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Leo Trotzki 19330715 Man muss von neuem kommunistische Parteien und eine Internationale aufbauen

Leo Trotzki: Man muss von neuem kommunistische Parteien und eine Internationale aufbauen

[Nach Unser Wort. Halbmonatsschrift der deutschen Sektion der ILO, Jahrgang 1, Nr. 10 (Ende August 1933), S. 1 f.]

I. Der Kurs auf die Reform der Komintern

Vom Augenblick ihres Erscheinens an stellte sich die Linksopposition die Aufgabe, die KI zu reformieren und sie mit den Mitteln der marxistischen Kritik und der inneren fraktionellen Arbeit zu gesunden. In einer ganzen Reihe von Ländern, besonders in Deutschland, legten die Ereignisse mit erschütternder Gewalt den verderblichen Charakter der Politik des bürokratischen Zentrismus bloß. Aber die stalinistische Bürokratie bewaffnete sich durch außerordentliche Repressalien und stellte nicht ohne Erfolg den Anforderungen der historischen Entwicklung die Interessen und Vorurteile ihrer Kaste entgegen. Das Ergebnis war, dass die Entwicklung der KI nicht den Weg der Wiedergesundung, sondern den der Auflösung und Zersetzung nahm.

Der Kurs auf die „Reform", im Ganzen genommen, war dennoch keineswegs irrig: er stellte eine notwendige Etappe in der Entwicklung des marxistischen Flügels der KI dar, gab die Möglichkeit, die Kader der Bolschewiki-Leninisten zu erziehen, und blieb nicht ohne Einfluss auf die Arbeiterbewegung in ihrer Gesamtheit. Die Politik der stalinistischen Bürokratie stand während der ganzen Zeit unter dem Druck der Linksopposition. Die fortschrittlichen Maßnahmen der Regierung der UdSSR, die den Anbruch des Thermidor zurückgehalten haben, waren nur teilweise und verspätete Anleihen bei der Linksopposition. Analoge Erscheinungen, nur auf einer niedrigeren Stufe, konnte man im Leben aller Sektionen der KI beobachten.

Überdies muss man hinzufügen, dass der Grad der Entartung nicht in genereller Art und Weise von vornherein einzig an Hand von Symptomen gemessen werden kann. Notwendig ist eine lebendige Sichtbarmachung durch die Ereignisse. Theoretisch war es noch im letzten Jahr unmöglich, es für absolut ausgeschlossen zu erklären, dass die Bolschewiki-Leninisten – sich auf die Verschärfung des Klassenkampfes stütztend – mit Erfolg die KI auf den Weg des wirklichen Kampfes gegen den Faschismus stoßen würden. Dem Versuch, den dann noch die SAP macht, eine selbständige Position einzunehmen, gelang es gerade darum nicht, Einfluss auf den Gang der Ereignisse zu gewinnen, weil die Massen im kritischen Augenblick eine politische Führung von ihren alten Organisationen erwarten. Indem die Linksopposition Fraktionspolitik trieb und ihre Kader an der Erfahrung dieser Politik erzog, hat sie jedoch weder sich selbst noch den anderen verborgen, dass die neue, von der Politik des Zentrismus herrührende Niederlage des Proletariats unvermeidlich einen entscheidenden Charakter annehmen und eine grundlegende Revision unserer Stellungnahme in der Frage Fraktion oder Partei erfordern wird.

II. Wechsel der Orientierung

Das Gefährlichste in der Politik ist, Gefangener der eigenen Formulierung, die gestern richtig war, aber heute jeden Inhalt verloren hat, zu werden. Die Zerschlagung der KPD ließ der stalinistischen Bürokratie theoretisch noch zwei Möglichkeiten offen: entweder eine vollständige Revision der Politik und des Regimes, oder, im Gegenteil, eine endgültige Erdrosselung aller Reste von Leben in den Sektionen der KI. Diese theoretische Möglichkeit führte die Linksopposition dazu, als sie für Deutschland schon die Parole der neuen Partei herausgab, die Frage nach dem Schicksal der KI noch offen zu lassen. Es war aber klar, dass schon die folgenden Wochen eine Antwort bringen mussten und dass es sehr wenig Hoffnung für den Eintritt der Reform gab.

