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Leo Trotzki 19330111 Die Gefahr des Thermidors

Leo Trotzki: Die Gefahr des Thermidors

Zur Stalin-Rede

[Nach Permanente Revolution, 3. Jahrgang Nr. 3 (3. Januarwoche 1933), S. 3]

Das Sowjetregime beruht auf dem Bund des Proletariats und der Bauernschaft. Das Proletariat bildet die Minorität der Bevölkerung; das Bauerntum die überwiegende Mehrheit. In den Händen des Proletariats befinden sich jedoch die konzentriertesten Produktionsmittel. Die Kräfte der Bauernschaft sind im Gegenteil durch ihre wirtschaftlichen Verhältnisse zersplittert. Noch mehr, sie ist nicht homogen. Solange man nicht gründlich Technik und Wirtschaft im Dorfe ändern wird, — und dazu braucht man selbst unter den günstigsten Umständen noch die Arbeit einer ganzen Generation, — wird die Bauernschaft aus sich selbst eine Schicht von Kulaken aussondern, die unvermeidlich zum Kapitalismus strebt. Die mechanische Zertrümmerung der jetzigen Kulaken entscheidet nichts. Nach der angeblichen Liquidierung der Kulaken als Klassen beklagt sich unaufhörlich die Sowjetpresse, die vom Materialismus zum Idealismus übergegangen ist (Bürokraten sind immer Idealisten) über die Kraft der Kulaken«ideoIogie», über die Überreste der Kulakenpsychologie usw. In Wirklichkeit verbirgt sich hinter diesen Klagen die Tatsache, dass die mittlere Bauernschaft, obgleich in Kolchosen eingesperrt, angesichts der jetzigen Technik und Wirtschaft für sich keinen anderen Ausweg sieht, als sich auf das Niveau der Kulaken emporzuheben.

In der Oktoberumwälzung verquickten sich zwei Revolutionen: das Ende der demokratischen und der Anfang der sozialistischen. Indem sie die Pachtzahlungen beseitigte, brachte die demokratische Revolution der Bauernschaft fast eine halbe Milliarde Goldrubel ein. Die Früchte der sozialistischen Revolution bewerten sich für den armen Bauern durch die Quantität der industriellen Produkte, die er im Austausch gegen eine bestimmte Menge Getreide bekommen kann. Der Bauer ist kein Utopist; er fordert nicht, man solle ihm den Sozialismus in einem Lande aufbauen und dazu noch in 5 Jahren. Aber er verlangt, dass die sozialistische Industrie ihm Waren liefert unter Bedingungen, die nicht schlechter sind als die der kapitalistischen Industrie. Unter diesen Umständen ist der Bauer bereit, dem Proletariat und seiner Partei einen unbeschränkten Kredit an politischer Treue zu leihen. Der Sowjetstaat würde die Möglichkeit erhalten, In Abhängigkeit von den inneren Verhältnissen und der Weltlage zu manövrieren und das Bauerntum in die sozialistische Wirtschaft hineinzuziehen.

Die Basis der Massenkollektivierung kann nur der äquivalente Austausch der Produkte der Industrie und Landwirtschaft sein. Ohne auf die theoretisch-ökonomischen Spitzfindigkeiten einzugehen, muss man als äquivalent den Austausch betrachten, der die Bauern, die individuellen wie die kollektivierten, anregt, soviel als möglich Land zu bebauen und Getreide zu ernten, den größten Teil nach der Stadt zu verkaufen, um soviel als möglich Industrieprodukte dafür zu erhalten. Nur eine solche wirtschaftliche Wechselbeziehung zwischen Stadt und Land – wie Lenin sagt: die «Smytschka» – kann den Arbeiterstaat von der Notwendigkeit befreien, Zwangsumtauschmaßnahmen gegen das Dorf zu ergreifen. Nur in dem Augenblick, wo der freiwillige Austausch gesichert ist, wird die proletarische Diktatur unerschütterlich sein. Die gesicherte «Smytschka» bedeutet das engste politische Bündnis des armen Bauerntums mit den Arbeitern der Stadt, die Standhaftigkeit der entscheidenden Massen der mittleren Bauernschaft, folglich die politische Isolierung des Kulaken und überhaupt aller kapitalistischen Elemente im Lande. Die gesicherte «Smytschka» bedeutet die unerschütterliche Treue der Roten Armee zur proletarischen Diktatur, was angesichts der Erfolge der Industrialisierung und der unbeschränkten menschlichen, überwiegend bäuerlichen Reserven dem Sowjetstaat die Möglichkeit geben würde, eine beliebige imperialistische Intervention zurückzuwerfen.

