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Leo Trotzki 19330523 Sinowjew und Kamenew

Leo Trotzki: Sinowjew und Kamenew

[Nach Unser Wort. Halbmonatsschrift der deutschen Sektion der ILO, Jahrgang 1, Nr. 6 (Anfang Juni 1933), S. 2]

Sie haben also wieder einmal kapituliert. Die Sowjetpresse berichtet darüber im Triumph und die TASS teilt die Kapitulation der ganzen Welt mit. Indessen ist es schwer, sich eine Tatsache auszudenken, die schonungsloser nicht nur die Kapitulanten selbst, sondern auch jenes Regime zu kompromittierte, das dergleichen Opferungen braucht. An gebrochenen Rückgraten kann man sich nicht mehr aufrecht halten. Indessen wurde aus dem stalinschen Apparat eine Maschine zur Zermalmung von Rückgraten.

Sinowjew und Kamenew wurden einige Monate vorher dem Ausschluss aus der Partei und der Verbannung unterworfen nicht wegen eigener Oppositionstätigkeit, sondern wegen „Kenntnis und Nichtanzeige“ der oppositionellen Tätigkeit der Rechten. Dies war jedenfalls nur der formale Anlass. Die wirkliche Ursache war die, dass in der Atmosphäre der allgemeinen Unzufriedenheit Sinowjew und Kamenew eine Gefahr darstellten. Zwar haben sie schon im Januar 1928 kapituliert. Aber vor wem? Vor der anonymen Bürokratie, unter dem Banner der Partei. Heute hat eine solche Kapitulation allen Wert verloren. Man muss die Unfehlbarkeit Stalins anerkennen, um das Recht zu haben, politisch zu atmen und zu leben. Sinowjew und Kamenew konnten sich schlechterdings zu einem derartigen moralischen Fußfall nicht zwingen. Sie waren zu lange im Leninschen Stab gewesen, kannten Stalin, seine Rolle in der Vergangenheit und sein wirkliches Format zu gut. Der persönliche Treueschwur für Stalin wollte ihnen nicht durch die Kehle. Namentlich deswegen wurden sie ausgeschlossen.

Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, was danach hinter den Kulissen vor sich ging. Im Apparat rechnet man schon längst aus, dass die Führung Stalins der Partei zu teuer zu stehen kommt. Stalin selbst fühlt das. Das ginge natürlich nicht ohne die Vermittlung und untertänige Fürsprache seitens der sogenannten „alten Bolschewiken“ nach der einen Seite, und ihren zynischen Ermahnungen nach der anderen. „Erkennt seine Genialität an – das kostet heutzutage nicht viel –, und ihr kehrt nach Moskau zurück: es ist bei allem doch besser, in der Partei zu sein.“ Und Sinowjew und Kamenew „erkannten an“, d.h. versanken endgültig in die Tiefe. Ihr persönliches Schicksal ist tief tragisch. Wenn der zukünftige Geschichtsschreiber zeigen will, wie erbarmungslos Epochen großer Erschütterungen die Menschen verwüsten, so wird er das Beispiel Sinowjews und Kamenews anführen …

In der Zeit der ersten Kapitulation konnten sie noch die Illusion hegen: „Arbeit in der Partei“, „Verbundenheit mit der Partei“, „Einfluss auf die Massen“. Heute ist von diesen Illusionen auch nicht die Spur übrig geblieben. Sinowjew und Kamenew kehren nicht aus der Opposition in die Partei, sondern bloß aus der Verbannung nach Moskau zurück. Ihre Rückkehr braucht Stalin zu demselben Zweck, wozu er auch das Erscheinen Bucharins und Rykows auf der Tribüne der Feier des ersten Mai brauchte: damit wird die Leere um den „Führer“ herum wenn auch nicht ausgfüllt, so doch wenigstens verschleiert.

Der Misserfolg der ersten Kapitulation Sinowjew-Kamenews, die politischen Charakter besaß, erwies sich als eine zwangsläufige und dadurch um so wirkungsvollere Demonstration zum Besten der Linken Opposition: der Partei kann man nur dienen, indem man ihren Ideen und nicht ihrem verödeten Apparat dient. Die zweite Kapitulation, die rein persönlichen Charakter besitzt, bekräftigt jene Schlussfolgerungen vom entgegengesetzten Ende her. Wie der Held Gogols sammelt Stalin tote Seelen, aus Mangel an lebendigen. Die Rettung des Erbes des Bolschewismus, die Erziehung einer neuen revolutionären Nachfolge bleibt nicht nur die geschichtliche Aufgabe, sondern auch ein hohes Vorrecht der Linken Opposition.

L. T.

23. Mai 1933

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