Alles, was sich nach dem 5. März zugetragen hat (Resolution des EKKI-Präsidiums über die Lage in Deutschland, die stumme Verneigung aller Sektionen vor dieser Resolution, der Antifaschistische Kongress in Paris, der offizielle Kurs des ZK der KPD, das Schicksal der KPÖ, das Schicksal der KP Bulgariens etc… .), ist ein unwiderlegbares Zeugnis dafür, dass in Deutschland nicht nur das Schicksal der KPD besiegelt wurde, sondern auch das der KI in ihrer Gesamtheit.

Die Moskauer Leitung sprach nicht nur die Politik, die Hitlers Sieg gesichert hatte, fehlerfrei, sondern verbot, über das Geschehene zu diskutieren. Und diese schmachvolle Verteidigung wurde weder zurückgewiesen, noch auch nur angegriffen. Kein nationaler Kongress, kein internationaler Kongress, keine Diskussion in den Parteiversammlungen, keine Polemik in der Presse! Eine Organisation, die der Donner des Faschismus nicht geweckt hat und die demütig derartige Entgleisungen von Seiten der Bürokratie unterstützt, zeigt dadurch, dass sie tot ist und nichts sie wieder beleben wird. Das offen und mit klarer Stimme zu sagen, ist eine wahrhafte Pflicht gegenüber dem Proletariat und seiner Zukunft. Von dem historischen Zusammenbruch der offiziellen KI müssen wir bei unserer gesamten zukünftigen Arbeit ausgehen.

III. Realismus gegen Pessimismus

Die Tatsache, dass zwei Parteien, die sozialdemokratische und die kommunistische, die in einem Abstand von einem halben Jahrhundert beide von der marxistischen Theorie und den Interessen der Arbeiterklasse ausgegangen waren, so erbärmlich geendet haben: die eine durch niedrigen Verrat, die andere durch den Bankrott, lässt ein Gefühl der Niedergeschlagenheit selbst in den Reihen der fortgeschrittenen Arbeiter aufkommen. „Wo sind die Garantien, dass die neue revolutionäre Erhebung nicht das gleiche Schicksal erleiden wird?"

Wer Garantien von vornherein fordert, wird überhaupt auf revolutionäre Politik verzichten müssen. Die Ursachen des Zusammenbruchs der Sozialdemokratie und des offiziellen Kommunismus sind nicht in der marxistischen Theorie zu suchen, auch nicht in der schlechten Qualität der Personen, die sie anwandten, sondern in den konkreten Bedingungen des historischen Prozesses. Es handelt sich nicht um die Gegenüberstellung abstrakter Lehrmeinungen, sondern um den Kampf lebendiger sozialer Kräfte, mit den unvermeidlichen Auf- und Abstiegen, mit der Entartung der Organisationen, mit dem Verbrauch ganzer Generationen, mit der daraus resultierenden Notwendigkeit, frische Kräfte für eine neue historische Etappe zu mobilisieren. Niemand hat sich damit beschäftigt, den Weg des revolutionären Aufstiegs des Proletariats vorher zu asphaltieren. Mit unvermeidlichen Aufenthalten und teilweisem Rückwärtsschreiten heißt es, auf einem von zahllosen Hindernissen versperrten und mit Trümmern der Vergangenheit übersäten Weg vorwärts marschieren. Wer darüber erschrickt, trete zur Seite!

