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Leo Trotzki 19340118 Wo sind die Grenzen des Falls?

Leo Trotzki: Wo sind die Grenzen des Falls?

(Die Ergebnisse des 13. EKKI-Plenums)

[Nach Unser Wort, 2. Jahrgang 1934, Nr. 3, 1. Februarwoche (Nr. 19), S. 2 f.]

Auf seiner Dezembertagung nahm das Plenum des Exekutivkomitees der Komintern eine Resolution an («Faschismus, Kriegsgefahr und die Aufgaben der Kommunistischen Parteien»), die einer Grabschrift gleicht: «Hier ruht, was einst die Partei des internationalen Proletariats war». Die Resolution bekundet Mangel an überhaupt jeglicher Gesamtkonzeption. Woher auch nehmen? Bruchstücke alter Zickzacks sind schlampig zusammengeflickt, um der Weltarbeiterklasse als Richtschnur zu dienen. Dem Kritiker bleibt nichts übrig, als die Unzulänglichkeit jedes Bestandteils im Einzelnen und ihre Unverträglichkeit untereinander nachzuweisen.

1. Die Resolution bekräftigt nochmals unter Eid – anscheinend glauben es noch nicht alle! – die unbedingte Richtigkeit der Politik der deutschen Komparlci vor, während und nach dem hitlerschen Staatsstreich. In Klammern teilt man uns jedoch mit, Remmele und Neumann gehörten zu den «rechten Opportunisten und Defätisten in der Einschätzung der Perspektiven der deutschen Revolution», Sind das nicht Wunder? Die Führung der deutschen Kompartei hatte die Komintern während der letzten Jahre drei Personen in die Hände gelegt: Thälmann, Remmele und Neumann. (Darüber kann man sogar in der letzten Ausgabe der deutschen «Enzyklopädie» nachlesen). Jetzt erfahren wir beiläufig, zwei Mitglieder dieses Triumvirats, welches die deutsche Partei vor und während des Staatsstreichs «richtig» führte, haben sich zufällig als «Opportunisten und Defätisten» entpuppt. Den dritten bewahren vor solchen Zufällen die dicken Mauern des faschistischen Gefängnisses. Über wen machen sich die Kominternführer lustig? Doch nicht über sich selbst?

2. «Das Wachsen des Faschismus und sein Machtantritt in Deutschland und in einer Reihe anderer kapitalistischer Länder bedeutet» – nach den Worten der Resolution – «dass die revolutionäre Krise und die Empörung der breiten Massen gegen die Herrschaft des Kapitals wachsen». So etwas nennt man Verwischung der Spuren. Dass ohne Wachsen der sozialen Krise des Kapitalismus auch ein Wachsen des Faschismus unmöglich wäre, ist längst bekannt. Doch Hitlers Sieg («der Machtantritt des Faschismus») ist durchaus nicht durch die «Empörung der breiten Massen gegen die Herrschaft des Kapitals» hervorgerufen, sondern durch die Ohnmacht dieser Massen, die durch Reformismus, Abenteurertum, Entbehrung einer revolutionären Führung, die verachtungswürdige und verbrecherische Politik der Komintern gelähmt waren. «Ohne Stalin kein Sieg Hitlers». Mit keinen bürokratischen Kniffen wird es gelingen, weder die Tiefe der deutschen Niederlage, noch die Verantwortlichkeit der Komintern zu überkleistern.

3. «Nur zum Zweck des Betrugs und der Entwaffnung der Arbeiter» – lautet es in der Resolution – «leugnet die Sozialdemokratie die Faschisierung der bürgerlichen Demokratie und stellt prinzipiell (!) die Länder der Demokratie den Ländern der faschistischen Diktatur gegenüber». Diese krause Formulierung, die vorsätzlich Fragen verschiedener Zuordnung vermengt, soll demselben Ziele dienen: die «richtige» Politik der deutschen Kompartei zu rechtfertigen, die in der Epoche Braun-Severing-Brüning behauptet hatte, der Faschismus habe schon gesiegt, da zwischen dem Regime der Sozialdemokratie und dem des Nationalsozialismus kein «prinzipieller» Unterschied bestehe. Was diese Herrschaften unter einem «prinzipiellen» Unterschied verstehen, wissen sie offenbar selber nicht. Helfen wir ihnen. Der Zarismus war die Staatsmacht der Gutsbesitzer und des Großkapitals. Die Provisorische Regierung der Februarrepublik blieb ebenfalls eine Macht der Gutsbesitzer und des Großkapitals. Bestand zwischen ihnen ein «prinzipieller» Unterschied? Offensichtlich nein. Lohnte es sich in diesem Fall, die Februarrevolution durchzuführen? Oder anders: kann man der Februarrevolution irgendeine «prinzipielle» Bedeutung beimessen? Indes, ohne Februarrevolution wäre der Oktober nicht möglich gewesen. Das Großkapital herrschte in Deutschland unter der lausigen Demokratie Müller-Severing-Brüning; das Großkapital herrscht unter Hitler. Klar, zwischen diesen beiden Regimen ist kein «prinzipieller» Unterschied. Indes, nach dem faschistischen Staatsstreich sah sich das Proletariat sämtlicher Verteidigungs- und Angriffsmittel beraubt.

