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Leo Trotzki 19340501 Die 4. Internationale und der Krieg

Leo Trotzki: Die 4. Internationale und der Krieg

[Nach der Broschüre, Genf, 1. Mai 1934, Verantw. Herausgeber: G. Vereecken, Molenbeek Bruxelles.]

Die Vorbereitung des neuen Krieges

Die UdSSR und der imperialistische Krieg

Die «nationale Verteidigung»

Die nationale Frage und der imperialistische Krieg

Verteidigung der Demokratie

Die Verteidigung der kleinen und neutralen Staaten

Die Zweite Internationale und der Krieg

Der Zentrismus und der Krieg

Die Sowjetdiplomatie und die internationale Revolution

Die UdSSR und die imperialistischen Gruppierungen

Die Dritte Internationale und der Krieg

Der «revolutionäre» Pazifismus und der Krieg

Das Kleinbürgertum und der Krieg

Der «Defätismus» im imperialistischen Krieg

Krieg, Faschismus und die Bewaffnung des Proletariats

Die revolutionäre Politik gegen den Krieg

Die Vierte Internationale und der Krieg

Vorwort

Diese Thesen erscheinen zu eben dem Zeitpunkt, wo die Kriegsgefahr sich immer drohender über Europa zusammenballt. Die Abrüstungskonferenz wird zum Rüstplatz für den Abschluss neuer Militärbündnisse. Mussolini und General Weygand rufen zur Aufrüstung. Gestern war Österreich, heute sind die Saar und die Mandschurei Brandherde für das neue Weltgemetzel. In der ganzen Welt ist von nichts anderem mehr die Rede als von Luftmobilmachung, von Verstärkung der Luft- und Seeflotten, von chemischen Krieg, Industriemobilisierung usw.

Die Kriegsgefahr bürdet uns allen ungeheure Pflichten und Verantwortung auf. Zunächst die Pflicht, den ideologischen Kampf gegen den Krieg vorzubereiten und zu organisieren, eine Pflicht, die umso größer ist, als die Zweite wie die Dritte Internationale heute nur noch Hemmnisse sind im Kampf gegen den Krieg.

Die patriotischen Führer der Zweiten Internationale bereiten sich wieder darauf vor, als getreue Diener des Imperialismus ihm wie 1914 das Kanonenfutter für den kommenden Krieg zu liefern.

Die Führer der ohnmächtigen Dritten Internationale leiten die Massen irre, indem sie ihre Mobilisierung gegen den Krieg durch lärmende Maskeradenkongresse ersetzen.

Der Kampf gegen den Krieg muss den beiden Internationalen zum Trotz und gegen sie geführt werden. Diesem Kampf ist eine neue Basis, ein neues Banner zu geben – das der Vierten Internationale. Mögen die Kader der Vierten Internationale auch noch wenig zahlreich sein, doch die Richtigkeit und Klarheit ihrer Politik und ihre Entschlossenheit werden ihnen ermöglichen, eine entscheidende Rolle zu spielen. Erinnern wir an Karl Liebknecht und an Rosa Luxemburg!

Die Frage des imperialistischen Krieges und seiner Vorbereitung ist die zentrale Frage unserer Tage. Der Kampf gegen den imperialistischen Krieg steht im Mittelpunkt des Differenzierungsprozesses in der Arbeiterklasse. Der Charakter der reformistischen und zentristischen Organisationen wird sich eben in diesem Kampfe entlarven; die Kader der Bolschewiki-Leninisten aber werden sich in ihm stählen.

Nur die Genossen, die ernst und kritisch diese Thesen studieren, werden ausreichend gewappnet sein für die politische Arbeit gegen den Krieg. Doch Studium, Diskussion, Kritik der Thesen – so nützlich sie sind – genügen nicht. Entscheiden wird der Kampf! Im tagtäglichen Klassenkampf gilt es zu streiten im Geiste der Thesen, im Geiste des unbeirrbaren revolutionären Internationalismus, im Geiste Lenins!

In diesem Sinn übergeben wir die Thesen, die als Entwurf bereits im Januar 1934, in unserer Zeitschrift «Problèmes et discussions» in französischer Sprache veröffentlicht wurden, nach Vornahme einer Anzahl von Ergänzungen und Verbesserungen der proletarischen Öffentlichkeit.

Genf, 10. Juni 1934

Das internationale Sekretariat

Die katastrophale Handels-, Industrie-, Agrar- und Finanzkrise, die Sprengung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, der Verfall der Produktivkräfte der Menschheit, die unerträgliche Zuspitzung der Klassen- wie der internationalen Gegensätze kennzeichnen den Niedergang des Kapitalismus und bestätigen vollauf die leninsche Charakteristik unserer Epoche als der Epoche der Kriege und Revolutionen.

Der Krieg von 1914-18 leitete offiziell eine neue Epoche ein, deren wichtigste politische Ereignisse bisher waren: die Eroberung der Macht durch das russische Proletariat im Jahre 1917 und die Niederschlagung des deutschen Proletariats im Jahre 1933. Das fürchterliche Elend der Volksmassen in allen Erdteilen und die noch fürchterlicheren Gefahren, die der morgige Tag birgt, sind das Ergebnis davon, dass die Revolution von 1917 auf der europäischen und der Weltarena keine siegreiche Entfaltung fand.

Innerhalb der einzelnen Länder kommt die geschichtliche Sackgasse des Kapitalismus zum Ausdruck in der Dauerarbeitslosigkeit, dem Sinken des Lebensstandards der Arbeiter, dem Ruin der Bauernschaft und des städtischen Kleinbürgertums, in Zersetzung und Verfaulen des parlamentarischen Staates, in ungeheurer Vergiftung des Volks durch «soziale» und «nationale» Demagogie bei faktischer Beseitigung der sozialen Reformen, in der Verdrängung und Ersetzung der alten Regierungsparteien durch den nackten Militär- und Polizeiapparat (den Bonapartismus des kapitalistischen Niedergangs), in dem Wachsen des Faschismus, seiner Machtergreifung und Vernichtung aller und jeder proletarischen Organisation.

Dieselben Prozesse schwemmen auf dem Weltschauplatz die letzten Überbleibsel von Festigkeit der internationalen Beziehungen hinweg, stellen jeden Konflikt zwischen den Staaten auf des Messers Schneide, legen die Vergeblichkeit der pazifistischen Lösungsversuche bloß, erzeugen gesteigertes Rüsten auf neuer, technisch höherer Grundlage, und – führen so zum neuen imperialistischen Krieg. Der Faschismus ist sein konsequentester Vorbereiter und Organisator.

Andererseits stellen das Offenbarwerden der durch und durch reaktionären Verfalls- und Räubernatur des heutigen Kapitalismus, der Zusammenbruch von Demokratie, Reformismus und Pazifismus, die unaufschiebbare und brennende Notwendigkeit für das Proletariat, den rettenden Ausweg aus dem unabwendbaren Verderben zu finden, mit neuer Gewalt die internationale Revolution auf die Tagesordnung. Nur der Sturz der Bourgeoisie durch das sich erhebende Proletariat kann die Menschheit vor dem neuen verheerenden Völkermorden bewahren.

Die Vorbereitung des neuen Krieges

1. Die vom heutigen Kapitalismus nicht zu trennenden Ursachen, die den letzten imperialistischen Krieg hervorriefen, haben heute eine unvergleichlich höhere Spannung erreicht als Mitte 1914. Die Furcht vor den Folgen eines neuen Krieges ist der einzige Faktor, der den Willen des Imperialismus im Zaume hält. Doch die Kraft dieser Bremse ist begrenzt. Die Spannung der inneren Widersprüche stößt ein Land nach dem anderen auf den Weg des Faschismus, der seinerseits sich an der Macht nicht anders halten kann als durch die Vorbereitung internationaler Explosionen. Alle Regierungen fürchten den Krieg. Aber keine einzige Regierung hat freie Wahl. Ohne die proletarische Revolution ist ein neuer Weltkrieg unabwendbar.

2. Europa, unlängst Schauplatz des größten aller Kriege, taumelt, von Siegern und Besiegten gestoßen ohne Unterlass dem Verfall entgegen. Der Völkerbund, der dem offiziellen Programm nach «den Frieden organisieren», in Wirklichkeit aber das Versailler System verewigen, die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten neutralisieren und einen Schutzwall gegen den roten Osten schaffen sollte, hat dem Druck der imperialistischen Gegensätze nicht standgehalten. Nur die zynischsten aller Sozialpatrioten (Henderson. Vandervelde, Jouhaux usw.) versuchen noch, mit dem Völkerbund Perspektiven der Abrüstung und des Pazifismus zu verbinden. In Wirklichkeit wurde der Völkerbund zu einer untergeordneten Figur auf dem Schachbrett der imperialistischen Kombinationen. Die diplomatische Hauptarbeit, die heute um Genf einen Bogen schlägt, besteht in der Suche nach militärischen Verbündeten, d. h. in der krampfhaften Vorbereitung des neuen Gemetzels. Parallel dazu geht eine dauernde Erhöhung der Rüstungen, die aus dem faschistischen Deutschland einen neuen gigantischen Anstoß erhalten hat.

3. Der Zusammenbruch des Völkerbundes Ist untrennbar verknüpft mit dem beginnenden Zusammenbruch der französischen Vorherrschaft auf dem europäischen Kontinent. Die demographische und wirtschaftliche Macht Frankreichs erwies sich, wie zu erwarten war, als eine zu schmale Unterlage für das Versailler System. Der bis an die Zähne bewaffnete französische Imperialismus mit seinem scheinbaren «Verteidigungs»charakter, bleibt, soweit er gezwungen ist, die durch Verträge legalisierten Früchte seiner Aneignungen und Räubereien zu schützen, seinem Wesen nach einer der Hauptfaktoren des neuen Krieges.

Von unerträglichen Widersprüchen und den Folgen der Niederlage getrieben, war der deutsche Kapitalismus gezwungen, die Zwangsjacke des demokratischen Pazifismus herunterzureißen, und tritt jetzt auf als Hauptbedroher des Versailler Systems. Die Gruppierung der Staaten auf dem europäischen Kontinent erfolgt bisher noch vorwiegend auf der Linie: Sieger und Besiegte. Italien nimmt die Haltung des treulosen Vermittlers ein, um im entscheidenden Augenblick seine Freundschaft der stärkeren Seite anzutragen, so wie es das während des vergangenen Krieges tat. England versucht seine «Unabhängigkeit», Schatten der einstigen «splendid isolation», zu wahren in der Hoffnung, die Antagonismen in Europa, die Gegensätze zwischen Europa und Amerika und die heraufziehenden Konflikte im Fernen Osten für sich auszunutzen. Doch immer weniger wollen dem herrschenden England seine Vorhaben glücken. Erschrocken über den Zerfall ihres Imperiums, die revolutionäre Bewegung in Indien, die Unsicherheit ihrer Positionen in China, bemäntelt die britische Bourgeoisie mit der widerlichen pazifistischen Scheinheiligkeit MacDonalds und Hendersons die habgierige und feige Politik des Abwartens und Lavierens, die ihrerseits eine der Hauptquellen der heutigen allgemeinen Unsicherheit und der morgigen Katastrophe ist.

4. Die größten Veränderungen nahmen Krieg und Nachkriegsperiode an der inneren wie der internationalen Lage der Vereinigten Staaten von Nordamerika vor. Das riesige wirtschaftliche Übergewicht über Europa und folglich über die Welt gestattete der Bourgeoisie der Vereinigten Staaten in die erste Periode nach dem Krieg einzutreten als unparteiische «Friedensstifterin», Hüterin der «Freiheit der Meere» und der «Offenen Türen». Die Handels- und Industriekrise offenbarte jedoch mit furchtbarer Gewalt die Störung des alten wirtschaftlichen Gleichgewichts, dem der Binnenmarkt eine genügende Stütze war. Dieser Weg hat sich restlos erschöpft.