Wie soll man aber die Tatsache erklären, dass unsere Gruppierung selbst, deren Analysen und Voraussagen sich durch den ganzen Gang der Entwicklung als bestätigt erweisen, so langsam wächst? Man muss noch einmal die Ursachen in dem allgemeinen Gang des Klassenkampfes suchen. Der Sieg des Faschismus trifft Millionen Menschen. Eine politische Prognose ist nur Tausenden oder Zehntausenden zugänglich, die allerdings unter dem Druck von Millionen anderen stehen. Die revolutionäre Bewegung kann keine ungestümen Siege davontragen in einer Situation, wo das Proletariat in seiner Gesamtheit die größten Niederlagen erleidet. Das ist kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Gerade in den Zeiten des revolutionären Abflauens bilden sich die gehärteten Kader, die später berufen sein werden, die Massen zu neuen Siegen zu führen.

Neue Reserven

Die in der Vergangenheit mehr als einmal gemachten Versuche, eine „zweite Partei" oder eine „Vierte Internationale" zu schaffen, nahmen ihren Ausgang von sektiererischen Experimenten gewisser vom Bolschewismus „ernüchterter" Gruppen und Zirkel; darum gingen sie jedes Mal zugrunde. Wir gehen nicht von unserer subjektiven „Unzufriedenheit" und „Desillusionierung" aus, sondern vom objektiven Verlauf des Klassenkampfes. Alle Entwicklungsbedingungen der proletarischen Revolution erfordern gebieterisch eine neue Organisation der Avantgarde und liefern die notwendigen Voraussetzungen dafür.

Die Auflösung der Sozialdemokratie geht jetzt parallel mit dem Zusammenbruch der KI. Wie tief auch die Reaktion im Proletariat selbst sein mag, Hunderttausende Arbeiter in der ganzen Welt können nicht darauf verzichten, sich die Frage der weiteren Wege des Kampfes und einer neuen Organisation der Kräfte zu stellen. Andere Hunderttausende werden sich in naher Zukunft zu ihnen gesellen. Von diesen Arbeitern, von denen ein gewisser Prozentsatz die KI mit Unwillen verlassen hat und deren Mehrheit der KI selbst in ihren besten Jahren nicht angehörte, die Anerkennung der Führung der stalinistischen Bürokratie zu verlangen, die unfähig ist, etwas zu lernen oder etwas zu vergessen, würde nichts anderes bedeuten, als Donquichotterie zu machen und die Bildung der proletarischen Avantgarde aufzuhalten.

Unvermeidlich werden sich vereinzelte Kommunisten in den Reihen der stalinistischen Organisation finden, die sich mit Entsetzen und sogar mit Abscheu gegen unsere neue Orientierung wenden. Bei einem Teil von ihnen wird – vielleicht vorübergehend – die Sympathie der Feindseligkeit Platz machen. Es ist aber notwendig, sich nicht von sentimentalen und persönlichen Erwägungen führen zu lassen, sondern von den Kriterien der Masse.

In dem Augenblick, wo Hunderttausende, Millionen Arbeiter, vor allem in Deutschland, sich vom Kommunismus, zum Teil in der Richtung zum Faschismus, in der Mehrheit in das Lager des Indifferentismus entfernen, entwickeln sich Tausende und Zehntausende sozialdemokratischer Arbeiter unter dem Druck der gleichen Niederlage nach links, d.h. zum Kommunismus hin. Darüber aber kann kein Zweifel bestehen, dass sie die stalinistische Führung als hoffnungslos kompromittiert ansehen. Gegen uns machen diese linken sozialistischen Organisationen bis jetzt unsere Weigerung, uns von der KI abzuwenden und eine unabhängige Partei aufzubauen, geltend. Diese scharfe Trennung wird heute vom Gang der Entwicklung gefordert. So geht die Diskussion von organisatorischen Fragen zu politischen und programmatischen über. Die neue Partei wird der alten überlegen sein, wenn sie sich fest auf den Boden der Beschlüsse der vier ersten Kongresse der KI stellt und es versteht, in ihrem Programm, ihrer Taktik und ihrer Organisation die Bilanz der furchtbaren Lehren der letzten Jahre zu ziehen.

