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Leo Trotzki 19330901 Anlässlich der Pariser Konferenz

Leo Trotzki: Anlässlich der Pariser Konferenz

[Nach dem maschinenschriftlichen Text in Lev Davidovič Trockij / International Left Opposition Archives, inventory number 745, International Institute of Social History, Amsterdam]

Die Konferenz ist zu Ende. Wir verfügen weder die Protokolle noch selbst den endgültigen Text der Resolutionen. Nichtsdstoweniger kann man schon eine erste Bilanz ziehen. Diese Bilanz ist durchaus günstig auf die Linke Opposition. Das ist am besten nachzuprüfen durch den Vergleich, dessen, was wir erwarteten, mit dem, was wir erreichten. In den vorangegangenen Überlegungen und im Briefwechsel kamen wir alle darin überein, dass, wenn es uns gelingen sollte, unter ein klares und präzises Dokument für die neue Internationale, vier oder auch nur drei Unterschriften zu bekommen, dies ein gewaltiger Schritt vorwärts sein würde. Wir erhielten die vier Unterschriften, mit denen wir rechneten, unter das Dokument, welches das einzig reale Ergebnis der Konferenz darstellt, und das historische Bedeutung erlangen kann und muss.

Zu diesem gewaltigen Ergebnis kamen wir nicht dank irgendwelchen zufälligen Kombination oder künstlichen Manöver (in diesem Hinsicht gab es im Gegenteil einige Fehler bei uns), sondern dank dem, dass der von uns gemachte Schritt geschichtlich völlig reif war. Trotz zehn Jahren Welthetze und Verleumdungen gegen die Linken Opposition; trotzdem diese Verleumdung Spuren sogar im Bewusstsein der Gegner des Stalinismus hinterlassen hatte, darunter auch bei den sozialdemokratischen Arbeitern; trotzdem all dem fanden drei Organisationen, die einige zehntausende Arbeiter anführen keinen anderen Weg, als sich mit uns auf ein gemeinsames Dokument zu einigen, das mit einem langen und hartnäckigen Kampf rechnet. In die Mauer, welche die Linke Opposition umgab, ist eine breite Bresche geschlagen. Wir können mit Zuversicht hoffen, dass immer neue Organisationen und Fraktionen, die von der ganze Situation auf den revolutionären Weg gedrängt werden, sich jeden Monat mehr überzeugen werden, dass das einzige Banner, an das sich die proletarische Vorhut halten kann, das Banner des Bolschewismus-Leninismus ist.

Die Vierererklärung wird weiter oben das einzig ernste Ergebnis der Pariser Konferenz genannt. Was die breiten Beschlüsse der Mehrheit betrifft, so haben sie keine Zukunft. Das ist nicht schwer zu begreifen, wenn man bei der Zusammensetzung der Konferenz verweilt. Bildeten die Delegierten der vier Organisationen, die die Erklärung unterzeichnet haben, den linken Flügel, so wurde der äußerste rechte Flügel gebildet von den Vertretern der norwegischen Arbeiterpartei, die nach der Schaffung einer skandinavischen "Internationale" trachtet über ein Bündnis mit dem schwedischen und dänischen Sozialdemokratie, und darum befürchtet, sich durch die Nachbarschaft mit Kommunisten zu kompromittieren. Man muss schon hoffnungslos naiv, oder noch schlimmer, ein prinzipienloser Kombinator sein, um ein Bündnis oder eine Zusammenarbeit zu erhoffen mit einer derartigen durch und durch opportunistischem Partei oder den kleinen Gruppen, die um sie herumschwirren, wie den französischen PUPisten, die Italienischen Maximalisten, Maurins katalanischer Föderation, der polnischen Gruppe des Doktor Kruk oder der ganz komischen Partei Steinbergs (des ehemaligen „Volkskommissars“).

