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Leo Trotzki u. a. 19330826 Erklärung über die Notwendigkeit und Prinzipien einer neuen Internationale

Leo Trotzki u.a.: Erklärung über die Notwendigkeit und Prinzipien einer neuen Internationale

[Nach Unser Wort. Halbmonatsschrift der deutschen Sektion der Internationalen Linken Opposition, 1. Jahrgang Nr. 12 (Ende September 1933), S. 1]

1. Die unterzeichneten Organisationen sind sich im Bewusstsein der auf ihnen lastenden geschichtlichen Verantwortung einig, ihre Kräfte zur gemeinsamen Arbeit für die Wiedergeburt der revolutionären proletarischen Bewegung im internationalen Rahmen zu verbinden. Zur Richtschnur ihres Handelns machen sie folgende Prinzipien:

1. Die Todeskrise des imperialistischen Kapitalismus, die dem Reformismus den Boden entzogen hat (Sozialdemokratie, 2. Internationale, reformistische Gewerkschaftsbürokratie), stellt gebieterisch die Aufgabe, mit der reformistischen Politik zu brechen, den revolutionären Kampf um die Eroberung der Macht und die Errichtung der proletarischen Diktatur als den einzigen Weg zur Umgestaltung der kapitalistischen Gesellschaft in die sozialistische auf die Tagesordnung zu stellen.

2. Die Aufgabe der proletarischen Revolution hat ihrem Wesen nach internationalen Charakter. Das Proletariat kann die vollendete sozialistische Gesellschaft aufbauen nur auf der Grundlage internationaler Arbeitsteilung und internationaler Zusammenarbeit. Die Unterzeichneten lehnen daher entschieden die Theorie vom „Sozialismus in einem Lande“ ab, die die Grundlagen des proletarischen Internationalismus untergräbt.

3. Ebenso entschieden muss die Theorie der Austro-Marxisten und der linken Reformisten und Zentristen überhaupt zurückgewiesen werden, die unter dem Deckmantel des internationalen Charakter der sozialistischen Revolution abwartende Passivität im eigenen Lande predigen und damit in Wirklichkeit das Proletariat dem Faschismus in die Arme treiben. Die proletarische Partei, die unter den heutigen geschichtlichen Bedingungen der Ergreifung der Macht ausweicht, begeht schlimmsten Verrat. Das siegreiche Proletariat eines einzelnen Land muss seine nationale Diktatur festigen durch den sozialistischen Aufbau, der so lange notgedrungen unvollständig und widerspruchsvoll bleibt, als die Arbeiterklasse nicht wenigstens in einigen der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder die politische Macht erobert hat. Gleichzeitig muss die siegreiche Arbeiterklasse eines Landes alle Kräfte auf die Ausbreitung der sozialistischen Revolution in den anderen Ländern richten. Der Widerspruch zwischen dem nationalen Charakter der Machtergreifung und dem internationalen Charakter der sozialistischen Gesellschaft wird gelöst nur durch die kühne revolutionäre Tat.

4. Die aus der Oktoberrevolution hervorgegangene 3. Internationale, die die Grundregeln der revolutionären Politik in der Epoche des Imperialismus aufstellte und dem Proletariat die erste Lehre des revolutionären Kampfs um die Macht erteilte, fiel einer Reihe von geschichtlichen Widersprüchen zum Opfer. Die verräterische Rolle der Sozialdemokratie, die Jugend und Unerfahrenheit der kommunistischen Parteien führte zum Zusammenbruch der revolutionären Nachkriegsbewegung im Westen und im Osten. Die isolierte Lage der proletarischen Diktatur in einem zurückgebliebenen Lande verlieh der konservativen und national beschränkten Sowjetbürokratie eine außerordentliche Machtfülle. Die sklavische Abhängigkeit der Komintern-Sektionen von der Sowjet-Spitze führte ihrerseits zu einer neuen Reihe schwerer Niederlagen, zur bürokratischen Degeneration von Theorie und Praxis der kommunistischen Parteien, zu ihrer organisatorischen Schwächung und weiter dazu, dass die Komintern nicht nur zur Erfüllung ihre historische Aufgabe unfähig, sondern mehr und mehr zu einem direkten Hemmnis für die revolutionäre Bewegung wurde.

5. Das Vordringen des Faschismus in Deutschland stellte die Organisationen der Arbeiterklasse vor die entscheidende geschichtliche Probe. Die Sozialdemokratie hat dabei noch einmal jene Bezeichnung bekräftigt, die Rosa Luxemburg ihr gegeben hatte, sie erwies sich zum zweiten Male als ein „stinkender Leichnam“. Die Überwindung der Organisationen, Ideen und Methoden des Reformismus ist eine unerlässliche Voraussetzung für den Sieg der Arbeiterklasse über den Kapitalismus.

6. Mit nicht geringerer Eindringlichkeit haben die deutschen Ereignisse auch den Zusammenbruch der 3. Internationale offenbart. Trotz ihrem 14-jährigen Bestehen, trotz in grandiosen Kämpfen gesammelten Erfahrungen, trotz der moralischen Unterstützung durch den Sowjetstaat und der reichlichen Mittel für die Propaganda legte die KP Deutschlands unter den für eine revolutionäre Partei außergewöhnlich günstigen Bedingungen einer beispiellosen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise eine vollständige revolutionäre Unzulänglichkeit an den Tag und hat damit endgültig bewiesen, dass sie trotz des Heroismus vieler ihrer Mitglieder zur Erfüllung ihrer geschichtlichen Aufgabe unfähig ist.