Die Bolschewiki-Leninisten müssen offene Verhandlungen mit den linken sozialistischen Organisationen beginnen. Wir schlagen als Diskussionsgrundlage die 11 von unserer Vorkonferenz aufgestellten Punkte vor (nachdem wir im Geist dieser Thesen den Punkt „Fraktion" und „Partei" abgeändert haben). Wir sind natürlich bereit, aufmerksam und freundschaftlich jeden anderen Programmvorschlag zu diskutieren. Wir müssen und wir werden zeigen, dass die Unnachgiebigkeit in prinzipiellen Fragen nichts zu tun hat mit sektiererischem Sich-Abschließen. Wir werden zeigen, dass marxistische Politik heißt, die reformistischen Arbeiter in das Lager der Revolution hinüber zu ziehen, und nicht die revolutionären Arbeiter in das Lager das Faschismus zu stoßen.

Bilden sich in einigen Ländern starke revolutionäre Organisationen, die frei sind von der Verantwortlichkeit für die Verbrechen und Fehler der reformistischen und zentristischen Bürokratien und die bewaffnet sind mit einem marxistischen Programm und einer klaren revolutionären Perspektive, so wird das eine neue Ära in der Entwicklung des Weltproletariats eröffnen. Diese Organisationen werden alle wirklich kommunistischen Elemente, die heute den Bruch mit der stalinistischen Bürokratie noch nicht wagen, zu sich herüberziehen, und was noch wichtiger ist, sie werden unter ihrer Fahne die junge Arbeitergeneration vereinigen.

UdSSR und die KPdSU

Die Existenz der Sowjetunion bleibt trotz der fortgeschrittenen Entartung des Arbeiterstaates auch heute noch eine Tatsache von gewaltiger revolutionärer Bedeutung. Der Zusammenbruch der Sowjetunion würde der Auftakt zu einer schrecklichen Reaktion in der ganzen Welt werden, vielleicht für Jahrzehnte. Der Kampf für die Erhaltung, Reinigung und Befestigung des ersten Arbeiterstaates ist mit dem Kampf des Weltproletariats für die sozialistische Revolution unlösbar verbunden.

Die Diktatur der stalinistischen Bürokratie resultiert aus dem rückständigen Charakter der Sowjetunion (Vorherrschaft der Bauernschaft) und aus der Verzögerung der proletarischen Revolution im Westen (Fehlen von unabhängigen revolutionären Parteien des Proletariats). Ihrerseits führte die Herrschaft der stalinistischen Bürokraten nicht nur zur Entartung der Diktatur des Proletariats in der UdSSR, sondern auch zu einer furchtbaren Schwächung der proletarischen Avantgarde in der ganzen Welt. Der Widerspruch zwischen der progressiven Rolle des Sowjetstaates und der reaktionären Rolle der stalinistischen Bürokratie stellt eine Offenbarung des „Gesetzes der ungleichmäßigen Entwicklung". Wir sind gezwungen, in unserer revolutionären Politik von diesem historischen Widerspruch auszugehen.

Die sogenannten „Freunde" der Sowjetunion (linke Demokraten, Pazifisten, Brandlerianer und ihnen Verwandte) wiederholen, nach den Funktionären der KI, dass der Kampf gegen die stalinistische Bürokratie, d.h. vor allem die Kritik ihrer falschen Politik, „der Konterrevolution zu Hilfe kommt". Das ist ein Gesichtspunkt politischer Lakaien der Bürokratie, nicht die von Revolutionären. Die Sowjetunion kann nach innen wie nach außen nur mit Hilfe einer richtigen Politik verteidigt werden. Alle anderen Betrachtungen haben entweder nur sekundäre Bedeutung oder sind einfach lügnerische Phrasen.

Die gegenwärtige Kommunistische Partei der Sowjetunion ist keine Partei, sie ist ein Verwaltungsapparat in den Händen einer unkontrollierten Bürokratie. In den Reihen der KPdSU und um sie herum gruppieren sich zerstreute Elemente von zwei hauptsächlichen Parteien: proletarische und thermidorianisch-bonapartistische. Über beiden thronend führt die zentristische Bürokratie einen Vernichtungskampf gegen die Bolschewiki-Leninisten. Wenn die Stalinisten auch von Zeit zu Zeit in scharfe Konflikte mit ihren thermidorianischen Halbverbündeten geraten, bahnen sie ihnen doch den Weg für die Zerstörung, Erdrosselung und Verderbung der Bolschewistischen Partei.

