ein scharfes Gefühl der Enttäuschung erfasst die Massen. Die Bevölkerung, als Konsument, hört auf zu begreifen, weshalb sie ihre Kräfte als Produzent anspannen soll.

Würde Stalin offen zugeben: Die erzielten Resultate entsprechen unseren Erwartungen nicht, da wir vieles nicht vorausgesehen, uns verrechnet, manches nicht erfüllt haben – die werktätigen Massen wären nicht begeistert von der Führung, würden aber das Geständnis zur Kenntnis nehmen und den Führern wahrscheinlich eine neue Frist gewähren. Aber Stalin sagte: Der Plan ist vorzüglich, die Leitung auf der Höhe, die Absicht aufs Genaueste erfüllt. Was bedeuten dann die kläglichen Resultate? Stalin drängt den Massen den Gedanken auf, nicht er, Stalin, sei schlecht: schlecht sei das Planprinzip. Die Bürokratie identifiziert ihre Blindheit mit Sozialismus, und indem sie die Reputation ihrer Unfehlbarkeit zu retten versucht, verlästert sie den Sozialismus vor den Augen der Arbeiter und besonders der Bauern, Sie bemüht sich gleichsam bewusst, die Massen zu zwingen, einen Ausweg außerhalb des Sozialismus zu suchen.

Der zweite Fünfjahresplan

Die 17. Parteikonferenz hat im Februar 1932 die Direktiven des zweiten Fünfjahresplanes mit einem Jahreskoeffizienten von 25 für das Wachsen der Industrie angenommen, wobei Stalin erklärte, dieser Koeffizient werde noch steigen. Die linken Oppositionellen warnten vor Wettsprüngen der Industrialisierung, Man beschuldigte sie der Konterrevolution und sperrte sie in Gefängnisse.

Elf Monate später, im Januar 1933, verkündete Stalin plötzlich, der Koeffizient des Wachstums würde wahrscheinlich im zweiten Fünfjahresplan etwa 13 betragen. Niemand wagte zu opponieren oder an den vorjährigen Beschluss zu erinnern. So haben die realen Resultate des ersten Fünfjahresplanes das phantastische Projekt des zweiten Fünfjahresplans begraben, noch bevor man es durch ein neues ersetzen konnte. Einen zweiten Fünfjahresplan gibt es heute überhaupt nicht. Es kann ihn auch nicht geben nach dem chaotischen Zustand der Wirtschaft am Ausgang des ersten Fünfjahresplanes. Das Januarplenum hat verschwommene Direktiven entworfen. Die Aufstellung des zweiten Fünfjahresplanes wird nicht wenig Zeit in Anspruch nehmen.

Das Jahr 1933 ist faktisch aus diesem zweiten Fünfjahresplan ausgenommen. Seine Kontrollzahlen sind außerhalb der Gesamtperspektive vorgesehen. Die Verfasser des Planes für 1933 waren offensichtlich bestrebt, die Disproportion zu mildem und die klaffenden Lücken aus der Erbmasse des ersten Fünfjahresplanes auszufüllen.

Molotow und Ordschonikidse bemühten sich in ihren Reden, unseren Vorschlag zu verhöhnen, das Jahr 1933 als ein Jahr der Kapitalrenovierung der Sowjetwirtschaft auszusondern. Sie verwiesen darauf, dass im Jahre 1933 neue Unternehmen erstehen würden. Als hatten wir diese Möglichkeit ausgeschlossen, als hätten wir nur von Galvanisierung alter Galoschen gesprochen, nicht aber von „Renovierung" der Wirtschaft im Allgemeinen. Der Kampf um das Gleichgewicht setzt notwendigerweise voraus auch neuen Ausbau, aber im Zeichen des Wettmachens von Fehlern der Vergangenheit, nicht aber der Anhäufung neuer Fehler.

So ist die Führung unter den Schlägen, die sie nicht vorausgesehen hat und die sie auch jetzt, nachdem sie hereingebrochen sind, nicht offen zugibt, gezwungen, den Rückzug anzutreten auch auf dem Gebiete der Industrialisierung, wie bereits schon früher auf dem Gebiete der Kollektivierung. Jedoch vollzieht sie das Manöver des Rückzuges geheim, partiell, planlos, den Sinn des eigenen Handelns vor den anderen und vor sich selbst verschleiernd, wobei man die Methoden des nackten bürokratischen Kommandos aufrecht erhäft, ja sogar verschärft. Der neue Zickzack der Stalinschen Politik ist ein untrüglicher Beweis für die tiefe Zerrüttung der Sowjetwirtschaft, doch ist er absolut unfähig. einen Ausweg aus dem großen Zerfall zu finden.