7. Die Lage des Weltkapitalismus, die grauenvolle Krise, die die Volksmassen in nie dagewesenen Elend stürzt, die revolutionären Bewegungen der unterdrückten Kolonialmassen, die Weltgefahr des Faschismus, die Perspektive eines neuen Zyklus von Kriegen, die alle menschliche Kultur zu vernichten drohen, das sind die Tatsachen, die gebieterisch dem Zusammenschluss der proletarischen Vorhut zu einer neuen (der 4.) Internationale drängen. Die Unterzeichneten verpflichten sich, mit all' ihren Kräften dazu beizutragen, dass sich diese neue Internationale in möglichst kurzer Zeit herausbilde auf dem unerschütterlichen Fundament der von Marx und Lenin aufgestellten theoretischen und strategischen Prinzipien.

8. Bereit zur Zusammenarbeit mit allen Organisationen, Gruppen und Fraktionen, die sich in der Tat vom Reformismus oder vom bürokratischen Zentrismus (Stalinismus) zur revolutionären marxistischen Politik hin entwickeln, erklären die Unterzeichneten zugleich, dass die neue Internationale keinerlei Versöhnlertum gegenüber dem Reformismus und Zentrismus dulden kann. Die notwendige Einheit der Arbeiterbewegung kann nicht durch eine Vermanschung der revolutionären mit der reformistischen Auffassung und auch nicht durch eine Anpassung an die Stalin-Politik, sondern nur durch eine Überwindung der Politik der beiden bankrotten Internationalen erreicht werden. Soll die neue Internationale ihren Aufgaben gerecht werden, so darf sie keinerlei Abweichung von den revolutionären Grundsätzen in der Frage des Aufstandes, der proletarischen Diktatur, der Sowjetform des Staates usw. zulassen.

9. Ihrer Klassenbasis, ihrer sozialen Grundlagen, den unbedingt vorherrschenden Eigentumsformen nach bleibt die UdSSR auch heute ein proletarischer Staat, d.h. ein Werkzeug zur Errichtung der sozialistischen Gesellschaft. Die Verteidigung der Sowjetunion vor dem Imperialismus und der inneren Konterrevolution wird die neue Internationale als eine ihrer Hauptaufgaben auf ihre Fahne schreiben. Gerade die revolutionäre Verteidigung der UdSSR macht es uns zur gebieterischen Pflicht, die revolutionären Kräfte der ganzen Welt von dem verderblichen Einfluss der stalinistischen Komintern zu befreien und eine neue kommunistische Internationale aufzubauen. Nur unter der Voraussetzung völliger Unabhängigkeit der internationalen proletarischen Organisationen von der Sowjetbürokratie und der unablässigen Bloßstellung ihrer falsche Methoden vor dem Angesicht der Arbeitermassen, ist eine erfolgreiche Verteidigung der UdSSR möglich.

10. Die notwendige Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung revolutionärer proletarischer Parteien im nationalen wie im internationalen Rahmen ist die Parteidemokratie. Ohne Freiheit der Kritik, Wählbarkeit der Funktionäre von unten bis oben, Kontrolle des Apparats durch die Mitgliedschaft gibt es keine wahrhaft revolutionäre Partei.

Die Erfordernisse der Konspiration und der illegalen Verhältnisse verändern unweigerlich die Formen des inneren Lebens der revolutionären Partei, indem sie die Möglichkeit zu breiten Diskussionen und Wahlen erschweren oder ganz aufheben. Doch auch unter den schwersten Bedingungen und Umständen bewahren die Grunderfordernisse eines gesunden Parteiregimes all ihre Kraft: ehrliche Unterrichtung der Partei, Freiheit der Kritik und eine wirkliche innerliche Verbundenheit zwischen Führung und Parteimehrheit.

Indem sie den Willen der revolutionären Arbeiter zertrat und zerstampfte, verwandelte die reformistische Bürokratie die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften trotz einer nach Millionen zählenden Mitgliedschaft zu ohnmächtigen Gebilden. Indem sie die innere Demokratie erstickte, erstickte die Stalinbürokratie die Komintern. Die neue Internationale wie die ihr angehörenden Parteien müssen ihr ganzes inneres Leben aufbauen auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus.

11. Die Unterzeichneten schaffen durch Abordnung von Vertretern eine ständige Kommission und übertragen ihr:

a) die Ausarbeitung eines programmatischen Manifestes als der Geburtsurkunde der neuen Internationale,

b) die Vorbereitung einer kritischen Übersicht über die heutige Arbeiterbewegung in allen ihren Organisationen und Richtungen (ein Kommentar zum Manifest),

c) die Ausarbeitung von Thesen über alle Grundfragen der revolutionären Strategie und Taktik des Proletariats,

d) die Vertretung der unterzeichneten Organisationen nach außen.

Internationale Opposition der Bolschewiki-Leninisten

Sozialistische Arbeiter-Partei Deutschlands

Unabhängige Sozialistische Partei Hollands

Revolutionär-Sozial. Partei Hollands

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