Das wirtschaftliche Übergewicht der Vereinigten Staaten ist selbstverständlich auch heute nicht verschwunden, im Gegenteil, potenziell wuchs es sogar infolge des weiteren Verfalls Europas; doch die alten Formen, in denen sich dies Übergewicht kund tat (Industrietechnik, Handelsbilanz, unerschütterlicher Dollar, Verschuldung Europas) büßten ihre Wirksamkeit ein: die hohe Technik findet keine Anwendung; die Bilanz ist ungünstig, der Dollar im Fallen, die Schulden werden nicht bezahlt. Das Übergewicht der Vereinigten Staaten muss neue Ausdrucksformen finden, wozu den Weg bahnen kann nur der Krieg,

Die Losung der «offenen Tür» in China erweist sich machtlos vor einigen japanischen Divisionen. Bei seiner fernöstlichen Politik lässt sich Washington von der Überlegung leiten, im günstigsten Augenblick in der Lage zu sein, einen kriegerischen Zusammenstoß der UdSSR mit Japan hervorzurufen, sowohl Japan wie die UdSSR zu schwächen und je nach dem Kriegsausgang seine weiteren strategischen Pläne zu entwerfen. Während sie, dem Trägheitsgesetz folgend, die Diskussion über die Befreiung der Philippinen fortsetzen, bereiten sich die amerikanischen Imperialisten in Wirklichkeit darauf vor, sich in China eine territoriale Basis zu verschaffen, um in der folgenden Etappe im Falle eines Konfliktes mit Großbritannien die Frage der «Befreiung» Indiens zu stellen. Der Kapitalismus der Vereinigten Staaten ist dicht an die Aufgaben herangerückt, welche Deutschland 1914 auf den Kriegspfad drängten. Die Welt ist schon verteilt? Soll man sie neu aufteilen! Für Deutschland galt es, «Europa zu organisieren». Den Vereinigten Staaten fällt es zu, «die Welt zu organisieren». Die Geschichte treibt die Menschheit schnurstracks zum Vulkanausbruch des amerikanischen Imperialismus.

5. Den verspäteten japanischen Kapitalismus, der sich von den Säften der Rückständigkeit, der Armut und der Barbarei nährt, treiben unerträgliche innere Schwären und Eiterbeulen auf den Weg unaufhörlicher räuberischer Annexionen. Das Fehlen einer eigenen Industriebasis und die äußerste Wackligkeit der gesamten Gesellschaftsordnung machen den japanischen Kapitalismus zum aggressivsten und zügellosesten von allen. Doch wird die Zukunft zeigen, dass hinter dieser gierigen Aggressivität allzu wenig reale Kräfte stehen, Japan vermag wohl als erstes das Signal zum Krieg zu geben; aber aus dem halb feudalen Japan, das all die Widersprüche zerreißen, die schon das zaristische Russland kannte, kann auch eher als aus anderen Ländern das Signal zur Revolution ertönen.

6. Es wäre jedoch zu gewagt, erraten zu wollen, woher und wann gerade der erste Schuss fallen wird. Unter dem Einfluss der sowjetrussisch-amerikanischen Verständigung sowie der inneren Schwierigkeiten kann Japan vorläufig zurücktreten; aber dieselben Umstände können umgekehrt die japanische Kamarilla auch veranlassen, sich mit dem Schlag zu beeilen, bevor es zu spät ist. Wird sich die französische Regierung zu einem «Präventiv» krieg entschließen, der unter Italiens Mitwirkung in allgemeinem Gemetzel enden wird? Oder wird Frankreich umgekehrt, abwartend und lavierend, unter Englands Druck den Weg der Verständigung mit Hitler beschreiten, ihm eben damit den Weg des Angriffs gegen Osten öffnend?

Wird Kriegsanstifter wieder die Balkanhalbinsel sein? Oder könnte die Initiative diesmal den Donauländern zufallen? Die Vielfalt der Faktoren und die Verflechtung der einander feindlichen Kräfte schließen die Möglichkeit einer konkreten Prognose aus. Doch die allgemeine Entwicklungstendenz ist ganz klar: die Nachkriegsperiode wurde zu einer bloßen Pause zwischen zwei Kriegen, und diese Pause geht vor unseren Augen zu Ende. Der Plan-, Korporativ- oder Staatskapitalismus, der Hand in Hand geht mit dem autoritären, bonapartistischen oder faschistischen Staat, bleibt eine Utopie und eine Lüge, soweit er sich als offizielles Ziel die harmonische Nationalwirtschaft auf der Grundlage des Privateigentums setzt. Doch ist er eine drohende Realität, soweit es die Zusammenfassung aller wirtschaftlichen Kräfte der Nation zur Vorbereitung des neuen Krieges gilt. Dieses Werk ist jetzt voll im Gange. Ein neuer großer Krieg pocht an der Tür. Er wird erbittert, verheerender als sein Vorgänger sein. Das Verhalten zum nahenden Krieg wird somit zur zentralen Frage der proletarischen Politik.

Die UdSSR und der imperialistische Krieg

7. Im geschichtlichen Maßstab genommen ist der Gegensatz zwischen dem Weltimperialismus und der Sowjetunion unvergleichlich tiefer als die Antagonismen, welche die einzelnen kapitalistischen Ländern einander gegenüberstellen. Doch der Klassengegensatz zwischen dem Arbeiterstaat und den Staaten des Kapitals verändert seine Schärfe entsprechend dem Entwicklungsgang des Arbeiterstaates und den Veränderungen der Weltlage. Die unerhörte Entwicklung des Sowjetbürokratismus und die schweren Lebensbedingungen der Werktätigen haben die Anziehungskraft der UdSSR für die Weltarbeiterklasse außerordentlich gesenkt. Die schweren Niederlagen der Komintern und die national-pazifistische Außenpolitik der Sowjetregierung, mussten ihrerseits die Besorgnis der Weltbourgeoisie mildern. Schließlich nötigt die neuerliche Verschärfung der inneren Widersprüche in der kapitalistischen Welt die Regierungen Europas und Amerikas, in der augenblicklichen Etappe, der UdSSR nicht vom Standpunkt der Grundfrage; Kapitalismus oder Sozialismus?, gegenüberzutreten, sondern vom Standpunkt der konjunkturellenRolle des Sowjetstaates im Kampf imperialistischer Gewalten. Ausdruck für diese internationale Lage waren eben die Nichtangriffspakte, die Anerkennung der UdSSR durch die Washingtoner Regierung usw. Die beharrlichen Bemühungen Hitlers, Deutschlands Aufrüstung mit Hinweisen auf die «Gefahr im Osten» zu rechtfertigen, haben bisher keinen Anklang gefunden, besonders nicht bei Frankreich und seinen Satelliten, gerade weil die revolutionäre Gefahr des Kommunismus trotz der fürchterlichen Krise ihre Schärfe verloren hat. Die diplomatischen Erfolge der Sowjetunion erklären sich somit – wenigstens zur Hälfte – aus der außerordentlichen Schwächung der internationalen Revolution.

8. Ein unheilvoller Fehler wäre es jedoch, zu glauben, die Militärintervention gegen die Sowjetunion sei überhaupt von der Tagesordnung abgesetzt. Milderte sich auch die konjunkturmäßige Schärfe der Beziehungen, so bleibt doch der Gegensatz der Gesellschaftsordnungen voll in Kraft. Der unaufhaltsame Verfall des Kapitalismus wird die bürgerlichen Regierungen auf den Weg radikaler Lösungen drängen. Jeder große Krieg wird, unabhängig von seinen ursprünglichen Motiven, schroff die Frage stellen der Militärintervention in die UdSSR mit dem Ziel der Übertragung frischen Blut in die verkalkten Adern des Kapitalismus.

Die unbestreitbare und tiefe bürokratische Entartung des Sowjetstaates wie der national-konservative Charakter seiner Außenpolitik verändern die soziale Natur der Sowjetunion als des ersten Arbeiterstaates nicht. Jede Art demokratischer, idealistischer, ultralinker, anarchistischer Theorie, die den in der Tendenz sozialistischen Charakter der sowjetrussischen Eigentumsverhältnisse verneint und den Klassengegensatz zwischen der UdSSR und den bürgerlichen Staaten leugnet oder vertuscht, muss unvermeidlich, besonders im Kriegsfälle, zu konterrevolutionären politischen Schlussfolgerungen führen.

Die Verteidigung der Sowjetunion gegen die Anschläge seitens der kapitalistischen Feinde ist, unabhängig von den Umständen und unmittelbaren Ursachen des Zusammenstoßes, elementare und gebieterische Pflicht jeder ehrlichen Arbeiterorganisation.

Die «nationale Verteidigung»

9. Als klassische Arena schuf sich der Kapitalismus im Kampf mit dem mittelalterlichen Partikularismus den Nationalstaat. Doch kaum richtig zusammengefügt,, begann er sich schon in eine Bremse für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung zu verwandeln. Aus dem Widerspruch zwischen den Produktivkräften und dem Rahmen des Nationalstaats, in Verbindung mit dem Grundwiderspruch – zwischen den Produktivkräften und den Privateigentum an den Produktionsmitteln –, erwuchs eben die Krise des Kapitalismus als der Weltgesellschaftsordnung.

10. Wäre es möglich, mit einen Schlage alle Staatsgrenzen wegzufegen, so könnten sich die Produktivkräfte, auch unter dem Kapitalismus, während einer gewissen Periode – allerdings um den Preis unzähliger Opfer – noch auf ein höheres Niveau erheben. Bei Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln können die Produktivkräfte, wie die Erfahrung der UdSSR bezeugt, sogar im Rahmen eines einzigen Staates zu größerer Entfaltung gelangen. Doch nur die Aufhebung sowohl des Privateigentums wie der Staatsschranken zwischen den Nationen vermag die Voraussetzungen für die neue Wirtschaftsordnung zu schaffen: die sozialistische Gesellschaft.

11. Die Verteidigung des Nationalstaats ist, vor allem im balkanisierten Europa, seiner Heimat, im vollen Sinne des Wortes reaktionäres Beginnen. Der Nationalstaat mit seinen Grenzen, Pässen, Geldsystemen, Zollämtern und Truppen zur Verteidigung der Zölle ist zu einem ungeheuren Hindernis auf dem Wege der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung der Menschheit geworden. Aufgabe des Proletariats ist nicht die Verteidigung des Nationalstaates, sondern dessen völlige und endgültige Beseitigung.

12. Stellte der heutige Nationalstaat einen fortschrittlichen Faktor dar, so müsste man ihn verteidigen unabhängig von seinen politischen Formen und gar schon ganz unabhängig davon, wer als erster den Krieg «begann». Unsinn ist es, die Frage der geschichtlichen Funktion des Nationalstaats mit der Frage der «Schuld» der betreffenden Regierung zu vermengen. Kann man darauf verzichten, ein brauchbares Wohnhaus zu retten, bloß weil der Brand aus Unvorsichtigkeit oder böser Absicht des Eigentümers entstand? Doch das ist es eben: das betreffende Haus taugt nicht zum Wohnen, sondern nur, um darin zu sterben. Damit die Völker leben können, muss das Haus des Nationalstaats dem Erdboden gleichgemacht werden.

13. Ein «Sozialist», der die nationale Verteidigung predigt, ist ein kleinbürgerlicher Reaktionär im Dienste des faulenden Kapitalismus. Während des Krieges sich nicht an den Nationalstaat ketten, sich leiten lassen nicht von der Kriegskarte,sondern der Karte des Klassenkampfes, kann nur die Partei, welche dem Nationalstaat schon in Friedenszeiten unversöhnlichen Krieg erklärt hat. Nur wenn sie die objektiv reaktionäre Rolle des imperialistischen Staates vollauf begreift, kann die proletarische Vorhut gefeit sein gegen Sozialpatriotismus aller Art. Das bedeutet: der wirkliche Bruch mit Ideologie und Politik der «nationalen Verteidigung» ist möglich nur vom Standpunkt der internationalen proletarischen Revolution.

Die nationale Frage und der imperialistische Krieg

14. Das Proletariat verhält sich nicht gleichgültig zur Nation. Im Gegenteil, gerade weil die Geschichte ihm das Schicksal der Nation in die Hand legt, lehnt es ab, die Sache ihrer Freiheit und Unabhängigkeit dem Imperialismus anzuvertrauen, der die Nation nur «rettet», um sie morgen schon neuen Lebensgefahren auszusetzen namens der Interessen einer winzigen Ausbeuterminderheit.

15. Während er die Nation für seine Entwicklung ausnutzt, hat der Kapitalismus nirgends, auf keinem Fleck der Erde, die nationale Frage gänzlich gelöst. Die Grenzen des Versailler Europa sind quer durch das lebendige Fleisch der Nationen gezogen. Reinste Utopie ist der Gedanke, das kapitalistische Europa so umzuschneidern, dass die Grenzen der Staaten mit den Grenzen der Nationen zusammenfallen. Auf friedlichem Wege wird kein einziger Staat auch nur einen Fußbreit Boden abtreten. Ein neuer Krieg aber würde Europa wieder nur umschustern nach Maßgabe der Kriegskarte und nicht der Grenzen der Nationen. Die Aufgabe der völligen nationalen Selbstbestimmung und friedlichen Zusammenarbeit aller Völker Europas ist nur zu lösen auf Grund des wirtschaftlichen Zusammenschlusses eines von bürgerlichen Staaten gesäuberten Europa. Die Losung der Vereinigten Sowjetstaaten von Europa ist die rettende Losung nicht allein für die Balkan- und Donauländer, sondern auch für die Völker Deutschlands und Frankreichs.