Bonapartistische Tendenzen in der Partei

Die ökonomische Krise wird zur doppelten und dreifachen Gefahr bei der fehlenden Öffentlichkeit und Verantwortlichkeit. je unfähiger und selbstherrlicher die Führung, um so stärker wird der Widerstand der Menschen wie der Dinge. Alle Formen der Disharmonie, des Widerstandes, der Ablehnung, Unzufriedenheit. Passivität, durch objektive Hindernisse, Fehlrechnungen und Entbehrungen entstandenen Reibungen betrachtet die regierende Gruppe als Handlungen des Klassenfeindes. Die Bürokratie, die bis zum Jahre 1928 das Kulakentum als Erfindung der linken Opposition erklärte, entdeckt jetzt, nach der „Liquidierung des Kulakentums als Klasse", überall Kulakengefahr: in Sowchosen und Kolchosen, in Traktorbauwerken und Fabriken, in Staatsbetrieben, Parteiorganisationen, sogar im Zentralkomitee selbst. Der Schädling ist die Gestelt, auf die die Bürokratie jeden Augenblick zu stoßen wähnt. weil sie im Spiegel sich selbst nicht erkennt. Andererseits schaffen die gestörten ökonomischen Beziehungen und das Anwachsen der allgemeinen Unzufriedenheit tatsächlich einen Nährboben für die Bazillen der bürgerlichen Konterrevolution.

Das Gewaltsame der ökonomischen Disproportionen noch innen, vor allem die Öffnung der Schere zwischen Stadt und Dorf, nicht aber „Splitter" des Kulakentums und „Überbleibsel" der bürgerlichen Psychologie verleihen den politischen Verhältnissen im Lande eine unerträgliche Spannung, indem sie die Bürokratie weiter treiben auf dem Weg der weiteren Unterdrückung der gesamten Sowjetöffentlichkeit, und erzeugen bösartige Keime eines bonapartistischen Regimes.

Hauptmethode der Wirtschaftsleitung werden Repressalien. Im Zeichen des Bürgerkriegs verläuft die Saaternte und wird die Frühjahrsbestellung vorbereitet. Im Zeichen wütender Strafen wird der Kampf geführt gegen das Blaumachen, das die Apathie des Hungers erzeugt. Ernährungsschwierigkeiten werden gelindert durch Massenvertreibungen aus den Städten. Die Einführung des Passsystems wird von der Presse als sozialistischer Sieg gefeiert.

Die Führerin der Oktoberumwälzung, die Erbauerin des Sowjetstaates, die bolschewistische Partei ist zerdrückt, zertreten, eingeschüchtert, demoralisiert oder in Illegalität verjagt. Die Diktatur des Apparates, der die Partei zertrümmerte, ist abgelöst worden durch eine persönliche Diktatur. Innerhalb des Apparates geht eine Auslese der Getreuen vor sich, innerhalb der Getreuen eine Auslese der Getreuesten. Im Grunde vertraut mehr keiner dem „Führer", dessen Unfehlbarkeit zu einer Reihe schrecklicher Niederlagen geführt hat. Alle wissen und sehen es, dass Stalin durch seine eigene Politik in eine Sackgasse geraten ist und heute nicht weiß, was er morgen tun wird. Je mehr jedoch der Apparat die Stütze in den Massen verliert, um so mehr werden die Getreuesten der Getreuen vorn Apparat isoliert. Um so größer werden die religiösen Ehrungen, die man der Weisheit des „geliebten Führers" darbringt. Die Treue zum Programm ist endgültig abgelöst worden durch den Eid für die Person. Erlaubt sind nur Artikel und Reden, die eine Wiedergabe von Aussprüchen des Führers darstellen. Die Stimme der gesamten Sowjetpresse ist die Stimme würdeloser Kriecherei geworden. Man kann nicht ohne brennende Scham auf die geschundenen Gebote der Partei blicken, auf das zertretene Banner der Oktoberrevolution!

Die Verteidigung der UdSSR

Es ist überflüssig zu sagen, wie wichtig die Erfolge der Industrialisierung sind vom Standpunkt der technischen Festigung der Roten Armee und der Roten Flotte. Die gesamte Weltsituation drängt gebieterisch den bewaffneten Kräften der Sowjetunion eine Rolle von besonderer Bedeutung auf, sowohl im Westen wie im Osten. Aber gerade auf diesem Gebiet wäre eine Illusionspolitik das gefährlichste und das verbrecherischste. Die Rote Armee ist nicht nur Kriegstechnik. Brot und Fleisch spielen im Krieg keine geringere Rolle als Artilleriegeschosse. Das Pferd ist nicht unwichtiger als der Traktor. Das Reservoir für die lebendige Kraft der Armee sind die Arbeiter und Bauern. Die Stimmung der Werktätigen bestimmt die Stimmung der Armee. Die Kriegstechnik, im Maßstabe eines großen Krieges betrachtet, bildet eine Funktion der Gesamtwirtschaft. erfordert deren innere Harmonie und ein lückenloses Arbeiten.

