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Leo Trotzki 19330719 Stalin beruhigt Hitler

Leo Trotzki: Stalin beruhigt Hitler

[Nach Unser Wort. Halbmonatsschrift der deutschen Sektion der ILO, Jahrgang 1, Nr. 10 (Anfang August 1933), S. 6]

Die offizielle Sowjetagentur TASS hat vor zwei, drei Wochen das Gerücht dementiert, dass Trotzki in die UdSSR zurückkehre. Der feierliche und kategorische Ton dieses Dementis ließ vermuten, dass der Kreml damit irgendeinen bedeutenden politischen Zweck verfolgte. Was für einen aber? Jedenfalls keinen innenpolitischen, denn das Dementi ist in der UdSSR nicht veröffentlicht worden, ebenso wenig wie die Zeitungsgerüchte, gegen die es gerichtet war. Das Dementi war ganz und gar für auswärtige Verwendung bestimmt.

Der Sinn des Dementis wird hinreichend klar, wenn wir uns daran erinnern, dass Genosse Trotzki vor ungefähr zwei Jahren über die Notwendigkeit schrieb, die Rote Armee auf einen Kampf gegen den Nationalsozialismus vorzubereiten. Dieser Artikel, über den in der UdSSR vollkommenes Stillschweigen bewahrt wurde, fand seinerzeit heftigen Widerhall in der nationalsozialistischen Presse. Wir wissen, mit welcher demonstrativen Freundlichkeit die Stalinbürokratie Hitlers Gelangen an die Macht begegnete. Die „Iswestija" schrieb: „Die öffentliche Meinung der Sowjetunion hat niemals Pläne erwogen, die gegen die heutige Richtung in Deutschland gerichtet wären." Diese Worte bedeuten nichts anderes als eine demonstrative Abgrenzung von Trotzki. Kann man daran zweifeln, dass der Artikel der „Iswestija" nach einer entsprechenden diplomatischen Anfrage aus Berlin geschrieben worden ist und zur Aufgabe hatte, Hitler zu überzeugen, dass man in Moskau unverwandt festhalte an der Doktrin des Sozialismus in einem Lande?

In den Tagen, als die TASS für das Ausland die neue kategorische Meldung brachte, dass Trotzki in die UdSSR „nicht zurückkehren werde", wandte sich die Berliner „Vossische Zeitung" durch ihren Konstantinopeler Korrespondenten offiziell an den Genossen Trotzki mit der Anfrage, ob er wirklich nach Russland zurückkehre. Die Tatsache der Anfrage selbst – unerwartet und zu jener Zeit auffällig – ist dies besonders, wenn man in Betracht zieht, dass die „Vossische Zeitung" sich jetzt völlig in den Händen der Nazis befindet. Hitler hatte einfach der ehemals liberalen Zeitung befohlen, über ihren ehemals liberalen Korrespondenten das Zeitungsgerücht von der bevorstehenden Rückkehr Trotzkis nach Moskau und einem entsprechenden Wechsel der Sowjetaußenpolitik nachzuprüfen.

Auf diese Weise sehen wir, wie Hitler und Stalin in dieser Frage vierhändig spielten. Anfangs konnte man noch glauben, dass das Gerücht von der Rückkehr des Genossen Trotzki zufällig aufgetaucht sei, wie viele Zeitungsenten. Doch ein nachträglicher Überblick über alle Phasen dieser Geschichte lässt unschwer vermuten, dass das Gerücht selbst vom Berliner „Propaganda"-Ministerium in die Welt gesetzt worden ist, um Stalin zu demütigenden Dementis und Zusicherungen zu nötigen. Dies Ziel erwies sich jedenfalls als erreicht.

Die „Humanité", die, wie überhaupt die ganze westliche Stalinpresse, keine Gelegenheit, sich zu blamieren, versäumt, erging sich anlässlich des TASS-Dementis in groben Ausfällen gegen den Genossen Trotzki, indem sie ihn beschuldigte, selbst – zu welchem Zweck nur? – das Gerücht von seiner Rückkehr in die UdSSR verbreitet zu haben. So dienen diese blinden Unglücksraben von Bürokraten bei jedem Schritt fremden Absichten als Werkzeug und kompromittieren und schwächen die Revolution unter dem Vorwand, ihr zu dienen.

19. Juli 1933

N. N.

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