Das 13. EKKI-Plenum bietet uns ein klassisches Muster des Anarchismus, in all seinem Urstumpfsinn. Die Herren Kuusinen, Manuilski, usw. sind keine Anarchisten; dazu schätzen sie viel zu sehr die Hilfe der GPU im Kampf gegen die revolutionären Marxisten. Doch die Logik ihrer Fehler, Finten und Abstreitereien brachte sie bis zu der anarchistische Philosophie: ein Wechsel politischer Regime sei ja ohne – «prinzipielle» Bedeutung! Die im Konzentrationslager und nicht im Hotel Lux sitzenden Kommunisten sehen die Sache gewiss anders an.

4. Die Resolution macht einem weis, die Meinungsverschiedenheiten zwischen Sozialdemokratie und Faschismus betrafen nur «Form und Methoden der Faschisierung». Nur! Zum Unterschied von den Faschisten halten die Sozialfaschisten «an der Wahrung der parlamentarischen Formen bei der Durchführung der Faschisierung der bürgerlichen Diktatur fest». Aber wegen dieser Formen und Methoden» bekämpft der Faschismus die Sozialdemokratie bis aufs Messer, erschlägt er ihre Führer, beschlagnahmt er Häuser und Kassen, steckt er die Arbeiter in Konzentrationslager. Wir kennen die Sozialdemokratie als eine Partei, die sich jeder Gewalt anpasst, die auf den Knien rutscht sogar vor den gekrönten Vertretern der herrschenden Klassen; warum – fragt man sich – wird denn diese durch und durch opportunistische, die Faschisierung anstrebende Partei, statt sich dem Nationalsozialismus anzupassen, zu dessen Opfer? Doch nicht etwa nur wegen der nichtprinzipiellen «Formen und Methoden»? Die scharfsinnigen Führer der Komintern haben die «parlamentarischen Formen» bemerkt, die politischen und wirtschaftlichen Organisationen des Proletariats aber vergessen. Mit keinem Wort erwähnen sie, dass die Sozialdemokratie nicht leben und nicht atmen, d.h. weder die Demokratie ausbeuten, noch die Arbeiter verraten kann, ohne sich auf die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiterklasse zu stützen. Indes, eben auf dieser Linie liegt der unversöhnliche Gegensatz zwischen Sozialdemokratie und Faschismus, eben auf dieser Linie setzt verpflichtend und unumgänglich die Etappe der Einheitsfrontpolitik mit der Sozialdemokratie ein. Der Versuch, diese Etappe zu überspringen, kostete der Komintern den Kopf.

5. «Die Sozialdemokratie spielt» – nach den Worten der Resolution – «auch weiterhin die Rolle der sozialen (!?) Hauptstütze der Bourgeoisie auch in den Ländern der offenen faschistischen Diktatur». Schwerlich ist ein herausfordernder Idiotismus zu denken. Die Sozialdemokratie ist aus allen Positionen vertrieben, auf den Rücken geschmissen, mit Stiefeln getreten, eben weil sie in ihrer Eigenschaft als Stütze der Bourgeoisie aufgehört hatte, nützlich zu sein. Die Stelle der Arbeiteraristokratie, die sich auf die reformistischen Organisationen des Proletariats stützten und fette Bissen aus den Händen des Finanzkapitals erhielten, haben faschistische Banditen eingenommen, die sich auf das entkoppelte Kleinbürgertum stützen. Das Wesen des Staatsstreichs bestand auch im Vertauschen der einen «sozialen Stütze» durch die andere «soziale Stütze», will man sich schon der Ausdrucksweise der Kominternführer bedienen: in Wirklichkeit haben sie nicht die soziale, sondern die politische Stütze im Auge.

