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Leo Trotzki 19340715 Bonapartismus und Faschismus

Leo Trotzki: Bonapartismus und Faschismus

Zur Charakterisierung der heutigen Lage in Europa

[Nach Unser Wort, Wochenzeitung der Internationalen Kommunisten Deutschlands, 2. Jahrgang, Nummer 27 (43), 4. Juliwoche 1934, S. 2]

Die ungeheure praktische Bedeutung einer richtigen theoretischen Orientierung kommt besonders grell zum Vorschein in einer Periode scharfer sozialer Konflikte, rascher politischer Verschiebungen, schroffer Umschwünge der Lage. In solchen Perioden nutzen politische Begriffe und Verallgemeinerungen sich schnell ab und verlangen entweder gänzliche Ersetzung (was leichter ist), oder Konkretisierung, Präzisierung. teilweise Richtigstellungen (was schwerer ist). Gerade in solchen Perioden entstehen notwendigerweise alle Art Übergangs- und Zwischensituationen und -kombinationen. die gegen die gewohnten Schemata verstoßen und doppelte, scharfe theoretische Aufmerksamkeit erfordern. Mit einem Wort, war es in einer friedlichen und geregelten Epoche (vor dem Kriege) noch möglich, von den Zinsen einiger fertiger Abstraktionen zu leben, so paukt einem heutigentags jedes neue Ereignis das wichtigste Gesetz der Dialektik ein: «Die Wahrheit ist stets konkret».

Die stalinistische «Theorie» vom Faschismus ist ohne Zweifel eines der tragischsten Beispiele dafür, welch verheerenden Folgen die Vertuschung der dialektischen Analyse der Wirklichkeit in all ihren Konkretheiten, in all ihren Übergangsstadien – d. h. sowohl allmählichen Veränderungen wie revolutionären (konterrevolutionären) Sprüngen – durch abstrakte Kategorien auf der Grundlage einer nur teilweisen und unzureichenden geschichtlichen Erfahrung (oder eines engen und ungenügenden Gesichtskreises) haben kann. Die Stalinisten haben sich den Gedanken zu eigen gemacht, das Finanzkapital könne sich in der heutigen Epoche nicht mehr mit der parlamentarischen Demokratie vertragen und sei gezwungen, zum Faschismus Zuflucht zu nehmen. Aus dieser These, die in gewissen Grenzen ganz richtig ist. zogen sie rein deduktiv, formal-logisch ein und dieselbe Schlussfolgerung für alle Länder und alle Entwicklungsetappen: Primo de Rivera, Mussolini. Tschiang Kai-schek, Masaryk. Brüning. Dollfuß, Pilsudski, der serbische Zar Alexander, Severing. MacDonald usw. waren für sie Vertreter des Faschismus. Dabei vergaßen sie: a) dass der Kapitalismus auch in der Vergangenheit mit der «reinen» Demokratie nie auskam, sie stets ergänzte und zuweilen auch ihr Regime durch nackte Repression ersetzte; b) dass es einen «reinen» Finanzkapitalismus nirgendwo gibt; c) dass, wenn es auch die herrschende Stellung besetzt hält, das Finanzkapital nicht im luftleeren Raum handelt und genötigt ist, mit den verschiedenen Schichten der Bourgeoisie und mit dem Widerstand der unterdrückten Klassen zu rechnen; d) schließlich, dass sich zwischen die parlamentarische Demokratie und das faschistische Regime unvermeidlich eine Reihe von Übergangsformen einschalten, die einander bald «friedlich», bald durch Bürgerkrieg ablösen, wobei jede dieser Übergangsformen, wollen wir voran kommen und nicht Zurückgeworfen werden, vom Proletariat eine theoretisch richtige Beurteilung und eine entsprechende Politik verlangt.

An Hand der deutschen Erfahrung haben die Bolschewiki-Leninisten zum ersten Mal jene Zwischenregierungsform festgestellt (obgleich sie auch schon an der italienischen Erfahrung hatte festgestellt werden können und müssen), die wir Bonapartismus nannten (die Regierungen Brüning. Papen. Schleicher). In ausgeprägtester und entwickeltester Form beobachteten wir dann das bonapartistische Regime in Österreich. Die innere Gesetzmäßigkeit solcher Übergangsformen ist ganz deutlich – selbstverständlich nicht im fatalistischen, sondern im dialektischen Sinn, d h. für jene Länder und Perioden, wo der Faschismus mit steigendem Erfolg. also ohne siegreichen Widerstand seitens des Proletariats die Positionen der parlamentarischen Demokratie angreift, um danach das Proletariat zu erwürgen.

