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Leo Trotzki 19330421 Über den Resolutionsentwurf der Reichsleitung der deutschen Sektion über die neue Partei

Leo Trotzki: Über den Resolutionsentwurf der Reichsleitung der deutschen Sektion über die neue Partei

[Nach dem maschinenschriftlichen Text in Lev Davidovič Trockij / International Left Opposition Archives, inventory number 746, International Institute of Social History, Amsterdam]

Der (leider undatierte) Resolutionsentwurf beseitigt gewisse Meinungsverschiedenheiten (tatsächliche und vermeintliche, d.h. auf Missverständnissen beruhende), lässt aber andere weiterbestehen. Die Aufgabe der vorliegenden kritischen Arbeit besteht darin, möglichst genau den wirklichen Charakter der heutigen Meinungsverschiedenheiten zu bestimmen.

1. Die Resolution stellt gleich eingangs fest, dass „der Zusammenbruch der KPD die Losung der Reform gegenstandslos“ gemacht habe, mit anderen Worten, dass die KPD nicht regeneriert werden kann. Unnötig zu sagen, dass diese Erklärung, die den Verzicht auf jene Position bedeutet, die wir alle bis 5. März eingenommen hatten, eine ungeheure Bedeutung für unsere gesamte Tätigkeit hat.

Im Paragraph 3 der Resolution heißt es: „Die Entwicklung verläuft in der Richtung einer neuen Partei." Diese These ergänzt die vorangehende und engt so das Feld der Meinungsverschiedenheiten außerordentlich ein. Die führenden Genossen der deutschen Sektion anerkennen, dass die Stalinsche Partei in Deutschland politisch liquidiert ist und dass die deutsche kommunistische Partei als neue Partei außerhalb der stalinistischen Organisation entstehen wird.

2. Führen wir jedoch das Zitat aus Paragraph 3 vollständiger an: „Obwohl die Entwicklung also in der Richtung einer neuen Partei verläuft, wäre die Losung derselben verfrüht und verfehlt …“ Das ganze Wesen des Satzes hängt an dem Sinn, der dem Worte „Losung“ gegeben wird: er kann gedeutet werden als offene Verkündung unserer neuen Position gegenüber der offiziellen Partei; oder als Aufforderung, unverzüglich eine neue Partei aus den vorhandenen Elementen zu bilden. Was die zweite Bedeutung betrifft, so wäre dies ein lächerliches Abenteurertum. Unter uns hat niemand einen solchen Vorschlag gemacht. Konnten im Augenblick der Diskussion in dieser Hinsicht noch Missverständnisse entstehen, so hat der in den letzten Wochen vor sich gegangene Meinungsaustausch hierin vollständige Klarheit geschaffen. Es handelt sich für uns nicht um eine bürokratisch dekretierte neue Partei, sondern um eine offene Verkündung unserer neuen Stellung gegenüber der alten Partei und der neuen Perspektive unserer Arbeit. Die Bedeutung dieser Wendung zu verringern oder verwischen wäre unzulässig. Wir nehmen den Kurs auf die Propagierung und Vorbereitung der neuen Partei. Diesen Wechsel muss man klar und offen aussprechen. Bestehen zwischen uns in dieser Frage Meinungsverschiedenheiten? Der Resolutionsentwurf gibt notwendige Klarheit.1