16. Einen besonderen und zwar großen Raum nimmt die Frage der kolonialen und halbkolonialen Länder des Ostens ein, die erst um den unabhängigen Nationalstaat kämpfen. Ihr Kampf ist zwiefach fortschrittlich, indem er die zurückgebliebenen Völker dem Asiatentum. dem Partikularismus und dem fremdländischen Joch entreißt, erteilt er den Staaten des Imperialismus gewaltige Schläge. Man muss sich aber von vornherein klar Rechenschaft darüber ablegen, dass die verspäteten Revolutionen in Asien oder Afrika nicht imstande sind, eine neue Blütezeit des Nationalstaats heraufzubeschwören. Die Befreiung der Kolonien wird nur eine grandiose Episode sein in der sozialistischen Weltrevolution, wie die verspätete demokratische Umwälzung in Russland, das auch ein halb koloniales Land war, nur die Einleitung der sozialistischen Umwälzung bildete.

17. In Südamerika, wo der verspätete und bereits faulende Kapitalismus die Verhältnisse eines halbkolonialen, d.h. halbversklavten Daseins aufrechterhält, erzeugen die Weltantagonismen einen heftigen Kampf der Compradorencliquen, unaufhörlichen Umstürzen im Innern der Staaten und chronischem Kriegsgeplänkel zwischen ihnen. Die amerikanische Bourgeoisie, die in der Epoche ihres geschichtlichen Aufstiegs die nördliche Hälfte des amerikanischen Festlandes in einen Bund zu vereinigen verstand, nutzt heute all ihre auf diesem Boden erworbene Macht aus zur Entzweiung, Schwächung und Knechtung seiner südlichen Hälfte. Sich aus der Zurückgebliebenheit und Knechtschaft losreißen können Süd- und Mittelamerika nicht anders als durch die Einigung all ihrer Staaten in einem mächtigen Bund. Diese grandiose geschichtliche Aufgabe zu lösen ist jedoch nicht die rückständige südamerikanische Bourgeoisie ausersehen, ganz und gar käufliche Agentur des fremdländischen Imperialismus, sondern das junge südamerikanische Proletariat als der berufene Führer der unterdrückten Volksmassen. Die Losung des Kampfes gegen die Vergewaltigungen und Ränke des Weltimperialismus und gegen das blutige Treiben der einheimischen Compradorencliquen lautet daher: die Vereinigten Sowjetstaaten von Süd- und Mittelamerika.

Das nationale Problem verknüpft sich allenthalben mit dem sozialen. Nur die Eroberung der Macht durch das Weltproletariat vermag allen Nationen unseres Erdballs wirkliche und unerschütterliche Entwicklungsfreiheit zu sichern.

Verteidigung der Demokratie

18. Die Lüge der nationalen Verteidigung deckt sich in allen Fällen; wo es angängig ist, mit der ergänzenden Lüge von der Verteidigung der Demokratie. Wenn die Marxisten heute, in der imperialistischen Epoche, Demokratie mit Faschismus nicht gleichsetzen und in jedwedem Augenblick bereit sind, dem die Demokratie bedrängenden Faschismus Widerstand zu leisten, soll da das Proletariat nicht auch im Kriegsfalle die demokratischen Regierungen gegen die faschistischen unterstützen?

Ein grober Sophismus: Die Demokratie beschützen wir vor dem Faschismus mittels der Organisationen und Methoden des Proletariats. Im Gegensatz zur Sozialdemokratie übertragen wir diesen Schutz nicht auf den Staat der Bourgeoisie («Staat, greif zu!»). Stehen wir aber schon in Friedenszeiten unversöhnlich in Opposition zur «demokratischsten» Regierung, können wir da auch nur den Schatten einer Verantwortung für sie in Kriegszeiten übernehmen, wo alle Niedertracht und alle Verbrechen des Kapitalismus viehischste und blutrünstigste Gestalt annehmen?

19. Ein moderner Krieg zwischen Großmächten ist kein Aufeinanderprall von Demokratie und Faschismus, sondern der Kampf zweier Imperialismen um eine Neuaufteilung der Welt. Der Krieg muss außerdem unvermeidlich internationalen Charakter annehmen, wobei in beiden Lagern sowohl faschistische (halb faschistische, bonapartistische usw.) wie auch «demokratische» Staaten stehen werden. Die republikanische Form des französischen Imperialismus hat ihn nicht gehindert, sich in Friedenszeiten auf die bürgerlichen Militärdiktaturen in Polen, Jugoslawien und Rumänien zu stützen, wie sie ihn nötigenfalls nicht hindern wird, die österreichisch-ungarische Monarchie wiederherzustellen als Schranke gegen den Anschluss Österreichs an Deutschland. Schließlich würde sich in Frankreich selbst die auch heute schon hinreichend geschwächte parlamentarische Demokratie zweifellos als eines der ersten Opfer des Krieges erweisen, sollte sie nicht schon vor seinem Beginn gestürzt sein.

20. Die Bourgeoisie mehrerer zivilisierter Länder bewies bereits und wird weitet beweisen, dass sie im Falle innerer Gefahren sich nicht bedenken, die parlamentarische Form ihrer Herrschaft auszuwechseln gegen die autoritäre, diktatorische, bonapartistische oder faschistische. Umso eher und entschiedener wird sie eine solche Vertauschung im Kriege vornehmen, wenn ihren grundlegenden Klasseninteresse äußere und innere Gefahren von zehnfach größerer Gewalt drohen. Unterstützen unter diesen Umständen Arbeiterparteien «ihren» nationalen Imperialismus um seiner zerbrechlichen demokratischen Schale willen, so ist das gleichbedeutend mit dem Verzicht auf selbständige Politik und mit chauvinistischer Demoralisierung der Arbeiter, d.h. mit der Vernichtung des einzigen Faktors, der die Menschheit vor dem Untergang zu retten vermag.

21. «Kampf um die Demokratie» während des Krieges wird vor allem heißen: Kampf um die Erhaltung der Arbeiterpresse und der Arbeiterorganisationen gegen das Wüten von Militärzensur und Militärgewalt. Auf dem Boden dieser Aufgaben wird die revolutionäre Vorhut streben nach der Einheitsfront mit den übrigen Arbeiterorganisationen gegen die eigene «demokratische» Regierung, keinesfalls aber nach der Einheit mit ihrer Regierung gegen das Feindesland.

22. Der imperialistische Krieg steht über der Frage nach der Form der Staatsgewalt des Kapitals. Er legt jeder nationalen Bourgeoisie die Frage vor nach dem Schicksal des nationalen Kapitalismus, und der Bourgeoisie aller Länder die Frage nach dem Schicksal des Kapitalismus überhaupt. Nur so darf das Proletariat die Frage stellen: Kapitalismus oder Sozialismus, Triumph eines der imperialistischen Lagers oder proletarische Revolution,

Die Verteidigung der kleinen und neutralen Staaten

23. Der Gedanke der nationalen Verteidigung kann, besonders wenn er mit dem Gedanken der Verteidigung der Demokratie zusammenfällt, leicht die Arbeiter der kleinen und neutralen Staaten täuschen (Schweiz, zum Teil Belgien, die skandinavischen Länder), die, da sie zu selbständiger Eroberungspolitik nicht fähig sein werden, dem Schutz ihrer nationalen Grenzen den Charakter eines unanfechtbaren und unbedingten Dogmas geben. Gerade an Belgiens Beispiel sehen wir jedoch, wie ganz natürlich die formelle Neutralität ersetzt wird durch ein System imperialistischer Abkommen, und wie unvermeidlich ein Krieg um die «nationale Verteidigung» zu einem Annexionsfrieden führt. Der Charakter des Krieges wird nicht bestimmt durch das isoliert genommene Moment des Beginns («Verletzung der Neutralität», «feindlicher Einmarsch» usw.), sondern durch die Haupttriebkräfte des Krieges, seine Gesamtentwicklung und die Ergebnisse, zu denen er letzten Endes führt.

24. Es ist gern zu glauben, dass die Schweizer Bourgeoisie nicht die Kriegsinitiative ergreifen wird. In diesem Sinne ist sie formell mehr als irgendeine andere Bourgeoisie in Recht, von ihrer Verteidigungsposition zu reden. Aber in dem Augenblick, wo die Schweiz sich in Verlauf der Ereignisse in den Krieg hineingerissen sähe, wird sie sich in den Kampf der Weltmächte einschalten, die hüben und drüben imperialistische Ziele verfolgen. Wird die Neutralität verletzt, so wird sich die Schweizer Bourgeoisie dem stärkeren der beiden Angreifer anschließen, unabhängig davon, auf wen mehr Verantwortung für die Verletzung der Neutralität fällt und in welchem Lager es mehr «Demokratie» gibt. So hat im letzten Krieg Belgien, Verbündeter des Zarismus, das Lager der Entente durchaus nicht verlassen, als diese im Verlauf des Krieges es angebracht fand, die Neutralität Griechenlands anzutasten.

Nur ein völlig stupider Kleinbürger eines Schweizer Krähwinkels (wie etwa Robert Grimm) kann sich ernsthaft einbilden, der Weltkrieg, in den er hineingerissen wurde, sei Mittel zum Schutz der Unabhängigkeit der Schweiz. Der Krieg wird von der Schweizer Neutralität keinerlei Spuren übriglassen wie der vorhergehende Krieg die Neutralität Belgiens hinwegfegte. Ob sich die Schweiz nach dem Krieg als Staatsganzes halten kann, und sei es auch unter Einbusse ihrer Selbständigkeit, oder ob sie zwischen Deutschland, Frankreich und Italien aufgeteilt werden wird, das hängt von einer Reihe europäischer und Weltfaktoren ab, unter denen die «nationale Verteidigung» der Schweizer einen verschwindend kleinen Platz einnimmt.

Wir sehen also, auch mit der neutralen, demokratischen, Kolonien entbehrenden Schweiz, wo der Gedanke der nationalen Verteidigung vor uns in seiner reinsten Form ersteht, machen die Gesetze der imperialistischen Epoche keine Ausnahme. Die Aufforderung der Bourgeoisie, sich der Politik der nationalen Verteidigung anzuschließen, muss das Schweizer Proletariat beantworten mit der Politik der Klassenverteidigung, um dann zum revolutionären Angriff überzugehen.

Die Zweite Internationale und der Krieg

25. Das Gebot der nationalen Verteidigung geht von dem Dogma aus, die nationale Solidarität stehe über dem Klassenkampf. In Wahrheit hat keine besitzende Klasse jemals die Verteidigung des Vaterlands als solches, d. h. unter allen und jeden Bedingungen, anerkannt, sondern hinter dieser Formel nur die Verteidigung ihrer bevorrechteten Stellung im Vaterland versteckt. Gestürzte herrschende Klassen wurden stets zu «Defätisten», d.h. waren stets bereit, ihre Vorrechte mit Hilfe fremder Waffen wiederaufzurichten.

Die unterdrückten Klassen, unbewusst ihrer Interessen und an Opfer gewöhnt, nehmen die Losung der «nationalen Verteidigung» für bare Münze, d.h. für eine unbedingte, scheinbar über den Klassen stehende Pflicht. Das geschichtliche Hauptverbrechen der Zweiten Internationale besteht darin, dass sie mit Hilfe der Ideen Patriotismus die Sklavengewohnheiten der Tradition der Unterdrückten nährt und festigt, ihre revolutionäre Auflehnung neutralisiert und ihr Klassenbewusstsein verfälscht.

Wenn das europäische Proletariat die Bourgeoisie beim Ausgang des großen Krieges nicht gestürzt hat, wenn die Menschheit sich heute in Krisenqualen windet, wenn ein neuer Krieg Dorf und Stadt in Trümmerhaufen zu verwandeln droht, so trägt die Hauptschuld an diesen Verbrechen und Verheerungen die Zweite Internationale.

26. Die Politik des Sozialpatriotismus hat die Massen ideologisch wehrlos gemacht gegenüber dem Faschismus. Soll man sich während des Krieges vom Klassenkampf lossagen namens der Interessen der Nation, so muss man auf den «Marxismus» auch in der Epoche der großen Wirtschaftskrise verzichten, die die Nation nicht weniger bedroht als ein Krieg. Rosa Luxemburg erschöpfte diese Frage bereits im April 1915 in den folgenden Worten: «Entweder ist der Klassenkampf auch im Kriege das übermächtige Daseinsgesetz des Proletariats ... Oder der Klassenkampf ist auch im Frieden ein Frevel gegen die «nationalen Interessen» und die «Sicherheit des Vaterlands»...». Den Gedanken der «nationalen Interessen» und der «Sicherheit des Vaterlands» verwandelte der Faschismus in Hand- und Fußschellen für das Proletariat.