Wie die Linke Opposition seit 1923 erklärt hat, ist die Industrialisierung die Vorbedingung des Marsches zum Sozialismus. Ohne den Aufstieg der Industrialisierung kann man dem Bauern weder Leinwand, noch Nagel, geschweige denn Traktoren liefern. Aber die Industrialisierung muss nach solchen Tempos und nach solchen Plänen durchgeführt werden, dass sich das Verhältnis der Warenmassen zwischen Stadt und Dorf regelmäßig, wenn auch langsam vergrößert und der Lebensstandart der Arbeiter und Bauern sich erhöht. Diese hauptsächliche Bedingung der Stabilität des ganzen Regimes beschränkt die zulässigen Tempi der Industrialisierung und der Kollektivierung.

Es hat keinen Sinn zu fragen: Hat der Fünfjahresplan die Klassen beseitigt, den Sozialismus eingeführt? Man muss aber unbedingt fragen: Hat er die «Smytschka» zwischen Stadt und Land gesichert? Die Antwort lautet: Nein, er hat sie geschwächt und erschüttert. In seiner letzten Rede auf dem Plenum des ZK rühmte sich Stalin, dass der Plan der Kollektivierung dreimal überholt sei. Aber wer braucht diese Ziffern, außer der bürokratischen Prahlern? Die Statistik der Kollektivierung ersetzt nicht Brot. Die Kolchosen sind zahlreich, aber es gibt kein Fleisch, kein Gemüse. Die Stadt hat nichts zu essen. Die Industrie ist desorganisiert, weil die Arbeiter hungrig sind. Im Verhältnis zum Bauern ist die Stadt von einem halb freiwilligen Austausch auf den Weg einer Naturalsteuer zu Zwangsexpropriierungen, d. h. zu den Methoden des Kriegskommunismus übergegangen.

Die hungrigen Arbeiter sind mit der Politik der Partei unzufrieden. Die Partei ist unzufrieden mit der Leitung. Die Bauernschaft ist unzufrieden mit der Industrialisierung, mit der Kollektivierung, mit der Stadt. Ein Teil der Bauernschaft ist unzufrieden mit dem Regime. Welcher Teil? Man kann es nicht wissen; aber es ist offenbar, dass er unter den heutigen Umständen nur wachsen kann.

«Der Plan der Kollektivierung ist dreimal überholt!» Gerade darin besteht das Unglück. Die erzwungenen Kolchosen führen nicht nur nicht zum Sozialismus, sondern untergraben im Gegenteil die Grundlagen der Diktatur des Proletariats, indem sie die organisierten Formen des Streikes der Bauern gegen die Stadt werden. Indem sie das Getreide vor dem Staat verbirgt oder absichtlich die Aussaat einschränkt, stellt sich die Bauernschaft auf den Weg des Kulaken: Erlauben Sie mir, sagt sie, freiwillig zu verkaufen und einzukaufen. An wen und von wem? An diesen und von diesem, der geeignete Preise vorschlägt, sei es der Staat, ein Privathändler oder ein ausländischer Kapitalist. Der bäuerliche Streik für die Freiheit des Binnenhandels führt unmittelbar zur Forderung der Beseitigung des Außenhandelsmonopols. Das ist die Logik der Fehler des Fünfjahresplanes.