Die so gescheiten Leute wollen offenbar den Gedanken zum Ausdruck bringen, der Faschismus stütze sich auf das Misstrauen der Arbeiter zu sich selber, und die Schuld an diesem erniedrigenden Zustand des Proletariats liege beim Reformismus. Geschichtlich stimmt das. Aber es stimmt auch, dass die Komintern im Jahre 1919 geschaffen wurde, den verderblichen Einfluss der Sozialdemokratie auszurotten. Bis 1923 erfüllte die Komintern diese Aufgabe mit Erfolg. In den letzten zehn Jahren aber glitt sie systematisch bergab*. Indem sie die revolutionären Methoden im Bewusstsein der Arbeitermassen kompromittierte schuf die Komintern eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Sieg des Faschismus. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Komintern heute die Rolle einer «sozialen Hauptstütze» Hitlers spiele, sondern, dass man, um Hitler niederzuwerfen, mit der Komintern Schluss machen muss.

6. «Aber» – so tröstet uns die Resolution – «in den meisten Ländern befindet sie (die Sozialdemokratie) sich bereits im Verfallsprozess». In einer kurzen Notiz vom 13. Plenum der britischen Kompartei wird empfohlen, «den Kampf um die Einheitsfront zu verstärken, zu der die Arbeiter, die noch (!) zu der Arbeiterpartei und den Gewerkschaftsbürokraten halten, heranzuziehen sind». Das kleine Wörtchen «noch» enthüllt restlos jene gespenstische Welt, in der die Kominternbürokratie lebt. Die britische Kompartei ist eine klägliche Fiktion. Dagegen bereitet die mit Verrat bedeckte Partei der Labouristen sich von neuem auf die Macht vor zu neuem Verrat. 1925-27 zählte die Profintern «eine Million» Arbeiter zur linken Tradeunionopposition. Jetzt ist von dieser Bewegung nichts mehr übrig. Wir wollen gar nicht reden von dem Zusammenbruch der deutschen Partei, die – ach – keine Anstrengungen Hunderter oder Tausender selbstaufopfernder Arbeiter retten können. In Frankreich hat die Spaltung der sozialistischen Partei der zerfallenen Kompartei nicht um ein Haarbreit vorwärts geholfen. Die Einheitsgewerkschaften sanken von einer Halbmillion unter Zweihunderttausend, während die reformistischen von Dreihundert- auf Achthunderttausend stiegen. In Belgien existiert die Kompartei praktisch nicht, die Partei des kgl. Ministers Vandervelde herrscht immer noch in der Arbeiterbewegung. In Österreich führt die Sozialdemokratie das Proletariat konsequent der völligen Zertrümmerung entgegen, die Kompartei ist aber auch nicht um soviel aus ihrer Bedeutungslosigkeit herausgekommen. Obwohl in Schweden und Dänemark die Sozialdemokratie seit Jahren an der Macht ist, bleiben die offiziellen kommunistischen Parteien dieser Landes Nullen. In Norwegen erhielt der treulose Reformist Tranmael, der 1923 nur ein bisschen mehr halte als die rechtgläubige Kommternsektion, bei den letzten Wahlen 45% der Bevölkerungsstimmen, während die Kompartei zu einer jämmerlichen Sekte entartete. In der Schweiz erobert die Sozialdemokratie einen Kanton nach dem anderen, während die Kompartei immer mehr von der Bildfläche verschwindet. In Spanien, wo die Sozialdemokratie im Laufe mehrerer Jahre die unmittelbare Verantwortung für die Abwürgung der revolutionären Massen trug, was sie zweifellos schwächte, und wo der Anarchosyndikalismus in nicht dagewesenem Maße seine Unzulänglichkeit bewies, ist die Kompartei dem Zustand der Bedeutungslosigkeit auch nicht um so viel entkrochen. Alles spricht dafür, dass die spanische sozialistische Partei, wenn sie in die Opposition gehen wird, sich die verlorenen Positionen wieder verschaffen wird. Die polnische kommunistische Partei, die noch 1931 eine gewaltige politische Kraft darstellte, hat heute den Einfluss auf die Massen vollständig eingebüßt. Die Führung der Arbeiterklasse fiel wieder der PPS (Polnischen Sozialistischen Partei) in die Hände. Der Berichterstatter Kuusinen könnte erfolgreich erzählen, wie unter seiner Führung die Kompartei Finnlands ins Nichts versackte. Die Resolution des 13. Plenums nennt bei Namen nur ein einziges Land, wo angeblich «die Mehrheit der Arbeiterklasse geschlossen zur kommunistischen Partei steht»: das ist Bulgarien! Aber auch dort reagierten die Arbeiter absolut nicht auf die Terrormaßnahmen gegen die Kompartei. Das sind die Tatsachen.