3. Während sie einen richtigen Ausgangspunkt einnimmt, verfällt die Resolution im weiteren Verlauf in eine Reihe von Widersprüchen, verwischt sie ihre grundlegenden Erklärungen und gibt keinerlei praktische Direktiven. Die Losung „neue Partei", sagt der Resolution, stößt die kritischen oder halb-kritischen Arbeiter2 ab. Warum? Offenbar deshalb, weil sie noch an die Reform der alten Partei glauben. Ergebene, aber kurzsichtige Revolutionäre, die um den Preis großer Opfer die stalinistische Partei in der Illegalität wiederherzustellen versuchen, werden freilich unsere Behauptung mit Feindseligkeit aufnehmen, dass die „Perspektive der Reform der KPD gegenstandslos geworden ist", und „die Entwicklung in die Richtung einer neuen Partei geht." Aber gerade in Bezug auf diese beiden entscheidenden Thesen sind wir mit der deutschen Reichsleitung vollständig solidarisch. Was aber weiter? Sollen wir diesen Gedanken für uns behalten, ihn nicht laut aussprechen, um die Anhänger der Reform nicht gegen uns zu wenden? Eine solche Stellung wäre eines Marxisten vollständig unwürdig, und ich zweifle nicht daran, dass unsere deutschen Genossen nicht dies meinen. Unter den Schlägen der Erfahrung werden die Reformutopisten sich davon überzeugen, dass wir recht haben. Je fester und je früher wir Stellung nehmen, umso größer wird unsere politische Autorität sein.

4. Der Resolutionsentwurf stellt die Losung der Kaderbildung auf. An sich ist diese Losung vollkommen unbestreitbar. Man muss nur Antwort geben: Kader wozu? Zur Reform der alten Partei oder zur Schaffung der neuen? Würden wir in dieser Frage den Weg diplomatischen Verschweigens betreten, so würden die Stalinisten ohnehin von uns Antwort fordern und wir würden vor den einfachen Parteimitgliedern als Priester erscheinen, die zweierlei Lehren haben: die eine für sich, die andere für die Uneingeweihten. Es ist klar, dass die Autoren der Resolution eine solche Doppelzüngigkeit nicht nicht wollen und nicht wollen können.

5. Im Resolutionsentwurf wie auch in den übrigen Dokumenten wird die unablässig der Gedanke wiederholt, dass die Perspektive der neuen Partei richtig sei, aber die fortgeschrittenen Arbeiter für sie „psychologisch" nicht vorbereitet seien. Soll es um die unmittelbare Errichtung der neuen Partei gehen, so sind die Arbeiter dafür nicht nur „psychologisch", sondern auch politisch und theoretisch nicht vorbereitet: es fehlen die notwendige Kader und den vorhandenen Kadern fehlen die Massen. Der Verweis auf die „Psychologie" kann nur so verstanden werden, dass unsere eigenen Gesinnungsgenossen und auch die Sympathisierenden und Halbsympathisierenden „psychologisch" für einen solchen scharfen Wechsel der Perspektive nicht gerüstet sind. Die Autoren der Resolution verwechseln offenkundig zwei Fragen: die Gerüstetheit der proletarischen Avantgarde zur Schaffung einer neuen kommunistischen Partei und die Gerüstetheit unserer eigenen Organisation zu einem kühnen und entschlossenen Wechsel der eigenen Orientierung in der Frage der neue und der alten Partei.

Bei uns ist die Rede nur von dieser zweiten Aufgabe. Sie ergibt sich nicht aus der „Psychologie", d.h. aus den heutigen Stimmungen einzelner Schichten der proletarischen Avantgarde, sondern aus der Gesamtheit der objektiven Bedingungen: aus dem Sieg des Faschismus und dem Zusammenbruch der Politik und der Organisation des Stalinismus. Die Stimmungen der fortgeschrittenen Arbeiter werden wechseln – vorwiegend in der Richtung, dass sie immer klarer den Sinn dieser historischen Tatsachen begreifen werden. Aber die politische Einstellung (Perspektive) der Linken Opposition muss ausgehen nicht von den schwankenden Stimmungen, sondern den objektiven Veränderungen der Lage.

