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Leo Trotzki 19331116 Brief an die belgische Sektion der Bolschewiki-Leninisten

Leo Trotzki: Brief an die belgische Sektion der Bolschewiki-Leninisten

[Nach Informationsdienst. Herausgeber Internationale Kommunisten Deutschlands (früher Linke Opposition), 1. Jahrgang, Nr. 9, 20. Dezember 1933, S. 1-3]

[Nachstehend veröffentlichen wir einen Brief des Gen. G. Gurow an die belgische Sektion der Bolschewiki-Leninisten, der von allgemeinem Interesse sein dürfte, da in ihm auch die Frage der vierten Internationale behandelt wird.]

Liebe Genossen,

mit großem Interesse habe ich die ganze Nr. 10 Ihrer internen Veröffentlichungen gelesen, die den Bericht über die Verhandlungen mit den „Internationalen Kommunisten" enthält. Ich habe mich gefreut, wie richtig unsere Freunde ihre Fragen stellen. Andererseits aber haben mir die Worte des Gen. Hennaut einen sehr kläglichen Eindruck gemacht. Das Mildeste, was man von ihm, so wie er jetzt ist, sagen kann, Ist, dass er ein absolutes Beispiel für theoretische und politische Konfusion darstellt. In keiner einzigen Frage bringt er etwas Positives, sondern nur Äußerungen des Zweifels, des Zauderns und der Furcht. Für jemanden, der Revolutionär sein will, gibt es keine tödlichere Situation!

Die vier ersten Komintern-Kongresse! Aber bei ihnen war ,:“irgend etwas" falsch, da die Resultate sich als so kläglich herausgestellt haben. Nun, was ist denn in Wirklichkeit falsch gewesen? Hennaut weiß es nicht. Er schlägt vor, einen Fehler zu suchen, den er nicht kennt. Aber-der wirkliche Fehler liegt ganz bei Hennaut selbst. Er glaubt, dass das Schicksal der KI nicht durch den Kampf der lebendigen sozialen Kräfte bestimmt wurde, sondern durch irgendeinen „Fehler" am Anfang, den man herausfinden muss - wie wenn es sich um eine mathematische Aufgabe handelte. Warum dann nicht gleich weitergehen und sagen: Drei Internationalen sind aus den Lehren von Marx hervorgegangen und alle drei entstanden, um zugrunde zu gehen – also muss man bei Marx einen „fundamentalen Fehler'' finden. Man kann noch weiter gehen und sagen, dass trotz der Wissenschaft die Menschen immer noch leiden und Unglücksfällen ausgesetzt sind – also ist es klar, die Wissenschaft muss einen fundamentalen Fehler enthalten. Das heißt aber, das Problem weder historisch noch dialektisch zu betrachten, sondern dogmatisch, im Geiste der katholischen Kirche, die alle Leiden der Menschheit durch die Erbsünde erklärt. Die Theorie Souvarines in Bezug auf die KI Ist auch die Theorie der Erbsünde. Und Hennaut ist leider der Jünger des sterilen Scholastikers Souvarine geworden,

Nach der Meinung des gleichen Hennaut (d.h. Souvarines) war unsere politische Leitlinie in Deutschland von Anfang bis zu Ende falsch. Es gehört eine beträchtliche Kühnheit dazu, eine solche Behauptung aufzustellen. Wo soll denn unser Fehler liegen? Weder in unserer Analyse, noch in unseren Voraussagen, noch in unseren Direktiven, sondern darin, dass wir die kommunistischen Arbeiter aufgefordert haben, auf ihre Partei einen Druck auszuüben, um sie zu einer richtigen Politik zu veranlassen. Statt dessen hätten wir den Arbeitern sagen sollen; strengt euch nicht an, es hat keinen Zweck, die KI Ist verloren. Und gleichzeitig denkt Hennaut, dass die Zeit nicht dazu reif war, die neue Internationale zu schaffen.

Was hätte man also wirklich den deutschen Arbeitern vorschlagen sollen? Sie sollten die alte Internationale verwerfen, aber keine neue aufbauen. Kurz, sie sollten sich schlafen legen. Unseren Fehler sehen diese lebensfremden Pedanten darin, dass wir den Arbeitern nichts verheimlicht und sie doch nicht entmutigt haben, sondern uns bemühten, ihnen zu helfen, alles aus der Lage herauszuholen, was man aus Ihr herausholen konnte. So handelt jeder Streikführer. Und wenn er es nicht tut, ist er kein Führer, sondern ein verachtenswerter Kapitulant!

Den Wreg des Heils sieht Hennaut in der Eröffnung einer „Diskussion" mit Souvarines, den Bordigisten, Urbahns und anderen hoffnungslosen Gruppen. Als wenn nicht eine derartige Diskussion im Laufe der letzten Jahre schon geführt worden wäre; als wenn nicht die Ereignisse den Maßstab zu ihrer Bewertung geliefert hätten; als wenn diese Ereignisse uns nicht auf entgegengesetzte Seiten geworfen hätten; als wenn eine prinzipielle Diskussion am Tisch einer "Konferenz" etwas zu der.politischen Erfahrung hinzufügen könnte, die durch einen langen theoretischen Kampf geklärt sind!