Wie ohne proletarische Revolution im Westen die UdSSR nicht zum Sozialismus gelangen kann, können die Bolschewiki-Leninisten aus eigenen Kräften, ohne Wiedergeburt einer wirklichen proletarischen Internationale, nicht die Bolschewistische Partei gesunden und die Diktatur des Proletariats retten.

UdSSR und die Komintern

Die Verteidigung der Sowjetunion gegen die Gefahr einer militärischen Intervention ist jetzt zu einer dringlicheren Aufgabe denn je geworden. Die offiziellen Sektionen der Kommunistischen Internationale sind auf diesem Gebiet so ohnmächtig wie auf allen anderen. Die Verteidigung der Sowjetunion ist in ihrem Munde zu einer inhaltslosen rituellen Phrase geworden. Die Führung der KI deckt sich durch unwürdige Komödien von der Art des Amsterdamer Antikriegskongresses. Der wirkliche Widerstand der KI gegen die militärische Intervention der Imperialisten würde noch viel unbedeutender sein als der Widerstand, den sie Hitler entgegengesetzt hat. Irgendwelche Illusionen über diesen Gegenstand nähren, heißt mit geschlossenen Augen in die Katastrophe zu marschieren. Für eine aktive Verteidigung der Sowjetunion sind wahrhaft revolutionäre, von der stalinistischen Bürokratie unabhängige Organisationen nötig, die auf eigenen Füßen stehen und in den Massen verankert sind. Das Auftreten und die Entwicklung solcher Organisationen, ihr Kampf für die Sowjetunion, ihre ständige Bereitschaft zur Einheitsfront mit den Stalinisten gegen die Intervention und die Konterrevolution – das alles wird eine ungeheure Bedeutung für die innere Entwicklung der Sowjetrepublik haben. Je zugespitzter die äußeren und inneren Gefahren werden und eine je größere Kraft die unabhängige Organisation der internationalen proletarischen Avantgarde darstellen wird, desto weniger werden die Stalinisten, wollen sie an der Macht bleiben, die Einheitsfront zurückweisen können. Die neue Wechselwirkung der Kräfte muss die Diktatur der Bürokratie schwächen, die Bolschewiki-Leninisten im Innern der UdSSR stärken und der Arbeiterrepublik insgesamt eine unvergleichlich günstigere Perspektive eröffnen.

Allein die Schaffung einer marxistischen Internationale, die völlig unabhängig von der stalinistischen Bürokratie und ihr politisch entgegengesetzt ist, kann die UdSSR vor dem Zusammenbruch retten, indem sie ihr weiteres Schicksal mit dem Schicksal der proletarischen Weltrevolution verbindet.

Liquidatorentum"

Die bürokratischen Scharlatane (und ihre Lakaien, die Brandlerianer) sprechen von unserem „Liquidatorentum"; sinnlos, skrupellos käuen sie Worte wieder, die sie dem alten bolschewistischen Vokabular entnehmen. Liquidatorentum nannte man eine Richtung, die die Notwendigkeit einer illegalen Partei unter dem „konstitutionellen" Zarismus leugnete, indem sie den revolutionären Kampf durch die Annahme der konterrevolutionären „Legalität" zu ersetzen versuchte. Was haben wir mit den Liquidatoren gemein? Viel zweckmäßiger würde es sein, sich bei dieser Gelegenheit der Ultimatisten (Bogdanow u. a.) zu erinnern, die die Notwendigkeit einer illegalen Organisation voll und ganz anerkannten, sich aber zum Instrument einer hoffnungslos falschen Politik machten: Nach der Niederschlagung der Revolution stellten sie sich als unmittelbare Aufgabe die Vorbereitung des bewaffneten Aufstandes. Lenin zögerte nicht, mit ihnen zu brechen, obgleich in ihren Reihen sicherlich nicht wenig tadellose Revolutionäre standen (die besten unter ihnen sind in der Folge in die Reihen des Bolschewismus zurückgekehrt).