Wenn Stalin versucht, die materiellen Entbehrungen der Werktätigen als Opfer auf dem Altar der Vaterlandsverteidigung zu rechtfertigen, so ist solche Erklärung ebenso verlogen Wie alle bürokratischen Schlussfolgerungen aus dem ersten Fünfjahresplan. In Wirklichkeit trifft die Kluft zwischen Landwirtschaft und Industrie in erster Linie die Armee und unterbindet den Willen der Sowjetregierung in der internationalen Arena. Die beispiellose Frechheit der japanischen Imperialisten. Wie die Handlungsfreiheit des deutschen Faschismus wären unmöglich ohne die scharfe Zerrüttung des Sowjetwirtschaft. Die Stalinsche Religion des Pazifismus, des Genfer wie des Amsterdamer, ist die Religion der Schwäche. Den Hauptschutz des proletarischen Staates bildet heute die Fäulnis des Weltkapitalismus. Das ist ein sehr ernster, aber doch unzureichender Schutz, nur in der Weltarena die Initiative zu ergreifen, muss das ökonomische Fundament des Sowjetstaates gesunden.

Die stalinisierte Komintern

Die schwierige innere Lage der Sowjetunion – sieht man für einen Augenblick von der bewussten und unbewussten Schädlingsarbeit der Bürokratie ab – wurzelt in der ökonomischen Rückständigkeit des Landes und darin, dass der Arbeiterstaat international isoliert ist. Doch ist die heutige Isoliertheit wiederum eine Folge der Politik der Komintern. Die lärmende Überschätzung der in der UdSSR erreichten inneren Erfolge ist im gleichen Maße verbrecherisch wie die Unterschätzung der Aufgaben der internationalen Revolution. Schritt für Schritt die Sowjetwirtschaft aufzubauen, indem man das Fundament der Diktatur des Proletariats festigt und die Elemente der zukünftigen sozialistischen Gesellschaft vorbereitet, – ist unbedingt notwendig; doch genügt dies nicht: Wenn die europäische Bourgeoisie mit dem Knüppel des Faschismus die Arbeiter niederschlägt und die Revolution um Jahrzehnte hinausschiebt, werden keine ökonomischen Erfolge die Sowjetunion retten können. Das Problem der kapitalistischen Einkreisung führt uns zu der Frage nach Strategie und Taktik der Kommunistischen Internationale, dieser Kette von Fehlern und Verbrechen.

Innerhalb der UdSSR, wo die Stalinsche Bürokratie über mächtige Staatsmittel verfügt, konnte ihre Politik während einer Reihe von Jahren noch die eigene Unzulänglichkeit maskieren, indem sie das Grundkapital der Revolution verschleuderte und nicht unmittelbar zu katastrophalen Folgen führte. In der Weltarena, wo man einen offenen Kampf gegen die Sozialdemokratie und alle übrigen Kräfte der bürgerlichen Gesellschaft zu führen gezwungen ist, hat sich in allen Ländern und in allen Weltteilen die Politik des bürokratischen Zentrismus als eine Arbeit der systematischen, wenn auch unbewussten Sabotage an der Weltrevolution offenbart. Nichts außer Fehlern, Verwirrung, Demoralisierung und Niederlagen hat die Stalinsche Führung in den letzten 10 Jahren zum Kampf der internationalen proletarischen Avantgarde beigetragen. Bulgarien, Deutschland (1923), Estland und wiederum Bulgarien (1924), China (die Periode des Blocks mit Tschiang Kai-schek wie auch die ganze übrige Politik), England (Anglo-russisches Komitee), Spanien (Periode der Revolution) – das ist die bei weitem nicht vollständige geographische Aufzählung der Akte von wahrhafter Schädlingsarbeit der zentristischen Bürokratie in der Sphäre der internationalen Revolution. Die wachsende Isoliertheit der Sowjetunion kann durch keinerlei „Nichtangriffspakt" wettgemacht werden.

Auf dem Leibe des Weltkapitalismus ist kein heiler Fleck übrig geblieben. Der Reformismus hat seine bettelarme Lakaienpolitik bis zur Neige erschöpft und steht vor dem Proletariat da als unverhüllte Ohnmacht und gebrandmarkter Verrat. In der Sowjetunion – behaupten die Stalinisten – ist der Fünfjahresplan erfüllt und der Sozialismus endgültig gesichert. Welche Bedingungen braucht die Kommunistische Internationale noch, um die durch und durch verfaulten Arbeiterorganisationen umzuwerfen, die proletarischen Massen um sich zu sammeln und sie zur Machteroberung zu führen? Dagegen verliert der offizielle Kommunismus überall Positionen und Einfluss, isoliert sich von den Massen, wird aus den Gewerkschaften hinausgedrängt, die Sektionen der Komintern werden im besten Fall Passierhöfe für die Arbeitslosen.

Tragische Krönung der internationalen Niederlagenpolitik der Stalinschen Fraktion ist ihre Handlungsweise in Deutschland: hätte man sich bewusst als Ziel gesetzt, die mit Verbrechen besudelte Sozialdemokratie vor dem Zerfall zu retten, das deutsche Proletariat in seiner Gesamtheit zu paralysieren und dem Faschismus den kürzesten Weg zur Macht zu öffnen, man hätte sich keine Taktik ausdenken können, die unmittelbarer zum Ziele führt. Den General Tschiang Kai-schek hat Stalin mit der Freundeshand des Verbündeten in den Sattel gehoben; Hitler hat er den Weg zur Macht erleichtert, indem er die Arbeitsteilung zwischen der sozialdemokratischen und kommunistischen Bürokratie sicherte; sich mit verschiedenen Phrasen deckend, führten und führen sie beide eine Politik des Zurückweichens, des Marasmus und der Feigheit. Die Resultate liegen offen da. Dem Klassenfeind dienen unter dem Anschein des unversöhnlichen Kampfes gegen ihn – das ist der Fluch, der über dem Zentrismus hängt!