27. Die deutsche Sozialdemokratie unterstützte die Außenpolitik Hitlers solange, bis er sie davon jagte. Die endgültige Ersetzung der Demokratie durch den Faschismus zeigte, die Sozialdemokratie bleibt patriotisch nur solange das politische Regime ihr Profit und Vorrechte garantiert. In die Emigration versetzt, krempeln sich die ehemaligen hohenzollernschen Patrioten plötzlich um und sind bereit, einen Präventivkrieg der französischen Bourgeoisie gegen Hitler willkommen zu heißen. Der Zweite Internationale kostete es nicht viel Mühe, Wels & Co. zu amnestieren ,die schon morgen, wenn die deutsche Bourgeoisie ihnen den kleinen Finger reichte, sich wieder in flammende Patrioten zurückverwandeln würden.

28. Die französischen, belgischen und anderen Sozialisten beantworteten die deutschen Ereignisse mit einem offenen Bündnis mit ihrer Bourgeoisie hinsichtlich der «nationalen Verteidigung». Während das offizielle Frankreich einen «kleinen», «unscheinbaren», aber durch außerordentliche Niedertracht hervorstechenden Krieg gegen Marokko führte, verbreiteten sich die französische Sozialdemokratie und die reformistischen' Gewerkschaften auf ihren Kongressen über die Unmenschlichkeit der Kriege überhaupt, wobei sie damit vornehmlich den Revanchekrieg seitens Deutschlands meinten. Parteien, welche die Grausamkeiten der Kolonialräuberei unterstützen, wo es nur neue Gewinne gilt, werden mit verbundenen Augen jede nationale Regierung stützen in dem großen Krieg, wo es um das Schicksal des bürgerlichen Regimes gehen wird.

29. Die Unvereinbarkeit der sozialdemokratischen Politik mit den geschichtlichen Aufgaben des Proletariats ist in der Gegenwart unvergleichlich tiefer und schärfer als am Vorabend des imperialistischen Krieges. Der Kampf mit dem patriotischen Aberglauben der Massen bedeutet vor allem unversöhnlichen Kampf gegen die Zweite Internationale als Organisation, als Partei, als Programm, als Banner.

Der Zentrismus und der Krieg

30. Der erste imperialistische Krieg hat die Zweite Internationale als revolutionäre Partei vollständig liquidiert und dadurch die Notwendigkeit und Möglichkeit geschaffen zur Bildung der Dritten Internationale. Doch die republikanische «Revolution» in Deutschland und Österreich-Ungarn, die Demokratisierung des Wahlrechts in einer Reihe von Ländern, die Zugeständnissen seitens der tief erschrockenen europäischen Bourgeoisie auf dem Gebiet der Sozialgesetzgebung in den ersten Nachkriegsjahren – all das gewährte, zusammen mit der verderblichen Politik der Epigonen des Leninismus, der Zweiten Internationale eine beträchtliche Fristverlängerung schon nicht mehr als revolutionäre, sondern als konservativ-liberale Arbeiterpartei der friedlichen Reformen. Sehr schnell jedoch – endgültig mit dem Anbruch der letzten Weltkrise – erwiesen sich alle Möglichkeiten auf dem Reformenwege als erschöpft. Die Bourgeoisie ging zum Gegenangriff über. Die Sozialdemokratie gab verräterisch eine Position nach der anderen preis. Alle Spielarten des Reformismus – der Parlaments-, der Gewerkschafts-, der Gemeinde-, der Genossenschafts-«Sozialismus» – erlitten in den letzten Jahren eine Reihe von nicht wieder gut zu machenden Bankrotten und Katastrophen. Im Endergebnis trifft die Vorbereitung des neuen Krieges durch den Imperialismus die Zweite Internationale mit zerbrochenem Rückgrat an. In den sozialdemokratischen Parteien geht ein intensiver Mauserungsprozess vor sich. Der konsequente Reformismus schminkt sich um, verstummt oder spaltet sich ab. An seine Stelle treten die verschiedenen Schattierungen des Zentrismus, bald in der Form zahlreicher Fraktionen innerhalb der alten Parteien, bald in Form selbständiger Organisationen.

31. In der Frage der Vaterlandsverteidigung greifen die maskierten Reformisten und rechten Zentristen (Leon Blum, Hendrik de Man, Robert Grimm, Martin Tranmael, Otto Bauer, usw.) zu immer diplomatischeren, verworrenen, bedingteren Formulierungen, berechnet zugleich auf die Beschwichtigung der Bourgeoisie und auf die Täuschung der Arbeiter. Sie stellen Wirtschafts«pläne» oder eine Reihe sozialer Forderungen auf und versprechen dafür, soweit die nationale Bourgeoisie ihr Programm unterstützen wird, das Vaterland vor dem äußeren «Faschismus» zu schützen. Der Zweck dieser Fragestellung ist, die Frage des Klassencharakters des Staates zu verwischen, dem Problem der Machteroberung auszuweichen und unter dem Deckmantel eines «sozialistischen» Planes die Verteidigung des kapitalistischen Vaterlands durchzuschmuggeln»

32. Die linken Zentristen, die sich ihrerseits durch eine große Anzahl von Färbungen auszeichnen (SAP in Deutschland, OSP in Holland, ILP in England, die Gruppen Zyromskis und Marceau Piverts in Frankreich usw. usw.) gehen in Worten bis zur Ablehnung der Vaterlandsverteidigung. Doch ziehen sie aus dieser nackten Ablehnung nicht die notwendigen praktischen Schlussfolgerungen. Ihr Internationalismus trägt zur Hälfte, wenn nicht zu neun Zehnteln platonischen Charakter. Sie fürchten, sich von den rechten Zentristen zu trennen; im Namen des Kampfes gegen das «Sektierertum» führen sie einen Kampf gegen den Marxismus, verzichten auf den Kampf um die revolutionäre Internationale oder verbleiben weiter in der Zweiten Internationale, an deren Spitze der kgl. Lakai Vandervelde steht. In gewissen Augenblicken dem Schub der Massen nach links Ausdruck verleihend, bremsen die Zentristen letzten Endes die revolutionäre Umgruppierung im Proletariat und folglich, auch den Kampf gegen den Krieg.

33. Seinem ganzen Wesen nach bedeutet Zentrismus Halbheit und Schwanken. Indes ist das Kriegsproblem am allerwenigsten für eine Politik des Schwankens geeignet. Für die Massen ist der Zentrismus immer nur eine kurze Übergangsetappe Die wachsende Kriegsgefahr wird eine immer schärfere Differenzierung in den zentristischen Gruppierungen, die heute in der Arbeiterbewegung vorherrschen, hervorrufen. Die proletarische Vorhut wird sich für den Kampf gegen den Krieg umso besser gewappnet erweisen, je schneller und vollständiger sie ihr Denken aus den Verstrickungen des Zentrismus befreit. Klare und unversöhnliche Stellung aller mit dem Krieg verbundenen Fragen ist die notwendige Vorbedingung für einen Erfolg auf diesem Wege.

Die Sowjetdiplomatie und die internationale Revolution

34. Nach der Machteroberung bezieht das Proletariat selbst die Position der «Vaterlandsverteidigung». Doch hinter dieser Formel steckt von da an ein ganz neuer geschichtlicher Inhalt. Der isolierte Arbeiterstaat ist kein selbstgenügsames Ganzes, sondern lediglich Truppensammelplatz der Weltrevolution. In Gestalt der UdSSR verteidigt das Proletariat nicht nationale Grenzen, sondern die einstweilen in nationale Grenzen gezwängte sozialistische Diktatur. Nur tiefes Verständnis dafür, dass die proletarische Revolution im nationalen Rahmen nicht zur Vollendung gelangen kann, dass ohne den Sieg des Proletariats in den wichtigsten Ländern alle Erfolge des sozialistischen Aufbaus in der UdSSR dem Untergang geweiht sind, dass es für kein einziges Land eine andere Rettung gibt als die internationale Revolution, dass die sozialistische Gesellschaft nur auf Grund internationaler Zusammenarbeit errichtet werden kann – nur diese unerschütterliche, in Fleisch und Blut übergegangene Überzeugung vermag der revolutionären proletarischen Politik während des Krieges eine verlässliche Grundlage zu schaffen.

35. Die Außenpolitik der Sowjets, die ausgeht von der Theorie des Sozialismus in einem Lande, d.h. der faktischen Nichtachtung der Aufgaben der internationalen Revolution, ist auf zwei Gedanken aufgebaut: die allgemeine Abrüstung und der gegenseitigen Angriffsverzicht. Dass die Sowjetregierung auf dem Gebiet der diplomatischen Garantien zu einer rein formalistischen Stellung der Fragen von Krieg und Frieden Zuflucht nehmen muss, ergibt sich aus den Bedingungen der kapitalistischen Umkreisung. Doch niemals durfte man diese Methoden der Anpassung an den Feind, die sich aufdrängten durch die Schwäche der internationalen Revolution und in erheblichem Masse durch die vorangegangenen Fehler der Sowjetmacht selbst, zu einem Universalsystem ausbauen. Indes bildeten die Taten und Reden der Sowjetdiplomatie, die längst die Grenzscheide der unvermeidlichen und zulässigen praktischen Kompromisse überschritten hat, die heilige und unantastbare Grundlage der internationalen Politik der Dritten Internationale und wurde zur Quelle gröblichster pazifistischer Illusionen und sozialpatriotischer Abirrungen.

36. Abrüstung ist kein Mittel gegen den Krieg, denn, wie uns die Erfahrung desselben Deutschland zeigt, ist eine episodische Abrüstung lediglich eine Etappe auf dem Wege zu neuer Aufrüstung. Die Möglichkeit zu neuer, und zwar sehr schneller Aufrüstung ist in der heutigen Industrietechnik gegeben. Die «allgemeine» Abrüstung würde, selbst wenn sie verwirklicht werden könnte, nur eine Stärkung des militärischen Übergewichts der mächtigsten Industrieländer bedeuten. Eine «Abrüstung» um 50% ist der Weg nicht zu völliger Abrüstung, sondern zu einer vollkommeneren Aufrüstung auf 100 %. Die Abrüstung hinstellen als das «einzig wirksame Mittel zur Verhinderung des Krieges», heißt die Arbeiter täuschen im Namen einer gemeinsamen Front mit den kleinbürgerlichen Pazifisten.

37. Man kann nicht für eine Minute dem Sowjetstaat das Recht abstreiten, in diesen oder jenen Verträgen mit den Imperialisten mit größtmöglicher Genauigkeit den Begriff des Angriffs zu definieren. Doch versuchen, diese bedingte juristische Formel zum obersten Regulator der internationalen Beziehungen zu machen, heißt das revolutionäre Kriterium mit einem konservativen vertauschen und die internationale Politik des Proletariats auf den Schutz der bestehenden Annexionen und Gewaltgrenzen zurückführen.

38. Wir sind keine Pazifisten. Den revolutionären Krieg halten wir ebenso für ein Mittel der proletarischen Politik wie den Aufstand. Unser Verhalten zum Krieg richtet sich nicht nach der Rechtsformel des «Angriffs», sondern danach, welche Klasse den Krieg führt namens welcher Ziele. Bei Zusammenstößen von Staaten wie im Kampfe der Klassen stellen «Angriff», und «Verteidigung» Fragen der praktischen Zweckmäßigkeit dar und keine rechtlichen oder sittlichen Normen. Das leere Kriterium des Angriffs bietet nur eine Stütze für die sozialpatriotische Politik der Herren Leon Blum, Vandervelde usw., die dank Versailles die Möglichkeit besitzen, die imperialistische Beute zu verteidigen unter dem Schein der Aufrechterhaltung des Friedens.

39, Stalins berüchtigte Formel «Keinen Fleck fremden Bodens wollen wir, keinen Fußbreit Boden lassen wir», stellt ein konservatives Programm der Erhaltung des Status quo dar, das von Grund auf dem Angriffscharakter der proletarischen Revolution widerspricht Die Ideologie des Sozialismus in einem Lande führt unausweichlich zur Verwischung der reaktionären Rolle des Nationalstaats, zur Versöhnung mit ihm, zu seiner Idealisierung, zur Herabdrückung der Bedeutung des revolutionären Internationalismus.

40, Die Führer der Drittes Internationale rechtfertigen die Politik der Sowjetdiplomatie damit, der Arbeiterstaat müsse die Gegensätze im Lager der Imperialisten ausnutzen. Die an sich unbestreitbare Feststellung bedarf jedoch der Konkretisierung.