7. Die «Jahrbücher» der Komintern machten vor einigen Jahren folgende Angaben über die Mitgliederzahlen der Komparteien:

In Deutschland

1921

360000

Mitglieder

"

1923

400000

"

"

1926

150000

"

In England

1921

10000

"

"

1923

4000

"

"

1926

5700

"

In Frankreich

1922

90000

"

"

1923

52000

"

"

1926

83000 (?)

"

Tschechoslowakei

1921

360000 (?)

"

"

1923

154000

"

"

1926

93000

"

Norwegen

1921

97000

"

"

1923

20000

"

(nach der Spaltung)

"

1926

7000

"

Damit endigt die Statistik der Komintern sowie die Herausgabe von Jahrbüchern selbst: vor dem Abgrund schließt man lieber die Augen. Indes, der eigentliche Verfall begann erst 1925-26, um im Laufe der «Dritten Periode» unaufhaltsamen Charakter anzunehmen. Lässt man die USSR beiseite, wo die Partei vermittels bürokratischer Erstickung liquidiert wurde, so wird man ohne Übertreibung sagen dürfen, die Gesamtmitgliederzahl der Komintern ist jetzt zehnmal niedriger als zur Zeit ihres Höhepunktes. Betreffs der Profintern müssen noch niederschmetterndere Verhältniszahlen angegeben werden. Die «Krestintern» ist schon längst verendet und selbst ihr Name aus dem Gebrauch gekommen. Die angeführten Ziffern vermitteln jedoch immer noch keine genügende Vorstellung von dem theoretischen Zusammenbruch der Komintern und dem Schwund ihres revolutionären Ansehens.

8. Wie erklärt die Komintern selber diese Tatsachen? Sie erklärt sie nicht, sie verschweigt sie. Lediglich nebenbei, wo sie von der «Massenarbeit» der Komparteien spricht, vermerkt das 13. Plenum: «die Arbeit in Betrieben und Gewerkschaften … ist immer noch (!) ihre schwächste Stelle». Die schwächste Stelle der Komintern ist die Arbeit in Betrieben und Gewerkschaften, d. h. im Proletariat. Wo aber ist ihre stärkste Stelle? Offenbar in Münzenbergs Schaubude und im Moskauer Hotel Lux. Was besagen die Worte «immer noch»? Die Periode, wo die Komparteien Gewerkschaften und Betriebsräte eroberten, und die Profintern eine ansehnliche Kraft war, liegt doch hinter und nicht vor ihnen. Die Vergangenheit kehrt nicht zurück. Sinowjews-Bucharins-Stalins-Manuilskis-Kuusinens Politik hat die Komintern verwüstet.

9. Von der verschleuderten Kraft blieb allein der falsche, auf Befehl zur Schau getragene Optimismus.

«Es wäre ein recht-sopporlunislischer Fehler» – vermeldet das 13. Plenum – «jetzt nicht die objektiven Tendenzen zum beschleunigten Reifen der revolutionären Krise in der kapitalistischen Welt zu sehen». Was heißt «beschleunigt»? Im Vergleich womit? mit der Lage, als Hitler noch nicht gesiegt hatte? Und die Katastrophe trat wohl aus Mangel an «objektiven Tendenzen zu einer revolutionären Krise» ein?

Hatte die Komintern im Jahre 1929, selbst 1930 oder 31, ihrer Politik die objektive Unversöhnbarkeit der Sozialdemokratie mit dem Faschismus, richtiger des Faschismus mit der Sozialdemokratie zu Grunde gelegt, hätte sie darauf eine systematische und hartnäckige Einheitsfrontpolitik aufgebaut, so wäre Deutschland in wenigen Monaten von mächtigen proletarischen Verteidigungskomitees, d.h. potenziellen Arbeitersowjets überzogen gewesen. Hätte die Sowjetregierung rechtzeitig erklärt, sie würde ein Gelangen Hitlers an die Macht zur Vorbereitung eines Schlages gegen Osten auffassen, hätte sie unter der Ausnutzung der günstigen Situation in Europa schon damals die notwendigen Vorbereitungsmaßnahmen an der Westgrenze getroffen, so wären die deutschen Arbeiter von doppelter Selbstsicherheit erfüllt worden, und Deutschland hätte alle Aussicht gehabt, Sowjetrepublik zu werden. Europa und die ganze Welt sähen heute anders aus. Statt dessen hat die stalinsche Komintern wie die stalinsche Diplomatie Hitler von beiden Seiten in den Sattel geholfen. Danach ließ Pjatnitzki, den Finger an der Stirn, verlauten: die deutschen Arbeiter haben sich dem Henker kampflos ergeben, … weil es eine revolutionäre Situation gab. Wie viel «revolutionäre Situationen» gedenkt ihr noch zu Grunde zu richten, ihr Herren Strategen? Zum Glück sind eure Arme erheblich kürzer geworden!