In der Periode Brüning-Schleicher riefen Manuilski-Kuusinen: „Der Faschismus ist schon da“; die Theorie des bonapartistischen Zwischenstadiums erklärten sie für einen Versuch, den Faschismus zu beschönigen und zu verstecken in der Absicht, der Sozialdemokratie die Politik des «kleineren Übels» zu erleichtern Die Sozialdemokraten hießen damals Sozialfaschisten, wobei als die gefährlichsten Sozialfaschisten, nach den Trotzkisten, die «linken» Sozialdemokraten vom Typus Zyromski, Marceau Pivert, Juste usw. galten. Heute hat sich all das gewandelt. In Bezug auf das Frankreich von heute wagen die Stalinisten schon nicht mehr zu wiederholen: «Der Faschismus ist schon da»; im Gegenteil, sie akzeptieren die von ihnen gestern verdammte Einheitsfrontpolitik zum Zweck, den Sieg des Faschismus in Frankreich zu verhindern. Sie sahen sich gezwungen, einen Unterscheidung zwischen dem Regime Doumergue und einem faschistischen Regime zu machen. Doch zu dieser Unterscheidung kamen sie als Empiriker, und nicht als Marxisten. Sie machen nicht einmal den Versuch, eine wissenschaftliche Bestimmung des Doumergueregimes zu geben. Wer auf dem Gebiet der Theorie mit abstrakten Kategorien operiert, ist in der Praxis verurteilt, blind vor den Tatsachen zu kapitulieren. Indes hat gerade in Frankreich der Übergang vom Parlamentarismus zum Bonapartismus (oder genauer die erste Etappe dieses Übergangs) besonders grellen und demonstrativen Charakter angenommen. Es genügt, sich die zu erinnern, dass die Doumergueregierung auf der Bildfläche erschien zischen der Generalprobe auf den Bürgerkrieg seitens der Faschisten (6. Februar), und dem 24stündigen Generalstreik des Proletariats (12. April). Sowie die unversöhnlichen Lager Kampfstellung an den Polen der bürgerlichen Gesellschaft bezogen hatten, erwies sich unverzüglich, dass die Rechenmaschine des Parlamentarismus alle Bedeutung verliert. Zwar scheint die Regierung Doumergue. So wie seinerzeit die Regierungen Brüning und Schleicher, äußerlich gesehen mit Zustimmung des Parlaments zu regieren. Doch dies ist ein Parlament, das selbst abdankt, ein Parlament, das weiß, dass, falls es Widerstand leistet, die Regierung auch ohne es fertig wird. Dank dem relativen Gleichgewicht zwischen dem Lager der angreifenden Konterrevolution und dem Lager der sich verteidigenden Revolution, dank ihrer zeitweiligen gegenseitigen Neutralisierung ist die Achse der Macht über die Massen und über ihre parlamentarische Vertreterschaft hinaus gehoben. Das Regierungsoberhaupt musste außerhalb des Parlaments und «außerhalb der Parteien» gesucht werden. Das Regierungsoberhaupt hat sich zwei Generäle zur Hilfe geholt. Diese Dreieinigkeit stützt sich rechts und links auf symmetrisch verteilte parlamentarische Geiseln. Die Regierung tritt nicht auf als Vollzugsorgan der Parlamentsmehrheit, sondern als Schiedsrichter zwischen den beiden kämpfenden Lagern.

Die Regierung, erhaben über der Nation, hängt jedoch nicht in der Luft. Die reale Achse der heutigen Regierung geht durch Polizei. Bürokratie und Militär. Wir haben eine Militär- und Polizeidiktatur vor uns, noch leicht bedeckt mit den Dekorationen des Parlamentarismus. Doch eine Regierung des Säbels in der Eigenschaft des Schiedsrichter der Nation, das ist eben Bonapartismus.