Man muss sehen, sagt Hennaut, ob man nicht bei Souvarines und bei allen anderen „kommunistischen" Gruppen und Grüppchen „etwas Richtiges" findet. Hennaut selbst lässt sich nicht dazu herbei, klar und deutlich zu sagen, was er bei ihnen an wirklich Richtigem gefunden hat. Er empfiehlt uns zu „suchen". Aber von einem Tag zum anderen besteht unsere Arbeit darin, auf jede Frage die richtigste Antwort zu suchen. Wir haben unsere Methoden ausgearbeitet, wir haben unsere Antworten, wir haben unsere Kritik des Standpunkts der Anderen. Hennaut gibt sich nicht damit ab, diese ungeheure kollektive Arbeit zu bewerten, er geht über alles, was wir getan haben, hinweg, er schlägt vor, wir sollen uns mit „Untersuchungen und Diskussionen“ befassen, als wenn wir erst heute auf die Welt gekommen wären. Was für ein steriler Standpunkt, der ganz vom Geiste des Souvarinismus durchsetzt ist!

Es ist besonders naiv zu sagen, dass unsere Teilnahme an der Pariser Konferenz, wo wir uns an „den gleichen Tisch" wie die Pupsten und andere gesetzt haben, einen „opportunistischen Fehler" darstelle. Also: die Einigung ist für Hennaut nicht durch die marxistischen Prinzipien, sondern durch … den Tisch gegeben! Er sagt kein Wort über den Inhalt unserer Erklärung und unserer Resolution, unter der vier Unterschriften stehen. Er vergisst oder er kann nicht begreifen, dass wir weder unsere vollkommene Unabhängigkeit zu handeln, noch unsere vollkommene Freihielt zur Kritik unseren Bundesgenossen gegenüber aufgegeben haben. Die Tatsache, dass die SAP und die OSP für die Resolution der sieben gestimmt haben, die ohne Inhalt und somit falsch ist, beweist sicherlich, dass unsere Bundesgenossen nicht zu der unbedingt nötigen marxistischen Klarheit gekommen sind. Aber wir sind die Ersten gewesen, die in unserer Presse offen auf diese Tatsache hingewiesen haben! Und wir werden – durch gemeinsame Arbeit und durch Kritik – unseren Bundesgenossen helfen, zur nötigen Klarheit zu kommen.

Die Argumente Hennauts gegen den Kampf für die IV.Internationale sind nicht weniger falsch und lebensfern als seine übrigen Betrachtungen. Zur Schaffung der III. Internationale, sagt er, war der Krieg und die russische Revolution notwendig. Viele wiederholen diese Formel, ohne sich ihren Inhalt zu überlegen. Der Krieg hat die revolutionäre Arbeit nicht erleichtert, im Gegenteil, er hat sie ungeheuerlich erschwert, besonders auf internationalem Gebiet. Aus diesem Grunde fanden alle Skeptiker vom Schlage Hennauts das Losungswort der III. Internationale während des Krieges „inopportun" und sogar „wahnwitzig". Jetzt spielt in gewissem Grade der Faschismus die Rolle, die 1914-18 der Krieg spielte – umso mehr. als der Faschismus einen neuen Krieg vorbereitet. Aber, sagt Hennaut, für die Schaffung der KI bedurfte; es noch der russischen Revolution. Was für eine bemerkenswerte Entdeckung! Ist denn die russische Revolution vom Himmel gefallen? Damit das Proletariat im Oktober siegen konnte,:war die Partei der Bolschewisten nötig, die nicht vom Geist Stalins und Kamenews (März 1917), sondern von Geist Lenins erfüllt war. Mit anderen Worten: es war nötig, dass Lenin gerade am Anfang des Krieges, unter den schwierigsten und ungünstigsten Verhältnissen, den Kampf für die III. Internationale begann, ohne auf Skeptiker. Angsthasen und Verwirrer Rücksicht zu nehmen. Die Schaffung der kommunistischen Internationale geschah nicht auf dem I. Kongress 1919 (der einen rein formellen Akt darstellte), sondern auf Grund der vorhergegangenen vorbereitenden Arbeit unter der entfalteten Fahne der III. Internationale. Aus dieser geschichtlichen Analogie ergeben sich von selbst die Konsequenzen für unsere gegenwärtige Arbeit.

Es ist keineswegs meine Absicht, durch diesen Brief irgendwie in Ihre Verhandlungen einzugreifen. Sollte die Hennaut-Gruppe oder ein Teil von ihr unserer Sektion beitreten, so könnte ich mich nur darüber freuen. Aber grundfalsch ist der Gedanke Hennauts, dass die Bedingung für den künftigen Erfolg in der Vereinigung aller oppositioneller Splitter der III. Internationale liegt. Diese Splitter sind nicht nach ihren Namen und Ansprüchen zu beurteilen und zu bewerten, sondern nach dem, was sie theoretisch und politisch wirklich beinhalten. Wer etwas zu sagen hat, der wartet nicht auf eine allgemeine Konferenz, von der man nichts weiß, sondern setzt seine Ideen In Form von Programmen, Thesen, Artikeln und Reden auseinander. Wer sich auf eine künftige Konferenz, beruft, die das Heil bringen soll, beweist nur, dass er überhaupt keine Ideen hat. Ich zweifle nicht daran, dass das für Sie ebenso klar ist wie für mich.

Mit herzlichen Wünschen für Ihren Erfolg

16. November 1933

G. Gurow

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