10. «Die revolutionäre Entwicklung» – belehrt das Plenum – «wird zugleich erschwert und beschleunigt durch das faschistische Wüten der Bourgeoisie». Diesem zweideutigen Salz folgt ein melancholischer Anhang: «In Deutschland wächst der revolutionäre Hass des Prolelariats in diesem Augenblick in weniger offenen (!) Formen». Das ist es eben! Am Tage nach dem faschistischen Staatsstreich kündigte man uns für die kommenden Monate, wenn nicht Wochen, den proletarischen Aufstand an: man legte ihn geradezu auf den Oktober fest. Wer nicht daran glaubte, wurde für einen Konterrevolutionär erklärt. Danach ergab das Plebiszit für Hitler 43 Millionen Stimmen gegenüber drei Millionen der Opposition. «Wir sind nicht schuld» – antworteten alle Kuusinens – «seht ihr denn nicht, Hitler wendet ja Terror an». Sieh einer an! Hitler hat auch dazu die Macht ergriffen, um Terror zu üben. Aber wenn der Machtantritt der Faschisten «die Revolution beschleunigt», wie die Herren Bankrotteure anfangs behaupteten, so musste dies vor allem in der Unmöglichkeit zum Ausdruck kommen, die Arbeiter mit Terrormaßnahmen einzuschüchtern – umso mehr, als es diesmal noch nicht den Barrikadenkampf sondern die Abgabe eines oppositionellen Stimmzettels galt. Aber es zeigte sich, dass der Faschismus, der unter der Demokratie 17 Millionen Stimmen auf sich vereinigte, darüber hinaus noch 25 Millionen terrorisierte. Wenn darin die «Beschleunigung» der Revolution zum Ausdruck kommt, so unterscheidet sie sich entschieden in nichts von der Vertiefung der Konterrevolution. «Pessimismus!», «Defätismus!», «Kapitulation!» werden die Abenteurer heulen, die ihr Gehalt bekommen für unablässige Bereitschaft, die Konterrevolution Revolution zu nennen, wenn die Machthaber es verlangen. Arbeiter, lernt dies bürokratische Gesindel verachten!

11. Die Leitsätze der Komintern, die ihre theoretische Analyse nicht überragen, widersprechen ihr aber auf Schritt und Tritt. Das 13. Plenum schreibt den kommunistischen Parteien vor: «Sorgsam zu erklären, welche wirtschaftliche und politische Versklavung die faschistische Diktatur den Werktätigen bringen wird». Soeben erst hat man uns «sorgsam» erklärt, zwischen Demokratie und faschistischer Diktatur sei kein «prinzipieller» Unterschied, und nur zum Zweck des Betruges der Arbeiter scheuche die Sozialdemokratie mit der faschistischen Zerschlagung der Demokratie. Und mit einem Mal, ohne jeden logischen Übergang, scheuchen die Kominternfuhrer gemeinsam mit der Sozialdemokratie die Arbeiter «sorgsam» mit der Versklavung, die der Sieg des Faschismus mit sich bringt. Man schämt sich, diesen politischen Galimathias zu lesen, der jedoch ein rechtmäßiges Kind der berüchtigten Theorie von den «beiden Zwillingen» ist: Sozialdemokratie und Faschismus.

12. Das Plenum macht den kommunistischen Parteien zur Pflicht: «rechtzeitig die Massen zur Verteidigung von Gewerkschaften, Arbeiterpresse, Arbeiterhäusern, Streikfreiheit, Arbeiterversammlungsfreiheit zu erheben … durch Schaffung kämpfender Selbstschutzstaffeln zum Widerstand gegen die Terrorbanden». Es handelt sich unzweifelhaft um die Verteidigung nicht nur der kommunistischen Vereine, Zeitungen und Häuser, sondern der Arbeiterorganisationen überhaupt. Und da die Sozialdemokratie nicht weniger brennend an der Verteidigung ihrer Vereine, Zeitungen und Arbeiterwohnungen interessiert ist als die Kompartei, so ergibt sich daraus gebieterisch eine Einheitsfrontpolitik. Ist es in dem Fall nicht Pflicht, sich schon jetzt an die sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften der Länder zu wenden, wo der Faschismus sich erst auf den Angriff vorbereitet, mit dem Vorschlag einträchtiger Verteidigung, insbesondere gemeinsamen Vorgehens der Arbeiterstaffeln? Doch davon schweigt die Resolution. Sie darf dazu nichts sagen, will sie nicht die ganze Kette der von der Komintern begangenen Verbrechen abrollen.