Die Außenpolitik jeder Klasse ist die Fortsetzung und Weiterentwicklung ihrer Innenpolitik. Soll das Proletariat an der Macht die Gegensätze im Lager seiner äußeren Feinde aufspüren und ausnutzen, so muss das um die Macht kämpfende Proletariat die Gegensätze im Lager seiner inneren Feinde aufzuspüren und auszunutzen wissen. Der Umstand, dass die Dritte Internationale sich als absolut unfähig erwies, den Gegensatz zwischen reformistischer Demokratie und Faschismus zu begreifen und auszunutzen, hat unmittelbar zur größten Niederlage des Proletariats geführt und die Gefahr eines neuen Krieges dicht heraufbeschworen.

Die Ausnutzung der Gegensätze unter den imperialistischen Regierungen ist andererseits nicht anders zu bewerkstelligen als vom Standpunkt der internationalen Revolution. Die Verteidigung der UdSSR ist nur denkbar bei gänzlicher Unabhängigkeit der internationalen proletarischen Vorhut von der Politik der Sowjetdiplomatie, bei völliger Freiheit der Entlarvung ihrer national-konservativen, gegen die Interessen der internationalen Revolution und damit auch gegen die Interessen der Sowjetunion gerichteten Methoden,

Die USSR und die imperialistischen Gruppierungen

41. Die Sowjetregierung ändert heute ihren Kurs hinsichtlich des Völkerbundes. Die Dritte Internationale wiederholt wie stets sklavisch Worte und Gesten der Sowjetdiplomatie. «Ultralinke» aller Art benützen diese Wendung, um ein übriges Mal die UdSSR zu den bürgerlichen Staaten zu zählen. Die Sozialdemokratie erklärt die «Aussöhnung» der UdSSR mit dem Völkerbund je nach den nationalen Erwägungen bald für einen Beweis für den bürgerlich-nationalen Charakter der Moskauer Politik, bald hingegen für eine Rehabilitierung des Völkerbundes und überhaupt der ganzen Ideologie des Pazifismus. Der marxistische Standpunkt hat auch in der vorliegenden Frage nichts gemein mit irgendeiner dieser kleinbürgerlichen Anschauungen.

Unsere grundsätzliche Einstellung zum Völkerbund unterscheidet sich nicht von der zu jedem einzelnen imperialistischen Staat, ob dem Völkerbund angeschlossen oder nicht. Das Lavieren des Sowjetstaates zwischen den antagonistischen Gruppierungen des Imperialismus bedingt auch eine Manöverpolitik in Bezug auf den Völkerbund. Solange Japan und Deutschland dem Bund angehörten, drohte dieser eine Arena der Verständigung der bedeutendsten imperialistischen Räuber auf Kosten der UdSSR zu werden. Mit dem Austritt Japans und Deutschlands, der hauptsächlichen und unmittelbarsten Feinde der Sowjetunion, verwandelte sich der Völkerbund teils in einen Block der Verbündeten und Vasallen des französischen Imperialismus, teils in eine Arena des Kampfes zwischen Frankreich, England und Italien. Die eine oder die andere Kombination mit dem Völkerbund kann sich für den Sowjetstaat, der zwischen ihm in Grunde gleich feindlichen imperialistischen Lagern laviert, als zwingend erweisen.

42. Während sie sich durchaus realistisch Rechenschaft ablegt über die entstandene Lage, muss die proletarische Vorhut zusammen damit folgende Erwägungen in den Vordergrund rücken:

a) Die Notwendigkeit für die UdSSR, mehr als sechzehn Jahre nach der Oktoberumwälzung Annäherung an den Völkerbund zu suchen und diese Annäherung mit den Formeln des Pazifismus zu decken, ist ein Ergebnis der außerordentlichen Schwächung der internationalen proletarischen Revolution und damit der internationalen Positionen der UdSSR;

b) die abstrakten pazifistischen Formulierungen der Sowjetdiplomatie und ihre Komplimente an den Völkerbund haben nichts gemein mit der Politik der internationalen proletarischen Partei, die für sie keinerlei Verantwortung übernimmt, vielmehr ihre Leere und Heuchelei aufdeckt, um desto gewisser das Proletariat zu mobilisieren auf Grund eines klaren Verständnisses der realen Kräfte und der realen Antagonismen.

43. Bei der jetzt entstandenen Lage kann man im Kriegsfalle ein Bündnis der UdSSR mit einem imperialistischen Staat oder mit der einen imperialistischen Gruppierung gegen die andere ganz und gar nicht für ausgeschlossen halten. Durch den Druck derartiger Umstände kann ein zeitweiliges Bündnis zu einer eisernen Notwendigkeit werden, ohne jedoch deswegen aufzuhören, eine ganz große Gefahr zu sein sowohl für die UdSSR selbst wie für die Weltrevolution.

Das internationale Proletariat wird auf die Verteidigung der UdSSR auch sogar in dem Falle nicht verzichten, wenn diese sich zu einen Militärbündnis mit dem einen Imperialisten gegen die anderen gezwungen sähe. Aber in diesem Fall noch mehr als in jeden anderen wird das internationale Proletariat sich volle politische Unabhängigkeit von der Sowjetdiplomatie und somit von der Bürokratie der Dritten Internationale sichern.

44. Nach wie vor entschiedener und rückhaltloser Verteidiger des Arbeiterstaates im Kampf mit dem Imperialismus, wird das internationale Proletariat dennoch nicht Verbündeter der imperialistischen Bundesgenossen der UdSSR. Das Proletariat des im Bündnis mit der UdSSR stehenden kapitalistischen Landes behält seine unversöhnliche Feindschaft der imperialistischen Regierung des eigenen Landes gegenüber voll und ganz bei. In diesem Sinne wird es keinen Unterschied geben von der Politik des Proletariats des die UdSSR bekämpfenden Landes. Doch im Charakter der praktischen Aktionen können sich beachtliche Unterschiede ergeben, hervorgerufen durch die konkrete Kriegslage. Absurd und frevelhaft wäre es beispielsweise, wenn im Fall eines Krieges zwischen der UdSSR und Japan das amerikanische Proletariat die Absendung amerikanischer Waffen für die UdSSR sabotierte. Dagegen wären Aktionen wie Streiks, Sabotage usw. unbedingte Pflicht für das Proletariat des gegen die UdSSR kriegführenden Landes.

45. Die unversöhnliche proletarische Opposition gegen den imperialistischen Verbündeten der UdSSR müsste sich entfalten auf dem Boden der inneren Klassenpolitik einerseits, der imperialistischen Ziele der betreffenden Regierung, des treubrüchigen Charakters ihres «Bündnisses». ihrer Spekulation auf den bürgerlichen Umsturz in der UdSSR usw. andererseits. Die Politik der proletarischen Partei im «verbündeten» wie im feindlichen imperialistischen Land muss folglich gerichtet sein auf den revolutionären Sturz der Bourgeoisie und die Eroberung der Macht. Nur auf diesem Wege kann man ein wirkliches Bündnis mit der UdSSR schaffen und den ersten Arbeiterstaat vor dem Zusammenbruch retten.

46. Innerhalb der UdSSR wird der Krieg gegen die imperialistische Intervention zweifellos einen Ausbruch echter Kampfbegeisterung hervorrufen. Alle Gegensätze und Antagonismen werden überwunden scheinen oder mindestens hinaus gerückt sein. Die aus der Revolution hervorgegangenen jungen Generationen von Arbeitern und Bauern werden auf dem Schlachtfeld eine mächtige dynamische Kraft an den Tag legen. Die zentralisierte Industrie wird trotz all ihren Lücken und Mängeln gewaltige Vorzüge in der Kriegslieferung aufweisen. Die Regierung der UdSSR schuf zweifellos beträchtliche Nahrungsvorräte, die für die erste Kriegsperiode reichen werden. In den Generalstäben der imperialistischen Staaten ist man sich natürlich klar darüber, dass man es in der Roten Armee mit einen mächtigen Gegner zu tun hat, mit dem der Kampf viel Zeit und furchtbare Kraftanspannung erfordern wird.

47. Doch gerade der lang andauernde Charakter des Krieges wird unausbleiblich die Widersprüche der Übergangswirtschaft der UdSSR mit ihrer bürokratischen Planung enthüllen. Die neuen Riesenbetriebe können sich in vielen Fällen als totes Kapital herausstellen. Unter dem Einfluss des dringenden Bedürfnisses des Staates nach den allernotwendigsten Gegenständen werden die individualistischen Tendenzen der Bauernwirtschaft eine beträchtliche Stärkung erfahren und die Zentrifugalkräfte innerhalb der Kolchosen mit jedem Kriegsmonat wachsen. Die Herrschaft der unkontrollierten Bürokratie wird sich in Militärdiktatur verwandeln. Das Fehlen einer lebendigen Partei als dem politischen Kontrolleur und Regulator wird zu einer außerordentlichen Anhäufung und Verschärfung der Widersprüche führen. In der überhitzten Kriegsatmosphäre darf man gefasst sein auf jähe Wendungen zum individualistischen Prinzip in Landwirtschaft und Kleingewerbe, auf Heranziehung auswärtigen, «verbündeten» Kapitals, Breschen im Staatsmonopolistisch, Abschwächung der Staatskontrolle über die Trusts, Verschärfung der Konkurrenz unter den Trusts, ihren Zusammenprall mit den Arbeitern usw. Auf der politischen Linie können diese Prozesse die Vollendung des Bonapartismus bedeuten mit einer oder mehreren entsprechenden Umwälzungen der Eigentumsverhältnisse. Mit anderen Worten: in Falle eines langen Krieges, bei Passivität des Weltproletariats, würden die inneren sozialen Widersprüche in der UdSSR zur bürgerlich bonapartistischen Konterrevolution nicht nur führen können, sondern müssen.

48. Die daraus abzuleitenden politischen Schlussfolgerungen sind ganz offenkundig:

a) Die UdSSR als Arbeiterstaat retten in Fall eines langen, angespannten Krieges kann nur die proletarische Revolution in Westen;

b) die Vorbereitung der proletarischen Revolution in den «befreundeten», neutralen, wie in den feindlichen Ländern ist denkbar nur bei völliger Unabhängigkeit der Vorhut des Weltproletariats von der Sowjetbürokratie;

c) die opferbereite Unterstützung der UdSSR gegen die imperialistischen Armeen muss Hand in Hand gehen mit einer revolutionären marxistischen Kritik an der militärischen und diplomatischen Politik der Sowjetregierung, und innerhalb der UdSSR mit der Formierung einer echt-revolutionären Partei von Bolschewiki-Leninisten.

Die Dritte Internationale und der Krieg

49. In der Kriegsfrage ohne prinzipielle Linie, schwankt die Dritte Internationale zwischen Defätismus und Sozialpatriotismus. In Deutschland machte man aus dem Kampf gegen den Faschismus eine marktschreierische Konkurrenz auf dem Boden des Nationalismus. Die Losung der «nationalen Befreiung», neben die Losung der «sozialen Befreiung» gesetzt, entstellt gröblichst die revolutionäre Perspektive und schließt den Defätismus jedenfalls aus. In der Frage des Saargebiets begann die Kompartei mit sklavischer Kriecherei vor dem Nationalsozialismus, und nur über innere Spaltungen rückte sie davon ab.

Welche Losung wird die deutsche Sektion der Dritten Internationale im Kriegsfalle aufstellen: «Hitlers Niederlage das kleinere Übel»? Doch wenn die Losung der nationalen Befreiung unter den «Faschisten» Müller und Brüning richtig war, wieso könnte sie dann außer Kraft treten unter Hitler? Oder taugen die nationalen Losungen nur für Friedenszeiten, nicht aber für den Krieg? Wahrlich, die Epigonen des Leninismus haben alles getan, um sich und die Arbeiter gründlichst zu verwirren.

50. Die revolutionäre Ohnmacht der Dritten Internationale ist die direkte Folge ihrer verheerenden Politik, Nach der deutschen Katastrophe wurde die politische Nichtigkeit der sogenannten Kömparteien unter Beweis gestellt in allen Ländern, wo sie einer Prüfung unterlagen. Die französische Sektion, die sich völlig unfähig erwies, einige Zehntausende Arbeiter gegen den Kolonialraub in Afrika auf die Beine zu bringen, wird sich zweifellos noch bankrotter erweisen in der Minute der sogenannten «nationalen Gefahr»,

51. Der Kampf gegen den Krieg, undenkbar ohne die revolutionäre Mobilisierung der breiten Arbeitermassen von Stadt und Land, erfordert zugleich unmittelbaren Einfluss auf Heer und Flotte einerseits, auf den Transport andererseits. Doch Einfluss auf die Soldaten ist unvorstellbar ohne Einfluss auf die Arbeiter- und Bauernjugend. Der Einfluss auf das Transportwesen setzt starke Positionen in den Gewerkschaften voraus. Indes hat die Dritte Internationale unter Mitwirkung der Profintern alle Positionen in der Gewerkschaftsbewegung verloren und sich den Zugang zur Arbeiterjugend abgeschnitten. Unter diesen Umständen von Kampf gegen den Krieg reden, heißt Seifenkugeln blasen. Für Illusionen darf da kein Platz sein: im Falle eines imperialistischen Angriffs auf die UdSSR wird sich die Dritte Internationale herausstellen als eine glatte Null.

