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Leo Trotzki 19330813 Das Organ des französischen Finanzkapitals über den Trotzkismus

Leo Trotzki: Das Organ des französischen Finanzkapitals über den Trotzkismus

[Nach Unser Wort. Halbmonatsschrift der deutschen Sektion der Internationalen Linken Opposition, Jahrgang 1, Nr. 11 (Ende August 1933), S. 3]

Als „Le Temps“ vom 13. August

Trotzki in der öffentlichen Meinung.

Unserer besonderer Korrespondent telegraphiert aus Moskau:

Gewisse Blätter haben den Aufenthalt Trotzkis in Frankreich dahin gedeutet, dass er dessen Annäherung an Stalin vorbereiten solle, dass Trotzki eine lange Unterredung mit Litwinow in Royat gehabt habe. Diese Nachrichten, die schon von der Sowjetbotschaft in Paris förmlich dementiert wurden, werden in den zuständigen Kreisen in Moskau als reine Erfindung betrachtet.

Trotzki wird immer noch als ein Konterrevolutionär betrachtet, und für den orthodoxen Kommunisten ist er von nun ab bloß ein ,bürgerlicher Journalist, der viel Geld verdient'. Man muss schon von russischen Dingen gar keine Ahnung haben, um nicht zu sehen, dass keine Politik möglich ist zwischen Trotzkis Politik der permanenten Revolution und derjenigen, die Stalin zum Siege verhalf mit der Formel des ,Aufbaus des Sozialismus in einem Lande'. Entgegen gewissen Ausdeutungen, die eine völlige Unkenntnis Russlands verraten, ist Trotzki nie ,ein Freund der Bauern' gewesen. Der ehemalige Volkskommissar für Kriegswesen hat weder Programm noch Truppen und sein Name findet in den russischen Volksmassen kein Echo mehr. Man versichert uns andererseits aus völlig beglaubigter Quelle, dass selbst in dem Falle, dass er, wie es Sinowjew und Kamenew getan haben, einen Reuebrief unterschreiben würde, in dem er alle seine Fehler anerkennte und sich der Generallinie der Partei anschlösse, es unmöglich wäre, ihm die Erlaubnis zur Rückkehr in die Sowjetunion zu erteilen. Übrigens liegt es durchaus nicht in Trotzkis Charakter, einen solchen Brief zu unterschreiben.“

Der Temps vom 13. August bringt ein Telegramm seines Moskauer Korrespondenten, das wir jedem denkenden Kommunisten zur Beachtung empfehlen. Das Telegramm könnte geradezu in Stalins Kanzlei geschrieben sein: „Trotzki wird auf keinen Fall in die Sowjetunion zurückkehren“, „Trotzki ist nie ein ,Freund der Bauern' gewesen“, „keine Versöhnung ist möglich zwischen Trotzkis Politik der permanenten Revolution und der Politik des … Aufbaus des Sozialismus in einem Lande.“ Das alles wird selbstverständlich mitgeteilt nicht zur Einschüchterung, sondern umgekehrt zur Beruhigung der öffentlichen Meinung der französischen Bourgeoisie.

Den offiziellen kommunistischen Zeitungen des Westens befiehlt Stalin, zum Gefopp der ausländischen Arbeiter zu drucken, dass Trotzki Verbündeter, Stütze und Hoffnung der Weltbourgeoisie sei. Aber der Korrespondent der „Temps“ versichert der französischen Bourgeoisie eifrigst, dass Trotzki „weder Programm noch Truppen hat, und dass sein Name bei den russischen Volksmassen kein Echo mehr findet.“ Anders ausgedrückt, das Organ des Finanzkapitals bemüht sich nicht nur nicht, den Einfluss seines angeblichen „Verbündeten“ zu übertreiben, sondern umgekehrt, beruhigt die französische Bourgeoisie mit der Versicherung von dem vollständigen und endgültigen Sieg des nationalen Sozialismus über die permanente Revolution. Der politische Sinn des „Temps“-Telegramms erhält besonderes Gewicht in Verbindung mit der Reise Herriots in die UdSSR, und überhaupt mit der Annäherungspolitik zwischen Frankreichs Bourgeoisie und Stalinbürokratie.

Das bemerkenswerteste an dem Telegramm ist jedoch sein Schluss: „Man versichert uns aus völlig beglaubigter Quelle, dass selbst in dem Falle, dass er (Trotzki), wie es Sinowjew und Kamenew getan haben, einen Reuebrief unterschreiben würde …, es unmöglich wäre, ihm die Erlaubnis zur Rückkehr in die Sowjetunion zu erteilen.“ Für jeden politisch geschulten Quelle heißt das: Stalin („die völlig beglaubigte Quelle“) übernimmt vor dem Agenten des französischen Finanzkapitals die förmliche Verpflichtung, Trotzki nicht in die UdSSR zurückzulassen, auch nicht, wenn er einen Reuebrief unterschriebe. „Übrigens“, fügt der Korrespondent beiläufig hinzu, „liegt es durchaus nicht in Trotzkis Charakter, einen solchen Brief zu unterschreiben.“ Der „Temps“weicht vorsichtig dem Widerspruch aus: warum es, wenn Trotzki „weder Programm noch Truppen hat“, wenn er „den Massen fremd ist“, „unmöglich wäre, ihm die Erlaubnis zur Rückkehr in die Sowjetunion zu erteilen“, selbst im Falle seiner Bußfertigkeit. Der gewitzte Korrespondent wahrte politische Disziplin und stellte seiner „beglaubigten Quelle“ keine kitzligen Fragen. Stalins kategorische Verpflichtung war ihm für dieses Mal genug: die französische Börse möge keine Angst haben vor der Annäherung an Moskau: „Trotzki wird auf keinen Fall in die UdSSR zurückgelassen werden.“ Gestern hat es Stalin Hitler beteuert, heute dem Comité des Forges.

Noch einmal: mögen die Stalinisten über dies bemerkenswerte politische Dokument nachdenken. Es ist kein Geschwätz der Asphaltpresse. Nicht umsonst sagte Jaurès einmal: „Der ,Temps', das ist die Presse gewordene Bourgeoisie.“

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