Gruppierungen in der WKP(B) und in der Komintern

Der Gang der Ereignisse innerhalb der KPdSU beweist, dass die ökonomische Krise, die zur Krise der Revolution geworden ist, sich immer entschiedener Bahn schafft, von unten nach oben, durch die Staats- und Parteiapparate.

Die engere Stalinsche Fraktion, zusammengeschlossen um den plebiszitären „Führer", dem sie nicht mehr vertraut, macht verzweifelte Anstrengungen, um sich zu halten. Die erste Bedingung dafür ist – das Erwachen der Partei zu verhindern. Repressalien gegen die Opposition haben jetzt einen Massencharakter angenommen, wie sie ihn nicht einmal im Jahre 1928 gehabt haben, als man versprach, jegliche Opposition ein für allemal zu „liquidieren“. Die Hauptschläge sind natürlich gegen die Bolschewiki-Leninisten gerichtet, die einzige Fraktion, deren Autorität stetig wuchs und noch weiter wächst.

Für die Lage in der Partei sind zwei jüngste Tatsachen besonders bemerkenswert: Verhaftungen und Verbannungen der vor etwa vier Jahren kapitulierenden Führer der Linken Opposition und völlige, endgültige Kapitulierung der Führer der rechten Opposition. Einige Monate nach der bemerkenswerten Verbannung Sinowjews und Kamenews nach Sibirien läßt Stalin I. N. Smirnow, Preobraschenski, Ufimzew, Ter-Waganjan und etwa hundert mit ihnen verbundene frühere linke Oppositionelle verhaften. Man muss sich die Bedeutung dieser Tatsache bis zum Ende überlegen. Es handelt sich um alte Bolschewiki, die die Partei mit aufgebaut, Jahre der Illegalität überstanden, Oktoberrevolution und Bürgerkrieg mitgemacht und, gemeinsam mit uns, die Fraktion der Bolschewiki-Leninisten geschaffen haben. Als Stalin unter dem Druck der Feldbestellungsschwierigkeiten eine schroffe Wendung in die Richtung der Plan-Industrialisierung und des Kampfes gegen die Kulaken machte (Februar 1928), kapitulierte ein einflussreicher Teil der Linken Opposition, erschreckt über die Perspektive einer Spaltung vor der Bürokratie und schenkte ihr Vertrauen. Diese Tatsache war seinerzeit von größter politischer Bedeutung, sie festigte die Position der Stalinschen Bürokratie und hielt für längere Zeit den Zustrom zur Linkem Opposition auf. Jetzt ist das Fazit unter der Erfahrung einer ehrlichen, aufrechten, nicht karrieristischen Kapitulation gezogen: nach der Verbannung Sinowjews und Kamenews ließ Stalin Smirnow, Preobraschenski, Ufimzew und andere verhaften! Diesem Schlag gegen die Spitze sind während des verflossenen Jahres Verhaftungen von vielen Hunderten anderer durchschnittlicherer Kapitulanten vorangegangen, die bereits vor ihren Führern auf den Weg der Linken Opposition zurückgekehrt waren. Ein wahrhaft riesiger Ruck hat sich während der letzten zwei Jahre im Bewusstsein der Partei vollzogen, denn Umgruppierungen in der Spitze sind nur verspätete und abgeschwächte Abbildungen der tiefen Prozesse, die sich in den Massen abspielen. Wir sehen hier eine selten grelle Illustration für die Stärke einer richtigen und durchgehaltenen politischen Linie: einzelne Personen und Gruppen, sogar nach ihren revolutionären Eigenschaften hervorragendende, laufen manchmal unter dem Einfluss vorübergehender Bedingungen, in das Lager des Gegners über; aber der Gang der Ereignisse zwingt sie letzten Endes unter das alte Kampfbanner zurückzukehren.

Eine ganz andere, aber in ihrer Art nicht weniger symptomatische Bedeutung hat die hundertprozentige Kapitulation Rykows, Tomskis und Bucharins. Die politische Armee dieser Führer erstreckte sich bis tief ins Lager der feindlichen Klassen. Die Zuspitzung der revolutionären Krise musste unvermeidlich — das haben wir wiederholt vorausgesagt — dem bolschewistischen Kopf die rechten Opposition mit ihrem gewichtigen konterrevolutionären Schwanz entgegenstellen. Dieser Moment ist jetzt eingetreten. Erschreckt über die Stimmungen der eigenen Anhänger haben sich die rechten Führer endgültig der offiziellen Leitung unterworfen. Sie konnten diese Operation um so leichter vollziehen, der der Bruderkampf, mochte er sich vorübergehend auch noch so verschärfen, doch ein Kampf der rechten und linken Schattierung im Lager des bürokratischen Zentrismus geblieben war.