Der «revolutionäre» Pazifismus und der Krieg

52. Der kleinbürgerliche «linke» Pazifismus als selbständige Strömung geht davon aus, dass man durch besondere, spezielle Mittel außerhalb der sozialistischen Revolution den Frieden sichern könne. Die Pazifisten flößen durch Artikel und Reden «Abscheu vor dem Krieg» ein, unterstützen die individuelle Kriegsdienstweigerung, predigen Boykott und Generalstreik (richtiger: den Mythos des Generalstreiks) gegen den Krieg. Besonders «revolutionäre» Pazifisten haben sogar nichts dagegen, vom Aufstand gegen den Krieg zu sprechen. Aber alle miteinander und jeder im Einzelnen haben sie keine Ahnung von der untrennbaren Verknüpfung des Aufstandes mit dem Klassenkampf und mit der Politik der revolutionären Partei. Der Aufstand ist für sie nicht Sache langen und systematischen Bemühens, sondern eine literarische Drohung an die Adresse der herrschenden Klasse.

Indem sie die natürliche Friedensliebe der Volksmassen ausnützen und ihnen nicht den richtigen Ausweg zeigen, werden die kleinbürgerlichen Pazifisten letzten Endes unbewusst zu einer Stütze des Imperialismus. Im Kriegsfall werden die pazifistischen «Verbündeten» in ihrer überwiegenden Mehrheit im Lager der Bourgeoisie stehen und das Ansehen, welches ihnen die Reklame der Dritten Internationale verlieh, ausnutzen zum Zweck der patriotischen Desorganisierung der proletarischen Vorhut.

53. Der von der Dritten Internationale organisierte Amsterdamer Kongress gegen den Krieg wie der Pariser Kongress gegen den Faschismus sind klassische Beispiele der Vertauschung des revolutionären Klassenkampfes mit einer kleinbürgerlichen Politik von Schaudemonstrationen, effektvollen Paraden, potemkinschen Dörfern. Am Tage nach den lärmenden Protesten gegen den Krieg überhaupt zerstieben die buntscheckigen, von einer Kulissenregie künstlich zusammengetrommelten Elemente in alle Himmelsrichtungen und zeigen sich unfähig, auch nur den kleinen Finger gegen den wirklichen Krieg zu rühren.

54. Die Ersetzung der proletarischen Einheitsfront, d.h. eines Kampfabkommens von Arbeiterorganisationen, durch einen Block der kommunistischen Bürokratie mit kleinbürgerlichen Pazifisten, wo auf einen ehrlichen Wirrkopf Dutzende von Karrieristen entfallen, führt zu vollkommener Eklektik in den Fragen der Taktik. Die Barbusse-Münzenberg-Kongresse rechnen sich als besonderes Verdienst die Zusammenfassung aller Arten des «Kampfes» gegen den Krieg an: humanitäre Proteste, individuelle Kriegsdienstverweigerung, Erziehung der «öffentlichen Meinung», Generalstreik und sogar Aufstand. Methoden, die sich im Leben in unversöhnlichem Widerspruch zueinander befinden und praktisch nur im Kampf miteinander anwendbar sind, werden für Bestandteile eines harmonischen Ganzen ausgegeben. Die russischen «Sozialrevolutionäre», die im Kampfe gegen den Zarismus eine «synthetische Taktik» predigten: Bündnis mit den Liberalen, individuellen Terror und Massenkampf, waren das Muster einer ernsten Gruppierung im Vergleich mit den Geistesvätern des Amsterdamer Blocks. Die Arbeiter aber müssen fest im Gedächtnis behalten, dass der Bolschewismus aufwuchs im Kampfe gegen den volkstümlerischen Eklektizismus!

Das Kleinbürgertum und der Krieg

55. Der Kampf gegen die Kriegsgefahr vermag am leichtesten die Bauern und die unteren Schichten der Stadtbevölkerung der Arbeitern näher zu bringen, für die der Krieg nicht weniger verderbenbringend ist als für das Proletariat. Auch nur auf diesem Wege kann man – allgemein gesprochen – dem Krieg vermittelst des Aufstandes zuvorkommen. Doch dem Bauern ist es noch unvergleichlich weniger gegeben als dem Arbeiter, sich auf den revolutionären Weg reißen zu lassen mit Hilfe von Abstraktionen, fertigen Schablonen und leeren Kommandos. Die Epigonen des Leninismus, die 1923-24 eine Umwälzung der Komintern durchführten unter der Losung «das Gesicht dem Dorfe zu», bewiesen vollendete Unfähigkeit, dem Banner des Kommunismus nicht nur die Bauern, sondern auch die Landarbeiter zuzuführen. Die Krestintern (Bauerninternationale) verschied unbemerkt ohne jede Grabrede. Die allzu großsprecherisch verkündete «Eroberung» der Bauernmassen in den einzelnen Ländern stellte sich jedes mal als eine Eintagsfliege, wenn nicht einfach als Erfindung heraus. Gerade auf dem Gebiet der Bauernpolitik gewann der Bankrott der Dritten Internationale besonders anschaulichen Charakter, war er auch in Grunde nur unvermeidliches Ergebnis des Bruches zwischen Komintern und Proletariat.

Die Bauernschaft wird den Weg des revolutionären Kampfes gegen den Krieg nur in dem Fall betreten, wen sie sich in der Tat von der Fähigkeit der Arbeiter, diesen Kampf zu führen, überzeugt. Der Schlüssel zum Sieg befindet sich folglich in den Fabriken und Betrieben. Das revolutionäre Proletariat muss eine wirkliche Kraft werden, bevor die Bauernschaft und die kleinen Leute aus der Stadt mit ihnen in Reih' und Glied marschieren.

56. Das Kleinbürgertum von Stadt und Land ist nicht gleichförmig. Auf seine Seite kann das Proletariat nur dessen unterste Schichten bringen: die armen Bauern, Halbproletarier, kleinen Beamten, Straßenhändler, unterdrückten und zersplitterten Menschengruppen, die kraft all ihrer Daseinsbedingungen der Möglichkeit beraubt sind, einen selbständigen Kampf zu führen. Über diese breite Schicht des Kleinbürgertums ragen seine Spitzen hinaus, die zur Mittel- und Großbourgeoisie hinneigen, und aus denen sich die politischen Karrieristen aussondern, die vom demokratischen und pazifistischen, wie die vom faschistischen Typ. Solange diese Herren in Opposition stehen, greifen sie zu ungezügeltster Demagogie als zu dem sichersten Mittel, sich später in den Augen der Großbourgeoisie zu höherem Preise loszuschlagen.

Das Verbrechen der Dritten Internationale besteht darin, dass sie den Kampf um den revolutionären Einfluss auf das wirkliche Kleinbürgertun, d.h. auf seine plebejischen Massen, ersetzt durch theaterhafte Blocks mit ihren heuchlerischen, pazifistischen Führern. Statt die letzteren zu diskreditieren, rüstet sie sie mit der Autorität der Oktoberrevolution aus und lässt die unterdrückten niederen Schichten des Kleinbürgertums politisch zum Opfer ihrer verräterischen Spitzen werden.

57. Der revolutionäre Weg zur Bauernschaft geht über die Arbeiter. Um des Vertrauen des Dorfes zu erringen, müssen die fortgeschrittenen Arbeiter selbst wieder Vertrauen zum Banner der proletarischen Revolution gewinnen. Das ist nur zu erreichen durch richtige Politik im Allgemeinen und richtige antimilitaristische Politik in Besonderen.

Der «Defätismus» im imperialistischen Krieg

58. In den Fällen, wo es sich um den Kampf kapitalistischer Länder handelt, lehnt das Proletariat jedes dieser Länder entschieden ab, namens des militärischen Sieges der Bourgeoisie seine eigenen geschichtlichen Interessen zu opfern, die letzten Endes mit den Interessen der Nation und der Menschheit zusammenfallen. Lenins Formel: «die Niederlage das kleinere Übel» bedeutet nicht, dass die Niederlage des eigenen Landes das kleinere Übel sei im Vergleich mit der Niederlage des gegnerischen Landes, sondern dass die durch die Entwicklung der revolutionären Bewegung verursachte militärische Niederlage für das Proletariat und das gesamte Volk unvergleichlich vorteilhafter ist als der durch den «Burgfrieden» gesicherte militärische Sieg. Karl Liebknecht hat die unübertroffene Formel der proletarischen Politik im Kriege gegeben: «Der Hauptfeind jedes Volkes steht in seinem eigenen Lande». Die siegreiche proletarische Revolution wird nicht nur die durch die Niederlage verursachten Schäden wieder gut machen, sondern auch eine endgültige Sicherung gegen weitere Kriege und Niederlagen schaffen. Diese dialektische Haltung zum Krieg ist der wichtigste Bestandteil der revolutionären Erziehung und folglich auch des Kampfes gegen den Krieg.

59. Die Verwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg ist die allgemeine strategische Aufgabe, der die gesamte Arbeit der proletarischen Partei während des Krieges untergeordnet werden muss.

Die Folgen des französisch-preußischen Krieges von 1870-71 wie des imperialistischen Krieges von 1914-18 (Pariser Kommune, Februar- und Oktoberrevolution in Russland, Revolutionen in Deutschland und Österreich-Ungarn, Aufstände in einer Reihe kriegführender Länder) bezeugen unwiderlegbar, dass der heutige Krieg zwischen kapitalistischen Nationen den Klassenkrieg innerhalb jeder Nation nach sich zieht, und dass die Aufgabe der revolutionären Partei darin besteht, in diesem Krieg den Sieg des Proletariats vorzubereiten.

60; Die Erfahrung der Jahre 1914-18 bezeugt ferner, dass die Friedenslosung der strategischen Formel des «Defätismus» keinesfalls widerspricht, im Gegenteil, gewaltige revolutionäre Kraft zur Entfaltung bringt, besonders bei langer Kriegsdauer. Pazifistischen, d, h; betrügerischen, einschläfernden, lähmenden Charakter trägt die Losung Frieden nur in dem Fall, wenn demokratische und andere Politiker damit jonglieren, wenn die Pfaffen Bittgebete für die baldige Beendigung des Gemetzels gen Himmel senden, wenn die «Menschenfreunde», darunter auch die Sozialpatrioten, weinerlich ihre Regierungen anflehen, baldigst Frieden zu schließen «auf gerechter Grundlage».Doch die Friedenslosung hat nichts mit Pazifismus gemein, sobald sie aus den Arbeitervierteln und Schützengräben erhoben wird, mit der Losung der Verbrüderung der Soldaten der feindlichen Heere verknüpft wird, und sie die Unterdrückten gegen die Unterdrücker vereinigt. Der revolutionäre Kampf um den Frieden, der immer massenhaftere und kühnere Formen annimmt, ist einer der Hauptpfade zur «Verwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg».

Krieg, Faschismus und die Bewaffnung des Proletariats

61. Krieg erheischt «Burgfrieden». Den vermag die Bourgeoisie bei den heutigen Verhältnissen nur zu erreichen durch den Faschismus. Somit wird der Faschismus zum wichtigsten politischen Faktor des Krieges. Kampf gegen den Krieg bedingt Kampf gegen den Faschismus. Jedes revolutionäre Programm des Kampfes gegen den Krieg Defätismus», «Umwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg» usw.) wird zu leerem Schall, wenn die proletarische Vorhut sich außerstande erweist, dem Faschismus erfolgreich Widerstand zu leisten.

Vom bürgerlichen Staat die Entwaffnung der faschistischen Banden fordern, wie es die Stalinisten tun, heißt in die Fußstapfen der deutschen Sozialdemokratie und des Austromarxismus treten. Gerade Wels und Otto Bauer «verlangten» vom Staat, er solle die Nazi entwaffnen und so den Frieden im Innern sichern. Eine «demokratische» Regierung kann zwar – wenn es für sie vorteilhaft ist – einzelne faschistische Gruppen entwaffnen, aber nur, um mit umso größerer Wut die Arbeiter zu entwaffnen oder an der Bewaffnung zu hindern. Morgen schon wird der bürgerliche Staat den gestern «entwaffneten» Faschisten Gelegenheit geben, doppelt zu rüsten und ihre Waffen auf das wehrlose Proletariat niedersausen zu lassen. Sich an den Staat, d.h. das Kapital, mit dem Verlangen nach Entwaffnung der Faschisten wenden, heißt übelste demokratische, Illusionen säen, die Wachsamkeit des Proletariats einschläfern, seinen Willen demoralisieren.