Nicht weniger falsch sind die Behauptungen der Stalinisten und ihrer brandlerianischen Lakaien, dass die Linksopposition eine „Augustkonferenz" gegen den „Bolschewismus" schaffe (man meint mit dieser Bezeichnung den im Jahre 1912 gemachten Versuch – einen der zahlreichen Versuche dieser Art –, Bolschewiki und Menschewiki zu vereinigen; erinnern wir uns, dass Stalin einen ähnlichen Versuch nicht im August 1912, sondern im März 1917 machte!). Damit die Analogie den Schatten eines Sinns haben kann, muss man erstens die stalinistische Bürokratie als die Repräsentantin des Bolschewismus anerkennen, zweitens müssten wir die Frage der Vereinigung von Zweiter und Dritter Internationale stellen. Aber es handelt sich weder um das eine noch um das andere. Die scharlatanistische Analogie bezweckt, die Tatsache zu verbergen, dass die brandlerianischen Lakaien vor dem stalinistischen Zentrismus auf der Grundlage der gegenseitigen Amnestie Gnade zu finden trachten, während die Bolschewiki-Leninisten sich den Aufbau einer neuen proletarischen Partei auf der Basis der in den größten Kämpfen, Siegen und Niederlagen der imperialistischen Epoche erhärteten Grundsätze zum Ziel gesetzt haben.

Über den neuen Weg

Die Aufgabe dieser Thesen ist es, die Genossen anzuregen, die Bilanz einer abgelaufenen historischen Etappe zu ziehen und mit einer neuen Perspektive an die Arbeit heranzugehen. Aber was oben gesagt worden ist, bestimmt noch nicht im Voraus die weiteren praktischen Schritte, die konkreten Veränderungen in der Politik, das Tempo und die Methoden des Übergangs auf den neuen Weg. Aber nachdem wir uns der grundsätzlichen Übereinstimmung, die neue Orientierung betreffend, versichert haben – und die vorausgegangene Erfahrung lässt den Eintritt einer solchen Übereinstimmung zwischen uns erwarten –, werden auf die Tagesordnung taktische, konkrete, den Bedingungen der verschiedenen Länder entsprechende Fragen treten. In jedem Fall handelt es sich nicht darum, unmittelbar neue Parteien und eine neue unabhängige Internationale zu proklamieren, sondern sie vorzubereiten. Die neue Perspektive bedeutet, dass das Rechnen mit der „Reform" und das Verlangen nach Wiederaufnahme der Oppositionellen in die offiziellen Parteien endgültig als reaktionär und utopisch aufgegeben werden muss. Die tägliche Arbeit muss einen unabhängigen Charakter annehmen, sie muss bestimmt werden von den gegenwärtigen Kräften und Möglichkeiten und nicht durch das formelle Kennwort „Fraktion". Die Linksopposition hört endgültig auf, sich als „Opposition" zu betrachten und als solche zu handeln. Sie wird eine unabhängige Organisation, die sich den Weg selbst bahnt. Sie schafft nicht nur ihre Fraktionen in den sozialdemokratischen und stalinistischen Parteien, sondern sie führt eine selbständige Arbeit unter den parteilosen und unorganisierten Arbeitern. Sie schafft sich Stützpunkte in den Gewerkschaften, unabhängig von der Gewerkschaftspolitik der stalinistischen Bürokratie. Wann und wo die Bedingungen günstig sind, nimmt sie an Wahlen unter eigener Fahne teil. Gegenüber den reformistischen und zentristischen Organisationen (die stalinistischen einbegriffen) verhält sie sich nach den allgemeinen Grundsätzen der Einheitsfrontpolitik. Ganz besonders und vor allem wendet sie die Einheitsfrontpolitik an, um die Sowjetunion gegen eine äußere Intervention und die innere Konterrevolution zu verteidigen.

Gurow

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