Die Kapitulation der rechten Führer widerspiegelt somit die Differenzierung der rechten Opposition, einer zwar formlosen, aber zweifellos der größten von allen Gruppierungen der letzten Periode. Viele Tausende Arbeitern, darunter auch Parteimitglieder, erschreckt über das Abenteurertum der Bürokratie, fühlten sich um so stärker zu den rechten Führern hingezogen, als sie von der vorangegangenen antitrotzkistische Demagogie irregeführt, in der Stalinschen Politik aufrichtig die Anwendung des „Trotzkismus" zu erblicken geneigt waren. Die Differenzierung des rechten Flügels bedeutet die Befreiung dieser proletarischen Elemente von den thermidorianischen Einflüssen und ihre unvermeidliche Annäherung an die Linke Opposition, deren wirkliche Physiognomie den Massen erst jetzt im Lichte ihrer eigenen Erfahrung klar zu werden beginnt.

Die politischen Gruppierungen in der Partei werden deutlicher, die Trennungslinien schärfer. Die „Arbeiteropposition" und der „demokratische Zentralismus" sind inzwischen faktisch von der politischen Arena verschwunden. Die proletarischen Elemente der zwischenstuflichen oppositionellen Formierungen der letzten Jahre nähern sich immer mehr den Bolschewiki-Leninisten, der einzigen Fraktion, die eine klare, im Feuer der Ereignisse überprüfte Plattform besitzt und dem Banner nicht für einen Augenblick untreu geworden war.

Ein ähnlicher Prozess, wenn auch nicht so krass, zeigt sich auch im internationalen Maßstabe. Während der rechte Zentrismus der es nicht wagt, die Frage eines internationalen Kongresses auch nur zu berühren, aufgehört hat, irgendwelche Antworten auf die brennendsten Fragen der Weltrevolution zu geben; während der rechte Flügel (Brandlerianer) unter der Einwirkung der zentrifugalen Gesetze des Opportunismus, als internationale Strömung endgültig zu existieren aufgehört hat, erwiesen sich die Bolschewiki-Leninisten fähig, unter den heutigen schwierigen Verhältnissen eine internationale Beratung einzuberufen, die klare Antwort gab auf die wichtigsten und strittigsten Probleme der proletarischen Weltbewegung in der nachleninschen Periode.

Wie sich die proletarische Weltrevolution in den nächsten Jahren auch entwickeln mag – dies hängt unmittelbar vom Ausgang des Kampfes gegen den Faschismus in Deutschland und von der Kursänderung in der UdSSR ab –, für die Linke Opposition hat im Weltmaßstab die Epoche des sichern Aufstiegs begonnen. Der fünfzigste Todestag Marx' wird in zwei offiziellen Lagern gefeiert, im Lager des Reformismus und im Lager des Zentrismus. Das Schicksal der revolutionär-marxistischen, d.h. der wahrhaft bolschewistischen Politik ist jedoch von nun an mit dem Schicksal der linken kommunistischen Opposition untrennbar verbunden.

Kapitalrenovierung der Wirtschaft

Die Bolschewiki-Leninisten gehen bei der Einschätzung der Möglichkeiten und Aufgaben der Sowjetwirtschaft nicht von den leeren Abstraktionen des Sozialismus in einem Lande aus, sondern von dem realen historischen Prozess in seinen internationalen Verknüpfungen und seinen lebendigen Widersprüchen. Nur die durch die Oktoberrevolution geschaffenen Grundlagen können das Land vor dem Schicksal Chinas und Indiens schützen, und schon in der heutigen Übergangsperiode ernstliche Erfolge auf dem Weg der Umwandlung der kapitalistischen Gesellschaft in eine sozialistische sichern. Das Gerede, als „verneinten" wir den proletarischen Charakter der Oktoberrevolution, bildet ein Gemisch aus Scholastik, Unwissenheit und Lüge. Es handelt sich darum, dass man auf der sozialen und politischen Basis der Sowjetunion verschiedenartige Politik machen kann. Es bleibt eben nur die Frage: welche?

Um die durch die Leitung der Epigonen zerrüttete Wirtschaft zu kurieren, d.h. die Disproportionen zu mindern, die Verbindung zwischen Stadt und Dorf zu festigen, eine stabile Geldeinheit zu schaffen, die Lage der Werktätigen zu bessern, muss sich vor allem von dem bürokratischen Wirrwarr und der bürokratischen Lüge befreien. Den Gesamtcharakter der wirtschaftlichen Maßnahmen, die von der heutigen Situation diktiert werden, kann man am richtigsten mit dem Worte Rückzug bezeichnen. Gerade deshalb, weil die Kolchosen ein zu breites Feld ergriffen haben, müssen dem Arbeiterstaat die Mittel fehlen, um dem Zerfall der Kolchosen entgegenzuwirken. Zwangsmaßnahmen werden sich unvermeidlich als ohnmächtig erweisen. Die einzig richtige Handlungsweise besteht darin: nachgeben an Quantität und gewinnen an Qualität. Auf dem politischen Gebiet lässt sich die gleiche Aufgabe anders formulieren: nachgeben an Raum, gewinnen an Zeit.