Der Säbel an sich hat kein selbständiges Programm. Er ist das Werkzeug der «Ordnung», ausersehen, zu schützen was besteht. Politisch über den Massen erhaben, war und bleibt der Bonapartismus wie sein Vorgänger der Cäsarismus, im sozialen Sinne stets die Regierung des stärksten und gefestigtsten Teils der Ausbeuter; der heutige Bonapartismus kann also nichts anderes sein als eine Regierung des Finanzkapitals, das die Spitzen der Bürokratie, der Polizei, der Offiziers und der Presse lenkt, beseelt und besticht

Die «Verfassungsreform», von der während der letzten Monate so viel die Rede ist, hat zur einzigen Aufgabe, die staatlichen Einrichtungen den Erfordernissen und Wünschen der bonapartistischen Regierung anzupassen. Das Finanzkapital sucht legale Wege, die ihm ermöglichen sollen, der Nation immer den angemessensten Schiedsrichter vorzusetzen mit erzwungener Zustimmung des Scheinparlaments. Selbstverständlich ist die Regierung Doumergue nicht das Ideal einer «starken Regierung»». Es stehen passendere Kandidaten auf den Bonaparte in Reserve. Auf diesem Gebiet sind neue Erfahrungen und Kombinationen noch möglich und unvermeidlich, falls der weitere Verlauf des Klassenkampfes dafür genug Zeit lassen wird.

Bei der Prognose müssen wir wiederholen, was die Bolschewiki-Leninisten seinerzeit bezüglich Deutschlands sagten: die politischen Chancen sind für den heutigen französischen Bonapartismus nicht groß; seine Stabilität wird bestimmt von dem zeitweiligen und dem Wesen nach schwankenden Gleichgewicht zwischen den Lagern des Proletariats und des Faschismus. Das Kräfteverhältnis dieser Lager muss sich rasch wandeln, zum Teil unter dem Einfluss der Wirtschaftskonjunktur zur Hauptsache aber je nach dem Wesen der Politik der proletarischen Vorhut. Die Prozesse werden nach Monaten, nicht aber nach Jahren messen. Ein dauerhaftes Regime kann erst nach dem Zusammenstoß entstehen, je nach dessen Ergebnissen.

Der Faschismus an der Macht kann ebenso wie der Bonapartismus nur eine Regierung des Finanzkapitals sein. In diesem sozialen Sinn unterscheiden sie sich nicht nur nicht voneinander, sondern auch nicht von der parlamentarischen Demokratie. Jedes Mal wenn die Stalinisten diese Entdeckung machten, verpassen sie, dass die sozialen Fragen auf politischem Gebiet gelöst werden. Die Macht des Finanzkapitals besteht nicht darin, dass es zu gleich welchen Zeitpunkten nach Belieben jede gewünschte Regierung bilden kann – eine solche Macht besitzt er nicht – sondern darin, dass jede nichtproletarische Regierung dem Finanzkapital zu diesen gezwungen ist; oder anders: darin, dass es dem Finanzkapital möglich ist, ein Herrschaftssystem, wenn es in die Brüche geht, durch ein anderes, den veränderten Umständen mehr entsprechendes zu ersetzen. Der Übergang jedoch von einem System zum anderen bedeutet eine politische Krisis, die bei Aktivität des revolutionären Proletariats zu einer sozialen Gefahr für die Bourgeoisie werden kann. Bereits der Übergang von der parlamentarischen Demokratie zum Bonapartismus war in Frankreich von einem Aufflammen des Bürgerkriegs begleitet. Die Perspektive des Übergangs vom Bonapartismus zum Faschismus birgt noch viel drohendere soziale Erschütterungen und somit auch revolutionäre Möglichkeiten.

Die Stalinisten sahen bis gestern unseren «Hauptfehler» darin, dass für uns der Faschismus das Kleinbürgertum und nicht das Finanzkapital ist. Abstrakte Kategorien werden auch in diesem Fall an die Stelle der Klassendialektik gesetzt Der Faschismus ist ein besonderes Mittel, das Kleinbürgertum im sozialen Interesse des Finanzkapitals politisch zu mobilisieren und zu organisieren. Unter der Herrschaft der Demokratie war das Kapital unabänderlich bestrebt, dem Arbeiter Vertrauen in das reformistische und pazifistische Kleinbürgertum einzuflößen. Hingegen ist der Übergang zum Faschismus ohne die vorherige Durchtränkung des Kleinbürgertums mit Hass gegen das Proletariat nicht zu denken. Die Herrschaft der gleichen Oberklasse, des Finanzkapitals, stützt sich in diesen beiden Systemen auf direkt entgegengesetzte Beziehungen zwischen den unterdrückten Klassen.

Die politische Mobilisierung des Kleinbürgertums gegen das Proletariat ist jedoch unvorstellbar ohne soziale Demagogie, was für die Großbourgeoisie ein Spiel mit dem Feuer bedeutet. Welch reale Gefahr die entfesselte kleinbürgerliche Reaktion für die «Ordnung» darstellt, zeigen die jüngsten Ereignisse in Deutschland. Darum versucht die französische Bourgeoisie, wenn sie auch in Gestalt ihres einen Flügels die faschistischen Organisationen aktiv unterstützt und finanziert, gleichzeitig die Sache doch nicht bis zum politischen Sieg des Faschismus zu treiben, sondern eine «starke» Macht aufzurichten, die letzten Endes beide extremen Lager im Zaum halten soll.