13. Das EKKI empfiehlt, für Streik- und Arbeiter-Versammlungsfreiheit zu kämpfen, mit anderen Worten: für die demokratischen Rechte des Proletariats. Dem ist hinzuzufügen die Verteidigung der Wahlfreiheit und der Unverletzlichkeit der kommunistischen Abgeordneten, folglich die Verteidigung des Parlamentarismus selber vor den faschistischen und bonapartistischen Anschlägen. Wie ängstlich, verworren, verstohlen und stotternd gehen die unglückseligen Kominternführer an die Frage der Verteidigung der demokratischen Positionen des Proletariats heran! Die maskierten, halben Zugeständnisse sind ganz unzureichend für eine richtige Politik, doch mehr als zureichend für die Anklageakte gegen die Komintern

14. Die Resolution fordert von den Komparteien, «Schluss zu machen mit der opportunistischen, kapitulantenhaften Geringschätzung (!) der Gewerkschaftsarbeit und insbesondere der Arbeit innerhalb der reformistischen Gewerkschaften». Im 15. Jahr des Bestehens der Komintern ist das Plenum gezwungen, Komparteien einzuschärfen, man dürfe keine «Geringschätzung» gegenüber den Arbeitermassenorganisationen hegen. Die bösesten Gegner haben über die Komintern nie etwas so niederschmetterndes gesagt wie diese paar Worte. «Geringschätzung des Proletariats und seiner Massenorganisationen, das ist das Nerv und Hirn durchdringende Ergebnis der gesamten Periode des bürokratischen Abenteurertums.

15. Welches sind die Perspektiven? Die Resolution bringt uns wieder auf die Frage zurück, ob der Sieg des Faschismus die proletarische Revolution beschleunige. Mit gleichem Erfolg ließe sich sagen, ein Schiffbruch «beschleunige» die Fahrt von Europa nach Amerika. Die gewaltige Bedeutung dieser Frage liegt auf der Hand: wenn der Faschismus ein «Beschleuniger» ist, kann man in Frankreich, Spanien, Belgien. Holland usw. die Politik wiederholten, die mit solchem Erfolg in Deutschland angewandt wurde. An dem beglückenden Ergebnis kann es keinen Zweifel geben. Umso unerbittlicher müssen die Bolschewiki-Leninisten aus den Reihen der Arbeiterbewegung die Theorie und Praxis des bürokratischen Abenteurertums hinaus jagen!

Dass das vom Faschismus niedergeschlagene Proletariat letzten Endes die Niederlage verwinden wird, ist unbestreitbar, doch nur um den Preis furchtbarer Opfer, die dem politischen Verderben einer ganzen Generation gleichkommen. Das bezeugt die italienische Erfahrung beredt genug.

Gegen das italienische Beispiel erhebt das Plenum folgenden Einwand: «Zum Unterschied von der ersten Faschisierungswelle der kapitalistischen Staaten, die beim Übergang von der revolutionären Krise zur teilweisen Stabilisierung stattfand, geht die kapitalistische Welt heute vom Ende der kapitalistischen Stabilisierung zu einer revolutionären Krise über» Das Tröpfchen Wahrheit, das in diesen Zeilen enthalten, ist reichlich mit Lüge verdünnt. Hitlers Sieg fällt durchaus nicht mit dem Übergang von der Stabilisierung zur Krise zusammen, denn die unerhörte Weltkrise begann 1929, Hitler aber siegte erst vier Jahre später in einem Augenblick, wo die allgemeine totale Krise des Kapitalismus sich vorübergehend wieder durch eine Konjunkturbelebung gemildert sehen kann. Nicht zu bestreiten ist jedenfalls, dass die inneren wie internationalen Widersprüche des Kapitalismus sich ungeheuer verschärft haben, und sämtliche bürgerlichen Regime, einschließlich der faschistischen, einer schaurigen Probe entgegengehen.

Die Resolution sagt dazu: «In jedem Augenblick kann der Umschwung eintreten, der das Umschlagen der Wirtschaftskrise in die revolutionäre Krise bedeuten wird. Dieser Gedanke ist nicht neu! Die Bolschewiki-Leninisten haben längst erklärt, wie und warum unsere Epoche eine Epoche scharfer politischer Umschwünge ist. Doch dieser Gedanke ist gerade jetzt am wenigsten auf Deutschland anwendbar. In jedem anderen Land Europas kann die revolutionäre Situation eher entstehen als in Deutschland, wo das Proletariat erhebliche Zeit brauchen wird, um sich von der Niederknüppelung und Demoralisierung wieder zu erholen und das Vertrauen in seine Kräfte zurückzugewinnen. Überflüssig zu sagen, dass ein Sieg des Proletariats in welchem andern Land auch immer den Prozess der revolutionären Wiedergeburt in Deutschland außerordentlich beschleunigen würde.