In seiner Rede gab Stalin das Fazit. Darüber werden wir noch in einem besonderen Artikel sprechen. In der Planwirtschaft aber entspricht die statistische Bilanz der ökonomischen Bilanz nur in dem Falle, dass der Plan richtig ist. Ein fehlerhafter Plan kann im Gegenteil die größten Erfolge kompromittieren, sogar sie annullieren. Der Fünfjahresplan hat ungeheure Eroberungen in der Technik und in der Produktion gebracht. Aber seine wirtschaftlichen Resultate sind außerordentlich widerspruchsvoll. Was die politische Bilanz betrifft, so weist sie ein offenbares und sehr großes Defizit auf. Doch ist Politik verdichtete, konzentrierte Ökonomie. Die Politik entscheidet. Der sozialistische Aufbau, der einen Keil zwischen den Arbeiter und den Bauern treibt und Unzufriedenheit unter das Proletariat sät, ist ein lügenhafter Aufbau. Keine Ziffer kann diese objektive Bewertung ändern. Die wirkliche Bilanz ergibt sich nicht in den Seiten der Zeitungen, sondern auf den Feldern der Bauern, in den Scheunen der Kolchosen, in den Lagern der Betriebe, in den Speisesälen der Arbeiter und endlich in den Köpfen der Arbeiter und der Bauern.

Durch alle seine Zickzacks, seine Verspätungen, seine Sprünge nach vorwärts hat der bürokratische Zentrismus nicht die Diktatur des Proletariats gestärkt, sondern im Gegenteil, die Gefahr des Thermidors empor getrieben. Nur Feige können sich fürchten, dieses Resultat mit lauter Stimme zu nennen. Tatsachen sind stärker als Worte. Um gegen feindliche Tatsachen zu kämpfen, muss man sie mit ihrem wahren Namen nennen. Man muss auch die Schuldigen beim Namen nennen: Stalin und seine Clique.

Warum sprechen wir gerade vom Thermidor? Weil es geschichtlich das bekannteste und vollendetste Beispiel einer maskierten Konterrevolution ist, welche noch die äußeren Formen und das Ritual der Revolution enthält, aber die schon den Klasseninhalt des Staates ändert. Hier werden uns die Klugen unterbrechen, um ihre Klugheit zu zeigen: im Frankreich des 18. Jahrhunderts handelte es sich um eine bürgerliche Revolution, im Russland des 20. Jahrhunderts um eine proletarische Revolution; die sozialen Bedingungen hätten sich stark verändert, die Weltlage habe sich geändert usw. usw. Mit solchen Gemeinplätzen nimmt jeder Philister das Aussehen außerordentlicher Geistestiefe an. Auch für uns stellt der Unterschied zwischen der Oktoberrevolution und der Jakobinerrevolution kein Geheimnis dar. Aber das ist kein Grund, der Geschichte den Rücken zuzukehren. 1903 schrieb Lenin1, dass die Bolschewiki untrennbar mit der Arbeiterklasse verbundene Jakobiner sind. Damals erwiderte ich Lenin, indem ich ausführlich erklärte, worin sich der Marxist vom Jakobiner unterscheidet. Meine in sich selbst richtigen Erwägungen verfehlten jedoch vollständig ihr Ziel. Lenin wusste wohl, dass Marxist und Jakobiner nicht dasselbe sind, aber es war ihm zu einem bestimmten Zwecke nötig, ihre gemeinsamen Züge herauszuschälen. Ohne solche Methoden kann man von der Geschichte überhaupt nichts lernen.

In demselben Sinne, in dem Lenin die Bolschewiki die proletarischen Jakobiner nannte, kann man in der Reaktion gegen die Diktatur des Proletariats die Züge des Thermidors herausschälen. Nicht jede Konterrevolution kann mit Thermidor verglichen werden: weder Kornilow, noch Koltschak, noch Denikin, noch Wrangel hatten mit Thermidor etwas gemeinsam. In allen diesen Fällen handelte es sich um einen bewaffneten Kampf von Kapitalisten und Grundbesitzern für die Wiederherstellung ihrer Herrschaft. Diese Gefahr hat der proletarische Staat zurückgeschlagen. Kann sie sich erneuern? Als unabhängiger Faktor — kaum. Die russische Großbourgeoisie ist radikal vernichtet. Die übriggebliebenen Reste könnten nur als Schwanz einer ausländischen militärischen Intervention oder als Schwanz des Thermidors auf die Bühne treten.