Das Gesagte beweist zur Genüge, wie wichtig es ist, die bonapartistische Machtform von der faschistischen zu unterscheiden. Allein, es wäre unverzeihlich, in das entgegengesetzte Extrem zu verfallen, d. h. aus Bonapartismus und Faschismus zwei unvereinbare logische Kategorien zu machen. Wie der Bonapartismus beginnt mit der Kombinierung des parlamentarischen Regimes mit dem Faschismus, so pflegt der Faschismus nach dem Sieg gezwungen zu sein, nicht nur einen Block mit den Bonapartisten einzugehen, sondern auch innerlich sich dem System des Bonapartismus zu nähern. Eine dauernde Herrschaft des Finanzkapitals durch reaktionäre soziale Demagogie und kleinbürgerlichen Terror ist unmöglich. Einmal an der Macht, sind die faschistischen Fühler gezwungen, die ihren folgenden Massen vermittels des Staatsapparats n zügeln. Dadurch aber verlieren sie die Stütze in den breiten Massen des Kleinbürgertums. Ein kleinerer Teil von ihm wird von dem bürokratischen Apparat aufgesogen. Ein Teil verfällt in Indifferenz. Ein Teil tritt unter verschiedener Flagge in die Opposition. Aber die soziale Massenbasis verlierend, sich auf den bürokratischen Apparat stützend und zwischen den Klassen lavierend, so eben wird der Faschismus zum Bonapartismus. Die allmähliche Entwicklung wird auch hier durch stürmische und blutige Episoden unterbrochen. Zum Unterschied von dem vorfaschistischen oder vorbeugenden Bonapartismus (Giolitti, Brüning-Schleicher, Doumergue usw.). in dem sich das äußerst unbeständige und kurzlebige Gleichgewicht der kämpfenden Lager widerspiegelt, zeichnet sich der Bonapartismus faschistischen Ursprungs (Mussolini. Hitler etc.) erwachsen aus Zerstörung, Enttäuschung und Demoralisierung der beiden Massenlager, durch seine weitaus größere Stabilität aus.

Die Frage: Faschismus oder Bonapartismus hat unter unseren polnischen Genossen gewisse Meinungsverschiedenheiten in der Beurteilung des Pilsudskiregimes hervorgerufen Die bloße Möglichkeit solcher Meinungsverschiedenheiten zeugt, wie es besser gar nicht geht, dafür, dass wir es hier nicht mit unwandelbaren Kategorien, sondern mit lebendigen sozialen Erscheinungen zu tun haben, die in verschiedenen Ländern und auf verschiedenen Etappen außerordentlich große Besonderheiten aufweisen.

Pilsudski kam an die Macht nach einem Aufstand, der sich auf eine kleinbürgerliche Massenbewegung stützte und unmittelbar gegen die Herrschaft der traditionellen bürgerlichen Parteien gerichtet war namens eines «starken Staates»»: darin besteht unzweifelhaft der faschistische Zug der Bewegung und des Regimes. Doch politisch, d. h. massenmäßig war das spezifische Gewicht des polnischen Faschismus viel schwächer als seinerzeit das des italienischen und noch viel mehr des deutschen; Pilsudski musste in viel höherem Maße die Methoden der Militärverschwörung anwenden und viel vorsichtiger die Frage der Arbeiterorganisation stellen. Eis genügt, daran zu erinnern. dass Pilsudskis Umsturz die Sympathie und Unterstützung der polnischen Stalinistenpartei fand! Die wachsende Feindschaft des ukrainischen und jüdischen Kleinbürgertums gegenüber dem Pilsudskiregime erschwerte ihm ihrerseits den Generalangriff auf die Arbeiterklasse, infolge dieser Lage nahm und nimmt das Lavieren zwischen den Klassen und den nationalen Teilen der Klassen bei Pilsudski einen weitaus größeren, der Massenterror aber einen kleineren Raum ein als in der entsprechenden Periode bei Mussolini und bei Hitler: darin besteht das bonapartistische Element des Pilsudskiregime. Es wäre jedoch durchaus falsch. Pilsudski mit Giolitti oder mit Schleicher gleichzusetzen und auf seine Ablösung durch einen neuen polnischen Mussolini oder Hitler zu warten. Es ist methodologisch falsch, sich einen «idealen» Faschismus auszumalen und ihn dem realen Faschismus, wie er, mit all seinen Besonderheiten und Widersprüchen, aus den Beziehungen der Klassen und Nationalklassen des polnischen Staates erwuchs, entgegenzustellen. Ob Pilsudski die Zerschlagung der proletarischen Organisationen zu Ende führen kann – und die Logik der Lage drängt ihn unausweichlich auf diesen Weg – das hängt nicht von der formalen Bestimmung des «Faschismus als solchem» ab, sondern von dem realen Kräfteverhältnis, von der Dynamik der politischen Prozesse in den Massen, von der Strategie der proletarischen Vorhut, schließlich vom Gang der Ereignisse in Westeuropa, vor allem in Frankreich. Möglicherweise wird die Geschichte verzeichnen, dass der polnische Faschismus gestürzt und zu Staub zermalmt wurde, noch ehe es ihm gelang, zu einem totalitären Ausdruck zu kommen.