Der Schwerpunkt liegt jedoch nicht auf der revolutionären Reihenfolge der Länder. «Das Umschlagen der Wirtschaftskrise in die revolutionären, in welchem Lande es auch stattfände, entscheidet die Frage noch nicht. Damit die revolutionäre Krise sich in die proletarische Revolution verwandle und nicht in den faschistischen Staatsstreich, ist erforderlich eine richtige Politik, folglich eine wirklich revolutionäre Partei. Nötig ist die neue Internationale!

16. Es gibt keine Ursache, darauf stolz zu sein, dass man fünfzehn Jahre nach der Gründung der Dritten Internationale in gewissem Sinne von vorn beginnen muss. Aber die Schuld an diesem grandiosen Rückschlag trägt die Führung der Komintern. Die Vergangenheit kann man nicht nachbessern. Man muss ausgehen von dem, was ist, um die internationale revolutionäre Vorhut auf neuer geschichtlicher Stufe zusammenzuschließen.

Das ist ebenso notwendig im Interesse der Weltrevolution wie der Rettung der UdSSR. Nichts droht heute der Weltlage des ersten Arbeiterstaates so sehr wie die Hoffnung auf die schmarotzerhafte Kominten. In der Minute der Gefahr kann man von den Cachin und Jacquemotte die gleiche Hilfe erwarten wie von Leon Blum und Vandervelde.

17. Das Plenum ließ auch die Frage der neuen Internationale nicht außer Acht. Nachdem sie die «Linksbewegung der sozialdemokratischen Arbeiter» und die dadurch entstandene «Beißerei unter den sozialfaschistischen Spitzen» festgestellt hat, nimmt die Resolution die Versuche der linken Spalter zur Kenntnis, «eine neue Internationale 2½ zusammenzubrauen». Weiter als diese billigen Wörtchen reicht das politische Denken der Kominternführer nicht. Indes stehen wir vor der Frage einer neuen Etappe der Weltarbeiterbewegung.

Der Zustrom der Arbeiter zur Sozialdemokratie bringt zusammen mit der tödlichen Gefahr des Faschismus das Lager des Reformismus aus dem alten Gleichgewicht und erzeugt in ihm neue Strömungen und Grenzverschiebungen. Das heutige Wachstum der Sozialdemokratie bereitet ihr nur eine neue schärfere Krise vor. Dieser Krise muss man mit einem klaren strategischen Plan begegnen, ohne sich mit flachen Späßen wie von der «Beißerei der Spitzen» drücken zu wollen.

Man muss begreifen, dass die Sozialdemokratie noch nie in einer so fürchterlichen Zwickmühle war wie heute. Nicht zufällig klopfte Stampfer in letzter Minute vor dem Krach bei der Sowjetgesandtschaft auf der Suche nach einem Beistand gegen Hitler. Die traditionelle Rollenverteilung zwischen Blum und Renaudel verwandelte sich in eine Spaltung. Blum, der einen vergifteten Kampf gegen den Sowjet«imperialismus» geführt hat, sieht sich gezwungen zu erklären, der «Kampf um den Frieden» der französischen Sozialdemokratie führe heute zur Einheitsfront mit der UdSSR. Die belgische Sozialdemokratie stellt als eine ihrer Hauptlosungen die Anerkennung der UdSSR auf. Unter den russischen Menschewiki verstärkt sich der Zug zur Anerkennung des Sowjetstaats als eines Arbeiterstaats. Gleichzeitig damit wächst bei der linksreformistischen Bürokratie ein teils geheucheltes, teils aufrichtiges Interesse für die Ideen der Bolschewiki-Leninisten. Selbst unter den russischen Menschewiki erscheinen «Neuerer», die die fortschrittlichen Seiten des … «Trotzkismus» entdecken.

Man muss ein Kind sein, um all dies in Bausch und Bogen für bare Münze zu nehmen; man muss ein Kuusinen sein, um darin nichts als eine «Beißerei unter den sozialfaschistischen Spitzen» zu sehen. Es ist nötig, die sich windenden Reformisten beim Wort zu nehmen und die reformistischen Massen auf den Weg der Aktion zu treiben, – den Feind mit seinen eigenen Waffen zu schlagen.

