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Leo Trotzki 19330920 Einheitsfront mit Grzesinski

Leo Trotzki: Einheitsfront mit Grzesinski

[Nach Unser Wort. Halbmonatsschrift der deutschen Sektion der Internationalen Linken Opposition , Jahrgang 1, Nr. 13 (Mitte Oktober 1933), S. 1]

Die Humanité vom 19. September bringt ein Foto, das Grzesinski, den ehemaligen sozialdemokratischen Polizeipräsidenten von Berlin, als Zeugen vor dem Londoner Gegenprozess in Sachen Reichtagsbrandstiftung zeigt. Bei der Veröffentlichung des Fotos haben die armen Redakteure der Humanité selbstverständlich über dessen Sinn nicht nachgedacht. Sonst würden sie beschämt ihren Abschied nehmen in der Einsicht, dass sie kein Recht haben, eine Arbeiterzeitung zu leiten.

Der Londoner Gegenprozess, der versucht, die Wahrheit über die Reichstagsbrandstiftung aufzudecken, ist ein Akt des politischen Kampfes gegen den Faschismus. Richter, Zeugen, Sachverständige erscheinen in diesem Gerichtsverfahren nicht unter Zwang, sondern zur Verwirklichung einer bestimmten politischen Absicht: des Kampfes gegen die Hitlerbanden. Grzesinski hasst den Kommunismus und hat das seinerzeit durch die Erschießung von kommunistischen Arbeitern bewiesen. Jedoch, derselbe Grzesinski erschien aus freien Stücken vor dem Londoner Gegengericht, um eine Aussage für die Kommunisten Torgler, Dimitrow und andere zu machen, gegen die Faschisten Göring und Co. Mit dem Abdruck eines Berichts vom Londoner Gegenprozess und insbesondere des Fotoklischees von der Zeugenaussage Grzesinskis nimmt die Humanité teil an einer Einheitsfront mit Grzesinski gegen Göring. Ist das etwa nicht klar?

Vor mehr als zwei Jahren schrieben wir, dass wir im Kampf gegen Hitler bereit seien, eine Einheitsfront nicht nur mit dem Teufel und seiner Großmutter, sondern sogar mit Grzesinski selbst zu schließen. Die unglücklichen Redakteure von der Humanité und den Heften des Bolschewismus [Cahiers du Bolchevisme] verspritzten damals nicht wenig Tinte, um unsere hundertprozentige Zugehörigkeit zum Sozialfaschismus zu beweisen. Wahrlich, das Schicksal ist diesen Leuten nicht gnädig! Grzesinski hätte doch rechtzeitig sterben oder auch zu den Faschisten überlaufen und dadurch das Los der unglücklichen Redakteure von der Humanité ein wenig erleichtern können. Doch Grzesinski lebte weiter, emigrierte, trat in einem Prozess zugunsten von angeklagten Kommunisten auf und nötigte dadurch die Humanité, sein Foto als das eines Einheitsfrontverbündeten zu veröffentlichen.

Der Londoner Gegenprozess, so bescheiden seine politische Bedeutung ist, ist zweifellos eine nützliche Sache. Aber vielleicht ahnen die Leser der Humanité – bei den Redakteuren ist daran nicht zu denken –, dass die Einheitsfront mit der Sozialdemokratie nicht nach, sondern vor Hitlers Sieg hätte anfangen müssen, nicht erst, wenn Kommunisten und Sozialdemokraten zusammengehauen sind und Torgler im Gefängnis sitzt, sondern als sich noch volle Gelegenheit für einen Sieg über Hitler bot.

Würden die Führer der Komintern die ersten Buchstaben des kommunistischen Abc kennen und nicht gehorsam die idiotischen Formeln von den „Zwillingen" Sozialdemokratie und Faschismus wiederholen, so säße nicht Torgler im Gefängnis, sondern Göring und Hitler selber. Mehr noch, höchstwahrscheinlich hätte Grzesinski selbst bis heute Zeit gehabt, sich zu ihnen zu gesellen, denn seine erzwungene Teilnahme am Kampf gegen den Faschismus hätte ihn letzten Endes vor dem proletarischen Gericht nicht von der Verantwortung für den Mord an den Berliner Arbeitern befreien können. Wer weiß, ob nicht auch die Redakteure der Humanité eines Tages vor einem proletarischen Gericht werden erscheinen müssen wegen systematischer Vernebelung der Arbeiterhirne? Einen Freispruch erhoffen können sie nur auf Grund der Formel: «denn sie wissen nicht, was sie tun».

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