6. Die Losung der neuen Partei zu deuten als mechanische Vereinigung mit Abfallprodukten der alten Partei (Brandlerianer, SAP, Leninbund usw.), wäre nicht nur dumm, sondern eine direkte Verhöhnung unserer gesamten Vergangenheit. In Bezug auf die eine oder die andere Gruppe kann die Rede nur von einzelnen gemeinsamen Schritten sein , die durch die Lage diktiert werden. So müssten wir z.B. auf dem Antifaschistischen Kongress eine Verständigung mit den Vertretern der SAP, der Sneevlietgruppe usw., gegen Münzenberg mit Barbusse und den indischen Bourgeois suchen. Derartige taktische Abkommen mit der Frage der neuen Partei zu verbinden, besteht nicht der geringste Anlass. Man kann nur eines sagen: geschickte taktische Abkommen auf der Basis einer richtigen strategischen Linie können den Prozess der Formierung der Kader für eine kommunistische Partei beschleunigen.

7. In den deutschen Dokumenten, wird die Losung der „neuen Partei" der Losung eines „neuen Zimmerwalder“ gegenübergestellt. Der Sinn dieser Gegenüberstellung ist vollkommen unverständlich. Zimmerwald war ein zeitweiliger Block zwischen Marxisten und Zentristen. Die ersteren marschierten unter der Losung der III. Internationale, die anderen unter der Losung der Reform der II. Internationale. Es gab freilich einzelne Teilnehmer, die der Frage ob sie für die II. oder III. Internationale seien, auswichen und ihre Schwankungen hinter dem Banner Zimmerwalder „überhaupt“ verbargen.

Das Abkommen erwies sich als Episode, sobald die Losung der Dritten Internationale die revolutionäre Politik einer ganzen neuen Epoche bestimmte. So steht die Sache auch jetzt. Eine Verständigung, sagen wir mit der SAP, kann sich als Episode erweisen (als eine viel kleinere als Zimmerwald) auf dem Wege zur neuen Partei; das sind aber zwei verschiedene Fragen.

8. Wie steht aber die Frage mit der SAP? Im Kampf um ihre Selbsterhaltung grenzten sich die SAP-Führer, ohne auf eine einzige programmatische Frage zu antworten, von der Linken Opposition mit dem Hinweis darauf ab, dass wir noch immer Illusionen über die KPD hätte. Jetzt ist diese Hauptargument durch den Gang der Ereignisse erledigt. Zur SAP gewendet sagen wir: „Nach dem 5. März handelt es sich für uns um die Schaffung einer neuen Partei auf Grund eines Programms. Welches ist Euer Programm?" Man muss verstehen, die Vorteile unserer neuen Position auszuwerten. Wenn die SAP-Führer antworten, sie arbeiten erst ihr Programm aus, können wir ihnen ganz offen unsere Teilnahme an ihren Programmdiskussionen vorschlagen, ja sogar die Schaffung eines gemeinsamen theoretischen Diskussionsorgans – selbstverständlich bei Wahrung vollständiger Unabhängigkeit unsere Organisation und unserer eigenen politischen Zeitung. Die Frage der SAP ist natürlich keine entscheidende Frage, aber wir stellen sie ja nicht anstelle andere Fragen, sondern neben ihnen, als eine der ernsten Teilfragen.

Ich fasse zusammen. Die Diskussion hat bereits dies Resultat gegeben, dass sie eine Reihe offenkundiger Missverständnisse beseitigte und dadurch das Feld der Meinungsverschiedenheiten eingeengt hat. Nichtsdestoweniger wäre es verfrüht, vor einer klaren und deutlichen Antwort seitens der führenden deutschen Genossen auf die oben gestellten Fragen zu behaupten, die Meinungsverschiedenheiten seien überwunden. Wir brauchen nicht nur die formale Anerkennung der Perspektive der neuen Partei sondern auch die Bereitschaft, aus dieser Perspektive alle notwendigen praktischen Schlussfolgerungen zu ziehen und einmütig für diese zu kämpfen.

21. April 1933

G. G.

1 Vor „notwendige” sind ein oder mehrere Wörter unkenntlich gemacht. Im englischen Text in „Writings of Leon Trotsky“ (Vol 5, New York 1972) steht hier dagegen: „The draft resolution does not offer the necessary clarity.”

2 Im englischen Text in „Writings of Leon Trotsky“ (Vol 5, New York 1972) steht hier „communists“

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