Von allen vergangenen konterrevolutionären Bewegungen in der Sowjetunion kommt der Kronstädter Aufstand vom März 1921 seinem Typus nach dem Thermidor am nahesten. Alle proletarischen Elemente der Kronstädter Garnison wurden im Laufe der drei vorhergegangenen Jahre für den Sowjetaufbau und den Bürgerkrieg herausgeholt; die Besten waren vernichtet. Auf den Schiffen und in den Kasernen blieben nur die unreifen, halb hungrigen bäuerlichen Elemente. Viele dieser Matrosen haben sich als Bolschewiki betrachtet, sie wollten aber keine Kommune; sie waren für die Sowjets, aber ohne Kommunisten. Es war die Rebellion der verletzten, unzufriedenen Bauernschaft, die ihre Geduld verloren hatte, gegen die Diktatur des Proletariats. Hätte die Kleinbourgeoisie gesiegt, so würde sie am nächsten Tage ihren Bankrott bewiesen haben und ihren Platz konnte nur die Großbourgeoisie einnehmen. Unter den Bedingungen der heutigen Epoche, d. h. des 20. und nicht des 18. Jahrhundert, wären dafür nicht Jahre nötig; Monate, sogar Wochen genügten. Die kleinbürgerliche Konterrevolution, die sich aufrichtig als Revolution betrachtet, die die Herrschaft des Kapitalismus nicht will aber sie unvermeidlich vorbereitet — das ist Thermidor.

In der Sowjetunion kann nur die Bauernschaft eine Kraft des Thermidors werden. Dazu ist nötig, dass sie sich ernst vom Proletariat scheidet. Die Vernichtung der normalen Verhältnisse zwischen Stadt und Dorf, die administrative Kollektivierung, die Zwangsexpropriierung der landwirtschaftlichen Produkte stellen jetzt die Bauernschaft dem Sowjetstaate gegenüber, nicht weniger scharf als im Winter 1920/21. Es ist wahr, dass das Proletariat jetzt zahlenmäßig viel stärker ist: darin besteht der Erfolg der Industrialisierung. Aber das Proletariat ist vollständig einer aktiven, wachsamen, aktionsfähigen Partei beraubt. Die Scheinpartei ist ohne marxistische Leitung. Andererseits hat die Bauernschaft in der Form der Kolchosen eine Organisation des Widerstandes gegen den Sowjetstaat bekommen. Die Beseitigung der «Smytschka», die sich herzustellen begann, droht das politische Bündnis zwischen Proletariat und Bauernschaft zu zerbrechen. Gerade darin besteht die Quelle der Gefahr des Thermidors.

Man soll sich die Sache nicht so vorstellen, dass der Bruch durch eine sehr genaue soziale Linie gekennzeichnet werden muss: Hier die Bauern, dort die Arbeiter. Die bäuerlichen Massen umzingeln und verstricken das Proletariat von allen Seiten. Im Proletariat selbst gibt es Millionen frisch vom Dorf Gekommener. Endlich die offenbare Fehlerhaftigkeit der Politik der Leitung, der Schiffbruch des bürokratischen Abenteuertums, die Abwesenheit einer klaren Orientierung, die absolute Erstickung der Arbeiterdemokratie – das alles macht auch den wirklichen Arbeiter dem Druck der kleinbürgerlichen Ideologie zugänglich. Darin besteht die zweite Gefahr des Thermidors.

