Leo Trotzki‎ > ‎1933‎ > ‎

Leo Trotzki 19330503 Was muss die Opposition in der SPÖ tun?

Leo Trotzki: Was muss die Opposition in der SPÖ tun?

Antwort an die österreichischen Linken Sozialdemokraten.

[Nach Unser Wort. Halbmonatsschrift der deutschen Sektion der ILO, Jahrgang 1, Nr. 5 (Mitte Mai 1933), S. 2]

Einige in Opposition zu ihrem Vorstand stehende österreichische Sozialdemokraten erwiesen mir die Ehre, von mir einen politischen Ratschlag oder Antworten auf einige bestimmte Fragen zu erbitten. Ich brauche nicht zu sagen, dass ich mit ganzer Bereitwilligkeit auf die mir gestellten Fragen antworte, in den Grenzen, die durch meine Entfernung vom unmittelbaren Kampfschauplatz gezogen sind.

1. Unter den linken Sozialdemokraten Österreichs breitet sich anscheinend der Gedanke aus, dass alles schon endgültig verloren sei. Ein derartiges aprioristisches pessimistische Urteilen ist theoretisch falsch und politisch unzulässig. Zweifellos ist der für den Kampf günstigste Augenblick versäumt worden. Aber man kann auch unter weniger günstigen Bedingungen kämpfen und doch noch den Sieg davontragen. Die Pessimisten berufen sich auf die ungünstige Stimmung der Massen. Zweifellos ist von oben her alles getan worden, die Arbeiter zu entmutigen und zu demoralisieren. Aber die Stimmung der Massen ist eine veränderliche Größe. Wenn eine anspornende, kampffähige linke Fraktion rechtzeitig ihre Stimme erhebt, kann sich die Stimmung der Massen ändern. Der Konflikt zwischen den Nazis und der Regierung kann eine günstige Lage für den Eingriff der Arbeiter schaffen. Ein Revolutionär darf eine Position so lange nicht verloren geben, als sie sich noch nicht in den Händen des Feindes befindet.

2. Die sozialdemokratische Führung hat getreu ihren Traditionen endgültig vor Dollfuss, d.h. vor dem Faschismus kapituliert. Eine schroffe Wendung in der Stimmung der Arbeitermassen könnte nur von der sozialdemokratischen Opposition hervorgerufen werden. Aber dazu muss sie sich von Anfang an als auf der Höhe ihrer geschichtlichen Aufgabe stehend erweisen. Ist das möglich? Darüber zu raten ist nutzlos. Hier entscheidet die Tat.

3. „Sie werden vermutlich verlangen", schreibt mir einer der Korrespondenten, „dass wir Ihrer Organisation beitreten." Nein, so steht die Frage heute politisch durchaus nicht. Die Organisation der Linken Opposition (Bolschewiki-Leninisten) steht auf dem Boden eines bestimmten internationalen Programms, das in einer Reihe von Ländern in großen geschichtlichen Ereignissen erprobt ist (UdSSR, China, Großbritannien, Spanien, Deutschland usw.). Es wird uns natürlich sehr freuen, wenn die weitere Entwicklung der sozialdemokratischen Opposition sie uns enger annäherte. Wir unsererseits sind bereit, alles zu tun, um diese Annäherung auf dem Wege des genossenschaftlichen Meinungsaustauschs, gegenseitiger Kritik usw. zu erleichtern und zu beschleunigen. Aber dabei handelt es sich um eine verhältnismäßig lange Perspektive. Bei der Beurteilung der nächsten, unaufschiebbaren Aufgabe der österreichischen sozialdemokratischen Opposition muss man vor allem von der heutigen Lage in Österreich und in der österreichischen Sozialdemokratie ausgehen.

    4. Die s.d. kann eine Wendung in der Stimmung der Arbeiter in dem Fall zustande bringen, wenn sie sofort zeigt, dass sie sich nicht auf literarische Kritik zu beschränken gedenkt und sich nicht anschickt, vor der Parteileitung, die vor dem Faschismus kapituliert, zu kapitulieren. Mit anderen Worten, man muss sich losreißen von den Oppositionstraditionen Max Adlers, der mit seiner impotenten „linken" Kritik nur Otto Bauer u. Co. unterstützte und stärkte. Notwendig ist eine Opposition, die sich die sofortige Mobilisierung der Massen für den revolutionären Kampf zur Aufgabe stellt und die bei der Durchführung dieser Aufgabe nicht sich anschickt, halt zu machen bei der Wahrung der Disziplin, des Statuts und der Einheit der Partei.

