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Leo Trotzki 19350819 Der Kirchenkampf unterm Faschismus

Leo Trotzki: Der Kirchenkampf unterm Faschismus

(Aus einem Brief)

[Nach Schriften über Deutschland, Band 2, S. 699-702.]

Die Kirchenfrage. – Ich denke, ich komme gleich zum Kern der Sache, wenn ich mit der folgenden Wiedergabe der Darlegungen des Genossen D. bei der Kommissionssitzung vom 15. Juli anfange:

D. versteht nicht, wie in Nicoles Kopf die schrecklich radikale Losung ,Nieder mit den radikalen Ex-Ministern' mit der ,Unterstützung der Kirche in Deutschland' zusammengehen kann."

Natürlich kann keine Rede davon sein, die Kirche zu unterstützen. Für uns kann es nur die Frage geben: unterstützen wir den politischen Kampf der Katholiken und Protestanten für ihr Recht, Katholiken und Protestanten zu bleiben und als solche zu handeln, oder nicht. Diese Frage ist zu bejahen. Dass wir uns damit nicht für Religion und Kirche engagieren, sondern unsere Opposition gegen Religion und Kirche so stark wie möglich betonen, ist selbstverständlich.

Aber mir ist nicht klar, was das mit der Losung „Nieder mit den radikalen Schurken (nicht nur mit den Ex-Ministern)" zu tun hat. Diese Parole besagt nichts anderes als die Forderung, die Klassenkollaboration zu zerbrechen. Da Reformisten und Stalinisten diesen Bruch verweigern, werden sie sich in den Augen der Arbeiter kompromittieren. „Raus mit den radikalen Bourgeois aus der Volksfront" ist daher im jetzigen Augenblick eine völlig richtige marxistische Losung. Aber stellen wir uns vor (was nicht schwer fällt), dass die Faschisten morgen damit beginnen, Freimaurerlogen zu stürmen oder antiklerikale Zeitungen zu zerstören (was sie gelegentlich schon getan haben). Es ist keine Frage, dass die Arbeiter auf die Straße gehen werden, um bei der Verteidigung der Freimaurerlogen zu helfen. Aber was ist die Freimaurerei? Auch eine Art Kirche, dazu bestimmt, das liberale Kleinbürgertum den Interessen der Hochfinanz fügsam zu machen. Können wir das Freimaurertum unterstützen? Niemals! Aber wir können und müssen sein Existenzrecht gegen die Faschisten verteidigen, wenn nötig mit dem Gewehr in der Hand. Um dazu in der Lage zu sein, muss die Arbeiterklasse revolutionär sein und wirklich im Kampf bleiben. Die Volksfront macht das unmöglich. Um notfalls auch die Freimaurer verteidigen zu können, muss also die radikale Bourgeoisie aus der Volksfront verjagt werden. Darin liegt nicht der leiseste Widerspruch. Ist dies Missverständnis einmal aufgeklärt, so kommen wir, glaube ich, auch der deutschen Kirchenfrage näher.

In der modernen Gesellschaft geht die Kirche mit den Interessen des Finanzkapitals, d.h. mit der herrschenden Macht konform. Aber ihre Einflusssphäre bleibt vor allem das Kleinbürgertum und der kleinbürgerlich beeinflusste Arbeiter, seine Frau usw. Was das Proletariat angeht, so hat die Sozialdemokratie längst die Funktion der versöhnenden und tröstenden Kirche übernommen – sie hat die Kirche weitgehend ersetzt. Das immer tiefer herunter gedrückte Kleinbürgertum kann, soweit es kleinbürgerlich bleibt, nicht ohne die Kirche auskommen, und gerade darin liegt das Wesen des gegenwärtigen Konflikts in Deutschland. Die ungeheuren inneren Widersprüche (die unermesslich schärfer sind als in Italien und stetig anwachsen) treiben die Staatsmacht zu immer stärkerer Konzentration. Das faschistische Staats-Idol kann und will keinerlei Konkurrenz dulden. Der Nationalsozialismus plant, die Religion zu absorbieren und seinen Staat zu vergötzen. Aber weil der wie wahnsinnig aufrüstende faschistische Staat das Kleinbürgertum mehr und mehr niederdrückt, kann es die mystischen Kompensationen der Kirche für die ihm vom Staat zugefügten Leiden nicht entbehren. Soziologisch gesehen handelt es sich nur um eine Art Arbeitsteilung zwischen Staat und Kirche. Aber jeder fromme Spießer wird nun innerlich von dieser Arbeitsteilung zerrissen, die sich zu einem politischen Konflikt entwickelt hat. Zwei Seelen, wohnen, ach, in seiner Brust. Es ist nötig, diesen Konflikt zu schüren und ihn in erster Linie gegen den Staat zu richten.