62. Die richtige revolutionäre Politik besteht darin, ausgehend von der Tatsache der Bewaffnung der faschistischen Banden, zum Zwecke des Selbstschutzes bewaffnete Arbeiterabteilungen zu schaffen und unermüdlich die Arbeiter zur Selbstbewaffnung aufzufordern. Hier liegt der Schwerpunkt der gesamten politischen Lage von heute. Die Sozialdemokraten, selbst die linksten, d.h. jene, die bereit sind, die allgemeinen Phrasen von der Revolution und der Diktatur des Proletariats nachzusprechen, gehen entweder vorsichtig um die Frage der Bewaffnung der Arbeiter herum oder erklären diese Aufgabe glatt für «chimärisch», «abenteurerhaft», «romantisch» usw. Sie schlagen an Stelle (!) der Arbeiterbewaffnung Propaganda unter den Soldaten vor, die sie in Wirklichkeit weder betreiben noch zu betreiben fähig sind. Der leere Hinweis auf die Arbeit in Heer dient den Opportunisten lediglich dazu, die Frage der Arbeiterbewaffnung zu begraben.

63. Der Kampf ums Heer ist unbestreitbar der wichtigste Bestandteil des Kampfes um die Macht. Zähe und selbstaufopfernde Arbeit unter den Soldaten ist eine revolutionäre Pflicht jeder wahrhaft proletarischen Partei. Diese Arbeit ist mit von vornherein sicherem Erfolg nur zu leisten unter Voraussetzung einer richtigen Gesamtpolitik der Partei, ganz besonders unter der Jugend. Von gewaltiger Bedeutung für den Erfolg der Arbeit im Heer ist in den Ländern mit starker Landbevölkerung das Agrarprogramm der Partei und ein System von Übergangsforderungen überhaupt, welche die Grundinteressen der kleinbürgerlichen Massen berühren und diesen die rettende Perspektive aufzeigen.

64. Es wäre jedoch kindisch, zu glauben, man könne durch bloße Propaganda die gesamte Armee auf die Seite des Proletariats ziehen und dadurch die Revolution unnötig machen. Das Heer ist ungleichartig und seine ungleichartigen Elemente werden durch das eiserne Band der Disziplin zusammengehalten. Die Propaganda kann im Heer revolutionäre Zellen schaffen und um die Sympathie der vorgeschrittensten Soldaten werben. Mehr können Propaganda und Agitation nicht leisten. Damit rechnen, das Heer werde aus eigenen Antrieb die Arbeiterorganisationen vor dem Faschismus schützen oder gar den Übergang der Macht in die Hände des Proletariats sichern, hieße die rauen Lehren der Geschichte gegen süße Illusionen eintauschen. Das Heer kann in der Revolutionsepoche in seinen entscheidenden Teilen auf die Seite des Proletariats treten nur in dem Falle, wenn das Proletariat selbst der Armee tatkräftig seine Bereitschaft und Fähigkeit zum Kampf um die Macht bis zum letzten Blutstropfen beweist. Solch ein Kampf setzt notwendigerweise die Bewaffnung des Proletariats voraus.

65. Aufgabe der Bourgeoisie ist es, das Proletariat von der Gewinnung des Heeres abzuhalten. Diese Aufgabe löst der Faschismus nicht ohne Erfolg mittels bewaffneter Verbände. Die unmittelbare nächste Tagesaufgabe des Proletariats ist nicht die Machteroberung, sondern die Verteidigung seiner Organisationen vor den faschistischen Banden, hinter denen in gewissem Abstand der kapitalistische Staat steht. Wer behauptet, die Arbeiter seien nicht in der Lage, sich zu bewaffnen, der spricht damit aus: die Arbeiter sind dem Faschismus gegenüber wehrlos. Dann soll man nicht von Sozialismus, proletarischer Revolution, Kampf gegen den Krieg reden. Dann soll man das kommunistische Programm zerreißen und über den Marxismus das Kreuz setzen.

66. Sich vor der Aufgabe der Arbeiterbewaffnung zu drücken ist kein Revolutionär imstande, sondern ein impotenter Pazifist, morgen Kapitulant vor Faschismus und Krieg. An sich ist die Sache der Bewaffnung -- wie die Geschichte bezeugt – durchaus lösbar. Wenn die Arbeiter richtig einsehen, dass es um Leben und Sterben geht, werden sie sich schon Waffen verschaffen. Ihnen die politische Lage zu erklären, ohne etwas zu verschleiern oder zu mildern, alle Trostlügen auszumerzen, das ist die erste Pflicht einer revolutionären Partei. Wie kann man sich denn tatsächlich anders vor dem Todfeind verteidigen, als indem man auf jedes faschistische Messer zwei Messer und auf jeden Revolver zwei Revolver setzt? Schaffen sich die Faschisten Gewehre an, so müssen die Arbeiter die gleichen Waffen haben. Eine andere Antwort gibt es nicht und kann es nicht geben.

67. Woher die Waffen nehmen? Vor allem von den Faschisten selbst. Die Entwaffnung der Faschisten ist eine schändliche Losung, wenn sie an die bürgerliche Polizei gerichtet wird. Die Entwaffnung der Faschisten ist eine ausgezeichnete Losung, sobald sie sich an die revolutionären Arbeiter wendet. Doch die faschistischen Arsenale sind nicht die einzige Quelle. Das Proletariat hat hunderte und tausende Kanäle zu seiner Selbstbewaffnung. Man vergesse nicht, dass es doch die Arbeiter und nur sie sind, die mit eigener Hand sämtliche Waffensorten herstellen. Nötig ist nur, dass die proletarische Vorhut klar begriffen hat, dass sie der Aufgabe der Selbstbewaffnung nicht aus dem Wege gehen darf. Pflicht der revolutionären Partei ist es, die Initiative zur Bewaffnung von Arbeiterkampfabteilungen zu ergreifen. Dazu aber muss sie zuallererst sich selbst von allen Formen des Skeptizismus, der Unentschlossenheit und des pazifistischen Gefasels in der Frage der Arbeiterbewaffnung freimachen.

68. Die Losung der Arbeitermiliz ,oder Selbstschutzstaffeln hat nur soweit revolutionären Sinn, als es eine bewaffnete Miliz gilt; sonst sinkt sie zu Theatervorstellungen, Paraden herab, wird folglich zum Selbstbetrug. Selbstverständlich wird die Bewaffnung in der ersten Zeit recht primitiv sein. Die ersten Arbeiterselbstschutzstaffeln werden weder über Haubitzen, noch Tanks, noch Flugzeuge verfügen. Jedoch am 6. Februar haben in Paris, dem Zentrum eines mächtigen Militärstaats, mit Revolvern und auf Stöcken befestigten Rasiermessern ausgerüstete Banden das Parlament fast erstürmt und den Sturz der Regierung herbeigeführt. Ähnliche Banden können morgen die Redaktionen der proletarischen Zeitungen oder die Gewerkschaftshäuser verwüsten. Die Stärke des Proletariats liegt in seiner Zahl. In den Händen der Masse kann selbst die primitivste Waffe Wunder vollbringen. Bei günstigen Umständen kann sie den Weg zu vollkommenerer Bewaffnung bahnen.

69. Die Losung der Einheitsfront entartet zu einer zentristischen Phrase, wird sie bei den heutigen Verhältnissen nicht ergänzt durch die Propaganda und die praktische Anwendung ganz bestimmter Methoden des Kampfes mit dem Faschismus. Die Einheitsfront ist nötig vor allem für die Schaffung örtlicher Verteidigungsausschüsse. Die Verteidigungsausschüsse sind notwendig für den Aufbau und den Zusammenschluss von Staffeln der Arbeitermiliz. Diese Staffeln müssen bereits bei ihren ersten Schritten Waffen suchen und finden. Die Selbstschutzstaffeln sind nur eine Etappe auf dem Wege zur Bewaffnung des Proletariats. Andere Wege kennt die Revolution überhaupt nicht.

Die revolutionäre Politik gegen den Krieg

70. Erste Vorbedingung des Erfolges ist die Erziehung der Parteikader im richtigen Verständnis für alle Bedingungen des imperialistischen Krieges und alle ihn begleitenden Prozesse. Wehe der Partei, die in dieser brennenden Frage sich auf allgemeine Phrasen und abstrakte Losungen beschränkt! Die blutigen Ereignisse werden sich über ihrem Haupt entladen und sie zermalmen.

Notwendig ist die Schaffung spezieller Zirkel zum Studium der politischen Erfahrung des Krieges 1914-18 (ideologische Vorbereitung des Krieges durch den Imperialismus, Falschunterrichtung der öffentlichen Meinung durch die Stäbe über die patriotische Presse, Rolle der Antithese: Verteidigung und Angriff, Gruppierungen im proletarischen Lager, Isolierung der marxistischen Elemente, usw. usw.).

71. Für die revolutionäre Partei besonders kritisch ist der Augenblick des Kriegsausbruchs. Die bürgerliche und die sozialpatriotische Presse wird im Bunde mit Radio und Kino die Werktätigen mit Stürmen chauvinistischen Gifts überschütten. Die revolutionärste und gestählteste Partei wird in einem solchen Augenblick nicht vollständig standhalten können. Die heutige durch und durch verfälschte Geschichte der bolschewistischen Partei dient nicht dazu, die fortgeschrittenen Arbeiter realistisch auf die Prüfung vorzubereiten, sondern sie mit einem erfundenen Idealschema einzulullen.

Obgleich das zaristische Russland weder als eine Demokratie, noch als Kulturträger, noch endlich als die sich verteidigende Seite angesprochen werden konnte, ließ die bolschewistische Dumafraktion gemeinsam mit der menschewistischen zu Kriegsbeginn eine sozialpatriotische Erklärung vom Stapel, verdünnt mit rosarotem pazifistischem Internationalismus. Die bolschewistische Fraktion bezog bald eine revolutionärere Stellung, doch im Gerichtsprozess gegen die Fraktion grenzten sich außer Muranow alle angeklagten Abgeordneten mitsamt ihrem theoretischen Anführer Kamenew kategorisch ab von der defätistischen Theorie Lenins. Die illegale Arbeit der Partei war in der ersten Zeit beinahe erstorben. Erst allmählich erschienen revolutionäre Aufrufe, welche die Arbeiter, durchaus ohne defätistische Losungen aufzustellen, unter das Banner des Internationalismus riefen.

Die beiden ersten Kriegsjahre untergruben gehörigst den Patriotismus der Massen und schoben die Partei nach links. Aber die Februarrevolution, die Russland in eine Demokratie verwandelte, erzeugte eine neue mächtige Welle von «revolutionärem» Patriotismus. In ihrer überwiegenden Mehrzahl hielten die Spitzen der bolschewistischen Partei auch diesmal nicht stand. Stalin und Kamenew gaben im März 1917 dem Zentralorgan der Partei eine sozialpatriotische Richtung. Auf Grund dessen vollzog sich im ganzen Land eine Annäherung und in den meisten Städten geradezu eine Verschmelzung der bolschewistischen und menschewistischen Organisationen. Es bedurfte des Protestes der festesten Revolutionäre, hauptsächlich der fortgeschrittenen Bezirke Petrograds, es bedurfte der Ankunft Lenins in Russland und seines unversöhnlichen Kampfes gegen den Sozialpatriotismus, damit die Partei ihre internationalistische Front wieder ausrichtete. So war es um die beste, die revolutionärste und gestählteste Partei bestellt.

72. Das Studium der geschichtlichen Erfahrung des Bolschewismus ist von unschätzbarer erzieherischer Bedeutung für die fortgeschrittenen Arbeiter: es zeigt ihnen all die Gewalt des Drucks der bürgerlichen öffentlichen Meinung, den sie zu überwinden haben, und lehrt sie gleichzeitig, nicht zu verzagen, nicht die Waffen zu strecken, nicht den Mut zu verlieren trotz völliger Isolierung bei Beginn des Krieges.

Nicht weniger sorgfältig will der Kampf der politischen Gruppierungen im Proletariat der anderen Länder studiert sein, der kriegführenden sowohl wie der neutralen. Besonders bedeutsam ist die Erfahrung des Kampfes Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts in Deutschland, wo die Ereignisse eine andere Richtung nahmen als in Russland, letzten Endes aber zu derselben Schlussfolgerung führen: man muss lernen, gegen den Strom zu schwimmen.