Nicht weniger eigenartig ist der Faschisierungsprozess in Österreich. Vor dem Artilleriefeuer auf Wien trug das Dollfußregime noch ausgesprochen bonapartistischen Charakter; der Bevollmächtigte der Großbourgeoisie, dem eine Massenbasis fehlte, spielte die Rolle des geharnischten Schiedsrichters zwischen den Lagern der Sozialdemokratie, der Nationalsozialisten und der Austrofaschisten vom provinziell bäuerlichen Typus. Dies Antagonismendreieck plus Italiens und Frankreichs Unterstützung sicherte Dollfuß eine bedeutend größere Stabilität, als es bei den Equilibristen gleichen Schlages in den anderen Ländern der Fall war. Die Zerschlagung der österreichischen Nazi war nur möglich dank der wohlwollenden Neutralität der Sozialdemokratie. Die Zerschlagung dieser letzteren führte, indem sie das spezifische Gewicht der Heimwehren erhöhte, faktisch zur Aufrichtung eines faschistischen Regimes, in dem Dollfuß die Überreste des bonapartistischen Erbes verkörpert. Ob Dollfuß durch Starhemberg ersetzt werden wird, ist für die Beurteilung des Regimes eine Frage dritten Ranges. Man vergesse nicht, dass auch im deutschen Faschismus, dessen Echtheit niemand bestreiten wird. Hindenburg und sein Anhang geblieben sind und bis auf den heutigen Tag noch die Tradition jener Periode vertreten, wo der Präsident der Republik auf bonapartistische Weise der Weimarer Verfassung die Achse ausbrach und dem Faschismus das Tor öffnete

Weiter oben ist gesagt, der Bonapartismus faschistischen Ursprungs sei ungleich stabiler als die bonapartistischen Vorbeugungsexperimente, zu denen die Großbourgeoisie in der Hoffnung greift, das faschistische Blutvergießen zu vermeiden. Allein, noch wichtiger – sowohl vom theoretischen wie vom praktischen Standpunkt aus – ist es zu unterstreichen, dass die Tatsache allein der Verwandlung des Faschismus in Bonapartismus den Anfang seines Endes ankündigt. Wie lange der Verfall des Faschismus dauern, und in welchem Augenblick seine Krankheit in Agonie um schlagen wird, das hängt von vielen inneren und äußeren Ursachen ab. Doch bereitet das Verlöschen der konterrevolutionären Aktivität des Kleinbürgertums, seine Enttäuschung und sein Zerfall, das Nachlassen seiner Attacke auf das Proletariat tun neue revolutionäre Möglichkeiten auf. Die ganze Geschichte ist ein Beweis dafür, dass man das Proletariat mit bloßer Hilfe des Polizeiapparats unmöglich dauernd in Fesseln halten kann. Allerdings bezeugt die italienische Erfahrung, dass das psychologische Erbe der erlebten grandiosen Katastrophe sich in den Arbeitermassen viel länger hält als das politische Kräfteverhältnis. das die Katastrophe erzeugte. Aber die psychische Trägheitswirkung der Niederlage ist keine verlässliche Stütze. Sie kann unversehens unter der Wirkung eines heftigen Stoßes zusammenbrechen. So ein Stoß könnte für Italien. Deutschland. Österreich und die anderen Länder der erfolgreiche Kampf des französischen Proletariats sein.

Der revolutionäre Schlüssel zur Lage Europas und der ganzen Welt befindet sich jetzt vor allem in Frankreich!

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