Man darf auch nicht denken, dass die Bruchlinie irgendwo zwischen der Partei einerseits und der Bauernschaft und einem Teil der Arbeiterklasse andererseits hindurchgehen muss. Nein, – die Linie des Thermidors müsste unvermeidlich durch die Partei selbst führen. In seinem Testament schrieb Lenin: «Unsere Partei stützt sich auf zwei Klassen. Aus diesem Grunde ist eine Erschütterung ihrer Stabilität möglich, und wenn kein Einvernehmen zwischen beiden Klassen bestehen kann, ist der Zusammenbruch der Partei unvermeidlich … In einem solchen Falle würden keine Maßnahmen imstande sein, eine Spaltung (der Partei, – L. T.) zu verhüten; aber ich erwarte zuversichtlich, dass es sich dabei um eine zu ferne Möglichkeit handelt, um ein zu unwahrscheinliches Ereignis, als dass man darüber sprechen müsste». Lenin drückte in jenen Tagen die Gewissheit aus, dass 10-20 Jahre richtiger Politik der Bauernschaft gegenüber den Sieg der proletarischen Revolution im Weltmaßstabe sichern werden. Gerade deshalb dachte er, – und wir alle mit ihm, – dass die Perspektive des Thermidors nicht nur weit entfernt, sondern auch wenig wahrscheinlich wäre.

Von den 10-20 von Lenin angezeigten Jahren sind schon 10 vergangen. Auf dem Felde der internationalen Revolution hat die Komintern in dieser Zeit nur Niederlagen geerntet. Heute, trotz der objektiven außerordentlich günstigen Umstände ist der Kommunismus und folglich die internationale Revolution schwächer ab zur Zeit, da Lenin sein Testament schrieb. Dazu ist die Gefahr der Spaltung der zwei Klassen, auf welchen die Diktatur in der USSR beruht, außerordentlich akut geworden.

Trotz der großen Schwierigkeiten gibt es in der wirtschaftlichen Lage des Landes nichts, was nicht gutzumachen wäre. Man braucht nur etwas, das wieder gutmachen kann: Man braucht eine Partei. Eine Partei im wirklichen Sinne des Wortes gibt es jedoch heute nicht. Es gibt eine Organisation, die in sich formell Millionen und Millionen Mitglieder und Kandidaten enthält. Die einen wie die anderen sind rechtlos. In dem gezwängten Rahmen der Organisation befinden sich eigentlich die terrorisierten Elemente zweier Parteien: der des Proletariats und der der Thermidorianer. Darüber erhebt sich die Bürokratie. Sie trägt die Verantwortung für die Fehler der ökonomischen Politik, der untergrabenen «Smytschka». Sie trägt eine noch schwerere Verantwortung für die Erstickung der Partei. Zu derselben Zeit, in der sie durch ihre Politik die Bauernschaft dem Staat gegenüberstellt, hat sie das Proletariat politisch entwaffnet und zergliedert. Die Arbeiter irren nicht nur physisch von einem Betrieb zum anderen, sondern finden auch politisch keinen Platz.

Es wäre falsch, anzunehmen, die Linie der thermidorianischen Spaltung müsse zwischen dem stalinistischen Apparat und dem rechten Flügel der Partei gehen. Nein, — sie muss durch den Apparat selbst hindurchgehen. Wie viel Prozent Besedowskis und Agabekows enthält er? Das wissen auch nicht die Verräter von morgen. Alles hängt von Kräfteverhältnissen außerhalb des Apparates ab. Es bedarf nur eines hinreichenden Schlages seitens der Kleinbourgeoisie, damit die bürokratischen Thermidorianer sich erkennen und die Wand, die sie vom Klassenfeind trennt, überspringen. Darin besteht die dritte Quelle der Gefahr des Thermidors.