73. Notwendig ist, sorgfältig zu folgen der heute vor sich gehenden patriotischen Vorbereitung des Kanonenfutters; den diplomatischen Spiegelfechtereien, die zur Aufgabe haben, die Verantwortung auf den Gegner abzuschieben; den treulosen Formeln der eindeutigen und der heimlichen Sozialpatrioten, die sich eine Brücke bauen vom Pazifismus zum Militarismus; den leeren Losungen der «kommunistischen» Führer, die schon am ersten Kriegstage nicht weniger kopflos sein werden als die deutschen «Führer» in der Nacht des Reichstagsbrandes

74. Notwendig ist, aufmerksam die bezeichnendsten Stellen aus den Regierungs- und Oppositionsartikeln und -reden zu sammeln und an der Erfahrung des vergangenen Krieges zu messen, voraus zu erraten, welche Richtung der Volksbetrug fernerhin einschlagen wird, dann die Voraussicht zu untermauern durch das Zeugnis der Tatsachen, die proletarische Vorhut zu lehren, sich selbständig in den Ereignissen zurechtzufinden, um nicht unvermutet überrumpelt zu werden.

75. Die Verstärkung der Agitation gegen Imperialismus und Militarismus soll nicht von abstrakten Formeln ausgehen, sondern von den konkreten, Massen berührenden Tatsachen. Notwendig ist, nicht nur den öffentlichen Militärhaushalt zu entlarven, sondern auch alle maskierten Formen des Militarismus; keine Kriegsmanöver, Kriegslieferungen, -bestellungen usw. dürfen ohne Proteste bleiben.

Notwendig ist, durch gut vorbereitete Arbeiter wieder und wieder die Frage der Kriegsgefahr und des Kampfes gegen sie in ausnahmslos allen Organisationen des Proletariats und in der Arbeiterpresse aufzuwerfen und von den Führern klare und konkrete Antworten zu fordern auf die Frage: was tun?

76. Um das Vertrauen der Jugend zu gewinnen, muss man nicht nur der Vergiftung der Geister durch die Sozialdemokratie und den stumpfsinnigen Bürokratismus der Dritten Internationale Kampf auf Leben und Tod ansagen, sondern auch wirklich eine internationale Organisation schaffen, die sich tatsächlich auf das kritische Denken und das selbständige revolutionäre Handeln der neuen Generation stützt.

Notwendig ist, die Arbeiterjugend aufzurütteln gegen alle Arten und Formen ihrer Militarisierung durch den bürgerlichen Staat. Gleichzeitig damit muss man sie mobilisieren und militarisieren im Interesse der Revolution (Verteidigungsausschüsse gegen den Faschismus, rote Kampfstaffeln, Arbeitermiliz, Kampf um die Bewaffnung des Proletariats).

77. Um revolutionäre Positionen in den Gewerkschaften und anderen Arbeitermassenorganisationen zu erringen, muss man unerbittlich mit dem bürokratischen Ultimatismus aufräumen, die Arbeiter nehmen, wo sie sind und wie sie sind, sie vorwärts führen von den Teilaufgaben zu den allgemeinen, von der Verteidigung zum Angriff, von den patriotischen Vorurteilen zum Sturz des bürgerlichen Staates.

Da die Spitze der Gewerkschaftsbürokratie in den meisten Ländern im Wesen einen inoffiziellen Bestandteil der kapitalistischen Polizei darstellt, müssen die Revolutionäre es verstehen, sie unversöhnlich zu bekämpfen, die legale Tätigkeit mit der illegalen, Kampfesmut mit konspirativer Vorsicht verbindend.

Nur durch diese kombinierten Methoden kann man um das revolutionäre Banner die Arbeiterklasse, angefangen mit ihrer Jugend, wirklich vereinigen, sich den Weg in die kapitalistischen Kasernen bahnen und alle Unterdrückten aufrütteln.

78. Der Kampf gegen den Krieg kann nur in dem Fall wahrhaft breiten, massenhaften, volksmäßigen Charakter gewinnen, wenn an ihm teilnimmt die Arbeiterin, die Bäuerin, die werktätige Frau. Die bürgerliche Degeneration der Sozialdemokratie, wie die bürokratische Entartung der Dritten Internationale trafen am schwersten die unterdrücktesten und rechtlosesten Schichten des Proletariats, d.h. vor allem die arbeitenden Frauen. Sie wecken, ihr Vertrauen erobern, ihnen den richtigen Weg weisen, heißt gegen den Militarismus die revolutionären Leidenschaften der unterdrücktesten Teile der Menschheit mobilisieren.

Die Antikriegsarbeit unter den Frauen muss im Besonderen den Ersatz der einberufenen Männer durch revolutionäre Arbeiterinnen sichern, auf die im Kriegsfall unvermeidlich ein bedeutender Teil der Partei- und Gewerkschaftsarbeit übergehen muss.

79. Wenn es nicht in den Kräften des Proletariats liegen wird, den Krieg durch das Mittel der Revolution zu verhindern – dies aber ist das einzige Mittel, den Krieg zu verhindern –, so sind die Arbeiter, zusammen mit dem ganzen Volk, gezwungen, an Heer und Krieg teilzunehmen. Die individualistischen und anarchistischen Losungen der Kriegsdienstverweigerung, des passiven Widerstandes, der Fahnenflucht, der Sabotage widersprechen von Grund auf den Methoden der proletarischen Revolution. Aber wie sich in der Fabrik der fortgeschrittene Arbeiter als Sklave des Kapitals fühlt, der seine Befreiung vorbereitet, so weiß er sich auch im kapitalistischen Heer Sklave des Imperialismus. Gezwungen, heute Kraft und selbst Leben hinzugeben, lässt er sich sein revolutionäres Bewusstsein nicht nehmen. Er bleibt ein Kämpfer, lernt, mit der Waffe umzugehen, erläutert auch in den Schützengräben den Klassensinn des Krieges, sammelt die Unzufriedenen, schließt sie zu Zellen zusammen, ist ein Verbreiter der Ideen und Losungen der Partei, verfolgt wachsam die Veränderungen in der Massenstimmung, das Abflauen der patriotischen Welle, das Anwachsen der Auflehnung, um im kritischen Augenblick die Soldaten zur Unterstützung der Arbeiter zu erheben.

Die Vierte Internationale und der Krieg

80. Kampf gegen den» Krieg setzt eine revolutionäre Kampfeswaffe voraus, d.h. die Partei. Sie gibt es jetzt weder im nationalen noch in internationalen Maßstab Die revolutionäre Partei ist zu schaffen, indem man sich auf die gesamte Erfahrung der Vergangenheit stützt, darunter auch auf die Erfahrung der Zweiten und der Dritten Internationale, Ablehnung des unmittelbaren und offenen Kampfes um die neue Internationale bedeutet bewusste oder unbewusste Unterstützung der zwei bestehenden Internationalen, von denen die eine aktiv den Krieg unterstützen wird, die andere aber die proletarische Vorhut nur zu zersetzen und zu schwächen vermag.

81. In den Reihen der sogenannten Komparteien verbleiben zwar nicht wenig ehrliche revolutionäre Arbeiter. Die Zähigkeit, mit der sie an der Dritten Internationale festhalten, erklärt sich in vielen Fällen durch revolutionäre Ergebenheit, die nicht den richtigen Weg fand. Sie um das Banner der neuen Internationale scharen kann man jedoch nicht durch Zugeständnisse, Anpassungen an die ihnen aufgepfropften Vorurteile, sondern umgekehrt, durch die folgerichtige Bloßstellung der verheerenden internationalen Rolle des Stalinismus (bürokratischen Zentrismus). Besonders grell und unversöhnlich muss man dabei heute die Kriegsfragen stellen.

82. Notwendig ist, zugleich aufmerksam den Kampf innerhalb des reformistischen Lagers zu verfolgen und rechtzeitig die sich zur Revolution hin entwickelnden linkssozialistischen Gruppierungen in den Kampf gegen den Krieg einzureihen. Das wichtigste Merkmal für die Bestimmung der Tendenzen der betreffenden Organisation ist ihr praktisches, aktives Verhalten zur nationalen Verteidigung und zu den Kolonien, insbesondere in den Fällen, wo die Bourgeoisie des betreffenden Landes über Kolonialsklaven herrscht. Nur der vollständige und wirkliche Bruch mit der offiziellen öffentlichen Meinung in der brennendsten Frage der «Vaterlandsverteidigung» ist gleichbedeutend mit dem Übergang, oder wenigstens dem Anfang eines Übergangs, von der bürgerlichen Einstellung zur proletarischen. Die Annäherung derartiger linker Organisationen muss begleitet sein von freundschaftlicher Kritik an jeder Halbheit in ihrer Politik und gemeinsamer Bearbeitung aller theoretischen und praktischen Probleme des Krieges.

83. Im Lager der Arbeiterbewegung treiben sich nicht wenig Politiker herum, die wohl in Worten dem Zusammenbruch der Zweiten und der Dritten Internationale anerkennen, aber gleichzeitig finden, «heute ist nicht die Zeit», an den Aufbau der neuen Internationale zu schreiten. Solch eine Stellungnahme kennzeichnet nicht einen revolutionären Marxisten, sondern einen ausgelaugten Stalinisten oder enttäuschten Reformisten. Der revolutionäre Kampf duldet keine Unterbrechung. Die Umstände mögen ihm heute ungünstig sein; doch ein Revolutionär, der nicht gegen den Strom zu schwimmen versteht, ist kein Revolutionär. Zu sagen, der Aufbau der neuen Internationale sei «unzeitgemäß», ist dasselbe wie den Klassenkampf und im Besonderen den Kampf gegen den Krieg für unzeitgemäß zu erklären. Die proletarische Politik kann nicht umhin, sich in der heutigen Epoche internationale Aufgaben zu stellen. Die internationalen Aufgaben können nicht umhin, den Zusammenschluss internationaler Kader zu heischen. Diese Arbeit kann man nicht um einen Tag aufschieben, ohne vor dem Imperialismus zu kapitulieren.

84. Wann nun gerade der Krieg ausbrechen und in welchem Stadium er den Aufbau der neuen Parteien Und der Vierten Internationale vorfinden wird, das wird selbstverständlich niemand vorhersagen: man muss alles tun, damit die Vorbereitung der proletarischen Revolution rascher gehe als die Vorbereitung des neuen Krieges. Möglich jedoch, dass der Militarismus auch diesmal die Revolution überflügelt. Aber auch ein solcher Verlauf, der große Opfer und Verwüstungen in sich schließt, enthebt uns keinesfalls der Verpflichtung, unverzüglich die neue Internationale aufzubauen. Die Verwandlung des imperialistischen Krieges in die proletarische Revolution wird umso schneller gehen, je weiter unsere Vorbereitungsarbeit vorgeschritten sein wird, je stärkere revolutionäre Kader schon zu Kriegsanfang da sein werden, je planmäßiger sie die Arbeit in allen kriegführenden Ländern betreiben, je sicherer ihre Arbeit fußen wird auf richtigen strategischen, taktischen und Organisationsprinzipien.

85. Der imperialistische Krieg wird beim ersten Schlag das altersschwache Rückgrat der Zweiten Internationale zerschmettern und ihre nationalen Sektionen in Stücke spalten. Er wird endgültig die Hohlheit und Ohnmacht der Dritten Internationale kund tun. Aber er wird auch alle die auf Halbheit beruhenden zentristischen Gruppierungen nicht verschonen, die dem Problem der Internationale ausweichen, rein nationale Wurzeln suchen, keine einzige Frage ganz lösen, einer Perspektive entbehren und sich einstweilen lediglich von der Gärung und Verwirrung in der Arbeiterklasse nähren.

Selbst wenn zu Beginn des neuen Krieges die echten Revolutionäre wiederum in kleiner Minderheit sein werden, so kann man doch nicht eine Minute lang daran zweifeln, dass diesmal das Einschwenken der Massen auf die Straße der Revolution sehr viel rascher, entschiedener und schonungsloser vor sich gehen wird als während des ersten imperialistischen Krieges. Die neue Aufstandswelle kann und muss siegreich werden in der gesamten kapitalistischen Welt.

Unbestreitbar ist jedenfalls, dass in unserer Epoche tiefe Wurzeln im nationalen Boden allein die Organisation schlagen kann, die sich auf internationale Prinzipien stützt und dem Gefüge einer Weltpartei des Proletariats eingegliedert ist Kampf gegen den Krieg bedeutet heute Kampf um die Vierte Internationale!

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