Urbahns vertrat auf der Konferenz das bisschen, was vom Leninbund noch übrig ist. Wenn Urbahns bei allen seinen guten revolutionären Absichten in den letzten Jahren irgend etwas bewies, so ist es seine völlige Unfähigkeit zu kollektiver Arbeit, einerseits, und zu systematischem Denken andererseits. Schon allein seine lächerliche Theorie vom "Staatskapitalismus", welche die UdSSR, die Vereinigten Staaten, Hitlerdeutschland und Mussoliniitalien unter einen Hut bringt, schließt die Möglichkeit einer gemeinsamen Arbeit mit ihm an der Schaffung der neuen Internationale aus.

Abseits stehen die schwedische Unabhängige Kommunistische Partei (Kilbom) 86 und die britische Unabhängige Arbeiterpartei. Diese beiden Organisationen befinden sich am Scheidewege. Die schwedische Partei eine zu solide Arbeiterorganisation dar, als dass sie der Politik Brandler-Thalheimers folgen könnte, die einzig und allein auf der Lakaienhoffnung fußt: vielleicht begnadigt uns Manuilsky und beruft uns an die Macht . Andererseits ist die Kilbompartei anscheinend noch stark von rechten Tendenzen besonders von Misstrauen gegen die Linke Opposition angesteckt. Wir werden geduldig die weitere Entwicklung dieser Organisation abwarten.Die heutige Zwischenposition kann nicht halten. Es wird eine Wahl treffen müssen. Wir müssen ihr helfen, die richtige Wahl zu treffen.

Ebenso, wenn auch unter anderen Bedingungen, verhält es sich mit der britischen ILP. Schwankt die Kilbompartei zwischen der rechten und der linken kommunistischen Opposition, so schwankt die ILP zwischen der Komintern und der neuen Internationale. Wenn auch vielleicht nicht sofort, werden die Bürokraten der Komintern die ILP doch unvermeidlich auf den Weg der neuen Internationale stoßen. Früher oder später werden wir mit dieser neuen Partei zusammentreffen, zumindest mit ihrem revolutionären Kern.

Es ist ganz klar, dass die Beschlüsse, die von der so buntscheckigen Mehrheit gefasst wurden, nur platonischen, dekorativen Charakter tragen. Jetzt gibt es nicht wenige, denen es beliebt, die Zweite Internationale zu „verdammen“ und über ihren Bankrott zu schreien, um in der Praxis die Politik des Opportunismus zu führen. Nicht wenigen beliebt es, über den Bankrott der Dritten Internationale zu schreien, um in der Praxis eine Politik der Kulissenschiebereien, die ihrem Geise nach dem bürokratischen Zentrismus sehr nahe steht. Den fortgeschrittenen Arbeitern sind nicht nur die nackten Verdammungsurteile über die Zweite und Dritte Internationale nicht genug,er hat auch von der bloßen Anerkennung der Notwendigkeit einer neuen internationalen nicht viel. Man muss deutlich sagen, von welcher Internationale die Rede ist: von der Wiederherstellung der erbärmlichen Internationale Nummer zweieinhalb oder von dem Zusammenschluss der internationalen proletarischen Vorhut auf Grund eines revolutionären Programms, das die Aufgaben unserer Epoche wirklich beantwortet. Ein solches Programm gemeinsam mit Tranmæl, Louis Sellier, Maurin und andere ausarbeiten, oder auch nur die Fiktion der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einer internationalen Organisation aufrechtzuerhalten, heißt anstatt der notwendigen rettenden Klarheit Chaos und geistige Demoralisation zu säen.

Man darf nicht daran vorübergehen, dass zwei unserer Verbündeten (die deutsche SAP und die holländische OSP) nicht nur in den Block der Vier, welche die Erklärung unterzeichnet haben, eintreten, sondern auch in den Ausschuss der Mehrheit (neben zwei Vertretern der britischen ILP und einem Vertreter der norwegischen Partei). Wir, die Linke Opposition, können von diesem Komitee nichts Positives erwarten, noch tun wir es. Wir halten die Teilnahme zweier unserer Verbündeter (SAP und OSP) am Komitee für einen krassen Widerspruch (die RSP, Partei des Genossen Sneevliet, geht nicht in das Komitee) und betrachten die Abstimmung der Vertreter der OSP und der SAP für die Resolution der Mehrheit, die nur imstande ist, Illusionen zu säen und vom Weg abzubringen, als ein schwerer politischen Fehler doch es wäre völlig verfehlt, wenn wir aufgrund dessen auf den aufrichtigen Versuch zur Zusammenarbeit mit den zwei Verbündeten verzichteten. Ihre Teilnahme am Block mit uns ist von morgen. Ihre Teilnahme am „Komitee“ ist von gestern.