Aber, wird jemand der Stalinisten oder deren Nachbeter sagen, sehen Sie nicht, dass das ZK die Reinigung der Partei von den Rechten vorbereitet: gerade das bedeutet, dass Stalin gegen den Thermidor Maßnahmen ergreift, Nein, werden wir antworten,, die bürokratische «Reinigung» erleichtert nur die Arbeit des Thermidors. Die neue Reinigung wird sich, so wie alle im Laufe der letzten 10 Jahre vorausgegangenen, vor allem gegen die Linke Opposition und im allgemeinen gegen die denkenden und kritischsten proletarischen Elemente richten. Trotz des offiziellen Schlagwortes «Die Hauptgefahr steht rechts» – diese Formulierung wiederholt jetzt auch Rykow, – füllen sich Gefängnisse und Verbannungsorte vor allem mit Linken Oppositionellen. Jedoch, auch wo die Schläge auf den rechten Flügel fallen, stärken sie die Partei nicht, sondern schwächen sie. Unter den Rechten gibt es neben den wirklichen thermidorianischen Elementen Hunderttausende, vielleicht Millionen, die tiefe Feinde einer kapitalistischen Wiederherstellung sind, die aber die Revision der gesamten Politik vom Standpunkte der werktätigen Massen aus Stadt und Dorf fordern. Das Programm dieser Rechten ist konfus. Sie können zeitweilig eine Stütze des Thermidors werden; aber sie können auch die Wiederbelebung der Partei auf dem revolutionären Wege unterstützen. Die stalinistische Bürokratie verhindert sie, die Lage zu verstehen. Durch ihre «Reinigung» strebt sie vor allem danach, die kritischen Gedanken zu ersticken. Damit festigt sie nur den rechten Flügel.

Und wer wird reinigen? In Paris leitete Bessedowski die Kommission, die Rakowski «reinigte». Vergessen wir das nicht. Seitdem ist die Demoralisierung des Apparates fortgeschritten. In allen Briefen, die wir aus der USSR bekommen, ist die tragischste Note diese: «Keiner traut dem anderen; jeder fürchtet, dass sich ein Klassenfeind mit dem Parteibuch neben ihm befindet.» Lauter als sonst jemand werden die Karrieristen, die Abenteurer, die Besedowskis und Agabekows schreien über die Notwendigkeit der Reinigung. Wer wird denn die Partei von diesen Reinigern reinigen? Nicht der Apparat, sondern nur die unversöhnlichen Gegner des Absolutismus des Apparates,

Ist die Lage hoffnungslos? Solche Worte gehören nicht zu unserem Vokabularium. Der Kampf wird entscheiden. Auf Seiten der proletarischen Revolution gibt es viele geschichtliche Möglichkeiten, sowohl negative: schrecklicher Zerfall des Kapitalismus, rasender Streit der Imperialisten, Bankrott des Reformismus: – als auch positive: gestählte Kader der Bokchewiki-Leninisten, Verständnis für den Gang der Entwicklung, eine klare Perspektive. Der Kampf wird entscheiden. Die Gefahr ist gewachsen und hat sich genähert, – das ist absolut unbestreitbar. Aber das Gift des Thermidors trägt auch in sich die Elemente des Gegengiftes. Je unmittelbarer und näher die Gefahr, desto stärker wird das Bedürfnis des Widerstandes. Je mehr die stalinsche Bürokratie den Kopf verliert, je mehr ihre Allmacht sich als Scheinmacht erweist, desto lauter werden die fortgeschrittenen Arbeiter eine bolschewistische Leitung fordern.

Die letzte Rede Stalins, – darauf werden wir zurückkommen, – bedeutet eine Wendung nach rechts, jede Phrase seiner bürokratischen Prahlerei ist nur eine maskierte Anerkennung der Falschheit der gesamten «Generallinie», die die Diktatur dem Thermidor genähert hat. Die Krankheiten und Gefahren bereitet sich Stalin vor durch einen neuen bürokratischen Zickzack unter verdoppeltem bürokratischen Terror zu behandeln. Mit einem verdoppelten Kampf gegen den Stalinismus werden wir antworten.

1„„Der Jakobiner, der untrennbar verbunden ist mit der Organisation des Proletariats, das sich seiner Klasseninteressen bewusst geworden ist – das ist eben der revolutionäre Sozialdemokrat.“ („Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“, in: Werke, Bd. 7, S. 386, tatsächlich 1904)

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