Gestützt auf die landwirtschaftlichen, auf die besten Kolchosen und Kolchosenarbeiter muss man die Kraft der zentrifugalen Tendenzen in den Kolchosen überprüfen und für diese Tendenzen einen ökonomisch vernünftigen Ausweg finden. Man muss jene Kolchosen erhalten und fördern, die ihre Lebensfähigkeit bewiesen haben oder aber nach der Lage der vorhandenen Mittel und dem Interesse der Mitglieder selbst ihre Lebensfähigkeit in der nächsten Zeit nachzuweisen imstande sind.

Die Stalinisten werden wieder sagen, dass unsere Bereitschaft, von 60 Prozent Kollektivierungen auf 40 Prozent, vielleicht sogar auf 25 Prozent (der Prozentsatz muss ökonomisch berechnet und nicht bürokratisch im Voraus bestimmt werden) zurückzuweichen, „Kapitulation", „Wiedererrichtung des Kapitalismus" usw. bedeute. Warum aber haben diese Helden die Kollektivierung nicht hundertprozentig durchgeführt, wie sie es vorhatten? Warum muss die Linie, auf der das Abenteurertum in einem gewissen Moment schon im Prozess des Rückzuges stehen geblieben ist, als heilig erklärt werden? Man muss sich vor dem scheinrevolutionären Geschrei der Bürokraten nicht fürchten. Ein kampfloses Zurückweichen von revolutionären Errungenschaften ist Verrat. Ein Zurückweichen von bürokratischen Abenteurern ist revolutionärer Realismus. In Bezug auf die Landwirtschaft muss um jeden Preis die Regel gelten leiten, aber nicht kommandieren!

Die Differenzierung der Bauernschaft ist noch während einer längeren Periode unvermeidlich; es wird prosperierende und arme Kolchosen geben; innerhalb der Kolchosen werden bedeutende soziale Unterschiede nicht nur erhalten bleiben, sondern mit der Entwicklung der Produktivkräfte auch wachsen. Darüber hinaus bestehen noch 10 Millionen Individualwirtschaften! Man muss eine solche Verständigung mit dem bäuerlichen Massiv erreichen, bei der der „entkulakisierte" Kulaken aufhört, der Führer der Bauernschaft gegen den Sowjetstaat zu sein. Man muss sich mit dem Muschik verständigen. Man muss dem Mittelbauern Zugeständnisse machen. Das Steuer-, Kredit- und Kooperativsystem, die Politik der Traktorenstationen usw., die weder dem Individualbauern noch den prosperierenden Kolchosen noch den wohlhabenderen Kolchosmitgliedern den Antrieb zur weiteren Anhäufung nehmen, müssen gleichzeitig die unteren Schichten des Dorfes ökonomisch festigen. Man muss sich entschieden, restlos und endgültig von dem Wahnsinn der mechanischen Liquidierung des Kulakentums lossagen. Man muss einsehen und zugeben, dass das Kulakentum nicht als „Splitter" und „psychologisches Überbleibseln" existiert, sondern als ökonomischer und sozialer Faktor. Man muss zurückkehren zur Politik der systematischen Beschränkung der Ausbeutungstendenzen der Kulakentums – im Ernst und für lange Zeit, praktisch bis zum Siege des Proletariats im Westen.

Erfolgreich kann ein solches kombiniertes System nur dann angewandt werden, wenn die armen Schichten der Bauernschaft in einem Verband der Armut vereinigt werden, dem Hauptstützpunkt der Partei im Dorfe.

Das Tempo der Industrialisierung muss abhängig gemacht werden von der Aufgabe der Wiederherstellung des dynamischen Gleichgewichts der Wirtschaft im Ganzen. Man muss verzichten auf die Weiterentwicklung der Planfehler nur deshalb, weil sie durch einen gestrigen Beschluss gefasst worden sind. Man muss die Programme der Kapitalarbeiten revidieren, und sofort alles einstellen, was offensichtlich über die Kraft des Landes hinausgeht. Der heutige unvermeidliche Verlust von Milliarden kann einen morgigen Verlust von vielen Zehnmilliarden verhüten. Er kann noch Schlimmeres verhüten: die Katastrophe.

Man kann schon jetzt mit Bestimmtheit sagen, dass die 16 Prozent des Industriezuwachses für das 1933, die bestimmt wurden, um mit den Abenteurerplänen von gestern nicht zu schroff zu brechen, völlig untragbar sind. Im Jahre 1932 stieg die Industrie nur um 8,5 Prozent statt der im Plan vorgesehenen 36 Prozent. Von diesen realen Errungenschaften muss man ausgehen, um durch Festigung des Fundaments unter den Füßen zu höheren Koeffizienten übergehen zu können.

Die durch das Herabsetzen des Tempos freigewordenen Mittel sind sofort teils dem Konsumfonds, teils der leichten Industrie zuzuwenden. „Man muss um jeden Preis die Lage des Arbeiters verbessern." (Rakowski) Während des Aufbaus des Sozialismus müssen die Menschen menschlich leben. Es geht nicht um einen Feldzug, nicht um freiwillige Samstage, nicht um eine vereinzelte Kraftanspannung, sondern um eine Perspektive von Jahrzehnten. Sozialismus bedeutet Arbeit für die künftigen Geschlechter. Doch muss sie so bestellt sein, dass die lebende Generation sie auf ihren Schultern zu tragen vermag.