Revolutionäre Unversöhnlichkeit besteht nicht darin, im Voraus Anerkennung unserer „Führung" zu fordern, indem am bei jedem Anlass den Verbündeten Ultimaten stellt und mit dem Bruch, mit der Zurückziehung der Unterschrift usw. droht. Solches Vorgehen überlassen wir einerseits den stalinistischen Bürokraten, andererseits den ungeduldigen Bundesgenossen Wir sind uns vollkommen klar darüber, dass schon mehr als einmal Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und unseren Verbündeten entstanden sind. Aber wir hoffen, ja, wir sind überzeugt, dass der Gang der Ereignisse in der Tat die Unmöglichkeit darlegen wird, gleichzeitig in dem Prinzipienblock der vier und dem prinzipienlosen Block der Mehrheit anzugehören. Ohne zu irgendwelchen unangebrachten „Ultimaten" Zuflucht zu nehmen, behalten wir uns jedoch das volle Recht vor, nicht nur im eigenen Namen aufzutreten, sondern auch unseren Verbündeten offen unsere Meinung darüber zu sagen, was wir bei ihnen für Fehler ansehen. Von den Verbündeten erwarten wir die gleiche Offenheit. Unser Bündnis wird dadurch nur gefestigt.

Auf der Tagesordnung steht jetzt die Ausarbeitung des Programmdokuments. Das Manifest der neuen Internationalen muss ein allgemeines Bild geben von der heutigen kapitalistischen Welt (sowie von der Sowjetunion), ihren wirtschaftlichen, politischen und internationalen Verhältnissen. Alle Erschütterungen unserer Epoche (Kriege, Krisen, Anfälle faschistischer Barbarei) müssen erklärt werden als Ergebnis des Ausbleibens der proletarischen Revolution. Die Verantwortung für dies Ausbleiben muss der Zweiten und Dritten Internationale zur Last gelegt werden. Das Hauptkapitel des Manifests muss der Darstellung des Verfalls beider Internationalen gewidmet sein. Schlussfolgerung: die Sache der proletarischen Revolution wie die Sache der Rettung der UdSSR erfordert die Schaffung einer neuen Internationale. Die Schlusskapitel müssen das Kampfprogramm der neuen Internationalen umreißen.

Die Ausarbeitung so eines Dokuments ist die Aufgabe der kommenden zwei, drei Monate. Gebührend gelöst werden kann diese verantwortungsvolle Aufgabe nur auf kollektivem Wege. Nötig ist, dass alle Sektionen der Linken Opposition, vor allem in Gestalt ihrer Führung, aussprechen, welche Ideen, Prinzipien, Losungen, Forderungen sie für notwendig erachten, in das Manifest aufgenommen zu werden. Handelt es sich um ein Dokument internationalen Charakters, so müssen darin doch auch die wichtigsten nationalen Aufgaben zur Darstellung gelangen. Äußerst erwünscht ist die Zusendung verschiedenartiger politischer Dokumente und überhaupt handschriftlichen wie gedruckten Materials, das bei der Ausarbeitung dieser oder jener Teile des Manifests von Nutzen sein könnte.

Die Sektionen der Linken Opposition richten natürlich alle ihre Kraft darauf, die Vierererklärung so weit wie möglich zu verbreiten und zu popularisieren. Zehntausende, Hunderttausende revolutionäre Arbeiter werden erleichtert aufatmen, wenn sie erfahren, dass es einen Ausweg aus der politischen Sackgasse gibt. Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist!

1. September 1933

G. Gurow

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