    5. Die Opposition stellt sich die Aufgabe, „die Partei zu retten". Was ist darunter zu verstehen: die Tradition des Austromarxismus, sein politischer Kurs, sein bürokratischer Apparat? Mit all dem aber muss man im Gegenteil so schnell und so gründlich wie möglich Schluss machen. Die sozialdemokratischen Massen retten vor politischer Zersetzung, Verseuchung, Verfaulen ist unmöglich ohne die Ansage unversöhnlichen Kampfes an Bauer u. Co. Dieser Kampf muss unvermeidlich zur Spaltung führen. Die Aufgabe besteht nur darin, wie die Spaltung auf der Linie des größten Vorteils für die proletarische Revolution vor sich gehen soll.


    6. Heißt das, dass die Opposition sofort aus der Partei austreten und eine neue Partei schaffen soll? Nein, das meine ich nicht. Heute, wo die Opposition fast noch gar nicht vor die Arbeitermassen hingetreten ist, würde ihr Bruch mit der offiziellen Organisation nur die Aufgabe von Bauer u. Co. erleichtern. Auch hier muss der erste Schritt sein: Aussprechen, was ist.

    7. Unter diesem Gesichtswinkel erweist sich der mir zugesandte Entwurf einer Erklärung der sozialdemokratischen Opposition als ganz ungenügend. Dieses Dokument kritisiert den Parteivorstand, anstatt vor dem Angesicht der Parteimassen ihm den unversöhnlichen Kampf anzusagen. Man muss das Wort Verrat aussprechen. Man mag sagen, dass dieses Wort viel missbraucht sei. Die österreichischen Arbeiter aber werden dies Wort in der neuen Lage auf neue Art vernehmen, besonders wenn es von linken Sozialdemokraten ausgesprochen wird. Man muss erklären, dass Bauer, Danneberg, Seitz und Co. (sie alle muss man beim Namen nennen) das österreichische Proletariat verraten haben wie Wels u. Co. das Proletariat Deutschlands verraten haben. Nur eine solche kategorische und unumwundene Erklärung wird dem Arbeiter das selbständige Auftreten der Opposition klar machen und ihm zugleich damit Vertrauen zum Ernst ihres Vorhabens einflößen.

    8. Die grundlegenden politischen Formulierungen der Erklärung sind unklar, kompromisslerisch, und laufen darum Gefahr, unter den Arbeitern Verwirrung hervorzurufen:

    a) Die Erklärung verlangt die Ersetzung der bürgerlichen Republik durch die Arbeiterdemokratie. Was ist das: „Arbeiterdemokratie"? Man kann entweder um die Wiederherstellung der bürgerlichen Demokratie oder um die Errichtung der proletarischen Diktatur kämpfen. Die Losung „Arbeiterdemokratie" ist ein in der revolutionären Politik unzulässiges Rätsel;

    b) die Erklärung spricht nirgends davon, dass, welches auch die politische Losung sein mag (Demokratie oder Diktatur), sie unter den heutigen Bedingungen nur mit Hilfe der bewaffneten Kraft der Arbeiter verwirklicht werden kann;

c) die Erklärung stellt nicht die Losung der Arbeiter- und Soldatenräte auf; doch die Sabotage des offiziellen Apparats der SD und der Gewerkschaften vermögen nur die Arbeiterräte zu brechen; die Losung der Soldatenräte würde den Arbeitern den Weg zum Heer bahnen.

Die Lage kann sich schnell ändern. Manches von dem oben Gesagten kann rasch veralten. Viele Fragen sind in diesen flüchtigen Zeilen nicht beleuchtet. Aber eins kann man mit Gewissheit sagen: Jede Halbheit, jeses unausgesprochene Wort seitens der s.d. Opposition wird unabwendbar der Parteileitung, dem kapitulantenhaften Reformismus und letzten Endes auch dem Faschismus zugute kommen.

Prinkipo, 3. Mai 1933

Kommentare