Es muss ein stabiles Geldsystem errichtet werden, als einziger zuverlässiger Regulator der Planwirtschaft auf ihrer heutigen Entwicklungsstufe. Sonst wird der Zug der Planwirtschaft in den Abgrund geraten.

Für ein ehrliches Parteiregime! Für die Sowjet-Demokratie!

Um die Diktatur zu retten und zu festigen, ist eine neue Revolution nicht nötig. Es genügt eine tiefe, allseits überlegte Reform. Die Frage ist nur, wer sie durchführen wird. Das ist keine Frage der Personen oder Cliquen, sondern der Partei.

Dass die in der UdSSR regierende Partei einer Säuberung von Agenten des Klassenfeindes, Karrieristen, Thermidoristen und einfachen Pöstchenjägern bedarf, unterliegt keinem Zweifel. Doch nicht die bürokratische Clique kann diese Aufgabe leisten. Sich von fremden und feindlichen Elementen säubern kann nur die auferstandene Partei selbst, oder richtiger, ihr proletarischer Kern.

Die in den letzten zehn Jahren vollzogene Erdrosselung der Partei ist die Kehrseite der fortwährenden Niederschlagungen der Linken Opposition. Die Wiederauferstehung der Partei ist unmöglich ohne die Rückkehr der Oppositionellen in ihre Reihen. Das ist die erste Forderung, die wir erheben und die zu unterstützen wir alle Kommunisten, Jungkommunisten und aufgeklärten Arbeiter aufrufen.

Wir dehnen diese Forderung auch auf die rechte Opposition aus. Wir vertrauen der Stalin-Menschinski-Jagoda-Auslese nicht: ihr Kriterium bilden nicht die Interessen der proletarischen Revolution, sondern die Interessen einer Clique. Die Säuberung der Partei von wirklichen Opportunisten, geschweige denn von Thermidoristen, muss offen und öffentlich, nach dem Willen der Parteimassen durchgeführt werden.

Es geht um das Schicksal der Partei und des Sowjetregimes. Lenin erblickte die wichtigste Aufgabe der Partei in der Demokratisierung der Verwaltung: „Jede Köchin muss lernen, den Staat zu verwalten." Es vollzieht sich ein anderer Prozess: Die Zahl der Verwaltenden hat sich nicht bis zu „jeder Köchin" erweitert, sondern eingeschränkt auf einen Koch, und dazu noch einen Spezialisten in scharfen Gerichten. Das politische Regime wurde für die Massen unerträglich, ebenso wie der Name seines Trägers ihnen immer verhasster wird.

Schon im Jahre 1926 wurde Stalin gesagt, er stelle offen seine Kandidatur auf für die Rolle des Totengräbers der Partei und der Revolution. Während der letzten Jahre hat sich Stalin der Erfüllung dieser Rolle sehr stark genähert. In der Partei und über ihre Grenzen hinaus verbreitet sich immer mehr die Parole „Nieder mit Stalin". Entstehungsursachen und wachsende Popularität dieser Worte bedürfen keiner Erklärungen. Nichtsdestoweniger erwachten wir diese Parole für falsch. Es handelt sich nicht um Stalin persönlich, sondern um seine Fraktion. Gewiss, sie ist in den letzten beiden Jahren mächtig zusammengeschrumpft. Doch beträgt sie immer noch viele Tausende Apparatmänner. Andere Tausende und Zehntausende, denen die Augen aufgegangen sind, unterstützen Stalin aus Angst vor der Ungewissheit. Die Losung „Nieder mit Stalin" kann verstanden werden als eine Losung für den Sturz der heute regierenden Partei und noch weiter, des Apparats. Wir aber wollen nicht das System stürzen, sondern es mit Hilfe der besten proletarischen Elemente reformieren.

Selbstverständlich muss und wird dem bonapartistischen Regime eines einzigen Führers und der ihn zwangsweise vergötternden Masse ein Ende gemacht werden, als der schändlichsten Entstellung der Idee einer revolutionären Partei. es geht aber nicht um die Vertreibung von Personen, sondern um Änderung des Systems.

Gerade die Stalinsche Clique verbreitet unermüdlich, die Linke Opposition wolle nicht anders zur Partei zurückkehren, als mit dem Säbel in der Hand, und ihre erste Tat würde eine furchtbare Abrechnung mit den Fraktionsgegnern sein. Man muss diese vergiftete Lüge widerlegen, zurückweisen, entlarven. Rache ist kein politisches Gefühl. Die Bolschewiki-Leninisten haben sich von ihr niemals leiten lassen und beabsichtigen am allerwenigsten, es in Zukunft zu tun. Wir kennen zu gut jene historischen Ursachen, die Zehntausende von Parteimitgliedern in die Sackgasse des bürokratischen Zentrismus hinein gejagt haben. Uns leiten Erwägungen der revolutionären Zweckmäßigkeit, nicht aber der Rache. Wir schließen im Voraus keinen aus. Wir sind bereit, Hand in Hand mit jedem zu arbeiten, der durch die Wiederaufrichtung der Partei die Katastrophe abwenden will.