Es versteht sich, dass die leitenden Schichten der Bourgeoisie während all dem nicht beiseite stehen. Sie mussten die Hitlerbande die Macht ergreifen lassen, aber deren Abenteurer-Politik hält sie ständig in Atem. Die unschlüssige Haltung Hindenburgs bei Hitlers Ernennung bleibt für immer ein Symbol für die Haltung dieser Schichten. Sie halten die Kirche für eine ewige Einrichtung – nach Lloyd Georges Maxime eine Kraftstation, die allen (herrschenden) politischen Parteien dient –, während sie die Nazis nur für einen brauchbaren Notbehelf halten. Und eben darum gießen die Nazis ihrerseits Öl ins Feuer des Kirchenkampfes. Gleichzeitig versuchen sie, zusammen mit den Oberhäuptern der Kirche, dabei über „vernünftige" Grenzen nicht hinauszugehen. Wenn wir von „Unterstützung" des Kampfes sprechen, meinen wir in erster Linie die Unterstützung des Kampfes gegen den Nazi-Staat. In zweiter Linie unterstützen wir den Kampf gegen jene Teile der herrschenden Klassen, die diesen Kampf gleichzeitig anstacheln und aufhalten, um sich auf diese Weise Hitlers Respekt zu erhalten.

Losungen wie die Trennung von Kirche und Staat, von Schule und Kirche, sind natürlich richtig und müssen, wann immer die Gelegenheit sich bietet, propagiert werden. Aber diese Lösungen treffen in Wirklichkeit nicht ganz den Nagel auf den Kopf. Denn ob nun die Kirche vom Staat getrennt ist oder nicht: es ist das Recht der Katholiken und Protestanten, ihr religiöses Opium als Katholiken und Protestanten zu konsumieren, ohne dadurch ihr Leben zu gefährden oder zu beeinträchtigen. Das ist eine Frage zunächst der Freiheit des Gewissens, dann gleicher Rechte ohne Rücksicht auf das Bekenntnis (heidnisch, katholisch, protestantisch usw.), dann des Koalitionsrechtes (katholische Jugendorganisationen usw.).

Der Streit um das Wort „unbedingte Unterstützung" scheint mir ein terminologischer Disput zu sein. Niemand wird natürlich vorschlagen, dass wir bedingungslos jede Forderung der Kirchenopposition unterstützen, also etwa die nach vermehrter religiöser Unterweisung in den Schulen, nach größerer staatlicher Unterstützung für die Kirchen usw. Ich habe das Wort „bedingungslos" so verstanden, dass wir unsere Pflicht gegenüber der Oppositionsbewegung erfüllen müssen, ohne den daran beteiligten Organisationen irgendwelche Bedingungen aufzuerlegen. Das muss als selbstverständlich gelten. Welche Bedingungen könnten wir in der gegenwärtigen Situation stellen, und welche oppositionelle Partei würde sie akzeptieren? Es ist nur nötig, wirkungsvolle Methoden zu finden, um in den Kampf einzugreifen, die religiös-demokratische Opposition anzustacheln, sie zu erweitern und den jungen Katholiken, vor allem den Arbeitern, in ihrem Kampf zu helfen (und natürlich nicht der Nazi-Polizei, die diese religiösen Organisationen „zerschlagen" will). So haben wir in Russland stets den Kampf der armenischen Kirche für ihre Autonomie unterstützt. Das gleiche taten wir im Kampf der verschiedenen bäuerlichen und kleinbürgerlichen Sekten gegen die staatliche orthodoxe Kirche – und zeitweilig mit großem Erfolg.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die schlummernden Kräfte des Proletariats von dieser Oppositionsbewegung gegen den faschistischen Staat, die ihrer sozialen Basis nach kleinbürgerlich ist, einen rettenden Impuls erhalten. Das ist natürlich nicht sicher. Gesichert würde diese Möglichkeit durch die Existenz einer starken und klugen revolutionären Partei. Aber die existiert nicht. Wir fangen erst an. Aber wir müssen alles tun, was in unseren Kräften steht. Die Sache ist in erster Linie von großer erzieherischer Bedeutung für unsere Kader, die vielleicht allzu lange an einer rein propagandistischen Orientierung festgehalten haben. Es scheint mir, dass eine Wendung absolut notwendig ist. Der Kirchenkampf kann ihnen nicht nur einen Ansatzpunkt, sondern auch günstigere Bedingungen bieten.

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