Aus dieser Perspektive ergibt sich am allerwenigsten ein Scharwänzeln vor den sozialdemokratischen Bürokraten, Verschweigen ihrer Verbrechen, Übertreibung ihrer «Verdienste» usw. Eine solche Politik ist würdig des linken Zentrismus, der sich nur als Schatten des Reformismus fühlt und es scheut, sich in der Tat dem Reformismus entgegenzustellen. Wer den Weg zu den Massen sucht durch Anschmieren bei den reformistischen Führern, den werden die Massen unweigerlich beiseite werfen zusammen mit ihren kompromittierten Führern. Konsequenter Kampf mit dem Reformismus, nicht das geringste Zugeständnis an den Zentrismus – das ist es, was auf der Fahne der Vierten internationale geschrieben steht!

18. Der linke Flügel der Sozialdemokratie würde sich unter den heutigen Umständen rasch zum Kommunismus entwickeln, versperrte ihm nicht die Stalinbürokratie den Weg. Viele «linke» Gruppierungen, welche die Dialektik der Entartung der Komintern nicht begriffen, bleiben auf halbem Wege stehen und tragen sich mit Ideen der Vereinigung beider Internationalen, Schaffung einer Zwischeninternationale und ähnlichen reaktionären Luftschlössern.

Doch neben diesen sich in Halbheit wiegenden Richtungen, denen noch eine nicht leichte Entwicklung bevorsteht mit unvermeidbaren inneren Spaltungen, schälen sich schon jetzt fortschrittlichere Gruppierungen heraus, die sich die Schaffung der Vierten Internationale zur Aufgabe stellen, d. h. die Wiederherstellung der Politik Marx' und Lenins auf neuer höherer geschichtlicher Ebene.

Das 13. Plenum hat gnädig auch diese Richtung wahrgenommen: «Der Bediente der konterrevolutionären Bourgeoisie Trotzki trachtet mit seinen kläglichen Versuchen zur Schaffung einer Vierten Internationale … erfolglos, den Übergang der sozialdemokratischen Arbeiter zum Kommunismus aufzuhalten». Für die Leute, die den Sieg der Konterrevolution für eine Beschleunigung der Revolution erklären, ist es nur schicklich, die Marxisten für Konterrevolutionäre auszugeben. Dabei zu verweilen lohnt nicht. Interessanter ist die andere Seite der Sache. Es stellt sich heraus, dass die «konterrevolutionäre Bourgeoisie» (anscheinend gibt es auch eine revolutionäre!), die eine «soziale Hauptstütze in der Sozialdemokratie besitzt, und gleichzeitig dem Faschismus aufträgt, ihre «Hauptstütze» zu zertrümmern, obgleich ein «prinzipieller» Unterschied zwischen ihnen nicht besteht – es stellt sich also heraus, dass diese «konterrevolutionäre Bourgeoisie» außerdem auch noch eine Vierte Internationale braucht. Ein Trost wenigstens, dass trotz den Anstrengungen der Konterrevolutionäre «der Übergang der sozialdemokratischen Arbeiter» nicht nur anhält, sondern im Gegenteil wächst, nicht allein von Tag zu Tag, sondern von Stunde zu Stunde … So grob und sinnlos lügen können nur Leute, die auf die Meinung der Arbeiterklasse spucken.

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Der Geist des bürokratischen Zynismus weht durch die Beschlüsse des 13. Plenums. Für die Sache de: Revolution ist die Komintern tot. Sie wird auch der siebente Weltkongress nicht wieder erwecken, der endlich auf die «zweite Hälfte» dieses Jahres einberufen ist. Die revolutionäre Bewegung wird andere Wege gehen. Die Bolschewiki-Leninisten sind mit Recht darauf stolz, dass die Geschichte ihnen die Mission auferlegte, diese neuen Wege zu bahnen.

18. Januar 1934.

L. Trotzki

* Einige unserer Kritiker erklären dazu: daraus ergibt sich also, dass unter Lenin alles gut war, nach seinem Tode aber alles schlecht wurde; wo bleibt da der Marxismus? Die Ursachen der bürokratischen Entartung der USSR und der Komintern sind von uns längst aufgedeckt, niemand hat irgendwelche andere Erklärungen vorgelegt; aber die objektiven geschichtlichen Prozesse werden von Menschen vollzogen, bestimmte persönliche Einflüsse können die Prozesse beschleunigen oder verlangsamen. Es bleibt eine unbestreitbare geschichtliche Tatsache, dass die bürokratische Reaktion Lenins Krankheit weitgehend ausnutzte und sich vermittels eines rasenden Kampfes gegen den «Trotzkismus» den Weg bahnte.

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