Für ein ehrliches Parteiregime! Das will sagen: für ein solches Regime, wo die Parteimitglieder laut aussprechen können, was sie denken; wo es keine Doppelzüngigkeit gibt; diese Kehrseite der Stalinschen Geschlossenheit; wo es keine lebenslänglichen, erblichen Führer gibt; wo Parteikongresse die Führer frei wählen; wo der Apparat der Partei dient, und die Partei dem Proletariat.

Für die Sowjetdemokratie! Das will sagen: die Partei leitet das System der proletarischen Diktatur, aber schnürt nicht die Kehle ab den Massenorganisationen der Werktätigen, sondern sondern im Gegenteil, führt deren Initiative und Selbständigkeit zur Blüte. Eines der wichtigsten Mittel zur Disziplinierung aller Apparat und ihrer Unterwerfung unter die Partei für Gewerkschaften und Sowjets allmähliche und konsequente Erweiterung – auf der Basis von Erfahrungsangaben – der Geheimabstimmung bei Wahlen von Exekutivorganen sein.

Die historisch entstandenen Gruppierungen der bolschewistischen Partei müssen sich verpflichten, ihre gesamte Arbeit im Rahmen der Statuten zu führen und mit Hilfe einer ernsten, von persönlicher Hetze und Verleumdung gereinigten Diskussion einen außerordentlichen Parteitag vorzubereiten. Dieses lässt sich nur im Kampfe erreichen. Hunderttausende Bolschewiki müssen ihre Proteststimme erheben gegen die Vergewaltigungen durch eine Clique, die die Partei mit Füßen tritt und die Revolution zum Untergang führt. „Einen ehrlichen Parteitag!" Mag diese Losung die Linke Opposition mit allen Parteimitgliedern, die diesen Namen verdienen, verbinden.

Das gleiche Verfahren ist auf die Komintern auszudehnen. Die III. Internationale ist vor Entartung und endgültigem Zusammenbruch zu retten nur durch radikale Änderung ihrer ganzen Politik, vor allem in Deutschland. Die politische Wendung ist auch hier vom Regime untrennbar. Die Wiederaufnahme der Linken Opposition muss auch hier der erste Schritt sein. Demokratisch vorbereitete Kongresse der nationalen Sektionen sind die zweite Etappe. Die Krönung muss ein Weltkongress der Kommunistischen Internationale bilden.

Die Plattform der Linken Opposition, niedergelegt in zahlreichen Dokumenten, ist Ende Februar d. J. bekräftigt worden in den Programmthesen auf der internationalen Vorkonferenz der Bolschewiki-Leninisten.

Vor zweieinhalb Jahren hat die Linke Opposition anlässlich der Gefahr, die seitens des deutschen Faschismus drohte, Alarm geschlagen. Die Stalinsche Bürokratie, selbstzufrieden und blind wie immer, beschuldigte uns der „Uberschätzung" des Nationalsozialismus, ja sogar der „Panikmacherei". Die Ereignisse haben eine erbarmungslose Überprüfung ergeben.

Jetzt geben wir – nicht zum ersten Mal, aber mit verzehnfachter Kraft — das Alarmsignal anlässlich der Lage in der UdSSR. Hier kommt die unmittelbare Gefahr nicht von außen, sondern von innen. Zum Hauptherd der Hauptgefahr ist der bürokratische Zentrismus geworden.

Wir rufen alle wahren Revolutionäre, alle klassenbewussten Arbeiter, alle Leninisten, die Leninisten geblieben sind, zum Kampf gegen ihn. Die Aufgabe ist schwierig und der Kampf kostet Opfer. Aber er muss zu Ende geführt werden. Man muss zur Hauptgefahr zusammenschließen die Reihe, festigen die Kader, erweitern das Netz der Verbindungen. Keine Repressalien, keine Provokation, keine Schnüffelei wird unsere Arbeit paralysieren, denn die Arbeit der linken Opposition in der Partei wird in eine immer dichtere Atmosphäre des Selbstvertrauens eingehüllt.

Bolschewiki der Sowjetunion, Bolschewiki der ganzen Welt! Die Sowjetwirtschaft ist in Gefahr! Die Diktatur des Proletariats ist in Gefahr! Die Weltrevolution ist in Gefahr!

Auf euch allen, auf uns allen liegt eine unermessliche Verantwortung vor der Geschichte.

L. Trotzki

Prinkipo, 3. März 1933

1 In „Unser Wort“ steht „der Schere“, was aber keinen Sinn macht. Schriften 1.1 übersetzt „des Bündnisses zwischen Stadt und Dorf“

* Die Frage über die Ergebnisse des ersten Fünfjahresplanes wird von uns ausführlich untersucht in einem für den Druck in Vorbereitung befindlichen Buche über die Sowjetwirtschaft.

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